Montag, 17. April 2017

Doppelpass: Erdogans deutsche Fankurve

Bittere Erkenntnis für deutsche Medienmacher: Monatelange klare Ansagen gegen Erdogan trieben die Auslandstürken in die Arme des Despoten.
Noch ist unklar, ob Recep Erdogans Versuch, die türkische Demokratie nach französischem oder amerikanischen Vorbild zum Präsidialsystem umzubauen, wirklich "das Ende der türkischen Republik" bedeutet, wie der "Spiegel" glaubt. Deutlich zu sehen ist allerdings: Dort, wo Menschen abstimmen durften, die nicht nur Zugang zu den von Erdogan gelenkten türkischen Staatsmedien hatten, sondern "Spiegel", "Stern", "Zeit" und "SZ" lesen und deutsches Fernsehen genießen durften, sprachen sich deutlich mehr Wähler für Erdogans Vorschläge aus als daheim in der Türkei.

Deutsche Propaganda versagt


Dort stimmten 51 Prozent für die Verfassungsänderung, in Deutschland dagegen 63 Prozent. Dabei hatten Blätter wie die Süddeutsche ("Jetzt müssen die türkischen Bürger Erdoğan stoppen" und Danachrichtensendungen wie die "Tagesschau" mit Berichten über Erdogans "Säuberungen" (Tagesschau) nie einen Zweifel daran gelassen, wie der gute deutschtürkische Doppelpassbesitzer abstimmen muss.

Nur die dankbaren Gastarbeitersöhne und -Töchter haben sich nicht daran gehalten. Als sei die doppelte Staatsbürgerschaft mit geteilter Loyalität für Großvaters Wurzeln und das eigene Geburtsland nicht ein Geschenk, das Deutschlands weitsichtigste Politiker der Welt gemacht haben, votierten sie auch deutscher Sicht konservativer, reaktionärer, antidemokratischer und europafeindlicher als ihre daheimgebliebenen Halblandsleute. Ein Ergebnis, das sich in den anderen westeuropäischen Ländern mit türkischer Community wiederholt hat: Nur in Spanien und der Schweiz verlor Erdogan seine Abstimmung.

Jonglierte Nazikeulen


Woran kann das liegen? Bewirkte das mediale Trommelfeuer aus Anti-Erdogan-Propaganda wie schon im Falle Trump das Gegenteil des Bezweckten? War die Aufregung um Böhmermann und Yücel, waren die viertausend Türkei-Talkshows, die Papierberge voller Warnungen vor dem Untergang des Morgenlandes einfach zu viel? Oder noch zu wenig? Trieben die Vergleiche von Vergleichen, jonglierten Nazikeulen, das störrische Beharren darauf, dass nur die deutsche Wahrheit wirklich wahr ist, dass sich die gut integrierten Besitzer von Zwei- und Drittpässen, von Schalke-Dauerkarten und kommunalen SPD-Mandaten in rheinischen Parlamenten aus Trotz abwanden?

Und wenn es so wahr, wir werden es nie erfahren. Denn noch in der Nacht von Erdogans Sieg, der auch ihre Niederlage war, wandten sich die großen deutschen Blätter ab. Sie erklären den Sieg ihres Feindes jetzt einfach zu dessen Niederlage. Er ist damit ihr Triumph. Und was für einer.


3 Kommentare:

  1. Aha, es sind keine Deutschtürken, Deutsche mit Migrationshintergrund oder türkische Deutsche mehr, sondern in Deutschland lebende Türken:

    https://twitter.com/tagesschau/status/853718605309112321


    Adebar

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  2. Lest das hier

    http://www.achgut.com/artikel/zusammen_fuer_den_islamismus_den_chauvinismus_und_die_todesstrafe

    und wiegt Euch weiter in der Illusion einer geteilten Loyalität.

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  3. Carl GustafApril 18, 2017

    Ich habe hin und wieder das Gefühl, dass das ganze Türkei- und Orient-Wissen eines durchschnittlichen Spiegel-, SZ- oder auch ZEIT-Journalisten vornehmlich von den Erzählungen von T.E. Lawrence und weniger von historischen und gesellschaftlichen Fakten geprägt ist.
    Dabei hat sich selbst der gute alte Marx lang und breit über das Phänomen des orientalischen Despotismus ausgelassen. Dass dessen Ursachen und Erscheinungsformen auch in der heutigen aufgeklärten und zivilisierten Zeit noch nicht der Vergangenheit angehören, wäre doch des einen anderen Atikels durchaus wert gewesen.

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