Samstag, 31. Dezember 2011

Das Ende ist nah

Allen Lesern, Lobern und Hassern einen guten Rutsch und fröhliche letzte zwölf Monate bis zum Weltuntergang!

Die PPQs

Wer hat es gesagt?


Wir dürfen nicht der Mainstream sein. Aber wir dürfen auch nicht außerhalb des Common Sense stehen.

Wulff-Wochen bei PPQ: Ein Mann sieht braun

Ursprünglich war es nur ein dummer Zufall. Komisches Licht, unglücklicher Winkel, ein Fotograf, der damals im Juli 2010 im falschen Moment auf den Auslöser drückte. Das britische Ausland hatte einen Aufreger, die Internet im Inneren bebte ebenso vor Lachen: Bundespräsidentengattin Bettina Wulff leistete sich auf den Treppen von Schloss Bellevue ihren first Fehltritt, als sie beim Winken einen Arm ausfuhr, wie Arme hierzulande nicht ausgefahren werden dürfen.

Nix passiert, hieß es damals. Zwar erstattete ein rechtsextremer Liederbarde Strafanzeige wegen des Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole. Doch die Staatsanwaltschaft kam nach kurzer Prüfung zur festen Überzeugung, dass Bettina Wulf nicht gezeigt hatte, was alle auf dem Foto zu sehen glaubten. Es handele sich "eindeutig um eine Geste im sozialen Umgang" und nicht um einen verbotenen Gruß verkündete die Staatsanwaltschaft Berlin und lehnte die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens im August 2011 ab.

Was Ermittlern und berichtenden Medien damals gar nicht aufgefallen war, hatte die First Family da schon längst bemerkt: Bei dem Foto, auf dem Bettina Wulff winkend sozialen Umgang übt, winkt Bettina Wulff in Wirklichkeit gar nicht. Vielmehr wurde sie zu winken gezwungen, wie die Staatsanwaltschaft in Dresden auf Anzeige des Bundespräsidenten selbst in einem zwölf Monate dauernden Ermittlungsverfahren eventuell herausfinden konnte.

Ein Facebook-Nutzer, der das Bild (links) "spätestens Ende 2010" - also bemerkenswerte vier Monate nach derVeröffentlichung auf etwa 500 anderen Internetseiten - auf seine Profilseite hochgeladen hatte, habe das Foto vielleicht womöglich eventuell unter Umständen sogar retuschiert, um den Bundespräsidenten zu verunglimpfen. Außerdem habe er Bettina Wulff schwer beleidigt, als er sie ein „Blitzmädel im Afrika-Einsatz“ nannte und ihren Mann mit den Worten „Hübsch, wenn dieser Herr daneben nicht wäre“ böse, böse, böse schmähte. Ein weiterer Vorwurf gegen den Mann, nicht gegen Frau Wulff, sei die Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen, denn es könne sein, dass er den strafbewehrten Gruß an Bettina Wulffs Arm hergestellt habe.

Man weiß das nicht. Man hat das nicht ermittelt. Denn es ist auch egal. Von Anfang an hatten deutsche Medien es bei der Berichterstattung über den Fall Braun vorm Bellevue vermieden, ihren Lesern das Foto zu zeigen, um das gestritten wurde. Das taten nur ausländische Zeitungen und inländische Blogger. Mit der erhobenen Anklage gegen den vermeintlichen Facebook-Faschisten, auf dessen offenkundig gewissenlose Gesinnung nicht zuletzt seine Herkunft aus Zittau verweist, verschwand das Bild auch aus den letzten öffentlichen Archiven deutscher Großverlage - inklusive den staubigen elektrischen Aufbewahrungsfluren von PPQ. Auch in der Berichterstattung zum anstehenden Prozess gegen den Facebook-Nutzer aus Zittau wird furchtsam vermieden, das inkriminierte Bild zu zeigen - obwohl dort ja nach Auffassung der Berliner Staatsanwaltschaft nur eine "soziale Geste" zu sehen ist.

Es ist schlicht zu gefährlich geworden, die vielleicht gefälschte, vielleicht echte, in jedem Fall aber ganz anders gemeinte als gesehene Aufnahme zu zeigen: Bis zu fünf Jahren Haft, wenigstens aber Anklage, Prozess und Strafbefehl drohen bei Zuwiderhandlungen, die Verunglimpfungscharakter rechtlich gesehen augenscheinlich schon allein deshalb haben, weil Christian Wulff sie als Verunglimpfung empfindet.

Um in ihrer Meinungsfreiheit bedrohten Reportern trotzdem die Möglichkeit zur weiteren kritischen Auseinandersetzung mit dem Fall zu geben, hat das Bundesblogampelamt (BBAA) eine neue Originalversion des Bildes auf seine Seiten gestellt (Abb. oben). Angefertig wurden die strafverfolgungsfreie Variante von drei nordkoreanischen Gastzensoren, die sich im BBAA derzeit das Rüstzeug für die Sauberhaltung des nordkoreanischen Netzes holen.

Wulff-Wochen bei PPQ: Weihnachten in Familie
Schweigen ist Geld
Ohne Lüge durch die Fragelücke

Freitag, 30. Dezember 2011

Wer hat es gesagt?

Neulich las ich in einer deutschen Zeitung die Überschrift: „Gleichheit ist ungerecht“. Das versteht kein Franzose. Denn wir sind eher einer formalen Gleichheit verpflichtet, während in Deutschland die Chancengleichheit gemeint ist. Tatsache ist, dass die Ungleichheit in Frankreich im OECD-Raum vergleichsweise wenig, in Deutschland aber am stärksten zugenommen hat. Dafür haben wir mit die höchste Arbeitslosigkeit. Und ist Arbeitslosigkeit nicht die größte Ungleichheit?

