Montag, 27. April 2020

Pandemie-Poesie: Corona-Blues

Anfangs war noch Hoffnung, denn das neuentdeckte Corona-Virus war nicht zwangsläufig lebensbedrohlich (Watson). Experten dachten darüber nach. Corona-Kuren anzubieten.

Es ist ein blue feeling, das durch die Lande zieht wie Dreiton aus Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und dem Gefühl, nichts tun zu können. Bundespräsident und Bundeskanzlerin haben mehrere Reden gehalten, das Bundeskabinett hat Milliarden herbeigezaubert, die Virologen haben sich gestritten und zusammengerauft un der Bundesgesundheitsminister ist vom Maskenleugner zum Verfechter von "Alltagsmasken" (BWHF) konvertiert. Doch Stimmung will nicht aufkommen im Land der Volksfeste und Corona-Helden, indem viele weiter arbeiten gehen, als sei nichts gewesen, andere aber kurzarbeiten, als hätten sie wenigstens noch kurz etwas zu tun.

Helfen kann hier nur Lyrik, gern auch in Schüttelreimen, denn der Corona-Haiku ist die Tür in eine bessere Welt, in der sich Dinge so ordnen, wie der Mensch es will. Mit der völkerkundlichen Reihe Pandemie-Poesie hat das kulturwissenschaftlich engagierte Portal PPQ fast von der ersten Stunde der Suspendierung der Grundrechte im Namen des Gesundheitsschutzes eine Plattform bereitgestellt, die ein verbales Ventil für alle bietet, die die Angst vor einem Morgen, das es vielleicht nicht geben wird, in Verse gießen wollen, die  Infizierten und Nicht-Infizierten Trost und Zuspruch spenden.

Im "Corona Blues", den der aus Dänemark gebürtige Liedermacher und Singersongwriter Carl Ladeplads am Feldrain schrieb, während er mit der Künstlerinitiative "Artists for Harvest" bei der Suppengrünernte im Brandenburgischen Mittagspause machte, fallen alle Aspekte einer Spannungslage zusammen, die zwischen "Lockerung" (Laschet), "zu forsch" (Merkel) und "Impfpflicht" (Söder) nach dem Weg sucht, auf dem das fragile Gemeinwesens mit dem Virus fertigwerden kann.

Kantig und verloren scheinen diese wenigen Zeilen eines Mannes, der seine Heimat wegen eines Songs namens "What a prophet" verlassen musste, in dem er - nach Meinung toleranzresistenter ultraorthodoxer Islamisten - den Propheten Mohammed zu Unrecht schalt. Ladeplads, ein kundiger Typ, der seine Gitarre spielt wie ein Baggerführer, hat nie aufgegeben, sondern immer weitergemacht, denn irgendwann, so sagt er, solle sein erstes Album auf einem großen Label erscheinen.

Der "Corona Blues", den Ladeplads für den Weltmarkt noch in einer englischen Version bereitstellen will, wird mit Sicherheit an Bord diese von Fans schon heiß ersehnten Songsammlung des virtuosen Liederzählers aus Mern Sogn sein. Zumindest, wenn es dann noch so etwas wie einen Weltmarkt gibt.



Corona-Blues

Ich weiß nicht mehr, wie es war
und ich weiß nicht, wie es wäre
Ich weiß nicht, was ich würde
und ich weiß nicht, wer ich bin



Ich weiß nicht, was wir dürfen
ich weiß nicht, was ist noch erlaubt
ich weiß nicht, wer wir werden
ich weiß nicht, wer das glaubt


Ich weiß nicht, wann es endet
und ich weiß nicht, wie es begann
ich weiß nicht mehr, wohin wenden
und ich weiß, ich habe es so satt


Ich weiß nicht, was es soll
und ich weiß nicht, wer es will
ich weiß nicht, wen muss ich fragen
ich weiß, die Antwort bleibt still


Ich weiß, es ist höchste Zeit
und ich weiß, die Zeit ist vorbei
ich weiß, es ist viel zu tun
und ich weiß, dass es liegenbleibt


Ich weiß nicht, warum wir sehnen
wo ich weiß, dass kein Ausweg ist
ich weiß nicht, wohin wir gehen
wenn alles vergebens ist

10 Kommentare:

  1. >> "Lockerung" (Laschet)

    Heute in der Kaufhalle. Sagt man noch Kaufhalle? Jedenfalls so in etwa 12 Personen. Die Hälfte trägt Gesichtslappen. Einer, der der Vater von Laschet sein könnte, Brillenträger auch, trägt seinen exakt wie Laschet es vorgemacht hat, also auf halb bis drei Viertel acht, bzw. Viertel vor acht, wie es der Westdeutsche sagt.

    Behaupte niemand, Politiker werden nicht ernst genommen, seien kein Vorbild und taugen nicht als großer Medizinmann.

    Das Virus befällt vor allem den Rachen, sagten sie. Genau. Da kann man ja die Nase, wie sonst auch immer, keck in den Wind halten.

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  2. Der lachende MannApril 27, 2020

    Danke für die feinsinnige Unterscheidung drei Viertel acht vs. Viertel vor acht!

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  3. Naturbeobachtung: Maske mit Nase frei ist kein Vorrecht seniler Senioren, auch Mittdreißiger in Tommy-Hilfiger Lappen sind berechtigt.

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  4. die königsdisziplin ist viertel vor viertel von viertel vor dreiviertel zu unterscheiden

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  5. Man kann es sich nicht ausdenken. Einige offenbar doch.

    Orwell hat ein Kinderbuch geschrieben.
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    Fest steht auch: Am 4. Mai sollen in Niedersachsen Friseure wieder öffnen dürfen – unter strengen Voraussetzungen. Kunden werden nur bedient, wenn sie ihre Daten angeben, die von dem Geschäft drei Wochen lang gespeichert werden. Friseure müssen Mundschutz tragen und nach jedem Kunden die Hände desinfizieren.

    https://www.bild.de/regional/hannover/hannover-aktuell/maskenpflicht-haare-schneiden-friseure-muessen-kundendaten-speichern-70259792.bild.html

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  6. Der lachende MannApril 27, 2020

    @ppq Ein norddeutscher Freund von mir versäumte nie, die zugegeben nicht sehr exakte Zeitangabe "kurz vor um" zu bemängeln.

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  7. kurz vor um ist eigentlich exakt, weiß jeder, daß er den Bus noch kriegt

    Jetzt geibt es PPQ auch als Vorlesesoftware

    https://www.youtube.com/watch?v=8oY-h5xnLp0

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  8. In Süddeutschland heißt es auch Dreiviertelacht und Viertelacht.

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  9. ich finde kurz vor um sehr übersichtlich, einprägsam und genau orientierend

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