Mittwoch, 10. September 2025

Hilferuf von der Hinterbank: Auf einmal wollen sie reden

Katrin Göring-Eckhardt hat in der DDR selbst miterlebt, wie ein sprachloser Staat in seinen letzten Tagen darum flehte, man möge doch bitte mit ihm sprechen. 

Erinnern Sie sich noch? An den schweren Schlag, den Deutschlands Dicherlandschaft hinnehmen musste, als ihre stärkste Verteidigerin aus dem Amt als Bundestagspräsidentin weichen musste? Der Traum vom Parlamentspoeten platzte. Die Vorstellung, dass deutsche Politik sich als erste weltweit von Bänkelsängern, Trompetern und Dichtern bei ihrem Tun beraten lässt, blieb unvollendet.  

Mit Ach und Krach und drei traurigen Prozent der Stimmen gelang es der Mutter der Idee vom Zirkus Bundestag, wenigstens sich selbst im Hohen Haus zu halten. Dort sitzt Kathrin Göring-Eckhardt seit heute wie schon immer in den vergangenen 27 Jahren. Doch im Unterscheid zu früher ist sie einfache Abgeordnete, kein Amt wuchs ihr zu wie früher, als sie nahezu allein den Ostflügel der Grünen bildete und deshalb immer überaus gefragt war. 

Abgeschoben aufs Altenteil 

Auch in der Partei haben sich die Machtverhältnisse zu Ungunsten der 59-Jährigen verschoben. Die Generation der Banaszaks, Brandtners, Dröges, Haßelmanns und Adretschs hat sich der alten Führungsriege nahezu vollständig entledigt. Auch für die Frau aus Friedrichroda blieb nur noch ein Platz auf der Hinterbank des Parlaments. 

Göring-Eckhardt hat ihre neue Rolle angenommen. Eine sichere Rente in der Hinterhand läuft sie sich nicht wie andere warm für die nächste Runde aus dem grünen Karrierekarussel. Doch auch die heillose Flucht nach Übersee, um bei Donald Trump Schutz vor der zornigen deutschen Öffentlichkeit zu suchen, kommt für die Thüringerin nicht infrage. 

Die letzte Oppositionelle 

Die letzte ehemalige DDR-Oppositionelle im Bundestag, noch vor der späteren Klanzlerin Angela Merkel Mitglied der in der später mit der CDU zur "Allianz für Deutschland" verschmolzenen Kleinstpartei Demokratischer Aufbruch, mahnt jetzt nicht mehr stellvertretende zweithöchste repräsentantin des Staates. Sondern auf eigene Faust: Schwuppdiwupp hat sie inmitten der turbulenten Monate zwiwschen Ampel-Krise, Ampel-Aus, Wahlkampf, Neuwahl und Wechsel auf die harten Oppositionsbänke ein Buch geschrieben. 256 Seiten, 23,99 Euro - trotz Inflation und Depression ist Göring-Eckhardts Werk kaum teurer als Heiko Maas' unvergessener Klassiker "Aufstehen statt wegducken".

Inhaltlich schreibt die Ostdeutsche jedoch ein ganz neues Kapitel: Wo der Sozialdemokrat 2017, auf der Höhepunkt seiner Macht als deutscher Außenminister, eine "Strategie gegen rechts" (Maas) entwarf, die auf Ausgrenzung aller "Demagogen und Extremisten im Biedermannkostüm" setzt und als letztes Mittel zur Verteidigung der offenen Gesellschaft das von ihm selbst erfundene "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" ins Spiel brachte, hat sich Katrin Göring-Eckhardt an eine Lektion aus der späten DDR-Zeit erinnert.

Als alles auseinanderfiel 

Als im Osten damals alles auseinanderfiel und selbst die führendsten Genossen sich gar keinen Rat mehr wussten, hatten sie sich plötzlich daran erinnert, dass "Miteinander zu reden und zu streiten wichtig ist", wie es Honecker-Nachfolger Egon Krenz am 18. Oktober 1989 in seiner Antrittsrede als neuer Generalsekretär der SED formulierte. Gerade der "Dialog", so Krenz, sei ein "notwendiger und ständiger Teil unserer politischen Kultur". Politik für die Menschen aller Klassen und Schichten lasse sich nur machen, "wenn man ihren Fleiß und ihre Lebenserfahrung, ihre Interessen und Bedürfnisse, ihr Urteilsvermögen, ihre Hinweise und ihre Sorgen täglich bewusst zur Kenntnis und zur Grundlage politischer Entscheidungen nimmt". 

