Sonntag, 17. August 2025

Lieferkettensägengesetz: Meilenstein der Menschheitsgeschichte

Eine europäische Lieferkette, in Öl gemalt vom jungen Künstler Kümram: Der Rost ist auch aus Öl.

Hätte, hätte Lieferkette!, hat Peer Steinbrück damals als erster europäischer Politiker dafür geworben, Schluss zu machen mit der bedenkenlosen Nutzung der Ressourcen der gesamten Welt zur Erhöhung des Wohlstandes in Europas. Jahre später, gemeinsame Lösungen in der Gemeinschaft der gleichgesinnten 27 Mitgliedsstaaten dauern erfahrungsgemäß eher Jahrzehnte als nur Jahre, war es soweit. 

Mit dem großen prächtigen Lieferkettengesetz (CSDDD) wie es in den weiten, luftigen Hallen von EU-Parlament und Europäischem Rat liebevoll genannt wurde, erblickte ein bislang einmaliges Regelwerk das Licht der Welt. Statt nur auf sich selbst zu achten und Vorarbeiten wie Lieferungen aus anderen Gefilden mit reinem Gewissen zu nutzen, gab sich Europa sogenannte strenge Vorgaben. Firmen wurde beauftragt, genau hinzuschauen, wer sie womit beliefert, womit derjenige selbst beliefert wurde, woher die Rohstoffe stammen und wie die Mitarbeiter der Kantine beim Lieferanten des Lieferanten des Lieferanten bezahlt werden. 

 Weltweit europäisches Recht

Eine fantastische Idee, gelang es der EU-Kommission so doch erstmals, weltweit Recht zu setzen. Wer mit einem EU-Staat ins Geschäft kommen will, heiße er Donald Trump oder Xi, der muss nach europäischem Recht handeln. Das machte Furore, das war ein ganz großer Wurf und einige Tage lang schien es fast so, als würde die Regelung Schule machen. 

Auch wenn diese Erwartung enttäuscht wurde, blieb das EU-Lieferkettengesetz, offiziell als "Corporate Sustainability Due Diligence Directive" bekannt, ein Meilenstein der Menschheitsgeschichte. Jedes große Unternehmen mit über 1.000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Umsatz war nun verpflichtet, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in seiner Lieferketten zu verhindern. Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Umweltzerstörung waren auszuschließen, von Geschäftspartnern mussten deren Klima- und kommunale Wärmepläne eingefordert werden.

Kontrolle ist besser 

Die EU-Kommission selbst hat zwar noch nicht die Mittel und Mitarbeiter, um Millionen Firmen in der EU zu kontrollieren. Doch den Mitgliedstaaten war das als Aufgabe aufgegeben. Als die FDP, erklärter Gegner des CSDDD und lange auf dem Bremspedal, dann vom Wähler aus dem Parlament gefegt wurde, schien es, als würden ihre Klagen über zu strenge Vorgaben, die den Mittelstand überfordern und Unternehmen aus Europa vertreiben, mit im Orkus verschwinden. Die Lieferkettenzukunft hatte begonnen, Feinde des Fortschritts muste eine empfindkliche Niederlage einstecken. 

Aus dem Hintergrund abert schossen die heckenschützen weiter. Der neue Kanzler Friedrich Merz formulierte Erwartungen an ein Auslegungspraxis des CSDDD, die die Einführung zur Farce gemacht hätten. Rechte Handwerkernde, Mittelständler mit Auslandsverbidnung und eingeschworene Gegner der EU v ersuchten wie Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD), unter dem Deckmantel einer angeblich "bürokratiearmen" Umsetzung der CSDDD die Axt an die Regeln zu legen, um Europa zurückfallen zu lassen in eine "Welt der Rücksichtslosigkeit", wie es die engagierte "Initiative Lieferkettengesetz" nennt.

Die Unterstützer kippen um 

Doch die Zahl der Verteidiger des "Meilensteins" schrumpft, seit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) versucht hat, die AfD mit einer Forderung nach einer vollständige Abschaffung der CSDDD rechts zu überholen. Die SPD will soweit noch nicht gehen, doch sie zeigt sich einverstanden, das nationale Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) abzuschaffen und durch ein weitgehend symbolisches "Gesetz über internationale Unternehmensverantwortung" (GIU) zu ersetzen. Offen reden in der deutschen Sozialdemokratie nur wenige darüber. Viele aber hoffen auf eine unauffällige Lösung: Die Änderung könnte im Schatten einer anderen über die Bühne gebracht werden. Oder die EU beugt sich dem Druck und verabschiedet sich auch von diesem einstigen Vorzeigeprojekt.

