Mittwoch, 30. April 2025

Tempolimit: Längere Fahrzeit, geringere Standzeit

Ein strenges Tempolimit könnte der Stein der Weisen sein, der die Mobilwende voranbringt.

Die deutschen Verkehrsministernden der vergangenen Jahre kamen immer wieder aus anderen Parteien, nahezu jede politische Farbe durfte sich an der Aufgabe versuchen, Deutschland Mobilität zukunftsfest zu machen. Die einen setzen auf einen langsamen Verfall der Infrastruktur, die andere auf Prämien, der die hart arbeitende Mitte denen zahlte, die sich schon eines der teuren Elektromobile leisten konnten. Ein Tabu aber blieb über alle Wechsel im Amt: Kein einziger der roten, gelben und schwarzen Reformer wagte sich an das Tempolimit, dem Wissenschaftler zutrauen, fast so viel CO2 einsparen zu können wie ein deutschlandweites Haustierverbot.

Furcht vor dem Autofahrer

Verschiedene Parteien, unterschiedliche Ideologien. "Doch egal, ob Schwarz-Gelb, Rot-Grün, Schwarz-Rot oder die Ampel regierte, in einem Punkt waren sich alle einig: Tempolimit ohne uns", schildert Herbert Haase die dramatischen Fehlentwicklungen im deutschen Verkehrssektor. Die heilige Kuh der Deutschen, dieses letzte Symbol einer verlorengegangenen Freiheit, es scheint eine Ewigkeitsgarantie zu genießen wie früher Meinungsfreiheit und das Recht, den Staat aus seinen privaten Entscheidungen heraushalten zu dürfen.

Ja, die Politik scheue das Tempolimit wie der Teufel das Weihwasser, sagt Haase, der als Gründungsdekan und langjähriger Chef des Climate Watch Institutes im sächsischen Grimma mehrere Jahre zur Frage tragfähiger Argumente für die Einführung einer Höchstgeschwindigkeit zur Stabilisierung der Höchsttemperatur in Deutschland geforscht hat.

Wie kann eine Limit helfen?

Der Klimapsychologe und sein Team sind schließlich ausgerechnet dort fündig geworden, wo bisher noch niemand nachgeschaut hat. "Wir haben uns einfach die autoversessenen Deutschen vorgenommen und gefragt, wie könnte ein Tempolimit denen helfen?" Haase hält das für den einzigen Weg, zu einer Lösung zu kommen. "So lange die Autofahrer nicht mitziehen, werden Politiker immer fürchten, an der Wahlurne abgestraft zu werden."

Zwar sei es nur ein Mythos, dass die Bevölkerung ein Tempolimit ablehne, doch bei den knappen Wahlentscheidungen, die in allen gespaltenen Gesellschaften des Westens die Regel geworden sind, können ein paar hunderttausend Autofahren schon über künftige Koalitionen entscheiden. "Leider hat die Politik so lange mit der Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung gewartet, dass der Überraschungseffekt einer überrumpelnden Einführung wie bei der plötzlichen Umsatzsteuererhöhung unter der ersten CDU-SPD-Regierung Anfang der 2000er jetzt nicht mehr umzusetzen ist." 

Schlimmer als Badewannen

Haase und sein Team setzen deshalb an einer unerwarteten Stelle an: Derzeit stehen private Autos etwa 90 Prozent ihrer Lebenszeit nur herum - ähnlich wie Badewannen, die auf noch höhere Stillstandszeiten ohne Nutzung kommen. Während die vor der Energiepreiskrise vielgenutzten privaten Badestellen aber einfach nur da seien, verursachen Fahrzeuge Anschlussprobleme. 

"Sie brauchen Parkplätze, die sind durch die Aufmotorisierung und den klimagerechten Rückbau der Städte vielerorts schwer zu finden." Nach dem Vorschlag aus dem CWI ausgerechnet ein Tempolimit, wie es Umfragen zufolge selbst die Mehrheit der ADAC-Mitglieder herbeisehnt, hier gleich zweifach Abhilfe schaffen: "Einerseits erhöht sich bei langsamer Fahrt die Fahrzeit, andererseits ist jedes Auto dadurch länger unterwegs, so dass es viel kürzer geparkt blieben muss."

Win-Win-Lösung

Eine Win-Win-Lösung, glaubt Herbert Haase. Im Gegensatz zu Greenpeace-Aktivistenden, die seit Jahren eine allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 130 oder 120 Kilometern pro Stunde fordern, setzen die Forscher aus Sachsen aber auf strengere Regeln. Ein Tempolimit sei aus wissenschaftlicher Sicht nur dann sinnvoll, wenn die erlaubte Höchstgeschwindigkeit auf 20 oder höchstens 30 Kilometer pro Stunde begrenzt werde, sagt Knut Knoth, der in der Abteilung Klimamathemathik für die Berechnung der Auswirkungen verschiedener Limitlösungen auf den gesamten fossilen Pkw-Bestand zuständig war. 

Die Ergebnisse seien eindeutig, sagt er. "Halbieren wir die Geschwindigkeit, verdoppelt sich die Fahrzeit, gehen wir weiter runter, haben noch mehr Zeit auf der Straße, die uns das Vorhalten von Parkplätzen erspart." 

Keinerlei Kosten

Das Ganze koste überhaupt kein Geld, sagt Knoth. "Man fährt einfach langsamer, ist dann von Hamburg nach Berlin nicht mehr vier, sondern zwölf oder 14 Stunden unterwegs. "Aber das sind eben auch 12 oder 14 Stunden, in denen der Autobesitzer die Parkgebühren spart." Zudem gehe der Vorwurf von 110-prozentigen Umweltschützern, Autos stünden 90 Prozent ihrer Lebenszeit nur herum, fortan ins Leere: "Wir haben errechnet, dass es dann nur noch etwa 81 Prozent sein werden, das liegt sogar weit unter der ungenutzten Zeit von Toiletten."

Was fehlt, ist nun nur noch der Mut einer Bundesregierung, die Vorschläge aus Sachsen umzusetzen. "Das alles ist kostenlos und sofort umsetzbar. Das ist also ein Traum von einer Maßnahme", wirbt Haase für den Limit-Plan, der auch die Entwicklung zukunftsweisender Technologien beschleunigen würde. "Bisher setzt die Autoindustrie immer noch darauf, rasante, flotte Fahrzeuge zu bauen, die möglichst gut beschleunigen und auf langen Fahrten auch bei hoher Geschwindigkeit möglichst sprit- oder stromsparend unterwegs sind." 

Game Changer für Elektrifizierung

Ein allgemeines Tempolimit von 20 oder 30 Kilometern pro Stunde würde die derzeit taumelnden großen deutschen Autokonzerne zum Umdenken zwingen, sie aber auch zu Technologieführer beim sogenannten slow riding der Zukunft machen. "Weil bei Elektroautos der Energieverbrauch bei hohen Geschwindigkeiten deutlich ansteigt, sinkt damit deren Reichweite", beschreibt Herbert Haase. Das strikte Tempolimit von 20 oder 30wäre somit ein echter Game Changer: "Wir haben errechnet, dass die Reichweiten förmlich explodieren würden, wenn die Geschwindigkeitsbegrenzung konsequent umgesetzt wird."

Dienstag, 29. April 2025

Anklage wegen Gedankendelikt: Erster Traumverbrecher vor Gericht

Das Landgericht im sächsischen Mühlsenburg verhandelt erstmals nach dem neuen Paragrafen 617 gegen einen sogenannten Traumverbrecher. 

Es ist eine Premiere der bitteren Art, die das Landgericht im sächsischen Mühlsenburg an diesem Dienstagvormittag erlebt. Erstmals überhaupt steht ein Angeklagter wegen des neuen Paragrafen 617 StGB vor seinen Richtenden, erstmals muss sich ein deutscher Staatsbürger wegen eines Verbrechens verantworten, das er nach eigener Aussage unwillentlich im Schlaf begangen hat. 

Erst seit wenigen Monaten sind solche sogenannten Traumdelikte strafbar. Der 53-jährige Tischlereifachangestellte Gunnar W. war der erste mutmaßliche Täter, der durch aufmerksame Menschen in seinem Umfeld angezeigt und überführt wurde.

Harmloser Auftritt des Angeklagten


W., groß, stattlich, in einem Anzug von der Stange, wirkt keineswegs wie ein wütender Staatsfeind. Das lichte Haar ist über den hohen Scheitel beiseitegekämmt, die Arbeitsschuhe hat der Familienvater für seinen ersten Auftritt vor Gericht gegen bequeme Slipper getauscht. W. hält sich eine Hamburger Wochenzeitschrift vor das Gesicht, um den Fotografen zu entgehen, die auf dem Weg zum Gerichtssaal lauern. 

Der Handwerker, nach glücklosen Jahren mit eigener Firma zurückgekehrt ins Angestelltenverhältnis bei einer gemeinnützigen GmbH in seinem Heimatort, gilt wegen seines Vergehens als relative Person der Zeitgeschichte, deren Gesicht nicht unkenntlich gemacht werden muss. 

Denn Gunnar W. steht unter dem Verdacht, falsch geträumt zu haben: In mindestens einer Nacht des Monat Juli des Jahres 2024, so wird es Chefankläger Gerold Jahnemann später aus der Anklageschrift vorlesen, habe W.  sowohl gewalttätige Träume als auch Träume von einem Zusammenbruch der damals noch so erfolgreich zusammenarbeitenden Koalition in Berlin und einem raschen Regierungswechsel gehabt.

Nur ein Kavaliersdelinkt?


Eigentlich ein Kavaliersdelikt. Weil Träume öffentlich weitgehend unentdeckt blieben und die Kontrolle schwierig ist, waren dergleichen Fantasien lange straffrei. Erst mit dem neuen Paragrafen 617 StGB, von Kritikern als Versuch der behördlichen "Gedankenkontrolle" geschmäht, änderte sich das. 

Prinzipiell bleiben Träume Privatsache, doch bei Bekanntwerden drohen Traumtätern strenge Strafen: Wer etwa von Gewalt gegen Repräsentanten des Staates träumt, und sei es ungewollt, muss mit Haftstrafen von bis zu vier Jahren rechnen. Wem es passiert, dass er im Traum Kabinette neu besetzt oder sich selbst als "König" auftreten sieht, kommt um eine empfindliche Geldstrafe nicht herum.

Natürlich, das Entdeckungsrisiko ist gering. Etwa 67 Prozent aller Träumer wissen wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge nach dem Aufwachsen selbst nicht mehr, was sie geträumt haben. Etwa 25 Prozent hingegen sprechen nie und zu niemandem von Träumen, an die sie sich erinnern. 

Unwissen schützt vor Strafe nicht


So klug war Gunnar W. allerdings eben nicht. Weil sein Mandant gar nicht gewusst habe, so führt sein Verteidiger später aus, dass staatskritische Träume verboten sind und ihr Weitertragen strafbar ist, habe er "ganz naiv" gedacht, er könne seiner Frau bei Frühstück getrost von einer nächtlichen Fantasie berichten, die ihn selbst erschreckt hatte. Doch solches Unwissen schützt vor Strafe nicht.

W., so erinnert er sich seinen Aussagen beim Staatsschutz der Polizei zufolge selbst heute an die verhängnisvolle Nacht, hatte damals von einem gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung mit Hilfe eines Hausausweises geträumt, den er als Handwerker zum Zwecke der Reparatur eines großen Tisches im unterirdischen Krisenzentrum des Kanzleramtes erhalten zu haben geträumt hatte.

