Montag, 26. Mai 2025

Der Außenstürmer: Die Welt ist sein Feld

Der erste reine Außenkanzler: Friedrich Merz hat die Welt zu seinem Spielfeld gemacht.

Verhöhnt, als Lügner geschmäht, des Betruges überführt und lächerlich gemacht. Friedrich Merz hatte den bei weitem schlechtesten Start aller Bundeskanzler bisher, den Vorgänger einberechnet, dem niemand weiter traut als er Reichweite bei Tiktok hatte.  

Merz genoss vom ersten Tag an kein Vertrauen mehr und das brach er auch noch, ehe er seinen Amtseid gesprochen hatte. Merz presste künftigen Generationen ungefragt mehr Kredite ab, als die Maastricht-Kriterien zulassen. Er ignorierte Warnungen, dass eine hohe deutsche Verschuldung Russlands schärfte Waffe gegen Europa sei. 

Ohne jede Regierungserfahrung

Merz, seinen Kritikern zufolge ohne jede Regierungserfahrung ins Amt gelangt, wusste alles nicht nur gut, er wusste es besser. Im zweiten Anlauf konnte der Christdemokrat wenigstens knapp genug Bundestagsabgeordnete überzeugen, dass ein schlechterer Kanzler besser sei als gar keiner.

Merz machte anschließend sofort mobil. Mit 17 Ministern und 38 Staatssekretären hat der Mann, der einen Abbau der Verwaltungsposten um 20 Prozent zu einem seiner Ziele erklärt hatte, vom Start weg das größte "Bürokratie-Monster (Merz) aller Zeiten geschaffen. "Merz I", wie Historiker diese Regierung später nennen werden, ist das größte Leitungsgremium, das Deutschland je hatte. Doch allen Unkenrufen zum Trotz verdankt sich der Neuzuschnitt der Verwaltungseinheiten weder Merzens fehlender Verwaltungserfahrung noch seine, Anspruch, nicht nur körperlich der größte Kanzler aller Zeiten zu sein.

Merz steckt vielmehr im Dilemma: Mit 22,6 Prozent der Stimmen überzeugte seine CDU bei der Bundestagswahl ein Viertel mehr Wählerinnen und Wähler als der Koalitionspartner SPD, der nur auf 16,4 Prozent kam. Die CDU-Schwesterpartei CSU allerdings steuerte weitere 6,6  Prozent bei, weniger als die Hälfte der Stimmen, die auf die SPD entfielen.

Politische Mathematik 

Aber wichtig genug, um Ansprüche anzumelden. Arithmetisch korrekt verteilt, hätten den beiden kleineren Koalitionsparteien für zehn CDU-Ministersitze sieben beziehungsweise drei eigene zugestanden, 20 Ministerien aber erschienen sogar Friedrich Merz zu viele zu sein. Die CDU nahm sich folglich nur sieben plus Kanzler, sie SPD bekam trotzdem die mathematisch notwendigen sieben und die CSU durfte sich dennoch genau über die drei Spitzenämter freuen, die ihr Stimmenanteil in der Koalition ihr rechnerisch zugesprochen hätte. 

Die Anzahl der Ministerien musste wegen des koalitionären Gleichgewichts ausgebaut werden. Adenauer erstes Kabinett hatte 13 Minister, Kohls erstes 16, selbst die erste Merkel-Regierung schaffte es noch, das 81-Millionen-Volk der Deutschen kam noch mit so wenige Ministern zu verwalten wie die US-Regierung die 340 Millionen US-Amerikaner. Merz setzt nun ein Zeichen: Wenn Frankreich sich 36 Minister leisten kann und Italien 24, dann ist Deutschland mit 17 gut aufgestellt.

Eine Regierung im Dienst der Digitalisierung

Doch es hätte viel schlimmer kommen können. Die EU-Kommission etwa verfügt wegen des Vertretungsanspruchs aller 27 Mitgliedstaaten über 27 Kommissare, die allesamt unter einem eklatanten Mangel an Zuständigkeitsbereichen leiden. Mehrere hundert Beamte sind deshalb Flurgesprächen aus Brüssel zufolge dauerhaft damit beschäftigt, sich immer neue und fantastischere Ressortnamen für Operettenabteilungen wie "Ein Europa für das digitale Zeitalter", "Eine Wirtschaft im Dienste der Menschen" oder "Ein stärkeres Europa in der Welt" auszudenken.

