Freitag, 21. November 2025

Tief im Digital: Gipfel der Illusionen

EU digitale weltmacht Digitalgipfel KI CDU 
Deutschland hebt ab: Mit dem 5. Digitalgipfel überwindet Europas stärkste Volkswirtschaft den Schock des Bühnensturzes von Digitalminister Peter Altmaier bei der Premiere der Zukunftsveranstaltung  vor sechs Jahren.

Deutschland hebt ab, nach nur einem Digital-Gipfel. Vorbei ist es mit Europas Abhängigkeit von der US-Techindustrie und ihren neuerdings überwiegend stockkonservativen Tech-Bros. "Wir können auch ohne euch", haben Bundeskanzler Friedrich Merz und sein französischer Kollege Emmanuel Macron nach ihrer Zusammenkunft mit den Giganten der deutschen High-Tech-Branche Richtung Washington, Seattle und Houston signalisiert.  

Acht Jahre nach dem Startschuss 

Noch sind Behörden und Firmen in der EU vollständig auf Programme, Chips und Geräte der großen amerikanischen Konzerne angewiesen. Aber die Beschlüsse des deutsch-französischen Gipfels in Berlin lassen keinen Zweifel daran: Acht Jahre nach dem europäischen Digitalgipfel von Tallinn, auf dem die EU-Staats- und Regierungschefs der EU 2017 beschlossen, die EU zur "digitalen Weltmacht" zu machen, geht es los. Der damals gefällte Beschluss, dass sich die 27 Mitgliedsstaaten "den Weg in die Gigabit-Gesellschaft bahnen" werden, steht wie in Stein gemeißelt.

Bis hierher war er allerdings  nicht einfach zu gehen gewesen. Erst ging es gar nicht richtig los. Dann stürzte Peter Altmaier 2019 auf dem historischen Digitalgipfel in Dortmund beim Verlassen der Bühne. 2021 wurde klar, dass sich Deutschlands Digitalstrategie von den Folgen nie erholt hat. Nachfolger Volker Wissing musste ganz von vorn starten, aber das ging nicht "analog". Digital aber ebenso wenig. Als die EU dem Ampelkabinett dann mit dessen Unterstützung auch noch eine vertrackte KI-Regulierung zwischen die Füße warf, pausierten die Bemühungen um technische Selbstversorgung. 

Die Zeit lief lange davon 

Erst sollten eigene Chips her, zuvor aber eigene Chipfabriken. Dann eine Kapitalunion und neue Fördertöpfe für smarte Gründer*innen. Beschlüsse selbst aber, wenn auch viele und gefällt auf allerhöchster Ebene, produzieren nichts. Das mussten EU-Kommission und Bundesregierung einmal mehr erfahren. Die Zeit lief davon, alle anderen wurden immer schneller, der dicke Dampfer Europa aber kam kaum noch hinterher mit seinen Versuchen, wenigstens die gröbsten selbstgemachten Schäden an der Hightech-Fassade zu verspachteln und mit einem frischen optimistischen Anstrich zu übertünchen.

Dann aber ging alles ganz schnell. Wo Peter Atmaier damals stellvertretend für Angela Merkel "die zweite Welle der Digitalisierung" zu "Europas Chance" erklärt hatte, kündigt diesmal Kanzler Merz selbst "erste Schritte zu mehr digitaler Souveränität an". Der Kontinent hat nichts, er kann nichts, er verfügt weder über Know How, Personal oder Patente. Auch die eigenen Cloud-Dienste, deren Bau und Betrieb Altmaier einst ausgerufen hatte, existieren bisher nur im Labormaßstab. Große Kunden wie die Bundeswehr haben sich inzwischen auf Jahre hinaus Trumps Freunden ausgeliefert. Selbst die immer noch teilstaatliche Deutsche Telekom liegt mit den Monstern aus Übersee im Bett.

Gipfel Nummer 5 

Aber der neuerliche Digitalgipfel, es ist wohl Nummer 5, schaffte es, aus nichts alles zu machen. Das Weltraumkommando der Bundeswehr wird Deutschland künftig auch im All verteidigen, obwohl es weder über Raumschiff noch über Raketen verfügt. Die erste "Weltraumsicherheitsstrategie" der Bundesregierung hat es so bestimmt. Genauso bestimmt das Primat der Politik, dass die fatale Abhängigkeit von Amerikas Technologien samt Donald Trump und seinen Tech-Bros von einer "digitalen Souveränität" abgelöst wird. Warum? Warum denn nicht. Alle machen das. Wie? Weil es so beschlossen ist.

Vom Altmaier-Schock hat sich Deutschland erholt. Doch die Details zum Umstieg sind noch geheim. Wie beim Energieausstieg soll der genaue Pfad im Gehen entstehen. Beim Gipfel wisperte es von eigener Software, eigenen Betriebssystemen, europäischen Handys. 

