Montag, 31. Oktober 2022

Das fehlte noch: Klima in der Primetime

Ausgedörrt und abgeholzt: Die Klimakatastrophe klopft vor allem an deutsche Haustüren.

Verschwiegen, und zwar gezielt. Unterdrückt, ins Spätprogramm abgeschoben, zur Prime Time nie erwähnt. So sieht sie aus, die Situation des Weltklimas in den deutschen Gemeinsinnmedien: zwischen "Traumschiff" und "Wetten, dass...", Anne Illner und Frank Lanz bleibt einfach kein Platz für das Schicksalsthema der Menschheit: Die Klimaziele und die Klimaforschung, die Klimaerwärmung, die jeweiligen Klimakonferenzen, die Klimaänderungen, Klimaplanänderungen und der Einfluss von CO2 auf das Klima, sie haben keine Chance, die eigentlich erforderliche Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen. Die Klimakatastrophe gilt als die verschwiegene Großkrise unserer Zeit, ignoriert, von den Medien links liegengelassen und selbst vom Gebührenfunk

Abhilfe ganz hinten auf der Fernbedienung

Doch Abhilfe ist nun in Sicht. Mit  "KlimaZeit", nur echt mit Binnen-Z, produzieren der Hessische Rundfunk und der Südwestrundfunk ab sofort ein neues akutes Wochenmagazin, das sich ausschließlich  der Frage stellen, die von den Bürgerinnen und Bürgern draußen im Landes als die drängendste der Gegenwart empfunden wird. Die erste wöchentliche ARD-Klimasendung, die im Spartensender  tagesschau24 - früher "EinsExtra", ganz hinten auf der Fernbedienung ausgestrahlt werden wird, bietet Hintergrundberichte zur Klimafrage und ordnet mit Expertinnen und Experten neueste Ergebnisse der Klimaforschung ein. 

HR und SWR bündeln ihre Kraft, um Zuschauerinnen und Zuschauer in aufwändigen Grafikanimationen  über alles Wissenswerte rund ums Klima zu informieren, falsche Entscheidungen der Politik zu hinterfragen und konstruktive Beispiele dafür zu zeigen, "was Konsument*innen, Unternehmende und Kommunen für die Rettung des Klimas tun können". Dazu werden der Sachverstand des ARD-Wetterkompetenzzentrums beim HR in Frankfurt und die Expertise der Klimathemen spezialisierten Umweltredaktion des SWR genutzt, um Antworten auf die komplexen Fragen des Klimawandels zu geben.

Wie warm wird es?

Wie warm wird es? Wann? Kommt trotz des bisherigen Erfolges der allmorgendlichen Klimagebete der Ministerinnen und Minister des Ampel-Kabinetts doch noch ein letzter Winter? Zur Unzeit? Wie dann den Waschlappen wärmen, wo an der Heizung drehen? Welche Möglichkeiten gibt es, den amtlich angewiesenen hydraulischen Heizungscheck zu umgehen oder die zusätzlichen Ausgaben in Zeiten galoppierender Geldentwertung wenigstens durch Sparmaßnahmen beim  Medienkonsum aufzufangen?

Pünktlich mit dem Start des diesjährigen Klimakonferenztouristentreffens im ägyptischen Badeort Sharm-El-Sheikh startet "KlimaZeit" mit einer Reihe von monothematischen Sendungen, die die erneut wegweisenden Beschlüsse der Zusammenkunft von bis zu 20.000 Klimaschützer*Innen beim allerwichtigsten globalen Weichenstellergipfel erläutern, loben und als unzureichend kritisieren werden. Besonderes Augenmerk der abwechselnd von Jennifer Sieglar (HR) und Tobias Koch (SWR) moderierten Sendung wird den traditionell mit bis zu 400 Privatjets einschwebenden Klimaprominent*innen gelten, deren Anwesenheit als als probates Mittel zur Abwehr der Klimakrise und deren Auswirkungen gilt. 

Ab kommenden Freitag sind die aufrüttelnden Appelle der "KlimaZeit" direkt vor der Tagesschau um 20.00 Uhr hinten bei "Tagesschau24" zu erleben. Später soll der neue Qutenbringer auch von den Dritten Programmen der beiden ARD-Sender übernommen und danach in der ARD-Mediathek jederzeit für alle abrufbar sein, die eine Ausgabe verpasst haben, weil sie womöglich zum Erstsendetermin gerade keinen Strom hatten.

Asphalt-Ausstieg: Initiative Holzweg


Es war nicht nur eine wahre Zeitenwende, sondern ein Epochenbruch, den Deutschland im Frühjahr mit grimmiger Entschlossenheit einleitete. Kein  Öl mehr aus Russland, noch in diesem Jahr, so lautete das Signal an die ganze Welt, die hörbar aufatmete: Indien orderte sofort überstehende Förderreste aus Putins Reich, auch Saudi-Arabien schlug zu.  

Die Bundesregierung sah sich in ihrer Strategie bestätigt, als sich binnen weniger Wochen herausstellte, dass die Studien führendster Wissenschaftler Recht behalten würden. Die Erneuerbaren können die zusätzliche Last schultern. Es wird weder Blackout noch Engpässe bei der Versorgung geben. 

Straßen aus Russland

Als Problem stellte sich allerdings schnell die Aufrechterhaltung der über Jahre hinweg vernachlässigten Verkehrsinfrastruktur dar. Mehr als ein Drittel des in Deutschland zu Asphaltdecken verarbeiteten Bitumens stammte bisher aus Russland - eine Abhängigkeit, die als besonders verhängnisvoll gilt, weil sich eine Schwarzdecke weder bei Landstraßen noch bei Radwegen oder Autobahnen  durch Solarstrom oder Windräder ersetzen lässt.

Zumindest war das so, ehe Forscherer des Climate Watch-Institutes (CLW) in Grimma jetzt in einer umfangreichen Screening-Studie nachwiesen, dass ein Asphalt-Ausstieg nicht nur machbar, sondern sowohl wirtschaftlich darstellbar als auch klimatisch vorteilhaft ist. Zwar sei der Rohöl-Destillationsrückstand Bitumen derzeit weltweit das bedeutendste Bindemittel für den Straßenbau. Betonstraßen gelten bisher nicht als gleichwertiger Ersatz für Asphaltstraßen, da die Zementherstellung einen hohen Energieaufwand und Kohlendioxidausstoß verursacht und Beton insbesondere bei dem am weitesten verbreiteten niederrangigen Straßennetz ein eher ungünstiger Baustoff ist. 

200 Millionen Tonnen

Doch um den weltweit bei etwa 200 Millionen Tonnen im Jahr liegenden Bedarf nach Baustoff für Straßen zu decken, gebe es andere Möglichkeiten, so die Forschenden, die die bisher erfolglose Suche nach alternativen Bindemittel für die Asphaltherstellung mit ihren Vorschlägen für obsolet erklären. Hier sei weder in Bezug auf Verfügbarkeit noch mit Blick auf annehmbare Preise mit einer Entwicklung zu rechnen, die Deutschland beim angestrebten Asphalt-Ausstieg helfen könne.

Vielmehr richtet sich der Blick der Wissenschaftlernden auf einen natürlichen Baustoff, der bereits seit Tausenden von Jahren erfolgreich verwendet wird, zuletzt beim erfolgreichen Rückbau ungenutzter Gebiete in Ostdeutschland im Rahmen der Initiative Pro Holzweg. Bei der Initiative Holzweg, die das CLW jetzt nach Berlin tragen will, geht es allerdings um mehr: Holz sei ein leistungsfähiges Bitumen-Ersatzprodukt auf nachwachsender Rohstoffbasis, das aus einem allgemein verfügbaren Naturstoffen ohne chemische Prozesse oder umständliche Modifizierung die Erstellung von Fahrbahnoberflächen mit akzeptablen Nutzungseigenschaften erlaube. 

Ersatz aus dem Wald

Als Bitumenersatzstoff habe Holz aus einheimischem Anbau in zukunftsoptimierter Forstwirtschaft zahlreiche Vorteile. Holz sei nachwachsend, seine Eigenschaften seien bekannt, es gebe weltweit vielfältige Erfahrungen im Bau von Stegen, Wegen und Brücken, der Naturstoff verfüge zudem in jedem Fall auch in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht über das Potential für eine Massenproduktion. Holz, das zum Bau einer Autobahn genutzt werde, könne zudem am Ende seiner Nutzungszeit als Reststoff energetisch neutral eingesetzt werden. 

