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Kerniger Kerl: Mit nordischem Charme soll Tim Klüssendorf vor allem junge und mittelalte Frauen zurück zur SPD holen. Abb: Kümram, Öl auf Brandmauer |
An der Sprache muss er noch arbeiten, auch den richtigen neutralen Eindruck vermittelt er noch nicht. Tim Klüssendorf, von Lars Klingbeil auserkoren, als nächster SPD-Generalsekretär zu fungieren, ist noch neu und nicht einmal im Amt, seine Partei wird ihn auftragsgemäß erst beim anstehenden Parteitag mit seiner neuen Verantwortung betrauen. Niemand hatte den 33-jährigen Lübecker auf dem Schirm, als Klingbeil ihn als Trumpf aus der Tasche zog: Frisches Blut für die älteste deutsche Partei, ein echter Kerl unter all den diversen, aber stets sanften Auftrittsarten.
Kernig im Auftritt
Klüssendorf arbeitet seitdem mit einem erfahrenen Team aus Stichwortgebern, Worthülsendrehern und Politpoeten daran, sich einen Namen zu machen. Zwischen Jette Nietzard und Kevin Kühnert soll er im Regal stehen, ein wenig wild, klar im Abgang, sozialistisch, aber mit Herz. Vor allem aber kernig auf Auftritt. Es ist seine Demokratie, für die der Mann mit der Raketenkarriere steht: Wie üblich diente sich auch Tim Klüssendorf durch die Niederungen des Parteilebens nach oben.
Der Sohn einer Lübecker Handwerkerfamilie machte Abitur, Bundesfreiwilligendienst und er studierte. Die Zeit bis zum Einzug in den Bundestag überbrückte nach den Vorgaben der Parteilehre als Mitarbeiter eines SPD-Politikers. Im Gegensatz zur üblichen Bewährung in der sozialdemokratischen Politproduktion als Gehilfe eines Landtags- oder Bundestagsabgeordneten schlüpfte Klüssendorf als Referent beim Lübecker Bürgermeister unter.
Die Parteiseele streicheln
Den festen Blick auf das, was Menschen hören wollen, und die deutliche Sprache, die hat Tim Klüssendorf aus dem hohen Norden mitgebracht. Er nutzt sie, um sein bislang blasses Profil zu schärfen und die Seele der von Wählerflucht, Verachtung und Verratsvorwürfen malträtierten SPD zu streicheln. Klüssendorf soll mit seinem kühlen, nordischen Charme vor allem junge und mittelalte Wählerinnen zu SPD zurücklocken. Dem von Beobachtern als "germanischer Typ" beschriebenen Norddeutschen wird zudem zugetraut, im Milieu von Burschenschaftlern, ostdeutschen Handwerkern und bei der LGBTQABCDE-Szene zu punkten.
"Für uns ist klar, dass die AfD ihre Mandate nutzt, um unser parlamentarisches System zu delegitimieren", hat der künftige Nachfolger von Lars Klingbeil und Kevin Kühnert in die zuletzt erlahmte Diskussion um ein Verbot der zuletzt kurzzeitig als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuften Partei eingegriffen. Deswegen, so Klüssendorf, wolle die SPD die Verfassungsmäßigkeit der AfD überprüfen.
Überprüfen, nicht überprüfen lassen. Ein wichtiger Zungenschlag, der wegen der Terminierung beinahe unterging. Klüssendorf hat das tote Pferd des Parteiverbots natürlich in Ansprache mit seinem Parteichef Lars Klingbeil genau an dem Tag aus dem Stall gezerrt, an dem sein Vorgänger die Versorgung der Inflation in Deutschland mit so viel frischem Geld verkündet, dass der Geldstrom das noch vor zehn Jahren für ein Vierteljahrhundert getränkt hätte.
Hoffnungsträger der Linken
Doch der Hoffnungsträger der Parteilinken, als Ersatzmann für die mehr als 20 Jahre lang vollkommen unauffällig eine Bundestagshinterbank hütende Lübecker Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm ins Parlament eingezogen, drückt dem Ablenkungsmanöver seinen Stempel auf, indem er eben nicht auf Geheimdienste oder Gerichte schielt. Sondern die deutsche Sozialdemokratie selbst in der Verantwortung sieht, die so bedrohlich erstarkte Konkurrenz aus dem politischen Wettbewerb zu werfen.