Gruseln mit der Südsee-Ente

Die Luft ist raus, die Spannung sinkt. Zum zehnten Jubiläum der größten Untergangsgeschichte der Welt seit Noahs Arche ignoriert die deutsche Qualitätspresse das Drama in der Südsee mit derselben Konsequenz, mit der sie es bis vor einigen Monaten immer wieder begeistert feierte. Tuvalu geht unter, das war immer wieder eine warnende Meldung wert. Zuletzt aber, als das Forum der Pazifikinseln tagte und sich gut mal wieder an die Tragödie des kleinen Eilandes hätte erinnern lassen, war es einzig und allein die "Junge Welt", die einfach mal Danke sagte für die schlimmen Folgen des Finanzkapitalismus.

Das hat Andrew Simms nicht verdient, der am 29. October 2001 eher unabsichtlich zum Erfinder des Theaterstücks um die versinkende Insel wurde. Damals erzählte der Mitarbeiter der Weltverbesserungsorganisation New Economics Foundation einem Bekannten beim britischen "Guardian", dass die Regierung des Inselreiches Tuvalu Australien und Neuseeland gebeten habe, wegen des steigenden Meeresspiegels alle ihre Bürger auf australisches oder neuseeländisches Gebiet umsiedeln zu dürfen.

Der Beitrag titelte schwarzhumirg "Auf Wiedersehen, Tuvalu" und behauptete, die erste Gruppe von Klimaopfern werde im kommenden Jahr übersiedeln. Eine Geschichte, so unwiderstehlich, dass die gesamte Medienwelt darauf abfuhr wie auf Koksstaub auf Angela Merkels Kostümärmel. Ohne dass der Meeresspiegel merklich stieg, musste Tuvalu nun untergehen, alle Jahre wieder und mit wachsender Redundanz. Kamerateams warfen sich am Strand von Tuvalu auf den Boden, um die steigenden Fluten einzufangen. Reporter berichteten von Hausbesitzern, den das Wasser langsam in die Küche schwappte. Hatte der "Spiegel" ganz zu Beginn noch eine "Südsee-Ente" im Medienalarm um den steigenden Meeresspiegel entdeckt, wechselte die Tonart später auch hier zu konsequentem Kreischen. Vorsichtshalber erklärte man den Lesern schon, wie das dann gehe, wenn ein Staat kein Land mehr habe.

Irgendwann aber verstummten die warnenden Stimmen. Ja, es verstummten überhaupt alle Stimmen. Wer jetzt von Tuvalu erfahren wollte, bekam Beiträge über den Sprinter Sogelau Tuvalu aus Samoa geliefert, den "Usain Bolt der Südsee". Im Kleingedruckten vermerkte der "Spiegel" immerhin noch, dass verschiedene Südseeinseln, darunter auch Tuvalu, derzeit durch vermehrtes Korallenwachstum wüchsen, statt unterzugehen. Zehn Jahre hat die Südsee-Ente so für gediegene Unterhaltung und gelegentliches Gruseln gesorgt. Nun ist sie tot, zumindest, bis jemandem wieder auffällt, dass sie eigentlich immer ganz gut lief.

Ein fester Rahmen sei unserer Zukunft

Gutes wird nicht schlecht, auch wenn es Admiral Tirpitz damals nicht um Schulden oder ihre Vermeidung ging. Sondern um einen "festen gesetzlichen Rahmen". Es müsse Schluss sein damit, dass jedes neugewählte Parlament sich das Recht vorbehalte, über neu zu bauende Schiffe für die deutsche Kriegsflotte selbst zu entscheiden. Ein Plan müsse her, der über den Tag hinausweise, dann werde es im Reichstag auch keine weitere Unruhe über uferlose Flottenpläne geben und mit den "spaltenden parlamentarischen Debatten" über die Zahl von Schiffen und ihre Typen werde es ein Ende haben.

Tirpitz, der Vater der deutschen Hochseeflotte, machte Geschichte. Zum ersten Mal gelang es jemandem, ein deutsches Parlament dazu zu überreden, ein Gesetz mit langfristig bindender Natur zu beschließen, das die Rechte künftiger Parlamente einschränkte.

Die geplante Abschaffung der Genehmigung der jährlichen Marinebudgets bereitete den Abgeordneten schon Sorgen. Zwar waren ihnen die Schiffstypen, ihre Größe und Bewaffnung eigentlich egal. Doch welchen Sinn sollte ein Parlament noch haben, wenn ein früheres ihm verboten hatte, zu arbeiten?

"Wenn die Volksversammlung es zulässt, dass ihr ein Teil ihrer jährlichen Budgetrechte abgehandelt wird", schrieb das "Berliner Tageblatt", "wird sie den Ast absägen, auf dem sie sitzt." Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung warnte: "Vom gegenwärtigen Reichstag wird tatsächlich erwartet, dass er seinen Nachfolgern einen Teil ihrer Rechte raubt."

Und so geschah es. Wie 111 Jahre später, als der deutsche Bundestag es kommenden deutschen Bundestagen untersagte, Schulden zu machen, die höher liegen als 0,35 % des Bruttoinlandsproduktes, beschloss der Reichstag mit 212 gegen 139 Stimmen das Flottengesetz, nach dem künftig eine bestimmte Zahl von Schiffen in jedem Jahr gebaut werden würde. Der Liberale Eugen Richter, der gegen das Gesetz gestimmt hatte, sagte voraus, wie es weitergehen würde: Für das große Deutsche Reich mit seinen großen Ansprüchen, so werde man bald feststellen, prophezeite er, reiche eine kleine Flotte nicht aus. "Volldampf voraus wird es bald heißen."