In einer praxisnahen Untersuchung, bei der in der Nähe von Luckau eine vierspurige Straße mit Standspur über 1,2 Kilometer durch den Borcheltsbusch gezogen wurde, konnte gezeigt werden, dass es derzeit schon möglich ist, auf der Basis von hölzernen Planken Bitumen aus nachwachsenden Rohstoffen nachzubilden und einen hochleistungsfähigen, zukunftsweisenden Asphalt-Typen zu erzeugen. Um ausreichende Mengen dieses CO2-neutralen Bitumenersatzprodukten in mittlerer Zukunft bereitstellen zu können, bedürfe es jedoch einer frühzeitigen Anzucht geeigneter Baumarten in ausreichender Menge, denn die benötigten Volumina scheinen auf den ersten Blick herausfordernd. 

Festes Holz statt klebriger Flüssigkeit

Allein in Deutschland werden im Jahr 2,2 Millionen Tonnen Bitumen verbraucht, in Europa sind es regelmäßig über 11,3 Millionen Tonnen. Über 90 Prozent des in Europa aus Erdöl gewonnene, schwarz-klebrige Flüssigkeit fließen in den Bau von Asphaltstraßen, die später wieder mit Bitumen instandgehalten werden müssen. Die Nutzung von Holz würde dieses Problem lösen: Hinzu kommt, dass der Werkstoff sehr langlebig ist und sich sehr gut recyceln lässt. Abgefahrene Bohlen ließen sich unter Umständen umdrehen und ein weiteres Mal nutzen. 

Die Klimazukunft würde es danken, wenn ohne die über Jahrzehnte ungeachtet der klimaschädlichen Wirkungen von Bitumen gerühmte Klebekraft der schwarzen Paste Straßen zu einer durchgehenden Fahrbahndecke zusammengenagelt und -gezapft werden könnten. Eng verfugt, könnten auch die neuartigen Straßenoberflächen weitgehend wasserundurchlässig sein, schreiben die Forscherinnen und Forscher in ihrer Pre-Print-Studie

Anlieger auf dem Holzweg

Auf weniger stark belasteten Straßen – zum Beispiel Anliegerstraßen – beziehungsweise auf Rad- und Gehwegen oder Parkplätzen sei das noch nicht einmal nötig, hier ließen sich die seit Jahrhunderten im Schiffsbau genutzten thermoplastischen Eigenschaften von Holz nutzen: Undichtigkeiten werden durch Quellung geschlossen, später trocknet das Holz wieder, bleibt aber dabei in sich glatt.

Auch im Hitzebereich hat holz unbestreitbare Vorteile. Wo Bitumen sich in den letzten Klimajahren zunehmend als problematisch an Hitzetagen herausstellte, schmelzen hochwertíge Holzbahnen auch bei Temperaturen oberhalb von 70 °C nicht. Holzfahrbahnen, so das CLW, seien formstabil und langlebig sowie widerstandsfähig gegen Reifenabrieb, Streusalz und aus dem Fenster geworfene Kaugummis.

Sonntag, 30. Oktober 2022

Zitate zur Zeit: Comedy aus München

Comedy is now legal on Twitter.

Elon Musk lädt zum Spotten ein, die Süddeutsche Zeitung nimmt sofort dankend an.

Uhren zurückgedreht: Ende der Einheitszeit

Die sogenannte "Zeitumstellung" ist eine Zeitbombe für die EU: Seit vier Jahren schon liegt der Beschluss dazu im DPA-Duktus "auf Eis".

Es hatte ein letztes großes Geschenk zum Ende seiner Amtszeit werden sollen, ein Rettungspaket voller Harmonisierung, gut gemeint und mit einer von Hand angefertigten Fake-Umfrage generalstabsmäßig vorbereitet. EU-Generalsekretär Jean-Claude Juncker, ein Mann mit Machtinstinkt und zeitweise zwei verschiedenfarbigen Schuhen an den Füßen, verkündete die frohe Botschaft selbst: Weil eine große Mehrheit der Teilnehmer an einer Abstimmung, von der 99 Prozent der EU-Bürger nicht einmal gewusst hatten, dass sie stattfindet, sich für eine Abschaffung der alljährlichen Zeitumstellung im Frühjahr und im Herbst ausgesprochen hätten, werde Europa nun handeln. "Die Menschen wollen das, wir machen das", versprach Juncker mit Blick auf die seinerzeit anstehenden EU-Wahlen, bei denen alle sehen sollten, was ein geeintes Europa so alles kann.

Unfähig, die Zeit zu beherrschen

Eine Abschaffung der Zeitumstellung aber gehört nicht dazu. Obwohl sich mit Angela Merkel die seinerzeit noch geachtete mächtigste Frau der Welt wie ein Mann hinter die Abschaffungsinitiative stellte, tat sich erstmal: Nichts. Die EU-Staaten konnten sich nicht einigen. Manches wäre dann alles zu früh, anderen alles zu spät gewesen. Mehrheitsentscheidung? Unmöglich. Nationale Egoismen zeigten sich, diue drei EU-Zeitzonenregierungen kamen nicht auf einen Nenner. Sollten die Schweden künftig im Winter schon um drei Uhr nachmittags ins Bett? Oder sollte die Sonne in Portugal im Sommer schon um drei Uhr früh aufgehen? Wie Merkels Sommerversprechen, dass in 14 Tagen eine europäische Vereinbarung für die künftige Flüchtlingsverteilung präsentiert werde, verwandelte sich auch Junckers  Idee der Schaffung einer gesamteuropäischen Zeit in ein Zeitspiel.

Das letzte Geschenk der EU an die Menschen, die geduldig jede Richtlinie aus Brüssel umsetzen und sei es die, neben jeder Baustelle, in die ein Brüssel-Euro geflossen ist, ein lobendes Schild für den Brüsseler Beitrag zu errichten, es fiel aus. Nie sagte jemand "Kriegst du nicht, Alter", denn so läuft das nicht in Europa. Aber es sprach irgendwann auch niemand mehr von der gemeinsamen Zeit als Zeichen der Einigkeit. Denn so läuft das in der EU.

Krieg als Retter in der Not

Ehe nun aber jemand fragt, warum sie nicht einmal das hinbekommen, die Unterhändler, die doch von Aufsichtsratsquote bis Dieselabgasgrenzwert und Gaspreisbremse immer eine Möglichkeit finden, keine Lösung als Gemeinschaftswerk auszugeben, taucht nun der Krieg als Retter in der Not auf. Wie die amtliche deutsche Nachrichtenagentur DPA herausgefunden hat, könnte die Zeitumstellung, die derzeit nicht einmal mehr im Gespräch unter EU-Zeitexperten ist, nun doch nicht abgeschafft werden. Das aber nicht, weil sie es einfach nicht hinbekommen. Sondern wegen Putin. Wegen der Energiekrise.. Weil sie doch 1980 überhaupt nur erfunden worden sei wegen der damit verbundenen Energiesparpoteziale. Und weil nun ja wieder gespart werden müsse.

Nun ist die "Sommerzeit" keineswegs eine Erfindung der 80er Jahre, sondern eine aus dem Deutschen Kaiserreich, das im Ersten Weltkrieg damit sparen zu können glaubte. hervorgebracht, jetzt wird wieder über Sinn und Unsinn der Zeitumstellung diskutiert. Doch wenn es nicht möglich ist, die "Richtlinie 2000/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Januar 2011 zur Regelung der Sommerzeit" im ehrenden Angedenken an Jean-Claude Juncker zu ändern, warum die peinliche Pleite dann nicht wenigstens als neue Energiesparmaßnahme ausgeben? Ergänzend zu Wärmflasche, Waschlappen und vor der Einführung wieder abgeschaffter Gasumlage?

