Donnerstag, 8. Februar 2024

SED als Mutter der Entspannung: Sogenannte friedliche Koexistenz

Der Linke vorn erfand die friedliche Koexistenz, der Genosse des Rechten vorn hat sie ihm nun weggenommen.

Es darf einfach nicht wahr sein. Könnte aber. Gut wäre das nicht, aber was tun? Wer mit der Wahrheit lügen will, und davon verstehen sie bei Deutschlands großer Nachrichtenagentur DPA einiges, weiß sich zu helfen. Beim einzigen Unternehmen bundesweit, das eine quasi amtliche Realität nahezu vollkommen unabhängig von der Wirklichkeit erschaffen kann, herrschte nur kurz Ratlosigkeit, als der letzte echte DDR-Staatsratsvorsitzende Egon Krenz bei der Vorstellung des zweiten Teils seiner Memoiren - Churchill etwa kam nur auf ein Buch - zu einer Geschichtslektion ausholte. Friedlich war sie und friedliebend sowie so, die alte DDR, besser als ihr heutiger Ruf und "viel mehr als eine Fußnote der Weltgeschichte" auch noch.

Wer hat's erfunden?

Vor allem aber, das sorgte beim Staatsempfang des früheren Spitzengenossen im Haus des "Neuen Deutschland" ganz kurz für Verwirrung, reklamierte Krenz die Urheberschaft  an der Politik der friedlichen Koexistenz, die ab Anfang der 70er Jahre Tauwetter im Kalten Krieg sorgte, für seine ehemalige Partei SED. Im DPA-Newskanal, in der Vergangenheit bereits Geburtsort von "Ehec-Toten, die nie mehr gesund werden", Verschwörungsmythen über den Tod Chruschtschows und im Licht der Öffentlichkeit schnell verstorbenen Bundeswehr-Reportagen, reicht ein zirzensiches Verbalmanöver, um dem Jammerossi aus Pommern die üble Behauptung von der DDR als Friedensstaat in den Mund mit den großen Zähnen zu stopfen. Es wurde ein Lehrbeispiel aus dem Demagogiefach "Lügen mit der Wahrheit".

Und es brauchte nur ein einziges Wort. Krenz habe behauptet, dass die DDR "mit ihrer damals sogenannten Politik der friedlichen Koexistenz zum Gleichgewicht zwischen den Blöcken und damit dazu beigetragen habe, dass kein heißer Krieg entstanden sei" streute der DPA-Federführer Zweifel nicht nur an der Friedensgeneigtheit der SED-Diktatur, sondern gleich auch noch an ihrer und jeder Politik der friedlichen Koexistenz, die als "sogenannte" von keinem Menschen mit Verstand mehr ernst genommen werden wird. "Sogenannt" ist Denunziationsbegriff und Alarmvokabel. Was sogenannt wird, steht nicht mehr unter Delegitimationsvorbehalt. Es ist delegitimiert.

Zauberlehrling ohne Bahnsteinkarte

Nun zielt das in diesem Fall zwar auf Egon Krenz, diesen alten, unbelehrbaren Zauberlehrling des Sozialismus, der von von Honecker keine Bahnsteigkarte erhielt und so erst zum Zuge kam, als der schon abgefahren war. Doch es trifft mit Willy Brandt und Egon Bahr zwei bis heute als weitgehend honorig geltende Grundpfeiler der westdeutschen Selbstgewissheit. Brandt und Bahr waren es, die das Konzept der friedlichen Koexistenz und den "Wandels durch Annäherung" schon in den 50er Jahre erdachten und nach dem Linksrutsch der Bundesrepublik in den 70ern umgesetzten, Kniefall in Warschau inklusive. 

Krenz folgte mit seiner Behauptung, die SED sei die Mutter der Entspannung gewesen, einfach nur dem in der DDR über Jahre gepflegten Gebet, in das jedermann einzustimmen hatte, wollte er nicht unter Verdacht geraten, den "friedliebensten Staat" (Krenz) nicht ausreichend zu lobpreisen. Krenz, mittlerweile 86, müsste es besser wissen. Entweder ist er also auf seine eigene Propaganda hereingefallen. Oder er sieht eine günstige Gelegenheit, die Erfindung der friedlichen Koexistenz mit einer einfachen Lüge rechtsgültig für das DDR-Regime erobern zu können.

Aus Fake News wird falsche Wahrheit

Die Reaktion gibt ihm recht. Es ist nicht wahr, aber das weiß niemand mehr, so sehr sogar, dass gar keiner auf die Idee kommt, die berichtigte Geschichte des gelernten Lehrers zurechtzurücken. Vielmehr glaubten sie bei DPA offenbar, dass wirklich wahr sein könnte. Und das wäre dann aber gar nicht gut gewesen. Vor dem Hintergrund von Krenzens Behauptung, dass das "Wort Frieden für viele Politiker ein Fremdwort geworden zu sein" scheine, galt es folglich, die Fake News aus dem Mund des im Westen lange als "Reformer" gehandelten "Führers der Staatsjugend FDJ" (Der Spiegel) wenigstens in Abrede zu stellen. Krenz wird es gefreut haben: Die Politik der friedlichen Koexistenz war zwar nun nur eine sogenannte. 

Aber aus dem Osten. Da kann der Brandt sich im Grabe umdrehen.


3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Er hat die Halbwahrheiten und Verdrehungen noch drauf, er könnte heute locker nochmal Karriere machen, eben statt im friedliebensten deutschen Staat im demokratieliebensten deutschen Staat.

Anonym hat gesagt…

OT
>> Lars Hünich, als er in einer Versammlung erklärte: „Wenn wir morgen in einer Regierungsverantwortung sind, dann müssen wir diesen Parteienstaat abschaffen“ – <<

Ich erkühne mich zu der Aussage, dass solche Scherze in voller Absicht gemacht werden, so wie Gaulands "Fliegenschiss" und Udo Voigts "Gas geben". Nichts da mit nur verplappert oder taktisch unklug. Letzteres ganz im Gegenteil.

Volker hat gesagt…

"Krenz folgte mit seiner Behauptung, die SED sei die Mutter der Entspannung gewesen, einfach nur dem in der DDR über Jahre gepflegten Gebet,"

Falls ich mir das richtig gemerkt habe, haben wir die Entspannung den chinesischen Genossen zu verdanken. Die haben am anderen Ende der großen Sowjetunion Rabatz gemacht, darob dem Breschnew vor Angst das Herz in die Hose rutschte.
Einen Zweifrontenkrieg wollte er sich auf keinen Fall ans Bein binden. Da ist es wohl am gescheitesten, sich mit denen ins Einvernehmen zu setzen, die halbwegs rational handeln. Und das war damals nicht der große Steuermann, wohl aber Willy Brandt.

Die Körpersprache