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| Weitere Kerben im Flintenschaft der EU: Nach 25 Jahren gehen die Verhandlungen über das Mercosur-Abkommen in die nächste Verlängerung. Und Russlands Vermögen bleiben russisch. |
So viele Siege! In nicht einmal 24 Stunden gelang es der Europäischen Staatengemeinschaft, gleich zwei ihrer ehrgeizigen Vorhaben den Sand zu setzen. Zuerst musste die Unterzeichnung des seit einem Vierteljahrhundert mit Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay verhandelten Mercosur-Abkommens ein weiteres Mal auf die lange Bank verschoben werden.
Und in der Nacht dann fiel auch noch Friedrich Merz von der Leiter: Die ultimative Forderung des deutschen Kanzlers, die EU müsse sich Zugang zu russischen Auslandsvermögen verschaffen, um die Ukraine weiter zu finanzieren, lief ins Leere.
Erneute peinliche Pleite
Obwohl die deutsche EU-Chefin Ursula von der Leyen an Merz' Seite gefochten hatte, die Idee stammte ursprünglich ja auch von ihr, und sowohl die Außenbeauftragte Kallas als auch der portugiesische Ratsvorsitzende António Costa den Staatschefs gedroht hatte, sie dürften nicht nach Hause gehen, bis sie zugestimmt hätten, ließen sich nach Belgien, Ungar und der Slowakei auch Italien und Frankreich nicht davon überzeugen, dass es klug ist, das Völkerrecht zu brechen, um kurzfristig finanzielle Entlastung zu finden.
Noch kurz vor dem Schicksalsgipfel der EU in Brüssel sprach Friedrich Merz noch einmal Klartext. Es gehe um sehr viel für Europa. Die EU rufe er zur Entschlossenheit auf. Meinungsverschiedenheiten beiseite. Unterschiedliche Interessenlagen auf Pause. Wichtig sei ein "klares Signal an Russland", das auch in den Vereinigten Staaten verstanden wird. Europa lässt sich nicht mehr herumschubsen. Europa steht für sich selbst ein. Und wenn die USA kein Partner mehr sein wollen, dann sucht sich die mächtigste Staatengemeinschaft der Menschheitsgeschichte eben andere.
Die neuen Bündnisse, so alt
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Der Plan stand schon seit dem vorübergehenden Ende der Zollkriege mit Donald Trump. Wenn der nicht, dann eben andere. Indien, Indonesien und Südamerika waren als Ersatz auserkoren. Sie sollten den ohnehin langsam versiegenden Strom von Waren und Anlagen aus den verbliebenden Fabriken in Europa aufsaugen, die China und die Amerikaner nicht mehr haben wollten.
Mit dem Mercosur-Abkommen, einem Freihandelsvertrag, den die EU seit sagenhaften 25 Jahren mit Südamerika verhandelt, lag ein Ball auf dem Elfmeterpunkt. Es waren nur noch einige wenige EU-interne Meinungsverschiedenheiten abzuräumen, und dann ein mächtiges Zeichen ausgesendet werden an alle, die an der "auf einmal doch ziemlich mächtigen" (Die Zeit) EU gezweifelt hatten. Vier Kommissionschefs hatten sich daran versucht. Doch da nur Romano Prodi und Jean-Claude Juncker keine zweite Amtszeit vergönnt war, sind es eigentlich sechs Amtszeiten, die Hochkaräter wie José Manuel Barroso und Ursula von der Leyen benötigten, um zu einem Ergebnis zu kommen.
Gut abgehangen
Das liegt jetzt auf dem Tisch, noch brandheiß: Die eigentlich geplante feierliche Unterzeichnung des Freihandelsabkommens der EU mit vier südamerikanischen Staaten findet doch nicht statt. Neben Frankreich, Polen und Österreich, die nicht zustimmen wollen, aber überstimmt werden könnten, hat sich auch Italien nicht überzeugen lassen, das große Zeichen auszusenden. Auch Giorgia Meloni will vorher mehr Schutz für ihre Bauern. Ein Argument, das schon ihr französischer Kollege Emmanuel Macron vorgebracht hatte, um Sonderkonditionen für sein Land auszuhandeln.
Der Versuch, in letzter Minute eine sogenannte Schrödinger-Mechanik in die ausgehandelten Papiere zu schummeln, scheiterte. Das EU-Parlament hatte diese "Schutzmechanismen" eigenhändig ausgedacht und ins Spiel gebracht, die dafür sorgen sollten, dass das Abkommen in Kraft tritt, aber keine Wirkungen entfaltet. Doch es half nichts. Vertreter des Parlaments müssen nun nicht mehr mit dem Rat der 27 EU-Staaten über den Vorschlag verhandeln, die mit dem Abkommen abgeschafften Zölle wieder einzuführen, wenn die Einfuhren bestimmter Produkte wegen der gefallenen Zölle ansteigen und in der EU die Preise drücken.
