Montag, 10. November 2025

Auf, auf zum Kampf: Der Dreiviertel-Präsident

Der Präsident von drei Vierteln aller Deutschen hat die Arme weit geöffnet und allen, die er dezeit nicht vertreten kann, die Möglichkeit zur Umkehr angeboten. 

Das Gesicht ist bekannt, der Name ist Programm. Frank-Walter Steinmeier ist ein Mann, der das letzte Vierteljahrhundert der ersten stabilen deutschen Demokratie nicht nur miterlebt, sondern federführend mitgestaltet hat. Er war es, der dem sozialdemokratischen Gaskanzler Gerhard Schröder als treuer Knappe diente. Er ging als Außenminister auf Konfrontations- und Kuschelkur. Er war den einen zu Diensten und den anderen Feind, je nach Tageslage. Trotz seiner körperlichen Erscheinung wendig. Trotz aller Verhöhnungen als Schneeeule der deutschen Sozialdemokratie ein echter Weiser, dem die Realität nichts anhaben kann.  

Nachkomme von Steinmelkern 

Nachträglich wusste der frühere SPD-Kanzlerkandidat wenig oder auch nichts. Frank-Walter Steinmeier ist seinem Namen nach Nachkomme einer Familie, die eine Molkerei betrieb. Eine der ungewöhnlichen Art, denn sie verarbeite nicht Milch, um Produkte wie Käse, Butter, Quark und Joghurt herzustellen. Sondern wohl Steine, mutmaßlich, glauben Ahnenforscher, um die erste deutsche Brandmauer zu errichten, jenes Bauwerk, das heute als eine der tragenden Wände der deutschen Demokratie gilt. 

Neben ihm fielen sie, die Wegbegleiter, Konkurrenten und Genossen. Manchen schafften es noch in ein Auffanglager. Andere verloren Ruf, Büro und alles Ansehen. Steinmeiers Kunststück: Er wurde als einziger Minister wegen eines Verfassungsbruchs verurteilt. Und doch schaffte er es von Krankenbett des gescheiterten Kanzlerkandidaten ins Schloss Bellevue, jenen Traumort der Politiker, die durch Reden wirken wollen, nachdem sie mit Tun nichts erreichen konnte.

Die Teflonpfanne spricht 

Steinmeier, wegen seines makellosen Lebenslaufes gerühmt als die Teflonpfanne der Bundespolitik, tut das auf dei ihm eigene Weise. Jahr für Jahr und immer weder hält er so vielbachtete Ansprachen, dass ihn die "Tagesschau" einmal sogar zeigen konnte, wie er sich selbst verzückt zuhört, vberzaubert vond erschieren Kraft seiner Wort. Steinmeier verlangt nie nach einem "Ruck", er fordert keine Neuanfang und er bricht nicht den Stab über Jahrzehnten einer Politik, die das Land, dem er nominell vorsteht, in eine Dauerkrise gestürzt hat. Der Sozialdemokrat, der das überparteilich amtierende Staatsoberhaupt im Herzen immer noch ist, will keinen Stab brechen. Er will alle mitnehmen. Alle, die guten Willens sind.

Auch Steinmeier ist freilich nach rechts gerückt. "Jede, wirklich jede Anstrengung" müsse unternommen werden, um den "Zustrom zu verringern", forderte der Präsident schon, als die Ampel noch lavierte. Er war es, der das Thema Zuwanderung "das Thema Begrenzung der Migration" begriffen sehen wollte. Vor einem Jahr sagte Steinmeier klipp und klar: "Das muss Priorität haben in den nächsten Jahren" und er leitete damit eine Normalisierung der rechten Radikalisierung ein, vor deren Trümmern er jetzt steht.

Verteidiger der Brandmauer 

Für jemanden, der als junger Mann so linksradikal war, dass er das Interesse des Verfassungsschutzes geweckt hatte, ist das eine entsetzliche Bilanz. Angetreten als Verteidiger der Brandmauer, hat Frank-Walter Steinmeier den Menschen in Sachsen, den Leugnern, Verhöhnern und feinden der Energiewende mit seiner Rede vom september 2024 Prokura gegeben, zu denken, zu meinen und zu glauben, was sie wollen. Dass einer wie er sich aus purem Eigennutz an die Spitze der von Rechten befeuerten Migrationsbegrenzungdebatte setzte, war ein Freibrief, das hat Frank-Walter Steinmeier auch begriffen. 

Spät. Aber nicht zu spät. Als er jetzt anlässlich des deutschen Schicksalstages am 9. November zusammenkam, um "zu erinnern", erfüllten ihn "gemischte Gefühle", denn die sind vorgeschrieben. "Wir müssen sie haben", sagte Steinmeier ganz offen, denn "der 9. November – 1918, 1938, 1989 – er markiert fast ein ganzes Jahrhundert unserer Geschichte". Nicht alles war gut, was andiesem datum geschah. Nicht alles war schlecht. Widersprüche aber erschweren die Deutunng. "Licht und Schatten" (Steinmeier) sind etwas, das sich einer gemeinsamen Erklärung entzieht. So dass Frank-Walter Steinmeier dankbar war, als ihm seine Redenschreiben vorschlugen, doch einfach zu sagen: "Es geht am 9. November um den Kern unserer Identität."

