Montag, 7. Juli 2025

Ende mit Ansage: Nach Maastricht auch Schengen

Die polnische Grenze wird jetzt von beiden Seiten bewacht. Die Schengen-Regeln sind damit in einer weiteren Grenzregion ausgesetzt.

Donald Tusk rief sofort in Berlin an. Der polnische Ministerpräsident beschwerte sich beim deutschen Bundeskanzler, nachdem der seiner Innenministerin erlaubt hatte, dem öffentlichen Druck nachzugeben und mit Kontrollen an der polnischen Grenze zu beginnen. Für Tusk war das "inakzeptabel", ein gegen den europäischen Geist gerichtetes egozentrisches Manöver.  

Aus Angst vor den Wählern war Olaf Scholz donnernd umgefallen, seine Partei, konsterniert vom eigenen Machtverfall, kippte mit. Selbst die Grünen, bis dahin stabile Verteidiger des Rechts aller Verfolgten, Zuflucht in Deutschland zu suchen, gaben ihren Widerstand auf und ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck legte einen eigenen Plan zur "Begrenzung von Migration" vor.

Zeichen für die Welt 

Für die Union, damals noch in der Opposition, reichte das nicht. Symbolische Kontrollen brächten doch nichts, hieß es bei Friedrich Merz und Alexander Dobrindt. Was es brauche, seien aufsehenerregende symbolische Kontrollen und demonstrative Zurückweisungen als Zeichen an die ganze Welt, dass Deutschland seine Zeit als Hauptzielland der weltweiten Migration beendet habe. Eine Mehrheit wolle es, die Union werde liefern. Niemand habe Zeit, auf das nächste neue Asylsystem der EU zu warten, von dem niemand sagen könne, woraus es genau bestehe und wie es funktionieren solle. 

Der neue Kanzler setzt auf einen Dominoeffekt. Kontrolliert Deutschland, werden die Nachbarstaaten die Menschen nicht mehr los, die sie in den zurückliegenden zehn Jahren einfach durchwandern lassen konnten, um den Teil Europas zu erreichen, in dem das Gras grüner wächst. Asylbewerber erhalten in Deutschland 410 Euro, anerkannte Geflüchtete später Bürgergeld wie Einheimische, der Regelsatz für Alleinstehende liegt bei 563 Euro, dazu kommen Kosten für Wohnung, Heizung und gesetzliche Krankenversicherung. In Polen dagegen gibt es nur 160 Euro, in Griechenland 200, in Italien nichts. 

Geld ist kein Grund 

Wissenschaftlich belegt ist, dass Geld kein Grund für Schutzsuchende ist, sich für Deutschland zu entscheiden. Wichtiger sind das Wetter, die stabilen politischen Verhältnisse, die starke Wirtschaft und die freundlichen Nachbarn, unter denen inzwischen ein knappes Drittel selbst im demokratisch gefestigten Westteil des Landes einer Studie der Universität Leipzig zufolge der Aussage zustimmt, dass Deutschland durch "die vielen Ausländer überfremdet" sei.

Olaf Scholz ließ sich von Donald Tusk nicht aufhalten, der Wähler von seinen späten Kontrollgesten nicht überzeugen. Scholz' Nachfolger Friedrich Merz brach dann vom ersten Tag im neuen Amt einige Versprechen, Kritiker sagen sogar, mehr als er abgegeben hatte. Doch von der Migrationswende, die er angekündigt hatte, ließ sich der erste Unionskanzler seit Helmut Kohl weder von Gerichtsurteilen noch von den dramatisch einbrechenden Zuwanderungszahlen nicht abbringen. 

Polen nutzt die Gelegenheit 

Merz ließ die Kontrollen verschärfen. Und er hat damit Erfolg: Mit dem Beginn polnischer Kontrollen an der deutschen Grenze tut die Regierung in Warschau zwar so, als müsste sie den Zustrom von Flüchtenden aus Deutschland verhindern, doch angesichts der Anzahl an Schutzsuchenden, die im östlichen Nachbarland um Asyl baten, ist der Kontrollbefehl aus dem Pałac Namisstnikowski eher ein Eingeständnis: Jetzt, wo kein Partnerstaat mehr da ist, der alles abnimmt, was ankommt und durch will, möchte Polen die Gelegenheit nutzen, sich selbst abzuschotten. 

Der letzte aufsehenerregende Fall soll sich nicht wiederholen können: Anfang Juni hatten drei aus Belorusslanddemfrüherenweißrussland kommende Flüchtlinge aus dem Sudan es geschafft, über Litauen in die EU einzureisen. Durch Polen gelangten sie bis an die deutsche Grenze, dort aber wurden sie zurückgeschickt. Nur mit Hilfe engagierter Flüchtlingshelfer gelang es, die Einreise und ein Asylverfahren zu erzwingen. Die Regierung in Warschau aber fürchtet, dass auch das beim nächsten Mal nicht mehr glücken könnte.

