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| Die Verwalter in Brüssel wundern sich: Mitten in der multiplen Krise rutscht die EU in die Krise. |
Noch ist nicht Weihnachten, noch ist die Zeit der Märchen und Wunder nicht richtig angebrochen. Doch in Brüssel geschieht schon das Unfassbare: Ein Wunder spielt sich ab, vor aller Augen, beobachtet und begleitet von Reportern, Kameras und Analysten aus aller Welt. Die FAZ hat das schier unmögliche Geschehen in eine prägnante Zeile gefasst: "Belgiens Blockade stürzt die EU in eine Krise".
Eine deutsche Idee
Es geht vordergründig um eine Idee des deutschen Bundeskanzlers, die er in gewohnter Weise lange abgelehnt, dann vorangetrieben und anschließend vergessen hatte. Der Trick sah denkbar einfach aus: Weil sich kaum ein EU-Land noch zusätzliche Schulden leisten kann, um die Ukraine weiterhin in ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu unterstützen, ist guter Rat teuer, an frisches Geld zu kommen.
Die Kassen sind leer, die Steuerzahler sauer. Noch höhere Abgaben würde Friedrich Merz wahrscheinlich überstehen. Schließlich wiegt die Warnung vor dem nach ihm kommenden Vierten Reich immer noch schwerer als ein paar Euro weniger in der Kasse von Facharbeitern, Rentnerinnen und Millionären.
"Maximale Wirkung"
Doch besser wäre eine Variante, die in EU-Chefetage schon seit Kriegsausbruch als Idee kursiert. Russland müsse selbst für den Kampf der freien Welt gegen Russland zahlen, das hatte Ursula von der Leyen schon kurz nach dem Einbruch der Russen in ihr Nachbarland vorgeschlagen. Später wurde sie noch konkreter. Russland sollte dann "für tausend Tage Verbrechen und Zerstörung bezahlen".
Doch da der Kreml seine Mitwirkung verweigerte, kam es nie dazu so wenig wie zur "maximalen Wirkung" der genau darauf "optimierten" (Leyen) EU-Sanktionen. Russlands Pleite war im April 2022 nur "eine Frage der Zeit". Und dabei blieb es die folgenden dreieinhalb Jahre.
Merz' Friedensplan
Erst mit Friedrich Merz' Friedensplan kam neuer Schwung in festgefahrenen Schlachtplan. Mit einer "Initiative zur Nutzung eingefrorener russischer Zentralbankgelder für die Ukraine" setzte der CDU-Politiker dem Kreml in seiner Rolle als Außenkanzler die Pistole auf die Brust. Öffentlich ging es um die "Nutzung von russischem Vermögen für die Ukraine" (DPA), indem so getan wurde, als planten die EU-Staaten, tatsächlich in Belgien eingefrorene russische Guthaben auszugeben.
In Wirklichkeit hatte der alte Blackrocker Merz eine Special Purpose Vehicle ganz eigener Art erfunden. Die EU-Staaten, die seit Kriegsausbruch die Hand auf Russlands Guthaben gelegt haben, nehmen einen zusätzlichen Kredit auf. Haften aber nicht selbst für dessen Rückzahlung, weil sie das beschlagnahmte russische Geld als Sicherheit hinterlegen.
Das werde Russland nur dann zurückbekommen, wenn es nach Kriegsende Reparationszahlungen leiste, mit denen die Ukraine den Kredit ablösen könne. Nur für den - für Brüssel und Berlin völlig undenkbaren - Fall, dass sich Moskau weigere, würden die EU-Staaten einspringen.
Der Angreifer soll zahlen
Genial. Der um die Ukraine wäre der erste Krieg gewesen, bei dem am Ende der Angreifer alle Kosten trägt. Selbst Hitlers Deutschland war deutlich besser weggekommen, denn alles, was die siegreiche Sowjetunion in ihren Besatzungsgebieten abmontierte, reichte nicht annähernd, die elf Milliarden Dollar abzuzahlen, die die Vereinigten Staaten auf Kredit für den Kauf von amerikanischen Waffen vorgeschossen hatten. Bis in die 90er Jahre stotterte Russland seine Altschulden ab, insgesamt aber wurden doch nur 770 Millionen Dollar zurückgezahlt.
Brüssel sah nun die Aussicht, es besser zu machen. Merz' Idee, dem Kreml Frieden um den Preis anzubieten, dass er den Frieden bezahlen dürfe, erschien den Strategen in der Kommission so überzeugend, dass das Unternehmen schon als ausgehandelt und abgemacht verkündet wurde.
Nur die belgische Regierung, Gewährsmacht des Swift-Systems, in dem die 140 russischen Milliarden gefangen sind, schoss quer. Das Argument des belgischen Ministerpräsidenten Bart De Wever klang kleinlich: Wenn sein Land zulasse, dass sich die EU auf diese Weise gegen alle rechtsstaatlichen Vorgaben Verfügungsrechte über fremdes Geld verschaffe, werde demnächst niemand mehr Geld in Belgien anlegen.
Aus dem 13. Geschoss
Für Deutschland ist das natürlich kein Problem, für Kommissionschefin Ursula von der Leyen ebenso wenig. Die Frau aus Niedersachsen, inzwischen zurückgezogen im 13. Geschoss des Berlaymont-Gebäudes lebend, arbeitet ohnehin an einer Enteignungsunion, um den Finanzplatz Europa zu stärken. Warum also nicht mit einem Präventivschlag gegen Russland starten? Friedrich Merz selbst hatte zuvor versichert, dass die geplante "Nutzung der Milliarden" geschehe, "ohne in die Eigentumsverhältnisse einzugreifen". Europa würde nur eine Hypothek auf Russland Geld aufnehmen, ohne Russland zuvor zu fragen.