Ein erschreckender, weil zutiefst hochverräterischer Traum, wie Staatsanwalt Jahnemann es ausdrückt. Er wirft W. jedoch nicht den Traum an sich vor. Der verbleibe so lange im Kernbereich des privaten Lebens, wie der Gesetzgeber den 617 nicht nachschärfe. 

Doch Gunnar W. habe seinen hochverräterischen Traum eben nicht für sich behalten, sondern weitererzählt - neben der 39-jährigen Ehefrau erfuhr wenige Tage später auch eine Frühstücksrunde von bis zu sechs Arbeitskollegen des bis dahin unbescholtenen Sachsen von dessen kruder Fantasie über einen Regierungssturz.

Aufmerksamer Kollege alarmiert die Behörden


Während die meisten der von W. Eingeweihten das Geständnis damals weitgehend regungslos, maximal mit einem leichten Kopfschütteln zur Kenntnis nahmen, erkannte wenigstens ein Anwesender das immense Bedrohungspotenzial. Aufmerksam notierte er seine Erinnerungen schon wenige Minuten nach dem schockierenden gemeinsamen Frühstück mit Gunnar W.. 

Direkt nach Feierabend erstattete der Mann Anzeige und brachte damit die Ermittlungen gegen W. in Rollen. Die übrigen Mitwisser mussten sich wegen ihres schweigenden Zusammenspiels mit dem nun Angeklagten in den anderen Verfahren  verantworten. Sie kamen jedoch alle mit Strafbefehlen und Geldstrafen glimpflich davon.

Vor Gericht entsteht nun ein zugleich skurriles wie erschreckendes Bild des Mannes, der im Mittelpunkt des Verfahrens steht. Gunnar W. spielt den Überraschten, den Unwissenden und Erschrockenen. Er könne sich nicht vorstellen, warum er überhaupt so geträumt habe, sagt er und gesteht damit unumwunden, dass die Berichte der Zeugen über seinen Traum der Wahrheit entsprechen. 

Schuld auf Medien abgeschoben


W. beteuert, dass er weder Spinner noch Verschwörungstheoretiker  oder gefährlicher Hochverräter sei, vielmehr dreimal geimpft, Vater von zwei Söhnen, seit 26 Jahren verheiratet und an "spirituellem Hokuspokus immer absolut desinteressiert". 

Es seien wohl die vielen kritischen Berichte in der Presse gewesen, die ihn im Sommer 2024 veranlasst hätten, von "einer Art Umsturz" (W.) zu träumen. Zweifellos habe aber auch die Klimaerwärmung eine Rolle gespielt: "2024 war das wärmste Jahr aller Zeiten, ich habe aufgrund der Hitze immer denkbar unruhig geschlafen."

Wie oft er vergleichbare Träume gehabt habe, vermag W. angeblich nicht mehr zu erinnern, die Staatsanwaltschaft geht allerdings nach umfangreichen psychologischen Befragungen davon aus, dass es nicht bei einem einzigen Mal geblieben sei. Dass W.s Frau Carola sich unter Berufung auf ihr Schweigerecht geweigert habe, gegen ihren Mann auszusagen, spreche Bände. 

"Da war sicherlich noch viel, mehr als wir gesichert wissen", ist Anklagevertreter Gerold Jahnemann überzeugt. Das Gericht habe es hier zweifellos mit einem Menschen zu tun, der unterbewusst tief antidemokratisch und regierungsfeindlich eingestellt sei. "Anders sind solche Träume nicht zu erklären."

Harsche Kritik der Verteidigung


Die Verteidigung hat dem bereits im Vorfeld entschieden widersprochen und schwerer Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft erhoben. W.s Anwalt warf den Anklägern vor, für seinen Mandanten entlastende Erkenntnisse bei der Erstellung der Anklageschrift außen vor gelassen zu haben - unter anderem die Aussage eines Arbeitskollegen, dass sich W. beim Erzählen seines nächtlichen Traums mehrfach von Gewalt-Überlegungen distanziert habe.

Der Verteidigerin nutzte das Podium, um die Neuregelung der Strafbarkeit sogenannter "unwillkürlicher und ungesteuerter Überlegungen" infragezustellen. 

Wenn sich Gesetzgeber und Behörden mit den nächtlichen Fantastereien Einzelner beschäftigten, sei das ein Warnzeichen für die Gesellschaft, versuchte der Jurist Stimmung gegen das gesamte Verfahren zu machen.

Das Landgericht Mühlsenburg hat für die Hauptverhandlung zunächst 75 Termine bestimmt, aktuell bis Ende Januar 2026. Eine Verlängerung ist möglich. 

Sylt-Krise: Wie viele Sänger sind noch in Haft?

Die strafrechtlichen Konsequenzen für die Menschen aus der wohlstandsverwahrlosten Parallelgesellschaft blieben durchweg aus.

Es war eine der größten Herausforderungen, der sich Deutschland in jüngerer Geschichte ausgesetzt sah. Dutzende Reiche und Schöne aus den Bionadevierteln der Republik gingen auf Sylt aus sich heraus - und auf Gegenkurs zum gesellschaftlichen Konsens. "Döp, Döp, Döp" johlten sie und ein aufsehenerregendes Video zeigte, wie zum Sektchen Ausländerfeindlichkeit gereicht wurde. Das Entsetzen war allgegenwärtig. Die "Sylt_Krise" zeigte das Versagen des Bildungswesens, der Elitenbildung und der politischen Bildung wie unter dem Brennglas.

Abscheu in Berlin

Die SPD reagierte sofort. Kanzler, Justizminister, Innenministerin und Parteiführer äußerten Abscheu und ließen erkennen, dass Deutschland keinen Platz hat für diese Art Reichsbürger, die sich auf Kosten der Gesellschaft kleiden und ausbilden lassen, nur um die Hand, die sie füttert, bei erster Gelegenheit zu beißen. Der Bundespräsident war besorgt über "die Verrohung der politischen Umgangsformen". Er sehe da "eine Radikalisierung, die mindestens in Teilen in der Mitte der Gesellschaft auch stattfindet", fasste Walter Steinmeier das Geschehen in einem klassischen Steinmeier-Satz zusammen.

Vollkommen klar war, dass der Rechtsstaat sich das nicht bieten werden lasse. Der Trick, sich durch Gesang zum guten Menschen zu machen, funktionierte nicht. Es herrschten Empörung, Entsetzen und tiefe Scham überall, die ersten Reaktionen auf die unsäglichen und ekligen Sylt-Videos wurden schnell übertroffen von den zweiten und dritten. Die kurzen Filmschnipsel markieren einen nationalen Schockmoment, der nicht nur Statistiker auf den Plan rief, die Karten über Nachahmertaten malten. Sondern auch Staatsanwälte, die Ermittlungsverfahren gegen die mutmaßlichen Sänger eröffneten.

Kapitulation des Rechtsstaates


Die Tätersuche aber gestaltet sich offenbar sehr schwierig. Nach fast einem Jahr ist das Echo der rassistischen Gesänge verklungen. Auch ist glasklar "was an dem Sylt-Video strafbar sein könnte" (Legal Tribune). Nur wie viele Sänger noch in Haft sind, wie viele Anklagen erhoben und wie viele aus dem grässlichen Chor abgestraft wurden, ist nicht bekannt. Nach einigen schnellen Entlassungen, mit denen erkennbar am Gesang beteiligte Personen außergerichtlich abgestraft wurden, geschah nichts mehr. Außer, dass die Serie der Meldungen unvermittelt abriss, wo überall noch gesungen worden war.wo überall noch gesungen worden war.

Obwohl im Fall des "Rassismus als Partykracher" (taz) sogar der Staatsschutz ermittelt hatte, wurde ein Gerichtsverfahren im hessischen Kalbach eingestellt. Ein Jugendlicher wurde wegen eines Hitlergrußes angeklagt, den er im Rausch des Chorgesangs zu "L'armour toujours" gezeigt haben soll. In einem anderen setzen mutmaßliche Sänger durch, nicht mehr unverpixelt gezeigt werden zu dürfen. Nicht nur Sylt war überall, sondern auch die Ohnmacht eines Rechtsstaates, der "eine Schande für Deutschland" (Nancy Faeser) beklagte und "strafrechtliche Konsequenzen" für Menschen aus einer "wohlstandsverwahrlosten Parallelgesellschaft" forderte, "die die Werte unseres Grundgesetzes mit Füßen tritt".

Bei der Umsetzung aber scheitert.

Montag, 28. April 2025

Politische Evolution: Überleben auf Abwegen

Politik betritt Abwege im Glauben, sie seien alternativlos.

Es ist jeder Entität eigen, dass sie ihr Überleben ins Zentrum aller Bemühungen stellt. Ob die Ameisenkolonie, ein Dorf in Sachsen, der Bundestag oder die EU: Die bewährte Strategie der Evolution, ob bei Pflanzen, Tieren oder Menschen, besteht immer darin, sich auszubreiten, denn je mehr es von irgendetwas gibt, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass es morgen nicht mehr existiert. Das Dorf in Sachsen zeigt, was geschieht, wenn das nicht mehr gelingt: Einer Lebensart landet als obskure Ausnahme von der Regel auf der Roten Liste der bedrohten Arten.

Muster des Überlebens


Über mehr als ein Jahrzehnt verhinderte dieses Entwicklungsmuster, dass der Bundestag schrumpfte. Bis heute steht es Pate beim Phänomen, dass die EU-Institutionen und -Etats niemals schrumpfen, nicht einmal, als eines der größten Länder austrat. Auch hier gilt, je mehr, desto eher wird irgendetwas davon noch da sein, wenn irgendetwas passiert, mit dem niemand rechnet.

Ein kluges Konzept, das die Menschheit zwang, einen Kontinent nach dem anderen zu besiedeln, immer weiter zu reisen und dabei ganz verschiedene Kulturen zu entwickeln. Über hunderttausende Jahre hinweg änderte sich dies und es änderte sich das. Eins aber blieb: Menschliche Kulturen, die einzigen Ausbreiter, die den Sinn ihrer eigenen Bemühungen zu erfassen in der Lage sind, triumphierten dank verschiedener Taktiken und unterschiedlichster Strategien über alle Widerstände, die Natur und Umwelt ihnen in den Weg stellten. Aus ein paar Hunderttausend Menschen wurde mehr als acht Milliarden. Nur der Weizen, der sich den Menschen als Pflegepartner hält, war noch erfolgreicher.

Europa auf der Kippe


Ausgerechnet in Europa aber droht die Entwicklung nun jäh abzubrechen. Hier, auf dem alten Kontinent, auf dem die letzte, fiebrigste und erfolgreichste Phase der Herrschaft der Primaten über ihre belebte und unbelebte Umgebung begann, hat die politische Evolution eine Entwicklungsstufe erreicht, die normales menschliches Leben zusehends unmöglich macht: Um sich selbst und ihr Leben zu schützen, müssen die Bewohner der vielen Elfenbeintürme sich bemühen, blind gegenüber den Verhältnissen auf dem Land, gegen die aufkommenden Probleme der Demographie und die allmählich eintretende wirtschaftliche Lähmung zu werden.

