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Wer Koch und wer Kellner ist, wird Friedrich Merz am Donnerstag im Weißen Haus sehr deutlich machen. |
Kurz vor peinlich kam er endlich, der seit Wochen ersehnte Termin. Friedrich Merz wird nach Washington reisen, mit nur unmerklicher Verzögerung, verglichen mit seinen Amtsvorgängern. Die stellten sich stets auch zuerst in den Nachbarstaaten vor. Unmittelbar danach aber ging es nach Übersee - zu partnerschaftlichen Gesprächen, sagten die einen. Zur Befehlsausgabe, raunten die anderen.
Trump zögerte lange furchtsam
Merz, der seine erste Begegnung mit Donald Trump am liebsten gleich hatte hinter sich bringen wollen, musste vier Wochen warten, bis das Weiße Haus Zeit für ihn fand. Das ist weniger lange als Angela Merkel auf grünes Licht von Barack Obama warten musste. Und auch weniger lange als Helmut Kohl auf Kohlen saß, ehe ihn Ronald Reagan endlich vorließ.
Doch das Bangen war groß, ob es überhaupt zu einer Begegnung kommt. Würde Trump sich trauen, den neuen deutschen Kanzler vorzulassen? Und wie lange würde er brauchen, um sich ausreichend gewappnet für eine Begegnung zu fühlen, die über Wohl und Wehe des Westens entscheiden kann?
Der US-Präsident, das wird schon am Zeitablauf deutlich, hat Respekt vor dem neuen starken Mann Europas. Wenn Friedrich Merz am Donnerstag eintrifft, dann landet das kein lauer, vom Winde verwehter Verwalter europäischer Interessen in der US-Hauptstadt. Sondern ein selbstbewusster Wahlsieger, der einer Bundesregierung vorsteht, die in vier Wochen schon mehr geschafft hat als die Vorgänger in drei Jahren.
Kein Bittsteller
Merz hat dementsprechend schon vorab klargemacht, dass er als erster Bundeskanzler seit immer nicht auf Knien gerutscht kommt: Er komme nicht als Bittsteller, hat er signalisiert. Und Nachhilfe in Sachen Demokratie brauche Europa schon gar nicht. Selbstbewusst und ruhig will der Sauerländer dem gefürchteten US-Präsidenten in seinem Büro entgegentreten, im Rücken ein "Europa mit 500 Millionen Konsumenten", das "für viele US-Unternehmen der zweitgrößte Markt nach den USA selbst" sei.
"Machen wir uns nicht kleiner, als wir sind", rückte der Kanzler die Verhältnisse zurecht, die gerade von den Amerikaner neuerdings immer gern geleugnet werden.
Der Koch, der wohnt in Europa. Die Kellner, das sind die Amerikaner. Mögen deren aktuelle Anführer auch darauf verweisen, dass 340 Millionen US-Bürger ein Bruttoinlandsprodukt erzeugen, das ein Drittel über dem liegt, das 440 Millionen EU-Europäer zusammenbringen, so weiß Friedrich Merz doch, dass die Vereinigten Staaten mehr von der EU abhängig sind als umgekehrt.
Der Hemmschuh USA
Gelinge es nicht, sich zu einigen, hatte er Trump vor dem ersten persönlichen Treffen wissen lassen, dann müsse die deutsche Wirtschaft entscheiden, wie weit sie noch in den USA investieren wolle. "Und wir müssen politische Entscheidungen darüber treffen, wie wettbewerbsfähig wir sein wollen, notfalls auch ohne Amerika." Der Hemmschuh USA, der der EU wie ein Bleigewicht um den Hals hängt, er fiele dann weg. Ein Lastabwurf, der die Europäische Union endlich in die Lage versetzen würde, all die großen Ziele zu erreichen, die in der Vergangenheit immer wieder knapp verpasst worden waren.
Option eins ist das nicht, denn aus sentimentalen Gründen würde der erfahrene Atlantiker Merz gern weiter gemeinsam mit den Vereinigten Staaten dafür sorgen, dass klimagerechtes Wachstum überall mehr nachhaltige Gerechtigkeit erzeugt. Doch nicht um jeden Preis. Die Instrumente, um der US-Regierung klarzumachen, wer hier wen, hat Friedrich Merz demonstrative bereits auf den Tisch legen lassen. Noch vor der Bestätigung des Audienztermins ließ er seinen neuen Kulturminister Wolfram Weimer die Einführung einer neuen Strafsteuer für große Tech-Konzerne ankündigen, mit der die großen amerikanischen Tech-Konzerne künftig zur Kasse gebeten werden sollen.