Auch um Altmaiers Cloud-Dienste ging es, auf deren Daten nur noch europäische Behörden Zugriff haben sollen, sobald es sie gibt. Dazu europäische Künstliche Intelligenz (EU-KI), ein volkseigenes X und ein eigenes Facebook, ein BrEUssel-Tiktok und ein europäisches Google. Das zu erfinden, hatte der frühere Klimawirtschaftsminister Robert Habeck längst vorgeschlagen.

Die Dinge kommen in Gang 

Aber erst jetzt, zehn Jahre nach der Entwicklung Websuche Open Web Index als mächtigem europäischen Gegenmodell zu Google, kommen die Dinge wirklich in Gang. Beim Digitalgipfel in der deutschen Hauptstadt ging alles ganz schnell. Die ersten 18 hochkarätigen Technologiepartnerschaften zur Entwicklung eigener KI-Anwendungen wurden in Berlin sofort abgeschlossen. Bei den Teilnehmern dieser Koalition der Willigen steht Europa im Wort: Die beim sagenumwobenen Gipfel in Tallinn versprochene  "tiefgreifende Überprüfung des derzeitigen Steuersystems", um eine Besteuerung von ausländischen Internet-Unternehmen als "Rückkehr zur Fairness" anpreisen zu können, steht noch aus. 

Hier muss viel passieren, um den einheitlichen europäischen digitalen Markt besser abzuschotten, den es nach Erkenntnissen von EU-Präsidentin Ursula von der Leyen immer noch nicht gibt. Seit Monaten schon traut sich die EU-Kommission nicht mehr, das Thema weiterzuverfolgen. Ursula von der Leyen hat Angst, dass Donald Trump seine Drohung wahrmachen könnte, europäische Sondersteuern für US-Konzerne  sofort mit neuen Zöllen auf europäische Importe zu beantworten. 

Wollen ohne Können 

Wie also weiter? Nach vorn, nach vorn! Europa will, aber es kann nicht unabhängiger von den USA werden. Europa würde gern, aber es kann nicht ohne Laptops, Route, Handys und Chips aus China existieren. Die größten Unternehmen, die in Berlin mit ihren bekannten Namen den Schein eines ernstgemeinten Aufbruchs in die Unabhängigkeit wahren mussten, waren SAP und das französische KI-Start-up Mistral

SAP, vor 52 Jahren gegründet, ist Deutschlands größter Technologiekonzern. Er ist nicht einmal ein Zehntel so groß wie Alphabet, vor 17 Jahren gegründet. Mistral, Europa größte KI, bringt es auf einen Firmenwert von sechs Milliarden Euro. Für EU-Europa ein Riese. Gemessen an Anthropic, einem von vielen US-KI-Start-Ups, das seit der letzten Finanzierungsrunde 180 Milliarden auf die Waage bringt, ist der Stolz Frankreichs noch deutlich kleiner als SAP verglichen mit Alphabet, Meta oder Microsoft.

So souverän 

Beim "Zentrum für Digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung" (ZenDis), einer schlanken bundeseigenen GmbH, die in den zwei Jahren ihrer Existenz vier Geschäftsführer verschlissen hat, wird der Gegenangriff auf die amerikanischen Giganten koordiniert. Während die 30 Mitarbeitend*en des ZenDis mit "OpenDesk" eine Office365-Alternative zusammenbastelten, die "in den meisten Fällen alles recht gut funktioniert" (Golem), stehen sie in den Startlöchern für noch Größeres. 

Der "zentrale staatliche Akteur für Digitale Souveränität in Deutschland" bricht mit seinen Produkten - neben "OpenDesk" gibt es auch noch die Appbibliothek "OpenCode" - kritische Abhängigkeiten auf, einfach "durch das Teilen von Code, Wissen und Erfahrungen". Die Plattform liefert damit nach Aussagen des Zentrum für Digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung" nichts weniger als "die Basisinfrastruktur für eine souveräne Softwarelieferkette".

Das digital verwaltete Deutschland ist ein Spiegelbild der titanischen Anstrengungen der 30 Tapferen beim ZenDis. Die Digitalisierung schreitet hier schon seit fast 15 Jahren rasch voran: 2011 verkündete der heute längst vergessene Innenminister Hans-Peter Friedrich den Aufbau einer konzernunabhängigen Bundescloud an.  2015 wurde ihr Start vom Bundeskabinett als Maßnahme im Rahmen des Programms "IT-Konsolidierung Bund" beschlossen. Nur ein Jahr später bekam das Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund) den Auftrag, loszulegen. Und 2018 bekam das private Stuttgarter Unternehmen Nextcloud - weltweit mehr als 100 Mitarbeiter in mehr als 20 Ländern - die Aufgabe übertragen, das zu übernehmen.

Uploadfilter gegen Meinungsfreiheit 

Der CDU-Politiker Axel Voss würde sich mehr Institutionen wünschen, die wie der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag direkt auf die staatlichen Plattformen und zu den staatlichen Programmen wechseln. Voss, bekanntgeworden durch seinen großen Einsatz bei der Einführung von Uploadfiltern und der Gelassenheit, mit der er auf die Gefahr reagierte, dass "deshalb die Meinungsfreiheit auch mal eingegrenzt wird", sieht nur Vorteile.

