Samstag, 13. August 2022

13. August: Diesmal eine Mauer aus Papier

Gute alte Genossen werden hier heute Blumen niederlegen: Die Mauer war eine tragende Wand für Deutschland.

Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen! Niemand würde Menschen ausgrenzen, sie daran hindern, ihr Menschenrecht auf Freizügigkeit zu nutzen. Oder, im schlimmsten Fall, aus einer Heimat zu fliehen, die sie zwingt, an Verbrechen gegen die Menschlichkeit teilzunehmen und im Hinterland daran zu arbeiten, einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ausreichende Ressourcen für seine Fortführung bereitzustellen. Europa hält anders als der frühere DDR-Staats- und Regierungschef Walter Ulbricht unerschütterlich an seiner Position fest, dass nur Freizügigkeit und Reisefreiheit helfen können, das Verständnis der Völker und Bevölkerungen weltweit zu befördern.

Fortschrittsfeindliche ökonomische Gesetze

Die EU spricht da mit einer Vielzahl von Stimmen, eingedenkt früherer Zeiten, als Zwist und Hader den alten Kontinent daran hinderten, zu einem über 70 oder gar 75 Jahre andauernden Frieden zu finden. Dass Estland die Einreise für Russen nun ausgerechnet in diesen Tagen des Gedenkens an Ulbrichts Lügen und Tricksereien verschärfen muss, sieht aus wie das gleiche, ist aber zweifellos nicht genau dasselbe.

Ulbricht, der elf Jahre nach der Gründung der ersten und bislang einzigen Arbeiter- und Bauernrepublik auf deutschem Boden in einem Bettelbrief nach Moskau hatte eingestehen müssen, "dass wir manche ökonomischen Gesetze nicht einhalten konnten", meinte es nicht gut. Er sperrte seine Bürger ein. Das neue Europa dagegen, eine Wertegemeinschaft, deren moralische Führungsrolle global unumstritten ist, will nur den Feind draußen halten, diesen großen Unbekannten mit seinem "heuchlerischen Wesen" (Die Welt), dem es eine Lust ist, zu leiden (Deutschlandfunk), weshalb die Putin-Ideologie des modernen Zarentums ihm gerade rechts ist.

"Menschen aus Russland"

Estland schlägt nur zurück, indem es die Visa-Regelungen für sogenannte "Menschen aus Russland" (Tagesschau) anlässlich des Jahrestages des Mauerbaus vor 61 Jahren so verschärft, dass Russen sich nicht mehr so einfach in den Schengenraum einschleichen. Um die Grenze dicht zu machen, dürfen Putin-Gefolgsleute und Putin-Gegner, die bereits länger über ein von Estland ausgestelltes Visum verfügen, mit dem Papier nicht mehr einreisen ins Reich der Freiheit. Ausgenommen von der Regelung sind vorerst noch Russen, deren Heimatland Estland ist oder die ihren ständigen Wohnsitz in dem baltischen EU- und Nato-Staat haben. Zudem stehen noch absprachen mit den übrigen 26 EU-Wertepartnern an, deren Visa weiterhin gelten - ein Sicherheitsrisiko, das den Fünften Kolonnen des Kreml Tür und Tür zur Herzkammer der  freiheitlichen Demokratien öffnet.

Das ist problematisch, weil der bereits 2015 weit südlich in der Ukraine begonnene Bau einer Stahlmauer zur Abschottung vom wilden Osten seit Jahren stockt und weder die "als Signal mit abschreckender Wirkung" geplanten "zusätzlichen physischen Barriere" in Litauen und Polen  bisher fertiggestellt werden konnten. Dadurch kämen "massenhaft" Russen per Bus oder Auto in Estland an, beschrieb Außenminister Urmas Reinsalu die angespannte Lage. Offene Grenzen entsprächen zweifellos "nicht dem Zweck der verhängten Sanktionen". 

Front der Frontstaaten 

Rattenlöcher, die aus Sicher von Frontstaaten wie Estland und Finnland dicht gemacht werden müssen, um den Druck im russischen Kessel steigen zu lassen. Wieder aber stellt sich Deutschland quer. Bundeskanzler Olaf Scholz glaubt, die Wirksamkeit der Sanktionen werde sich abschwächen, "wenn es sich gegen alle richtete, auch gegen Unschuldige". Eine Sprecherin der EU-Kommission betonte, dass ein grundsätzliches Verbot von Touristenvisa nach geltendem Recht gar nicht möglich sei. 

Zudem zeigen sich auch im Planbereich Mauerbau tiefe Zeitbremsspuren durch den akuten Fachkräftinnenmangel. Mehr als 523.345 Fachkräfte fehlen derzeit nicht nur in der Sozialpädagogik, in der Physiotherapie, bei der Pflege und im Gemeinsinnfunk, sondern auch im Planungs- und Umsetzungsbereich Bau. Um eine ausreichend große, ausreichend hohe und ausreichend lange Mauer im Osten der EU zu errichten, die die knapp 5.000 Kilometer nach Sibirien hermetisch abschließt,  wären nach Schätzungen aus den USA nicht nur Investitionen von mindestens 80 Milliarden Euro nötig, sondern auch mehrere tausend Ingenieure, Baufacharbeiter und Mauererinnen.


4 Kommentare:

  1. Ralf Schuler

    „Ich habe 25 Jahre meines Lebens gegen meinen Willen in der DDR verbracht ..., einen höllischen Militärdienst absolviert ..."

    Nach meinem Kenntnisstand von damals ging Hölle nur in Schwedt, also bei jenen, die um eine Haftstrafe gerade noch so herumkamen.

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  2. Danisch

    https://www.danisch.de/blog/2022/08/13/kranzniederlegung/

    Kam gerade im Fernsehen, dass irgendwo eine ganze Reihe von Politikern nebeneinander so Synchronkranzfummeln vorgeführt hat.
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    Weiß jemand, was heute los war?

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  3. >so Synchronkranzfummeln

    Da geht halt heutzutage über die WEF Cloud.

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  4. Kenntu Dikigoros, den alten Reaktionär?
    Es gibt so eine Vermutung, daß Walter der Spitzbart das in gutem Glauben geäußert hätte, von wegen keine Absicht und so, und, daß Adenauer, Kennedy und Chrustschow ihn bis zum letzten Moment im Dummen gelassen hätten. Aber mit Dittsche - man weiß es nicht.

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