Bequemer Weg aus der Bredouille

Angesichts hoher Gas- und Strompreise könnte eine Abschaffung Energie einsparen, weißt DPA  der Staatengemeinschaft einen bequemen Weg aus der Bredouille. Willige Zeugen finden sich auch dafür Korbinian von Blanckenburg, Professor an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe, widerspricht tagesaktuell amtlichen Erkenntnissen des Umweltbundesamtes, wenn er sagt: "Je heller es abends ist, desto weniger Strom wird verbraucht." Das Einsparpotenzial betrage "bis zu 700 Millionen Euro pro Jahr bei dauerhafter Sommerzeit". Die Hälfte also, wenn alles so bleibt wie bisher. Also eigentlich null, weil ja alles schon seit Jahrzehnten so ist.

Samstag, 29. Oktober 2022

Musk und die Redefreiheit für alle: Sozialdemokraten in Angst

Mit einem Twitter, das Trump sperrt und den Massenmörder Ali Khamenei gewähren lässt, konnte Saskia Esken gut leben.
Mit einem Twitter, das Trump sperrt und den Massenmörder Ali Khamenei gewähren lässt, konnte Saskia Esken gut leben. Mit einem Musk-Twitter kann sie es nicht mehr.

Das war nun eine Windung zu viel. Jahrelang war SPD-Chefin Saskia Esken dem unter Bundestags- und Landtagsabgeordneten ebenso wie unter deutschen Regierungs- und sonstigen Behörden weitverbreitetem Brauch gefolgt und hatte beim amerikanischen Kurznachrichtenportal Twitter einen eigenen Account betrieben.  

Ein übelgelaunter Bot geht

Das stand immer schon im Gegensatz zu den letztinstanzlichen Urteilen höchster europäischer Gerichte, störte aber niemanden, weil wenn es die Kanzlerin macht und später auch der neue Kanzler, dann können die Verstöße gegen europäische Datenschutzregeln so schlimm nicht sein. Saskia Esken nutzte Twitter also weidlich, sie pöbelte, beleidigte und blockierte Widerspruch, sie war der weibliche Ralf Stegner, ein übergelaunter Bot, der den Sozialismus als kommendes Menschheitsglück pries und Andersdenkende abbügelte: Wer den Begriff negativ verwende, habe "keine Ahnung".

Der Kampf gegen Nazis, Rechte, Konservative und Andersdenkende war ein ungeheurer. Aber nun ist er vorbei. Stunden nur, bevor der Multimilliardär Elon Musk Twitter übernahm, strich Saskia Esken demonstrativ die Segel. In der Wochenschrift "Die Zeit", einem Produkt der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, die ihre ersten Erfolge als Hauslieferant von Hitlers Deutscher Arbeitsfront (DAF) feierte und heute die Nummer vier unter den deutschen Medienkonzernen ist, verkündete Esken wie zuvor schon ihr Parteigenosse Kevin Kühnert den Abschied von Twitter. Zu wenig tue der US-Internetkonzern, der sich von Deutschland aus für Amtsträger in der EU nach wie vor nicht rechtssicher benutzen lässt, gegen "Hetze und Hass". Und die Übernahme von Twitter durch Elon Musk werde die Plattform "ganz sicher nicht zu einem gemeinnützigen Unternehmen machen."

Kapitalismus muss gemeinnützig sein

Das aber ist offenbar das Mindeste, was Saskia Esken verlangt. Bei Twitter, das ist ihr nach zehn Jahren immerhin aufgefallen, gehe es um "übermäßiges Profitstreben". Diese "Kapitalverwertung hat das WWW kaputtgemacht", so die staatlich geprüfte Informatikerin, die dazu aufruft, dass "wir uns das Netz zurückholen". Einen Vorschlag dazu hatte bereits der CDU-Altnationale Ruprecht Polenz gemacht, allerdings kam seine Idee, die EU solle Twitter kaufen, zu spät. 

Das EU-eigene Anti-Twitter §EU-Voice" aber, obwohl nun auch von der "Tagesschau" als hassfreier Sehnsuchtsort von Musk-Müden und Zweifel-Überdrüssigen gerühmt, bleibt auch nach umfangreichen Investitionen der Gemeinschaft ein leerer, trauriger Ort. Die EU-Kommission ist der erfolgreichste Voicer hier in der "neuen, datenschutzfreundlichen Social-Media-Plattform der Europäischen Union", die deren "Unabhängigkeit in der digitalen Welt voranbringen" soll. Sie kommt auf nicht einmal elftausend Follower.

Aber Hauptsache nicht Musk, dessen Vorstellung von Meinungsfreiheit mit dem SPD-Ideal der Politik als oberstem Organisator des Zusammenlebens in der Gesellschaft nicht so recht zusammenpassen will. Einer wie Musk, der "mehr freie Rede" auf Twitter zulassen will, erscheint als Bedrohung, unkalkulierbar und nicht zu beherrschen. Das entschiedene Vorgehen der Staatsmacht scheint Eskens Genossin Jessica Rosenthal angebracht: Social-Media-Kanäle gehörten zur gesellschaftlichen und demokratischen Infrastruktur, so die Juso-Chefin, denn sie seien Ort des Meinungsaustausches, an dem Leute, denen das Unternehmen dies zuvor verboten hatte, nun auch weiterhin keinesfalls wieder teilnehmen dürften. Verweigere sich Elon Musk dieser Forderung der deutschen Sozialdemokratie, "ist es richtig, Elon Musk an der Stelle zu enteignen." 

Bedrohung für den "Spiegel"

Alles, was eine Größe habe, die darüber entscheide, was im "gesellschaftlichen Meinungsaustausches passiert", gehöre in gesellschaftliche Hand, sagte Rosenthal dem "Spiegel", auf den dieses Kriterium zweifellos zutrifft. Das Hamburger Magazin, dem schon Hans Magnus Enzensberger in seiner kritischen Analyse "Die Sprache des Spiegel" als Gefahr für die Demokratie eingeschätzt hatte, ist Jahr für Jahr das meistzitierte Medium hierzulande, er startet nach Belieben Kampagnen und beerdigt Karrieren, er predigt Hass und ruft seine Hassfiguren wenig später zu Hoffnungsträgern aus. Gesellschaftliche Kontrolle kann nicht bei Twitter stehenbleiben, sie darf nicht an den Grenzen des Gemeinsinnfunks Halt machen oder dabei, öffentlich jedes Presseerzeugnis deutlich zu markieren, das ganz oder in Teilen der spd-eigenen Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG) gehört. 
 
Alles gehört unter SPD-Vorstandsvorbehalt, denn der SPD-Vorstand spricht für die Gesellschaft.

Aus für Autos: Unterhändler als Schicksalslenker

Mit dem Verbot von Autos mit Verbrennungsmotor folgt die EU ihrer bewährten Taktik: Beschlüsse für weit in der Zukunft liegende Termine, begleitet von medialen Triumphfanfaren.

N
iemand hat sie je gewählt, niemand hat sie im Amt bestätigt, niemand kennt sie, nicht einmal ihre Namen werden jemals öffentlich. Sie sind die grauen Eminenzen, die großen Unbekannten, die Strippenzieher und Schicksalsgeber, die in Medienberichten stets als die "EU-Unterhändler" auftauchen, die sich auf dieses oder jenes "geeinigt" hätten. Wer da mit wem verhandelt, mit welchem Mandat, mit welchem Verhandlungsspielraum, mit welchem Ziel, welcher roten Linien - keiner fragt, keiner sagt, weiß es es, keiner soll es wissen.

Diesmal also die Auto-Einigung, eine Entscheidung, die dem bekannten Muster folgt, das die EU seit Jahrzehnten als ihre Erfolgsstrategie erkannt hat. Beschließe stets nur Dinge, deren Konsequenzen in der Realität weit, weit in der Zukunft liegen. Verkünde sie im Kleingedruckten und rechne fest damit, dass jedermann und jede Frau da draußen im ersten Moment denken wird, jetzt sind sie komplett verrückt geworden. Sich im zweiten aber tröstet: Bis dahin kann noch viel passieren. Die kommen schon noch zur Vernunft. 

Verkaufsverbot vor dem Vergessen

Die Taktik ist bei Verbot von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor dieselbe. In zwölf Jahren erst soll es in der gesamten EU ein Verkaufsverbot für Autos geben, die von Benzin- oder Dieselmotoren angetrieben werden - auch Deutschlands Unterhändler haben dem Mobilitätsausstieg offenbar zugestimmt. Dabei war das Thema im letzten Bundestagswahlkampf kaum erwähnt worden. Und die Mehrheit der Stimmen ging letztlich an das Lager der Parteien, die ein Verbrennerverbot ablehnen. 

