Sonntag, 25. Juli 2021

Schicksal Asexualität: Das allerletzte Tabu

Nora Schulze ist asexuell, wagt aber nicht, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Die dunklen Gedanken waren immer da, schon als Teenagerin plagte sich Nora Schulze damit. Freundinnen hatten Freunde, Freundinnen hatten Freundinnen, jeder um sie herum knutschte, er und sie waren schwul, bi oder trans, alle probten sich aus, suchten ihre Grenzen beim gleichen oder beim anderen Geschlecht. Nur sie, eine propere, hübsche Brünette fand sich nirgendwo wieder. Jungen waren ihr egal, Mädchen ebenso, Nora Schulze fühlte weder den Drang, Sex von vorn noch welchen von hinten oder oben auszuprobieren. "Ich fragte mit vielmehr, kann es normal sein, einfach kein Interesse an Sex zu haben?", erzählt sie zehn Jahre später, noch immer ungeküsst und das, was sie selbst scherzhaft "eine alte Jungfer" nennt.

Stolze alte Jungfer

Schulze brauchte Jahre, ehe sie erkannte, dass ihre Normalität die einer großen, aber absolut unsichtbaren Randgruppe der Gesellschaft ist: Diese asexuellen Menschen haben keine Lobby, sie tauchen nie in den Medien auf, es gibt keine berühmten Schauspieler oder Schauspielerinnen, die sich als asexuell outen, auch keine Musikerinnen oder Musiker, Literaten oder Politiker wie sie andere sexuelle Minderheiten zuletzt mit dem von Ulrike Folkerts, Karin Hanczewski und Maren Kroymann sowie Godehard Giese, Ulrich Matthes und Mark Waschke unterzeichneten Manifest im „SZ-Magazin“ gefunden haben, in dem sich 185 Schauspieler*innen als lesbisch, schwul, bi, queer, nicht-binär oder trans outeten. „Wir sind schon da“ riefen sie - konseuent aber schloss ihr Outing die aus, die eine andere Diversität leben: Asexualität, und das nicht nur für ein paar Tage oder Wochen, sondern ein Leben lang.

Asexuelle, denen man ihr Schicksal von außen nicht ansieht, gelten als die emotionalen Minderleister einer auf Sex konditionierten Gesellschaft. "Es ist wirklich wahr", erklärt Nora Schulze, "es gibt in meinem Leben keine Verlockung, also auch keine Notwendigkeit, einem Gefühl Widerstand zu leisten". Sie könne durchaus Liebe empfinden, erzählt die 26-Jährige, aber "ich habe eben keinerlei Bedürfnis nach sexueller Nähe., Penetration oder auch nur Berührungen". In einer Gesellschaftsordnung, die auf sexueller Anziehungskraft aufgebaut ist, gelten Schulze und ihre Leidensgenossen als Totalausfall. 

Asexuelle als Totalausfall

Einer Zivilisation, deren Mitglieder sich über das definieren, was sie haben, sei es eine besondere Hingezogenheit zu einem bestimmten Geschlecht oder die eigene Zugehörigkeit zu einer sexuelle definierter Gruppe, erscheint Asexualität den von ihr Betroffenen als schlimmster vorstellbarer Mangel. Etwas nicht zu haben  und etwas nicht zu sein, sorgt für eine Lehrstelle in der gesellschaftlichen Verabredung, nach der Sexualität eine unglaublich interessante Angelegenheit ist, so unglaublich, dass jedermann über die selbst bevorzugte Art und Weise der Durchführung des Aktes informiert werden muss.

Asexualität dagegen ist das Gegenteil. Sie ist nicht interessant, weil Menschen wie Nora Schulze etwas nicht tun. Nicht etwa, weil sie nicht könnten oder praktisch nicht in der Lage wären. Sondern weil es ihnen an sexuellem Interesse mangelt wie einem Ochsen, einem Kleiderschrank oder einem Gartenzaun. Ein  wachsendes Problem bei dem die Gesellschaft alle ihre Verdrängungsreflexe aufbieten muss, um es weiterhin zu verschweigen, zu verleugnen und zu verdrängen.

