![]() |
| Wehrwilligkeit und Siegesgewissheit sind weiterhin vorhanden. Abb: Fritz Reipert, 1940, 40 Pfg. |
Im Sommer 2024 entscheid sich der Ukraine-Krieg. Ein Markus Becker hatte im "Spiegel" ein Ultimatum gestellt. "Der Westen muss klären, ob er zum Krieg gegen Putin bereit ist", stellte er zweieinhalb Jahre nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine klar, an welcher Wegscheide die Welt steht. Alle 18 Sanktionspaket hatten nichts gebracht.
Die Waffenhilfe für die Ukraine war kein Gamechanger gewesen, nicht nach der Lieferung von Helmen, nicht nach dem Transport der ersten Leopardpanzer an die Front. Nicht einmal, als Schwerewaffen freigegeben wurde und auch nicht, als den Verteidigern amerikanische Raketen zur Verfügung gestellt wurden.
Keine Eskalation
Was blieb jetzt noch? Außer all in oder einem Verhandlungsfrieden? Joe Biden im Weißen Haus und Olaf Scholz in Berlin, Emmanuel Macron, die EU-Spitze und die Nato entscheiden sich für das Prinzip Hoffnung. Keine Eskalation. Keine Verhandlungen. Weiter so ohne Ausstiegsoption.
Vielleicht, diese Möglichkeit gab Zuversicht, geschieht ein Wunder. Vielleicht stirbt Putin, der zumindest in deutschen Medien schon lange als todkrank galt. Vielleicht wird der Kremlherrscher des Mordens auch müde. Vielleicht gehen ihm doch noch die Soldaten aus, die Panzer, die Geschütze und die Munition.
Das mörderische Ringen
Selbst der 30-jährige Krieg hat nicht ewig gedauert. Er ging nach fünf Jahre andauernden Friedensverhandlungen zu Ende, im dritten Anlauf, nach zwei zuvor gescheiterten Friedensvereinbarungen. Das Wissen darum, wer das mörderische Ringen mit rund acht Millionen Todesopfern gewann, ist heute weitgehend verlorengegangen. Schweden bekam Teile Norddeutschland. Frankreich das Elsass. Schweden verlor später alles wieder. Frankreich auch, doch es holte sich das meiste zurück. Verlor es erneut. Und bekam es nach knapp 400 Jahren doch wieder.
Die Geschichte ist mit den Geduldigen. Die Landkarte Europas ist ein Tagebuch beständiger Grenzverletzungen, Gebietsverluste, Zugewinne und Eroberungen, die wieder verlorengingen. Polen, heute der Wachstumstiger unter den schwächelnden EU-Wirtschaften, existierte die meiste Zeit seiner Historie nicht. Litauen, ein Zwergstaat, der die Suwalki-Lücke bewacht, war einst eines der mächtigsten Reiche des Kontinents. Ein Teil Russland war 700 Jahre lang deutsch. Ein Teil der Ukraine ist seit elf Jahren russisch, nach 300 Jahren unter Herrschaft der Osmanen und 200 unter der des russischen Zaren.
Nichts ist für die Ewigkeit
Alles ist im Fluss. Nichts ist für die Ewigkeit. Doch eingegraben in festungsgleich ausgebaute Stellungen verharrten Russland, die Ukraine, Europa und die USA die ersten drei Jahre nach Russlands Angriff auf die Ukraine lang in ihren Maximalforderungen. Putin betonte, Russland werde nicht eher ruhen, bis die Ukraine für immer geschwächt, zu einer Pufferzone zwischen Ost und West degradiert und ihrer Ambitionen auf eine Nato-Mitgliedschaft beraubt worden sei. Das freie Europa forderte den Rückzug Russland hinter die Grenzen von vor 2014, Reparationen und einen Verzicht auf alle weiteren imperialen Ambitionen. Die USA hielten sich raus. Joe Bidens Probleme waren ganz andere.
Mit Donald Trumps Einzug ins weiße Haus aber endete diese Zeitenwendezeit ohne Zeitenwende. Erschrocken musste Europa konstatieren, dass der neue Präsident die Verantwortung für die Fortführung des Krieges an die übertragen würde, die die Ukraine stets am lautesten als die vordersten Verteidiger des freien Europa gerühmt hatten. Die Bilder von der Befehlsausgabe in Washington gingen um die Welt.
Von zwei auf über fünf über Nacht
Es dauerte nicht einmal 48 Stunden, bis der letzte Politiker in Europa verstanden hatte, dass die Vereinigten Staaten es ernst meinten. Zwischen Sonntagabend und Mittwochmorgen erhöhte Deutschland seine Militärausgaben von unter zwei auf über fünf Prozent des BIP. Die Entscheidung fiel ohne Parlamentsdebatte, ohne begleitende Talkshowauftritte, ohne Absprache mit den Nato-Partnern und ohne Rücksicht auf Haushaltszwänge.
