Samstag, 7. Juni 2025

Ostmulle Reichinnek: Per TikTok nach oben

Eine echte ostmulle : heidi reichinnek
Tätowiert, häufig auf TikTok tanzend: Mit Heidi Reichinnek kann es eine sogenannte "Ostmulle" jetzt sogar in den Parlamentarischen Kontrollausschuss für die Geheimdienste schaffen. Abb: Kümram, Buntstift auf Pergament

Von wegen, in Deutschland kann es niemand mehr ganz nach oben schaffen, der nicht geerbt hat, skrupellos seinen Vorteil auf Kosten anderer sucht oder zumindest reich heiratet. Von wegen, Ostdeutsche stoßen an eine gläserne Decke. Und von wegen, die Politik wache eifesüchtig darüber, dass kein erklärter Gegner unserer Demokratie Gelegenheit bekommt, sie von innenn anzugreifen. 

Die Linkspartei hat sich einem Bericht des "Spiegel" nach darauf verständigt, ihre Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek als Vertreterin für das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) im Bundestag zu nnominieren - der geheimste Geheimausschuss des Bundestages bekommt damit zum ersten Mal ein Mitglied, das offen zugibt, die parlamentarische Demokratie abzulehnen, die Marktwirtschaft abschaffen und die Ukraine am liebsten dem russischen Aggressor überlassen zu wollen.

Eine märchenhafte Geschichte 

Es ist das Ende einer märchenhaften Geschichte, die wenig mit Poltik und viel mit dem Phänomen der sogenannten "Ostmullen" zu tun hat. Junge Frauen, tätowiert, mit gefärbten Haaren und einer absichtlich ausgestellten Trash- Ästhetik, die die sich selbst ermächtigen, dem gesellschaftlichen Klischees über Frauen aus Ostdeutschland zu widersprechen: rückständig, leicht zu beeinflussen, angepasst. 

Das alles sind sie keineswegs, die Ostmullen, die sich nicht abfinden mit der Behauptung, sozialer Aufstieg nur denen möglich, die die "rechte soziale Herkunft" vorweisen können, wie die Taz die Lage in doppelt klaren Worten schildert. Nein, diese Jugend glaubt noch an sozialen Aufstieg. Mögen die Älteren, denen er nicht gelungen ist, auch wissen, dass "alles dagegenspricht" (Die Welt). Die Jungen beweisen, dass der Mythos vom Aufstieg in die exklusivsten Zirkel eben doch keiner ist.

Kader aus dem Bionadeadel 

Die Reichen in Deutschland können sich ihrer privilegierten Position immer sicherer sein, wer aus dem Biotop des vorzugshalber westdeutschen Bionadeadels kommt, dem sind die Wanderschuhe für den langen Weg zur Spitze von Geburt an in den Rucksack gelegt. Auserwählt zu werden für die Nachwuchskaderlaufbahn einer der großen demokratischen Parteien und in deren Nomenklatura aufzurücken, ist die sichere Gewähr für ein Leben als Teil der politischen Klasse

Die Generation Parteiarbeiter lernt von der Pike auf, dass Absteiger aus den bekannten Risikogruppen kommen: Von inneren Zweifeln an der Parteilinie befallen, ostdeutsch, schlechter vernetzt und vor dem Start in die politische Karriere regulär in der freien Wirtschaft beschäftigt. Einer Studie der SPD-nahen Böckler-Stiftung zufolge schafften es zwischen 1991 und 1995 noch rund 47 Prozent der Armen, in die hart arbeitende untere Mitte aufzusteigen, jenen sagenhaften gesellschaftlichen Bereich, für den vor jeder Wahl alle Parteien Politik zu machen versprechen. 

Aufbau von Bürokratie und Verwaltung 

Nach dem Vollzug des Beitritts der neugegründeten ostdeutschen Länder ließ sich der notwendige Aufbau einer ausufernden Verwaltung und der umfassenden Bürokratie nach westdeutschem Vorbild wegen des notwendigen Elitentauschs nur durch rasche Neuaufnahmen stemmen - als er beendet war, versteinerten die Strukturen umgehend. 

Von 2009 bis 2013 gelang es nur noch 36 Prozent, der von Geburt aus Benachteiligten, sich oberhalb der Armutsgrenze zu etablieren. Höhere Verwaltungsposten und bedeutsame Führungsaufgaben in der Politik, die bis Mitte der 90er Jahre mit 30- bis 40-Jährigen besetzt worden waren, werden nach und nach erst im Zeitraum bis 2030 frei - und zwar ungeachtet der guten Konjunktur, der Reallohnzuwächse und der Rekordbeschäftigung, wie die Böckler-Stiftung anmerkt.

Wer aus dem Osten kommt, hat es doppelt schwer, denn wegen des Fachkräftemangels haben sich im politischen Raum hier bereits Strukturen herauskristallisiert, die an die ostdeutsche Tradition der demokratischen Dauerherrschaft einer alternativlosen Führungsriege erinnern. 

