Mittwoch, 28. Mai 2025

Lars Klingbeil: Der Mittemäßige

Lars Klingbeil Finanzminister der Arbeiter
Einer, der sich für die hart arbeitende Mitte gern schmutzig macht: Der neue alte SPD-Chef Lars Klingbeil ist jetzt der Finanzminister der kleinen Leute.

Schon kurz vor der Bundestagswahl war es so weit. Die deutsche Sozialdemokratie, damals noch repräsentiert von einem mächtigen Trio aus Kanzler Olaf Scholz und den beiden gleichberechtigten Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil, kündigte für später, nach einer möglicherweise gewonnenen Wahl und einer Fortsetzung der erfolgreichen rot-grünen Fußgängerampelkoalition, eine stärkere Fokussierung der eigenen Politik auf die hart arbeitende Mitte an. 

Für die Fleißigen im Land

Die vielen Fleißigen draußen im Land sollten endlich mehr von dem haben, was sie für alle erarbeiten. Schluss mit immer weiter steigenden Steuern und immer höheren Abgaben. Schluss mit Gängelung im Detail und strengen Vorgaben für die bescheidenen Einfamilienhäuschen, die sich dieser oder jener gegen jede ökonomische Vernunft irgendwo an den Stadtrand hatte stellen lassen.

Es war ein Weckruf, der zu spät kam. Nicht einmal mehr 17 Prozent der Bürgerinnen und Bürger glaubten der SPD, dass sie es ernst meint. Die frühere Arbeiterpartei, seit dem abrupten Ende der Schröder-Ära hin- und hergerissen zwischen der Sehnsucht, eine Vertretung der kleinen Leute zu sein, und dem Drang, sich für die ganz Schwachen starkzumachen, stürzte brutal ab. Binnen von nur drei Jahren verlor sie ein Viertel ihrer Wähler. Verglichen mit Schröders letzter Bundestagswahl 2005 blieben ihr nicht einmal mehr die Hälfte der damaligen Wähler treu.

Die Konstante aus dem Apparat

Für das, was nach dem Abgang des Kanzlers Scholz und der schnell für die Misere verantwortlich gemachten Parteivorsitzenden Saskia Esken an SPD übrig blieb, war das ein Warnschuss. Lars Klingbeil, die Konstante im Parteiapparat, hatte es kommen sehen. Aber was hätte er denn tun sollen. Seit er in der Abenddämmerung der Schröder-Jahre zum Chef der SPD-Nachwuchsorganisation Junge Sozialisten gewählt worden war, drängte die Partei nach links - weg vom neoliberalen Kurs des Niedersachsen Schröder, weg von "fordern statt Fördern", weg von Hartz 4 und einem für sozialdemokratische Verhältnisse geradezu libertären Staatsverständnis.

Als Nachwuchskader ohne jede Berufserfahrung außerhalb des sozialdemokratischen Biotops, in dem er mit Politikstudium, Abgeordnetenbürohilfsdiensten und einer Anstellung als Jugendbildungsreferent bei der SPD geradezu schulbuchmäßig groß wurde, war Klingbeil unter den Jüngeren, die mit nach links drängten und zogen. Mit 26 zog er unverhofft in den Bundestag ein, als ein erfahrener Genosse über eine Gehälteraffäre stolperte. Doch es reichte nicht zum Wiedereinzug und Klingbeil musste vier Jahre als Büroleiter des SPD-Landeschefs von Niedersachsen überwintern.

Von links nach rechts

Dann war er wieder da und seit dem geht er auch nicht mehr weg. Schon 2015 hat sich Lars Klingbeil neu orientiert. Er ist nun kein Vertreter des linken Parteiflügels mehr, sondern einer des gemäßigt rechten. In der Partei gilt er als umgänglicher Pragmatiker. Als Generalsekretär stand er für den unverhofften Erfolg bei der Bundestagswahl 2021, als ein Schmunzeln des CDU-Kandidaten Armin Laschet der SPD das Kanzleramt in den Schoß fallen ließ. 

Sein Ruf, der Architekt des Erfolges zu sein, verhalf ihm zum Sprung an die Spitze der Partei. Und seine Entschlossenheit, von dort nicht zu weichen, sicherte ihm nach der verlorenen Bundestagswahl 2025 die ganze Macht in der SPD: Als alle anderen noch Wunden leckten und sich fragten, wie es nun weitergehen solle, verkündete Lars Klingbeil seinen Wechsel an die Spitze der geschrumpften SPD-Fraktion. Von dort aus hatte er ersten Zugriff auf ein Ministeramt. Er wählte mit dem Selbstbewusstsein des studierten Politikwissenschaftlers das Finanzministerium.

