Sonntag, 17. März 2024

Die Zaunkönige: Wer bietet weniger

Das Wettrennen um die niedrigste Obergrenze kennt nur einen Sieger: Die Feinde der offenen Gesellschaft
"Weniger als 100.000" Menschen im Jahr will Friedrich Merz künftig aufnehmen. Der CDU-Chef hofft, damit am rechten Rand punkten zu können. Abb: Kümram

Es waren rechte Populisten wie der damalige ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke oder "Spiegel"-Kolumnist Nikolaus Blome, die zuerst und immer wieder forderten, dass "die Flüchtlingszahlen runter" müssten. Doch obwohl noch längst nicht jede Stadt von der Zahl der Neuankömmlinge überfordert ist, sickerte das süße Gift der Abschottung nach und nach in die bürgerliche Mitte. Dort frisst es sich durch die Verabredung zur Weltoffenheit. Und verschiebt die moralischen Koordinaten eines Gemeinwesens, das noch vor zehn Jahren schon viel weiter war.

Populistische Manöver

Beflügelt vom Erfolg populistischer Manöver im Vorwahlkampf um die Kanzlerkandidatenkandidatur der Union hat der Trend inzwischen Fahrt aufgenommen: EU-Beschlüsse zu Außenlagern, Turbo-Rückführungen und Schnellverfahren werden als Erfolgsmeldungen verkündet. Der Kanzler selbst flüchtete sich populistische Versprechen zu mehr Härte und "Abschiebungen im großen Stil". Die FDP drängte die Bundesländer, härter durchzugreifen. Die Grünen kippten auf einem Parteitag um. Die Linke spaltete sich und der größere Teil ihrer Wählerinnen und Wähler folgt nun offenbar denen, die nach rechts marschieren. Selbst alle verschärften Regeln und aus dem letzten Zustrom gezogenen "Lehren" (Tagesschau) vermochten den "Rechtsrutsch" nicht aufzuhalten. 

Wer politisch überleben will, muss mitrutschen.

Keine Grenzen hinter der roten Linie

Wie stets im politischen Gefecht gibt es keine Grenzen mehr, wenn die rote Linie erst überschritten ist. Wie stets entsteht ein Rhythmus, bei dem jeder mit muss. Der politische Konsens, dass das Grundgesetz keine Obergrenze vorsehe und es deshalb auch keine Obergrenze geben könne, ist mittlerweile kaputtgebröckelt. Begrenzung ja, aber eine Obergrenze?

Nein, sagt die SPD, derzeit. Nein, sagen auch Hinterbänkler der Grünen, die eine Brandmauer bewachen, hinter die längst eine deutliche Mehrheit der Bürger abgewandert ist. Nur 18 Prozent der Befragten sind noch gegen die Einführung einer Obergrenze für Zufluchtsuchende. 76 Prozent der Befragten sprechen sich inzwischen sogar offen für eine Begrenzung bei den Flüchtlingszahlen aus. 

Ohne Empörungsorkan

Nachdem der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer den Wettbewerb um eine Mengenbegrenzung mit dem Satz "50.000 oder 60.000 Flüchtlinge pro Jahr – mehr können das erst mal für die nächsten Jahre nicht sein" eröffnet hatte, blieb der übliche Empörungsorkan an. Selbst dem SPD-nahen RND gelang es mit Ach und Krach, Kritiker beim linkspopulistischen Wagenknecht-Bündnis, bei der FDP und bei der AfD zu finden. Zaunkönige überall, die um die Wette fliegen, immer tiefer.

Für Friedrich Merz ein ermutigendes Zeichen. Der CDU-Chef, der im Herbst erste Erfolge mit einer Gala-Vorstellung als radikalisierte Zahnfee feierte, hat von Söders Vorschlag einer Obergrenze von 200.000 Aufzunehmenden im Jahr die Hälfte abgezogen und Kretschmers Obergrenze von 50.000 bis 60.000 "Asylsuchenden pro Jahr" (DPA) Pi mal Daumen verdoppelt. Mit einem Vorschlag eines Flüchtlingskontingents von "weniger als 100.000" Personen jährlich führt Merz die Union in die anstehenden Wahlkämpfe. Auch sei er für die von der EU geplante Auslagerung der Asylverfahren in noch zu findende Drittstaaten, um die Attraktivität des Fluchtstandorts Deutschland zu senken.

"Türen und Herzen öffnen"

Während die Ampel-Koalition sich noch müht, die notwendigen 1,5 Millionen Zuwanderer im Jahr mit Hilfe eines neuen Gesetzes zur Einführung einer neuen Willkommenskultur zu mobilisieren, liefern sich die Populisten aller Parteien einen wahren Wettlauf um neue Hürden, höhere Barrieren und die Förderung des Fachkräftemangels. Die "Chancenkarte" spielt seit ihrer gefeierten Einführung im vergangenen Jahr keine Rolle mehr, die letzte Erwähnung der wegweisenden Erfindung datiert aus dem November 2023, als Klimawirtschaftsminister Robert Habeck noch Sorgen hatte, dass eine "abweisende Haltung in Ausländerämtern" (Habeck) den dringend benötigten Zustrom von Experten zu Versiegen bringen könnte.