Niemand wer mehr zahlen müssen
Diese "Digitalabgabe nach österreichischem Vorbild" würden etwa die Google-Mutter Alphabet und der Facebook-Konzern Meta treffen würde. Weimer drohte den US-Konzernen damit, dass eine entsprechende Gesetzesvorlage bereits vorbereitet werde. Sie ziele nicht nur auf Google, sondern "generell" auf "Plattform-Betreiber mit Milliardenumsätzen". Die neue Steuer ist wegen Merzens Versprechen, dass es keine Steuererhöhungen geben werde, von der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin auf den Begriff "Plattform-Soli" getauft wurde, soll bei zehn Prozent vom gesamten Umsatz der Unternehmen liegen. Das sei "moderat und legitim" hat Weimer errechnen lassen.
Und lukrativ wäre es auch: Die Umsatzrendite bei der Google-Mutter Alphabet liegt etwa bei 20 bis 25 Prozent bei Meta bei 30 Prozent, Amazon kommt auf zehn Prozent. Würde Deutschland, das wie die gesamte EU über keinen bedeutsamen großen Internet-Player verfügt, nur die im Land anfallenden Gewinne besteuern, ließe sich mit den Einnahmen kaum eine ordentliche Panzerdivision aufstellen. Eine Steuer auf den gesamten Umsatz hingegen verspricht ein ordentliches Stück vom Milliardenkuchen.
Doppelter Abgabesatz
Vorbild ist Weimer zufolge Österreich, wo große Online-Plattformen schon seit fünf Jahren verpflichtet sind, eine "Digitalsteuer" in Höhe von fünf Prozent aller Umsätze aus der Werbevermarktung an den Staat abzuführen. Im Nachbarland liegen die Wachstumsraten der Wirtschaft noch hinter den deutschen - beide Staaten liegen sich in der EU auf Platz 26 und 27. Das deutsche Modell verdoppelt den österreichischen Digitalabgabesatz deshalb, vermeidet aber wegen Merz' Absage an Steuererhöhungen den Begriff "Steuer". Zwar wäre die Einführung einer neuen Steuer faktisch keine Erhöhung, doch die Bundesregierung will den Eindruck vermeiden, dass Kunden der großen Plattformen am Ende zahlen müssten.
Ausdrücklich hat Merz "Beauftragter für Kultur und Medien" deshalb versichert, dass Nutzer von Google, Meta-Diensten und anderen Internetangeboten nicht zur Kasse gebeten würden. Zwar verrät die vorsichtige Formulierung, die Abgabe habe in Österreich "keine relevante Preisveränderung für Nutzer mit sich gebracht", dass es durchaus eine Preisveränderung gegeben hat, mit der die Konzerne die Mehraufwendungen an ihre Nutzer weiterreichen. Doch wie die frühere Außenministerin Annalena Baerbock mit ihren Vorschlag von "zehn Cent für jedes Apple-Update" zielt Weimar darauf, "viel Geld" (Baerbock) einzuspielen, ohne dem Einzelnen so viel wegzunehmen, dass er es in der Brieftasche spürt.
Zustimmung von Millionen
Mit der Ankündigung, dort zuzugreifen, wo das Geld sitzt, kann sich die Bundesregierung der Zustimmung von Millionen sicher sein. Wichtig sei, dass die "Konzerne endlich einen kleinen Steuerbeitrag für die Gesellschaft leisten, also ihre gewaltige Marge etwas sinkt."
Eine Steuer in Höhe von zehn Prozent des Umsatzes wäre für Deutschland deutlich lukrativer als die Körperschaftssteuer auf Gewinne in Höhe von 21 Prozent, wie sie die USA erheben.
Bereits 2021 meldete Google für Deutschland einen Umsatz von 11,3 Milliarden Euro, Amazon liegt bei über 30 Milliarden, Meta komme auf etwa fünf Milliarden. Für den deutschen Fiskus ergäbe sich mit der Einführung des Plattform-Soli eine zusätzliche Einnahme von mindestens fünf Milliarden Euro.
Mit den Plänen zur Durchsetzung einer solchen Vorschrift, im politischen Berlin intern "Multimediamelkmaschine" genannt, setzt Weimer einen Arbeitsauftrag aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD um. Dort heißt es unter der umsichtig formulierten Überschrift "Medienvielfalt stärken - Meinungsfreiheit sichern", dass man die Einführung einer Abgabe für Online-Plattformen prüfen werde, "die Medieninhalte nutzen". Damit gemeint sein kann alles und jedes Unternehmen, von ARD und ZDF bis hin zu Kinoketten, Radiosendern und Internetanbietern.
Erlöse für den Medienstandort
Auch das Versprechen, die "Erlöse" sollten "dem Medienstandort zugutekommen", verrät nicht, was genau CDU, CSU und SPD mit dem anvisierten Milliardensegen planen. Sicher ist nur: Im angespannten transatlantischen Verhältnis und inmitten des Zollstreits mit den USA wird die Ankündigung der neuen Steuer für US-Konzerne zu einer weiteren Verschärfung des aktuellen Konflikts führen.