Dem politischen Berlin schwante, dass sich etwas geändert hat. Der Aufschlag in der Realität war brutal. Das Erwachen aus dem Traum, immer nur tun zu können, was man will, nie aber tun zu müssen, was getan werden muss, hatte verfassungsändernde Wucht. Es machte aus Pazifisten Bellizisten. Aus Wehrdienstverweigerern Männer, die es in den ersten Graben zieht. Und aus der grünen EU-Kommissionspräsidentin eine olivgrüne, deren "Green Deal" Platz machen musste für die Vision vom "stählernen Stachelschwein".
Rückzug von der Ostfront
Auch das aber war nur ein Moment. Bis heute verweigert sich der Großteil der Verantwortungsträger in Europa und Berlin stur allen naheliegenden Schlussfolgerungen aus dem von Trump erklärten Rückzug von der Ostfront. Nur in der kruden Logik der Bundesregierung ergibt es einen Sinn, die volle Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr für das Jahr 2035 anzustreben, wenn man gleichzeitig mit einem russischen Angriff im Jahr 2029 rechnet. Nur in der strategischen Mathematik der gesamten europäischen Verteidigungsfamilie wird ein Einlenken der Russen immer wahrscheinlicher, je geringer die Aussichten der Ukraine werden, den Angreifer eines Tages mit militärischen Mitteln wieder aus dem Land werfen zu können.
Abstimmung mit den Füßen
Trumps "sogenannter Friedensplan" (Tagesschau) ist der Versuch, den Krieg zu beenden, ehe Putin ihn beendet - sei es in zwei, sei es in drei oder in zehn Jahren. Große Teile der ukrainischen Bevölkerung selbst sind der Verteidigungsanstrengungen längst überdrüssig. Seit Präsident Wolodymyr Selenskyj jungen Männern unter 24 die Ausreise aus der Ukraine wieder gestattet hat, strömen so viele zehntausende demnächst Wehrpflichtige ins sichere EU-Europa, dass selbst Bundeskanzler Friedrich Merz schon öffentlich forderte, die betreffende Altersgruppe in der Ukraine festzuhalten.
Die jungen Ukrainer stimmen mit den Füßen ab. Die Westeuropäer überstimmen sie. Trumps neuerlicher Friedensvorschlag ist nicht nur in Berlin wie eine Kriegserklärung angekommen. Nachdem sich die EU entschlossen hatte, bis zum letzten Ukrainer weiterzukämpfen, kommt der einzig mächtige Verbündete mit dem Dolch im Gewand zu Besuch. Und wieder steht die Wertegemeinschaft vor einer Situation, die sie nicht kommen sehen hat, obwohl seit Trumps erstem Anlauf zu einer Beendigung des sinnfreien Schlachtens im Donbas die Gefahr in der Luft lag, dass der US-Präsident keine Ruhe geben wird.
Eine neue Kriegsbegeisterung
Aber Europa, Deutschland an der Spitze, hatte sich auf eine funkelnagelneue Begeisterung für Krieg und Militär eingegroovt. Das gemeinsame Bedrohungsgefühl würde die innere Einheit stärken. Rüstung die Wirtschaft retten. Eine kurze, aber knackige Wehrdienstzeit die schlaffe Jugend straffen und ertüchtigen. Der Chef von Rheinmetall wähnte sich dank der Rüstungsmilliarden schon im Wunderland. Bundeswehr-Inspekteur Christian Freuding verkündete, man sei jetzt schon bereit für den "Fight tonight, also den unmittelbaren Kampf." Er vertraue darauf, dass Deutschland "durch Hingabe und Innovationen kriegstüchtig werden" könne.
Der Eindruck täuschte nicht, dass es dem einen oder anderen nicht schnell genug gehen kann, endlich den Panzer zu satteln und zum Rückspiel gegen Russland anzutreten. Putin habe nur eine Wahl, verkündeten die derzeit noch kalten Krieger. Seine bedingungslose Kapitulation werde angenommen, zumindest wenn er sich zugleich bereit erkläre, die Ukraine auf eigene Kosten wiederaufzubauen.
Chaos und Rückzugsgefechte
Gegen die Erfolgsaussichten dieses einzigen Szenarios für ein Kriegsende, das europäische Politiker in den zurückliegenden dreieinhalb Jahren entwickelt haben, spricht die Lage an der Front. Chaos. Personalmangel. Rückzugsgefechte. Zuletzt dann noch die Korruptionsaffäre, die den ukrainischen Oberkommandierenden Selenskyj in einem für die USA rein zufällig sehr glücklichen Moment von einer zweiten Seite aus unter Druck setzte.