Dauerherrschaft statt Disruption 

Wer hier einmal in ein Amt einzieht, der behält es - vier der fünf Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder amtieren länger als acht Jahre, zwei länger als zwölf. Disruption, tabula rasa, Zeitenwende: So schlecht es auch laufen mag, die Mehrheit der "Wählenden" (Tagesschau) in Deutschland entscheidet sich immer für den Status Quo.  Die Erfahrung lehrt: Besser wird es nie, schlimmer immer und ein Übel, das man kennt, ist einfacher zu ertragen als eines, das man erst kennenlernen muss.

Umso mehr fallen die auf, die es gegen jede Wahrscheinlichkeit schaffen, ohne vom Establishment protegiert zu werden und obwohl die eigene Herkunft aus den ostdeutschen Flächenländern, in denen die erst kürzlich als komplett gesichert rechtsextremistisch eingestufte in Teilen rechtsextreme AfD die stimmenstärkste Partei ist, sich nicht leugnen lässt.

Im Schatten der Feinstaubfabriken 

Heidi Rechinnek versucht es aber gar nicht erst. Die gebürtige Ostdeutsche, ihre Babywiege stand im Schatten der Feinstaub- und Klimagasfabriken, die im mitteldeutschen Chemiedreieck für den Aufbau des Kommunismus auf dem letzten Loch keuchten, ist eine jener selbstbewussten ostdeutschen Frauen, die auf die "mangelnde Chancengleichheit" (Capital) pfeiffen, die ihnen das kapitalistische System gewährt. Obwohl Aufstieg und Karriere in Deutschland von der sozialen Herkunft abhängen und Reichinneks Eltern als Chemiefacharbeiterin und Elektriker arbeiten mussten, hat die heute 37-Jährige ihren Weg ganz nach oben gemacht.

Abitur, Studium der Politikwissenschaft, Nahoststudien in Ägypten, Forschungen zu Islamismus und Salafismus, mit dem Anschwellen des "Zustroms" (Merkel) Sprach- und Kulturfachkraft in der Ausbildung geflüchteter Kinder und Jugendlicher, nebenher Chefin des linken Jugendverbandes Solid und mutige Werberin für neue Wege: Reichinnek setzte sich früh für linke Bündnisse mit religiösen Fundamentalisten und Steinzeitislamisten ein, um den gemeinsamen Feind Kapitalismus zu schlagen. Sie ist zudem feministische Frauenrechtlerin, sie lehnt das Militär und Krieg ab, tritt für die Enteignung von Milliardären und die Verstaatlichung der Deutschen Bahn ein, die derzeit noch zu 100 Prozent in Bundesbesitz ist.

Starke Stimme gegen das System 

Positionen, die Reichinnek als starke Stimme im politischen Berlin etabliert haben. Die in Niedersachsen ansässige Politikerin, die vor einem Jahr  noch niemand kannte, gilt Umfragen zufolge inzwischen als beliebteste deutsche Politikerin. Wenn sie auf TikTok gegen andere Parteien und deren Beschlüsse wütet, schauen Millionen fasziniert zu. Wenn sie mit anderen Genossinnen tanzt, hagelt es beim chinesischen Spionageportal Herzchen über Herzchen.  

Heidi Reichinnek bringt die aus den Zeiten Stalins und Honeckers bekannte Systemfrage sympathisch rüber, sie macht den "demokratischen Sozialismus" einer jungen Generation schmackhaft, die von Mao, Pol Pot, Chavez und Castro allenfalls weiß, dass sie für hervorragende Chancen für den sozialen Aufstieg aller sorgten, die ideologisch gestählt und von der Mission der Arbeiterklasse durchdrungen waren. 

Fleiß und Bildung reichen nicht 

Vorwürfe gerade aus den Kreisen der in der alten Heimat Zurückgebliebenen, dass Blümchenstudien und totalitäre Flausen im Kopf  die Gesellschaft nicht voranbringen, lässt Reichinnek an sich abprallen. Sie zeigt: Fleiß und Bildung allein reichen tatsächlich nicht mehr, um ganz nach oben zu kommen. Erfolgreiche Aufwärtsmobilität braucht heutzutage Einfallsreichtum, einen leicht erkennbaren Markenkern und ein geschicktes Aufmerksamkeitsmanagement

Galt der Aufstiegswillige noch im Mittelalter als Narr, der die göttliche Ordnung missachtete, war er im Osten der Nachwendejahre als anmaßender Parvenü verschrien. Führungspositionen waren Westdeutschen vorbehalten. Ostdeutsche, die in ihrer Kindheit massiv davon geprägt worden seien, dass sie in der Gruppe stark sind, aber einzeln schwach, bleiben emotional verarmt und sei würden zu verunsicherten Menschen, so hat es der Kriminologe Christian Pfeiffer später beschrieben. Diese Kinder sind nach Überzeugung des niedersächsichen Experten auch als Erwachsene ungeeignet für eine Gesellschaftsordnung, "die von ihnen individuelle Power verlangt, Wettbewerbsfähigkeit, Show in gewissem Sinne".

