Samstag, 28. Juni 2025

Das P in SPD steht für Opportunismus: Die Vergesslichen

Lars Klingbeil Umbau SPD veränderung
Im zurückliegenden Vierteljahrhundert hat die SPD nur vier Jahre nicht mitregiert. Die Bilanz ihrer Bemühungen kann sich sehen lassen.

Es hätte niemals so weit kommen müssen. Die richtige Politik an der richtigen Stelle, die richtigen Weichen im passenden Augenblick herumgeworfen, klug investiert, smart entschieden, vorausschauend und nachhaltig umgesetzt... So viel war drin. So viel ist falschgelaufen.  "Unser Land ist kaputtgespart worden an vielen Stellen, der Investitionsstau ist groß", musste Bundesfinanzminister Lars Klingbeil gerade erst eine bittere Bilanz ziehen. 

Desaströse Bilanz 

Der seit der krachenden Niederlage seiner Partei quasi allein amtierende SPD-Parteichef kann offenbar kaum fassen, wie unverantwortlich das ehemals so starke, stolze und selbstbewusste Herzland der Europäischen Union geführt wurde. Die Bundeswehr im Eimer. Der Wohnungsbau zum Erliegen gekommen. 

Die Kommunen von der Zuwanderung überfordert, pleite und kaum mehr in der Lage, ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen. Der Sozialstaat ein Moloch, der regelmäßig den halben Bundeshaushalt frisst. Der Mindestlohn zu niedrig, Gehälter, Strompreise, Steuerlast und Bürokratieauflagen zu hoch, um auf dem Weltmarkt noch bestehen zu können. 

Klingbeil machte sich und seine traditionsreiche Partei ehrlich, kaum dass er mit Friedrich Merz über eine Koalition zur konservativen Wende bei Migration, Klimapolitik, Kriegs- und Wirtschaftsmobilisierung einig geworden war. Kritik an der desaströsen Bilanz der Regierungspolitik der vergangenen Jahrzehnte soll nicht mehr nur eine Angelegenheit von rechten Hetzern und enthemmten Internettrollen sien. Sondern sozialdemokratische Sache.

Der eiserne Besen 

Die "rote Axt aus Niedersachsen" schlug zu, dass es krachte, der eiserne Besen fegte einmal brutal durch das ehrwürdige Willy-Brandt-Haus. 

Saskia Esken, lange Co-Parteivorsitzende und von vielen Genossen als Gesicht der sozialdemokratischen Krise geschätzt, wurde abgesägt. Hubertus Heil, der pausbäckige Sozialpolitiker, der als Hauptautor des aktuellen Grundsatzprogramms der SPD mehr Verantwortung für die schlechtesten Wahlergebnisse und inzwischen noch schlechtere Umfragewerte aller Zeiten hat, wurde zum sogenannten "Religionsbeauftragten der SPD" degradiert. Karl Lauterbach, immer schon ein Mann, der in seinem Kosmos am liebsten um sich selbst kreiste, bekam einen Posten als Weltraumpolitiker.

Klingbeil räumt auf, aber nicht nur personell. Der 47-Jährige scheint bereit, die SPD ganz neu aufzubauen und er setzt dabei gezielt auf das kollektive Vergessen, das bisher schon so viele politische Neustarts erst möglich gemacht hat. Wenn er da sitzt, charismatisch, bestimmt und zu allem entschlossen, steht Klingbeil für eine neue alte Sozialdemokratie. 

Der Niedersachse ist nicht mehr nur ein ideologisch gestählter SPD-Nachwuchskader ohne jede Berufserfahrung außerhalb des sozialdemokratischen Biotops, der zum Chef einer früheren Volkspartei wurde. Sondern Vizekanzler und Finanzminister.

Alles hätte anders 

Und es ist ihm anzusehen, wie schwer es ihm fällt, zu glauben, was er im 20. Jahr seiner Karriere in der höchsten Etage der Bundespolitik plötzlich erkennen muss: Es hätte alles anders gemacht werden müssen. Es hätte doch nur die richtigen Politiker gebraucht, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Dazu aber hätte die richtige Partei regieren müssen. Klingbeils SPD war im zurückliegenden Vierteljahrhundert aber eben nur 21 Jahre lang an Bundesregierungen beteiligt. Die eine Hälfte der Zeit regierte sie, die andere Hälfte regierte sie mit. Und im Moment der Machtausübung hatte sie nie Zweifel daran, auf Kurs zu liegen.