Das "Fachkräfteeinwanderungsgesetz" (FKEG) sollte "Türen und Herzen" öffnen, Programmierern, Servierern und Windkraftmontierern die Ansiedlung in Deutschland erleichtern. Experten warnten schnell, dass es nicht reichen würde, zugleich aber bereits heute nicht reicht: Selbst wenn alljährlich die 330.000 Menschen kämen, die 2023 den Weg nach Deutschland fanden, wären das allen Berechnungen von Arbeitsminister Hubertus Heil und der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer fast 1,2 Millionen zu wenig. Schnitzer, die den Sachverständigenrat der Bundesregierung leitet, sieht im Versuch, die Zahl der Neuankünfte zu verringern, kommende volkswirtschaftliche Schäden schon angelegt. Wer "die Zahl der Arbeitskräfte halten" wolle, brauche "1,5 Millionen Zuwanderer im Jahr".

Wer bietet mehr

Nur so könne die Einwohnerzahl Deutschlands bis 2040, wenn die endgültige Klimaneutralität hergestellt werde, auf über 100 Millionen steigen, ohne dass es zu weiterem Wachstum komme, wie es der Ethikrat vorgeschlagen hat. "Eine Schwächung der Pull-Faktoren hätte katastrophale wirtschaftliche Konsequenzen für Deutschland", warnt auch der für seine treffsicheren Prognosen bekannte Ökonomiker Marcel Fratzscher. Von Wohnungsbau bis Handel, von E-Auto-Herstellern bis zur Pflege, den Dentologie und der Bundeswehr wäre die gesamte Wirtschaft betroffen, weil keine neue Nachfrage mehr importiert würde. 

Fakten, die Söder, Kretschmer und Merz, aber auch Scholz und Faeser und von der Leyen und sämtliche Populisten von Links und Rechts ausblenden, wenn sie auf einer Begrenzung der Aufnahmekapazität auf 50.000 bis 200.000 bestehen. Das Wettrennen um die niedrigste Obergrenze kennt nur einen Sieger: Die Feinde der offenen Gesellschaft, die immer dort triumphieren, wo Demokraten aus Angst vor verlorenen Wahlen auf Forderungen einer ganz kleinen Clique eingehen, die sich selbst zur Mehrheit erklärt hat.

7 Kommentare:

  1. OT

    >> Amos 17. März 2024 at 10:21

    Der Direktor mag seinen Job anscheinend nicht – aus dem komfortablen linksdrehenden Aachen in den tiefen Osten, wo noch sehr viele Leute normal denken. Es scheint mir ein kalkulierter Skandal des frustrierten Herrn Direktor zu sein, um in einen sicheren Hafen versetzt zu werden. <<

    Das klingt verlockend - aber, es ist daneben. Ich kenne diese schleimigen Brüder - die sind primitiv bis ins Mark, und, damit verquickt, "ebend" paranoid. Die GLAUBEN den Scheiß, den sie selbst, oder ihr Genosse Politkommissar, absondern, ohne Wenn und Aber.

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  2. Die Wähler der Feinde der offenen Gesellschaft handeln gegen ihre eigenen Interessen, denn dann wird in kürzester Zeit keiner mehr da sein, der die Arbeit macht und die Renten zahlt. Zum Glück wissen alle, dass der Herr Merz seine Erzählungen gar nicht erst meint, also kann man den ruhigen Gewissens wählen.

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  3. Was Neues von der Genderfront.
    https://weltwoche.ch/daily/passagierende-mit-diesem-gender-irrsinn-hat-srf-den-vogel-oder-die-vogelin-nun-definitiv-abgeschossen/

    «An drei deutschen Flughäfen streiken die Mitarbeitenden der Sicherheitskontrolle. Die Hinflüge der Swiss finden zwar wie geplant statt, allerdings müssen die Maschinen den Rückflug ohne Passagierende antreten, weil diese nicht kontrolliert werden können.»

    Und wir fanden "Frauenfußballspielerin" mal komisch.

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  4. passagierende ist wirklich toll. fast noch besser aber sind die mitarbeitenden, die nicht mitarbeiten, weil sie streiken

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  5. >> Und wir fanden "Frauenfußballspielerin" mal komisch.

    Ich hielt das immer für eine präzise Beschreibung für das, was diese Frauen tun, Frauenfußball spielen.

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  6. ich glaube aber, offiziell ist das verboten

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  7. Der lachende MannMärz 18, 2024

    Da es kein Verb "passagieren" gibt, ist das nicht nur nicht lustig, sondern auch sinnlos und zeigt nur die Erbärmlichkeit der Stammhirnwesen, die sich durch sklavisches Handeln ihren Lebensunterhalt zusammenschnorren.

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