Eine neue sozialdemokratische Ära

Lars Klingbeil ist seitdem Vize-Kanzler und entschlossen, eine neuerliche sozialdemokratische Ära einzuleiten. Im Zentrum aller Bemühungen steht jene "hart arbeitende Mitte", eine unbestimmte Menge Volks, von dem der 47-Jährige hofft, möglichst viele zählten sich dazu. Wie immer wird alles besser werden, wenn alles so kommt wie geplant. Wie immer ist kaum mehr die Rede davon, warum es nicht schon früher besser geworden ist. Klingbeil versucht, sich als Arbeiterführer neu zu erfinden, den nicht mehr zuerst die kümmern, um die man sich kümmern muss. Sondern die, die sich eigentlich gern selbst kümmern würden. 

An der Seite des Unionskanzlers, den er noch vor kurzer Zeit im Verdacht hatte, "die demokratische Mitte unseres Landes zu spalten", tritt Klingbeil auf wie eine Mischung aus Vernunftpolitiker und Visionär. Ohne dass er jemals öffentlich erklärt hat, welche Gründe ihn dazu bewegen, soll die SPD sich im Schröderschen Sinn neu erfinden: Klingbeil hat ihr die Flausen nicht etwa ausgetrieben, die den früheren Generalsekretär Kevin Kühnert und seine - derzeit noch amtierende - Parteivorstandskollegin Saskia Esken immer wieder von einem neuen sozialistischen Experiment hatten träumen lassen. 

Früher war er gar nicht da

Er tut einfach so, als sei das nie geschehen, als habe die SPD nicht am Ruder gesessen, als der Dampfer Deutschland Fahrt ins wirtschaftliche Abseits aufnahm und die größte Sorge der Parteiführung darin bestand, sich immer neue paternalistische Zumutungen für immer mehr Menschen als notwendige Maßnahmen auf dem Weg in ein noch besseres Morgen beschreiben ließen.

Aus heutiger Sicht war Lars Klingbeil nie zugegen, wenn frühere Kabinette all die Sachen beschlossen, für die sie später abgewählt wurden. Der Hüne, einige Zentimeter länger sogar als der hochaufgeschossene Friedrich Merz, meldete sich in der Regel im "Kampf gegen rechts" zu Wort, ein nimmermüder Mahner und Anprangerer, dem schon vor Jahren schwante, dass die Brandmauer die tragende Wand der deutschen Demokratie ist. In die Niederungen der Haushaltspolitik aber begab sich der neue Finanzminister lieber nicht. 

Das Leben im Detail regeln

Klingbeil denkt größer, immer schon. "Wir müssen die Alltagssorgen der Menschen lösen", hat er seiner Partei schon ins Stammbuch geschrieben, als die noch dabei war, die Klimaprobleme der ganzen Welt zu lösen. Die Formulierung allerdings verrät, wie Klingbeil funktioniert: Der "Rocksänger und Verteidigungspolitiker" (Watson) hat den alten SPD-Glaubenssatz tief verinnerlicht, dass Parteien nicht einfach nur "an der Willensbildung mitwirken", sondern berufen sind, das tägliche Zusammenleben zu im Detail regeln. 

Die "moderne Volkspartei", als die er eine sanierte und renovierte SPD sieht, hat als neue Zielgruppe die im Blick, von denen sie am wenigsten weiß: "Wir wollen, dass es spürbare Veränderungen gibt für Menschen, die hart arbeiten und die zu Recht erwarten, dass unser Land besser funktioniert", hat Klingbeil formuliert, ohne sich in Einzelheiten  zu ergehen. "Umfassende Reformen" (Klingbeil) sollen den Beitragsanstieg bremsen, sogenannte "Strukturreformen" sollen es sein, die die Beiträge "dauerhaft stabil halten". Leistungskürzungen kommen nicht infrage, auch die Rente bleibt sicher, selbst wenn der Finanzminister "nicht dauernd angerufen und nach mehr Geld gefragt werden" kann, wie Klingbeil schon vorab klarstellte.

Keine höheren Beiträge, keine gekürzten Leistungen, keine höheren Zuschüsse. Das klingt nach einem brauchbaren Konzept und wenn der Plan aufgeht, hätte Lars Kingbeil nicht nur die SPD wieder als Partei der Fleißigen etabliert, sondern auch die Mathematik besiegt.



2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lars, der Vorsitzende mit dem Sebastian-Krüger-Gesicht.

Anonym hat gesagt…

Alles ist eitel, nur nicht: Ein voller Bauch.
Primo Levi: "Der Freund des Menschen".