In Brüssel ist die Bereitschaft mittlerweile durchaus vorhanden. Galt das Lieferkettengesetz noch vor einem Jahr als Booster für Menschenrechte und Umwelt, trägt es heute den Makel, die ohnehin prekäre europäische Wettbewerbsfähigkeit noch weiter zu vermindern. Europa opfere seinen langfristigen Einfluss für kurzfristige Schlagzeilen, sagen Kritiker – mit weitreichenden Folgen. Jedes Produkt, das in Europa nicht mehr hergestellt werden, werden anderswo produziert. Und das meist unter sehr viel fragwürdigeren Umständen. 

Druck vom Rest der Welt 

Der wirtschaftliche Druck aus China, Indien und den USA, die keinerlei Anstalten machen, ihre Unternehmen mit ähnlich strengen Regeln zu fesseln, treibt die EU in eine defensive Haltung. Noch reicht das Geld, den Apparat zu unterhalten., aller paar Monate ein neues Großes Zeil auszurufen und die entstehenden Langzeitwirkungen als Kinderkrankheiten abzutun. Doch unübersehbar regiert auch in Brüssel inzwischen die nackte Angst vor dem wirtschaftlichem und geopolitischem Machtverlust. Wer die Zeichen der Zeit nicht lesen wolle, den werde der Wähler abstrafen, heißt es in Straßburg und Brüssel, wo die Politik zunehmend nach rechts rückt und versucht, wieder vor den Wind zu kommen.

Den so lange und mit soviel Aufwand erkämpften Ruf, Vorreiterin für Klimaschutz, Menschenrechte und nachhaltige Wirtschaft zu sein, will die EU behalten, ihre Entscheidungen für mehr Klimaschutz, Menschenrechte und nachhaltige Wirtschaft aber dennoch revidieren. 

Eine Kehrtwende, die in vielen anderen Weltgegenden unmöglich erscheint, im Falle der EU aber machbar ist. Immer schon bestand die europäische Glaubwürdigkeit als globale moralische Instanz ausschließlich aus der Behauptung, es gebe sie und sie sei sehr toll. Auch das  Vertrauen der 440 Millioenen Europäer zu den europäischen Institutionen, wenig ausgeprägt und seit Jahren in Erosion befindlich, lässt sich der Brüsseler Apparat deshalb am liebsten durch selbstgemachte Studien bescheinigen. 

Wie die Kontinentaldrift 

Die Veränderungen unter der Oberfläche erinnen an die Kontinetaldrift, sie sind nahezu unsichtbar, weil langsamer als ohnehin schon gewohnt im größten Staatenbund der Menschheitsgeschichte. Doch sie sind da: Obschon erst im Sommer 2024 beschlossen, wurde das Inkrafttreten der "Europäischen Lieferkettenrichtlinie" bereits im April 2025 auf den Juli 2028 verschoben. Beim KI Act steht das noch aus, ebenso in anderen Regulierungsbereichen.

Zudem wird die Eingriffstiefe der vorgesehenen Berichtspflichten zwar nicht gemindert, die neuen bürokratischen Lasten aber sollen seltener getragen werden müssen. Nur noch aller fünf Jahre muss ein Unternahemen Bericht erstatten, nicht mehr jährlich. Zudem ist die EU abgerückt von der Vorstellung, Firmen für  Verstöße unbegrenzt zivilrechtlich haften zu lassen. 

Wie beim Verbrennerverbot, das als zentral galt, um Klimaziele erreichen zu können, bis es angesichts des galoppierenden Verfalls der europäischen Autoindustrie verschoben und damit faktisch aufgehoben wurde, zeigen sich auch im stillen Tod der durchregulierten Lieferkette breitere politische Verschiebungen. Argumentierte die EU-Kommission bisher damit, dass höhere bürokratische und dammit wirtschaftliche Lasten im Dienst einer guten Sache zu tragen seien, sind ihr kurzfristige Profite und der Erhalt vieler Arbeitsplätze plötzlich doch wichtiger als die langfristige Verantwortung für menschenrechtsgerechte und klimageschützte Arbeitsplätze in Asien, Afrika und Südmaerika. 

