Mittwoch, 22. Juli 2015

Jeder Pöbler ist ein Terrorist

Dass ein Norwegerpullover in der Vorstellung der Menschen ein Kettenhemd sein kann, wenn es die Umstände erfordern, ist bekannt. Auch dass abweichende Auffassungen zur Euro-Politik, zum Umgang mit Russland oder zur Frage, ob jeder, der sich auf das Asylrecht beruft, wirklich ernsthafte Asylgründe vorbringen kann, schnell zum Ausschluss aus der Selbstvergewisserungsgemeinde des öffentlichen Gesprächs führen, ist klar. Gesellschaftlich akzeptiert ist ein Vierteljahrhundert nach dem Export der Meinungsfreiheit hinter den Eisernen Vorhang auch die Tatsache, dass nicht alles, was gedacht wird, ausgesprochen werden darf, und nicht jeder, der meint, öffentlich auf sein Anliegen hinweisen zu müssen, dasselbe Recht dazu hat wie jeder andere.

Dennoch blieb es einem Peter von Becker von der TagesspiegelTochter Potsdamer Neueste Nachrichten vorbehalten, den seit Jahren anhaltenden Trend zum allmählichen Rückbau der Grundrechte in einen Satz zu fassen: „Wer vor Flüchtlingsheimen pöbelt, ist ein Terrorist“, heißt es in einem Verfassungsgutachten, das der studierte Jurist, Soziologe, Kunstgeschichtler und Philosoph in grundguter Aufwallung über die aktuelle „Serie von Brandanschlägen auf bestehende oder künftige Flüchtlingsunterkünfte“ verfasste.

Nun ist die Empörung vielleicht verständlich, die Gleichsetzung von Pöbler und Terrorist hingegen zeigt von Becker als einen Feind der freien Gesellschaft, die die Grenzen der Strafbarkeit eben nicht vor Pöbler und Terrorist zieht, sondern genau zwischen beiden: Wer jemandem „verschwinde“ zuruft, darf das hierzulande ungestraft tun. Wer jemandem den Hals umdreht, damit er verschwindet, darf das nicht.

Aber von Becker will nun eben mal, dass „Deutschland den Aggressionen, Pöbeleien und Angriffen gegen Flüchtlingsheime klarer begegnet“. Warum also nicht das Verbale zur Gewalt erklären, die ebenso gewalttätig ist wie Selbstmordanschläge, Morde, das Köpfen der IS oder ein paar Verkehrsmaschinen, die in ein paar Hochhäuser fliegen? Aus der Ferne seiner sicheren Schreibstube sieht er „Landfriedensbruch, Volksverhetzung, öffentliche Billigung von Straftaten - Taten, die man auch terroristisch nennen kann“.

Nennen ja, denn das lässt die Meinungsfreiheit zweifellos zu. Doch wer Menschen, die „Menschen, die vor dem IS, vor Boko Haram oder Assad geflohen sind, in ihrer psychischen und sozialen Not bedrohen“ (von Becker), Terroristen nennt, wie nennt derjenige dann Menschen, die vom IS, Boko Haram oder Assad ermordet werden?

Rechtslage in Deutschland: Chinesisches Demorecht

12 Kommentare:

Kurt hat gesagt…

Typisch sozialistisch. Wenn die Menschen nicht erkennen wollen, was gut für sie ist, werden sie kriminalisiert.
Wahrscheinlich hat er schon diese Petition mitgezeichnet: htps://ww.change.org/p/f%C3%BCr-ein-verbot-fremdenfeindlicher-demos-vor-fl%C3%BCchtlingsheimen-heimeohnehass

fatalist hat gesagt…

Berlin/München (dpa) - In der Koalition spitzt sich der Streit über die Flüchtlingspolitik zu. CSU-Chef Horst Seehofer wies Kritik von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Kurs Bayerns zurück. "Das Problem dieses Ministers besteht offensichtlich darin, dass er von den Lebensrealitäten etwas entfernt ist", sagte Seehofer nach einer Klausur des Landeskabinetts.

www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_74781738/migration-koalitionsstreit-ueber-asylpolitik-seehofer-kontert-kritik.html

Anonym hat gesagt…

Becker:

„Warum etwa gründet die EU nicht eine Europäische Akademie für Finanzverwaltung in Athen, in der jeweils 1000 junge griechische Ökonomen, Juristen, Finanzbeamte, versehen mit einem Stipendium, in zwei Jahren praxisnahem Studium für den Aufbau einer kompetenten Verwaltung und eine effektive Steuerpraxis ausgebildet werden?“

Also 1000 neue unproduktive Stellen (vermutlich pro zwei Jahre) in Griechenland. Das ist genau das, was jetzt nötig ist. Dazu lassen sich in Brüssel und Athen sicher nochmal 5000 Verwaltungsjobs (plus X) unterbringen, um die Sache zu managen. Diese Fachleute werden dann die nächsten Dekaden heilige Eide schwören, dass die Umerziehung der Griechen mit Riesenschritten vorangeht, so lange sich bloß niemand einschränken muss.

derherold hat gesagt…

Griechenland ist auf einem guten Weg.

ppq hat gesagt…

ich denke auch, die kuh ist vom eis

Volker hat gesagt…

„Warum etwa gründet die EU nicht eine Europäische Akademie für Finanzverwaltung in Athen, in der jeweils 1000 junge griechische Ökonomen, Juristen, Finanzbeamte, versehen mit einem Stipendium, in zwei Jahren praxisnahem Studium für den Aufbau einer kompetenten Verwaltung und eine effektive Steuerpraxis ausgebildet werden?“

Déjà-vu

Warum verkauft die Bundesbank, die schließlich uns allen gehört, nicht mal 100 Tonnen und investiert dafür in die Jugend Südeuropas

Gernot hat gesagt…

Warum so zurückhaltend, ppq? Nicht nur wer pöbelt, schon, wer feindliche Gedanken denkt, ach, feindliche, kritische allein, ist ein Terrorist:
GEDANKENVERBRECHER!
Schon wer die leuchtende Zukunft einer eurasisch-orientalisch-negriden Mischrasse in Europa nicht mit innerer Freude aufziehen sieht, sollte sich wegen Fremdenfeindlichkeit therapieren lassen - lieber Elektrokrampftherapie als terroristische Gedanken!

ppq hat gesagt…

das muss schrittweise gemacht werden. erstmal aussprechen. später dann denken

Volker hat gesagt…

Leicht OT, trotzdem gut:
Radio Utopie - Republik außer Funktion

Anonym hat gesagt…

Wenn es nur so einfach wäre die Terroristen zu schnappen die solch verwerfliche Dinge denken.Diese Ketzer am gesunden liberalen Geiste des gleichgeschalteten normalbürgers.

ppq hat gesagt…

@volker: großartiger text. viele der einzelnen sachen hatten wir hier auch. so geht man zumindest mal mit dem gefühl ins bett, dass da draußen noch andere sind, die ein unbehagen fühlen

Volker hat gesagt…

"so geht man zumindest mal mit dem gefühl ins bett, dass da draußen noch andere sind, die ein unbehagen fühlen"

Ich freu mich auch jedesmal, Signale vom anderen Ende des Universums zu empfangen. Wir sind nicht allein im All.
Daniel Neun ist sowieso immer lesenswert (hatten wir hier auch schon mal).

Eine weiteres Refugium der Zivilisation ist der Sichtplatz