Unter Schröder wurde Leistung großgeschrieben, unter seinen Nachfolgern das Geschriebene mühevoll ausradiert. Zusammen mit Angela Merkel, der im Herzen sozialdemokratischen Kanzlerin der CDU, führten die Sozialdemokraten die große Schuldenbremse ein und gemeinsam mit Union und den Grünen  schafften sie sie nur 15 Jahre später wieder ab. Dafür war die SPD von Anfang gegen eine Abschaffung der Wehrpflicht. Prinzipienfest stimmte sie dem "Wehrrechtsänderungsgesetz" nicht zu, das die Aussetzung von Wehr- und Ersatzdienst regelte. 

Kurzer Prozess mit der inneren Opposition 

Dafür aber ist sie jetzt mindestens ebenso beinhart gegen eine Wiedereinführung. Unter Entlastung der "hart arbeitenden Mitte", einer in Parteikreisen mystisch verehrten Milieugruppe, die der ideologisch gestählte SPD-Funktionär aus "Spiegel-TV"-Reportagen und "Tagesschau"-Einspielen kennt, versteht die Partei im Augenblick höhere Belastungen für Überverdiener und Strompreissenkungen ausschließlich für die fossile Großindustrie, die mit ihren großzügigen Sponseringbeiträgen die SPD-Parteitage finanziert.

Mit den renitenten Friedenspolitikern in ihren Reihen, die im Stil von Egon Bahr und Willy Brandt für eine neue Ostpolitik werben, hat die Führung kurzen Prozess gemacht. Die Verfasser des "Manifests" wurden wegen Verrats an den westlichen Verteidigungswerten abgekanzelt, ausgegrenzt und abgestraft. 

Alternativlose Einheitspolitik 

Neue starke Stimmen einer neuerdings bellizistischen Partei widersprachen dem Versuch, die Gesprächspolitik des Kalten Kriegs wiederbeleben zu wollen. Adis Ahmetovic, ein nach den geltenden Ausbildungsvorschriften der früheren Arbeiterpartei direkt vom Studium in eine vielversprechende Funktionärskarriere gestartet, sprach von einem "fragwürdigen Papier", Verteidigungsminister Boris Pistorius gar von "Realitätsverweigerung". 

Das Papier missbrauche "den Wunsch der Menschen in unserem Land nach Ende des furchtbaren Krieges in der Ukraine", indem es so tue, als gäbe es zur bisherigen Politik der erfolgreichen Sanktionen, Waffenlieferungen und Durchhalteparolen eine Alternative. Gibt es nicht. Und wer das anders sieht, darf sich momentan nicht Sozialdemokrat nennen.

Neustart ohne Altlast 

Es soll ihnen und allen anderen eine Lehre sein. Rund um Klingbeil, der sich von progressiven Presse pünktlich vor Beginn des SPD-Parteitages als "Alleinunterhalter der deutschen Sozialdemokratie" feiern lässt, arbeitet die neue Generation der Klüssendorf, Bas und Miersch an einem Neustart ohne Altlasten.  

Was war, soll nie gewesen sein. Wer stört, wird verboten. Die Jahre des "Fordern-statt-Fördern"-Schrödersozialismus verschwinden ebenso aus der Parteigeschichte wie Sigmar Gabriels lange, glücklose Amtszeit als Parteichef, die Ära des Gottkanzlers Martin Schulz und die quälende Zeit der Partei-Pipi Andrea Nahles. Die neue SPD, es ist die vierte neue des neuen Jahrtausends, war nicht dabei. Jedenfalls nicht, dass sie wüsste.

Im Auftrag der Gutsituierten 

Es war einmal eine Volkspartei und sie kämpft heute mit allen Mitteln um Relevanz. Mit Umfragewerten von 15 Prozent, Tendenz sinkend, steht die deutsche Sozialdemokratie vor einer strategischen Zwickmühle: Sie kann weder bleiben, wo sie ist, noch sich nach links oder rechts bewegen, ohne in Konkurrenz zu anderen Parteien zu treten.

Die Partei, die einst die Bundesrepublik prägte, ist derzeit eine Interessenvertretung von Studienräten und anderen Wohlsituierten, die es sich finanziell leisten können, links zu wählen, aus nostalgischen Gründen aber weder die Grünen noch die Linke noch das BSW wählen wollen. 

