Mittwoch, 4. Juni 2014

Vergessen per Formular: So löschen Sie sich richtig aus

Gut zwei Wochen nach dem wegweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs für mehr Vergessen auch im Offline-Alltag hat die Bundesregierung ein Verfahren für Löschanträge vorgestellt. Das Bundesblogampelamt (BBAA) schaltete jetzt ein Formular frei, mit dem man die Entfernung von unliebsamen Erinnerungen aus den Köpfen von Familienmitgliedern, Freunden, Bekannten und Fremden verlangen kann.

Die Antragsteller müssen die Forderung zu jedem zu beseitigenden Hirninhalt begründen und die Kopie eines Ausweises zum Bundesblogampelamt hochladen, um einen Missbrauch der Funktion durch Dritte, die eventuelle noch benötigte gute Erinnerungsinhalte löschen lassen wollen, um Menschen zu schaden, zu vermeiden. Das BBAA werde jede Anfrage individuell prüfen und zwischen den Datenschutzrechten des Einzelnen, dem Recht der Erinnerungsinhaber auf individuelle Hirninhalte und dem Recht der Öffentlichkeit auf Auskunft und Informationsweitergabe abwägen, hieß es.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte entschieden, dass Europas Bürger es nicht dulden müssen, dass sich Dritte an unangenehme Dingen aus ihrer Vergangenheit erinnern, mit Hilfe dieser Erinnerungen als Zeitzeugen auftreten oder nachkommenden Generationen immer wieder wie Opa vom Krieg erzählen. Wer solche Informationen, die von anderen als unangenehm empfunden werden, besitzt, müsse die Verweise aus seiner Erinnerung entfernen, wenn dort enthaltene Informationen das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz einer Person verletzen.

Das BBAA macht keine Angaben dazu, wie lange die Bearbeitung der Anträge auf Löschung von Erinnerungsinhalten dauern könnte. Die Behörde im mecklenburgischen Warin habe bereits einige tausend Anfragen erhalten, sagte ein Sprecher. Sie müssten nun aber erneut über das neue Formular gestellt werden. Gelöscht werden können durch Mitarbeiter der Behörde nur Erinnerungsinhalte von EU-Bürgern sowie von Isländern, Norwegern, Lichtensteinern und Schweizern - nicht aber die etwa von EU-Ausländern aus Drittländern.


Anleitung für den Antragsteller
1. Geben Sie Ihren Namen oder den Namen der Person an, die Sie vertreten.

2. Fügen den zu löschenden Erinnerungsinhalt in das Formular ein, hier empfiehlt es sich, möglichst konkrete Erinnerungsinhalte anzugeben: Der bekannt gewordene Seitensprung, der im Rausch verursachte Verkehrsunfall, bei dem ein Kind zu Schaden kam, oder die gescheiterte Statdratskandidatur für die NPD sollten möglichst detailreich geschildert werden. Es können auch mehrere Zeugen angegeben werden, die über die Erinnerungen an den Vorfall verfügen.

3. Begründen Sie, inwieweit die Erinnerungsinhalte mit Ihnen in Verbindung steht und warum sie gelöscht werden soll. Hierbei reicht es, wenn Sie schreiben: Ist mir heute peinlich, ich liebe diese Frau nicht mehr, weil sie fett geworden ist, oder die NPD ist nicht mehr meine politische Heimat, ich bin jetzt bei der Linken.

4. Bestätigen Sie nun Ihre Identität mit dem Hochladen einer Kopie Ihres Ausweises.

5. Bestätigen Sie die Korrektheit Ihrer Angaben.

6. Senden Sie das Formular ab.


Nachdem Sie dieses Formular eingereicht haben, wird Ihr Antrag mit allen zugehörigen Informationen an den zuständigen Datenschützer beim BBAA und an das Bundesinnenministerium weitergeleitet. Zudem werden in einem zweiten Schritt die Erinnerungsbesitzer, die über die von Ihnen zur Löschung beantragten Inhalte verfügen, aufgrund Ihrer Beschwerde benachrichtigt.

BBAA-Chef Herrfried Hegenzecht warnte indes vor negativen Folgen des EuGH-Urteils. Unter anderem könne es der nächsten Generation von Geschichtsdokus schaden, sagte er der „Financial Times“. „Ohne Zeitzeugen muss vielleicht die gesamte Vergangenheit jeweils neu erfunden werden", warnte er, "aber das ist natürlich kein Problem für das ZDF.“ Er befürchte auch, dass die verordnete Demenz ein ermutigendes Signal für Regierungen sein könnte, die Zensur weiter auszubauen.

Das BBAA richtet derzeit einen Beirat ein, der die Behörde beim Umgang mit dem Problem beraten soll. Dem Beirat gehört unter anderen der Begründer der Hitler-Dokus, Guido Knopp, an, der die EuGH-Entscheidung scharf als Schritt in Richtung Zensur kritisiert hatte. Vieles anderes sei für die Umsetzung des Urteils noch unklar - zum Beispiel, nach welcher Frist die Erinnerungen auf welchem Weg aus den Köpfen von Familie, Freunden, Bekannten und unter Umständen auch völlig Fremden gelöscht werden sollten, sagte ein Sprecher. Das BBAA rechnet damit, dass strittige Fälle vor Gericht kommen werden.

(dpa)

Mehr zum Thema in der FAZ: Im Reich des geordneten Vergessens

2 Kommentare:

  1. Staatlich verordnetes Alzheimer, warum nicht.

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  2. gibt es das Antragsformular auch in einfacher und gerechter Sprache ?

    der Sepp

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