Der umgefallene Habeck
Unter Robert Habeck, als Grünen-Chef noch ein ausgewiesener Gegner des Handelsvertrages, war das "quasi fertige Mercosur-Abkommen noch einmal deutlich nachhaltiger und damit besser geworden", wie Habeck selbst sagte. Die Forderungen der Grünen nach einem "Stopp des Abkommens vor dem Hintergrund von Klimaschutz und Menschenrechten" verwandelten sich ein "Eigeninteresse Europas, weitere Handelsabkommen abzuschließen", um "die richtige Antwort" auf drohende Zölle etwa aus den USA und China zu geben.
Wie bei TTIP, dem letztlich am Widerstand von progressiven Kräften und Medien gescheiterten Chlorhühnchenvertrag mit den USA und Kanada, triumphierten Hass und Hetze gegen den Freihandel. Der Versuch der Abschottung vor der unerlässlichen Globalisierung und ein systematischer Anti-Amerikanismus, der undurchschaubaren US-Machteliten hinterhältige Strategien zur Unterjochung der gesamten Welt unterstellte - sie hatten gezeigt, wie das Handwerkszeug moderner Demagogen funktioniert.
Krude Thesen gegen Genfood
Krude Thesen gegen Genfood, die als bedrohlich ausgemalte Harmonisierung von Produktionsstandards und den Wegfall von Importhemmnissen: Im Kampf dagegen vereinten sich Links und Rechts zu einem Hufeisen, das die Blaupause liefert für den Anti-Globalisierungskampf der EU. Unter dem Banner der Bedenkenträger gelang es der Gemeinschaft, länger über die Paragrafen eines Handelsabkommens zu feilschen, als die Weimarer Republik existierte.
Die EU selbst, mit den Maastrichter Verträgen 1993 aus dem Taufbecken gehoben, ist mittlerweile 80 Prozent der Zeit ihrer Existenz damit beschäftigt, am Mercosur-Vertrag zu feilen. Selbst mit der Schweiz, die 2014 mit der gegen walle Warnungen aus Brüssel erfolgreichen Volksabstimmung über die Ausschaffung von Ausländern aus der Gemeinschaft der zivilisierten Völker ausgeschieden war, wird noch nicht so lange über ein neues Rahmenabkommen verhandelt.
Es wird wieder nüscht
Kurz vor Weihnachten sollte es etwas geben. Und nun wird es wieder nüscht. Wie alle Jahre wieder. Es ist ein kleines Jubiläum, wenn Ursula von der Leyen ihren Klimaflug zum Festakt in Brasilia absagt. Zum letzten Mal sollte Mercosur im Dezember 2024 unterzeichnet werden. Auch damals durfte die quicke Bewohnerin des 13. Stockwerks im Berlaymont-Gebäude daheimbleiben. Die große Reise der Ursula von der Leyen nach Montevideo wurde vertagt. Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay waren einverstanden. Die EU musste intern nachverhandeln. War es wirklich eine gute Idee, die Zölle auf 91 Prozent aller zwischen der EU und dem Mercosur gehandelten Waren abzuschaffen? Um ein Zeichen zu setzen?
Offenbar nicht. So sehr der neue Kanzler sich auch immer wieder "grundsätzlich für ein selbstbewusstes Auftreten Deutschlands und Europas in einer Welt stark" macht, "die sich gerade in einem epochalen Umbruch befindet", so schwer fällt es Brüssel, 27 widerstreitende Interessen zusammenzubinden. Wenn dann der Regenwald stirbt? Das Klima kippt? Der Amazonas als "eine Lebensversicherung für die Zukunft von uns Menschen auf diesem Planeten" ausfällt?
Kniefall des deutschen Außenstürmers
Merz möchte "nicht dabei zusehen, wie die Welt neu geordnet wird". Der deutsche Außenstürmer war von Anfang an entschlossen, das vom lauen Olaf Scholz beschädigte Bild deutscher Führungsmacht neu zu malen. Merz sieht sich als echten Weltpolitiker, der einer Großmacht vorsteht, auf die andere hören müssen. Versuchte Scholz noch, Gefolgschaft zu mobilisieren, indem er Mitleid erregte, ist sein Nachfolger der Faustaufdentisch-Typ. Basta!