Zwei Jahre später folgte das zweite Flottengesetz, das die Größe der deutschen Marine verdoppelte. Das Bauprogramm hatte nun einen Zeithorizont von 17 Jahren. Alfred Tirpitz wurde vom Kaiser in den Adelsstand erhoben. 1906, 1908 und 1912 folgten die Flottengesetze drei, vier und fünf. Aus den geplanten 19 Linienschiffen waren nun 41 geworden. Der Ast war ab, der Krieg voraus.

Donnerstag, 29. Dezember 2011

Das gibts in keinem Russenfilm

Je weiter sie in die Vergangenheit rutscht, desto mysteriöser wird die DDR. Zahlreiche Gerüchte umschwirren ihre Geheimnisse, viele Zeitzeugen, die sich noch selbst erinnern, glauben nach der zehnten ZDF-Erklärsendung über das, was war, dass es wohl doch anders gewesen sein muss. Vielleicht gab es sie wirklich, die "Jahresendflügelfiguren"? Vielleicht wurde tatsächlich getopft? Vielleicht verehrte wirklich ein ganzes Land insgeheim einen Bartbarden wie Wolf Biermann?

Nur dass mit der Ausländerfeindlichkeit, das wollen sich die ehemaligen Untertanen des Reichs des Bösen nicht nachsagen lassen. Hierbei handele es sich um Verleumdung, gepaart mit einem großen Maß an Ignoranz und Böswilligkeit, sagen Betroffene. Es habe in der DDR nicht nur kaum Ausländer gegeben, sondern auch keine Ausländerfeindlichkeit, nicht einmal das Wort habe existiert. Dass westliche Medien dennoch seit zwei Jahrzehnten versuchen, den gut ausgebildeten DDR-Menschen einzureden, sie hätten stets gedacht, dass Vietnamesen von den Fidschi-Inseln stammen und sie deshalb "Fidschis" genannt, ist ein klarer Beleg für die westliche Deutungshoheit über die ostdeutsche Geschichte. Denn in Wirklichkeit verhalte es sich ganz anders, wie PPQ-Leser Kurt als sachkundiger Experte beschreibt.

Der Begriff "Fidschis" müsse eigentlich "Vietschis" geschrieben werden, weil die damit bezeichnete Gruppe ja aus Vietnam kam. Historiker glauben, dass die falsche Schreibweise durch einen Hör-Schreib-Fehler eines "Spiegel"-Redakteurs in die Welt gekommen ist. Aus diesem Artikel mit dem Titel "Nahe am Pogrom", der aus dem Jahr 1990 datiert, hätten sich alle anderen Medien seitdem bedient. Hier findet der Sprachforscher die erste schriftlich niedergelegte Erwähnung des Wortes, vo hier aus nahm eines der größten Missverständnisse der deutsch-deutschen Geschichte mit einer Zwangsläufigkeit seinen Lauf, wie sie unter Ignoranten üblich ist, die voneinander gegenseitig alles Schlimme glauben.

Dabei ist die Logik, mit der DDR-Bürger ihre vietnamesischen Gäste bezeichneten, sehr leicht nachvollziehbar, denn sie hielten es mit allen ausländischen Mitbürgern so. Wo der Türke im Westen zum "Kanaken" und der Kongolese zum "Nigger" wurde, streichelte der internationalistische geschulte Ostdeutsche seine Gäste verbal mit Verniedlichungs-Is. "Ein schwarzer Gastarbeiter wurde nur dann "Kohle" genannt, wenn er aus Angola kam", erinnert sich Zeitzeuge Kurt. Böswillig sei das nicht, auch wenn hier das Kose-I ausnahmsweise nicht zur Anwendung komme: "Im Sächsischen ist phonetisch kein Unterschied zwischen g und k."

Kam der schwarze Gastarbeiter dagegen aus Mocambique, tauchte das Standard-Kose-I wieder auf: "Dann war er ein "Mosi". Kubaner hießen "Gubbis", wobei das sächsische "G" das "K" ersetzte. Außerdem habe es noch "Algis" gegeben, die "logischerweise aus Algerien kamen" und das Kose-I erhielten, obwohl sie immer Westgeld hatten und damit leichtes Spiel dabei, die nach exotischer Romantik ebenso wie nach harten Devisen ausgehungerten DDR-Mädchen in der Disko abzuschleppen. Schlägereien mit Algis waren häufig, der Grund aber waren nicht deren Herkunft, sondern ihr Erfolg bei den Frauen.

Erstaunlicherweise habe es keine "Bulgis", "Romis", "Tscheskis", "Polskis" oder "Wessis" gegeben, meint Kurt. Letztere waren allerdings ja schon "Bundis", wobei das Kose-I hier nicht aus Sympathie, sondern aus Gründen der ostdeutschen Ordnungsliebe vergeben worden sein dürfte.

Daneben habe es eigentlich nur noch "Ruskis" gegegeben, die kamen seien öffentlich nur als Fahrer von Ogneopasno-Lastern vorgekommen oder am "Tag der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft" in Form des "Russenfilms". Jener prägte den Sprachgebrauch einer ganzen Ost-Generation, wie der Experte erinnert. Der "Russenfilm" sei ein vaterländischer Kriegsfilm aus den Mosfilmstudios gewesen, dessen Handlung wie in einem "Spiegel"-Artikel um der propagandistischen Wirkung willen derart haarsträubend war, dass daraus der Ausdruck "Das gibts in keinem Russenfilm" entsprang, mit dem eine völlig absurde Begebenheit kommentiert wurde.