Mit seinem 28-Punkte-Plan droht Trump nun mit Frieden, auf Kosten der Ukraine, aber auch auf Kosten eines Europas, das sich kurz vor dem vierten Jahrestag des Angriffs auf die Ukraine endlich darauf eingestellt hatte, dass das alles ganz ernst und sehr viel wichtiger ist als Klimawende, Energieausstieg und Genderfragen. Wieder auf dem falschen Fuß. Und wieder keine Argumente außer dem, dass die US-Regierung zahlreiche Vorschläge gemacht habe, "die für Kiew nur schwer zu akzeptieren sein dürften".
Der Friedensfahrer als Verräter
Deshalb müsse Europa, eben das Europa, das die Friedensfahrt des ungarischen Staatschefs Viktor Orban noch als Verrat gebrandmarkt hatte, unbedingt mit am Tisch sitzen. Einer müsse ja auch, heißt es, die Position vertreten, dass die Realitäten auf dem Schlachtfeld keine Rolle bei den Vereinbarungen zur Beendigung der Kampfhandlungen und den vertraglichen Vereinbarungen zu einer sicheren Nachkriegsordnung spielen dürften.
Wieder nicht gefragt, ja, nicht einmal informiert worden zu sein, hat die Europäer getroffen. Unmittelbar nachdem er von einer womöglich nahenden Friedenslösung gehört hatte, brachte sich der deutsche Bundeskanzler als Friedensvermittler ins Spiel. Merz, bei seinem Vorstellungsgespräch bei Trump ein Mann ohne Mund, entdeckte plötzlich "den Friedensengel in sich" (Berliner Zeitung).
Putin zur Ablehnung zwingen
Gemeinsam mit den Kollegen der anderen Staaten, die die Ukraine bis zu einem Siegfrieden weiterkämpfen lassen wollen, arbeitet Deutschland jetzt hektisch an einem "Gegenvorschlag zu Trumps Ukraine-Plan" (Spiegel). Zugeständnisse an Russland sollen gestrichen werden. Klappt alles, besteht Hoffnung, dass Putin einen Friedensschluss erneut ablehnt. Die "Badekur" (Paul von Hindenburg), die Europa seiner angeschlagenen Wirtschaft mit Hilfe der Rüstungsbillionen gönnt, könnte weitergehen.
Argumente hat Wolodymyr Selenskyj geliefert, der in einer Ansprache an die Ukrainer von einer bitteren Wahl sprach. Sein Land werde seine "Würde oder einen wichtigen Partner verlieren", je nachdem, wie es sich entscheide. Die Ostgebiete aufgeben? Gegen Sicherheitsgarantien der USA? Aufbaumilliarden aus Moskau? Den Verzicht auf eine Nato-Mitgliedschaft? Oder weiterkämpfen bis zum Schluss, nur noch unterstützt von den EU-Staaten, deren Kampfbereitschaft mit jeder anstehenden Wahl in einem der Mitgliedsländer infragesteht?
Die Taktik aus dem Gaza-Krieg
Bis Donnerstag soll entschieden werden, hat Donald Trump bestellen lassen. Der amerikanische Präsident folgt mit der eiligen Terminsetzung der Taktik, die im Nahen Osten funktioniert hat. Europa hält auf gewohnte Weise dagegen. Alles müsse viel langsamer gehen, auch müsse unbedingt Platz für "einen eigenen Beitrag zum umstrittenen US-Friedensplan für den Ukraine-Krieg" geschaffen werden.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die letzte verbliebene bekannte FDP-Politikerin Europas, zeigte den Amerikanern die Konsequenzen auf, die ein Festhalten am "sogenannten Friedensplan" mit seinem Kurs auf einen "irren Diktatfrieden" haben würde. Eine Umsetzung werde "einzig und allein den Kriegsverbrecher Russland belohnen", "die Sicherheit weiterer Länder in Europa gefährden" und "die Nato zerstören". Dagegen müsse die Bundesregierung, "endlich Haltung zu zeigen" und der Ukraine "endlich alle Unterstützung liefern, die das Land zur Abwehr der russischen Angriffe benötigt".
Der sogenannte "sogenannte Friedensplan" im Detail hier.


Der Beitrag wurde gelesen und von Trump verstanden.
AntwortenLöschenhttps://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-treffen-schweiz-100.html"
"US-Präsident Trump hat seine Frist an die Ukraine, seinem 28-Punkte-Plan bis Donnerstag zuzustimmen, relativiert. Es sei nicht sein finales Angebot."
Da ist doch Dank fällig an die beteiligten Redaktionen für ihren aufopferungsvollen Einsatz im Sinne der gerechten Sache!
AntwortenLöschenJa, spottet mein', aber der Name "Markus Becker" riecht nun einmal nach Knoblauch.
AntwortenLöschenSchon Lutz-Ferdinand Céline wusste: "Sie sind überall!"