Widerwillen gegen Sex

Und das, obwohl mit dem dänischen Nationaldichter Hans Christian Andersen ein Prominenter schon Ende des 19. Jahrhunderts versucht hatte, Medien und Öffentlichkeit für sein Schicksal und das seiner Leidensgenoss*Innen zu sensibilisieren. "Es ist ein Widerwillen gegen diese Dinge in mir, gegen die sich meine Seele so sträubt", bekannte Andersen die eigene Lustlosigkeit - und brach damit  ein Tabu, das da hieß: Ein Mann hat Lust zu haben, weil der Beischlaf zum Menschsein gehört wie das Atmen oder das Essen. Dabei sei es vollkommen natürlich, schwul, lesbisch, bisexuell, trans, queer und nicht-binär zu sein. Nicht aber, wie Nora Schulze und andere radikal ohne Sex zu leben.

Dabei fühlt es sich für Nora Schulze vollkommen natürlich an, sich weder von den Männern noch von Frauen, weder von Binärpersonen noch von Transmenschen sexuell angezogen zu fühlen. "Die Vorstellung, Sex zu haben", sagt sie, "ist für mich irgendwie absurd."Ebensowenig kann sie sich allerdings vorstellen, für das „SZ Magazin“ gemeinsam mit anderen Asexuellen ein Manifest zu unterzeichnen, um eine Debatte über Asexualität anzustoßen. "Letztlich ist das doch irgendwie privat", sagt sie im Wissen darum, dass ein asexuelles Outfit die Fantasien der Öffentlichkeit nicht im selben Maße anzuregen gehalten ist wie schwul-lesbisch-queere Geständnisse von Prominenten wie Godehard Giese, Mark Waschke, Maren Kroymann, Karin Hanczewski, Ulrich Matthes, Jaecki Schwarz und Mavie Hörbiger. 

Immer wieder Kurangebote

Als Asexueller kannst du mit deinem Privatleben nicht hausieren gehen, ohne dabei berufliche Konsequenzen zu fürchten“, sagt Schulze. Scheele Blicke, besorgte Fragen, ob man sich "normal" fühle und Vorschläge, wo man sich von wem behandeln lassen könne, seien an der Tagesordnung, wo man sich im kleinsten Kreis oute. "Die das sagen, meinen es immer gut." Oft werde angenommen, es müsse nur der Richtige kommen, mit dem man ins Bett steige, "um dann als bekehrt aufzustehen", schildert Schulze. "So funktioniert das aber nicht." 

Für sie ist es längst an der Zeit, dass die Gesellschaft und die Filmbranche Diversität stärker sichtbar machen. „Denn wir sind mit unserer sexuellen Identität in der Öffentlichkeit überhaupt nicht vorhanden." Es werde einfach immer angenommen, man gehöre zur Norm und man selbst spiele das Spiel am besten unauffällig mit, um dazuzugehören.  "Das ist es auch, was die Medien bis hin zu queeren und nicht-binären Magazinen dem asexuellen Nachwuchs suggerieren: Bleib fein still, verhalte dich ruhig, so lebst du am leichtesten mit deiner Behinderung", ärgert sich Noras Schulze, die ihre Asexualität allerdings eben nicht als Persönlichkeitsschaden sieht: "Das Leben ohne Sexualität", ist sie sicher, "ist leichter, man lebt gelassener, hat mehr Zeit für andere Hobbys."

11 Kommentare:

  1. Die Krönung wäre, wenn Nora Schulze eine alleinerziehende junge Frau ist.

    Aber das hat der Frontkorrespondent für PPQ leider nicht recherchiert, oder doch, dann aber nicht verraten.

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  2. Tabula RasaJuli 25, 2021

    Hat man in der Regenbogen-Buntesregierung schon eine Minderheitenbeauftragtenstelle für Asexuelle eingerichtet, in der nur erotisch Inaktive arbeiten dürfen, weil niemand sonst dieses Unberührtheits-Schicksal mitfühlen und verstehen kann? Wurden dafür Millionen aus dem geschlechtslosen Steuersäckl locker gemacht, um dieser still leidenden Besonderheit ein adäquates lautes Dasein zu servieren?

    Wenn dieses Neutrum keinerlei Lust zu und Freude an irgendwas verspürt, dann lasst dem doch dieses seelische Vakuum. Solange dafür keine normal Schnackselnden bezahlen müssen, wie für vielgeschlechtliche Diversitätsvögler, ist es doch egal, was dieses (?) wo wie macht bzw. nicht macht.