Hier setzt auch die Theorie des DDR-Spezialisten an, die die überdurchschnittlich hohe Ausländerfeindlichkeit erklärt, die seit der Übergabe der 14 Bezirke an die Verwaltung durch Niedersachsen, Bayern und Schwaben entstand. "Die schulklassenweise Zwangsvorführung von solchen antifaschistischen Heldenepen hat wahrscheinlich zu einer Überreaktion geführt und die Jugend dem deutschen Faschismus in die Arme getrieben."

Wulff-Wochen bei PPQ: Befreiungsschlag ins Wasser


Ein Befreiungsschlag ins Wasser, ein Schuss ins Knie wie gemalt. Ein Weihnachtsfest nach seiner freimütigen Eröffnung, nicht immer die ganze Wahrheit, manchmal aber die ganze Unwahrheit gesagt zu haben, steht Bundespräsident Christian Wulff immer noch unter Druck. Die klassischen Leitmedien, augenscheinlich höchst unzufrieden mit der präsidialen Aufkündigung der Affärenroutine, die längst zu einem Rücktritt des ersten Mannes im Staate hätten führen müssen, kramen weiter nach Belastungsmaterial, inzwischen bei deutschen Staatsbanken. Rentner-Netzmagazine dagegen beschäftigen sich wohlig gruselnd mit dem Vielleicht-eventuell-man hört so mancherlei-Vorleben der Präsidentengattin. Staatskrise liegt in der Luft, Verfassungschaos und Bellevue-Anarchie.

Schön für Wulff, dem es im Moment seines offenkundig werdenden Scheitern im Amt zum ersten Mal gelingt, unersetzlich zu sein: Die Opposition um Sigmar Gabriel, die Scheitern als Hauptberuf betreibt, schnupperte sofort, dass ein angeschlagener Wulff im Amt, der keiner Fliege mehr etwas zuleide tut, besser ist als ein beliebiger Nachfolger. Eine Erkenntnis, die die gewiefte ehemalige Klimakanzlerin natürlich schon am ersten Wochenende der Affäre hatte.

So bleibt der Billigheimer Schlossherr im Bellevue, als habe der Regisseur des Krisenstücks im Staatstheater in einer besonders humorvollen Anwandlung beschlossen, die Schmierenkomödie auf die Spitze zu treiben. Dabei ruft das Volk, so nicht die ARD danach fragen lässt, vernehmlich nach einer Neubesetzung, wie eine amtliche PPQ-Umfrage in der stillen Zeit zeigt: Ein Drittel der freiwilligen Wahlmänner würden gern den beliebten Staatsmann Hans-Peter "Hape" Kerkeling im Amtssessel des Präsidenten sehen. Kerkeling hatte in seiner Paraderolle als König Beatrix der Niederlande gezeigt, wie Repräsentation ohne Peinlichkeit geht. Zuletzt arbeitete der Wanderbuchautor in der "Bild"-Zeitung die Weltgeschichte auf und zeigte dabei, dass Vergangenheit nur richtig erklärt werden muss, um neben Sex- und Geldskandalen bestehen zu können.

Gern hätten die Deutschen auch eine Frau als neuen Wulff, sei sie auch evangelisch oder ukrainisch. Juljia Timoschenke und Margot Käßmann erreichen als Präsidentschaftskandidatinnen Beliebtheitswerte, die Wulff nicht einmal bei seinen vielen väterlichen Freunden genießt. Abgeschlagen dahinter liegt die Politfraktion mit den üblichen Verdächtigen, die für jeden Posten infrage kämen, ließe man die Besetzungscouch entscheiden. Beckenbauer, Jauch, Gottschalk, Schäuble und selbst der frühere deutsche Traumkanzler Bill Clinton mit seinem singenden Saxophon - nach keinem ruft das Volk so laut, dass nicht auch Christian Wulff bleiben könnte.

Wulff-Wochen bei PPQ: Schweigen ist Geld

Mittwoch, 28. Dezember 2011

Der türkische Rapper Acab

Aus unserer beliebten Serie „Experten reinsten Wassers“: Magnus Zawodsky ist offenbar Redakteur bei den Nürnberger Nachrichten, einem Qualitätsblatt aus der zweiten Reihe. Aber Zawodsky beweist eben, dass das nicht gleichbedeutend damit ist, nur zweitklassige News zu veröffentlichen. In einem instruktiven Beitrag enthüllte der bekennende Buddhist, welch schreckliche Seuche auf unserer Straßen umgeht: Grafitti-Schmierer allüberall, und ganz, ganz häufig fällt denen nichts anderes ein als den Namen des berüchtigten türkischen Rappers Acab an die Wände zu schreiben.

Zawodsky, Sohn eines Lateinlehrers, der noch wusste, dass Acab nicht anderes ist als der Ruf des Muezzin nach einem Taxi („a cab“), ist entsetzt, enttäuscht und wohl auch ein wenig verbittert. Aber wenn er wüsste, wovon er schreibt, wäre sicher alles noch viel schlimmer.

Das Weltnetz hat sich nicht durchgesetzt

Einige Jahre lang haben sie es versucht. Widerstand leisten gegen die unerträgliche Amerikanisierung des Lebens, der Sprache. Internet? Was sollte das sein? Knallharte deutsche Männer, die im Spektrum rechts der CDU zu Hause sind, erfanden den Begriff "Weltnetz" für die "Datenautobahn" (Helmut Kohl), die das Vaterland mit Benutzern in Sambia, Gambia, Südafrika und Amerika verbindet.