Dass de Wever hart bleiben würde, kam gänzlich unerwartet. Natürlich hatte niemand unter denen, die an Russland Guthaben heranwollten, ernsthaft daran geglaubt, dass der Aggressor eines Tages die Kriegskredite der Ukraine zurückzahlen wird. Das ganze komplizierte Manöver diente nur dazu, nicht gleich selbst als Kreditnehmer auftreten zu müssen, sondern erst später, sobald sich nicht mehr leugnen lässt, dass sich Russland doch nicht zur Kasse bitten lässt.
"Grundsätzlich falsch"
Doch dass der Belgier einknickt, das war vorausgesetzt worden. Hier geht es schließlich um wichtigeres als um den Finanzplatz EU. Nämlich um ein Zeichen der Einheit und Entschlossenheit, das Putin zeigt, dass er verloren hat. Ein Staatsmann, der das Vorhaben "grundsätzlich falsch" nennt, zerstört viel Vertrauen, dass es ohnehin nicht gibt.
Trotzdem aber stürzt der Belgier die EU mit einem Brandbrief an die Kommissionspräsidentin in eine Krise. Und das Erstaunliche daran ist, dass das überhaupt möglich erscheint. Sicher seit Jahren, wenn nicht bereits seit Jahrzehnten, steckt die EU ja bereits in einer Dauerkrise. Beinahe ohne Pause rutschte sie aus der Post-911-Krise von 2001 in die große EU-Verfassungskrise nach dem Scheitern der Ratifizierung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005.
Es fehle an Wachstum, es fehle an Innovation. Es fehlte an Wohlstandsgewinnen - doch 2008 kam schon die Finanzkrise. Alles stand auf dem Spiel. Die EZB musste all in gehen und ihren eigentlichen Auftrag beiseiteschieben, um Griechenland im Kollektiv zu halten.
Eine Krise nach der nächsten
Das glückte, aber die Krise wurde nur von der nächsten abgelöst. Diesmal auf "Flüchtlingskrise" getauft, dauerte die bis heute, sie wurde allerdings überlagert vom Ausstieg der Bitten aus der Krisengemeinschaft. Nach dem zweiten Gesetz der Mediendynamik können Großereignisse nie gleichzeitig stattfinden, sie müssen immer fein hintereinander abgespult werden. Dennoch wurde der Brexit beinahe von der Corona-Pandemie überlagert. Und die war in Deutschland noch nicht mit einer Impfpflicht endgültig besiegt, als Putin schon angriff.
Ohne Krise war Europa nie – und doch, oh, Wunder, – bricht jetzt eine aus. Welthistorisch ist das äußerst selten, nach allen Lehren der schwarzen Physik sogar unmöglich. Hier gilt bis heute, dass Wasser nicht nass werden kann, Eis nicht frieren und Energie nicht erzeugt werden kann, weil sie immer schon da ist. Eine vertrocknete Zimmerpflanze kann nicht vertrocknen, ein verlorener Strumpf nicht verloren werden. Um eine Krise ausbrechen zu lassen, braucht es der Wissenschaft zufolge vorher zwingend einen krisenfreien Zustand.
Neuer Ausbruch in Brüssel
Die Zuversicht, die die FAZ mit ihrer Beschreibung eines Krisenausbruchs in Brüssel an den Tag legt, spottet nicht nur der Realität, sondern auch dem aktuellen Zustand einer Gemeinschaft, die keine ist. Ein Mitglied fliegt nach Moskau, um mit Teufel zu sprechen. Die anderen versprechen sich daraufhin gegenseitig, mit dem Abtrünnigen nicht mehr zu reden. Ein Mitglied verlangt von einem anderen, ermutigt durch die aktuellen Reparationsträume, neue Entschädigungen für den Zweiten Weltkrieg. Der zur Zahlung Aufgeforderte zeigt seine leeren Taschen vor. Findet aber keine Gnade.
Und jetzt kommt De Wevers Brief, eine Petitesse letztlich. Belgien gilt als klein, anschmiegsam und wegen der EU-Behörden in Brüssel als Hauptprofiteur der Europäischen Union. Ausgerechnet dieses Land, gesäugt von den Zitzen der Kommission, will nicht einknicken, "im Stillen die Rechtstexte aushandeln" und dann Mitte Dezember zuschauen, wie die Großen in der EU stolz "den Knoten durchschlagen" (FAZ). Neben Trump, der die russischen Milliarden in seinen Verhandlungen mit Moskau auch schon verplant, stört der kleine Belgier. Kommt es ganz schlimm, setzt er sich durch. Dann geht das Geld in den Wiederaufbau gehen, nicht in die Fortsetzungen der Kriegsanstrengungen.
Die EU wäre blamiert. Und erst richtig in der Krise. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas will das unbedingt verhindern. "Wir werden den Rat im Dezember nicht ohne ein Ergebnis zur Finanzierung der Ukraine verlassen", hat sie den anderen geladenen Verhandlungsteilnehmern schon angedroht. Bis Heiligabend blieben nur knapp sechs Tage.


1 Kommentar:
Anderer Leute Geld als Sicherheit zu benutzen, 'ohne die Eigentumsverhältnisse anzugreifen'´, könnte ich mir auch für mich vorstellen.
Und wenn Merzens schöner Plan nicht klappt?
Der Kredit soll erst dann zurückgezahlt werden, wenn nach einem
Ende des Krieges „Russland die Ukraine für die verursachten Schäden entschädigt hat“ – sollte dies allerdings nicht gelingen, müssten die EU-Länder oder
die Ukraine selbst dafür einstehen
Die Ukaine selbst.... [Gelächter]
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