Sonntag, 8. Dezember 2019

Kampf gegen verbale Gewalt: Jetzt geht es Schwätzern an den Kragen

Seit Jahren schon ist es die verbale Gewalt am Bildschirm, die Deutschlands Zukunft fast so dramatisch bedroht wie Klimanotstand, ausbleibende europäische Lösungen und US-Präsident Donald Trump. Trotzdem dauerte es fast so lange wie der Bau des Berliner Flughafens, ehe die Politik sich zu raschen und entschiedenen Schritten entschloss. Zehn Jahre nach der - damals noch unter der Wahrnehmungsschwelle der Öffentlichkeit gefeierten Eröffnung des Bundesblogampelamtes (BBAA) im mecklenburgischen Warin ist es nun aber endlich soweit: Mit dem neuen "Medienstaatsvertrag" genannten Regulierungspapier für sämtliche Internetinhalte und einer umfassenden Meldepflicht für Verdachtsfälle von verbaler Gewalt greift die große Koalition gegen Hetzer, Hasser, Kritikaster, Zweifler und Passgänger durch.

Facebook, Twitter und YouTube müssen sogenannte "Hakenkreuzbilder" und Morddrohungen künftig nicht nur löschen, sondern über eine automatisierte Schnittstelle mit der Absender-IP-Adresse, Vertragsdaten zum DSL-Anschluss, Personalausweiskopie, Bürozeiten des Täters und alle gespeicherten Daten aus dessen Social-Media-Profilen direkt an das Bundeskriminalamt melden. Darauf haben sich Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) geeinigt, so dass das entsprechende Meldeverfahren womöglich bereits im kommenden Jahr auf Länderbene vereinbart werden kann. Betroffen wären nach einem Bericht des "Spiegel" ganz konkret sogenannte "Hakenkreuz-Postings", also Interneteinträge, die das Wort "Hakenkreuz" enthalten. Dazu kämen Morddrohungen, volksverhetzende Inhalte und "vieles mehr", wie der "Spiegel" schreibt. Was genau gemeint gewesen sein soll, werden dann die ersten Urteile vor Sondergerichten für verbale Gewalt zeigen.

Flankiert werden soll die Initiative "Meinungsfreies Netz" durch einen neuen Medienstaatsvertrag, der umfassende staatliche Prüf- und Lizensierungsrechte für Medienanbieter im Internet einführt. Nach dem Fall Relotius, der offenbar hatte, in welchem Ausmaß vermeintlich seriöse Nachrichtenseiten im Netz Desinformation verbreiten, behält sich der Staat künftig das Recht vor, Anbieter vorab zu prüfen. Dazu müssen Nachrichtenseiten, Blogs, Meinungsposter und Forumsschreiber bei der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt eine Zulassung beantragen, die bei mangelnder Zuverlässigkeit auch verweigert werden kann.

Bisher gab es keine Aufsicht, die für derartig fragwürdige Angebote zuständig war, so dass sich ein Wildwuchs breitgemacht hat. Von Twitter über Facebook bis zu diversen Meinungsseiten schreibt jeder, was er will, selbst Menschen, deren moralische Fragwürdigkeit sich aufgrund ihrer geistigen Positionierung schnell offenbart, verbreiten beinahe ungestört ihre Ansichten und verfolgen damit eine "meinungsbildende Absicht mit publizistischen Charakter" wie der neue Medienzensurvbertrag formuliert. Das wäre künftig genehmigungspflichtig. Die parallel zu den bekannten Meinungsfreiheitsschutzabteilungen im Bundesblogampelamt arbeitenden Gesinnungsgenehmigungsbrigaden wären hier zuständig, nach geltendem EU-Recht demnächst sogar weltweit.

Um zu überprüfen, ob Anbieter*inninnen dies einhalten, setzt der Medienstaatsvertrag auf Hausbesuche sogenannter "szenekundiger Beamter". Überdies müssen sich Anbieter zwangsweise einer Organisation der Freiwilligen Selbstkontrolle anschließen, die dann als Meinungs-TÜV prüft, ob allgemeinverbindliche Regeln der Darstellung der Regierungspolitik eingehalten werden. Weigert sich ein journalistisch-redaktionelles Internetangebot, wird die jeweilige Landesmedienanstalt automatisch selbst zuständig. Sie kann widerspenstige Kritiker abmahnen und deren Sichtbarkeit über Suchmaschinen zugunsten gesellschaftlich nützlicherer Konkurrenten einschränken lassen. Erst in letzter Konsequenz stände ein Verbot.


4 Kommentare:

  1. Danke für die Aufklärung zu diesem Thema. Die Fortschritte der Meinungskontrolle = Aushöhlung der Meinungsfreiheit laufen auf mehreren verschiedenen Ebenen zugleich. Neben den staatlichen sozusagen "Basisschritten" sind die Aktionen diverser, offiziell staatsferner, Organisationen und "Bewegungen" wirksam, die wiederum ein beträchtliches Potential privat initiativ handelnder, gutmeinender ("idealischer") Menschen auslösen. Das durfte ich kürzlich selbst erleben.
    Das Äußern einer freien Meinung wird umstandslos als faschistisch oder zumindest als faschistische Positionen unterstützend denunziert.
    Siehe auch hier: https://opablog.net/2019/12/05/darf-opablog-eine-vernuenftige-aktion-von-afd-abgeordneten-eine-vernuenftige-aktion-von-afd-abgeordneten-nennen/

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  2. Keine Frage, die Realität hat die Satire schon zügig eingeholt und befindet sich weiterhin auf der Überholspur. Wir nähern uns beträchtlich dem "Bonmot" aus Idi Amins Mund:
    "There is a freedom of speech, but i cannot guarantee a freedom after speech"
    Immerhin werden wir "after speech" nicht mit Macheten zu Krokodilfutter verhackstückt, aber immerhin werden schon lange bestimmte Meinungsverbrechenstatbestände nach §130 mit Haftstrafen geahndet, eben weil vorgegebene Hass- und Hetze-Kriterien nicht unter 'freier Meinung' gemäß §5 GG subsumiert werden.
    Der abschließende Satz "Erst in letzter Konsequenz stände ein Verbot." müsste dann wohl umgeschrieben werden zu "Letztlich in erster Konsequenz stände ein Verbot, Schlimmeres könnte folgen ..."
    Wenn der Hass justitiabel wird und nicht die Taten des Hasses, dann hat die höhere Moral ausgesorgt und die Gedankenkontrolle durch Selbstverzicht bzw. "Gedankenscham" den wahren humanistischen Olymp des proklamierten Weltethos erklommen.
    Und genau das wollen wir im Interesse unserer eigenen psychischen und physischen Gesundheit doch alle, oder? ...

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  3. Damit werden diese angeblichen "privaten Firmen", die jeden beliebig sperren können, zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft. Unglaublich, gilt eine Anzeigepflicht bisher doch nur für
    geplante
    schwere Straftaten.

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  4. War das jetzt noch Satire oder ist das schon die Realität? Manchmal habe ich echt Probleme noch auf der Höhe der jeweils aktuellen Einschränkung unserer Freiheitsrechte zu bleiben. Typisches alter weißer Mann Problem eben.

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