Ganz im Sinne von EU-Chefin Ursula von der Leyen, die zuletzt schon deutlich gemacht hatte, dass die EU bereit ist, als Vergeltungsmaßnahme im Zollkrieg auch eine neue EU-Steuer für digitale Dienste zu erheben, prescht Merz kurz vor seinem Besuch in Washington vor. Einziger Unterschied: Der neue Kanzler setzt auf einen nationalen Alleingang, der Geld in die klamme Bundeskasse spülen soll. Die Kommissionschefin hingegen hatte eine europäische Lösung anvisiert. Die Einnahmen aus der Digitalsteuer, wie sie Mitte April noch genannt wurde, sollten einen EU-Fonds speisen, mit dessen Hilfe die bewährten EU-Vorschriften für die Pflege der Meinungslandschaft gegen Angriffe aus dem Ausland verteidigt werden könnten.
Aufrecht bis zur Abschaltung
Knicke
die US-Regierung von Präsident Donald Trump nicht dankbar ein, sei eine
Strafsteuer für US-Konzerne eine von "vielen möglichen Gegenmaßnahmen",
sagte die Deutsche der "Financial Times". Der Gefahr, den Zugang zu den
Diensten von Google, Microsoft, X, Facebook und den anderen im Netz
dominierenden Konzernen zu verlieren, schaut die EU-Kommission dabei gelassen
ins Auge.
Um keinen
Preis werde man die weltweit als vorbildlich geltenden EU-Vorschriften
für digitale Inhalte und Marktmacht, die Trump-Beamte heute schon als
Sondersteuer für US-Big-Tech-Unternehmen ansehen, zurücknehmen. Sondern
eher noch neue Lasten aufsatteln, um die eigene Verhandlungsposition zu
stärken.
Merz' Münsteraner Eröffnung hat den Traum der
Kommissionspräsidentin von jahrelangen Verhandlungen auf dem Weg zu
europäischer Einigkeit allerdings über Nacht zunichte gemacht. Vor allem
aber hat sie Merz als mächtigen Gegenspieler Trumps etabliert: Der
deutsche Kanzler kommt nicht mit leeren Händen, sondern mit einem ganzen
Sack schmerzhafter Konsequenzen für Amerika. Um Schaden von der
US-Wirtschaft abzuwenden, muss Donald Trump ein Angebot machen, das Merz
gnädig stimmt.
Widerstand gegen die Strukturen
Wolfram Weimer sieht das ähnlich. "Es muss sich jetzt etwas ändern",
hat der frühere Journalist auf Deutschlands derzeit noch so fatale Abhängigkeit von
der technologischen Infrastruktur der Amerikaner hingewiesen. "Wenn
Google den Golf von Mexiko auf Druck von Donald Trump eigenmächtig in
"Golf von Amerika" umbenennt und aufgrund seiner enormen Deutungsmacht
in der globalen Kommunikation das einfach dekretiert, dann erkennen wir,
welche Probleme in den derzeitigen Strukturen lauern."
Trump
setze solche Änderungen im Alleingang durch, handstreichartig, weil er
auf seine Tech-Verbündeten vertreuen könne. Die weltweite Bekanntgabe
deutscher Umbenennungen hingegen würden wie bei der Neubenamung der
Berliner Mohrenstraße in Sirimavo-Ratwatte-Dias-Bandaranaike-Straße verzögert und verschleppt. Ein digitaler Soli könnte auch dieses Problem schnell aus der Welt schaffen.
Hoffnung auf Neuanfang
In Kürze wird es so weit sein. Betrieben die großen Plattformen bisher mit Hilfe von willfährigen Steuerparadiesen "geschickte
Steuervermeidung" (Weimer), die nationale und europäische Behörden
immer zwang, sich über langwierige Gerichtsverfahren einen Anteil an den
erwirtschafteten Gewinne zu holen, wächst jetzt die Hoffnung auf einen
Neuanfang.
Strategisch geschickt hat Merz die Ankündigung der deutschen Gegenmaßnahmen kurz vor seinen Besuchstermin in Washington
gelegt. Was wie ein brüsker und ungeschickter Angriff auf Amerika aussieht, könnte den
US-Präsidenten zur Besinnung bringen. Die digitale Drohung wird ein demütigendes Debakel
verhindern, wie es der ukrainische Präsident Selenskyj und der
südafrikanische Staatschefs Ramaphosa vor laufenden Kameras im Oval
Office erlebt hatten. Bewaffnet mit der Zusatzsteuer, kommt Merz als starker Mann nach Washington, eine Führungsgestalt
der EU, die beinhart verhandeln wird. "Zugewandt, aber selbstbewusst", wie der Bundeskanzler seine Strategie selbst beschrieben hat.
Einen guten Draht zu
Trump wird sich der Mann aus dem Münsterland nicht erbetteln. Auf einen
groben Klotz wird er einen groben Keil schlagen und zeigen, dass
Deutschland gut auch ohne Amerika kann, ein großer Handelskonflik für
das Weiße Haus aber deutlich schwieriger durchzuhalten sein wird.