Das aber führt unten, dort, wo diese Probleme Alltag sind, zu einer natürlichen Abstoßungsreaktion: Niemand will aussterben, nur weil jemand anders aus Angst vor dem Aussterben Gefahren ignoriert. Wirklichkeitsverweigerung, die zur großen Freude rechter und noch rechterer Parteien über ein ganzes Jahrzehnt hinweg der Lebenssaft war, aus dem die Demokratie trank, wenn sie Hunger hatte, hat nicht etwa wie versprochen Bürokratie, abgebaut, die Demokratie gestärkt und die Staaten der EU immer enger zusammenwachsen lassen. Sondern das Gegenteil bewirkt.

Nützt nur den Falschen


Je verrückter die Namen wurden, die die EU-Kommissare ihren Ressorts gaben, umso mehr entrückte der Überbau den Fährnissen des normalen Lebens, mit denen sich Bürgerinnen und Bürger Tag für Tag herumzuschlagen haben. Dass nichts mehr funktioniert und Beschwerden unbegründet sind, wie sie nur den Falschen nützen, hat als Abwehrstrategie eine verblüffende Wirksamkeit bewiesen. 
 
Ausgestattet mit einer Langmut, die Freiheitseinschränkungen, Verwaltungsversagen und staatliche Übergriffe bis in den privatesten Lebensbereich achselzuckend hinnimmt, ist der Bürger noch dankbar dafür, dass die großen Medien an einem Strang ziehen, um beruhigende Nachrichten zu verbreiten.

Es wird keine Aufstände geben, nicht einmal ein Aufmucken größerer Teile der Bevölkerung. In nahezu allen Mitgliedstaaten der EU ist es wie von Zauberhand gelungen, die Bevölkerungen in mehrere Blöcke zu spalten, die sich gegenseitig für das schlimmste Übel unter der Sonne halten. 

Nach Jahren, in denen das selbsternannte Fortschrittslager mit einem Satz- und Punktsieg am Ende der Geschichte von demokratische auszuhandelnden Kompromissen angekommen zu sein schien, neigte sich die Waage zuletzt auf die andere Seite: Die Letzte Generation, die dem Terror abschwor und bei Wahlen antrat, bekam trotz breiter und freundlicher Medienbegleitung nicht mehr Stimmen als eine beliebige andere absurde Selbsthass-Sekte erhalten hätte.

Muster des Überlebens


Die evolutionären Muster des Überlebens lassen die Institutionen, die Parteien und die vom Staat ausgehaltenen zivilgesellschaftlichen Organisationen nun nach neuen Wegen suchen. Es ist keine kindliche Vorstellung, dass es auch wieder anders kommen wird, sondern eine Lehre aus der Geschichte: Das Pendel schlägt hierhin und es schlägt dahin, mal möchten die Menschen mehrheitlich glauben, dass ihnen auf eigene Kosten eine möglichst ausgedehnte Klimapolitik geboten wird, dann wieder empört sie, dass eigene Kosten eigenes Geld heißt. 

Der Rückweg ist weitgehend verstellt, seit eine Politikergeneration es geschafft hat, mit der "Schuldenbremse" nicht nur ein neues Schlachtfeld zu eröffnen, sondern mit den Klimazielen auch noch Visionen mit Gesetzeskraft auszustatten. Wer diese Gesetze bricht, der tötet die Menschheit. Wer gegen Auflagen verstößt, die das verhindern sollen, der vergeht sich an kommenden Generationen. Und zwar ausgerechnet an denen, die zuletzt so vehement gegen noch mehr Klima, noch mehr Gerechtigkeit und Europa stimmten.

Nie auf dem richtigen Weg


Die Evolution probiert Wege aus, immer verschiedene und nie nur einen. Dass der Pfad, den Regierungskoalitionen bis zum Ausstieg aus diesem und dem fertigen Umbau von jenem festlegen, nie dorthin führt, wo die Menschheit am Ende ankommt, weiß jeder. Doch wenn es nicht die Kompetenz ist, irgendeinen Pfad als den einzig richtigen zu bewerben, welche Kompetenz hätte eine Regierung denn noch? 

Sie überlebt, indem sie populistisch vorgibt, niemand müsse sich Sorgen machen, sie wisse genau, was sie tut und habe für alles gesorgt. Für ihr Versagen findet sie stets Ausflüchte. Für das Verfehlen ihrer Ziele braucht sie meist sogar keine, weil alle Zeiträume so gestreckt sind, dass sich am Ende niemand mehr an den Anfang erinnert.

Friedrich der Größte: Aufstieg zur Macht

Friedrich Merz ist Friedrich der Große
Der Mann, den die Geschichtsschreibung eines Tages Friedrich den Größten nennen wird, steht unmittelbar vor seinem größten Erfolg.

Sie haben geneckt und getriezt, ihn für unfähig erklärt, seine Chance belächelt und sogar versucht, ihn in die Nähe eines neuen Hitler zurück. Die Aussicht, dass Deutschland zum ersten Mal seit Helmut Kohl vor fast 30 Jahren wieder einen Bundeskanzler bekommen könnte, der Konrad Adenauer näher steht als Karl Marx, sorgte schon Monate vor der Bestätigung des 69-Jährigen durch eine Minderheit von Wählerinnen und Wählern bei der Bundestagswahl für große Aufregung. Geht das überhaupt? Ist es erlaubt? Was wird aus der vielfältigen und bunten NGO-Landschft? Was aus den Einhörnern der Start-up-Szene, die sich um Hass und Hetze bemühen?

Ein Mann, alt und weiß

Vor 27 Jahren hatte Gerhard Schröder den letzten knorrigen Regierungsschef der CDU abgelöst. Seitdem regierten durchweg Sozialdemokraten aus Union und SPD. Merz, der Kontakte ins Investmentbankermilieu unterhält, im Privatflugzeug fliegt und Vorstellungen von Staaten als regional fest umrissene Gebilde pflegen soll, erschien wie ein bedrohliches Gespenst aus der fernen Vergangenheit. 

Ein Mann. Alt und weiß. Ein Genderverweigerer. Ein Grenzschließer. Ein Anhänger des Leistjngsgedankens. Und bekennender Verfechter der Idee, dass neue Probleme durch neue Technologien am besten gelöst werden. Mit Händen war die Furcht greifbar, ein solches Fossil könne Führung und Leitung der immer noch größten Wirtschaftsmacht Europas übernehmen.

Kommt dann etwa das Atom zurück wie in den Nachbarstaaten? Werden Gene erlaubt und Grenzen kontrolliert? Was wird aus der Vorstellung, wenn Deutschland erst aus der Energie ausgestiegen sei, dann würden alle anderen begeistert folgen? Merz gab keine Antworten. Er stellte welche. Signalisierte aber bald darauf entschieden, dass auch unter seiner Ägide nichts zu heiß gegessen werden wird wie so mancher SPD-Abgeordnete zuvor befürchtet hatte. 

Verlässlicher Brecher aller Versprechen

Mit der Regierungsbildung bis Ostern hat es nicht ganz geklappt, doch angesichts vielen gebrochenen Wahlversprechen in der noch kurzen Geschichte des Friedrich Merz als Hoffnungsträger aller Unverzagten fällt das schon nicht mehr weiter ins Gewicht. Sobald die deutsche Sozialdemokratie mit ihren knapp 370.000 Genossinnen und Genossen darüebr entscheiden hat, ob 70 Prozent Etatverantwortlichkeit ausreichend Wirkungschancen für eine 16,4-Prozent-Partei bieten, kann Merz loslegen und seine Kriker Lügen strafen.

Für den Sauerländer mit dem Pilotenschein ist es der größte Moment in seinem Leben. Und der Lohn jahrzehntelaner Hartnäcktigkeit. Nie hat Merz aufgegeben, immer ist er fest im Glauben geblieben. Angela Merkel kontne ihn unmöglich machen und ihm die Ämter nehmen. Die Partei konnte ihn für ewiggestrig halten und als Auslaufmodell verspotten. Die Medien durften sich auf ihn einschießen und nach seiner unerwarteten Rückkehr an die Spitze der CDU einen kollektiven Abgesang anstimmen. Friedrich Merz schmal gelächelt. Und still genossen, dass er besser wusste, wie es weitergehen würde.

Der schrille Chor der Hassgesänge

Wie es immer war. Mit dem Tag, an dem er gekrönt werden würde, verstummt der schrille Chor der Hassgesänge. Kaum ist der neue Mann im Amt, verstummt die geifernde Meute und die Hetzparolen über Faschisten, Viertes Reich und einen geheimen Männerbund mit dem nationalen und internationalen Nazitum sind plötzlich weg. Zuletzt hat die italienische Ministerpräsidentin Giogia Meloni es vorgemacht: Von der "Postfaschistin", die "die EU politisch nach rechts verschieben" (Spiegel) wollte, ist nichts übriggeblieben. Meloni ist heute Europas Hoffnungsträgerin, die auch für Deutschland Gnade in Washington aushandeln soll.

Auch Friedrich Merz wird eines Tages auf dieser großen Bpühne spielen. Doch erst einmal muss er innenpolitisch Pflöcke einrammen. Nach dem von Olaf Scholz geborgten "Sondervermögen" und dem von Robert Habeck übernommenen "Investitionsbooster" galoppiert Merz geradezu durch bis zum Wahltag geheimgehaltene Agenda. Kein Gedanke mehr an rigorose Grenzschließungen udn Zurückweisungen, sinkende Steuern und Abgaben oder eine Wirtschaftspolitik, die auf mehr Freiheit setzt. 

Auf Parteilinie

Friedrich Merz bringt die Gesellschaft auf Linie. Benzin wird teurer, Erdgas wird teurer, Heizen wird teurer, Energie insgesamt wird teurer, denn nur das hilft langfristig wirklich, den Bürgerinnen und Bürgern das Sparen beizubringen. Dass sich E-Autos oder Wärmepumpen in vielen Fällen noch nicht rechnen, liegt ja nur bei oberflächlicher Betrachtung an zu hohen Anschaffungs- und Stromkosten, die sich politisch kaum senken lassen. Gelingt es der Bundesregierung hingegen, Heizen und Fahren mit fossilen Treibstoffen drastisch zu verteuern, schneiden die Erneuerbaren automatisch besser ab.

Ebenso einfallsreich ist Merzens Strategie zur Schaffung eines raschen Fridens an der Ostflanke. Ein Jahr nach dem "angeblichen Mitschnitt eines Gesprächs über Taurus-Raketen" (ZDF), damals schnell als "hybrider Angriff zur Desinformation" enttarnt, hat der kommende Kanzler den Taurus zur Waffe seiner Wahl für die kommende Schlacht gemacht. Merz will sie liefern, so viele und so schnell wie möglich, um Putin zu beweisen, dass auch Deutschland pokern kann. 

Nichts wird ihn stoppen

Mögliche Kosten, drohende Schäden - im Unterschied zum zaghaften Olaf Scholz tritt Merz vom ersten Tag als breitbeiniger Machtpolitiker auf. Seit dem der Abfall der USA mit ihrer "Verräter-Oligarchie" (SWP) dem Christdemokraten den Vorwand geliefert hat, zu tun, was zu tun er vorher ausgeschlossen hatte, ist Friedrich Merz entsichert. Nichts wird ihn mehr stoppen. Er hat den alten Bundestag instrumentalisiert, um Deutschland in eine historisch einmalige Schuldenorgie zu stürzen. Er wird der Industrie den von den Bürgern subventionierten billigen Strompreis liefern, den die Ampel immer nur versprochen hatte. Und er wird auch die Wehrpflicht wieder einführen, aber langsam und im Gleichschritt mit dem anschwellenden Kriegsgeschrei in den Medien.