Wie viel einfacher wäre es doch, an Daten von Verdächtigen zu gelangen, wenn dazu nicht erst aufwendig Bittschreiben an US-Konzerne gesendet werden müssten! Die es gelegentlich auch noch ablehnen, die erwünschten Auskünfte zu erteilen. Die Quote von 84 Prozent erteilten Auskünften  bei den zuletzt 55.000 Auskunftsersuchen an Google, sie könnte viel höher sein.  

"Democratic Tech Alliance"

Voss gehört der "Tagesschau" zufolge mittlerweile zu einer Gruppe von Europaabgeordneten, die sich parteiübergreifend einer "Democratic Tech Alliance" angeschlossen haben. Die wirbt auf ihrer Webseite derzeit mit dem Aufruf "Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur adipiscing elit. Ut elit tellus, luctus nec ullamcorper mattis, pulvinar dapibus leo" für Mitglieder, die "MEP name surname" heißen. An europäische Datenschutzvorgaben sind die nicht gebunden: https://democratic.technology hat weder ein Impressum noch wird ein Verantwortlicher benannt, es gibt keine Telefonnummer und keine Datenschutzerklärung. 

Muss auch nicht. Denn  die europäischen Digitalsouveränisten haben ihre Domain sicherheitshalber über den US-Dienstleister namecheap.com reservieren lassen. Immerhin gehört aber die Contabo GmbH, die die Seite hostet, nicht mehr dem brexitbritischen Finanzinvestor Oakley. Sondern der US-amerikanischen  Beteiligungsgesellschaft  Kohlberg, Kravis, Roberts, in Deutschland bekannter als die Heuschrecke KKR. Voss wünscht sich auch vom EU-Parlament ein solches Signal in Richtung der großen US-Unternehmen: "Wir können auch ohne euch."


11 Kommentare:

  1. Lorem ipsum... Habe ich gleich mal übersetzt. Ich wußte gar nicht, daß ich noch so gut Latein konnte, nach so vielen Jahren. Für die Schule lernt man eben, nicht fürs Leben.

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  2. soweit ich weiß ist es in der sogenannten brüssler übersetzung ein aufruf, gegen den amerikaner zu den digitalen waffen zu greifen

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    1. Aber das haben wir doch längst. TSMC bekommte fünf Milliarden deutsches Steuergeld für ein Werk in Dresden mit 2000 Arbeistplätzen und Technolgie von 12nm aufwärts. TSMC beherrscht inzwischen 2-3nm. Das wird also eine Traktorenfabrik mit 2,5 Mio Staatsmitteln pro Arbeitsplatz oder 62500 Euro jährlich über 40 Jahre.

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  3. Lorem ipsum... also ich lese da:

    Auf, Kinder des Vaterlands,
    der Tag des Ruhms ist angebrochen!
    Gegen uns ist der Tyrannei
    blutiges Banner erhoben!
    Hört ihr in Feld und Flur
    das Brüllen der grausamen Krieger?
    Sie kommen bis in eure Arme,
    eure Söhne, eure Frauen zu ermorden!


    Na wenn da mal nicht morgen der Verfassungsschutz klingelt.

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    1. Das: Qu’un sang impur abreuve nos sillons! - ist aber wirklich hübsch. So viel Verachtung für die Soldaten des Gegners, daß ihr schmutziges Blut zum Tränken der Äcker gerade gut genug sei, wurde selten "gedichtet".

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  4. So einen langen Text über Digitalisierung und Souveränität zu schreiben ohne Dorothea Bär zu erwähnen.
    Das geht gar nicht. Sie hat so viel geleistet für die europäische digitale Autonomie in ihrer engen Lederkorsage.

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    1. Komm, komm, vor zwanzig Jahren war die schon was zum Angucken! Immerhin kann sie ein Theaterschwert halten.

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  5. Bloß gut, dass Fefe das nicht mehr mit ansehen muss. Oder lebt der noch?

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    1. Besser für ihn wäre, er müßte sich das ansehen. Nach einem halben Jahr Abwesenheit und der letzten Nachricht, er werde sich nach der Reha melden, sieht es echt nicht gut aus für ihn. Ein Schlaganfall mit derartig langer Nachsorge ist der worst case.

      Özgür Kesim @oec@infosec.exchange
      https://infosec.exchange/@oec/115197761052887711
      Neuigkeiten von Fefe: Er wird von den Pflegekräften zärtlich "el comandante" genannt und hat sich auf der Reha-Kirmes eine Freifahrt im Rollstuhl geschossen. Soll ich euch mitteilen 😅.

      Update: ich vergaß zu erwähnen, dass er im Flur dann laut "Freiheit!1!!" gerufen hat und immer noch auf die Revolution wartet.

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  6. >Ein Schlaganfall mit derartig langer Nachsorge ist der worst case.

    In der Tat shit. Hab immer gern auf seinen 'bad takes' rumgetrampelt.

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    1. Setz dich ans Ufer und siehe zu, wie die Kadaver deiner Feinde vorbei treiben.

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