Montag, 6. Mai 2024

Social-Media-Trick: Die Saht geht auf


Der eine regiert die Sachsen, vier Millionen jeder Erziehungsbemühung widerstrebende Querköpfe. Der andere hat es in seinem Amt mit einem Landstrich zu tun, den mehr Menschen besiedeln als Erich Honecker am Ende seines einzigartigen Aufstieges vom Dachdeckerlehrling zum Staatschef unter der Fuchtel halten musste. Über fast 18 Millionen Menschen gebietet Hendrik Wüst, ein Christdemokrat, der sich durchaus mehr zutraut und das immer wieder auch wissen lässt.  

Zwei der Besten

Fast so groß wie sein Parteivorsitzender Friedrich Merz ist der 48-Jährige. Und kaum weniger ehrgeizig. Der Westfale hat Ambitionen, er würde gern fortsetzen, was Angela Merkel angefangen hat, weiß aber nicht, ob der rechte Augenblick, die CDU weiter nach links zu rücken, schon gekommen ist. Nicht zuletzt stünde Michael Kretschmer dem entgegen, der arme Ostkollege, dem im Herbst die Blätter aus der Krone zu fallen drohen, geschieht nicht noch irgendeine Art von Wunder, die es ihm erspart, mit den Wagenknechten oder den Grünen koalieren zu müssen.

Unbestreitbar bleibt, dass Wüst und Kretschmer bedeutend sind, nicht nur für die Union. Zwei zwar Männer, aber Politiker, die klare Positionen vertreten, auch wenn sie für den Mann und die Frau auf der Straße schwer zu erkennen sind. Wüst hat Jura studiert und dann eine Zeit lang als Lobbyist gearbeitet, Kretschmer lernte Büroinformationselektroniker und studierte anschließend Wirtschaftsingenieurswesen. 

Von beruflichen Stationen eines herkömmlichen Erwerbslebens wird nicht berichtet, doch ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag weiß der gebürtige Görlitzer natürlich, dass eine breite thematische Aufstellung und ein scharfes Profil Wählerinnen und Wähler eher zusagen als eine zur Schau getragene Selbstähnlichkeit.

Positionen für das eigene Profil

Um Führen zu können, wie es Kretschmer und Wüst tun, braucht es Überblick, Selbstbewusstsein und ein Gefühl dafür, wo es sich gerade anbietet, bei welcher Gelegenheit entschieden welche Position zu beziehen, um das eigene Profil zu polieren. Was es in Zeiten des allgemeinen Bildungsabbaus nicht braucht, sind direkte Kenntnisse der deutschen Schriftsprache, um die selbst als dringlich empfundenen Botschaften an die zweifelnde Bevölkerung zu vermitteln. 

Als Kretschmer und Wüst sich jetzt entschlossen, bei der Anti-Gewalt-gegen-Politiker-Demonstration in Berlin gemeinsam aufzutreten, war deshalb schnell entschieden: Statt irgendeines Spruches wurde der Satz "Wer Hass sät, wird Gewalt ernten", auf das gemeinsame Schild gehoben, eine Warnung, die erst vor zehn Jahren von zwei christdemokratischen Freizeitpolitikerinnen im baden-württembergischen Waghäusel erfunden worden war, denen das Bibel-Original "Wer Wind sät, wird Sturm ernten" (Hosea 8, Vers 7) zu sehr nach Wetterbericht klang. 

Die zwei Säher

Seitdem wird parteiübergreifend gesät und geerntet, von rechts bis links ist der Kalenderspruch weitaus erfolgreicher als alles, was Jesus selbst jemals zum Hass geäußert hat. Nur Wüst und Kretschmer, zwei der besten und hoffnungsfrohesten politischen Talente, die die CDU in ihren Reihen hat, schafften es allerdings, die Menschen mit diesem kleinen, wohlfeilen Satz dort abzuholen, wo sie sind. Bei den beiden Ministerpräsidenten, auf einem Bild für die sozialen Medien uniform gekleidet im Blaumann der politischen Klasse, scholzcool ohne Binder, aber mit weißem Hemd und schwarzem Gürtel, wird nicht gesät, sondern gesäht.