Zweifach übertrifft Friedrich Merz seinen Vorgänger schon vor seiner mutmaßlichen Wahl zum Kanzler. Einerseits ist er bereits jetzt deutlich unbeliebter als der bislang unbeliebteste Regierungschef der bundesrepublikanischen Geschichte. Andererseits hat er es geschafft, noch vor seinem Amtseid etliche Versprechen mehr zu brechen. 

Leere Beschwörungsformeln

Merz hat alles abgeräumt, was ihm lästig werden könnte. Von  einem "Zustrombegrenzungsgesetz" steht nichts im Koalitionsvertag, die "Wirtschaftswende" ist eine leere Beschwörungsformel, der "Bürokratieabbau" nur das seit Jahrzehnten gesprochene Gebet. Konkret wird Friedrich Merz sich - aus Gründen der Koalitionsarithmetik - ein Ministerium mehr gestatten. Das bisherige Bürgergeld wird nur umbeannnt. Und zur Stärkung des "Sicherheitsgefühls" der Bürger zielen Rot und Schwarz auf weitere Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Die widerspruchsfreie Gesellschaft soll mitziehen und nicht quertreiben. Sie soll sich hingeben ohne zu zweifeln.

In Lars Klingbeil, einem Machtmenschen, der über Jahrzehnte alle sozialdemokratsichen Elitenbildungsprogramme durchlaufen hat, hat Merz einen idealtypischen Partner gefunden: Wie ihm selbst geht es seinem künftigen Vizekanzler vor allem um die eigene Person und die Erweiterung der Einflussmöglichkeiten der eigenen Partei. Ganz anders als jeder Eigenheimbauer oder Unternehmer, der erst überlegt, was genau er braucht und was das alles zusammen kosten wird, zäumen die beiden das Pferd von hinten auf: Scholzens Sondervermögen haben die beiden künftigen Koalitionäre kurzerhand verzehnfacht, ihre Geburtsdaten hinzuaddiert und die Multiplikationsbremse gelöst. Mal sehen, was sich damit anfangen lassen wird.

Neue Horizonte

Neue Horizonte für ein großes, wirtshcaftlich starkes Land. Die DDR war 1990 noch untergegangen, weil ihre Schuldenlast von 40 Milliarden Euro von den Bürgern nicht mehr getragen werden konnte. Die Bundesrepublik übernahm, die persönliche Schuldenlast jedes Neubürgers verdreifachte sich mit dem 3. Oktober 1990. In den darauffolgenden 34 Jahren stieg sie um ein weiteres Drittel. In den drei Wochen nach der Bundestagswahl erreichte sie dann den Rekordwert von nahezu 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 

Friedrich Merz verdient sich seinen Beinamen "der Größte" mit Bienenfleiß. Seit das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass es nur die glaubwürdige Verischerung einer Notlage braucht, um alle Ausgabewünsche zu finanzieren, gibt es keinen Augenblick mehr, in dem es nicht Notlagen hagelt. Bankenrettung, Pandemie, der nächste Weltkrieg - irgendwas ist immer. Und den Regeln nach kann ein kluger Kanzler mit den "frischen Milliarden" (Jan van Aken) tun, was er will: Brücken sind Verteidigung, weil sie für die Panzer gebraucht, die nach Osten rollen sollen. Bildung ist Infrastruktur, weil Drohnenpiloten lesen können müssen. Das Gleisnetz schließlich ist überlebenswichtig, dient es doch bald zum Transport von Truppen und Getreide an die vorderste Front.

Verteidigungsfrachkräfte aus Vietnam

Im Kanzleram, wo bald wieder über das Schicksal der Welt entschieden wird, sind sie zuversichtlich, dass Putin erst angreift, wenn Deutschland verteidigungsfit ist und auf Bergen von Panzern, Flugzeugen, U-Booten und Schlachtschiffen sitzt. Wer sie bemannen und bedienen wird, steht noch in den Sternen, womöglich werden Fachkräfte aus Indien, von den Philippinen und aus Vietnam angeworben. Zum Dank dafür, dass die Neuankömmlinge bereit sind, fürs neue Vaterland zu sterben, gäbe es den olivgrünen Reisepass zur deutschen Staatsbürgerschaft und ein Schulterklopfen: Ja, Steuer- und Abgabenlast in Deutschland sind hoch. Aber Mieten und Preise auch.

Aus Erich Honeckers Versprechen, dass "wir morgen leben werden, wie wir heute arbeiten", ist Merzens Versicherung geworden, dass es bei der Verpflichtung zur Klimaneutralität bis 2045 bleibt, ebenso beim Erdgasausstieg und dem geplanten Bau von 30 bis 40 Gaskraftwerken. Aus der Gefangenschaft durch die Schuldenbremse wird eine Inhaftierung durch den Ökosozialismus, über dessen Wahrheit und Klarheit weiterhin tausende von zivilgesellschaftlichen Vorfeldorganisationen wachen werden. Erst wenn der absolute Stillstand überall eingeklagt ist, ist für kommende Generationen ein Ende des Wohlstands abzusehen. Aber dank Friedrich Merz soll es jetzt schnell gehen. 

Sonntag, 27. April 2025

Ende eines Traums: Tod eines Faktencheckers

Lars (v.) und Klaus (h.) Wälzer wollten in diesen Tagen den Generationswechsel bei ihrer erfolgreichen Faktencheck-Firma Fastfacts vollziehen. Doch nun steckt die Branche in der Krise.

Es war eine Geschichte, wie sie nur die verrückten wilden Jahre nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes, nach der Finanzkrise und dem Nullzinsjahrzehnt schreiben konnte. Klaus Wälzer hatte es damals, als Mobilcom, EM.TV und Comroad die Menschen reich machten, ganz nach oben getragen. Der frühere Bergmann, bis Mitte der 90er in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme aufgefangen vom sozialen Netz, wurde zu einem der größten Profiteure der neuen deutschen Aktienkultur.  

Sozialist aus Sachsen

Wälzer, geboren in einem winzigen Weiler in Sachsen, machte Hunderttausende Euro, "ohne einen Finger zu rühren", wie er im Rückblick beschreibt. Aus der tiefsitzenden Kapitalismus-Skepsis des in der DDR aufgewachsenen überzeugten Sozialisten wurde Begeisterung. "Ich schwamm auf einer Welle, die mit berauscht hat", sagt Wälzer. 

Mit dem Katzenjammer der Nachbarn und Freunde, die sich trotz aller Mahnungen des Self-Made-Millionärs aus Muskenbaude nicht rechtzeitig von ihren Gewinner-Aktien hatten trennen wollen, wurden bei Klaus Wälzer zuerst Gewissensbisse, dann Depressionen. "Ich warf mir vor, Leute um ihr Geld gebracht zu haben." Obwohl ihm faktisch klar gewesen sein, dass mehr Menschen von seinen Tipps profitiert hatten als durch seine Hinweise Geld zu verlieren, habe ihn das krank gemacht. "Ich wollte es wiedergutmachen, der Gesellschaft etwas zurückgeben, mich engagieren und unser Land besser machen."

An der Spitze einer Revolution

Klaus Wälzer musste nicht lange überlegen. Kaum war er aus der Klinik zurück, medikamentiert und "super eingestellt", wie er sich erinnert, gründete er seine Fastfacts GmbH, ein Unternehmen, das sich auf die Fahne geschrieben hatte, über die gemeinnützige Tochtergesellschaft Factsfast sogenannte Faktenchecks anzubieten - damals eine Revolution, denn Medien verbreiteten zwar Nachrichten, überprüften sie aber nie. "Es reichte, wenn eine Nachrichtenagentur behauptete, die Meldung stimme2", erklärt Wälzer.

Eine Marktlücke, die immer größer wurde. War Factsfast anfangs noch allein auf weiter Flur, so schlossen sich später immer mehr Firmen an. Volksverpetzer, Hateaid, Correctiv. Klaus Wälzer schmunzelt, wenn er erzählt, wie die Konkurrenz versuchte, mit immer ausgefalleneren Namen immer größere Märkte und Kundenschichten zu erschließen. Im Zug der Zeit seien alle gut gefahren, gibt er zu. "Kein soziales Netz und kein öffentlich-rechtliches Programm wagte noch, ohne aufwendig präsentierte Faktenchecks auszukommen."

Wirtschaftlich gut aufgestellt

Als das Ende kam, traf es Klaus Wälzer nicht allzu hart. "Ich bin 63", sagt der Nestor der deutschen Faktenchecker. Er habe sein Feld gut bestellt, Gold, Bitcoin, Aktien. "Im Gegensatz zu vielen anderen habe ich mich durch die hinterlistige Art, wie die damalige Bundesregierung den Bürgern überteuerte Telekom-Aktien angedreht hat, die ihnen eigentlich sowieso schon gehörten, nicht entmutigen lassen." Sorgen aber macht sich Wälzer, wenn er auf die nachfolgende Generation  schaut. 

"Seit die Amerikaner den Kampf gegen rechts in einen Kampf gegen Faktenchecker verwandelt haben, steht es nicht mehr gut um die Zukunftsaussichten unserer Branche", sagt er. Auch für Fastfacts, heute eine Firma mit fast 600 Mitarbeitenden, ist das ein ernsthaftes Problem. "Im Schatten der digitalen Revolution, wo Information und Desinformation in einem endlosen Tanz miteinander verschmelzen, hatten wir ein Geschäftsmodell entwickelt, das absolut krisenfest zu sein schien", gesteht sich Klaus Wälzer. Doch sein Plan, das florierende Unternehmen bei nächster Gelegenheit - "ich will bloß noch die Bundestagswahl abwarten" - an Sohn Lars zu übergeben, droht zu platzen.

Auch in Florida Erfahrungen gesammelt

Lars, der das Faktenchecken von der Pike auf gelernt hat, war bestens vorbereitet. "Ich habe in Frankreich und Italien Rechtspopulismus studiert", sagt er, zudem habe er bei Hans Achtelbuscher und Herbert Haase demokratisches Wirtschaftsdesign belegt gehabt, seinen Master im internationaler Schrumpfungskunde gemacht und mehrere Wochen in Florida gelebt. Als Sohn eines renommierten Faktencheckers stünden einem ohnehin viele Türen offen, so zumindest hatte Lars Wälzer geglaubt. "Mein Vater hat ja über Jahrzehnte hinweg Kontakte aufgebaut, die ihn zu einem der angesehensten Namen in der Branche machten."

Zwar kennt Lars Wälzer die Branche gut genug, um zu wissen, dass die Faktenchecker-Community keine einfache ist. "Wir sitzen mitten in einem blühenden Geschäftsfeld, insbesondere auf Plattformen wie X und Facebook, wo die Bedürfnisse nach Wahrheit und Klärung lange täglich wuchsen und niemand bei der Rechnungsstellungen auf eine Null mehr oder weniger geschaut hat." 

Doch Streit und Hader in der Gemeinschaft, zuletzt um die Verleihung der beliebten und begehrten EU-Zensurorden "Trusted Flagger", hätten viel kaputtgemacht. "Wir sitzen auf einmal auf einem Markt, der scrhumpft, und da werden die Ellenbogen hart ausgefahren", hat Lars Wälzer beobachtet.