Das Phänomen Steinmeier 

Nicht erklärt das Phänomen Steinmeier besser als dieser Satz. Ein Tag im Kalender des Präsidenten als "Seismograph", der "uns darüber erzählt, was uns verbindet und was uns auseinandertreibt, wie wir zusammenleben und was uns wichtig ist". Selbst der "klare Kompass", mit der Bundeskanzler ums Überleben navigiert, verblasst neben der "Erschütterungen und Friktionen, Ausschlägen und Rissen in unserer Gesellschaft", die das sensible Staatsoberhaupt in der grafischen Darstellung der Bodenbewegungen erspüren kann, die durch gesellschaftliche Diskussionen um Stadtbilder, die russische Bedrohung oder die Wehrdienstdebatte verursacht werden. 

Als Mann deutlicher Worte scheut sich Steinmeier nicht, eine Linie zu ziehen zwischen denen und uns. nach allem, was die großen demokratsichen Volksparteien geleistet haben, ist 107 Jahre nach dem 9. November 1918, der Ausrufung der ersten deutschen Republik, vieles infragegestellt. "Unsere liberale Demokratie steht unter Druck", prangert der Mann an, dessen Amtssitz gerade für eine Milliarde Euro aufpoliert wird, um der Welt zu zeigen, was Deutschland sich alles leisten kann. 

Im Land kommt die Argumentation leider auch nach hartnäckiger Wiederholung nicht an: "Populisten und Extremisten verhöhnen die demokratischen Institutionen, vergiften unsere Debatten und betreiben das Geschäft mit der Angst", hat Frank-Walter Steinmeier in seiner kämpferischen Rede zusammengefasst. besonders entsetzlich: "Das Tabu, sich offen zu solcher Radikalität zu bekennen, gilt für viele Menschen nicht mehr." 

Eine Definition, welche Art von Radikalität er meint, ersparte sich der Bundespräsident. Keine Partei wird genannt, keine Namen überhaupt. Jeder weiß, wer sich angesprochen fühlen muss: Die "Antidemokraten", die nach Kenntnis Steinmeiers ein "Drehbuch" haben, das "mühelos aufgeht". Statt verfilmt zu werden.

Der Letzte der Generation Hartz IV 

Was den letzten noch aktiven Politiker der Ära Hartz IV, Nord Stream und uneingeschränkte Solidarität mit den USA betrifft, ist die Frage, wieso alles ist, wie es ist. Der Antisemitismus. Die Fremdheit zwischen Ost- und Westdeutschen. "Wenn wir auf unser Land blicken, reiben wir uns die Augen: Sind wir nicht ein starkes Land, eine gefestigte Demokratie, ein stabiler Rechtsstaat, ein wohlhabendes Land mit einer leistungsfähigen Wirtschaft?" So hat Frank-Walter Steinmeier das in Erinnerung. 

Woher also die "große Unruhe in einer Gesellschaft, die tief verunsichert wirkt"? Da draußen, das beschreibt er als Erkenntnis aus seinen inkognito absolvierten Ausflügen in die kleinen Städte, in Dörfer und abgehönget Neubauvuiertel, höre er besorgte Gespräche: "Wie wird es hier für uns weitergehen" – wenn extreme Parteien stärker werden, wenn Menschen mit Einwanderungsgeschichte, wenn Jüdinnen und Juden nicht mehr sicher sind?" Das sind die Sorgen, die die Mehrheit nicht gut schlafen lassen.

Seine "übergroße Mehrhheit"

Es ist eine "übergroße Mehrheit der Menschen in unserem Land", für die Steinmeier spricht. Sie wolle "in Demokratie und Freiheit leben". Eine Minderheit will das offenbar nicht. Sie sehnt sich nach Despotie, Gängelung und Unterdrückung. Und sie ist Schuld am aktuellen Zustand von Stadtbild und Wirtschaft. "Nie in der Geschichte unseres wiedervereinten Landes waren Demokratie und Freiheit so angegriffen." Die Formulierungen des Bundespräsidenten ermangeln nicht einer gewissen Originalität: Waren. Nicht wurden. Neben dem "russischen Aggressor, der unsere Friedensordnung zertrümmert hat", sind da auch noch "rechtsextreme Kräfte, die unsere Demokratie angreifen und an Zustimmung in der Bevölkerung gewinnen". 

Einfach abwarten, "dass der Sturm vorbeizieht und solange in sichere Deckung zu gehen", reiche nach seiner Überzeugung nicht. Auch "Zeit zu verlieren haben wir nicht", sagt Steinmeier. "Wir müssen handeln. Wir können handeln! Unsere Demokratie ist nicht dazu verurteilt, sich auszuliefern! Die Demokratie kann sich wehren!"

