Samstag, 25. Januar 2020

Schicksale früherer Sozialdemokraten: Die Story von Sigmar und Thilo

Parteiausschluss Spiegel Schlagzeile
Immer mit eigenem Kopf, immer schräg zur Parteiführung. Als Hetzer überführt, muss Thilo Sarrazin die SPD jetzt verlassen, er geht aber nicht zur Deutschen Bank.
Es sind zwei Schicksale, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Zwei ehemalige Sozialdemokraten, der eine Jungsozialist und Vorstand des Falken-Bezirks Braunschweig, der in den 70er Jahren zum marxistischen Flügel der deutschen Sozialdemokratie gerechnet. Der andere schon früh auf der Minderheitenseite seiner Partei, als er um 1990 herum gegen den erklärten Willen der Parteiführung für die deutsche Einheit und gegen die von Oskar Lafontaine und anderen gepredigte Verschiebung der deutschen Einheit auf einen Tag weit in der Zukunft plädierte.

Thilo Sarrazin, seinerzeit Mitte 40, war damals einer der Vordenker der Organisation der Währungsunion. Sigmar Gabriel, gerade 31, immerhin schon Abgeordneter im Kreistag von Goslar und kurze Zeit später als niedersächsischer Landtagsabgeordcneter aufgerückt in den Kreis der Nomenklarura der ehemaligen "Arbeiterpartei" (Willy Brandt). Zwei Karrieren folgten, die kein Romanautor sich schräger ausdenken könnte. Sarrazin wurde unter Klaus Wowereit Berliner Finanzsenator und später Bundesbank-Vorstand. Sigmar Gabriel diente sich unter Gerhard Schröder in die zweite Reihe hoch, wurde nach einer verlorenen Landtagswahl als Pop-Beauftragter bis in bessere Zeiten geparkt und übernahm, als die nicht kamen, schließlich die Führung der SPD.

Als Chef der schrumpfenden Partei war es Gabriel, der nach dem Fall ins erste Umfrageloch auf die Idee kam, das sogenannte "Profil" der SPD durch ein marktplatzreifes Parteiausschlussverfahren gegen den sozialdarwinistischen Fast-Faschisten Thilo Sarrazin zu schärfen. Gefangen von der Vorstellung, eine besinnungslos durch den deutschen Medienglobus jagende Aufregungsorgie können irgendetwas mit dem realen Leben zu haben, orientierte sich der "Hoffnungsträger" (SZ) beim Vorgehen gegen Sarrazin an dem der DDR-Führung gegen den Liedermacher Wolf Biermann. Ebenso wie der hatte sich Sarrazin mit seinen "kruden Thesen" "außerhalb unserer Gesellschaft" gestellt, ebenso wie der könne er nun aber, so glaubte die damalige SEDSPD-Führung, wenigstens genutzt werden, Nachahmern zu zeigen, wo Meinungsfreiheit und sozialistischer Glaube an "unser Bild vom freien und zur Emanzipation fähigen Menschen" ende.

Acht Jahre mühte sich die SPD anschließend unter Gabriel und seinen Nachfolgern, den Mann loszuwerden, der für eine aussterbende Idee von der SPD steht. Sarrazin ist mehr kalter Vernunftmensch als glühender Revolutionär, ein Pragmatiker der Macht wie der in seiner Partei stets misstrauisch beäugte Helmut Schmidt, den die SPD erst zur bewunderten Ikone erhob, als er die aktive Politik verlassen hatte. Sarrazin ist auch mehr Bestsellerautor als Arbeiterführer, während Sigmar Gabriel keines von beiden war: Das letzte Buch des Niedersachsen, ein 2018 erschienener Klassiker namens "Zeitenwende in der Weltpolitik: Mehr Verantwortung in ungewissen Zeiten", rangiert derzeit auf Platz 278.000 der Verkaufslisten. Sarrazins "Deutschland schafft sich ab" belegt auch acht Jahre nach Erscheinen Platz 180.

Zwei Boxer unterschiedlicher Gewichtsklassen. So mobilisierte die deutsche Sozialdemokratie für dasgeplante Feme-Verfahrens, was immer den führenden Genossen hilfreich zu sein schien, den Abweichler loszuwerden. Jedes Mal aber war es Sarrazin, der am Ende sein Parteibuch hochhielt und trotzig verkünde, er freue sich, dass er weiter SPD-Mitglied bleiben könne. Gabriel dagegen, inzwischen von der Nahles-Fraktion aus Amt und Ministerwürden gejagt, rächte sich auf seine Weise subtil, aber wirkungsvoll an seinen Nachfolgern, indem er am Tag vor der Schicksalswahl im dunkeldeutschen Thüringen durchsickern ließ, dass ein Sozialdemokrat immer auch andere Machtoptionen hat.

Die beiden Lebenswege der beiden engagierten Sozialdemokraten trennten sich hier. Gabriel, enttäuscht vom mangelnden Vertrauen der Partei, wandte sich gegen den neuen neuen neuen Kurs seiner Partei, gegen das neue Personal, gegen alte Genossen auf neuen Posten und gegen neue Namen mit skurrilen Ideen. Von Thilo Sarrazin war hingegen wenig zu hören, der Rausch der Enthemmung, in dem der Mittsiebziger auf dem Höhepunkt seines Ruhms für alles Unheil der Welt verantwortlich gemacht worden war, verwehte. Donald Trump war auf der Bühne erschienen. Für eine "Debatte um Sarrazin" (dpa) war kein Platz mehr in der "Tagesschau", die jetzt Fake News jagen und Björn Höcke die Maske vom Gesicht reißen musste.

Es war dann das neue neue Spitzenteam Esken/Borjans, das endlich einParteigericht fand, das den früheren Berliner Finanzsenator aus der SPD ausschloss. Und es war Sigmar Gabriel selbst, der die Partei verließ, um sich der Deutschen Bank anzuschließen, eine der wenigen Institutionen weltweit, die im letzten Jahrzehnt noch mehr Federn hat lassen müssen als die älteste deutsche Partei. Im Jahr 2000 noch die zwölftgrößte Bank der Welt, ist das Geldhaus inzwischen um fünf Plätze auf Rang 17 abgerutscht. Die SPD sieht dagegen geradezu gesund aus: Von Platz 2 ging es runter auf Platz 4.

Klar, dass das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" nur einem der beiden ehemaligen Genossen einen einfühlsamen Nachruf widmet: "Abschied eines Rock'n'Rollers" heißt der. Und er handelt von.

1 Kommentar:

  1. Der Schweinekurier, der sich seit Jahrzehnten mit der Blahzeitung ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die größere Unflätigkeit liefert:
    "Die SPD schafft Sarrazin ab".

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