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Ungarn darf noch russische "Fossile" (Ricarda Lang) beziehen. Der Rest der EU tut es einfach so. |
Das Wort "Paket", abgeleitet aus dem französischen "Paquet" für Bündel, ist einer der zentralen Bausteine der europäischen Lebensart. Ursprünglich bezeichnete der Begriff nur einen verpackten Gegenstand oder eine Gruppe von Gegenständen, die als eine kompakte Einheit versendet oder gebündelt werden. Seit dem überragenden Erfolg des ersten Euro-Rettungspakets aber ist die EU-Kommission zu einer umfassenden Paket-Politik übergegangen.
Das Europa der Pakete
Die Kommission hat inzwischen Windpakete und Energiepakete, Gesundheitspakete und Wirtschaftspakete verabschiedet, ihre Vereinfachungspakete sind legendär, ihre Netzpakete hochwirksam und ihre Rüstungspakete gefürchtet. Auch nach dem russischen Überfall auf die Ukraine reagierte das vereinte Europa sofort mit einem Paket: Sanktionspaket Nummer 1, damals noch ohne Nummerierung, versprach nichts weniger als die härtesten Strafmaßnahmen, die jemals gegen einen einzelnen Staat verhängt worden waren. Obwohl doch schon die 2014 wegen der Annexion der Krim verhängten Strafmaßnahmen "viel stärker wirken, als es auf dem Papier steht" (Die Zeit).
Ursula von der Leyen war seinerzeit sicher: Es wird nicht lange dauern, bis Russland hinter den rigoros hochgezogenen Handelssperren zusammenbricht. "Russlands Bankrott ist nur eine Frage der Zeit", verkündete die Kommissionspräsidentin siegesgewiss. Eine Frage offenbar sehr langer Zeit, denn drei Jahre und 17 weitere Sanktionspakete später ist von einem Zusammenbruch der Putin-Diktatur weiterhin nichts zu sehen.
Umgeleitete Handelsströme
Russland hat sich eingerichtet mit dem Boykott der früheren EU-Handelspartner. Die großen Handelsströme bei Öl und Gas kamen keineswegs wie geplant zum Erliegen. Sie nehmen seit Jahren einfach eine andere Route. China und Indien, der Nato-Verbündete Türkei und frühere Sowjetrepubliken sprangen bereitwillig als Abnehmer in die Bresche.
Während die EU damit beschäftigt war, Importverbote zu erlassen, Oligarchenvillen zu beschlagnahmen und das russische Auslandsvermögen einzufrieren, steigerte Indien den Anteil des russischen Öls an seinen Importen von 1,6 Prozent im Februar 2022 auf 36 Prozent im vergangenen Jahr. Nicht alles wird im Land verbraucht: Die größte Demokratie der Welt, mit Deutschland durch eine "vertrauensvolle Zusammenarbeit verbunden" (Olaf Scholz), verarbeitet das Rohöl und exportiert es dann nach Europa, insbesondere nach Deutschland.
Die Sanktionen wirken
Nach einem Bericht der Internationalen Energieagentur IEA verdiente Russland so im Jahr 2024 durch den Export von Rohöl und Rohölprodukten 192 Milliarden US-Dollar. Die Sanktionen wirken: Die Einnahmen sind fast doppelt so hoch wie fünf Jahre zuvor, als der Kreml noch mit 108 Milliarden US-Dollar auskommen musste.
Das europäische Embargo gegen russisches Rohöl - als "Oil Washing" bekannt - zeigt seine Wirkungen weniger in Moskau als in Antwerpen und Rotterdam: Hier landet das in Indien veredelte Russenöl nach einer beinahe 10.000 Kilometer langen Seereise moralisch gereinigt, es hat an der frischen Seeluft seinen Blutgeruch verloren und kann nach einer letzten Weiterverarbeitungsstufe - der sorgfältigen Vermischung mit kasachischem Freiheitsöl - moralinsauer auch in Regierungsfahrzeugen verbrannt werden.
