Sonntag, 2. November 2025

Der elektronische Phallus: Die Marktschreier des Marxismus

Die frühe Künstliche Intelligenz war bereits deutlich schlauer als viele heute agierende menschliche Intelligenzen.

Sie wissen nichts, können aber auf alles antworten. Sie haben keine Ahnung von dem, was sie sagen, liegen aber allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit nach meist richtig mit dem, was sie als wahr ermittelt haben. Im Unterschied zu echten Glaubenskriegern, die die Wirklichkeit so sehr hassen, dass es ihnen gelingt, sie komplett auszublenden, sind ihnen die Folgerungen egal, die sich aus ihren Schlüssen ergeben.

Während ein Mann wie der "Zeit"-Kommentäter Mark Schieritz noch eine Zehntelsekunde vor dem Aufprall in der Realität behaupten wird, der freie Fall sei das natürliche Habitat einer jeden Volkswirtschaft, ist die Künstliche Intelligenz nicht interessiert daran, eine eigene religiöse Überzeugung zum Maßstab ihrer Bewertung zu machen.  

Sie interessiert sich für die Fallgeschwindigkeit, den Gegenwind und die Struktur der mutmaßlichen Aufschlagstelle, prüft die Wahrscheinlichkeit noch möglicher Rettungsmaßnahmen und vermag daraufhin auf die Frage zu antworten, welche Überlebenschance Schieritz hat - samt seiner blickdichten Augenbinde.

Vorausschau durch die Augenbinde 

Das Problem dabei ist nicht der Umstand, dass Schieritz immer falsch liegt, die Künstliche Intelligenz aber gelegentlich nicht ganz richtig. Das Problem ist, dass bei letzterer niemand von außen herausbekommen kann, warum es so ist, wann und inwiefern. Mark Schieritz` Verlässlichkeit ist um Dimensionen größer als die selbst der am höchsten entwickelten Algorithmen: Der 51-Jährige bedient sich schon so lange einer Methode der strikten Fehlwahrnehmung, dass er wie eine stehengebliebene Bahnhofsuhr funktioniert. 

Es kann sein, dass der Blick aus Weltfremdenhausen auf einen Ausschnitt der Wirklichkeit fällt, der so wahrgenommen wird, wie er sich tatsächlich darstellt. Die Regel aber ist eine Überinterpretation des zu Erkennenden im Sinne des tief im Inneren selbst Gewünschten.

Wie andere führende Repräsentanten der Haltungsökonomie nützt Schieritz der Gesellschaft auf seine Weise. Er blamiert sich, wird verhöhnt und ausgelacht, erfüllt damit aber zuverlässig seine Aufgabe als Kontraindikator. Sagt Schieritz A, ist B richtig. Beharrt Fratzscher auf C, kann nur D korrekt sein. Und sobald Höfgen sich für E einsetzt, macht niemand etwas falsch, der F bevorzugt. Das ist bekannt, das ist für die Mehrzahl der Menschen sicher abzuschätzen. 

Marktschreier des Marxismus 

Nur suchen inzwischen weit mehr Bürgerinnen und Bürger Rat und Hilfe bei der Künstlichen Intelligenz als bei der fehlenden der Marktschreier des modernden Marxismus. Das ist insofern problematisch, als jeder wissen kann, dass und weshalb die Riege der Lautsprecher des Sozialismus immer schiefliegen. Niemand aber zu sagen vermag, wann eine KI korrekt antwortet und wann sie nur in Teilen richtig Auskunft gibt. 

Irgendetwas rattert darin. Strom fließt durch Halbleiter und Spannung vibriert in Seltenen Erden, so ungefähr läuft der Prozess ab, an dessen heutzutage Ende Reise-, Routen- und Lebensplanung, Depotoptimierung, Krankheitsdiagnose und Heilmittelempfehlung stehen. 