    Mit solchen Raritäten-Berichten liefert ppq bisher noch nicht woken Pubertätskaspern die Schnapsideenvorlage für ihr Outing als ebenfalls abnormes Unikat. Wer im schrillen Zirkus der skurrilen Eitelkeiten sonst nix anzubieten hat, kann wenigstens damit punkten und Likes einsacken. Zum Glück lesen nur psychisch gefestigte Leute dieses ppq-Blog.


    Generell darf man Tabus aber nicht so einfach fallen lassen, denn wer z.B. die Beschneidung von kleinem wehrlosen Knaben verbieten möchte, der wird auf eine urzeitliche abergläubische Tradition verwiesen. Und wenn eine bizarre Körperverletzung von Kindern tausende Jahre als Garantie für die Himmelfahrt bejubelt wurde, dann muss die auch weitere tausende Jahre erlaubt sein, lautet die irre Religionsfanatikerlogik.

    Wie armselig im Geiste müssen jene sein, deren dies- und jenseitiges Seelenheil exzessiv davon abhängt, kleinen Jungs die Vorhaut abzuschneiden? Oder den Mädchen ihr Lustorgan ganz weg zu säbeln? Muss man wirklich jedes barbarische Handeln tolerieren, sobald es in einem Priestergewandt daher kommt? Steht die Religionsfreiheit denn über allem, weil man sich auf diesen oder jenen bizarren Gott beruft?

    Das ist das allerletzte Tabu !!!

    Was muss in einem Hirn schief laufen, um zu denken, dass mein Überpapa nur dann zufrieden mit mir ist, wenn ich meinem Sohn die Vorhaut weg schnippele? Was läuft da für ein blutiger Horrorfilm unter der Fontanelle? Und sowas gilt als normal, weil Milliarden oft ungebildete Simpel das für mehr als ein Naturgesetz halten?

    All das ist nur Firlefanz von offensichtlich Psychopathen, denn die schiere Masse allein bedeutet noch keine Garantie geistiger Gesundheit. Aber auch moderne Demokratien basieren leider darauf, dass die Masse immer recht hat.

    Mit oft tödlichen Folgen wie bei der kürzlichen Flutkatastrophe. Die fanden es mehrheitlich auch alle ganz toll, in Poldern zu siedeln. Bis ihr Gott ihnen eine Minisintflut schickte. Vernunft scheint bei vielen also auch ein Tabu zu sein, denn die folgen lieber dem naiven Herdentrieb, der bequemes Mitläufertum garantiert. Und hinterher wird kollektiv gejammert, bemitleidet und gespendet, dann sowas Schreckliches konnte ja niemand voraus sehen.

    Jeder, der am Strand bei Ebbe schon mal eine Sandburg gebaut hat, kennt das Prinzip, dass die nächste Flut das Kunstwerk wieder wegspült. Nur beim Häuserbau wird dieses Wissen dann komplett ausgeblendet. Etliche Markierungen an alten Gebäuden beweisen ähnlich hohe oder gar höhere Flutpegel in den vergangenen Jahrhunderten, aber den Heutetrottel interessiert das alles nicht. Der bildet sich ignorant arrogant ein, ihn, den Hightech-Schlaumeier kann es nicht erwischen. Bis es ihn erwischt. Dann beginnt erneut das große klagen.

    Eigene Fehlplanungen zu erkennen und zukünftig anders zu handeln ist demzufolge auch ein Tabu, denn der Mensch ist das einzige Tier, das mehrmals in dieselbe Falle tappt. Wahrlich eine hochintelligente Krone der Schöpfung.

    Jetzt habe ich mich doch wieder etwas verplaudert und bitte dafür um Entschuldigung.

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  3. Wie gendert man die eigentlich? Ist dafür überhaupt noch ein Sonderzeichen frei?

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  4. @Anonym: Ja, für asexuelle gibt es als gender character das Fragezeichen ?, weil ihre sexuelle desorientierung fragwürdig ist.