Ein Signal an die bildungsfernen Schichten, das alle Qualitätskontrollen durch die Social-Media-Abteilungen der beiden Landesparteien und Regierungen problemlos überstand. Schreiben nach Gehör, Zeichen setzen nach Gefühl - auf ihr Schildchen hatten Wüst und Kretschmer der Vollständigkeit halber noch das Bekenntnis geschrieben, dass "online & auf den Straßen" gemeint sei, für "#wirsindmehr" und "#reclaimtiktok" war ganz unten noch Platz, rechts außen zudem für den Hinweis "AfD stoppen". 

Beraterdivisionen und ein Tipp aus der BWHF

Niemand, der das beiläufig anschaut, vermag sich überhaupt nur vorzustellen, wie lang und kompliziert die redaktionellen Verhandlungen zwischen den beiden Staatskanzleien gewesen sein mögen, ehe dieser Text amtlich war. Legionen von Sockenpuppen beugten sich über die Formulierungen, Beraterdivisionen rieten zur Knappheit, die Experten der BWHF im politischen Berlin schließlich zur Saht: Wie ein Bohrer schraubt sich die Botschaft der beiden Landesfürsten gerade bei denen ins Bewusstsein, die es besser wissen. Die Aufregung über den Ausweis an vermeintlichem Mangel an Bildung wird so zu einem besonders starken Zeichen, das selbst die jeder CDU-Hörigkeit unverdächtigen Aktivisten von Fridays for Future ebenso leidenschaftlich teilen wie die Zweifler an der demokratischen Ordnung, die sich als Deutschlehrer aufspielen.

So geht social media.


5 Kommentare:

  1. "alle Qualitätskontrollen durch die Social-Media-Abteilungen der beiden Landesparteien und Regierungen"
    Da sitzen genauso kaffeetrinkende und smartphonedaddelnde Praktikanten wie in den Bürgerbüros der lieben Abgeprdneten. Das Geld für "Fachkräfte" kann man lieber selbst ausgeben oder beiseiteschaffen.

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  2. Das erscheint doch wie Satire: Da trauen sich zwei CDU-ler, die hasszerfressen gegen die AfD hetzen, die die von der politischen Gewalt hauptbetroffene Partei ist, mit dem Slogan "wer Hass säht, wird Gewalt ernten" in die sozialen Medien. Man möchte meinen, dass sie damit zu Gewalt gegen sich selbst aufrufen. Von der AfD wird die Gewalt weiterhin nicht ausgehen, vielleicht werden die zwei von "Linken" und den eigenen CDU-lern angegriffen.

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  3. A Popo Dräsdn. Da wähnte schon der eine oder andere, ich natürlich nicht, das Volk stünde auf und der Sturm bräche los, aber Essig.
    Kommt Hänschen klein mit seiner Mutti auf die Wache ...
    Es bleibt immerhin spannend, was wohl geschehen wird, falls er die anderen verpfeifen sollte.

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  4. Metaspawn 7. Mai 2024 at 15:48

    @ jeanette 7. Mai 2024 at 15:39

    Die CDU kann beschließen, was sie will. Im Moment regiert sie ja nicht im Bund. Hinzu kommt, dass das einstmals gut funktionierende Wehrpflichtsystem in Deutschland GESCHLIFFEN wurden. Es wieder aufzubauen, würde Jahre dauern, wobei ich davon ausgehe, das wir dafür inzwischen sowohl zu dämlich als auch zu disziplinlos sind.
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    Immerhin schreibt er nicht nämlich mit h.

    Dennoch: Man schleife ihm das linke Ei, und fülle es mit Blei.
    Oh, Gnade!
    Nun gut man fülle es mit Marmelade ...

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  5. Zum Bild: "Und sie schämeten sich nicht" - Buchtitel von Joachim Fernau.

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