Wankendes Imperium

Wälzer junior wuchs mit der Überzeugung auf, dass er eines Tages das Imperium seines Vaters übernehmen würde. Er studierte, absolvierte Praktika in angesehenen Faktencheckfabriken und Trollfarmen und lernte alles, was es über die Kunst des Faktencheckens zu wissen gab. Seine Zukunft schien gesichert, und das Erbe seines Vaters war für ihn weniger eine Last als eine Ehre, die er stolz zu hätte tragen wollen. Wälzer junior aber lacht inzwischen bitter: "Doch das Schicksal hatte wohl andere Pläne".

Die digitalen Landschaften aus Hass, Hetze, Zweifeln und Hohn, die einst so fruchtbar waren für die Arbeit von Faktencheckern, sie haben sich verändert. In einer unerwarteten Wende entschieden sich X und später auch Facebook, ihre Faktencheck-Programme zu kürzen oder sogar komplett einzustellen. 

Die sogenannte "verbale Gewalt", eine fundamentale Entwicklung aus der frühen Digitalzeit, die das gesprochene Wort auf eine Ebene stellte mit der ausgeführten Tat, sie nahm nicht mehr zu, als man begann, sie zu ignorieren. "Für uns war es ein harter Schlag, dass die Drohung ,ich hau dir gleich eine rein' nicht mehr dieselbe strafrechtliche Relevanz hatte wie eine ausgeführte Ohrfeige", räumt Klaus Wälzer umstandslos ein.

Umgestellt auf KI

Die Gründe waren vielfältig – politische Zeitenwenden, Populismus, Kostenreduktionen, politische Druckmittel, und eine zunehmende Skepsis gegenüber der Unabhängigkeit und Objektivität der Faktenchecker selbst. Lars Wälzer stand plötzlich vor einer ungewissen Zukunft, denn die Fastfacts GmbH seines Vaters, gerade noch aufwendig auf KI umgestellt, wankte. Die lukrativen Aufträge, die seine Familie über Jahre hinweg versorgt hatten, versiegten wie ein Fluss, der in der Wüste verschwindet. Vater Klaus, ein Mann, der seinen Lebensinhalt in die Verifizierung der Wahrheit gelegt hatte, sah sich schon im Januar gezwungen, in den Ruhestand zu gehen, nicht aus freien Stücken, sondern aus Notwendigkeit. 

Die Firma, die einst Hunderte von Mitarbeitern beschäftigte, schrumpfte. "Und wir werden leider weiterschrumpfen müssen", sagt der Junior, der den Stellenabbau verantworten und mit den Mitarbeitenden, die nicht mehr mitarbeiten können, sprechen  muss. "Geht es so weiter, bleibt von Fastfacts nur ein Skelett", sagt er verbittert und nennt Zahlen, die die große Krise begreifbar machen. Überkapazitäten überall. nachfragemangel zudem. 

Noch 2024 habe Fastfacts für seine Kunden annähernd 60 Millionen Kommenatre, Bilder und Posts im Internet gelöscht, weil sie fragwürdig, umstritten oder höhnisch gewesen seien."Es handelte sich dabei durchweg um nicht strafbare, aber irreguläre sogenannte Graumeinungen." derzeit, so verdeutlicht der Firmenchef, komme man noch auf 60 bis 70 Löschungen am Tag. "Den Rest können Sie sich hochrechnen."

Harte Veränderungen

Wie hart die Veränderungen ihn treffen, daraus macht Lars Wälzer kein Geheimnis. Wälzer junior hatte sich nie eine andere Karriere vorgestellt. Er habe sich nicht vorbereitet auf eine Welt, die nicht ohne Faktenchecks leben könne, eine Welt, in der jeder Mensch Anspruch darauf habe, jederzeit gesagt zu bekommen, was richtig sei und was falsch, was er denken dürfe und was nicht, wie er zu handeln habe und wen es sich zu hassen lohne. "Das waren die Dimensionen, in denen unsere Familie dachte", sagt er. 

Doch die großen Zeiten, sie scheinen vorbei. Facebook, X, vielleicht bald Youtube und eines Tages womöglich die großen deutschen Grundversorger. "Alle schaffen sie die Faktenchecks ab, seit die USA die totale Ansichtenanarchie ausgerufen haben." Jeder solle nun seines Glückes Schmied sein, denken dürfen, was er will, und sogar sagen können, was nicht richtig sei. "Das sind Veränderungen, da muss ich zugeben, mit denen habe ich immer noch zu kämpfen."

Kleiner und noch gelenkiger

Lars Wälzer versucht, sich anzupassen. Er gründet kleinere Projekte, arbeitete freiberuflich für Nischenmedien, doch das alles "ist nicht dasselbe". Die Freude und der Stolz, Teil einer mächtigen Bewegung zu sein, die das Internet von Fehlinformationen befreit und sie durch selbstgemachte Erklärungen ersetzt, sind verschwunden. Es gehe ihm darum, noch gelenkiger auf Kundenwünsche zu regagieren. "Wir müssen die Tageswahrheit ahnen, bevor sie in der ,Tagesschau' zu Verkündung kommt", mahne er seine verbliebenen Mitarbeitenden täglich.

Dennoch ist die Geschichte des Lars Wälzer eine Tragödie, nicht nur des verlorenen Erbes wegen, sondern auch die einer verlorenen Berufung. In einer Zeit, wo Desinformationen wie Unkraut wuchert, scheint es, als hätte die Welt den Wert jener, die sie mit ihren eigenen Wahrheiten bekämpften, verloren. Lars Wälzer fragte sich oft, ob die Wahrheit wirklich so subjektiv geworden ist, dass diejenigen, die sie aufspürten und zur einzig gültigen erklärten, nicht mehr benötigt werden. "Heute glaubt ja jeder, er habe die wahrheit gepachtet", sagt er, "dabei stand gerade noch fest, dass wir das getan haben."

Wälzers Weg

Wälzers Weg aber ist nicht der des Jammerns und Klagens. gemeinsam mit Vater Klaus sitzt er derzeit an einem Buch über die große Zeit der Faktencheckerei, jener Ära das Hassrauschs, der so viel reich gemacht hat. "Wir wollen über unsere spezielle Digitalethik und die Verantwortung von Social Media-Plattformen schreiben", erklärt er. Nebenbei hält Wälzer junior Vorträge über Medienkompetenz, in denen er darlegt, dass Wert der Wahrheit nicht in den Algorithmen oder den Entscheidungen großer Konzerne liegt, sondern in den Händen derer, die bereit sind, sie mit ihren eigenen Ansichten gegen den Strom der Desinformation zu verteidigen. 

Ein Schicksal, das zeigt, wie weitreichend die Folgen der Entscheidungen ausländishcer Konzernlenker sind, so lange Deutschland und Europa keine eigene Digitalindustrie gründen, die direkt von den staatlichen Organen beaufsichtigt wird. "Selbst die sichersten Karrieren in der digitalen Ära sind fragil, weil ein Husten von Elon Musk ein ganzes Erbe zerstören kann", sagt Klaus Wälzer. Die Geschichte seiner Familie, Aufstieg und Fall im Zeichen des Faktenchecks, sehen Vater und Sohn Wälzer auch als eine Mahnung an alle, die in der digitalen Welt arbeiten: Die Wahrheit mag zeitweise in den Schatten treten, aber sie bleibt ein unverzichtbarer Kompass für das menschliche Zusammenleben.

Verheerende Bilanz: Der ökologische Fußabdruck von Bargeld

Der privat veranlasste Transport von Euro-Münzen und -Scheinen verbraucht fast zehnmal so viel Energie wie das gesamte Bitcoin-Netzwerk.

Sie sind überall, in Hosen- und Brieftaschen, in Ladenkassen, Sparbüchsen, Tresoren und Bankcontainern, das Blut der modernen Industriegesellschaften in Europa, gemacht aus papierartiger Baumwolle und verschiedenen Metalllegierungen und verwaltet von einer unabhängigen Zentralbank.  

Seit der Euro als Gemeinschaftswährung der meisten EU-Mitgliedsstaaten zur Welt kam, wurden den Nutzern 29,8 Milliarden Euro-Banknoten zur Verfügung gestellt, dazu kommen bis heute beinahe 150 Milliarden Euro-Münzen. Der Gesamtwert allen Bargeldes, das die EZB jemals hat pressen und drucken lassen, liegt bei etwa 1,5 Billionen Euro (genau sind es 1.575.310.000.000). Das Gesamtgewicht dieses Bargeldschatzes beläuft sich auf rund 627 Millionen Kilogramm.

Verschwiegene Umweltlast

Eine Zahl, mit der die EZB eher nicht hausieren geht, schon gar nicht, wenn sie daran geht, die Umweltauswirkungen der von ihr emittierten Banknoten zu untersuchen. Ziel der Studie mit dem Namen Product Environmental Footprint study of euro banknotes as a payment instrument sollte es schließlich nicht sein, die Umwelt- und Klimaauswirkungen der Bargeldwirtschaft abzubilden. Sondern zu zeigen, dass das klassische Bargeld-System verglichen mit dem zentralbankenunabhängigen Blockchain-Geld Bitcoin kaum Folgen hat. 

Um zu diesem Ergebnis zu kommen, bedienten sich die Forscher der EZB derselben Methode wie die für ihren souveränen Umgang mit Daten und Fakten gerühmte Meisterwerkstatt für mediale Manipulation (MMM), die das ZDF in einem schlichten Bürogebäude in Mainz unterhält, um Realitäten abzuwehren und Wirklichkeit auszublenden. 

Auf 29 Seiten untersuchen die nicht näher genannten Verfasser nach diesem bewährten Schema zum Beispiel den Energieverbrauch von Geldautomaten und die Belastungen durch den Transportverkehr für Banknoten und Münzen, sie beschreiben die Umweltlasten durch die Bearbeitung der Milliardensummen bei den nationalen Zentralbanken, durchleuchten die Papierherstellung, den Banknotendruck, die Farben und sogar den Aufwand, der bei den Echtheitsüberprüfungen in Geschäften entsteht.

Selbstausgedachte Prüfmethode

Alles gut. Nach der als "Product Environmental Footprint" (PEF) bezeichneten Prüfmethode der Europäischen Kommission zur Berechnung des Umweltfußabdrucks schneidet Bargeld prima ab. Nach Betrachtung des vollständigen Geldkreislaufes "von der Beschaffung der Rohstoffe über die Herstellung, die Verteilung und Inverkehrgabe bis hin zur Entsorgung von Banknoten"  sei der "entstehende Footprint weit geringer als oft angenommen wird": Die größte Belastung des Weltklimas entstehe durch den Stromverbrauch der Geldautomaten (37 %), danach folge der Transport der Geldscheine (35 %), die übrigen Verarbeitungsvorgänge bei der Verteilung (10 %), schließlich die Papierherstellung (9 %) und am Ende die Echtheitsprüfung bei der Verwendung von Banknoten an der Ladenkasse (5 %). 