Seitdem haben die Rechtsextremisten, Rechtsextremen und Rechtsradikalen nach freierfundenen Forschungsergebnissen von Fachmagazinen wie jugendschutz.net die Herrschaft im Internet übernommen. Es gelingt ihnen dort seit Jahren, "immer mehr" (dpa) Bereiche zu besetzen, obwohl das Netz allen unabhängigen Zahlen zufolge weit schneller wächst als es der rechten Community gelingt, Wachstum zu generieren.

Ein Beleg dafür ist auch das peinliche Scheitern des Begriffes "Weltnetz": Anfangs noch trotzig gegen die Mehrheitsbezeichnung gesetzt, dünnte die Verwendung in der Szene nach einem Höhepunkt im Jahre 2007 mehr und mehr aus. Das "Weltnetz", gedacht als nationale Alternative zu multinationalen, linksdominierten Verbund von einheimischen und fremdländischen Rechnern, existierte nicht nur nicht mehr. Es wurde nun auch kaum noch so genannt. Und wenn, dann von Qualitätsmedien wie der Süddeutschen Zeitung, die damit Szenekundigkeit nachwies.

Dienstag, 27. Dezember 2011

Vom Wohlstand der Nationen

Gutes wird nicht schlecht, selbst wenn die Zeit sich noch so müht, mit Parolen wie "diesmal nicht" oder "diesmal alles anders" den Eindruck zu erwecken, als können zwei plus zwei dicke Döner eines schönen Tages wirklich 22 dicke Döner ergeben. Spätestens, wenn sich die Spieler von zwei Fußballmannschaften ihr Fleischpaket vom Tisch nehmen wollen, ist nicht für alle einer da. Der schottische Ökonom Adam Smith hat das schon vor 235 Jahren bemerkt. Damals beschrieb er in seinem Buch ""Der Wohlstand der Nationen" )"An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations), wie das alles zusammenhängt mit der Euro, der EU, der Krise, dem Verbrauchervertrauen und den Exporten, wer die Schulden hat, wer den Schaden und wozu das nützt.

Gut, Smith wusste nicht von Rettungspakten, EU-Verträgen, Fiskalunionen und Arbeitnehmerfreizügigkeit. Troztdem gelang es ihm, aus dem Jahre 1776 rückblickend zu beschreiben, was Deutschlands Zeitungskommentatoren selbst im Jahre 2011 noch nicht begriffen haben: Ein mächtiges Reich ist allein zu dem Zwecke errichtet worden, Millionen neuer Kunden zu bekommen, die gezwungen sein sollten, alle Waren aus den Ländern unserer einzelnen Produzenten zu kaufen, die sie beliefern konnten. Für die kleine Preiserhöhung, die dieses Monopol unseren Produzenten sichern durfte, sind unseren Konsumenten die ganzen Kosten aufgehalst worden, um dieses Empire aufrechtzuerhalten und zu verteidigen.

Allein die Zinsen für die Schuld sind höher als der durchschnittliche Gewinn, den man dem Monopol jemals zuschreiben könnte, ja, sie sind sogar höher als der gesamte Wert jenes Handels oder jener Waren, die im Mittel Jahr für Jahr exportiert worden sind.

Es kann nach alledem nicht schwerfallen, zu erkennen, wer letztlich die Urheber dieses ganzen Handelssystems gewesen sind. Ganz sicher können es nicht die Konsumenten gewesen sein, denn deren Interessen hat man völlig vernachlässigt. Dagegen ist man sorgfältig auf den Vorteil der Produzenten bedacht gewesen.

Sätze für die Ewigkeit XI

Bargespräch, zwei ältere Männer, zirka nach dem sechsten Bier:

Manchmal möchte man aus der Haut fahren, aber es ist kein Fahrrad da.

Mehr Sätze für die Ewigkeit

Doku Deutschland: In der Bundesbargeldmanufaktur

Es ist noch gar nicht so lange her, da ging die Angst hier unten um. „Das hatte mit dem Euro zu tun“, erinnert sich Vaclav Wenzel, einer der langgedientesten Mitarbeiter der Bundesbargeldmanufaktur (BBGM), die in einem von außen recht unansehnlichen Bürogebäude am Berliner Stadtrand residiert. Damals hätten viele der 7423 Mitarbeiter eine einfache Rechenaufgabe angestellt, wie der gebürtige Tscheche beschreibt, der nach dem Fall der Berliner Mauer nach Berlin kam, weil er gehört hatte, dass Münzer hier dringend gesucht wurden. Wenzel lächelt: „Wir glaubten damals, wenn alle Preise sich verdoppeln, wird auch nur noch halb so viel Geld benötigt.“

Das aber war ein Irrtum, wie der 56-Jährige heute weiß. Wenzel, der heute in der BBGM als Geldschöpfer an einem für Laien völlig unübersichtlichen Dispatcherpult arbeitet, war dabei, als aus dem langsam hereintröpfelnden Rinnsal der sogenannten Bargeldbegehren ein reißender Strom wurde, mit dem tausende BBGM-Mitarbeiter inzwischen im Vierschicht-System kämpfen. „Trotz modernster Technik“, sagt Wenzel, „wissen wir manchmal nicht, wie wir all die Summen so schnell bereitstellen sollen.“

Das Problem der Bundesbargeldmanufaktur, die entgegen dem Eindruck, den ihr Name erweckt, keineswegs Bargeld produziert, ist ein menschengemachtes. Wie in der seinerzeit von der Regierung Kohl geschaffenen Bundesworthülsenfabrik lässt sich auch im Produktionsprozess der BBGM nicht vollständig auf Handarbeit verzichten. Obwohl Millionen, Milliarden und an manchen Freitagen sogar Billionen den Hochsicherheitstrakt in der Nähe der Binzstraße verlassen, ist jedes einzelne sogenannte Geld-Bit letztlich von Expertenhand gefertigt.

