Montag, 18. Juni 2012

Als Russe noch verboten war

In dem Land früher, das damals war, saßen niemals irgendwo Russen und Ukrainer zusammen, weil sie alle Sowjetmenschen waren. Wer Russe sagte, war ein Feind des Fortschritts. Richtig hieß es "Sowjetmensch", nur westdeutsche Journalisten machten daraus "Sowjets". Ein Wort, das in zwei Silben mehr Verachtung ausdrückte als eine offene Beschimpfung.

Die DDR schaffte es, das Wort "Russe", das zuvor nichts weiter war als die korrekte Zuschreibung einer Landsmannschaft, völlig aus dem öffentlichen und aus dem veröffentlichten Leben zu verdrängen. Hilfslose Synonyme wie "Sowjetbürger" oder die "Freunde" mussten die Lücken füllen, die das Auslöschen der traditionellen Bezeichnung für die Angehörigen der größten ostslawischen Ethnie hinterlassen hatte.

Geschichtlich kein Einzelfall. Dem 200 Jahre lang beschreibend gebrauchten Begriff "Neger" geschah in der Neuzeit Vergleichbares. Als sei er selbst böse, landete der das lateinische "Schwarz" eindeutschende Begriff auf dem Index für unbedingt zu vermeidende Vokabeln. Um durch hilflose Synonyme wie "Afrikaner", "Afroamerikaner", "Schwarzer" und "Farbiger" ersetzt zu werden. Wer "Neger" sagt, ist Rassist. So wie der, der "Russe" sagte, seinerzeit ein Faschist war.

Die Welt, gestaltet von der Sprachpolizei. Konnte Lovis Corinth 1884 noch ein Bild malen und es "Neger Othello" nennen, müsste er heute zur korrekten Begrifflichkeit greifen: "Schwarzer Mensch Othello". Denn "die Verwendung und Wirkung eines rassistischen Begriffs im öffentlichen Raum" kann "nicht durch die Intention der Macher_innen aufgehoben werden" (Blackfacepalm).

Der Sowjetmensch weiß, worauf das langfristig hinausläuft. Denn im Untergrund der Alltagssprache blieb der Sowjetmensch dennoch immer Russe. Anders gesagt, die Russen kamen nicht, sie waren nie weg. "Voll wie tausend Russen" war, wer voll war. Im so genannten Russenwitz trafen sich nie ein DDR-Bürger, ein Amerikaner und ein Sowjetmensch, sondern stets die ersten beiden - und ein Russe. Der Russenfilm schließlich etablierte eine neue Kunstform: Das Fantasiedrama, das behauptete, dokumentarisch zu sein.

Der Russe war nie fort, um nun allerdings mit Macht zurückzukehren. Was früher nicht sein durfte, ist nun Pflicht, der "Russe" darf wieder Russe sein.

Selbst wenn er Ukrainer ist. Als der ukrainische Torwart beim EM-Spiel gegen Schweden einen Ball mit gerade vor dem Körper ausgestreckten Unterarmen pariert, schlägt ihm der Kommentator des ZDF spontan vor, er könne sich bei der Volley-Nationalballmannschaft melden, die sei ja bei Olympia ja nicht chancenlos. Nach einer kurzen Pause schiebt er hinterher: Nein, er meine nicht die ukrainische, sondern die russische. Ist ja irgendwie alles immer noch Sowjetunion, da hinten.

5 Kommentare:

  1. Bei uns hießen sie immer Brüder statt Freunden. Denn Freunde kann man sich selbst aussuchen. ;-)

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  2. Da sieht man mal, wie die politisch Korrekten wirklich *Respekt* erweisen, den anderen Völkern und Kulturen. Ich weiss noch wie meine Geigenlehrerin aus der Ukraine allergisch reagierte, wenn man sie wie auch immer mit dem Russischen in Verbindung brachte.

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  3. Naja, der Kommentator hat doch aber den Bedürfnissen der Politkorrektheit gegenüber diesem jungen "Dritte-Welt-Volk", das gerade erst seine koloniale Beherrrschung durch Russland abgelegt hat, genüge getan. Er nennt Lwow Lviv und Kiew Kiiv. Das ist es schließlich, was kontrolliert wird.
    Und daß er ein bisschen mit seiner sportlichen bildung protzen wollte, kann ich ihm nachsehen. Die Niveau von Heinz-Florian muß erstmal erreicht werden.

    http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=20120614

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  4. "Das ist es schließlich, was kontrolliert wird."

    Das ist wohl der Punkt. Nur was dem Konsens entspricht, worauf sich im Moment alle einigen, zählt. Deswegen finde ich auch diese ganzen Antirassismus und ProFreundschaft etc.-Phrasen vor den Spielen widerlich. Denn was die Betroffenen wirklich wollen, die da irgendwie gemeint sind, wollen, interessiert nicht.

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  5. "Schwarzer" ist bei den BRD-Negern auch nicht mehr ganz so beliebt, seit "Schwarzer" in den Polizeimeldungen verwendet wird, um "Neger" zu umschreiben.

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