Ein gespreiztes Getue, auf das der nüchterne Macher Merz verzichtet hat. Bis auf das neue Ressort Digitales und Staatsmodernisierung heißt alles fast wie immer, nur "Raumfahrt" haben sie irgendwo noch eingefügt. Das Innenressort aber trägt das deutschtümelnde "Heimat" aus den Seehofer- und Ampeljahren nicht mehr im Namen, die Wirtschaft hat den Klimaschutz wieder an das Umweltressort abgegeben und die Landwirtschaft hat das "Heimat" aus dem früheren Faeser-Ressort geerbt. 

Alle Türschilder getauscht

Nur wenige Tage dauerte es, da waren alle Türschilder ausgetauscht, die Blattpflanzen an neue Standorte gebracht und Telefon- wie Faxverzeichnisse aktualisiert. Ein, zwei Jahre noch, und die neu zugeschnittenen Fachbereiche werden wieder reibungslos funktionieren. Im Gegensatz zur Wirtschaft, die immer noch "lahmt" (DPA). Aber weiterhin ohne große Kanzleransage auskommen muss.

Friedrich Merz ist ein großzügiger Kanzler, der einer klaren Agenda folgt. Seine Minister rekrutierte er aus einem Kreis von Altgedienten und vielfach Gescheiterten, aber auch aus neuen, oft von Sachkenntnis unbeleckten Politikern, die noch nie zuvor eine Verwaltung geleitet haben. 

Die Republik stellt das vor ein Rätselraten, wer genau was bewirken wolle. Bedeutet die an stehende Rückkehr zum industriellen Bauen, die die neue Bauministerin Verena Hubertz verkündet hat, auch die Rückkehr zu einem neuen Wohnungsbauprogramm mit einer Lösung der Wohnungsfrage als soziales Problem bis? Plant Katherina Reiche, die neue Wirtschaftsministerin, mit dem Neubau von Gaskraftwerken dieselbe Unterstützung für den Klimawandel zu organisieren wie ihr Vorgänger Robert Habeck? Und sind die Grenzkontrollen von Alexander Dobrindt wirklich noch deutlich EU-rechtswidriger als es die von Nancy Faeser waren?

Bundeskanzlers Beinfreiheit

Fragen, die dem neuen Bundeskanzler die Beinfreiheit verschafft haben, sich vorerst und vor allem der Welt zu widmen. Eine Menge los da draußen. Die Amerikaner rebellieren gegen ein Außenhandelsdefizit von 250 Milliarden Euro allein mit Deutschland. Der Russe verfeuert sein letztes Aufgebot im Donbass, um in Trümmern liegende Dörfer in Besitz zu nehmen. 

Ein Jahr nach dem Tag, an dem Putin die Artilleriegeschosse ausgingen, schicken seine Generale Soldaten in Rollstühlen und an Krücken an die Front, während sie gleichzeitig einen Angriff auf das Baltikum planen. Dazu die AfD im Parlament, die EU-Kommission im Nacken und weit und breit keine Idee, wie sich die lahmende Wirtschaft, die steigenden Sozialversicherungsbeiträge und die sinkende Zuversicht mit ein paar fingerfertigen Tricks aufpäppeln lassen könnten.

Im Anzug des Anführers

Dann lieber doch Fernreisen und Auftritte im Anzug des neuen Anführers der freien Welt. Den hatte der Westen gesucht, seit Donald Trump und sein Vize JD Vance klargemacht hatten, dass Europa weiterhin Amerika folgen könne oder aber allein gehen lernen müsse. Die Ausschreibung ging unmittelbar nach Vance' ultimativer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz raus. Mittlerweile ist Merz als einer der Anführer zumindest der kleinen elitären "Koalition der Willigen" anerkannt. Nach dem kleinen Scholz, der über die Weltbühne schlich wie sein eigener Kammerdiener, erscheint der großgewachsene Münsterländer wie ein Leuchtturm deutschen Selbstbewusstseins. 