Die KI als Wahlomat fürs ganze Leben - in ihrem dystopischen Buch "Hausgemachte Katastrophen" haben Kit Pedler und Gerry Davis schon vor mehr als 50 Jahren beschrieben, vor welche unlösbare Aufgabe die Menschheit sich gestellt sieht, wenn sie eine "sich in ihrer eigenen Komplexität suhlende Maschine" erschaffen hat, "die verzweifelt versucht, ihre Brauchbarkeit angesichts ihrer eigenen, von Menschenhand geschaffenen Unzuverlässigkeit zu erhalten". Die "Maschine", das war damals ein Personalcomputer mit der Rechenkraft eines Kopfhörers von heute, zu wenig selbst für die damals noch bescheidenen Ansprüche. 

Der rechnende Dinosaurier 

Schon der erste Rechner sei ein Dinosaurier gewesen, schlussfolgern Pedler und Davis, beider erfolgreich geworden als Drehbuchautoren für die Fernsehserie "Doctor Who". Die Evolution geht immer in eine Richtung, bis diese sich als falsch herausstellt - Microsoft-Gründer Bill Gates hat einen solchen Wegpunkt gerade öffentlich ausgerufen. Pedler und Davis lassen einen ihrer Protagonisten das große Ganze erklären: "Die großen Echsen wuchsen zu riesigen Monstren, hatten aber nur ein winziges Gehirn. Nun, ein kleines Gehirn mit langsamem Reaktionsvermögen kann einen solch riesigen Körper, wie den des Dinosauriers, nicht steuern. So musste das arme Vieh ein zweites Gehirn auf dem Rücken entwickeln – doch auch das war nicht genug. Sie wälzten sich im Dreck, und schließlich starben sie aus, da sie nicht mehr steuerbar waren." 

Deshalb "Dinosaurier-Effekt", heißt es weiter: "Wir stellen mehr und mehr komplizierte Maschinen her, und sie werden mit Sicherheit immer unzuverlässiger." Dazu kommen die Fehler, die zwischen dem Operator und der Maschine auftreten und - am Beispiel der Riege der Kontraindikatoren ist das gut zu sehen - wie eine Informationsblockade wirken. Bei einer Rechenmaschine, wie sie sehr viel früher genutzt wurde, ist die Fehlerherstellung transparent: Der Operator schiebt seine Kugeln hin und her und er stellt Berechnungen an und wenn er einen Fehler, so kann er das Innere der Maschine – die aufgereihten Kugeln – vor sich sehen. Er ist in der Lage, seinen Fehler sofort zu erkennen und ihn umgehend zu korrigieren, denn außer ihm selbst ist niemand da, der etwas falsch gemacht haben könnte. 

Jede Art Weltuntergang 

Mit dem Computer, so sorgten sich die beiden von jeder Art Weltuntergang begeisterten britischen Snobs Ende der 80er Jahre, ändert sich alles. "Sie stellen sehr schnelle Berechnungen an, Berechnungen, die wir mit dem Kopf niemals anstellen könnten, so ausdauernd wir dies auch versuchen würden." Das aber bedeute, dass von Rechnern erteilte Auskünfte etwa zu Wechselbeziehungen von komplizierten Variablen als zutreffend hingenommen würden. "Wenn die Maschine falsch berechnet, können wir die Fehlerquelle nicht sehen wie bei den Kugeln", schreiben die beiden Erfinder der Serie "Doomwatch"

Allenfalls zu lokalisieren würden sie sein, aber auch nur "in der ersten und zweiten Maschinengeneration". Absehbar aber war, dass die "Technologie von heute ein unersättlicher Moloch" ist. Jeder Entwickler sage sich, "meine letzte Maschine hat Berechnungen in x Sekunden erstellt, nun will ich sie so konstruieren, dass sie das in der Hälfte von x Sekunden macht". Das gelinge dann auch, "nicht, weil irgendjemand das wirklich benötigt, sondern weil es ein sehr gutes Verkaufsargument ist", glaubten die beiden SF-Autoren den Grund für die Entwicklung immer "kompliziertere und viel kleinerer Rechenelemente"  entdeckt zu haben. "Zuerst hatten wir die monolithischen Blöcke, jetzt haben wir die mikromonolithischen, und so weiter."

