Donnerstag, 28. Dezember 2023

Bilder des Jahres: Romantische Rebellin in Regenjacke

Der Kampf ist ein ungeheurer: Dem Haar des Mädchens ist jahrelange gute Pflege bei den besten Friseurinnen anzusehen, doch im Endkampf der Klimazeit hängt es strähnig herunter.

Sie hassen die Alten, die Wohlhabenden, die Vielfahrer, Pendler, Fernreisenden. Sie tragen Jeans aus dem fernen Osten, von Kinderhänden genäht. Sie trinken Kaffee aus Pappbechern, die nach einmaligem Gebrauch die Ozeane verpesten. Sie pilgern von Protestdemo zu Baustellenbesetzung und von Straßeneinsatz als lebendes Verkehrshindernis zur Klimakonferenz ins Warme. Ihre Ängste sind riesig, ihr Befürchtungen groß. Sie halten sich für die "letzte Generation", eine Gruppe von Auserwählten, die am Ende der Zeit berufen sind, das Schlimmste zu verhindern, indem sie Selbstmord aus Angst vor dem Tod begehen.  

Ein düsteres Kapitel Geschichte

Ja, sagt der junge Künstler Kümram, da sei ein düsteres Kapitel Geschichte geschrieben worden. Der Maler, der die zurückliegenden bewegenden Monate genutzt hat, um in seinem winzigen Atelier im Erzgebirge eine Serie großformatiger Werke zu schaffen, die er "Bilder des Jahres" genannt hat, ist überzeugt, aus Farbe, Licht und Schatten eine Tragödie unserer Tage gemalt zu haben.

Nicht der große Krieg im Osten, nicht der Terror in Arabien, nicht einmal des stete Zurückbleiben Afrikas und Alteuropas hinter dem Fortschritt in Asien und Nordamerika sei für die Protagonisten dieser sich im Aussterben wähnenden Jugend problematisch. "Sie schauen vielmehr nur auf sich und ihre gefühlten Probleme", schildert er. Als ganze Gruppe Kind geblieben, resultiere dann aus einer emotionalen Analyse ein frühkindlicher Reflex: "Es wird gegreint, gejammert und nach Erwachsenen gerufen, die das Aua wegmachen sollen."

Ein bereits vergessener Aufstand

Auf seinem epochalen Gemälde, das er "Romantische Rebellin in klimagerechter Regenjacke" genannt hat, stellt Kümram ein Mädchen in den Mittelpunkt, das all das in seiner Person vereint. Die Teenagerin trägt teure Wanderschuhe Made in Bangladesch, eine Marken-Regenjacke aus High-Tech-Stoff und von Kindern genähte pre washed Jeans. Sie lehnt sich sinnbildlich zurück, bemüht, das Gesicht gerade in die Kamera zu halten. Umgeben ist sie von nur halb sichtbaren, namenlosen Staatsbeamten, Bütteln des fossilen Regimes, die Waffen tragen und sich nicht darum kümmert, dass die renitenten Protestler Notwesten aus der fossilen Verkehrsgeschichte missbrauchen, um ihre Anklage gegen das System in Szene zu setzen.

Alle Bildelemente sind in beinahe naturgetreuen Farben dargestellt, die Heldin, ausgebildet in einem der prekärsten Bildungssysteme der bewohnten Welt, schlägt die Augen schamhaft nieder, denn sie fühlt die Schuld jahrhundertelang betriebener Natur- und Klimavernichtung auf ihren schmalen Schultern.  Ihre Ellenbogen stützt sie auf dem Asphalt ab, der - die vulkanisch glühenden Flecken deuten es an - heißer ist als in jedem Jahr zuvor. 

Ein ungeheurer Kampf

Der Kampf ist ein ungeheurer: Dem Haar des Mädchens ist jahrelange gute Pflege bei den besten Friseurinnen anzusehen, doch nun hängt es strähnig herunter. Ihr Kopf lehnt sich zur Seite, um nachzuschauen, ob der Kleber noch hält, der Überschwemmungen in Pakistan, Hunger in Ostafrika und Hitzewellen in Europa aufhalten soll. 