Grüne und Linke, die beiden Verbotsparteien, kamen zusammen auf ganze 19 Prozent. Für Unterhändler ohne Namen, Gesicht, Gestalt und Verantwortung aber reicht das. Sie einigen sich das eine Mal auf ein 170 Milliarden-Budget, das andere Mal auf eine neue Klimasteuer, auf "humanitäre Korridore", auf den Ausbau der deutschen Abhängigkeit von Russland, eine Frauenquote für alle Aufsichtsräte nicht-staatlicher Unternehmen, ein "Klimaziel für 2030" oder den Aufbau und den folgenden ewigen Unterhalt einer "Europäischen Arbeitsbehörde zur Stärkung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Missbrauch, Betrug und nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit, auf die sich die Unterhändler in der Vergangenheit schon einmal geeinigt hatten.

Unterhändler als Schicksalslenker

So viele Weichenstellungen. So viel zu tun. Die EU-Unterhändler entscheiden immer wieder über die Lebenswege von 440 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, zumindest was Deutschland betrifft. Hier wird beinahe schon genüsslich umgesetzt, was immer die der Öffentlichkeit grundsätzlich unbekannten Unterhändler für richtig und wichtig befinden.  So dass es die an regelrechter Gesetzgebung durch die europäischen Verträge immer noch gehinderte EU-Kommission nach Abstimmung mit dem halbdemokratisch gewählten EU-Parlement als "Richtlinie" oder "Verordnung" zur Leitschnur des notwendigen gesetzgeberischen Handelns der Mitgliedsstaaten machen kann.

So wenig Überblick die anonymen Unterhandelnden haben, so wenig demokratische Kontrolle bleibt Wählerinnen und Wählern in diesem raffinierten System aus Hinterzimmerdiplomatie, Übertölpelung und medialer Begleitmusik aus feierlichen Fanfaren. Erst interessiert die Unterhändlerkompromisse niemanden, weil ihre Realisierung weit, weit in der Zukunft liegt. Dann rutscht alles in ein tiefes, andauerndes Vergessen. Schließlich rückt der Termin an und das Erschrecken ist groß. Wie hat das geschehen können? Wer ist dafür verantwortlich? Was nun? Was tun?

Ohne jede Konsequenz

Nichts. Wenn es zu spät ist, die Unterhändler längst im Ruhestand, die Regierungen, die sie entsandt hatten, abgewählt und so tief untergetaucht, dass keine Konsequenz sie mehr erreichen kann, bleibt nur, stur zu tun, was die Altvorderen beschlossen haben. Die Männer, die unter der Ägide des damaligen Bundesumweltministers Sigmar Gabriel die Abgasvorgaben für die Autoindustrie beschlossen, waren lange nicht mehr in ihren informellen Ämtern, als sie die vernichtenden Auswirkungen der anfangs als rein pro forma ausgegebenen Richtlinie 2005/55/EG in der Praxis zeigten.

Das Erstaunen war dann groß, die Prozesse waren lang und teuer, die gesellschaftlichen Auswirkungen  verheerend: Und Sigmar Gabriel war nirgendwo mehr zu sehen, ebenso wenig wie die" EU-Unterhändler".

Freitag, 28. Oktober 2022

Faktenfinder: Auf keinem Auge blind

Der Münchner "Merkur" hat an 2.800 Starlink-Satelliten im niedrigen Erdorbit Kameras montiert.

Nicht nur Zeichen und Wunder geschehen im Krieg, auch Bilder, die es gar nicht geben kann. Russland präsentiert slowenische Rauchmelder als fast fertige Atombomben. Und deutsche Medien entdecken am Himmel ungeahnte Möglichkeiten: Die ukrainischen Streitkräfte könnten im Kampf gegen Russland auch auf die Bilder von westlichen Satelliten zurückgreifen, meldet der Münchner Merkur. "Prominentestes Beispiel dafür" seien "die Starlink-Satelliten von Tesla-CEO Elon Musk". Kiew stünden dadurch "unter anderem hochauflösende Bilder von russischen Truppenstellungen zur Verfügung" Und aus lauter Ärger darüber habe der Kreml nun mit dem Abschuss von Musks Satelliten gedroht.

Dass niemand den Namen von Musk oder dessen Unternehmen Starlink genannt hat, stört nicht weiter. In Moskau wird sich niemand beschweren, alle anderen dagegen haben gute Chancen, unbesehen zu glauben, was da steht. Elon Musk stellt der Ukraine ja tatsächlich seit Monaten auf eigenen Kosten Internetzugänge über das Starlink-Satellitenetz zu Verfügung - eine Hilfsleistung, die für den Ausgang des Krieges mit annähernder hundertprozentiger Sicherheit am Ende wichtiger gewesen sein wird als die 5.000 Helme, zwölf Raketenrevolver und 165 Ferngläser, die sich Deutschland bisher abrang, um seine Freiheit am Dniprodemfrüherendnepr verteidigen zu lassen.

Aber. Wie machen Starlink-Satelliten diese "hochauflösende Bilder von russischen Truppenstellungen" (Merkur) eigentlich? Wo sie doch nicht einmal Kameras an Bord haben?Und warum abschießen? Im Mai diesen Jahres noch stand fest, dass Russland seinen Stars Wars mit "Attacken" (Stern) vom Boden aus führt: Damals zielte ein russischer Cyberangriff darauf, "die ukrainische Befehls- und Kontrollstruktur während der Invasion zu stören. Dass Russland dahintersteckte, so bestätigen später sowohl die USA als auch die EU, war eine "Theorie, die den Tatsachen entspricht".

Die fehlenden Kameras in den Starlink-Satelliten sind allerdings nicht nur ein Theorie, sondern Praxis. In den 250 Kilogramm schweren und nur knapp kühlschrankgroßen Flugkörper ist kein Platz für Überflüssiges. Und da es sich bei 2.800 Geräten, die im niedrigen Orbit um die Erde kreisen, im Grunde um fliegende Router handelt, benötigen sie eine Kamera genauso wenig wie ein Fritzbox eine braucht. 

Es passt eben nur zu gut. Der Russe droht nicht irgendwem, sondern klicktechnisch günstig dem reichsten Mann der Welt, einem schillernden Milliardär mitverrückten Ideen, der gerade dabei ist, die Meinungsfreiheit endgültig zu beerdigen, indem er den letzten Ort der Welt kauft, an dem Mario Sixtus seiner Gemeinde noch die Rückkehr des Kommunismus predigen und Ralf Stegner seine Probleme ungestört öffentlich machen kann.

Was stören da ein paar kleine technische Unfertigkeiten? Wozu den Umstand erwähnen, dass ein Satellit ohne Kamera nicht nur keine "hochauflösenden Bilder", sondern nicht einmal Kreidezeichnungen nirgendwohin und an niemanden liefern wird, weil er nicht kann.

Oh, so schön ist Deutschland: Uns geht's gold

In einer Welt, der es zusehends schlechter geht, erscheint Deutschland im Gemeinsinnfernsehen als letzte Idylle.

E
s steht schlimm, wirklich schlimm. Natürlich ist das Chaos in Großbritannien selbstverschuldet. Ohne Brexit wäre all das nie passiert. Und Frankreich? Ja, auch Frankreich hat sich aus eigener Kernkraft in die Bredouille manövriert! Auf Atomenergie zu setzen, in Zeiten, in denen es um die Pariser Klimaziele geht. Wie verrückt ist das denn? Nein, wie die Briten haben sich auch die Franzosen selbst zuzuschreiben, dass sie nun unter dem leiden, was ihnen geschieht. Explodierende Preise, ratlose Regierungen, Angst vor Aufständen im Land und Angst vor Rechtspopulisten, die die Gelegenheit ergreifen könnten, sich im Auftrag des Kreml nach der Macht zu strecken. In Italien ist es ihnen bereits gelungen, in Schweden auch.  