Der Dialog, den die SED bis dahin eher als Monolog gepflegt hatte, "dient dem". Und im Dialog sieht nun auch Katrin Göring-Eckhardt den Ausweg aus dem Dilemma einer Zustandsbeschreibung, die just in diesen Tagen ihren 36. Geburtstag feiert. "In unserem Lande ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört", hatten die Initiatoren des Neuen Forum in der DDR am 10. September 1989 in ihren Gründungsaufruf geschrieben. 

Weitverbreitete Verdrossenheit 

Belege dafür seien "die weitverbreitete Verdrossenheit bis hin zum Rückzug in die private Nische und zur massenhaften Auswanderung". Diese gestörte Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft lähme "die schöpferischen Potenzen unserer Gesellschaft", man verzettele sich "in übelgelaunter Passivität" und der Interessenausgleich zwischen den Gruppen und Schichten funktioniere nur mangelhaft. "Auch die Kommunikation über die Situation und die Interessenlage ist gehemmt", klagten die Bürgerrechtler an, zu denen zu gehören Katrin Gröing-Eckhardt immer reklamiert hat. "Im privaten Kreis sagt jeder leichthin, wie seine Diagnose lautet und nennt die ihm wichtigsten Maßnahmen." Öffentlich aber wisse jeder, dass nicht alles gesagt werden dürfe.

Das Hauptanliegen des Aufrufs war das Einklagen eines demokratischen Dialogs "in aller Öffentlichkeit, gemeinsam und im ganzen Land". Das ist auch das Hauptanliegen von Katrin Göring-Eckhardts Buch, das nicht nur fordert "Deutschland, lass uns reden", sondern auch anbietet, seine Leser mitzunehmen auf "eine Reise durch die Seele der Republik", auf der "eine Politikerin die persönliche Begegnung mit den Bürger:innen" suche.

Ein Land, das einfach nicht funktioniert 

Und nicht irgendeine. Katrin Göring-Eckhardt steht mit ihrer ganzen Person für eine Politik, die jahrzehntelang agiert hat, als seien Politiker die Erziehungsbeauftragen ihrer Wählerinnen und Wähler. Die erste Frau im Reichstag, die nachweisen konnte, dass Nazis die Dresdner Frauenkirche zerstörten, schritt voran, als es galt eine Erklärung für das Ausbleiben des versprochenen "grünen Wirtschaftswunders" zu finden. Sie war es auch, die sich nicht scheute, den angesagten Aufbau des "Landes, das einfach funktioniert" mit einer vom "Tagesspiegel" veröffentlichten Talpredigt anzusagen. Und stattdessen mutig "für eine Kultur des Weniger" (Göring-Eckhardt) einzutreten. Weg mit der Wachstumslogik. Her mit "anderen Kriterien für ein gelingendes Leben". Sollen sie doch Brot essen.

Die Kultur des weniger setzt sich allmählich durch. Die Kaufkraft sinkt, die Wirtschaft lahmt, die Umsätze schwächeln. Für Katrin Göring-Eckhardt der rechte Moment, dem Angebot der SPD-Führung an die Bürgerinnen und Bürgern im Land, künftig besser zuzuhören, eine eigene Offerte entgegenzusetzen. Ohne Spiel eingepast in die neue grüne Strategie der Eckkneipengespräche und endlosen Bahnreisen durch ein "Land, das Reden muss" (Felix Banaszak), glaubt sie wie einst Egon Krenz, dass  "über die wichtigen Fragen nachgedacht und gesprochen werden" müsse. Und wie die SED-Genossen ganz am Ende der DDR spürt sie in sich einen dringenden Bedarf, mit allen zu reden - "miteinander zu reden, wirklich zuzuhören und dabei annehmen, dass der oder die andere auch Recht haben könnte".

Klare Grenzen 

Klingt nicht allzu grün und widerspricht der eingeschworenen Haltung der Partei, aus "demokratischer Verantwortung klare Grenzen" (Grüne) zu setzen. Katrin Göring-Eckhardt aber findet doch, das fehle "uns viel zu oft".  Ihr Angebot, nun doch "mit Deutschland "reden" zu wollen, hat sie in der Thüringer Allgemeinen vorgestellt: Fast ungefragt gibt Katrin Göring-Eckardt Auskunft über den Zustand des Landes, ihrer Partei und ihre Gefühle als "einfache Abgeordnete".

Die sind so anders nicht als früher im Olyp der Macht. "Ich habe immer auch Fachpolitik gemacht, bin in verschiedene Themen eingestiegen und habe auch jetzt wieder unterschiedliche Aufgaben, etwa als Sprecherin für Kultur und Medien meiner Fraktion im dazugehörigen Ausschuss oder auch im Europaausschuss", klärt sie über die Fülle ihrer Aufgaben auf. Sie habe zumindest "nicht das Gefühl, auf einer Hinterbank zu verschwinden". Lohn der Angst, lange um den Wiedereinzug in den Bundestag gebangt zu haben. Das aber sei nur so knapp gewesen und mit einem so ernüchternden Ergbnis gelungem weil sie "zur Wahl von Bodo Ramelow (Linke) mit der Erststimme aufgerufen haben, um eine demokratische Vertretung unseres Wahlkreises im Deutschen Bundestag sicherzustellen".