Auskünfte der Maschinen 

1971, Richard Nixon war US-Präsident, Willy Brandt bekam den Friedensnobelpreis und Erich Honecker putschte seinen Ziehvater Walter Ulbricht aus dem Amt, sahen die beiden Weltuntergangsliebhaber Davis und Pedler eine vielversprechende Zukunft kommen. 

Wenn Erfinder gezwungen seien, "sich neue Wege ausdenken, um die Leistung seiner Maschine zu erhöhen, nur um allen voraus zu sein, und so greift er auf das menschliche Gehirn zurück, um zu sehen, ob er nicht kleine Tricks kopieren kann, und er entdeckt, dass die Maschine lernen kann", glaubten sie. Daraufhin fange er an, "Schaltkreise einzubauen, damit die Maschine lernen kann – das heißt, er verbessert die zukünftige Leistung als ein Resultat der vergangenen Erfahrung". 

Der einzige Preis, der zu zahlen sein werde, vermuteten die beiden Briten vor einem halben Jahrhundert, sei die Sache aber vielleicht nicht wert. "Dieses Streben nach höchster Leistung geht auf Kosten der Zuverlässigkeit". Jedermann werde "wie wild" versuchen, "die letzte Unze an Arbeit aus den Schaltsystemen herauszupressen" und hier beginne das Risiko: Der Mensch werde sich dennoch auf die Auskünfte der Maschinen verlassen, deren Wahrheitsgehalt er ja ohnehin nicht mehr prüfen könne. 

Der elektronische Phallus 

"Es gibt Umstände, bei denen ein Fehler zwei nach sich zieht, aus zwei werden dann vier, und so weiter", lassen Pedler und Davis einen besorgten Wissenschaftler über die neue "Art mechanischer Geistesgestörtheit" sagen, die sie voraussehen, wenn Computer zum "elektronischen Phallus" – einem technologischen Statussymbol.

Samt aller Folgen: "Als Spezies werden wir unglaublich faul und geben mehr und mehr von unseren eigenen Funktionen an die Mechanik ab." Das sei so verlockend und gemütlich, dass die Entwicklung niemanden mehr beunruhigen werde, schließlich führe sie dazu, dass Computer gemacht würden,  "die so verdammt gut sind, dass wir nicht einmal deren Fehlerquellen mehr erkennen können". Ein halbes Jahrhundert später ist es wirklich so weit gekommen. 

Wirklich Verlass ist nur noch auf die, die immer falsch liegen.

5 Kommentare:

  1. Olle Gates hat vor seiner Ankündigung mit Sicherheit ein paar Optionen platziert, die sich in satte Milliönchen verwandelt haben, nachdem er seinen Sinneswandel durch die Agenturen posaunt hat.
    Hat er bei seinen impfstoff-bezogenen 'Shares' bekanntlich auch gemacht.

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    1. Tja, das Letzte, was die wirklich Mächtigen dem Publikum verkünden, sind ihre wahren Absichten. So funktioniert das System nun mal.

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  2. "Die großen Echsen wuchsen zu riesigen Monstren, hatten aber nur ein winziges Gehirn ... ... ... nicht mehr steuerbar waren." --- Nichts jetzt gegen den Artikel sonst, es passt schon alles. Nur, dass die Dinos aus dieser Ursache ausgestorben wären, ist seit Jahrzehnten gründlich widerlegt.
    Schorsch Cuvier (1769 - 1832) lag mit seiner Katastrophentheorie gar nicht so daneben ...

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  3. "Dieses Streben nach höchster Leistung geht auf Kosten der Zuverlässigkeit"

    Das kann, wer seit etwa einem Jahr zu übersetzen versuchte, oder nach was auch
    immer gegurgelt hat, nur grimmig bestätigen. Es läuft nach dem Motto, wozu einfach, wenn
    es umständlich auch geht. Und beim Übersetzen wird von vorhandenen Homonymen das
    jeweils falscheste gewählt.

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  4. das wussten die doch aber damals noch nicht

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