Im Keller der Grausamkeiten

Besorgt geht die Stimme des Korrespondenten zwei Etagen tiefer in den Keller des Grauen unaussprechlicher Möglichkeiten. Europa in Gefahr! Alles, was Angela Merkel und Olaf Scholz und Ursula von der Leyen gemeinsam aufgebaut haben, die Rettungspakete, die Schuldentürme, die Leitplanken, die die Menschen im Lande so zuverlässig vor dem Unaussprechlichen schützen, die drohen einzustürzen. Nicht hier, selbstverständlich, wo Kanzlernder und Wirtschaftsministernder, Kassenwart und Parteivorstände Tag und Nacht dabei sind, Rettungspakete zu schmieden, klimafreundlich aus Kaltstahl. 

Doch die Angst geht um im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, dass es den Nachbarn gar nicht so gut geht wie den Wählerinnen und Wählern der Ampel. Ist das nicht ganz übel, was da in Großbritannien läuft? Muss man nicht Angst haben um Frankreich? Wie schlimm steht es wirklich um Italien, Griechenland, Spanien, Portugal? All diese engen Freunde, Partnerländer, Kumpel und Geliebte, die wir so oft gerettet haben und die doch immer wieder widerborstig ablehnen, was erfahrene deutsche Diplomatinnen, ausgebuffte Öko-Logen und hervorragend ausgebildete kindliche Staatssekretär*innen ihnen als guten Rat gratis zu geben bereit wären.

Eine große Welle der Widerlichkeiten

Wie eine große Welle, der niemand entkommen kann, hat sie sich aufgebaut, die unaufhörliche Serie von Berichten deutscher Medien aus der fürchterlichen Ferne der Krisenstaaten, die Deutschland umgeben wie ein Kragen aus Niedergang, Zusammenbruch und Verdammnis. In Engeland, das sich abgewandt hat von der großen Völkerfamilie auf dem Festland,  müssen die Armen in diesen Tagen "einen harten Winter fürchten". Führungslos treibt das ehemalige Empire in die Energiekrise. Michael Haselrieder, der für das ZDF von der Front berichtet, hat Tränen in den Augen angesichts der harten Fakten. Die Inflation in Großbritannien ist so hoch wie seit 40 Jahren nicht. 10,1 Prozent. Die Energiekosten explodieren. Die Rezession ist schon da. Viele fürchten den sozialen Abstieg.

Eine "Bananenrepublik" (Der Spiegel), schlecht bis gar nicht regiert! Und eigentlich nicht einmal eine Republik! Und nebenan ist es nicht besser. Frankreich, einst Erbfeind, dann Erbfreund, erntet in diesen Tagen die Früchte einer verfehlten Weichenstellung bei der Energieerzeugung. Nicht hören hatten sie wollen auf den guten Rat aus Berlin, eigensinnig wie Franzosen sind hielten sie fest an einer Art des Wirtschaftens, die sich jenseits des Rheins längst als tödliche Bedrohung herausgestellt hat. 

Und nun steht die Hälfte des halben Hunderts französischer Kernkraftwerke still wie 30.000 deutsche Windräder bei Flaute, keiner weiß mehr, wie er über den Winter kommen soll, es geht Angst um vor dem Blackout und davor, dass bedingungslose Grundeinkommen, das sich gerade erst herumzusprechen beginnt, nicht mehr lange finanziert werden kann. Im französischen fernsehen senden sie Energiespartipps. Der ARD-Berichterstatter ist von den Socken. "Wie Erziehungsfernsehen" sei das ja! Undenkbar daheim.

Aufatmen an den Schneidetischen

An den Schneidetischen von ARD und ZDF wie in den Schreibsälen der Danachrichtenagentur DPA liegt ein Hauch von Zufriedenheit in der Luft. Faktisch sieht es doch so aus: Die Slowakei ist "zerrissen zwischen Ost und West". Ungarn ein Schurkenstaat. Polen muss sich wegen seiner menschenrechtswidrigen Politik vor der EU-Kommission verantworten. 

Schweden kaut immer noch an seiner falschen Corona-Strategie und droht derweil, in den Faschismus abzurutschen, in dem sich Italien bereits einrichtet. Dänemark muss neu wählen, die Niederlande müssen hoffen, dass ihre per "Zangengeburt" (SZ) nach 271 Tagen Schwangerschaft zur Welt gebrachte Regierung noch ein wenig hält. Spanien ist offiziell kein intakter Rechtsstaat mehr. In Belgien organisieren Kommunisten "Tage des Zorns". In Tschechien marschiert der Mob schon auf dem Wenzelsplatz. Und Griechenland stöhnt unter einer "Super-Inflation" (heise.de) von zwölf Prozent!

So schlimm steht es ringsherum. Das ist die grausame Wahrheit. So ehrlich wollen sie sein, die großen Sender und die großen Redaktionen, auch wenn es hart ist, solche schlimmen Nachrichten verkünden zu müssen. Glücklich jeder, der in Deutschland lebt, wo sich gekümmert wird, dass alles schön bleibt wie es immer war. Mit Strom für alle und Gas für jeden, mit Backenden, die frische Brötchen anbieten oder eines Tages wieder werden, mit einer Exportindustrie, auf die jeder stolz ist, mit einer Klimabewegung, die ebenso wie die Bundeswehr mit Fug und Recht eine weltweite Führungsrolle reklamiert.

Überall steht es wirklich übel

Es mag schwer sein für Franzosen, Briten und Polen, aber auch für Tschechen, Griechen, Italiener und Schweden, aus dem deutschen Fernsehen zu erfahren, wie übel es um ihre Staaten steht und wie super es in den Land läuft, das der Kinderbuchautor Janosch einst im Hinterkopf hatte, als er sein preisgekröntes Hauptwerk "Oh, so schön ist Panama" schrieb. Kein Hunger, keiner muss frieren, fleißige Rentnerinnen und Rentner bekommen die Energiepauschale sogar doppelt, weil das gerecht ist gerade denen gegenüber, die sie gar nicht bekommen.

Die Botschaft ist deutlich: Schauen Sie sich um. Gruseln Sie sich mit! Elend, Angst und Energienot allüberall, Menschen, die eben noch glücklich waren, Regierungen , die gerade noch als verlässlich galten. Und nun, im ersten kalten Wind aus dem Osten, zeigen sie sich allesamt nicht in der Lage, ihre Bürgerinnen und Bürger zu schützen, Abwehrschirme aufzuspannen gegen die Angriffe mit der russischen Energiewaffe und parallel zum Ausstieg aus den fossilen Energieträgern eine neue Infrastruktur für das Anlanden von Fracking-Gas aufzubauen. Tsss. Sehr bedenklich.  

Aber irgendwie auch richtig gut, so lautet die Erkenntnis aus den Untergangsberichten, die von überallher gekabelt werden.  Verglichen mit da und dort geht's uns gold wie immer, der Schaum der Welt schwimmt oben, da mögen die Leugner, Zweifler, Hetzer und Abrüstungspropagandisten noch so sehr heulen. Niemand ist nirgendwo glücklicher dran als die Deutschen, um keinen wird sich besser gekümmert.

Donnerstag, 27. Oktober 2022

Vorsicht, Völkermord: Ganz knappe Kiste

Mehr als hundert Jahre mussten Menschen in Afrika auf die Anerkennung ihres Völkermords durch Deutschland warten.

Das war ziemlich knapp. Nur um ein paar Monate entging die Bundesregierung einem Ermittlungsverfahren wegen der Leugnung und Verharmlosung von Kriegsverbrechen und Völkermorden, wie es nach einer beinahe mitternächtlichen Schnellentscheidung des Bundestages in Kürze jeden erwartet, der Genozide, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen öffentlich leugnet oder "gröblich" verharmlost.  

Lange deutsche Leugnungstradition

Ganze 516 Tage lagen zwischen dem Moment, an dem Deutschland sein zuvor mehr als hundert Jahre gepflegtes leugnerisches und alle Fakten anzweifelndes Verhalten beendete. Und dem Augenblick, als der Bundestag mit 514 Stimmen aus der Regierungsfraktionen und der Union beschloss, dergleichen Handeln durch eine unangekündigte und durch die Unterbringung in einer Fußnote eines Gesetz zum Bundeszentralregister unauffällige Erweiterung von Paragraf 130 des Strafgesetzbuches (StGB) unter Strafe zu stellen.

