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Deutschland ist gespalten, die beiden Landesteile verstehen einander weniger als vor 35 Jahren. Ist eine Zweistaatenlösung der einzige Weg? |
Es wird diesmal nichts geben am Brandenburger Tor, keine wilde Party mit Eintrittsbändchen, Sekt und bollernder Diskomusik. Als 2020 die Pandemie kam, nutzten die Bundesorgane die Gelegenheit, die große Sause in Berlin nicht nur ausfallen zu lassen, sondern gleich ganz abzuschaffen. "Der 3. Oktober ist Nationalfeiertag", informiert das Berliner Landesportal: "Das beliebte Fest zum Tag der Deutschen Einheit findet seit 2020 nicht mehr statt". Und zwar nicht irgendwo, sondern an der "Location Platz der Republik, Brandenburger Tor und Straße des 17. Juni".
Keine Feier ohne Steinmeier
Der "Tag der Deutschen Einheit" hat sich im 35. Jahr nach der Wiedervereinigung nach Saarbrücken zurückgezogen, 650 Kilometer entfernt von Mauerfall und Sturz der SED, die zuletzt immerhin von einem Saarländer geführt worden war. Dort unten in Fastfrankreich liegt ein Landstrich mit deutlich mehr Wiedervereinigungserfahrungen als der Rest der Republik. 1935 und 1957 ist das Saarland schon einmal zurückgekehrt in den Schoß der nationalen Familie. 2025 nun wird Bundespräsident Walter Steinmeier nach einem "Gruppenfoto mit den Repräsentantinnen und Repräsentanten der Verfassungsorgane des Bundes vor der Ludwigskirche" starke Worte zu finden, Mut zu machen, aufzurütteln, zu erinnern und zu warnen.
Das Motto der Feier am Rande der Republik lautet "Zukunft durch Wandel" und es passt ausnehmend gut in eine Zeit, in der Politiker, Parteien, Regierungen und multinationale Behörden sich im Glauben eingerichtet haben, sie säßen am Steuer von irgendetwas und könnten die Welt nach Gutdünken lenken. "Zukunft durch Wandel", das ist die Behauptung, Zukunft komme nicht sowieso, sondern eben erst durch "Wandel". Darin steckt die Vorstellung, dieser Wandel - häufig als "Transformation" verwichtiggetan - sei ein Planvorgang, der sich gestalten lasse, indem Ziele gesetzt und über Fortschritte Rechenschaft abgelegt werde.
Alles spricht dagegen
Alles in der Geschichte spricht dagegen. Und doch ist alles darauf ausgerichtet, immer wieder so zu tun, als funktioniere das Konzept. Dabei ist die deutsche Einheit, in der Hochsprache der Amts- und Würdenträger als "Deutsche Einheit" bezeichnet, selbst der beste Gegenbeweis. Alles, was die Alten glaubten, ist nicht so geworden. Alles das, was Menschen vor 35 Jahren noch unvorstellbar schien, ist eingetreten.
Glaubten die Leute, die damals auf der Mauer tanzten, dass mit dem Abzug der Sowjettruppen der Weltfriede ausgebrochen war, belehrte sie eine unerbittliche Wirklichkeit eines Besseren. Auch die Vorstellung, der Osten müsse sich in einem schon ein wenig anstrengenden Kraftakt nur mal eben schnell dem Westen anpassen und dann werde er zu blühenden Landschaften geworden sein, hat sich als falsch herausgestellt.
Anpassung hilft auch nicht
Angepasst wurde der Osten, doch je größer die Fortschritte dabei wurden, desto kratzbürstiger reagierten die Ureinwohner. Anfangs bekundeten sie ihren Unwillen gern durch die Wahl der zur PDS umgeflaggten SED. Später, die nunmehrige Linkspartei war in aller Stille in die mehrheitssichernde Gruppe der Parteien der demokratischen Mitte aufgenommen worden, entdeckten sie die schmuddelige, rechtsextreme und der Sehnsucht nach einer Rückkehr ins Nazireich verdächtige AfD als Hebel, die "versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zu bringen", wie es der kommunistische Säulenheilige Karl Marx seinen Anhängern geraten hatte.
