Freitag, 30. Oktober 2020

Terror in der Tagesschau: Der grüne Elefant

Seit 2015 gilt das eiserne Gesetz, die Dinge bloß ja nicht beim Namen zu nennen.

Es ist eine noch relativ neue Kunst im medialen Betrieb, inzwischen aber gilt sie als eine der am höchsten entwickelten, vergleichbar etwa mit japanischen Tee-Zeremonien und den für Außenstehende vollkommen unverständlichen Hammelsprung-Ritualen im Deutschen Bundestag. Fein abgewogen und mit einer Feder gezeichnet, die so dünn ist, dass sie unsichtbar schreibt, verstehen es die Meister des Faches, Nachrichten, Meldungen und sogar ganze Analysen zu verfertigen, die ihren Inhalt radikal leugnen. Den Besten des Faches gelingt es, zu schreiben, ohne zu schreiben, und zu berichten, ohne zu berichten.
 

Stammgast: Der grüne Elefant

 
Vor allem wenn der gute alte grüne Elefant den Raum betritt, der auch als "der, dessen Name nie genannt werden darf" bekannt ist, steht die Kunst des ohne Erwähnung gesagten Unsagbaren in höchster Blüte. Die amtliche deutsche "Tagesschau" beschäftigt gleich mehrere Meister der neuen Kunstform, die es verstehen, im Handumdrehen Textflächen zu entwickeln, die ihrer Gegenstand umkreisen wie ein Hütehund seine Herde: Alles dreht sich und alles bewegt sich um ein einzig' Ding. Dies Dinge aber will Weile haben und nicht erwähnt sein wie der aktuelle und jetzt schon klassische Beitrag "Frankreich: Tote bei Messerangriff" mit beeindruckendem Stilwillen vorführt. 
 
Die Sprachforscherin und Gebärdendolmetscherin Frauke Hahnwech, bei PPQ.li freiberufliche Solo-Selbstständige für vokale Trends und Übersetzungen aus dem Politischen ins Deutsche, hat die von einer Friedericke Hoffmann und einem Marcel Wagner produzierte Nachricht über den jüngsten islamistischen Terroranschlag in Frankreich analysiert und abgemessen.  Nachfolgend erklärt die 37-Jährige, mit welchen sprachmedizinischen Methoden hier gearbeitet wird und warum der staatliche Rundfunkbeitrag für so viel virtuose Informationsvermeidung gut angelegtes Geld ist.
 
Längst hat sich ein Muster gebildet, an dem entlang Medien Information imitieren und Politiker Trauer simulieren.  Wenn deutsche Medien über Terror im Namen des Islam berichten, kommen bestimmte Begriffe niemals vor. Zum Beispiel das Wort Islam.
 

Verantwortlich: Das Messer

 
"Bei einer Messerattacke in der südfranzösischen Küstenstadt Nizza hat es mehrere Tote und Verletzte gegeben", heißt es am Anfang, dann geht es weiter mit "die Pariser Anti-Terror-Staatsanwaltschaft übernahm die Ermittlungen." Soweit, so gut, möchte das Leser*in da meinen, denn Messerattacken gibt es zwar nachweislich nicht mehr als etwa 1987, aber sie kommen doch immer wieder vor. Dick wird es aber im nächsten Satz, der das Publikum unvermittelt und ohne Triggerwarnung mit dem Fakt konfrontiert, dass bei dem "Messerangriff" (Tagesschau) "drei Personen getötet worden" seien. 
 
Das teilte die Polizei mit, folgt dann wie bedauernd. Lieber wäre den Autoren wohl gewesen, man hätte das gar nicht so konkret erfahren. Kunstgriff: Nun ein kurzer Schwenk auf Medienberichte, denen zufolge "weitere Verletzte" gebe. Gut, denn das tröstet, wobei es sprachwirtschaftlicher Sicht eine Bezeichnung als "Überlebende" günstiger gewesen wäre - daraus hätte sich zweifellos die Möglichkeit ergeben, nahezu sämtlich Einwohner von Nizza als "überlebend" zu bezeichnen.
 

Informationen ohne Informationen

 
Aber weiter im Text, der dann auf den Schauplatz schneidet, den der "Nachrichtensender BFMTV", der hier als Quelle angegeben wird, offenbar exklusiv kennt. Der Nachrichtenanalyst sieht an solchen Details, wo fingerflinke Virtuosen zu Gange sind: Durch die Nennung möglichst zahlreicher unsinniger Informationen verliert der Lesende den Überblick darüber, welche Informationen unter den Tisch fallen.
Hier heißt es nun als nächstes "zwei Menschen wurden demnach in der Kirche getötet. Ein drittes Opfer floh, erlag dann aber seinen Verletzungen" schließt der Gedanke. 
 