Erst mehr als hundert Jahre nach dem Vernichtungsfeldzug deutscher Truppen gegen die im heutigen Namibia lebenden Stämme der Herero und Nama hatte sich Deutschland überhaupt bequemt, Verhandlungen mit den Nachkommen der Opfer über eine Anerkennung der deutschen Schuld aufzunehmen. Noch 2012 verharmloste die Bundesregierung die damaligen Grauen sogar gröblich, indem sie behauptete, dass die Niederschlagung des Aufstandes der beiden Volksgruppen durch deutsche Kolonialtruppen "nicht nach den heute geltenden Regeln des humanitären Völkerrechts bewertet und daher auch nicht als Völkermord eingestuft werden" könne. 

Die große Kehrtwende

Erst im vergangenen Jahr kam dann die Kehrtwende: Der damalige Außenminister Heiko Maas entschied, dass Deutschland bereit sei, die Ereignisse nunmehr doch als Völkermord zu bezeichnen. Sechzehn Monate später hatte der Bundestag "Im Lichte der historischen und moralischen Verantwortung Deutschlands werden wir Namibia und die Nachkommen der Opfer um Vergebung bitten", sagte Maas. Die noble Geste sparte viel Geld: Statt einer "echten Entschädigung" (RND) gab Deutschland gute Worte und das Versprechen ab, 1,1 Milliarden Euro zu zahlen. Eine Summe, die auf 30 Jahre verteilte nach Namibia gehen soll und genau der entspricht, die in den zurückligenden 30 Jahren ohne Anerkennung des Völkermord gezahlt wurde. 

Ein gutes Geschäft, das es nun erlaubt, die Zügel bei allen anderen Leugnern fester zu ziehen. Waren bisher nur die sogenannte "Volkverhetzung", 1871 im "Klassenkampfparagraphen des Reichsstrafgesetzbuches noch als "„Klassenverhetzung" geführt und in der DDR in "Boykotthetze" sowei später "staatsfeindliche Hetze" umgetauft, die Billigung von Straftaten aller Art  und Leugnung und Verharmlosung des Holocausts strafbar, wäre nach Inkrafttreten der ohne die üblichen Fisimatenten wie mehrfache Lesungen und Aussprachen beschlossenen Gesetzeserweiterung auch das Anzweifeln anderer Völkermorde strafbar. 

Überschaubare Liste

Die Liste der "allgemein anerkannten Völkermorde" (ECCHR) ist allerdings überschaubar. Neben dem Holocaust zählt der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reichen dazu, auch auf die  Einstufung der Ermordung von womöglich bis zu einer Million Tutsi durch Angehörige von Hutu-Stämmen in Ruanda können sich die meisten Staaten noch einigen. 

Danach hört es aber auch schon auf: Die Ermordung tausender bosnischer Muslime durch bosnische Serben im bosnischen Srebrenica im Jahr 1995 in Bosnien wurde hingegen zwar vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und vom Internationalen Gerichtshof als Völkermord eingestuft. In der Uno aber fiel eine entsprechende Resolution durch. Bosnien-Herzegowina hat die Leugnung dennoch unter Strafe gestellt. Deutschland dagegen hat bis heute nie ausdrücklich erklärt, das Grauen künftig einen Völkermord nennen zu wollen.

Nur "ums Leben kommen"

Mit dieser Leugnung also kämen Täter weiter durch, ebenso wohl auch mit einer gröblichen Verharmlosung der Verbrechen der Roten Khmer an den vietnamesischen Minderheiten der muslimischen Cham. Die werden bei der Bundesregierung allenfalls als "Völkermord" zitiert, letztlich aber als "ums Leben kommen" (Bundesregierung) von 1,6 Millionen Menschen "durch Zwangsarbeit, Verhungern, Krankheit, Folter und Hinrichtungen" dargestellt.

Es fehlt zur Rechtsumsetzung also an einer amtlichen Liste aus dem Haus von Justizminister Marco Buschmann (FDP), die Leugnern und Verharmlosern klar signalisiert, welche Völkermorde aktuell gerade anerkannt sind, wogegen sich die erweiterte Variante der Volksverhetzung richten darf und wogegen nicht und wie "Äußerungen" (Paragraf 130) gestaltet sein müssen, um "geeignet" zu sein, den gesamten öffentlichen Frieden im Land zu "stören" und "zu Hass oder Gewalt aufzustacheln".

Rahmenbeschluss ohne Geschlechter

Auch die EU, auf deren EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des Rassismus aus dem Jahr 2008 sich das Justizministerium als Begründung beruft, schärfer als bisher gegen unklare Leugungsversuche vorzugehen, bleibt in ihren Meinungsfreiheitsschutz-Vorgaben betont wolkig. Es gehe um die "strafrechtliche Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit", die sich gegen durch "Rasse, Hautfarbe, Abstammung, Religion oder Weltanschauung oder nationalen oder ethnischen Herkunft definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe" richte, wobei 2008 offenbar noch kein Gedanke an geschlechtliche Orientierungen als Angriffsfläche für "Hassverbrechen" (EU) verschwendet wurde.


Wiedermal ein Wiederaufbau: Diesmal die Ukraine

Zwei, die wirklich planen können: Ursula von der Leyen (l.) modernisierte schon die Bundeswehr, Olaf Scholz hat dem "Wumms" mittlerweile einen "Doppel-Wumms" folgen lassen, dessen Details aber noch geheim sind.

Moderner soll sie werden, umweltfreundlicher, ein Vorzeigeland, das die Schrecken des Krieges hinter sich lässt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzler Olaf Scholz haben bei der ersten Konferenz zur Planung des Wiederaufbaus der kriegszerstörten Ukraine keinen Zweifel daran gelassen, dass es keine halben Sachen sein werden, die da kommen werden, auch wenn es keine  konkreten Finanzierungszusagen gab. Stattdessen aber Perspektiven, die sich sehen lassen können. Die Zukunft der Ukraine, bisher ein Land der Schwerindustrie, der Atomkraft, des Bergbaus und er intensiven Landwirtschaft, wird grün, sie wird digital und anschlussfähig an alle EU-Standards.

Keine verschiedenen Ladestecker mehr, keine Alleingänge bei der Gasbremse, kein national heruntergeregelten Benzinpreise, keine Korruption. Stattdessen ein Marshall-Plan, der das wiederaufgebaute Land zu einem Lieferanten grüner Energie für die EU machen wird. Mit Ursula von der Leyen, die erst vor zweieinhalb einen "Next Generation EU" genannten Wiederaufbaufonds für die EU erfunden hatte, und Olaf Scholz, der mit Wumms und Doppel-Wumms dabei ist, Deutschland aus der Krise zu führen, stehen zwei erfahrene Aufbaumanager bereit, die Modernisierung zu organisieren.  

Die besten Aufbaumanager

Von der Leyen gilt als Erfinderin der EU-Gesundheitsunion,  in der die Europäische Kommission zur Zentrale werde sollte, die im Ernstfall den "Gesundheitsnotstand"für alle ausruft.knappe zwei Jahre gingen Faxe hin und her, es wurde getagt, beraten und geschwiegen. Nun ist es nicht ganz so weit gekommen. Die Gesundheitsunion besteht nach der eben erfolgten Beschlussfassung aus "zentralen Bausteinen" und "zentralen Säule" aus Papier, die die "nationalen Meldepflichten in Bezug auf Indikatoren für das öffentliche Gesundheitswesen auf den neuesten Stand" bringen und das in Schweden sitzende Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) mit seinen 290 Mitarbeitenden mit einem "ausgeweiteten Mandat" (Euroaktiv) versorgt.

Um "die Grundlagen für die Zukunft der Ukraine schaffen" (n-tv) stehen Olaf Scholz und - genau wie beim erfolgreichen Wiederaufbaufonds für die EU - 750 Milliarden Euro von der Leyen zur Seite. Diese Summe gilt als Goldstandard bei jedem Aufbauversuch, wie immer ist anfangs allerdings lange unklar, wer die Kredite für das Geld aufnehmen soll und später dann wird über die Verteilung gestritten. Sehr gut kommt an, dass es sich schon bei Next Generation EU um "mehr als einen Aufbauplan" (EU-Kommission) handelte, so dass das fehlende Geld inzwischen für andere Zwecke verwendet und damit sozusagen sogar zweimal ausgegeben werden kann.