Alles in allem machen die durch Euro-Banknotenzahlungen verursachten Umweltauswirkungen pro Person nur 0,01 Prozent der gesamten Umweltauswirkungen der Konsumaktivitäten eines Menschen in Europa aus - sie entsprechen umgerechnet nur einer acht Kilometer langen Autofahrt. Allein die Herstellung eines Baumwoll-T-Shirts, argumentiert die Studie, wirke sich auf Umwelt und Klima aus wie Autofahrt von 55 Kilometern, das in Flaschen abgepackte Trinkwasser, das ein Mensch in Europa jährlich konsumiere, sei sogar umweltschädlich wie 272 Kilometer Autofahrt.

Grauenhafte Zahlen

Zahlen, die ihre Überzeugungskraft ihrem klug geschnittenen Design verdanken. Einerseits hat sich die EZB entschieden, es bei der Betrachtung der Geldscheine zu belassen, den ökologischen Fußabdruck des sehr viel gewichtigeren Teils der bis heute 150 Milliarden kursierenden Euro-Münzen aber außen vorzulassen. 

Andererseits bleibt der enorme Energieverbrauch, den der privat veranlasste tägliche Transport von fast 630.000 Tonnen Material verursacht, vollkommen außen vor: Nur weil die Last in Millionen und Abermillionen winzigen Portionen herumgeschleppt wird, kostet das Natur, Umwelt und Weltklima nicht weniger Energie als die rund 50.000 Zwölftonner benötigen würden, müsste das Bargeld der Europäer in größeren Chargen bewegt werden.

Die EZB weiß genau, warum sie diesen Punkt nicht untersucht. Die durchschnittliche Distanz, über die etwa ein Deutscher sein Bargeld täglich befördert, liegt bei 39 Kilometern, allein bei 80 Millionen Deutschen macht das eine Gesamtstrecke von drei Milliarden Kilometern, über die Bargeldbeträge tagtäglich transportiert werden. Um die Dimension zu verdeutlichen: Jeder dieser 50.000 Zwölftonnen-Trucks, die benötigt würden, die Gesamtmenge aufzuladen, müsste täglich 62.400 Kilometer zurücklegen, um dieselbe Transportleistung zu erbringen.

 Jeder einzelne Lkw würde dazu bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 20 Litern auf 100 Kilometer etwa 13.000 Liter Diesel benötigen - alles in allem wären das 655 Millionen Liter Sprit täglich. Dabei verbraucht Deutschland derzeit nur etwa 121 Millionen Liter Diesel am Tag.

Klimakiller Bargeld

Bargeld ist offenbar ein Klimakiller, der nur aufgrund der wohlwollenden Betrachtung der EZB davonkommt, ohne dass die massiven CO2-Emissionen, die das beständige Herumtragen von Milliarden Scheinen und Münzen öffentlich bekannt werden. Selbst vorausgesetzt, dass die Hälfte aller Bargeldbestände dauerhaft unter Kopfkissen und in Kleiderschränken liegen, liegt der Energieverbrauch des Euro-Bargeldsystems deutlich über dem, den das vielgeschmähte Bitcoin-Netzwerk verursacht.

Das benötigt 137,68 TWh pro Jahr. Das Euro-Bargeldsystem dagegen braucht allein für die privat veranlassten und betriebenen Transportleistungen von Scheinen und Münzen weit über 1.000 TWh im Jahr - fast zwanzigmal so viel wie Tschechien (69,8 TWh) und zehnmal so viel wie Niederlande (117,6 TWh) an Strom verbrauchen.

Samstag, 26. April 2025

Zitate zur Zeit: Unheimliche Geräusche

Die Fahrt nach Ferne Basset war angenehm. Die warme Herbstsonne schien auf die Hecken und warf helle Flecken auf die Straße, die von einem Regenschauer noch feucht war. Die Felder wurden bereits gepflügt. Die Pflugschar hinterließ glänzende Furchen fruchtbarer brauner Erde, die von einer Schar schreiender Möwen mit den Schnäbeln durchforstet wurden. 

Das Dorf bot fast wieder sein gewohntes Bild. Die Polizei war abgezogen, die Angehörigen des vierten Standes ebenfalls. Eine Gruppe von Kindern alberte am Rand des Carter's Wood herum, dort, wo das Verbrechen passiert war. Sie rannten zwischen den Bäumen hin und her, machten unheimliche Geräusche, taten so, als würden sie sich gegenseitig erwürgen, und stolzierten mit steifen Armen und Beinen umher wie Frankensteins Monster. 

Caroline Graham, Ein sicheres Versteck, 1999

Ausgestellte Leiche, tiefe Verbeugungen: Knicks vor einem Konservativen

Der Papst als Mitnehmangebot für Fans. Die Vermarktungslogik macht auch vor dem Vatikan nicht halt.

Sein Vorgänger war der Pop-Papst, ein ewiggestriger Deutscher, der Linke wie Rechte in Verzückung versetzte. "Benedikt, Benedikt" jubelten die Menschen dem bayerischen Ponifex zu, der die Huldigungen der Massen gern annahm. Benedikt XVI., nur 17 Tage nach dem Tod des polnischen Paddelpapstes Johannes Paul II. im vierten Wahlgang zum neuen Heiligen Vater gewählt, löste sein Versprechen ein, die Lehre der Kirche zu bewahren und zu verteidigen und das Eheverbot für Priester nicht zu lockern. Dieses knurrige Ewiggestrige, es kam gut an, selbst bei den Partypeople und in der berühmten Eventszene. 

Ein Sterblicher auf dem Rhein

"Benedotto, Benedetto" jubelte Zehntausende beim Weltjugendtag in Köln, der zu einem euphorischen Massenereignis wurde. Pilger beiderseits des Rheins. Der Heilige Vater wie ein gewöhnlicher Sterblicher auf einem Schiff, nicht zu Fuß auf dem Wasser des Rheins, ein wackliges Holzkreuz am Bug. Er schwebt an der jungen Gläubigen am Fluss vorbei, es singt und lacht und Gott ist so groß, dass niemand mehr dem 265. Papst in der Kirchengeschichte und dem achten Deutschen auf dem Stuhl Petri vorwerfen wollte, was er doch für rückwärtsgewandter, reformunwilliger kalter Knochen sei. 

Doch Kirche ist, die katholische zumal, wenn ausgesucht beurteilt wird. Je nach Stimmungslage findet sich die Kurie umjubelt als letzter Hort eines kollektiven Ewigkeitserlebnisses. Oder brutal unter das Fallbeil der öffentlichen Verurteilung geschoben. Der älteste, größte und reichste Glaubenskonzern der Welt verändert sich je nach Tageswahrheit immer entweder zu schnell oder zu langsam, zu sehr oder zu wenig. 

Seit Jahrzehnten schon verspielt gerade die katholische Kirche, Mutter einzähliger skurriler Abspaltungen, ihre Glaubwürdigkeit. Sie ist dadurch bereits zur "Sekte" geworden, wobei die Unterscheidung Außenstehenden ohnehin schwerfällt. Und sie hat selbst bei der Aufarbeitung des viele Jahre im Mittelpunkt der kirchlichen Tätigkeit stehenden Kindesmissbrauchs versagt. ohne größeren Schaden zu nehmen.

Eng verquickt mit der Politik

Wären da nicht ihre herausragende gesellschaftliche Bedeutung und ihre enge Verquickung mit Politik und Wirtschaft, mutmaßlich hätten sich sogar Staatsanwälte mit der organisierten Kriminalität hinter Kloster- und Kirchenmauern beschäftigt. Doch wie der Kult um Jesus, den Heiligen Geist und den Gott im Himmel vom geplanten Lügenverbot ausgenommen werden soll, so blieb die Vertuschung des jahrzehntelangen systematischen Machtmissbrauchs in der katholischen Kirche eine interne Angelegenheit. 

Für Priester, Bischöfe und Kardinale gilt das weltliche Recht zwar theoretisch genauso wie für alle anderen Menschen. Doch mit Geld, Drohungen und leeren Versprechen gelang es den Kirchenfürsten erfolgreich, die Strafverfolgungsbehörden aus den inneren Angelegenheiten herauszuhalten. Hausdurchsuchungen in bischöflichen Räumen gab es in Deutschland bis 2023 nicht eine einzige. Und das in einem Land, das die Opfer nach Tausenden zählt und schon für ein Internetbildchen ein Kommando in Marsch setzt.

Betroffene und ihre Familien, häufig durch religiös verbrämten Hokuspokus gefügig gemacht, wurden systematisch davon abgehalten, Anzeige zu erstatten. In der Not zahlte der Konzern Kirche sogar Schweigegelder, um Verfahren so lange zu verschleppen, bis durch Verjährung ein unüberwindliches Verfahrenshindernis aufgetreten war.

Nach Vorgaben von Benedikt

Benedikt im Vatikan schaute zu, er war es sicher sogar, der die Vorgaben formulierte. Sein Nachfolger Franziskus, als ganz anderer Typ gefeiert und zu Beginn seiner Amtszeit mit Erwartungen überladen, hielt daran fest. Verbal beugte er das Knie und rief seine Kirche dazu auf, sich "beim Einsatz für Missbrauchsopfer um deren seelische Leiden zu kümmern und sie nicht zu den Akten zu legen". Er war Schutzpatron von Kinderschutzkongressen, entfernte demonstrativ einige Bischöfe aus ihren Ämtern und verbeugte sich vor dem Zeitgeist, als er der Kirche die Flankierung der aktuellen Trends in der Politik nahelegte.

Politik und veröffentlichte Meinung liebten ihn dafür. Franziskus gab nach außen hin das Idealbild eines grünen Papstes ab. Er stehe für eine "arme Kirche" beteten Medien seine Selbstidealisierung nach. Er wurde in einem kleinen Fiat gezeigt, wie er sich bescheiden, wenn auch fossil durch Rom fahren ließ. Die 49 apostolischen Auslandsreisen, fast doppelt so viele wie Benedikt sich genehmigt hatte, wurden nicht unter dem Gesichtspunkt ihrer Klimaschädlichkeit betrachtet, sondern als Zeichen dafür genommen, wie nah an den Menschen der für gewöhnlich abgeschottet im Kleinstaat Vatikan lebende Heilige Vater sei.

Kein Blatt Bibelpapier

Nachdem schon dem kaum als progressiv oder fortschrittlich zurechtzubiegenden Benedikt die Zuneigung der Leitmedien nur so zugeflogen war, entwickelte sich unter Pontifex Franziskus eine echte Liebe. Kein Blatt Bibelpapier passte zwischen Abtreibungsbefürworter und den Abtreibungsgegner im Apostolischen Palast, zwischen Frauenrechtlerinnen und den erklärten Feind der Gleichberechtigung, zwischen Transqueeraktivisten und dem sturen Vater, der Anhänger der These, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, am liebsten zu Behandlung geschickt hätte.

Was passte, fand Begeisterung. Alles andere galt als Marotte, die Franzismus selbst gern abgelegt hätte, allein er konnte nie, weil die große Glaubensgemeinschaft noch nicht ganz so weit war. Mit seinem Tod am Ostermontag, Stunden nur nach einem letzten "Urbi at Orbi",  hat der 88-Jährige auch den Rest der  Kritiker zum Verstummen gebracht. 

Er hat gemahnt

Wie seinerzeit nach dem Tod der britischen Queen Elisabeth berauscht sich von Heinrich-Böll-Haus bis zum "Spiegel" die komplette Meinungselite an der Vorstellung, wie großartig und bedeutsam, wegweisend und sozial dieser Papst gewesen sei. Nicht nur spirituell, sondern auch organisatorisch habe er die Kirche auf "neue Grundlagen" gestellt. Auf diesen Fels wollte Gott bauen.