Tim Klüssendorfs Überzeugung nach ist auch die durch seine Partei noch vorzunehmende Prüfung eine reine Formsache. "Aus unserer Sicht muss ein Verbotsverfahren auf den Tisch", das sei im Präsidium der Partei Konsens, die selbst schon zweimal mit großem Erfolg von den Behörden verboten worden war. Zuerst trug das 1878 von Reichskanzler Otto von Bismarck initiierte "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" dazu bei, die Reihen in der Arbeiterbewegung zu schließen.
Am 22. Juni 1933 dann wurde die SPD durch die konkurrierende NSDAP verboten, deren Parteiorgan "Völkischer Beobachter" hocherfreut das "wohlverdiente Ende der marxistischen Landesverratspartei" feierte, sich damit allerdings über den sogenannten Urchristeneffekt täuschte. 1945 war die NSDAP weg. Die SPD aber wieder da.
Lehren aus dem eigenen Verbot
Die einstige Arbeiterpartei hat ihre Lehren gezogen. Man "peile ein Verbot der AfD an" und werde auf dem Parteitag am kommenden Wochenende dafür "Vorbereitungen" anstoßen. Nach Klüssmanns Planungen wird eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt, "über die Parteien hinweg", die Belastungsmaterial sammeln solle, das ähnlich wie das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Verfassungswidrigkeit der Bestrebungen der AfD belegt.
Echten Prüfbedarf sieht Klüssmann schon vorab nicht mehr. "Wir sind uns sehr sicher, dass die Voraussetzungen dafür gegeben sein werden", hat der bisherige Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion bekanntgegeben.
Damit bestehe dann aus seiner Sicht "eine Pflicht für ein Verbotsverfahren", denn der Rechtsextremismus sei die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland. Tim Klüssendorf denkt dabei strategisch. Schon im Jahr 2029 steht die nächste Bundestagswahl an, das letzte Verfahren aber, das in Deutschland auf ein Parteiverbot hinzielte, dauerte mehr als vier Jahre bis zur Einstellung.
Die Zeit wird knapp
Schon jetzt wird das knapp. Selbst wenn es der SPD-Führung gelingt, die Koalitionspartner von der Union davon zu überzeugen, dass der Ausgang eines politischen Kampfes gegen die AfD ungewiss ist und ein Verbot der Gesamtorganisation die deutliche sauberere und gefahrenfreie Lösung, könnte die Rechtspartei in vier Jahren womöglich noch einmal kandidieren. Ende offen.
Soweit soll es nicht kommen. Ein Verbotsverfahren gehöre auf den Tisch, hat der studierte Volks- und Betriebswirtschaftler Klüssendorf den verunsicherten, von den vielen steilen Halsen der früheren Friedenspartei verblüfften Rest der einstigen Stammwähler wissen lassen. Mit Tim Klüssendorf soll alles anders werden in der zur Sicherung der weiteren Regierungsbeteiligung nach rechts gerückten früheren Volkspartei.
Angebot an den Narrensaum
Klüssendorf sieht sehr genau, wie die fundamentalistische Linkspartei mit ihren populistischen Parolen vom Reichtum für alle, außer für Reiche am linken Narrensaum Begeisterung erntet. Mit der Ankündigung, die immer noch hart arbeitende Mitte in Zukunft stärker zur Kasse zu bitten, weil er selbst ja auch "in der Lage wäre, auch mehr zu zahlen", hat der erst vor zwei Jahren beim Young-Leader-Programm der Atlantik-Brücke frisch besohlte Jungfunktionär erkennen lassen, dass es ihm nicht an Fantasie fehlt, zu sehen, "wo noch deutlich mehr drin ist".
Tim Klüssendorfs Lieblingsprojekt ist die Suche nach einer tragfähigen und glaubhaften Begründung für die Notwendigkeit der Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe. Mit der sollen die sogenannten "höchsten Vermögen in Deutschland" an die "Bewältigung der massiven krisenbedingten Lasten finanzieren", die der Staat trotz seiner anhaltenden Rekordsteuereinnahmen nicht mehr in den Griff bekommt.
Beim Bundesparteitag der SPD im Dezember 2023 erwirkte er gemeinsam mit den Jusos, dass seine Forderung nach einer "einmaligen Krisenabgabe" für alle, "die über die höchsten Vermögen in unserem Land verfügen" ins Politikangebot der Partei aufgenommen wurde. Wie genau die SPD "höchste Vermögen" definiert und wie hoch die "einmalige Abgabe" sein wird, soll eine Überraschung bleiben.
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