Anpassung hat ja auch nicht geholfen, das ist die Erfahrung vieler Ostdeutscher aus 25 Jahren Mühe, nicht aufzufallen, mitzumachen und sich als gute Demokraten zu bewähren. Dass es angesichts der vielen Blütenträume, die die friedliche Revolution genährt hatte, auch im neuen Deutschland ein wenig an Freiheit und Mitwirkungsmöglichkeiten mangelte, ging lange als Petitesse durch. So wie die meisten der verspotteten Ossis in der DDR ein Leben unterhalb des offiziellen Staatsbetriebes geführt hatten, so scherten sie sich auch jetzt wenig um das Palaver in Berlin, die Ruckreden und Ermahnungen, Klima, Demokratie und Vielfalt ernst zu nehmen.
Der Osten wurde nie gefragt
Der Osten ließ den Westen machen, er wurde ja auch nicht gefragt. Der Westen sah sich in Verantwortung, in einer Erziehungs- und Betreuungsrolle, die gelegentlich etwas peinlich wurde. Umso besser, dass sich mit der in Hamburg geborenen Angela Merkel bei Nachfragen auf eine ostdeutsche Kanzlerin verweisen ließ. Was wollten die Leute denn noch mehr? Mutti Merkel sorgte doch gut für alle und sie war sogar eine von den Nochnichtsolangehierlebenden, die es besonders nötig hatten.
Es muss um 2015 gewesen sein, als der Osten begann, langsam vom Westen abzurücken, kopfschüttelnd. Während sie im Westen, von der eigenen Güte berauscht, an den Bahnhöfen standen und Neuankömmlinge aus aller Herren Ländern mit Plüschtieren versorgten, wiegten sie in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt die Köpfe. Ist es möglich, dass ein Land mit begrenzten Ressourcen und unübersehbaren Problemen jedermann aufnimmt und jeden versorgt, der vor seiner Tür steht und Einlass begehrt? Das sei doch schon mathematisch so unmöglich wie das Auffangen des Wassers aller Ozeane in einem Eimer.
Alles Nazis, auch Mutti
Weil die Frage im früheren Bundesgebiet kaum anders beantwortet hätte werden können, wurde sie dort lieber nicht gestellt. Ost und West wandten sich voneinander ab. Geteilte Freude. Doppeltes Leid. Die großen Medien begannen einmal mehr mit dem Reden über die Problemfälle, die sich die Demokratie da aufgeladen habe. Ungebildet. Ungewaschen. Schlecht gekleidet. Alles Nazis und Stasis, selbst Mutti. Arm, aber nicht mal sexy.
Der Linkspolitiker Dietmar Bartsch, selbst ein Herkunftsbetroffener, forderte nach Benzin-, Bau und Migrations- auch einen eigenen Ostler-Gipfel. Die SPD schrieb Zwölf-Punkte-Pläne zur endgültigen Integration der Ossis. Es sei "an der Zeit mit Missverständnissen zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen aufzuräumen, und wir brauchen Gespräche über die vielen Brüche, die Familien in den 90er Jahren erlebt haben: Ehrlich und einander zugewand", hieß es im Masterplan für den Aufbruch in Ostdeutschland in Originalschreibweise.
Die ungeheuren Pläne
"Jetzt ist unsere Zeit" war 2019. Sie ist lange vorbei. Auch der Plan der deutschen Sozialdemokratie, mit einem "neuen Pakt für strukturschwache Regionen in Ost und West", der "die Wirtschaftskraft weiter stärken und gute Arbeit sichern" sollte, "nun endlich gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West zu erreichen", teilte das Schicksal all dieser Absichtserklärungen. Aus den Schlagzeilen, aus dem Sinn wie die CDU-Initiative "Gemeinsam anpacken Für einen neuen Aufbruch Ost", die im Endspurt des Bundestagswahlkampfes versucht hatte, mit elf Seiten voller Worthülsen noch ein paar Stimmen für Friedrich Merz zu mobilisieren.
Spätere Historikergenerationen werden sich fasziniert über all diese bizarren Papiere beugen, in denen die Klagen über "zu wenig Respekt" und "fehlende Anerkennung" für Ostdeutsche dazu dienen, Verständnis, Einsicht und die feste Entschlossenheit zu Besserung zu simulieren. Plakative Bücklinge, die kaum mehr Wirkung erzielen. Am 35. Tag der Deutschen Einheit blickt nach einer Insa-Umfrage nur noch eine knappe Mehrheit der Ostdeutschen positiv auf die Wiedervereinigung. 52 Prozent der befragten Einwohnerinnen und Einwohner aus dem früheren DDR-Gebiet sagen demnach, dass sie die Einheit als Gewinn für sich empfinden. Vor 15 Jahren sagten das noch 60 Prozent, vor 30 Jahren sogar 77 Prozent.