Trump hat er ermahnt, Putin gewarnt, mit dem Chinesen Xi gekumpelt. In den europäischen Hauptstädten blieb die Ankündigung des früheren EU-Parlamentariers unwidersprochen, künftig werde es "mehr deutsche Führung" in Europa geben. An der Heimatfront gelang es Merz nahezu ohne jede Äußerung zu innenpolitischen Angelegenheiten, den Umfragetrend zu brechen, der seine Partei zwischenzeitlich schlechter hatte dastehen lassen als die nach einem Verfassungsschutzgutachten endlich endgültig gesichert rechtsextremistische AfD.

Innenpolitik second

Merz ist der erste reine Außenbundeskanzler, ein globaler leader, den die katastrophale Lage im Inneren erst in zweiter Linie interessiert. Friedrich Merz hat in den ersten 14 Tagen seiner Amtszeit acht Länder besucht, doppelt so viele wie sein Vorgänger Olaf Scholz und sogar drei mehr als die als außerordentlich reiselustige frühere Außenministerin Annalena Baerbock in den ersten zwei Wochen nach Amtsantritt absolviert hatte. Er hat den deutschen Willen zur Fortsetzung des Krieges an der Ostflanke unterstrichen, den Amerikanern die Ansage gemacht, dass er auch anders könnte und in Brüssel keine Zweifel daran gelassen, dass eine ganze Reihe von Richtlinien wegzufallen haben. 

Merz ist präsent, wenn auch über Bande. Merz führt sich ein, bewusst polternd, provozierend und mit Blick auf die Umfragen seiner Partei zumindest symbolisch betont konservativ. Wo ist er denn?, das fragt noch niemand. Was hat er vor? Darauf sind alle gespannt. Bis zum Sommer, so hatte Friedrich Merz im Wahlkampf versprochen, werde er vielleicht noch nicht den großen Aufschwung, aber doch einen Hauch von Zuversicht und Aufbruchsstimmung herbeigezaubert haben. 


Hoffen auf ein Wunder

Nur knappe vier Wochen bleiben noch, das Wunder zu wirken, das weder "Wumms" noch "Doppelwumms" noch das Scholz-Versprechen eines "Wirtschaftswunders wie nach dem Krieg" (Scholz), nur in Grün herbeiflehen konnten. Die bisher versprochenen "Turbo-Abschreibungen" haben nichts bewirkt. Ebenso stellten sich die Zusagen als Flop heraus, auf Kosten der Geldbeutel der hart arbeitenden Mitte einen günstigen Industriestrompreis für besonders klimaschädlich produzierende Großkonzerne herbeizusubventionieren und später einmal, irgendwann, eine Steuerreform anzuschieben. 

Das ist aber ohnehin alles nur kleines Karo. Als ehemaliger Blackrock-Manager weiß Friedrich Merz, dass Wohl und Wehe der deutschen Wirtschaft nicht von der deutschen Wirtschaft abhängen, sondern vom Weltmarkt, insbesondere von den Kunden in den USA und Asien. Von dort kommt all das Geld, das hierzulande seit Jahrzehnten verpulvert wird, um immer mehr Ämter zu stärken, die Demokratieförderung zu festigen und den Sozialstaat umfassend auszubauen. Unterbräche Donald Trump die Geldzufuhr wirklich dauerhaft, hätte das politische Berlin ein Problem: Selbst das Geld, das an allen Ecken fehlt, wäre nicht mehr da. 

Der Polier

Daher die Konzentration auf die Außenpolitik, der Versuch, das angekratzte Bild Deutschlands im Ausland zu polieren. Nach drei Jahren, in denen die erratisch umherreisende Annalena Baerbock und der hinter ihr herschlurfende Olaf Scholz mit ihrem hochmoralischen Anspruch an andere bestimmten, wie die Welt auf Deutschland blickte, wirkt der 69-Jährige fast schon langweilig normal. Merz laviert zwischen einer Fortsetzung der rot-grünen Ampelpolitik, wie sie sich die SPD wünscht. Und der Sehnsucht seiner eigenen Partei nach einem Bruch mit den zurückliegenden zehn Jahren. Wohin genau der Kahn kippt, ist nicht ausgemacht. 


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