Instrumente im Grundgesetz 

Es folgen längliche Passagen über Wehrhaftigkeit, die immer gern bemühten "Mütter und Väter unseres Grundgesetzes", die Weimarer Demokratie und ihre inneren Feinde und die Instrumente im Grundgesetz wie im Strafrecht, die "festgeschrieben" seien, "um unsere Freiheit zu schützen vor denen, die sie angreifen". Wir haben diese Instrumente in der Hand, sagt Steinmeier. Wer dieses Wir ist, sagt er nicht.

Ein Mann des entschlossenen "Wir können handeln, wenn wir wollen", der nicht bereit ist, erklärte Gegner der Demokratie in Schaltstellen der Politik und des öffentlichen Dienstes eindringen zu lassen. Wo "diejenigen Dienst leisten, die unsere demokratische Ordnung im Inneren und nach außen zu schützen haben", gibt es kein Vertun. Auch könne "nicht Richterin, Lehrer, Landrätin, Bürgermeister oder Soldat sein", wer als  Verfassungsfeinde erkannt werde. Diese Menschen auszuschließen, sei "nicht per se undemokratisch. Im Gegenteil: Er ist Ausdruck der wehrhaften Demokratie!"

Der Präsident der klaren Kante

Da steht ein Bundespräsident, der die klare Kante predigt. Die oder Wir. Alle oder keiner. Er lobt das Instrument des Parteienverbots. Aber er öffnet auch die Arme für die, bereit sind sich zu besinnen und umzukehren. Wer "schreie", es sei doch undemokratisch, ein Viertel der Wähler auszugrenzen, dem könn er nur sagen: "Sie haben es selbst in der Hand!" Von ganz oben, der ersten Adresse im Staate werden die Alternativen deutlich gemacht. "Greifen sie unsere Verfassung an, stellen sie sich gegen sie, wollen sie ein anderes, nicht-freiheitliches System? Da ist die Antwort unserer Verfassung klar: Eine Partei, die den Weg in die aggressive Verfassungsfeindschaft beschreitet, muss immer mit der Möglichkeit des Verbots rechnen."

Jedem steht es frei, sich an die Regeln zu halten, "die für alle gelten, die sich in Deutschland um politische Macht bewerben". Bis zum Verbot aber, das kommen werde oder auch nicht, könne nicht gewartet werden. "Auf keinen Fall dürfen wir tatenlos sein, bis diese Fragen geklärt sind." das Wir, das die Kräfte der politischen Mitte umfasst, müsse die Frage beantworten, wie "jetzt mit Demokratieverächtern und Extremisten" umzugehen sei. "Wie überzeugend ist die eigene politische Erzählung? Wie fest stehen die demokratischen Parteien?"

Eine feste Burg 

Nicht wo, nicht wie gramgebeugt und ratlos. Nur wie fest als organisierte Brandmauer. "Wenn dadurch ein Teil des demokratisch gewählten Parlaments von der Gestaltung ausgeschlossen wird, so ist dieser Ausschluss doch selbst gewählt", begegnet Frank-Walter Steinmeier dem Vorwurf, durch den cordon sanitaire würden namhafte Teile der Bevölkerung von der politischen Willensbildung ausgeschlossen.  Jeder habe doch "die Möglichkeit, auf das demokratische Spielfeld zurückzukehren, dort aktiv zu werden und wirksam zu sein". Vorbedingung sei nur die "gemeinsame Haltung aller Demokraten: Freiheit, Verantwortung, Gemeinschaftssinn, Vernunft, Augenmaß."

Eine große, eine weitere große Rede ist das, die den Extremisten ihre Grenzen zeigt. Steinmeier steht für eine bürgerliche Politik, wie sie seit vielen Jahren Vertrauen aufbaut und Zusammenhalt stiftet. Während Extremisten ausweichen, nennt er "machbare Lösungen", die das Leben der Menschen  verbessern. Verborgen in wolkigen Worten verstecken sich elementare Gegensätze einer Präsidentschaft, über deren Nachfolge noch nicht entschieden ist. 

Eine Frau soll es sein, eine Mehrheit muss sie finden und einen muss sie, was aus Steinmeiers Sicht mitten in der Mitte gespalten ist, weil die Linke "unliebsame Äußerungen pauschal als rechtsextrem" diskreditiert und  an der Brandmauer rüttelt, indem sei jede Debatte um Migration und Sicherheit zu verhindern suchten. Steinmeier ruft denjenigen zu: "Wir lassen nichts liegen. Wir verschweigen nicht, wo gehandelt werden muss. Tatsächliche Probleme gehen wir an!"

1 Kommentar:

  1. Der letzte BuPrä, der es wenigstens versucht hat, war wohl der Köhler. Der Rest....

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