Sonntag, 25. September 2022

Google Street View: Eine deutsche Erfolgsgeschichte

Google Street View Deutschland
Der deutsche Bann gegen Google Street View hat bis heute sichtbare Spuren hinterlassen.

Die ganze Welt stöhnt unter der Fuchtel eines profitgierigen US-Konzerns. Überall hat Google, die große Datensaugmaschine, die Menschen unterjocht, die Fassaden ihrer, ihre Straßen, ihre Fenster, Gartenzäune und Lichtsignalanlagen zu Quellen neuer gewaltiger Übergewinne gemacht. Überall? Nein, ein kleines, störrisches Volk mitten in Europa hält stand, auch 15 Jahre nach Einführung von Googles Street-View-Dienst, den wachsame Politikerinnen wie die damals noch als Arbeitsministerin dienende Ursula von der Leyen und ihre Verbraucherschutzkollegin Ilse Aigner sofort als Bedrohung der Privatsphäre des öffentlichen Raumes erkannten und mutig benannten.  

Konzertierte Aktion

In einer konzertierten Aktion mit allen angeschlossenen Sendeanstalten und Verlagshäusern gelang es den beiden Unionspolitikerinnen, binnen weniger Wochen eine Atmosphäre der Angst im Lande zu erzeugen. Rentnerkommandos gingen auf die Barrikaden, Menschen, die Angst davor hatten, im Internet zu landen, zeigten vor allem Welt Gesicht, um dagegen zu protestieren, dass ihre Hausaußenwände künftig selbst in Honolulu, Kapstadt und Kamtschatka für jedermann zu sehen sein sollten.

Ein Unterfangen, das womöglich mehr und nachhaltigeren Erfolg hatte als die beiden allein auf die populistische Bedienung der Wünsche wütender Verschwörungstheoretiker bedachten Politikerinnen auch nur erhofft hatten. Zum 15. Jahrestag des Startes von Street View jedenfalls sind nicht alle Völker unterjocht, ist nicht jede Regierung zu Kreuze gekrochen vor den Besitzergreifungsfantasien des amerikanischen Tech-Konzerns. 

So wie sich Bosnien-Herzegowina bis heute gegen eine Erforschung durch Street View wehrt, steht auch Deutschland mit sich allein in der geschlossenen Front der Verweigerungstaaten: Bosnien ist bisher von Google einfach noch nicht bedacht worden mit Erkundungsfahrten der Spionagefahrzeuge mit den zahllosen Kameras. Deutschland aber hat sie, im Schulterschluss mit der gesamten EU, die sich allerdings dann doch nicht an entsprechende Beschlüsse hielt, einfach so strikt verkompliziert, genehmigungspflichtig gemacht und verboten, bis Google den Versuch, auch Deutschland zu erfassen, einfach aufgegeben hat.

Letzter Hort des Widerstandes

Stolz ragt diese letzte Feste der Ritterschaft vom Weißen Fleck heute aus der Weltkarte, ein Oase, die an Zeiten erinnert, in denen Straßen nicht virtuell abzulaufen waren, sich Sehenswürdigkeiten nicht vor einer Reise am Computer angeschaut werden konnten und berühmte Plätze schon aufgesucht werden mussten mit allen CO2-Konsequenzen, wenn man sie sehen wollte. Deutschland als Digitalnation findet sich porträtiert im Bild, das das Land bei Google Street View abgibt: Ein  leerer Fleck, voll mit sich selbst, seinen funkelnden Vorurteilen, der Anmaßung einer Politikerklasse, die alles weiß, ohne irgendetwas begreifen zu müssen und die deshalb eines Tages, wenn irgendwem auffällt, wie abgehängt der ganze Staat bei Google ist, vermutlich ein Gesetz erlassen  wird, das Internetkonzerne verpflichtet, alle deutschen Straße abzufotografieren und umgehend ins Netz zu stellen.

Wenn Ursula von der Leyen erst merkt, wie unterschiedlich Google die EU-Untertanen behandelt und wie groß der digitale Gap zwischen allen und den Deutschen ist, könnte sie einen Digital Service Act verhängen, der Milliardengelder als Sanktion für irgendwen androht, der verhindert, dass Deutschland bei Street-View wie Polen, Indien, Bolivien, Ghana und Kirgistan wird.