Nicht jeder, wie er will

Ein "Game-Changer", wie der weltläufige Bundeskanzler einmal gelobt hat, der weiß, dass eine Genehmigung der Verwendung der Gelder, die Deutschland nach Brüssel überwiesen und von dort als Hilfe zurückbekommen hat, allen helfen kann, weil so nicht jeder machen muss, was er will. Auf diese weise ist Deutschland   bei seiner Modernisierung schon weit vorangekommen. 

Die Deutsche Bahn gilt inzwischen in vielen unbewohnten Gegenden von New Mexico, in den Bergen Albaniens und den Hochebenen Perus als Vorbild. Die deutsche Energieversorgung erregt weltweit Neid mit ihrer smarten Kombination aus Gelegenheitslieferungen durch Wind und Solar, dem Backup aus DDR-Braunkohlenkraftwerken, die aus den Gruben tschechischer Besitzer beschickt werden und dem Lastabwurf als Notversorgung für den Ernstfall. Der deutsche 5G-Ausbau hat das Land inzwischen sogar in der Weltrangliste auf Platz 21 und damit knapp hinter die Philippinen und Thailand katapultiert. Gar nicht zu reden vom Ausbau des Kanzleramtes in Berlin zur größten Regierungszentrale der Welt. Nicht nur achtmal größer als das Weiße Haus und zehnmal größer als Downing Street No. 10. Aber nur doppelt so teuer wie ursprünglich geplant.

Aber Geld ist kein Problem, nur wohin damit. Alles muss raus, denn nach wie vor schwebt über dem kühnen Plan, die Pandemie zu nutzen, um endlich aus den engen zwängen der europäischen Verträge herauszukommen, die die Aufnahme gemeinsamer Schulden und die Haftung eines EU-Landes für andere ausdrücklich verbieten, der noch offene Ausgang eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht. Das hatte im April 2021 zwar Eilanträge gegen die "Lizenz zum Schuldenmachen " (SZ) abgewiesen. Aber zur Begründung angegeben, das geschehe nur, weil die "Nachteile dieser Entscheidung weniger schwer wiegen" als die, die einträten, wenn der bisher größte europäische Geldtopf vorläufig gestoppt, er sich später aber doch als verfassungsgemäß herausstellen sollte.

Nicht nur einfach Wiederaufbauen

Ein Damoklesschwert, das über der Modernisierung der Ukraine nicht hängen wird. Da sich Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin nicht nur um den Wiederaufbau, sondern auch um Investitionen in neue Bereiche kümmern werden, "eine Generationenaufgabe, mit der man jetzt beginnen müsse", wie Scholz sagt.

Mittwoch, 26. Oktober 2022

Zitate zur Zeit: Vom Musterland zum gescheiterten Staat

Es steht nicht gut um Tunesien.

Die Nahda-Partei, aber auch die anderen Parteien, die sich die Macht teilten, zeichneten sich durch eine enorme Inkompetenz in Wirtschaftsfragen aus. So wurde der ohnehin schon grosse Beamtenapparat um mehr als 230.000 Stellen aufgebläht, gleichzeitig aber dringend wichtige Reformen hinausgeschoben.

Gleichzeitig waren Leistungsbilanz und Ruf des Parlaments derart schlecht, dass das Projekt einer demokratischen Erneuerung des Landes schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dasselbe gilt für die Parteien, die sich in diesen Jahren grösstenteils disqualifizierten.

Beat Stauffer beschreibt in der NZZ die Lage in Tunesien

Radikalisierung: Bahne frei, Kartoffelbrei!

Der junge Maler Kümram hat den Klimaprotest gegen den Ölmaler Claude Monet in einer nachhaltigen Kreideradierung  dargestellt. Abb.: Kümram


Der Furor kommt aus der Dose, die weit aufgerissenen Augen sprühen vor Leidenschaft für die Sache, die gut ist. Claude Monet, zu Lebzeiten ein Mann, der rücksichtslos alle Vorteile nutzte, die gerade aufkommende modernde Verkehrsmittel wie die Eisenbahn boten, um seine Blumen, Sonnenuntergänge und Brücken auswärts zu malen, bekommt einen Kübel Kartoffelbrei aufs Werk geschüttet. Die sorgsame Inszenierung findet ihre Fortsetzung darin, dass die beiden adoleszenten Angreifer Klebertuben aus den Taschen ziehen und sich mit Hilfe einer exothermen chemischen Reaktion auf monomerer Basis unter dem geschändeten Gemälde ankleben.

Chemischer Protest auf fossiler Basis

Dies geschieht in der Regel mit Cyanacrylat-Klebstoffen aus Cyanacrylsäureestern mit unterschiedlich langen Alkylketten, wobei Ethylester bei weitem das größte Anwendungsspektrum abdecken. In einem Crackverfahren werden in der chemischen Großindustrie je nach geplanten Anwendungsbereich auch Methyl-, Butyl- oder Alkoxylester aus Erdöl destilliert und oft schon zu ganz kleinen Preisen verkauft. 

Neuerdings die Basis einer Radikalisierung, die nicht halt macht vor vermeintlichen Nationalheiligtümern, Kulturgütern oder von früheren Generationen mühsam aufgebauten gesellschaftlichen Verabredungen. Wie im Fall von Claude Monet, der mit Öl malte, ohne auf den damit einhergehenden Ressourcenverbrauch zu achten, wurde zuletzt auch ein Gemälde des psychisch auffälligen Malers Vincent van Gogh angegriffen - mit Tomatensuppe. Eifernde Jugendliche, in den Medien als "Aktivisten" gelobt, blockierten Straßen, sie hielten Rettungswagen auf und drehten Teilen der kritischen Infrastruktur die Energieversorgung ab. 

Milde und Nachsicht  und Respekt

Der Staat reagiert mit Milde und Nachsicht, die Veröffentlichkeit mit Respekt. Stefan Rahmstorf, ein Berater der Bundesregierungen in Klimadingen, lobt die gewalttätigen Angriffe ausdrücklich. Die Reaktionen zeigten den Sinn dieser "Aktionsform" (Rahmstorf): "Sie entlarvt die Verlogenheit von Menschen, die sich über eine verschmutzte Glasscheibe echauffieren, aber nichts gegen die Zerstörung unseren einzigen, wundervollen Heimatplaneten unternehmen", so der Klimaforscher, der sein eigenes Engagement selbst nie festgemacht hatte an störenden Beschränkungen, die Wissenschaft eigentlich mit sich bringt.

Wie wird es weitergehen? Als die schwedische Prophetin Greta Thunberg während einer "Dürre- und Hitzewelle" vor drei Jahren beschloss, den Gang zur Schule so lange zu verweigern, bis die sogenannten Pariser Klimaziele weltweit eingehalten würden, war der offen erklärte Bruch mit Recht und Gesetz - hier: die Schulpflicht - ein Akt zivilen Widerstandes, der die Gesellschaft vor die Wahl stellte: Ändert die Art, wie in den hochtechnisierten Demokratien des Westens gewirtschaftet wird. Oder die nächste Generation ändert das, weil sie nach Jahrzehnten des Bildungsstreiks gar nicht mehr in der Lage sein wird, die Fabriken, Logistikzentren, Flughäfen, Schienennetze und Großstädte zu betreiben.

Entweder oder

Die Bewunderung war groß. Greta Thunberg wurde als eine Art Gandhi-Figur gefeiert, ein rätselhaftes Wesen, das nach einer Gotteserscheinung Weisheit und Wissen verstrahlte. Doch wie in jeder jungen Bewegung hatte Thunberg mit der Unerbittlichkeit  ihres Vorwurfs, man habe ihr die Jugend und alle ihre Träume gestohlen, weil die Welt bald untergehen werden, einen Spaltpilz in die Fridays-for-Future-Bewegung gepflanzt. Die zwei, drei Prozent der jungen Generation, die sich auf dem Höhepunkt des medialen Hypes tatsächlich an den sogenannten "Klimaprotesten" beteiligten, teilten sich bald auf. Hier waren die, die schon nach ein paar verstreikten Freitagen genug hatten. Wenn Lisa aus der 7b nicht mehr geht, warum soll Amid aus der 7a dann noch streiken?