Aber nicht alle 

Aber eben nicht alle. Heute erzählt die Aufstiegsgeschichte der Heidi Reichinnek Hunderttausenden von Kindern im Osten geht, dass dank TikTok, Instagram und Telegram alles machbar ist: Wo eben noch der düstere Schatten der Sahra Wagenknecht auf eine deprimierte, von den Grünen links überholte Partei fiel, deren einziges bekannteste Gesicht die Thüringerin gewesen war, erstrahlte mit Reichinnek unverhofft ein Licht, das heller schien als das der abtrünnigen Genossin.

Die Linke weiß genau, was sie Heidi Reichinnek zu verdanken hat. Es ist nicht nur der unerwartete Wiedereinzug in den Bundestag, sogar in Fraktionsstärke. Sondern auch die Rückkehr zur öffentlichen  Wahrnehmung. Reichinnek hat den angestammten Wagenknecht-Platz in allen Talkshows übernommen, sie verlangt dort in der Regel umgehende drastische Änderungen im kapitalistischen System, das überwunden werden müsse, um die Demokratie zu schützen und soziale Gerechtigkeit zu erreichen. 

Trotzig gegen politische Korrektheit 

Für unvorbereitete Zuschauer klingt die linke Fraktionsvorsitzende häufig und gänzlich unvorbereitet. Sie widerspricht sich, kennt Fakten nicht und kann nicht einmal beschreiben, wie anders ihr Sozialismus sein wird, verglichen mit dem totalitären DDR-System, das auf den Bajonetten von Gewehren und der unstillbaren Neugier hunderttausender Spitzel und Blockwarte ruhte. 

Doch bei denen, die selbst noch nicht Gelegenheit hatten, an einem sozialistischen Menschenversuch teilzunehmen, kommen Reichinneks Enteignungsforderungen und ihre Versprechen radikaler politischen Änderungen zur Einführung einer umfassenden Gleichheit hervorragend an. Den Kapitalismus stürzen wolle sie, sagt Heidi Reichinnek an - trotzig gegen eine politische Korrektheit, die es verbietet, die Systemfrage zu stellen. 

Um als Vertreterin der mit der SED rechtsidentischen Linkspartei in das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) im Bundestag einzuziehen, braucht Reichinnek neben Stimmen von Grünen und SPD auch die Zustimmung einiger Unionsabgeordneter. Die aber werden eine informelle Bitte um Unterstützung nicht ignorieren können, weil Bundeskanzler Friedrich Merz in den kommenden Jahren zuweilen auch auf Stimmen der Linken angewiesen sein wird. 

6 Kommentare:

  1. Da sich die CDUler schon lange aus dem Reich der Vertebraten verabschiedet haben, sollte einer Nominierung dieser Hupfdohle nichts entgegenstehen.

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  2. Carl GustafJuni 07, 2025

    Das Problem ist nicht die selbsternannte "Ostmulle". Das Problem ist eine Generation Jugendlicher, die auf den gesammelten Blödsinn (G. Westerwelle hat das mal "anstrengungslosen Wohlstand" genannt), den die Linkspartei verbreitet, abfährt.
    Der Zulauf zu den Linken ist aus meiner Sicht auch kein Ergebnis von TikTok und Co. Der Trigger ist vielmehr der verbreitete Antisemitismus, den die Linke inzwischen ungehemmt auslebt.

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    1. Dazu werde ich mich nicht auslassen.

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  3. https://x.com/hashtag/OstmullenDienstag?src=hashtag_click
    https://x.com/ostmullenwatch
    https://x.com/archivierteNZ/status/1927377461974557017
    https://x.com/BAMFBasar/status/1927243371481039033
    https://x.com/BAMFBasar2/status/1927239038257291703

    https://taz.de/Rechtes-Internet-feiert-die-Ostmulle/!6080593/

    Rechtes Internet feiert die „Ostmulle“
    Hübsche Mädels singen Landser
    Am #OstmullenDienstag posten rechte Frauen Videos von sich. Sie tragen Piercings, mögen Rechtsrock und haben Reichsflaggen im Zimmer: die Ostmullen.

    https://www.severint.net/2025/03/04/was-bedeutet-ostmullendienstag/

    Was bedeutet Ostmullendienstag?

    Am Ostmullendienstag posten selbstbewusste patriotische junge Frauen aus dem Osten Videos und Bilder von sich auf sozialen Netzen, besonders TikTok und X.

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  4. @carl gustav: sie wissen es nicht besser

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  5. War nicht ganz bei der Sache, wenn es mal um die ging. Mal schauen, was die drauf hat.
    https://zitatsuchmaschine.informatik.hu-berlin.de/

    Was es alles gibt.
    Best of Heidi:
    Ich bin entsetzt und schockiert. (14.02.2025)
    Ich finde, das ist ein Skandal. (03.06.2025)
    Natürlich sind wir gegen Antisemitismus.27.05.2025
    Meine persönliche Geschichte kann man auch auf meiner Haut sehen.(23.04.2025)
    Auf die Barrikaden! (30.01.2025)

    Toll.

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