Maastricht als Mahnung 

Polens Angebot an Deutschland, die angekündigten eigenen Kontrollen nicht zu starten, wenn Deutschland seine Kontrollen zuvor aufgebe, ist nicht ernst gemeint. Wie der Versuch der Europäischen Kommission, dem von der Mehrzahl der EU-Mitgliedsstaaten seit Anbeginn der Zeiten ignorierten und verletzten Maastricht-Vertrag durch den Versand sogenannter "Blauer Briefe" Geltung zu verschaffen, hat er keinerlei Aussicht auf Erfolg. Würden die 27 EU-Mitglieder ihren zum Teil beim Doppelten liegenden Schuldenstand auf maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und die Neuverschuldung auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzen, bräche die Europäische Union noch am selben Tag zusammen.

Beim Schengen-Vertrag, oft als zweite Säule des modernen Europa bezeichnet, dauert es länger, das ist im Experiment inzwischen nachgewiesen. Doch das Ergebnis wäre am Ende dasselbe. Die Mitgliedstaaten stehen deshalb nicht vor der Wahl, was sie tun, sondern nur vor der, wer es tun wird. In einigen Ländern versuchen die Parteien der Mitte angestrengt, die Forderungen der rechten Ecke zumindest symbolisch zu erfüllen. In anderen hat die Mitte diese Chance schon vertan, sie ist nun angewiesen darauf, vom rechten Rand als Mehrheitsbeschaffer geduldet zu werden.

Der Raum der Freiheit 

Sowohl in Warschau als auch in Berlin wollen die Regierenden diesen größten anzunehmenden Unfall vermeiden. Wenn nach Maastricht auch Schengen geopfert werden muss und jener in Sonntagsreden feierlich beschworene Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts an Kontrollstationen endet, dann ändert sich letztlich so viel auch wieder nicht. Schon seit 2015 wird vorübergehend an der deutschen Grenze zu Österreich kontrolliert, Dänemark kontrolliert schon ebenso lange an seinen Grenzen, vorübergehend natürlich nur, auch Frankreich, die Niederlande, Italien, Slowenien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Spanien und die Slowakei sind zurückgekehrt zum Grenzregime früherer Zeiten. 

In keinem einzigen Fall haben deutsche Politiker noch Trauer, Wut und Scham angesichts des Verrats am gemeinsamen Europa gezeigt oder die Bundesregierung zu raschem Handeln aufgefordert. Mit der Lage ändert sich die Liebe, aus einer Leidenschaft für offene Grenzen kann durch eine veränderte Situation eine flammende Begeisterung für permanente Grenzkontrollen werden, deren Akzeptanz in allen politischen Lagern kaum mehr bestritten wird. 

Das Verhalten der früheren SPD-Hoffnungsträgerin Katarina Barley steht beispielhaft dafür, wie fragil Regelungen und Grundüberzeugungen in der EU sein können: Nur ein wenig "besorgt" hat sich die stellvertretende EU-Parlamentspräsidentin über die neuen Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze geäußert. Aus ihrer Sicht würden auch Schleierfahndungen reichen. Auch Barley, bei der EU-Wahl im vergangenen Jahr als "stärkste Stimme für Europa" angetreten und mimt traurigen 13,9 Prozent abgestraft, spricht vom "Dominoeffekt". Und hofft im Stillen, dass er eintritt.

1 Kommentar:

  1. TrumpeltierJuli 07, 2025

    Um der im weltweiten Wettbewerb schwächelnden heimischen Stahlindustrie zu helfen, werden militärische Förderprogramme intensiviert und ein neuer Eiserner Vorhang quer durch die EU errichtet.

    Angeblich Schutz gegen globale Flüchtilanten, die bei uns ihr Teilhaberecht einklagen wollen, weil ihre Heimat durch eigenes Zutun bzw. Nichttun so kaputt und verelendet ist.

    Aber insgeheim Bastion gegen den Russen, der sich unsere Multikulti-Problemzonen garantiert nicht einverleiben will, wenn man sich diese kulturbereichernden Kalifatshorden anschaut.

    Darauf kann jeder kluge Mensch verzichten ohne das ihm etwas fehlen wird. Im Gegenteil werden die so eingesparten Unterhaltsgelder wieder der eigenen Brut zugute kommen.

    Ob die Michelmasse das aber jemals kapieren wird, ist wie russisches Roulett. Dabei ist der Einfachwumms dann das Optimim des Erreichbaren.

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