Mit seinem Wechsel auf die Seite derjenigen, die Ursula von der Leyens wagemutigen Plan zur Enteignung russischer Vermögen in Belgien unterstützten, zeigte Merz sein Merz-Gesicht. Erst hüh, dann hott und am Ende auf dem Bauch, nur noch darum bemüht, die krachende Niederlage zu einem klug herausgespielten Sieg zu erklären.
Kein Russengeld für die Ukraine
Dass die EU der Ukraine nun kein russisches Geld überreicht, um den Aggressor mit den eigenen Waffen zu schlagen, wird als pragmatische Lösung verkauft. All die Aufregung um die Aushöhlung des Völkerrechts, die Angst vor Bestrafungen durch Russland und die Furcht davor, dass ganz am Ende doch alles selbst bezahlt werden muss, sie lösten sich im Verlauf einer Nacht wie von selbst auf. Der gefundene Kompromiss ist ein ganz einfacher: EU gibt der Ukraine 90 Milliarden Euro Kredit.
Dafür haften sollen nicht die unwilligen Mitgliedsstaaten, sondern der von den Mitgliedsstaaten finanzierte EU-Haushalt. Ursula von der Leyen hat damit ihr Hauptziel erreicht, wieder gemeinschaftliche Schulden produzieren zu dürfen, die von den EU-Verträgen ausdrücklich verboten werden. Die drei unwilligen Mitgliedsstaaten müssen nicht mitmachen beim Senden des großen Signals der Einheit nach Moskau, denn formal nimmt die EU-Kommission den Kriegskredit auf.
Die krachende Niederlage als großer Triumph
Friedrich Merz hatte sich noch in der Nacht der schicksalhaften Entscheidung eine Erklärung aufschreiben lassen, warum das komplette Scheitern des 200-Milliarden-Coups von Brüssel einer seiner größten persönlichen Erfolge ist. Man haben nur die Reihenfolge umgedreht, indem man jetzt keinen Versuch starte, sich die russischen Guthaben anzueignen. Das werd erst erfolgen, wenn Russland nach Kriegsende keine Entschädigung an die Ukraine zahle. Dann werden "wir in völliger Übereinstimmung mit dem Völkerrecht die russischen Vermögenswerte für die Rückzahlung heranziehen."
Merz selbst ist wahrscheinlich wirklich überzeugt davon, dass "Russland dennoch am Ende die Zeche zahlen" wird. Der Mann, der betont, dass "wir kein Spielball von Großmächten" sind, ist ein Spielball der innereuropäischen Kleinstaaterei. Wie ein Flummiball getreten, flippert Merz hin und her und die verworrene Strecke, die er dabei zurücklegt, hält er selbst für seinen "klaren Kompass". Beim Diebstahl des Russengeldes wollen die einen nicht mitmachen. Seis drum. Beim Vorwärtsverteidigen des Westens im Donbass sträuben sich die anderen. Der US-Präsident redet nicht mit ihm. Mit dem russischen Präsidenten darf und mag er nicht reden.
Merz hatte Europa Führung versprochen und ein "klares Zeichen der Stärke". Seine Fankurve hatte schon von einem neuen starken Mann geträumt, dem der Kontinent folgen werde. Jetzt muss verbal beschwichtigt werden, damit der Aufschlag des Weltpolitikers in der Realität nicht allzu dröhnend zu hören ist: Die "EU will vorerst kein russisches Vermögen zur Ukrainehilfe nutzen", umschreibt die Hamburger "Zeit" mit Formulierungshilfe aus dem Kanzleramt, was die Eu nicht kann.


Wie sollen hiesige Bauern denn auch gegen die Preise aus einer Region ankommen, in der es riesige zusammenhängende Anbauflächen, günstige Energie und lachhafte Arbeitskosten gibt...
AntwortenLöschenAber neben der Ukraine ging es ja auch noch um den Mercosur.
...die EU müsse sich Zugang zu russischen Auslandsvermögen verschaffen, um die Ukraine weiter zu finanzieren, lief ins Leere
AntwortenLöschenVermutlich kam in letzter Minute ein Anruf von einem Fondsmanager, der den Blindschleichen und klimakterischen Furien erklärt hat, was mit den Einlagen passieren wird, wenn sie das umsetzen.
OT die Fuentes-Finkelstein-Morgan Saga
AntwortenLöschenHab ich's mit den Augen oder hat keins der deutschen Premiumoutlets (Achse, Tichy etc) bisher auf dieses phänomenale Stück reagiert?
https://www.youtube.com/watch?v=gBYXDldT-kU