Ein aufwendiger Prozess, wie Vaclav Wenzel an seinem Schaltpult demonstriert. Zuerst einmal müsse das Bargeldbegehren digitalisiert werden – noch ist die Bundesschuldenverwaltung nicht ans Bundeshochsicherheitsnetz angeschlossen, so dass alle Schöpfungsanträge noch ganz traditionell per Fax eingehen. Aus der dann vorliegenden aufwendig verschlüsselten Datei extrahiert ein codegesichertes Lesegerät die angeforderte Summe bis auf die letzte Kommastelle genau. Vaclav Wenzel lacht: „Dahinter stecken selbstverständlich zahlreiche Sicherungs- und Vergleichsarchitekturen, die dafür sorgen, dass kein Cent mehr entsteht als beantragt wurde.“

Wenzel drückt eine verwirrende Tastenkombination und schaltet damit die Bit-Geburt für rund 1,7 Millionen frei. Ein kleiner Fisch für den hochgewachsenen Tschechen, der nach eigener Aussage schon seit Jahren nicht mehr mitzählt, wie vielen Billiarden er schon zum Leben verholfen hat. Das meiste Geld bekomme er sowieso nicht zu Gesicht, sagt er, das bleibe im Großrechner und gehe von dort aus über superschnelle Glasfaserleitungen sofort auf die Reise zu den Orten, wo es verbraucht werde. Dabei habe es sich früher oft um einen geplatzten Suprime-Kredit gehandelt, in letzte Zeit aber kann der erfahrene Geldmann anhand der Auftragsnummer ersehen, dass viel frisches Kapital nach Griechenland, Portugal und Spanien strömt. Milliarden flössen auch zur EZB, von dort zu notleidendenden Banken, die sie sofort wieder zur EZB schickten, um dort ein Guthaben zu haben. „Das deckt sich ja auch mit dem, was man in der Zeitung liest“, sagt Wenzel.

Auch wenn es so aussieht – es ist keine leichte Arbeit, die der Chef von 75 Geldschöpfern und Bit-Profis zu leisten hat. "Manchmal", klagt Vaclav Wenzel, "kommen die Anforderungen an uns wirklich im Viertelstundenrhythmus herein." Dann gelte es, schnell zu reagieren, denn "wir wissen ja, dass um 20 Uhr die "Tagesschau" losgeht und die führenden Kabinettsmitglieder dann die Gewissheit brauchen, dass genug Geld da ist, damit er weitergeht." Sein schlimmster Alptraum seien ein paar durch einen Auftragüberhang in der BBGM vorübergehend leere Konten, deren Besitzer sofort in Panik ausbrechen. „Sobald das losgeht, ziehen alle ihr Geld ab und dann kommen wir mit der Bit-Produktion garantiert nicht mehr nach.“

Eine Gefahr, die unterdessen auch das Bundesfinanzministerium für sehr real hält. Um „mögliche Aufkommensspitzen in Zukunft abzufangen“, habe man bereits Anfang Oktober ein Rahmenabkommen zur gegenseitige Hilfe mit der volkseigenen Geldschneiderei der Volksrepublik China abgeschlossen.


Zur reisgekrönten PPQ-Serie Doku Deutschland:

NSU bei der Namensfindung
Landschaftskameramann bei 3Sat
Euro - der geheime Hades-Plan
Normierung von allem
Beim letzten deutschen Autofahrer
Bekenntnisse eines Blitzkriegers
Wahrheit ist flexibel
Ein Land aus Pfand
Sorgen auf der Sonnenbank
Rock an der Rütlischule
Schwimmen mit Sirenen
Hausbuchführer im Widerstand
Ich dagegen bin dafür
Der Marcellator der Herzen
Die Stimme des Bauchtrainers
Am Tresen verhaftet


Montag, 26. Dezember 2011

Stars in der Drainage: Casanova, Baby!

Kein politischer Witz diesmal, nicht ein einziger. Das traditionelle Weihnachtssingen des Klubs Objekt 5 in der mitteldeutschen Ex-Kulturhauptstadt Halle an der Saale versammelte wie immer jede Menge fröhlich nachgestellte Stars aus Funk und Fernsehen, aber keinen Augenblick der gesamtgesellschaftlichen Reflektion - keine Anspielung auf Wulff, kein Scherz auf Kosten der NSU, kein Grinsen über die Krise, keinen Seitenhieb auf die stillschweigend aus dem Amt geschiedene Klimakanzlerin.

Doch das Volk ist dankbar, endlich einmal wieder bekannte Größen aus Rock und Pop in der eigenen Stadt begrüßen zu dürfen. Die Veranstalter hatten sich nicht lumpen lassen und trotz Sparzwang eingeladen, was noch Rang und Namen hat. Hell glühende Augenblickssternchen wie Adele, Jan Delay und Unheilig mühten sich unter der historisierenden Moderation des Exil-Spaniers Giacomo Casanova in den Kulissen des historischen Venedig, neben Klassikern wie Jethro Tull, den Ramones und Boney M zu bestehen. Mit unterschiedlichem Erfolg. Adele etwa wirkte fast echt, der grummelnde Graf dagegen mutete nicht nur wegen seiner Glatzenperücke eher an wie ein Karikatur.