Diesel aus Nordseewasser
Mit diesem Trick konnte Indien im vergangenen Jahr sogar Saudi-Arabien als größten Treibstofflieferanten Europas ablösen, obwohl es selbst keine nennenswerten Erdölvorkommen besitzt. Versorgungssicherheit wird großgeschrieben, größer jedenfalls als solidarische Moral. Im August 2025 wurden 399.000 Barrel indischer Diesel pro Tag in Europa angelandet, deren Weitertransport nach Deutschland dann als Import aus Belgien und den Niederlanden gilt. Zwei EU-Staaten, die selbst keine nennenswerten Mengen fossiler Brennstoffe fördern, aber große Häfen haben, die ihnen ermöglichen, Öl und Gas exportieren, als sei es ihnen gelungen, es aus Nordseewasser herzustellen.
Auch das "blutgetränkte Russen-Gas", wie es prominente Boykottforderer wie die Klimaaktivistin Luisa Neubauer, der Youtube-Aktivist Rezo, der Fernsehwissenschaftler Eckhart von Hirschhausen und der Tatort-Schauspieler Axel Prahl in einer Petition für einen sofortigen Importstopp im September vor drei Jahren nannten, kommt von hier. Es darf sogar nach wie vor ohne reinigende Umwege importiert werden. Nötig ist nur, es vorher aufwendig zu verflüssigen. Letzteres ist auch mit dem jüngst verabschiedeten Sanktionspaket 19 noch immer handelbar.
Blamabel und peinlich
Es ist kein Wunder, dass die Führung der EU die lukrativen Geschäfte der Zwischenhändler so wenig hinterfragt wie es die alte und die neue Bundesregierung tun. Zu traurig wären die Antworten, zu peinlich die Blamage, wenn öffentlich darüber diskutiert würde, dass Europa nach wie vor von russischen Fossilen abhängt. Sie aber heute nicht mehr billig direkt beim Hersteller einkauft, sondern über Zwischenhändler, deren Marge dafür sorgt, dass die Klage über hohe Energiepreise, die die Wirtschaft ersticken, mittlerweile in jeder Bundestagsrede der früheren Volksparteien einen festen Platz hat.
Lieber sprechen die Sanktionsverfechter über die Randstaaten Europas, die noch immer behaupten, sie kämen nicht einmal ohne direkte russische Lieferungen aus. Ungarn und die Slowakei werden nach wie vor über Pipelines mit Russengas und Russenöl versorgt. Der letzte Versuch, ihnen das umgehend zu verbieten, endete mit einer Vertagung, weil niemand in der EU Orban und Fico sagen konnte, woher sie den Treibstoff sonst nehmen sollen.
Bis 2027 dürfen Ungarn, das 84 Prozent seines Ölbedarfs aus Russland bezieht, und die Slowakei, die auf 82 Prozent kommt, weitermachen. Richtig verboten wird das alles Stand heute erst 2028 - dahinter steht kein Plan, sondern die Hoffnung, es werde bis dahin irgendeine Lösung vom Himmel fallen. Ergibt sich Putin? Kommt der Atomkrieg? Schwächelt die Wirtschaft genug und ausreichend lange, dass Balkonkraftwerke die Gesamtversorgung übernehmen können? Koppelt sich Deutschland wirklich wirksam von neuen Technologien ab?
Sinkender Bedarf
Gerade hat Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche bekanntgegeben, dass der Stromverbrauch in Deutschland künftig weniger stark steigen wird noch als in der letzten Prognoserechnung angenommen. Die war 2023 entstanden, wenige Monate nach Veröffentlichung der KI ChatGPT. Der Strombedarf im Jahr war seinerzeit auf 750 Terawattstunden geschätzt worden. Jetzt, wo Deutschland massenhaft energiehungrige KI-Gigafabriken bauen will, um der EU beim "Aufholen des Innovationsrückstands gegenüber den USA und China" (von der Leyen) zu helfen, liegt er neueren Berechnungen zufolge bei nur noch 600 Terawattstunden.
