Dienstag, 6. Juli 2010

Times is Cash

"Times is cash, times is money" war sich der kölsche Rock-Handarbeiter Wolfgang Niedecken schon recht früh sicher. Ein Vierteljahrhundert später zieht Rupert Murdoch nach. Seine Zeitung "The Times" gibt ihre Premiumartikel im Internet nur noch gegen Gebühr zum Lesen frei. Billig, aber nicht kostenlos: Für nur ein einziges englisches Pfund gibt es zum Start gleich jede Menge superwichtige Geschichten zulesen: Thierry Henry, an den sich die Älteren noch als früheren Fußballer erinnern, gibt exklusiv Auskunft über seine Gefühle, nachdem Frankreich Südafrika vor der Zeit verlassen musste. Exklusiv auch die Analyse: "Can anyone stop Germany from winning the World Cup?" und der gesellschaftspolitisch brisante Beitrag "Botox: the feminist facelift?"

Die Verschlüsselung des bis dahin häufig von Bloggern gestohlenen hochklassigen Times-Contents ("Gay Sex in the 1970s") hatte Murdoch im März angekündigt. "Um den Leserinnen und Lesern den Besuch der Website schmackhaft zu machen, wurde die Journalistenelite des Blattes aufgeboten", beschreibt die im Augenblick noch nicht kostenpflichtige NZZ, deren fabelhaft formulierter Satz deshalb hier zitiert wird, so lange es noch geht. Die bewährten Kräfte bei der "Times", analysiert das Zürcher Edelblatt, "müssen nun die Nachrichten mit Blogs oder Kolumnen, mit Hintergrundberichten und Kommentaren anreichern". Ferner würden "Multimedia-Galerien, Diskussionsforen und Debatten mit den Journalisten angeboten".

Quasi durchweg Dinge, die es sonst nirgendwo gäbe, würden sie nicht von rumpelreimenden Bloggern beständig aus den Qualitätsmagazinen gestohlen, die sie zuvor teuer und absolut gleichlautend von Agenturen wie der einzigen wirklich amtlichen deutschen dpa gekauft haben, die sie zuvor von Praktikanten und Volontären aus zum Teil mehreren Pressemitteilungen von Partein, Verbänden und Vereinen hat zusammenschreiben lassen.

Das Ende von Googles räuberischem Newsdienst dämmert herauf, der Beginn eines neuen Zeitalters schimmert am Horizont, in dem der Medienkonsument durch sein iPad auf die Welt schaut wie ein Schlüssellochgucker in eine finnische Sauna voller nackter Schönheiten, die vor lauter Dampf nicht zu erkennen sind. Die Realität zerfällt in Wahrnehmungssphären verschiedener Preisklassen: Nach dem Unterschichtenfernsehen kommen die Unterschichtennews. Ganz unten bedienen kostenlose Anzeigenportale und Kochrezepte-Blogger Hartz-4-Familien und Migrantengruppen mit kurzen, knappen Mitteilungen zu fettarmer Ernährung und Aldi-Aktionen, darüber sichern Radiowebseiten mit kostenlosen Handy-Mitmachspielen (aus dem Ausland teurer!) die Informationsvielfalt mit dem Vorlesen der bunten Boulevard-Erfindungen von gestern. Ganz oben dann gibt es die Metaüberlegungen von Edelfedern wie Prantl und Leyendecker, was das denn am Ende alles für den kleinen Mann bedeutet, für einen Bruchteil der allmonatlichen GEZ-Gebühr umsonst.

5 Kommentare:

  1. Oh nein, jetzt ist man ja völlig von Informationen aus Großbritannien abgeschnitten!

    http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Zeitungen_in_Großbritannien

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  2. werden harte zeiten, die da kommen

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  3. Stimme aus dem KissenJuli 06, 2010

    Im wackeren Kampf um den Qualitätsjournalismus hat der Kölner NevenDuMont, immerhin stolzer Besitzer von diversen Zeitungen und Verlagen, einen für den Qualitätsjournalismus bahnbrechenden Vorschlag gemacht: Abschaffung der Mehrwertsteuer für seine Produkte und staatliche Finanzierung von Abos für Jungleser im Wert von m. W. 100 Millionen Euro.

    Honni wäre vor Neid erblasst bei soviel sozialistischer Cleverness: wenn ein Produkt partout nicht mehr gekauft werden will, geht es dennoch bergauf, indem man die Nachfrage mit Steuergeldern künstlich aufrecht erhält. Cool.

    Etwas irritierend finde ich aber, dass Zeitungen zunehmend GEWINNE machen wollen - lesen wir doch Tag für Tag in SPON und Co., dass nur nichtkommerzielle Unternehmen gute Unternehmen sind und jeder, der sich mal einen Gewerbeschein abgeholt hat, "die" Wirtschaft ist, die es nur darauf anlegt, Arbeitnehmer abzuzocken, Lobbypolitik zu betreiben, Finanzkrisen zu produzieren und die Zeitungen mit lästigen Anzeigenschaltungen zu behelligen.

    Dass Zeitungen nun mit der neuen kommerziellen Ausrichtung eklatante marktradikale Anwandlungen an den Tag legen, sollte uns zu denken geben. ;-)

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  4. hier geht auch shcon die angst um, bald nichts mehr von den jungen prinzen zu hören, und von wayne rooney und der geburtstagsparade der queen

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  5. Nehm wir mal Herrn Patalong.

    Wie groß der Schmerz am Ende ausfällt, ist genau die Frage, auf deren Antwort die Medienbranche weltweit wartet. An Rupert Murdochs Experiment am lebenden Zeitungsobjekt mag sich entscheiden, ob es international wirklich zu einem Trend zum Bezahlzugang im Web kommt. Wenn nicht, müssten andere Lösungen her: Werbung allein, das hat sich in den letzten zwei Jahren erwiesen, reicht nicht mehr aus, die aufwendigen Angebote zu refinanzieren, die Leser im Web erwarten.

    Ist mir herzlich egal, daß die wie die Schlange auf das Kaninchen starren. Der Denk- und Machfehler liegt woanders. Es geht eben nicht um aufwendige Angebote und ich erwarte auch nichts im Web, sondern schaue nach, was heute in den reichlich gefüllten Regalen liegt.

    Reichlich gefüllte Regale gibt es auch in zwei Jahren. Und wenn Times, SPON, BILD nicht mehr mit drin liegen, ist mir das vollkommen schnuppe.

    Aber so ist das, wenn man selbst im Suppenteller sitzt. Man wartet auf den Tag, an dem man gefressen wird und traut sich nicht, über den Tellerrand zu schauen.

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