Die Rituale sind seit Jahren dieselben. Den ersten Jubel bekommt jeder der Aushilfskünstler, wenn vom Publikum als Phil Collins, Dave Gahan oder Udo Lindenberg erkannt wird. Den nächsten gibt es, wenn er oder sie ersten Takte ohne Stimmbruch über die Rampe bringt. Das gelingt den jungen Talenten inzwischen ausnahmslos, denn was früher ein Gipfeltreffen bemühter Amateure war, ist längst zum semiprofessionellen Galaball der örtlichen Covergrößen geworden. Begleitet von einer jederzeit kompetent rockenden Band zieht vor den 1500 Zuschauern über fast vier Stunden ein Panoptikum des Pop vorbei: Der erwähnte Phil Collins mit Schiebermützchen und "Land Of Confusion", Ian Curtis von Joy Division mit der Grubenhymne "Love will tear us apart" und Simon&Garfunkel mit ihrer "Mrs. Robinson". Venedische Fähnchen wehen, Bierfahnen gesellen sich gemächlich dazu. Nach eins macht jeder seins, wie das von alters her Brauch ist im Osten. Die einen gehen tanzen, die anderen freuen sich auf dem Nachausewegt, dass auch Weihnachten dieses Jahr wieder überstanden ist.

Der Weihnachtsmann in Griechenland

Wulff-Wochen bei PPQ: Schweigen ist Gold

Selbstverständlich wussten immer alle, warum der niedersächsische Ehrenbürger Johannes Rau am Wochenende lange Ausflüge machte. Es wussten ja auch alle, warum er „Bruder Johannes“ genannt wurde. Wegen seiner christlichen Nächstenliebe natürlich, die ihn veranlasste, der DDR gegen das Versprechen, die DDR-Staatsbürgerschaft anzuerkennen, das Zugeständnis abzutrotzen, ihre Flughäfen für aus ihrer bürgerkriegsgeplagten Heimat in das gute alte Westdeutschland fliehende Tamilen zu schließen. Bei Westerwelle wusste es jeder. Bei Seehofer hatten sie sogar die Adresse der Buhlschaft. Bei Willy Brandt entstand ein Volksmärchen aus dessen amourösen Abenteuern im Kanzlerzug. Bei Oskar Lafontaine war klar, dass ihn mit seiner Frau nur noch eine Art Scheinehe verband.

Doch Konsens in der multilateralen Medienlandschaft in Deutschland ist es immer gewesen, private Dinge von Amtsträgern nicht breitzutreten. Wo „Sun“ und „News Of The World“ in Großbritannien aus Gerüchten Kampagnen zimmern, bildeten sich Bonner und später Berliner Mediencorps viel darauf ein, auch „einfach mal die Fresse halten“ zu können, wie Dieter Nuhr sagen würde.

Wann dieser Fall kollektiv auf den Markt geschleift und wann jener kollektiv durch wegschauen beigelegt wurde, entscheidet keine Großtagung der Enthüllungsschriftsteller und kein Verlgerkongress, sondern meist einfache politische Opportunität. Ist es zweckmäßig, einen Skandal vom Zaun zu brechen? Bringt es Quote? Oder nur Ärger?

Ähnlich halten es die politischen Konkurrenten, die in allen Fällen als Munitionslieferanten dienen und zudem noch als Empörte auftreten müssen. Einmal zuviel mit dem Finger gezeigt, dann wühlt die Gegenpartei bei dir selbst im Schlamm von Jugendverfehlungen und Karnevalsfehltritten, dann kommt auf den Tisch, was unterm Teppich bleiben muss: Merkels Jugendabenteuer in Grünheide. Seehofers Baby. Wulffs Frau und sein Kreditvertrag. Kohl Umgang mit seiner Frau.

Im Unterschied zum politischen Skandal, dessen Aufdeckung Ehrensache und Alltagsgeschäft ist, kommt der Skandal des Politikers der wahren Person von Ministern, Kanzlern und Staatssekretären nahe: Günther Krause und seine polnische Putzfrau. Michel Friedman und die ukrainischen Nymphen. Die Fußballleidenschaft des Reinhard Klimmt. Die schicken Schlipse, die Cem Özdemir und Moritz Hunzinger verbanden. Die neue Liebe von Gregor Gysi. Die neue Liebe von Oskar Lafontaine.

Beunruhigend ist daran natürlich nicht das Wissen, dass Medien mehr wissen, als sie ihren Konsumenten mitteilen. Beunruhigend ist der Umstand, dass sie nicht nur bei unappetitlichen Einzelheiten aus Hosenställen und Brieftaschen der Polit-Elite, sondern jederzeit und bei jedem Thema entscheiden können, es einfach totzuschweigen. Bestes Beispiel, wenn auch unpolitisch, war die friedliche Fußball-WM 2006 „im eigenen Land“ (dpa). Damals schrieb vier Wochen lang nicht eine deutsche Zeitung ein Wort wie „Hooligans“, „Krawalle“ oder „Ausschreitungen“, obwohl es Anlass zur Genüge gab, wie ein BBC-Film später eindrucksvoll belegte.

Selbstverständlich wussten es alle. Es war nur nicht opportun, mit dem Wissen zu protzen. Das geschieht erst, wenn die Stunde schlägt, wenn die Jäger sich der Beute sicher sind. Dann entstehen die schönsten Hetzsätze, Passagen von einer Qualität, wie sie „Sun“ und „News of the World“ nie erreichten: Bettina Wulff etwa soll dann "schon als Schülerin zu Partys nach Sylt gefahren sein“, wie die „Welt“ recherchiert hat. Nein, den überall kolportierten Namen „Artemis“ schreiben sie nicht, noch nicht. Aber: „Und weißte nicht und haste nicht gehört. Tsstssstsss. Gerede, Gerede, Gerede - das fanden nur wenige gut in der ja noch immer ziemlich strukturkonservativen niedersächsischen CDU."