Es werden kleine KI-Fabriken, Lastenräder des neuen Technologiesprungs, der den "globalen Wettbewerb neu formt". Die Wünsche der Kommission wirken ähnlich machtvoll wie die Sanktionen und wäre da nicht Donald Trump, würde auch diese Legislaturperiode durchaus zu überstehen, ohne dass irgendetwas geändert werden muss. Der US-Präsident aber gibt einmal mehr den Spielverderber. Er sähe es am liebsten, wenn Europa sofort und komplett aus Russenzeugs aus-, und auf US-Freiheitsenergie aus Gottes eigenem Land umstiege, hat er auf Truth Social geschrieben. Geschehe das, er sei auch bereit, Russland zu sanktionieren.
Druck aus Washington
Einzige Bedingung: Alle Nato-Staaten müssen den Kauf von russischem Öl vollständig einstellen - auch den von russischem Öl, das als indisches oder türkisches Benzin angeliefert wird. Trump reagiert damit auch auf den verlorenen Zollstreit mit der größten Demokratie der Welt: Sein Versuch, Indien zum Verzicht auf Russenöl zu zwingen, um die Quelle zu verstopfen, aus der alle Verbündeten, trinken, endete mit einer Niederlage. Neu-Delhi weigerte sich. Trump verhängte Strafzölle in Höhe von 50 Prozent. Neu-Delhi weigert sich aber immer noch.
Eine Demonstrativhandlung
Die EU zeigt sich williger, auch aus Angst vor neuen Strafankündigungen aus Washington. Schon im 18. EU-Sanktionspaket hatte sie die Einfuhr von Erzeugnissen aus russischem Rohöl, die in Drittstaaten raffiniert wurden, demonstrativ verboten. Allerdings nicht gleich, sondern erst ab Januar 2026. Unbehelligt bleiben dann immer die Flüssiggas- und Uranimporte aus Russland und die Lieferungen, die Ungarn und die Slowakei mangels Alternative erhalten werden - jedermann in Brüssel weiß, dass Sanktionen noch nie in der Weltgeschichte etwas bewirkt haben, schon gar nicht, wenn sie nur die Seite treffen, die sie verhängt hat.
Aus Sicht der Kommission erfüllen die Sanktionspakete eine andere Funktion. Sie waren nie dazu gedacht, etwas zu erreichen, denn das ist weder mit den Sanktionen gegen Kuba noch mit denen gegen den Irak oder gegen den Iran und Nordkorea geglückt. Sanktionen sind einfach die einzige Möglichkeit die EU hat, so zu tun, als könne sie etwas tun, als habe sie etwas zu sagen und als hänge irgendetwas von ihr ab. Weil ihr kein Machtmittel zur Verfügung steht, sind Sanktionen immer das Mittel der Wahl, die Demonstrativhandlung, die sich sehr viel mehr nach innen richtet als an den vermeintlich adressierten Feind, von dem man weiß, dass er deswegen ohnehin nicht die Waffen strecken wird.
Zu e t w a s waren die Sanktionen gegen Kuba jedenfalls gut: Nämlich als faule Ausrede für die gruselige Wirtschaft allda ...
AntwortenLöschen"Sanktionen sind einfach die einzige Möglichkeit die EU hat, so zu tun, als könne sie etwas tun, als habe sie etwas zu sagen und als hänge irgendetwas von ihr ab." - Das greift sicher zu kurz. Ein Unglück, bei dem sich jemand ins eigene Knie schießt, kann passieren, aber niemad würde jemandem für halbwegs vernünftig halten, der das 16 Mal macht. Wer sich so zum Affen macht, der hat seine Gründe - und die stehen nicht zur Wahl.
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