Je länger, desto
Liegt es am ungleich verteilten Reichtum, wie die Linke, die SPD und neuerdings auch die CDU argwöhnen? Liegt an der Lohnlücke, an den trotz Behördenansiedlungsinitiative immer noch fehlenden prächtigen Bundesinstitutionen in der ausgekohlten ostdeutschen Fläche? Oder an der in den Polytechnischen Oberschulen zwangseingeimpfen Russlandhörigkeit? Was, zum Teufel, so lautet die Übersetzung zahlloser Würdenträgerreden aus dem Politischen ins Deutsche, wollen diese Leute denn nur? Vielleicht, der Gedanke schwing unausgesprochen immer mit, wäre eine Zweistaatenlösung doch das Beste für alle.
Es gibt Studien wie die in Leipzig verfasste "Autoritarismus-Studie", die den bockigen Brüdern und Schwestern im Osten seit 19 Jahren unermüdlich "Vorurteile und Ressentiments" nachweist. So schlimmt ist das alles, dass die Erforschernden der "autoritäten und rechtsextremen Einstellungen" ihre anfangs noch harmlos "Mitte-Studie" gennate Jahresarbeit schon 2018 in "Autoritarismus-Studie" umbenennen mussten. Finanziert wird die bienenfleißige Autopsie "autoritären Dynamiken in unsicheren Zeiten" inziwschen nicht mehr von der Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD, sondern von der Böll-Stiftung der Grünen. Allerdings erreichte das erzeugte Entsetzen bereits 2016 seinen Peak, als "Vom KZ zum Eigenheim" erschien und klar wurde: Nichts passiert zufällig. Es steckt den Leuten da drüben in den Genen.
Unerforschte Weiten
Wirklich gut erforscht ist der Ostdeutsche bis heute nicht. Viele wollen nicht herausrücken mit der Sprache. Sie halten ARD-Reporter für Nachfolger der Kamerateams des DDR-Fernsehens, ausgestattet mit dem gleichen besonderen Talent, jeden Satz so falschverstehen zu können, dass er von Anfang an falsch gewesen sein muss.
Wenigstens aber gibt es Beobachtungen verlässlicher Gewährleute wie Bodo Ramelow, einem Mann der Generation Buschzulage, der vermutet, dass es bei Ostdeutschen eine ungestillte "Sehnsucht nach Anerkennung und Gleichberechtigung" durch die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft ein "Gefühl des Zurückgelassenseins" produziert habe. Und es gibt Anzeichen dafür, dass es genau dieses Vonobenherab ist, das den Älteren aus der DDR noch gut bekannte Anweisen aus Berlin, das unten Abwehrreflexe produziert. 75 Prozent der Befragten behaupten dann dreist, sie wohnten gern im Osten. Nur die Regierung müsse langsam mal was tun, damit das mit den "blühenden Landschaften" (Helmut Kohl) doch noch was wird.
Rechtsdrall, Hass und Hetze
Ist die zentrale Feier in Berlin auch weggefallen, bei den Besuchen bekannter Ansager auf den Baustellen der Einheit bleibt es. Die wagemutigen Expeditionen in die Ostmenschenzonen fördern zutage, wie großer Unmut im Westen herrscht, weil die Dankbarkleit so klein ist. Haben die Betreuungsbedüftigen nicht sogar einen eigenen "Ostbeauftragter" bekommen? Haben nicht selbst die Reporternden des SPD-Medienhauses RND immer wieder "ostdeutsche Verhältnissen" und allerlei Verführer und nicht die einfachen Menschen für "Rechtsdrall, Hass und Hetze" verantwortlich gemacht? Und war das nicht sher großzügig?
Demokraten im Gespräch mit Ureinwohnern, die sich dem Weltgericht des westdeutschen Selbstgesprächs stellen müssen. Ward ihr denn alle fein artig? Habt ihr die Hände gewaschen? Seid ihr denn auch schön dankbar, dass die niedrigen Löhne jetzt höher sind? Nein, bitte, fangen Sie jetzt nicht mit den Preisen an.
Ich würde ganz gerne nicht in einem Land leben, in dem der Außenminister aussieht wie Ralf Stegner.
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