Dienstag, 24. November 2009

Heuschrecken im Harz

Als er noch Arbeiterführer war, hätte Franz Müntefering seine Partei damals wirklich beinahe gerettet. Eine Moment lang sah es so aus, als könnte der greise Knappe des gescheiterten Bundeskanzlers Gerhard Schröder das Ruder herumreißen: "Heuschrecken" hatte "Münte" die Finanzinvestoren genannt, die deutsche Unternehmen aufkaufen, sie restrukturieren und dann versuchen, sie teurer wieder loszuwerden.

Nein, nein, von der Hypo Real Estate war damals noch nicht die Rede, die wurde erst später vom Bund übernommen. Auch die Commerzbank war nicht gemeint. Franz Müntefering sprach von Firmen wie den im sachsen-anhaltinischen Harzflecken Rübeland inmitten einer Märchenlandschaft aus Tropfsteinhöhlen und dunklen Wäldern Kalk aus den Bergen brechenden Harz-Kalk-Werken. Die gehörten ganz früher zum Buna-Werk, das mit Karbidchemie Muffengummi für des Führers Wehrmacht herstellte, später war das Unternehmen Teil des Kombinats Chemische Werke Buna, dem es gelang, Mitteldeutschland über 40 Jahre mit einer blickdichten Decke aus Kalkstaub und Braunkuhleruß zu überziehen. Ehe die Fels-Werke aus Salzgitter, damals noch eine Preussag-Tochter, nach dem Mauerfall zugriffen.

Der Tiefpunkt der langen und bewegten Geschichte der Firma, die in Rübeland und Umgebung zu DDR-Zeiten gehasst wurde, weil ihre Riesenlaster die Straßen zerfuhren und der Kalkstaub den Touristen abschreckte, ist nach Müntefering allerdings jetzt erst erreicht. Die Fels-Tochter Harz Kalk gehört inzwischen wie ihre Mutterfirma zur Duisburger Xella-Gruppe, deren Eigentümer wiederum sind seit einem Jahr die Private-Equity-Gesellschaften PAI Partners und - der Teufel selbst - Goldman Sachs Capital Partners.

Heuschrecken im Harz! Erst 2002 hatte die Franz Haniel GmbH Fels übernommen und bewiesen, dass noch immer zuammenwächst, was zusammengehört. Wie die Harz-Kalk-Werke im zweiten Weltkrieg dafür sorgten, dass die Karbidöfen in Buna für Führer, Volk und Vaterland rauchten, baute Haniel im Ruhrgebiet Dehydrieranlagen, mit denen aus Steinkohle im Fischer-Tropsch-Verfahren Benzin für das ölarme Reich hergestellt werden konnte. Die Haniel-Tankstellen warben seinerzeit mit einem Slogan, der Franz Müntefering gefallen würde: „Säulen deutscher Unabhängigkeit“.

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