Für den Frieden sei er gewesen. Er habe "immer wieder gemahnt". Und nicht zuletzt auch die Ansicht vertreten, die Kirche müsse arm sein. Vielleicht die krudeste These, die ein Mann vertreten kann, der als Chef über ein Imperium mit einem Vermögen verfügt, das offiziell auf 400 Milliarden Euro beziffert wird. Wo doch allein das Vermögen des deutschen Ablegers schon bei 300 Milliarden liegt. Niemand lacht. Keiner verweist auf das Verbot Fake News. Kirche ist Staat, Staat ist Kirche, selbst wenn die Gläubigen in Scharen davonlaufen.

Die Könige der Verschleierung

Über Jahrhunderte hat die katholische Kirche ein unüberschaubares Geld-, Beteiligungs-, Wertpapier-, Land- und Immobilienvermögen angehäuft. Unter zahllosen Tarnorganisationen und Stiftungen ist sie größter Land-, Forst- und Immobilienbesitzer, mit ihren Firmen ein wichtiger Unternehmer, Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor. Und erfolgreich auch dabei, Angaben zu Besitz, Einnahmen und Vermögen zu verschleiern. 

Alle Aktivitäten vollziehen sich heute wie vor Jahrhunderten im Vatikan. Das Siegel kirchlicher Verschwiegenheit schützt nicht nur Kinderschändern, sondern auch die Männer, die dem Vatikan die 400 Millionen erwirtschaften, die der Kleinstaat mit seinen 800 Bürgerinnen und Bürger Jahr für Jahr verbraucht.

Eine halbe Million Euro pro Einwohner. Das ist das Fünfzigfache dessen, was der wahrlich nicht für seine Sparsamkeit bekannte deutsche Staat pro Kopf seiner Einwohner ausgibt. Der Vatikan schafft es ohne ein stehendes Heer mit schwerer Ausrüstung. Aber mit einem ähnlichen Plan zum Energieausstieg. Die alten und neuen Kirchenfans, die dem verstorbenen Pontifex in diesen Tagen ihre Ehrerbietung erweisen, können solche Zahlen allerdings nicht beeindrucken. So oft und leidenschaftlich sie gegen die Reichen, die Erben und die Erbenden zu Felde ziehen, so nachsichtig sind sie mit den Scheinheiligen.

Im Weihrauch-Rausch

Im Weihrauch-Rausch, zuletzt rund um den Rücktritt des als "einfacher, kleiner Arbeiter im Weinberg des Herrn" verklärten Benedikt aktenkundig, verwandeln sich Zeitungen, Magazine und Gemeinsinnsender in Außenstellen von Radio Vatikan. Minutiös berichten sie von der ausgestellten präparierten Leiche. Vom Verschwinden des Bischofsstabes. Von letzten Worten und letztem Willen. 2.000 Medien­schaffende aus aller Welt haben sich seit dem Tod von Papst Franziskus neu beim Vatikan als Berichterstatter angemeldet – zusätzlich zu den 500 dauerhaft akkreditierten Journalisten. 

Zur Beisetzung kommt alles, was Rang und Namen hat. Trump, Steinmeier, von der Leyen, auch Scholz noch einmal, der aus der Kirche ausgetretene intersektionelle Feminist, Macron und Selenskyj natürlich, die beiden omnipräsenten Führer der freien Welt. Ein Statement nicht nur aus Höflichkeit und Pietät und Rücksicht auf den Umstand, dass es wichtig ist, auf der Weltbühne gesehen zu werden. 

Die Sehnsucht nach einer höheren Macht

Nein, die Frauen und Männer, die nach Rom reisen, um dem verschiedenen König der Kirchenwelt ihre Aufwartung zu machen, tragen allen Demokratisierungstendenzen der Gegenwart zum Trotz eine tiefe Sehnsucht nach der Geborgenheit im Schutz einer höheren Macht in sich. 

Sie würde es wohl leugnen, als Frauen und Männer der Wissenschaft und der Rationalität. Doch in ihnen allen wohnt nicht nur das Bedürfnis, nach außen zu zeigen, dass jeder einzelne von ihnen an etwas Höheres glaubt, sondern auch die Hoffnung, es könne ein Aufgehobensein in den festen Strukturen eines jahrtausendealten mächtigen Mechanismus geben, der alle Stürme der Zeit unbeschadet überstanden hat. 

Dafür sind sie bereit, einen Hofknicks für einen konservativen Geistlichen zu machen. Dafür werden sie gern Teil einer großen Show um einen makaber ausgestellten Leichnam, Prediger in Brokatkleidern und goldenen Schuhen. Mit ernster Miene betrachten sie männerbündische Rituale und voodooähnliche Anrufungen eines höheren Wesens. Selbst die Atheisten unter ihnen zeigen sich ergriffen und berührt.


Freitag, 25. April 2025

Abschied vom Aufschwung: Die Null muss stehen

Robert Habeck Pappschild Konjunktur
So werden ihn die Wähler vermissen. Robert Habeck mit einem der Schilder aus der Bundespappschildabteilung des BMWK, die künftig im Haus der Deutschen Geschichte aufbewahrt werden. Abb.: Kümram, Öl auf Pappe

So wird er also in Erinnerung bleiben. Das weiße Hemd am Kragen aufgeknöpft, der Blick entschlossen, ein Schild in der Hand, immer mit einer Linie, die von links oben nach rechts unten weist. So hat sich Robert Habeck seinen Wählern und Wählerinnen als Wirtschaftsminister vorgestellt, als er 2022, noch kaum im Amt, "Zeichen für leichte Belebung" in der Wirtschaft sah. So trat er auf, als er später den Klimapfad aufzeigte, auf dem Deutschland in die richtige Richtung unterwegs war. Und so war er zusehen, als im vergangenen Jahr "mit etwas mehr Wachstum" rechnete.

Schwungholer und Gesundbeter

Die Pappschildabteilung im Bundesklimawirtschaftsministerium hatte immer gut zu tun. Der Minister, der als Philosoph kam, um die langen Linien zu malen, begriff sich von Anfang an auch als Welterklärer für die einfachen Leute, die  vielleicht noch begreifen können, was sie selbst erfahren. Nicht aber, was es bedeutet und wieso es so ist. Dafür war er da, der Schwungholer und Gesundbeter,  der im Niedergang den Höhenflug schnupperte und immer, wenn er dann doch nicht kam wie vorhergesagt, genau sagen konnte, weshalb es gar nicht anders sein konnte.

Diesmal ist natürlich Donald Trump schuld. Der seit Monaten scheidende Bundeswirtschaftsminister hat die Handelspolitik und die vom US-Präsidenten verhängten, zurückgenommen, wieder verhängten und vorläufig ausgesetzten Zölle dafür verantwortlich gemacht, dass die Bundesregierung ihre ohnehin bescheidene Konjunkturprognose einmal mehr nach unten korrigieren muss. 

Ursachen immer anderswo

Anders kennt es der frühere Grünen-Chef nicht. Seit er das frühere Wirtschaftsministerium übernommen und zum Klimawirtschaftsministerium gemacht hat, steckt Deutschlands Wirtschaft in einer Rezession, die inzwischen länger andauert als jede zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Glücklicherweise liegen die Ursachen dafür immer anderswo. 

Nach dem Krieg kam die Energiekrise. Dann drückte die Inflation auf die Konsumlaune der Deutschen. Dann investierten die Unternehmen weniger. Dann nahmen die Insolvenzen zu. Dann verbot das Bundesverfassungsgericht der Ampelregierung auch noch die Nutzung der alten Merkelkredite aus der Corona-Zeit für den geplanten Klimaumbau. 

"Belebende Wachstumsdynamik"

Und jetzt ist Trump der externe Schock, der die hübsche Herbstprognose mit der "sich allmählich belebenden Wachstumsdynamik" durch "Auftriebskräfte im Zuge einer Belebung des privaten Konsums, einer Erholung der Nachfrage nach Industrieerzeugnissen aus dem Ausland und einer Trendwende bei der Investitionstätigkeit" zerstört hat. 

Der einzige Mensch weltweit, der nichts dagegen machen konnte, war Robert Habeck, ein Geworfener in den großen Weltenlauf. Ihm bleibt nur, immer wieder ein Schild hochzuhalten, die Linie steil nach unten. Habeck ist damit beinahe so machtlos wie Olaf Scholz, der Kanzler, der fast auf den Tag genau vor zwei Jahren ein neues Wirtschaftswunder nahen sah.

Kein Lichtstreif am Horizont

Damals "lag" das Land, wie Scholz sagte, "vor einer Phase großen Wirtschaftsaufschwungs". Heute liegt diese schwierige Phase der großen Erwartungen hinter ihm. Habeck, von drei Jahren im Amt sichtlich gezeichnet, hat diesmal nicht einmal mehr versucht, fürs Publikum einen Lichtstreifen an den Horizont zu malen. Seit selbst die dem Minister und seinem Kanzler gewogenen Medien schamlos das Wort "Rezession" verwenden, statt weiterhin mit "Flaute" und "Schwäche" drumherumzuschreiben, ist es für die Ausrufung von "konjunkturellen Wendepunkten" (Habeck, April 2024) eh zu spät. 

Nur ganz, ganz wenige halten noch zur Stange. Keiner aber glaubt mehr wirklich, was so lange Konsens war. Kann kommen, was will. Kann er auch tun, worauf niemand käme. Dass Habeck "nicht schuld" (Taz) ist, sondern die Umstände, der Russe, die AfD, die CDU und die "starke Exportorientierung der deutschen Unternehmen", das war Heizungsgesetz. Beste Idee! Gleich nach E-Auto-Prämie und E-Auto-Prämienstopp. Dass es nicht zu mehr gereicht hat, tja, niemand ist darüber trauriger als Robert Habeck. Dessen Stimmung sei "durchwachsen", reportiert die "Tagesschau" gewohnt kritisch. 

Die Null muss stehen

Aber wenigstens die Null muss stehen. Das dritte Jahr hintereinander wird Deutschland nicht wachsen, soweit hat Robert Habeck eingestanden, was kaum mehr zu leugnen ist. Die mit der offiziell als "Konjunkturprognose" bezeichneten Rezessionvorhersage verkündeten null Prozent Wachstum wären allerdings noch deutlich besser als die minus 0,2 und minus 0,3 Prozent der letzten beiden Jahre. Dass das ehrgeizige Ziel sich erreichen lassen wird, ist zu bezweifeln. Am Tag der nächsten Abrechnung aber wird Habeck aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr da sein, um dafür verantwortlich gemacht zu werden.

Der Pate: Die Welt ist sein Feld

Klaus Schwab WEF Vorwürfe Gemälde
Klaus Schwab wurde lange vorgeworfen, dass er die Welt regiere. Gemälde: Kümran, Ölfarbe auf Leinen

Er war der, an dessen Fäden die Welt zu tanzen schien. Ein Weltkriegskind aus Ravensburg, das erst Maschinenbau machte und dann den globalen Umbau anging. Klaus Schwab, Sohn eines Fabrikanten, studierter Techniker und später Doktor der Wirtschaftswissenschaften, war 60 Jahre alt, als er beschloss, mit dem Social Entrepreneurship eine gänzlich neue Industriebranche zu gründen. Ins Deutsche kaum adäquat übersetzbar, ist das soziale Unternehmertum seitdem zu einem Milliardengeschäft geworden.  