Es geht ihnen doch gut

Unnötigerweise, denn obwohl Deutschland auf Googles Street-View-Karte (oben) ein weißer Fleck ist, lebt es sich hier für viele viel besser als dort. Ilse Aigner zum Beispiel brachte es dank ihrer entschlossenen Initiative gegen die neuartige Software zwar nicht wie geplant zur bayerischen Ministerpräsidentin, doch als Landtagschefin im Freistaat ist sie dauerhaft gut untergebracht. Auch Ursula von der Leyen scheiterte erfolgreich: Mit ihrem fürsorglichen Eintreten für die ganze kleine Gruppe deutscher Verschwörungstheoretiker, die glaubten, Google wolle durch ihre Wände gucken, hatte die Frau aus Niedersachsen zwar eigentlich Bundeskanzlerin werden sollen. Aber als Kommissionspräsidentin der EU gefällt es ihr nun vermutlich sogar noch besser. 

Weniger Verantwortung und schon gar keine vor jemand Konkretem, dafür aber mehr große Reden, Initiativen und Pläne, die jedermann so schnell vergisst, dass nach jedem stets vor dem nächsten ist. Die reale Welt draußen bleibt auch dort, der Versuch der Amerikaner, auch in Deutschland alle Straßen mit speziell aufgerüsteten Pkw mit 360-Grad-Kameras abzufahren, um Deutschland ins Netz zu bringen, endete wie die elektronische Patientenakte, D-Mail, das E-Rezept und der Versuch, einen Bundes-Bitcoin erfinden zu lassen.  

Für hier reichen Amateuraufnahmen

In Deutschland müssen Amateuraufnahmen reichen, die eigentliche Funktion des dreidimensionalen Kartendienstes, Nutzern einen virtuellen Spaziergang durch einen Ort zu gestatten, gibt es auch 15 Jahre nach dem Start des Straßendienstes nicht, weil die deutsche Politik auf die Barrikaden ging, als Google zwischen 2008 und 2009 begann, Deutschland zu fotografieren. 

Wie ein Testmanöver für spätere Angstkampagnen erscheint heute die damals medial weit verbreitete Warnung vor "massenhaften Verletzungen der Privatsphäre". Wer die "digitale Erfassung von Wohnungen und Grundstücken" plane, so hieß es in einer absurden Übersteigerung des Eigentumgedankens, der handele mit personenbezogenen Daten, wenn er die Bilder ins Internet übermittele.

Google zieht den Stecker

Damit war dem Rechtsstaat auferlegt, Street View für "nicht zulässig" zu befinden. Die Bundespolitik mobilisierte das Volk, 19 Millionen deutsche Hausbesitzer wurden aufgefordert, ihre Fassaden verpixeln zu lassen. Zwar gingen dann nicht einmal 250.000 Einsprüche bei Google ein, die meisten aus den Bionadevierteln von Hamburg, Berlin und München. Doch Google reichte das, um den Stecker zu ziehen. Dafür, dass Street View keine zusätzlichen Einnahmen generiere, sei der Aufwand zur Bearbeitung der Einsprüche zu groß. 

Ein Sieg deutscher Wesensart und - vor allem - deutscher Politiker über Innovation und Fortschritt, ein Triumph der irrationalen Angst, mit dem sich das Land vom Digitalen symbolisch verabschiedet hat. Knapp anderthalb Jahrzehnte später ist Deutschland eines der Länder, aus denen heraus die Abrufzahlen für Street-View-Bilder am höchsten sind. Selbst aber lässt sich die Kernnation der EU nicht in die Karten schauen. Ursula von der Leyen, die seinerzeit auf der Bremse saß und die Street-View-Affäre nutzte, sich als virtuelle Lebensschützerin zu inszenieren, hat das Digitale mittlerweile als Lebenssaft der europäischen Zukunft entdeckt.

Die 20er Jahre sollen nun "Europe's Digital Decade" werden.

3 Kommentare:

  1. Macht nix, dafür haben wir hier ja die Vorratsdatenspeicherung zum Ausgleich.

    Wenn der Staat Daten erfasst, sind sie wenigstens sicher.

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  2. Mal den Unsinn beiseite: In 15 Jahren habe ich nicht herausgefunden, was ich mit Street Views als Anwendung anstellen soll.

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  3. als Anwendung anstellen soll.


    Es erleichtert nebbich dem Ganev das Baldowern ...

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