Am Ende siegt die Realität 

Politik besteht nicht nur aus der Erkenntnis, dass am Ende immer die Realität siegt, sondern daraus, sie bis dahin auch vor sich selbst verleugnen zu können. Katrin Göring-Eckhardt sieht sich mit irhem Ergebnis durchaus ausreichend demokratisch legitimiert. Ohne sie kein Bodo Ramelow im Parlament. "Ich wollte nicht riskieren, dass dieser Wahlkreis an die rechtsradikale AfD fällt", sagt sie.  die ihre eigenen Erfahrungen mit gesellschaftlicher Wut aufgeschrieben hat. In Dessau sei sie mal angeschrien worden. Ein andermal habe sie selbst Friedrich Merz von der CDU "Charakterschwäche" attestiert. 

Alle brüllen, niemand hört zu. Sie aber habe jetzt "bewusst mit Menschen gesprochen, die unterschiedliche politische und auch ganz andere Ansichten als ich haben", weil "die Gesellschaft das Miteinander-Sprechen verloren hat".

Blick auf die eigene Partei 

Wo? Und wodurch? Göring-Eckhartds Blick fällt offenbar unwillkürlich auf die eigenen Partei: "Es fällt vielen leichter, sich in der eigenen Blase zu verschließen, statt offen für andere Meinungen zu sein". Sie versuche neuerding, sich selbst zu sagen: "Der oder die andere kann auch recht haben". Als Politikerin mit Sendungsbewusstsein falle es schwer, zuzuhören. "Man hat die Sachen durchdacht, die man sagt. Man hat häufig sehr viele Informationen, die muss man haben, wenn man die Arbeit gut machen will." Und dann kommen einfache Leute mit ihrem Halbwissen. "In meinen Gesprächen zum Buch habe ich manchmal Dinge nicht gesagt, um nicht belehrend zu wirken."

Es hört ja auch auf der anderen Seite niemand mehr zu. Der erhobene Zeigefinger, nach der Sonnenblume das zwiete Parteilogo der Grünen, steht aus Sicht von fast 90 Prozent der Bürger für Abgehobenheit, Bevormundung und einem Drang, immer gerade das nach einem großen Plan verändern zu wollen, das wenigstens noch halbwegs funktioniert. Die "wunden Stellen unseres Landes" (Göring-Eckhardt) sehen aus der Berliner Draufsicht aus wie immer "Wärmepumpen und Gendern; Geflüchtete und alte weiße Männer; Kriegstreiber und Pazifisten, Schwurbler und die Woke-Kultur" - obwohl seit Jharen gesagt wird, was davon sehr gut und was gar nicht gut ist, fehlt den Menschen das Vertrauen, es so hinzunehmen.

"Feindbilder prägen unsere Debatten", fasst die Frau zusammen, die einmal Theologin hatte werden wollen, dann aber  Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde. Die Grünen hätten nie für Verbote gestanden, die kämen von CDU und CSU. 

5 Kommentare:

  1. Ach Karin. Das 'miteinander Reden' mit den Ökoinvestoren und den WEF- und Soros-'Stakeholders' haben die Grünen sicher nicht verloren. Und sei es um drei Ecken über Graichen-Seilschaften.
    Es redet bloß keiner mehr mit DIR.

    OT Kunstkritik (via Anmerker)
    https://www.youtube.com/watch?v=MmjPcNBxbk0&t=5963s
    Vom lauen Gesäusel abgesehen würde mich die Starwars-Ästhetik jeden Pfennig bereuen lassen, den man dafür hätte ausgeben sollen.

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  2. So, so, wenn Sie an der Macht sind diktieren sie und auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit signalisieren sie ganz groß Gesprächsbereitschaft. Diese Form deutscher Demokratiekultur kann weg.

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  3. Aus dem gleichen Intelligenzstall.

    „Die Ukraine muss russische Waffenfabriken zerstören dürfen“, sagt Anton Hofreiter
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    Äh, das darf sie doch. Was will der?

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    1. Und dem russischen / chinesischen Vorsitzenden der Entmilitarisierungs-Spruchkammer wird der Anton dann erklären, daß er als Grüner immer Pazifist gewesen sei - was man schon an seinen langen Haaren hätte erkennen können, als sie noch nicht so versengt waren.

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  4. sätze mit muss UND dürfen, da hat er mich natürlich sofort, der toni.

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