Mittwoch, 19. November 2008

Albert Speer analysiert die Krise

Mitten in der größten Krise seit dem Sommer, als es in der DDR mal überhaupt keine Zigaretten zu kaufen gab, weil die Devisen für den Tabakimport nach Bayern transferiert werden mussten, sind die alten, lange nicht mehr aufgelegten Bücher die, in denen die erhellendsten Dinge über das steht, was vorgeht.

Albert Speer etwa, als Hitlers Architekt und Rüstungsminister in Nürnberg verurteilt und anschließend in Spandau inhaftiert, blickte nach 13 Jahren Haft auf ein paar Briefe von daheim und staunt. "Die Briefe von zu Haus zeigen , dass die Festtage abliefen wie zu meiner Kinderzeit auch", schreibt er in sein Tagebuch, "einige der Kinder sind zum Skifahren, Margareth wird die Silvesternacht mit Freunden verbringen." Daraus steige die "vertraute Atmosphäre von gestern hervor".

Wie könne das sein? Speer ist ratlos. "Als sich gegen Ende des Krieges, weit über die Niederlage hinaus, der Zusammenbruch abzeichnete, hatte ich immer das Gefühl, dass hier nicht nur dieses Regime und dieses Reich, sondern eine ganze Welt zusammenbräche." Alles schien zu Ende, schriebt er: "Wir waren völlig sicher, dass nicht nur die Funktionäre des Regimes abtreten würden, sondern auch die alten tragenden Schichten. Eine ganze Welt mit ihrer Bildung, ihrem Besitzanspruch, ihrer Moral würde einfach zu bestehen aufhören. "Wir gegenwärtigten eine Zeit unterschiedsloser Armut und innerer Bescheidenheit. Autos, Flugzeuge, technischer Komfort würde es nach dem Untergang nicht mehr geben."

Doch alles kommt anders. "Die Revolution, die wir erwarteten und die damals so sicher schien, hat offensichtlich nicht stattgefunden, das sagt mir jeder Brief von zu Haus, ob er von Studentenbällen oder dem Leben im Heidelberger Ruderclub berichtet. Am überraschendsten ist für mich, welchen Wohlstand es schon wieder gibt, die Kritik daran scheint das Hauptthema der Literatur der Gegenwart zu sein. Auch die Technik ist wiedergekehrt, triumphaler denn je, alle Warnungen vor ihren Gefahren sind verhallt. Manchmal machen die Zeitungen geradezu den Eindruck als sei die ganze Bundesrepublik ein einziges Industrierevier, unablässig Requisiten des Wohlstands produzierend. Wie zählebig sind doch die Verhältnisse."

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