Das Hemd und der Rock 

Das Hemd ist näher als der Rock, die großen Klimaziele passen nicht zum eigenen Überlebensinstinkt. Reichte es vor Jahren noch, jede geplatzte Illusion von´m nachhaltigen Writschaften, grünem Stahl und Wasserstoffwirtschaft mit neuen, noch ehrgeizigeren und noch weiter in der Zukunft liegenden Zielen neu beleben, droht angesichts derf desatrösen Bilanz inzwischen ein Totalverlust ganzer Industriebranchen und damit eine Katastrophe für die ohnehin überstrapazierten öffentlichen Kassen.   

Mit dem Lieferkettengesetz und dem Verbrennerverbot stehen zwei Grundpfeiler der vermeintlich zukunftssichernden EU-Strategie zur Begrenzung der EU-Erwärmung auf 1,5 Grad vor dem Aus. Und das in einer Situation, in der die kampferprobten Lobbygruppen der Klimabewegung zum Totalausfall geworden sind. Vor fünf Jahren noch hatten Fridays for Future, die Letzte Generation und die Grünen alarmierte Klimaexperten zitiert, die sicher waren, dass "wir nur noch zehn Jahre Zeit" haben. Heute sind alle drei Bewegungen kein gesellschaftliicher Faktor mehr.

Das tieferliegende Elend 

Eine Botschaft, die in Brüssel durchaus angekommen ist. Eine Abschwächung der CSDDD, die sich Klimapläne ohne verbindliche Ergebnisse zufriedengibt, könnte den Unmut der Bürger auffangen, ohne als Kehrtwende verstanden zu werden. Es bleibt dabei, nur anders. Lieferkettengesetz und Verbrennerverbot sind dann nicht mehr Symptome eines tieferliegenden Elends der EU, sich mit ineer immer umfassender ausgebauten Planwirtschaft in einer globalisierten Welt selbst um Einfluss zu bringen, sondern Zeichen dafür, dass selbst eine übergriffige und unbewegliche Bürokratur wie die in Brüssel in Momenten außerordentlicher Gefahr in der Lage ist, über ihren Schatten zu springen.

Was bleibt ihr auch sonst. Getrieben von der Angst vor dem wirtschaftlichem Abstieg und einer Migrationspolitik, die weder die Mitgliedsstaaten noch die EU im Griff haben, zeigt sich in ganz Europa eine politische Rechtsverschiebung, deren Ausmaß noch kaum zu erahnen ist. dassd die sich nicht mit einer EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (EUDR), mit einem Dieselverbot, der Ntaurschutzrichtlinie oder der CSDDD bekämpfen lässt, weiß die machtbewusste Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ganz genau. Ihr "beispielloser Bürokratieabbauplan" ist ebenso Teil des Überlebenskampfes der EU-Institutionen wie die Rückabwicklung von Nachhaltigkeitsberichte und CO2-Abgaben für Importe. 

Die Umsetzung wird angepasst 

Alles bleibt, wie es ist, doch die Umsetzung wird angepasst, um den den politischen Rechtsruck nicht weietr zu nähren. Parteien wie die AfD, die im Bundestag ein "Lieferkettensorgfaltspflichten-Abschaffungsgesetz" sollen keine Munition mehr finden, ihre Forderungen nach Deregulierung sollen leerlaufen, weil die EU selbst zumindest einen Teil von dem dereguliert, was sie selbst an Regulierung produziert. Die Kehrseite der Medaille ist der Umstand, das populistische Narrative damit an Boden gewinnen: Regulierung wird als Bedrohung für Wohlstand dargestellt, Bürokratie ist nur noch Last, nicht Grundlage von Kontrolle und Steuerung. 

Die Konsequenzen sind weitreichend, denn Europa steht damit vor einer Identitätskrise. Fallen die einstigen Leitprinzipien – Klimaschutz, soziale Verantwortung, globale Vorbildfunktion – weg, wird aus dem leuchten Beispiel für alle Völker ein Kontinent wie jeder andere. Machtinteressen können sich nicht mehr hinter Idealen verstecken, wirtschaftlicher Interessen lassen sich kaum mehr als Geschenk an die Menschheit verbrämen. Nach ihrer Wettbewerbfähigkeit riskiert die EU, auch noch ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren, hatte sie doch immer beteuert, für den Klimaschutz sei alles nötig, selbst das Äußerste.

1 Kommentar:

  1. OT
    "...und verhindern seitdem, dass US-Bürger dem Gericht unterliegen. Dieses Vorgehen verdeutlicht, dass der IStGH international längst nicht als universell unparteiische Instanz anerkannt wird ..."

    Bettina Sauer nu wieder. Es verdeutlicht doch eher, dass die Amis sich als Herrenvolk betrachten, für das die schnöde Gerichtsbarkeit nicht gilt.

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