    Das ist auch unsere kritik an diesem artikel, der vollkommen die wissenschaftlichen erkenntnisse der marxistischen sexualpsychologie ignoriert. Der sexualtrieb ist nämlich in allen menschen und menschinen vorhanden. Wir müssen ja auch essen. Und damit haben wir alle eine einbettung in den ökonomischen produktions- und verbrauchskontext, der kapitalistisch, sozialistisch und später kommunistisch sein kann. Analog ist auch sexualität inhärent politisch. Das gegenteil wird im artikel behauptet, ohne den lesenden eine orientierung zu geben, dass dies falsch ist. Beim WDR wäre es nicht erlaubt, den lesenden die richtige meinung vorzuenthalten!

    Der klassenstandpunkt besagt, dass die asexuellen eine extremform des lumpenproletariats sind, weil sie sogar ihre natürliche sexualität verleugnen, um sich unpolitisch geben zu können. Dieses duckmäusertum vor ausbeutung und patriarchat verdient keine schonung! Wir fordern rotlichtmilieubestrahlung für alle asexuellen zu deren eigener befreiung! Wegschauen gilt nicht!

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  5. Ich dächte Bluthilde gibt es nicht mehr. Hatte ich mich im Internet verirrt.

    >> Der klassenstandpunkt besagt ...

    Welcher, da es ja mehrere gibt, die man haben kann?

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  6. Schauspielerinnen sind dazu verdammt, fremde Texte vorzulesen, ohne sie verstehen zu müssen, und vor einer Kamera Grimassen zu schneiden. Ein Gefühl von Bedeutung und Selbstachtung kann sich unter diesen Bedingungen natürlich nicht entwickeln. Selbst wenn man annimmt, daß die Spielerinnen über eingeschränkte reflektorische Kompetenzen verfügen, kann doch gelegentlich ein Bewußtsein von Zweitwertigkeit aufkommen. Da ist es doch schön, wenn sie der Nebenfunktion ihrer Ausscheidungsorgane einen über das Normale hinausgehenden Wert verleihen können. Das hebt den eigenen Stolz und zeigt dem Publikum, wir können mehr als man uns aufgrund der Ergebnisse unsers Herumhampelns auf der Leinwand zutraut. Auch wenn es in höheren Lagen über 1,50 m trübe aussieht, so haben wir doch weiter unten etwas zu bieten, das uns nach Eigeneinschätzung auszeichnet. Klar, das Publikum wendet sich mit Grausen, doch läßt man ihnen gern die Flausen, jede hat ein Recht auf Selbstentlarvung.

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  7. Ich weiss es. Ich weiss es. Ich weiss es.
    Der naechste Hype wird der Krampf gegen die Asexuellenphobie. Ich weiss zwar noch nicht wie man dort die Nazis unterbringt, aber notfalls bestand das Leiden darin, dass sie von den Nazis ignoriert wurden.

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  8. Bluthilde? Die Revolution verläuft eben so erfolgreich, dass es mehrere Jahre einfach keines Eingreifens dieses Zentralorgans der Arbeiter und Bauern bedurfte. Die gesellschaftlichen Entwicklungen vollziehen sich gesetzmäßig und unaufhaltsam, wie man vergnügt anhand der Meldungen der volkseigenen Medienbetríebe verfolgen kann. Venceremos!

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  9. unaufhaltsam, wie man vergnügt anhand der Meldungen der volkseigenen Medienbetríebe verfolgen kann.

    Ebend. Ein Pfund Nackend, bitte. Will sagen, genau so. Nur, eben nicht "vergnügt".

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  10. "vergnügt"

    Nach meinem Verständnis geht das, auch wenn es dafür jede Menge morbiden Humorpotentials bedarf, aus Klebers oder Slomkas Vorlesungen Vergnügen zu ziehen.

    Bei 40 Millionen Haushaltsbeiträgern, abzüglich der Hochwasseropfer, die nach Antrag davon befreit werden können, muß es ja solche Typen geben. Es gibt alles auf der Welt, also auch die, die sich bei Klebers Grimmassenschneiden vor Vergnügen nicht mehr einkriegen.

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  11. "Nicht aber, wie Nora Schulze und andere radikal ohne Sex zu leben."

    Ach ja, das hat es ja noch gar niemals nicht in der Geschichte gegeben, dass Leute sich entscheiden, ohne Sex zu leben. Es gab sogar mal Zeiten, da waren Enthaltsamkeit, Zölibat und Jungfräulichkeit Ideal. Aber um das zu wissen, ist Nora Schulze wohl noch zu klein.

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