Sozialdemokrat sein, das bedeutet heute, sich als traditionsbewusster Fortschrittsfreund zu sehen. Man ist Teil der politischen Klasse, progressiv und Fundament "unserer Demokratie", für Klima, Impfung und gemeinsame Werte, durchaus westlich, aber amerikaskeptisch, solidarisch mit Israel, aber im Grunde nur, weil man weiß, dass alles andere als antisemisch gewertet würde. 

Politiker aus dem Backautomaten 

Das P im Parteinamen steht für Opportunismus. Vom Erbe der alten Sozialdemokratie ist bei genauer Betrachtung ein Apparat übrigeblieben, der sich selbst ernährt und sich selbst durchaus genug ist. Das P im Parteinamen steht auch für Posten: Wie Backautomaten spucken die Wahlkreisbüros der Landtags- und Bundestagsabgeordneten frisch vermasterte Politologen aus, die alles mitbringen, um alles zu können. Niemand muss rechnen könne, wenn er weiß, was zählt. Lebenserfahrung ist verzichtbar, wo vor allem Haltung gefordert wird.

Ein Erbe in Trümmern. Mit der Auslöschung Schröders aus den Parteiannalen distanzierte sich die Schulz-SPD von ihren letzten Erfolgen. Mit der Bereinigung der jüngeren Geschichte um die eigene Mitverantwortung für alle politischen Entscheidungen seit 2013 radiert die Klingbeil-SPD nun auch das peinliches Scholz-Kapitel aus der Chronik. 

Der quengelnde linke Narrensaum und die Riege der um den Machterhalt bedachten Parteistrategen haben aus der ältesten deutschen Partei eine gemacht, die weder ihre Basis begeistert noch neue Wählergruppen erreicht. 

Inmitten eines Trümmerfeldes 

Inmitten dieses Trümmerfelds aus verratenen Traditionen und den Zumutungen der Tagespolitik steht Lars Klingbeil. Der Niedersachse, vom Parteitag mangels irgendwelcher Alternativen mit einem deprimierenden Ergebnis von zwei Dritteln der Stimmen im Amt bestätigt, hat in all denen Jahren, in den der Niedergang schon andauert, keine kleine Rolle in der SPD gespielt hat. 

Seine Karriere begann ganz links, der Aufstiegswille führte ihn nach rechts. Geliebt wird "der Lars", wie sie ihn nennen, weder auf der eine noch auf der anderen Seite.

"Er ist kein Brandt, kein Schmidt, nicht einmal ein Gabriel" sagt die Genossen über ihn. Aner sie räumen auch ein, dass die SPD eine besseren Mann im Augenblick nicht habe. In Straßenumfragen nach den zehn bekanntesten Sozialdemokraten rangiert Klingbeil weit unterhalb der Top Ten, natürlich hinter Ikonen wie Schmidt, Wehner und Müntefering, aber auch hinter Beck, Gabriel und Scholz. 

Verlorene Strahlkraft 

Das Willy-Brandt-Haus, einst das pulsierende Zentrum weltverändernder sozialdemokratischer Ideen, wirkt heute wie eine Gruft. Die SPD hat nicht nur an Wählerstimmen, sondern auch an Strahlkraft verloren. Die jähen Wendungen, mit denen sie versucht, auf Ballhöhe mit dem Zeitgeist zu bleiben,  lassen die  Mitgliederbasis schrumpfen. Die Wähler entscheiden sich im Zweifel für das Original – sei es die Union, die Grünen oder - neuerdings - die Linke. 

Die strategische Lage der SPD ist vertrackt, die Auswege sind vernagelt. Nach links zu rücken, wo Grüne und Linke mit Klima- und Gerechtigkeitsversprechen sich in linkem Populismus versuchen, wäre riskant. Nach rechts auszuweichen, verbietet sich aber ebenso: Angela Merkel hat die CDU so weit nach links geführt, dass ihre Partei die SPD der Schröder-Ära links überholte. Ihr Nachfolger Friedrich Merz blinkt nun demonstrativ rechts, ohne mehr als symbolische Veränderungen vorzunehmen. 