Die Polizei habe geraten, "den Bereich zu meiden und nahm zu Einzelheiten zunächst nicht Stellung". Vor allem der Hinweis, der Bereich in Nizza zu meiden, ist für "Tagesschau"-Nutzer wichtig, erfühlt sich ad hoc einbezogenn und betroffen, auch, weil "Innenminister Gérald Darmanin einen Polizeieinsatz in der Innenstadt von Nizza bestätigte und eine Krisensitzung ankündigte".
 

Tat ohne Täter

 
Kurze Rückblende: Bis hierher ist es den beiden Autoren wie selbstverständlich gelungen, weder zur Tat noch zum mutmaßlichen Täter irgendeine Angabe zu machen. Auch der nächste Hinweis, dass  Staatspräsident Emmanuel Macron "sich unverzüglich zum Tatort begeben" wolle, hilft da nicht weiter, ebenso wenig, dass der Bürgermeister von Nizza getwittert habe, der mutmaßliche Täter sei festgenommen worden. Offenbar aus dem Tweet stammen die Angaben, dass der "Angreifer" (Tagesschau) bei der Festnahme verletzt und ins Krankenhaus gebracht worden sei und "nach ersten Kenntnissen allein gehandelt habe. 
 
Wärmer wird die Spur zum grünen Elefanten durch den ersten versteckten Hinweis: Dem Bürgermeister zufolge gleiche die Tat einem "terroristischen Anschlag", denn "ohne Zweifel" passe die Art und Weise zu dem Mord am Geschichtslehrer Samuel Paty vor wenigen Tagen. Auch diesmal seien "die Opfer auf entsetzliche Art getötet" worden. 
 

Geheimnisvolle Gesten

Bis hier hat jeder verstanden, worum es geht, ohne dass es gesagt oder geschrieben werden musste. Die Rechten! Die neuen Corona-Terroristen! Die Partyszene vielleicht. Quatsch. Ganz zart eingeflochten findet sich nun der Verständnistipp, der "Angreifer" (Tagesschau) habe bei seiner Festnahme mehrfach "Allahu akbar" ("Gott ist groß") gerufen und eine "Geste des Mannes habe keinen Zweifel gelassen".

Woran? Weshalb übernimmt die "Pariser Anti-Terror-Staatsanwaltschaft inzwischen in dem Fall die Ermittlungen". Nur wegen des Vorwurfs des Mordes "in Verbindung mit einem terroristischen Vorhaben"? Oder weil der französische Innenminister Darmanin bereits "mehrfach vor einer hohen Terrorgefahr im Land" gewarnt habe? Fragen ohne Antwort,. stattdessen wieder ein verschlüsselter Verständnistipp: "Erst vor zwei Wochen war ein Lehrer in einem Vorort von Paris brutal getötet worden. Das Verbrechen hatte im ganzen Land Entsetzen ausgelöst. Es waren Zehntausende auf die Straße gegangen, um sich solidarisch zu zeigen."

Solidarisch mit wem? Und über den Täter weiß man bis heute nichts? Nur bei der Tagesschau, oder überhaupt?

Prinzip der Informationsvermeidung

Das Prinzip wird deutlich. Es ist das der Informationsvermeidung, die der künftige SPD-Chef Kevin Kühnert erst kürzlich deklamatorisch beklagt hatte, um von sich selbst später sagen zu können, er habe das schon immer abgelehnt. Kühnert erregte Aufsehen dadurch, dass er das Wort "Islamismus" zehnmal in seinem Text unterbrachte. Was für eine Tat! Für einen Linken! Und das, obwohl nach dem Mord an Paty abgesehen vom pflichtschuldigen Trauertweet des Bundesaußenministers kein deutscher Spitzenpolitiker wenigstens die übliche tiefe Betroffenheit per patentiertem Tweet geheuchelt hatte.

Der "Islam", immerhin die "Religion", auf die sich alle Islamisten berufen, kam dagegen nur einmal vor. 

Geschickt versteckt in der Formulierung "halbseidene Hobbyislamforscher", denen Kühnert den Kampf gegen den Islamismus nicht länger überlassen will. 

2 Kommentare:

  1. Nach Paty waren 'Zehntausende auf die Straße gegangen, um sich solidarisch zu zeigen'. Voller Erfolg, denn nach bisherigen Meldungen waren die Opfer diesesmal keine Lehrer.

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  2. Martin Lichtmesz und Der_Jürgen im pfoinen Rittergut, sehr richtig:
    Es geht denen nicht um Meinungsfreiheit, was sie eben auch immer wieder unter Beweis stellen, sondern ausschließlich ums Stänkern. Probleme schaffen ohne Waffen (Klaus Rainer Röhl ??).

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