Mit der radikalisierten Gruppe "Extinction Rebellion" (XR) trat ein anderer, älterer und extremistischerer Teil der langsam einschlafenden Klimabewegung auf den Plan. Im Glauben, man gehöre zu einer auserwählten Generation, die berufen sei, den Untergang der Welt zu verhindern, nahm die Kleinstorganisation Zugriff zu direkten Angriffen auf die Grundfunktionen der Gesellschaft. Mit Straßenblockaden, Trauermärschne in Ku-Klux-Clan-ähnlichen Monturen und öffentlich vorgeführtem  Sterben versuchte die "Rebellion gegen das Aussterben" neue mediale Reize zu setzen. Der Schockeffekt aber verbrauchte sich, das hehre Ziel verlangte nach mehr Opfermut, nach drastischeren Aktionen und nach höherer Verachtung für allgemein anerkannte Tabus.

Radikalisierte Absplitterung

Als "Last Generation" betrat so schließlich eine neue Absplitterung der inzwischen eingeschlafenen Bewegung der  radikalisierten Ökokinder die Bühne. Erneut handelt es sich um Auserwählte, erneut handeln sie in der festen Überzeugung, allein zu wissen, was wirklich ist und was sein wird. Im Unterschied zu FFF und XR setzt LG nun gezielt auf Straftaten und Selbstverletzung. Ziel ist es, Opfer zu schaffen, mit deren Hilfe sich Druck auf das politische Führungspersonal ausüben lässt. Bundeskanzler Olaf Scholz selbst hatte diese Tür geöffnet, als er hungerstreikenden Verschwörungstheoretikern versprach, ihnen nach seiner Wahl eine Audienz zu gewähren, um ihre Forderung nach "sofortigem Handeln, um die Erderwärmung zu bremsen" zu diskutieren.

Der kleine Finger, der als ganze Hand endet, wenn es nach den öffentlichkeitssüchtigen Extremisten geht. Im Augenblick blockieren sie noch Straßen, sie Beschmieren Gemälden, Bewerfen Gebäude mit Lebensmitteln und kleben sich bei Firmen und Institutionen fest, bis die Feuerwehr kommt. Absehbar aber ist, dass die gezielten Ausflüge hinter die Grenzen des Bodens der freiheitlich demokratischen Grundordnung ihre Wirkung auf Medien, Gesellschaft und damit auch auf die Parteien noch schneller verlieren werden als Klimastreiks und XR-Mummenschanz. 

Ausweitung der Kampfzone

Dann bleibt nur die weitere Radikalisierung, eine Ausweitung der Kampfzone und eine Hinwendung zu noch extremistischeren Aktionsformen: Terror und Gewalt gegen Menschen waren in der Vergangenheit stets Mittel der Wahl der Unerbittlichen, die zur Verteidigung einer absoluten, unfehlbaren Wahrheit aus einem geschlossenen Weltbild heraus bereit sind, den Endkampf mit der aus ihrer Sicht fahrlässig ignoranten Gesamtgesellschaft zu suchen. Sowohl linke als auch rechte Bewegungen mit religiösem Erlösungsanspruch sind diesen Weg gegangen, je geringer die Erfolgsaussichten waren, die ihre Forderungen hatten, desto brutaler wurden in der Regel die Methoden, mit denen ihnen Nachdruck verliehen werden sollte, obschon ihre Unerfüllbarkeit für verständige Beobachter auf der Hand liegt. 

Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft sofort, Verkaufsverbot für Benzin und Öl, mehr Erneuerbare, Pariser Klimaziele als Grundlage aller Politik - wer darauf abzielt, die Gesellschaft vollkommen zu verlieren, müsste sich die radikalen Forderungen der selbsternannten "Rebellen" nur zu eigen machen. Bisher deutet nichts darauf hin, dass es soweit kommen wird. Also alles darauf, dass die Gewaltspirale sich noch viel weiterdrehen muss, bis Sympathisanten die Attacken auf die Gesellschaft nicht mehr  "Klima-Aktivisten" zuschreiben, sondern von Terroristen sprechen.

Dienstag, 25. Oktober 2022

Am Lagerfeuer der Vernünftigen

Lagerfeuer der Vernünftigen
Am Lagerfeuer der Vernünftigen (Symbolfoto) herrscht Verwirrung.

Zuletzt geschah wahrhaftig Schreckliches. Millionen Menschen wurden Opfer eines Phänomens, das Wissenschaftler bis dato selbst in der Theorie für unmöglich gehalten hatten: Über Nacht verwandelten die Betreffenden sich von "Geimpften" in "Ungeimpfte". Und das, obwohl sie eben noch geimpft gewesen waren und eine einmal erhaltene Spritze im Nachhinein so wenig nicht erhalten gewesen sein kann wie ein Zwanzigjähriger sich im Alter von 40 in einem 15-Jährigen zurückzuverwandeln in der Lage ist.

Doch mit dem neuen §22a des Infektionsschutzgesetzes geschah es, mitten im Land des aktuellen Corona-Weltmeisters. Ein sogenannter "vollständiger Impfschutz" aus zwei Einzelimpfungen ist keiner mehr. Ein zweimal Geimpfter folglich nicht mehr einem dreifach Geimpften, sondern einem Ungeimpften gleichgestellt.

Plötzlich ungeimpft

Das offizielle "Impfdashboard", das das Bundesgesundheitsministerium im Internet betreibt, verzichtet allerdings darauf, die "plötzlich Ungeimpften" (OVB) aus den hübschen Grafiken zu radieren, die den "Impffortschritt" (Bundesgesundheitsministerium) darstellen. Die zwölf Millionen Zustandwechsler würden optisch viel zu viel kaputtmachen. Zusammen mit den ewig Ungeimpften wären mit einem schlag mehr als 30 Millionen Einwohner als ungeimpft auszuweisen. Undenkbar in Zeiten, in denen das Ende des Traums von der "Immunisierung" verantwortungslose Schwurbler dazu bringt, ersatzweise das "Ende der Pandemie" zu versprechen.

So schon ist das Impfziel der Bundesregierung in weite Ferne gerückt. Beim derzeitigen Tempo von 78.000 Impfungen am Tag wird es knappe drei Jahre dauern, allen Impffähigen den "lebensrettenden Piks" (Faktencheck Hessenschau) zu verabreichen. Das wäre dann im Frühjahr 2026. Viel Arbeit für die neue Impfkampagne  unter dem Ego-Motto "Ich schütze mich", die zudem auf die Schwierigkeit trifft, auf einen Zusammenhang zwischen Impfquoten und Inzidenzen in den einzelnen Bundesländern nicht hinweisen zu können. 

Hinten in der Hitparade

Ganz hinten in der Infektionshitparade liegen mit Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen die drei führenden Ungeimpft-Länder. Aber mit Schleswig-Holstein auch der Spitzenreiter der Impfcharts. Brandenburg hingegen, das hinter Baden-Württemberg, Bayern und Berlin derzeit die höchsten Ansteckungszahlen hat, ist tatsächlich weniger geimpft als Sachsen-Anhalt. Dagegen haben Bayern, Baden-Württemberg und Berlin zwar einen höheren "Impffortschritt" (Impfdashboard). Aber eben auch höhere Inzidenzen.

Am "Lagerfeuer der Vernünftigen", an dem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit Hilfe von "84 echten Personen aus der Mitte der Gesellschaft und ihren Schicksalen" alle versammeln will, die bereit sind, "bei schlechterem Wetter und Kälte zusammenzukommen und zu sagen ‚Ich schütze mich, weil ich vernünftig bin", herrscht gelinde Verwirrung. 33 Millionen kostet die neue "Mega-Impfkampagne" (Horizont) seit ihrem offiziellen Start vor einer Woche ließen sich rund eine halbe Millionen Menschen impfen - ein drastischer Rückgang im Vergleich zu den ersten beiden Oktoberwochen, als ausweislich der Zahlen des Robert-Koch-Institutes noch etwa 750.000 Impfungen pro Woche verabreicht wurden.