Den Laden am Laufen halten 

"Veränderung beginnt mit uns", überschreibt die Partei ihren laufenden Parteitag, um einen Neuanfang zu beschwören, als habe es Parolen wie "Mit Sicherheit mehr Wachstum" und "Scholz packt das an" nie gegeben. Die Partei, deren Parteitagsdelegierte vor zwei Jahren noch "Rot Front" riefen und den "Kampf gegen rechts" für ihre wichtigste Mission hielt, erwartet, dass Wählerinnen und Wähler ihr die nächste Häutung abkaufen und sie zur Abwechslung mal wieder für ein Kraft der Mitte halten, für die nichts wichtiger ist als die Interessen der Menschen "die den Laden am Laufen halten".

5 Kommentare:

  1. TrumpeltierJuni 28, 2025

    Niedrigste Umfrageergebnisse ???

    Das sah das Wahlurnenvolk kürzlich aber noch ganz anders, denn immerhin reicht es für eine erneute schwarzrote Koalition unter Blackrocker Fritz, dem neuen großen Landesfürsten.

    Bevor der Piefke seinem Herdentrieb abschwört, lässt der sich lieber weiter in wirtschaftliches und kriegerisches Elend 'führen'. Diese dummdreiste Selbstzerstörung ist wie ein genetischer Fingerprint in seiner Verhaltensstruktur. Das ist der innere General, der den Michel ins Verderben befiehlt, wo bereits viele andere Schwachköpfe rumlungern und Flashmob- bzw. Blitzkriegmehrheit demonstrieren.

    Quantität erschlägt Qualität, denn jedes Kind weiß: Für zwei Euro bekomme ich mehr Lollis als für nur einen. Hauptsache süße Verlockung, denn spätere Gesundheitsgefahren werden schildbürgerlich ausgeblendet.

    Ich vermute seltsam psychoaktive Ingredienzien in den Corona-Heilmittel-Spritzenboostern mit oder ohne Gratisbratwurst, denn jedes Gespräch liefert mir Hinweise auf zunehmend degenerierte Meinungen der 'mündigen' Bürger, die so anfällig für Volksverhetzung sein sollen, dass sie staatliche Maulkorbbetreuung brauchen.

    Vorsicht, meiden Sie jede Form von Intelligenz ... denn deren Wahrheit könnte sie verunsichern !!!

    AntwortenLöschen
  2. Die Asozial-Oligarchen sind doch noch dicke da, kein Grund zum Weinen. Und das mit der "Vergesslichkeit" ist nicht ganz falsch, aber, eigentlich bekommt der Pöbel von vornherein gar nicht mit, was die so raushauen. Stichwort "Sinnverstehendes Lesen".

    AntwortenLöschen
  3. OT Oooh wie ist das schööön... bzw. blöd.

    Achse meldet, dass der Friedensaktivist und frühere bzw. angebliche Sänger U.Lindenberg jetzt für Aufrüstung ist.
    Mal sehen, was ist denn jetzt anders als früher?
    Vielleicht das: Als er noch gegen zu sein Krieg vorgab, war die Ukraine eine Sowjetrepublik unter der Kontrolle Moskaus. Vielleicht kann er wieder gegen Krieg sein, wenn Kiew (nicht Kyiv) wieder an Moskau angeschlossen ist. Gut Holz.

    AntwortenLöschen
  4. << Sogar 11-jährige betatscht: Unmut wächst nach Belästigungsorgie im Gelnhausener Freibad durch syrische Männer >>
    Har, har. Also, ich merke nichts davon, dass der Unmut wüchse. Mich wundert nur, dass die keine Demo gegen Ausländerfeindlichkeit auf die Beine stellen. "Unmut" - lächerlich.
    Nebenbei, der neue Stern am Sozenhimmel - hier erwähnt - kotzt sich ungeniert aus, dass der Steuerkuli noch viel mehr als ohnehin schon abgebürstet werden könne und müsse, und: Es gibt KEINEN Rabatz. Der Pöbel nimmt das gar nicht wahr, aus geistiger Stumpfheit. Wenn aber doch, dann bezieht er es nicht auf sich, sondern auf "die Reichen", und denen geschieht ja recht.

    AntwortenLöschen
  5. Otto Plinsenzwerg ist eines von etlichen erschütternden Beispielen, was der Weingeist aus einem Menschen so machen kann. Ein so kleines Molekül ...

    AntwortenLöschen

Richtlinien für Lesermeinungen: Werte Nutzer, bitte beachten Sie bei ihren Einträgen stets die Maasregeln und die hier geltende Anettekette. Alle anderen Einträge werden nach den Vorgaben der aktuellen Meinungsfreiheitsschutzgesetze entschädigungslos gelöscht. Danke.