Hauptprodukt Gutes

Kein Online-Gigant kann sich ohne soziales Engagement sehen lassen. Kein fossiler Dinosaurier kommt ohne Spenden für den guten Zweck aus. Und das sind nur die kleinen Fische. Klaus Schwab empfahl das Gutsein nicht als Abfallprodukt der Güterherstellung oder Ablasszahlung für angerichtete Schäden an Natur, Umwelt, Klima und Gesellschaft. Sondern als Hauptprodukt: Social Entrepreneure handeln mit guten Gewissen, sie beaufsichtigen die im ganz normalen Alltag gefangenen Firmen, Behörden und Einzelpersonen und lenken die Zivilisation auf diese Weise in die richtige Richtung.

Die Pioniere der Schwabschen Schule begannen ihr Werk noch als Freiwillige. Ehrenamtlich engagierten sie sich nach besten Kräften und so lange das Geld reichte. Sie schufen durch Entsagung und Hartnäckigkeit die Grundlagen dafür, dass die Staaten später zu Hilfe kamen: Je mehr Gutes getan wurde, desto deutlicher wurde, dass überall noch nicht genug Gutes getan war. Aus kleinen Hinterhofbüros mit Möbeln vom Schutt wurden schicke NGOs mit Etats wie kleine Fürstentümer. 

Die Erfindung der Sozialindustrie

Heute ist die von Klaus Schwab erfundene Sozialindustrie ein weltweites Phänomen. In Deutschland haben  staatlich finanzierte Start-ups wie die Amadeu-Antonio-Stiftung, das Medienportal Correctiv und der Verein HateAid eine beispiellose Erfolgsgeschichte geschrieben. Wobei beispiellos nur richtig ist, so lange Schwabs eigene Laufbahn nicht zum Vergleich herangezogen wird.

 Denn der heute 87-Jährige baute seine kleine Geschäftsidee im dritten Lebensdrittel zu einem Welterfolg aus: Mit dem World Economic Forum, 1971 als European Management Conference gegründet und 1987 in Weltwirtschaftsforum umgenannt, schuf der Visionär eine Machtmaschine, deren jährliche Treffen im schweizerischen Davos zu Hochämtern des Menschheitsmanagements wurden.

Nicht unter fünf Milliarden

1.000 Unternehmen sind Mitglied, keine Klitschen, sondern jedes nicht unter fünf Milliarden Jahresumsatz. Schwabs Truppe, ursprünglich eine Schweizer Stiftung, finanziert Studien, es vergibt Preise, fördert unter der Überschrift "Global Shapers" Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, denen die WEF-Experten Potenzial für zukünftige Führungsrollen in der Gesellschaft zubilligen. Aus dem Treffen in Davos sind dauernde Veranstaltungen überall auf dem Globus geworden, darunter das "Jahrestreffen der New Champions", das stets in China stattfindet. 

Schwab missioniert für den "Great Reset", den Druck auf eine Taste, nach dem mehr Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und weniger Klima hergestellt sein soll. Und er fordert das "Great Redesign", einen kapitalismuskritischen Umbau der Zivilisation für die Masse, gelenkt von Vordenkern wie ihm, der sich ein Jahressalär von rund einer Million Schweizer Franken zahlt. Doch das Geld ist ja da, das WEF erhält hohe öffentliche Zuschüsse und muss in der Schweiz keine Bundessteuern zahlen.

Der Beichtvater der Elite

Schwabs Klientel ist die Elite. Ohne nach demokratischer Legitimation zu streben oder sie auch nur vorzuspielen, gelang es dem globalen Kommunikator, das jährliche Bilderberg-Treffen selbst in den Augen von Verschwörungstheoretikern wie das Klassentreffen einer sächsischen Vorschulklasse aussehen zu lassen. Beim WEF wurden die großen Dinge besprochen, die großen Pläne geprüft, die langen Linien gezogen. Klaus Schwab war die Personifizierung einer Rettung der Welt durch eine Führungspersönlichkeit aus der internationalen Wirtschaft, der nie ein Unternehmen selbst geleitet, aber zahlreiche Orden, Ehrenzeichen und Ehrenprofessorenwürden erhalten hat.

Dass der Großvater der in der Schweiz seit 2014 als "anderes internationales Organ" im Sinne des Gaststaatgesetzes geführten Weltberatungsorganisation jetzt überraschend seinen Rücktritt einreichte, ausgerechnet am Tag, an dem der Papst starb, lässt die Weltplanung für einen Moment kopflos zurück. Erst vor einem Jahr war Schwab auf den Posten des Executive Chairman auf den Vorsitz des Kuratoriums gewechselt, nur Ehefrau Hilde und Sohn Oliver halten als "Seele des WEF" (Schwab) und Statthalter in China die Familie im Spiel bei der "Gelddruckmaschine" (Süddeutsche Zeitung) für den guten Zweck. Und nun ist er ganz weg, beiseitegedrückt von "Anschuldigungen, dass er und seine Frau Geld abgezweigt hätten" (Die Welt). 

Schock in der Helfergemeinschaft

Geld wovon? Wozu? Wessen? Das WEF hat eine Untersuchung angekündigt, doch die globale Helfergemeinschaft steht unter Schock. Schwab, der das Familienunternehmen WEF seit mehr als einem halben Jahrhundert unumschränkt und mit Finanzberichten geführt hatte, die weder Einnahmen noch  Ausgaben aufschlüsseln, ging so eilig, dass er - anders als es für deutsche Ministerpräsidenten vorgeschrieben ist - nicht einmal seinen Nachfolger noch aussuchen und ernennen konnte. Das Ende kam plötzlich, es kam auch für den rüstigen Greis als so harter Schlag, dass Klaus Schwab 48 Stunden brauchte, ehe er die inzwischen öffentlich gewordenen Vorwürfe entschieden zurückwies.

Der Vize-Chef des Gremiums, Peter Brabeck-Letmathe, ein 80-jähriger EX-Chef des Lebensmittelkonzerns Nestlé, muss vorerst einspringen. Brabeck-Letmathe war öffentlich zuvor kaum jemals als Weltvordenker aufgefallen. Jetzt schlägt seine Stunde. Es gilt, zu retten, was von Schwabs Lebenswerk noch übrig ist. Beim WEF, das zuletzt nicht einmal mehr die früher gewohnten leidenschaftlichen Proteste hervorrief, geht es ums Überleben. 

Das Charisma des Gründers

Wie jedes Familienunternehmen lebt auch das "Forum" von der patriarchischen Figur im Mittelpunkt, vom Charisma eines Gründervaters, der aus einer fantastischen Vision einen zuverlässig schnurrenden Weltkonzern gemacht hat. Schwab füllte diese Rolle aus, in rätselhaften Kostümen und mit Forderungen wie der, "dass wir den Kapitalismus neu definieren müssen". Wer "wir" ist und ob der Kapitalismus durch eine neue Definition abgeschafft oder fit für höhere Profite gemacht werden soll - Schwab genoss und schwieg.

Das machte einen Teil seines Erfolges aus, der auch ein finanzieller ist. Das Stiftungskapital des WEF, öffentlich nicht näher beziffert, liegt nach Schätzungen heute bei mindestens 30 Millionen Schweizer Franken. Dazu kommen erhebliche und noch stillere Reserven von mehr als 130 Millionen Euro. Das Unternehmen machte im Geschäftsjahr Juli 2023 bis Juni 2024 440 Millionen Franken Umsatz. Genug, um sich zuletzt sogar deutlich stärker als früher mit einem symbolischen Beitrag an der Finanzierung der Sicherheitsmaßnahmen rund um das Treffen in Davos zu beteiligen. 

Sturz der Weltregierung

Einen solchen Giganten mit einem anonymen Brief auszuhebeln, in dem ein Whistleblower offenbar so glaubwürdige und nachvollziehbare Vorwürfe erhebt, dass das WEF seinem Gründer inzwischen Hausverbot erteilt hat, ist ein starkes Stück. Dass Regierungen zuweilen über die eigenen Füße stolpern wie die Ampel oder Imperien auseinanderbrechen, weil die Fliehkräfte das Zentrem auseinanderreißen, ist aus der Geschichte hinlänglich bekannt. Doch dass auch eine der Weltregierungen auf diese Weise in die Bredouille gerät, hätte bis vor einigen Tagen wohl niemand für möglich gehalten.

Plötzlich zählt nicht mehr, dass es Schwab war, der die damals noch ganz frische Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu inspirierte, auf dem Treffen der Weltelite die Schaffung einer "Charta des nachhaltigen Wirtschaftens" zu fordern, die damals noch nicht vorbestrafte EZB-Chefin Christine Lagarde inspirierte, vor sozialen Unruhen in Europa zu warnen, und den Präsidenten der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet 2013 beklatschte, als er erklärte, dass dem Euro durch die Finanzkrise keine Gefahr drohe.

Angriffe auf den Paten

Undank ist der Welten Lohn. Ähnliche Vorwürfe wie jetzt hatte Klaus Schwab schon im vergangenen Jahr entschieden zurückgewiesen. Sie waren so sanft vorgebracht worden, dass sie das ehemalige Nachrichetnmagazin "Der Spiegel" nur in seinem Supplement "Manager Magazin" veröffentlichte - und auch erst mit einem Monat Verspätung, als der Pate sie wohlbehalten überstanden hatte. Eine Klage gegen das WEF war später zurückgezogen worden. 

Jetzt aber geht es nicht mehr nur um Belästigung und Diskriminierung von Mitarbeitern aufgrund ihrer Rasse und ihres Geschlechts, sondern um Geld, dass Schwab und seine Frau "für persönliche Zwecke verwendet" haben soll. So habe Schwab Mitarbeiter veranlasst, für ihn "tausende Dollar" in bar abzuheben. Seine Frau Hilde soll  Luxusreisen "aus Anlass von WEF-Treffen" über das Forum abgerechnet haben. 

Gegen Schwabs Warnung

Nichts, was nicht überall dort üblich ist, wo öffentliche Gelder ohne Kontrolle verschwendet werden können. Doch weil die Schweizerische Stiftungsaufsicht sich in der Causa einmal mehr als unabhängiges Kontrollorgan inszenieren will, musste das WEF-Kuratorium eine interne Untersuchung einleiten. Klaus Schwab selbst soll sich noch dagegen ausgesprochen haben. Vergeblich - die Machtbasis des Mannes, in dessen legendärem Adressbuch die Privatnummern aller eingeschworenen Angehörigen der globalen Machtelite stehen sollen, war schon zu sehr erodiert. Die seit einem Jahr über dem Erbe des sympathischen Gesichts des WEF kreisenden Geier schlugen gnadenlos zu.

Schwab wurde vor die Tür gesetzt. Ein Lebenswerk in Minuten zermalmt. Ungeachtet dessen, hieß es aus dem Leitungsgremium der Weltregierung, bleibe das WEF "seinen Grundsätzen voll und ganz verpflichtet" - eine Anspielung auf die von Klaus Schwab verkündete Mischung von Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und moralischer wie intellektueller Integrität, die die private NGO über Jahrzehnte befähigt hat, großen Wert auf den Schutz von menschlichen Werten und die Wahrung von Ethik und Integrität zu legen.