"Die Hysterie ist ein bewährtes Mittel der Diskursverschiebung", zitiert Kümram  den Terroristen Karl-Heinz Dellwo, der als Experte für den Umbau eines Gemeinwesens in eine formierte Gesellschaft gilt.  Kümram, der einst bekannt wurde durch seine zarten, immer sehr verliebt wirkenden Gemälde und Zeichnungen der ehemals hoch anerkannten Kanzlerin Angela Merkel, malt die Verzweiflung der Kinder und Jugendlichen, die ihren Eltern und Großeltern die Schuld an der Situation geben, als  klimaschädliche Rebellen, die bereit sind, den bittersten Preis zu zahlen: "Die Eltern sollen verzichten, ihren Wohlstand aufgeben, damit sie selbst später noch etwas zu konsumieren haben."

Abgewandter Blick

Kümrams Heldin wendet ihren Blick bewusst nicht dem Betrachter zu. Ihr Leiden an einer vermuteten Zukunft ist malerisch, hinter ihr liegt eine weitere Frau in einer Position, die eine Kapitulation anzudeuten scheint. Sie schaut den Maler an, eine frech blondierte Haarsträhne fällt ihr in die Stirn, reglos liegt sie da, niedergedrückt vom Knie eines Polizisten. Ihr Gesicht scheint ernst und angespannt, sie trägt keine Jeans, sondern eine taktische Einsatzhose, kombiniert mit schweren Wanderstiefeln. Die überwiegend verwendete Farbe im Bild ist natürlich ein tristes, bedrohliches Grau, aufgehellt mit Spritzern von Orange. Eine rote Farbigkeit wächst hinten links oben, dort, wo hinter dem schlichten Rahmen die ungewisse Zukunft beginnt.

Mittig zentral versteckt Kümram eine Botschaft: An schmalen Beinen in engen schwarzen Jeans sind dort ein paar Adidas-Turnschuhe zu sehen, traditionell Distinktionsmerkmal ernsthafter Demonstrationsteilnehmer. Hier verbirgt sich eine Reminiszenz an ein ikonisches Bild aus Friedenszeiten: 2017 begeisterte eine Heldin in Spandex-Hose und mit Adidas-Sneakers die Polizei bei den seinerzeit so wichtigen G-20-Protesten. Heute zitiert Kümram eben diese Szene, um aufzurütteln:  Im von ihm gewählten Farbkontrast von Grau und Orange bildet sich die gesellschaftliche Spaltung ab, die nicht zu akzeptieren ist, aber hingenommen werden muss.

Nazis und Verbrenner

Aufgeben ist keine Option. Die Bundesregierung muss handeln. Das Klima braucht Hilfe. Das Zwei-Grad-Ziel ist in Gefahr. Wir müssen. Gerade die, die nicht wollen. Es entsteht für den Betrachter tatsächlich der Eindruck, als würde er aus einer von Nazis und Verbrennern dominierten Gegenwart durch ein großen Holzfenster, symbolisiert vom Rahmen, nach draußen in eine Zukunft schauen, in der sich mutige Menschen dem Gang der Dinge entgegenstellen. "Für mich ist die Sache klar", sagt der Schöpfer des vier mal fünfeinhalb Meter großen Gemäldes, "die Radikalisierung dieses kleinen Teils der Jugend hat etwas Abenteuerliches und Romantisches - und das wollte ich kommenden Generationen zeigen."

2 Kommentare:

  1. Lets fuck shit up
    Whatever happened to revolution for the hell of it?
    Whatever happened to protesting nothing in particular, just
    Protesting because its Saturday, and there's nothing else to do?


    It's Saturday, King Missile 1992

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  2. Die Hysterie ist ein bewährtes Mittel zur Diskursverschiebung - kannste einen drauf lassen! Besonders zu einem gewissen Thema: Gerade wir, bei unserer Vergangenheit ...

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