Sonntag, 25. Dezember 2011

Wer hat es gesagt?

Ein weiterer Prozesstag also, der die zahlreichen Opfer grausamer Polizeiwillkür verhöhnt. Wieder einmal wird klar, dass Gerechtigkeit auf der Straße erkämpft wird und nicht im Gerichtssaal eines Systems, dessen Büttel nur die Grausamkeiten erfüllen, die von der kranken Gesellschaft und ihrem Staat verursacht werden.

NSU: Gewaltbrücke zu den Sternsingern

Der Hans, der kanns einfach. Mag die übrige Medienwelt auch kein Interesse mehr haben an neuen, handgemachten Nachrichten aus der rätselhaften Welt des "Nationalen Untergrunds", mag der Status der "Zwickauer Terrorzelle" (dpa) als terroristische Vereinigung bedroht sein und der Bundespräsident dennoch kein Wort der Kritik in Richtung Gesetzgeber richten - Hans Leyendecker, Sonderkorrespondent der SZ im Fall aller Fälle, bleibt dran. Kommissar Zufall ermittelt und legt "Neue Erkenntnisse" auf den Gabentisch. "Ermittler finden Motiv für Polizistinnen-Mord von Heilbronn", schreibt der Spiritus Rector der deutschen Schreibtischreportage.

Und, Überraschung!, das Motiv war: es gab keines. "Der Mord an Michèle Kiesewetter war keine Beziehungstat, sondern ein Zufall", stellt Leyendecker klar: Das Bundeskriminalamt schließe mittlerweile aus, dass sich Täter und Opfer kannten. Alles, was alle Zeitungen und Zeitschriften sich über persönliche Beziehungen zwischen Opfer und Tätern zusammenrecherchiert hatten, stimme nicht. Richtig sei stattdessen, dass die Neonazis die junge Frau umgebracht hätten, um ihr und ihrem Kollegen die Pistolen Typ Heckler&Koch P 2000 abzunehmen, die sie später nie benutzten, um die Polizei nicht von ihrer über ein halbes Jahrzehnt mit Hilfe einer Pistole des Modells Ceska ausgelegten Mordspur abzubringen.

Doch pure, menschenverachtende Gewalt zur Durchsetzung von Partikularinteressen ist längst nicht mehr nur für über Jahre spurlos untergetauchte Rechts- und Linksterroristen selbstverständlich. Wie die Badische Zeitung berichtet, führt eine "Gewaltbrücke" (Altmeier) inzwischen bis zur eigentlich als friedlich geltenden Sternsinger-Bewegung. Mit der unmissverständlichen Parole "Klopft an Türen, Pocht auf Rechte" hätten alle 27 deutschen Bistümer rund eine halbe Million Mädchen und Jungen zur Jagd auf Neonazis aufgerufen, meldet das Blatt. Die Trupps werden sich am 4. und 5. Januar auf Tour machen. Wer Rechte kennt, Nachbarn als Rechte im Verdacht hat oder selbst ein Rechter ist, kann in seinem zuständigen Pfarrbüro sachdienliche Hinweise auf die Verdächtigen geben.

Ein Land schreibt einen Thriller:

NSU: Gebührenwahnsinn beim Meldeamt
NSU: Nun auch auf dem linken Auge blind
NSU: Die Welt ist klein
NSU: Verdacht auf Verjährung
NSU: Weniger hats schwer
NSU: Terrorwochen abgebrochen
NSU: Rechts, wo kein Herz schlägt
NSU: Was steckt dahitler?
NSU: Neue Spuren ins Nichts
NSU: Tanz den Trinitrotoluol
NSU: Der Fall Braun
NSU: Honeckers rechte Rache
NSU: Die Mundart-Mörder
NSU-Todeslisten: Sie hatten noch viel vor
NSU: Was wusste Google?
NSU: Kommando späte Reue
NSU: Die tödliche Bilanz des braunen Terror
NSU: Mit Hasskappen gegen den Heimsieg
NSU: Mordspur nach Möhlau

Samstag, 24. Dezember 2011

Hose auf, Hand rein

"Augen auf, Mund zu", heißt es im Text, "Hose auf, Hand rein". Und schon ist alles gesagt, was ein Außerirdischer über das Leben auf der Erde wissen müsste: Die Gruppe Liedfett kommt, das hört man schon am widerlichen Namen, aus Hamburg, erstaunt Ohrinhaber aber mit der hellsichtigen Single "Blinde Kuh". Auf eine Art klappriger Fieberfolk singen die drei jungen Männer eine gallige Gesamtabrechnung auf die Gegenwart. Wer ab morgen falschgeschenkte CDs zu tauschen vor hat: Das erste Liedfett-Album heißt "Kochbuch".

Wulff-Wochen: Stille Nacht im Schloss

Dass es Spitze auf Knopf stand, wussten alle. Nie zuvor war die traditionelle Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten in so großer Gefahr, mangels eines Bundespräsidenten abgesagt werden zu müssen. Was aber würde aus Deutschland werden, wenn die Kraft nicht einmal mehr für die geliebten Rituale reicht?

Im Bundeskanzleramt wurde deshalb in den zurückliegenden Tagen fieberhaft an einem Rettungspaket für die große Rede des scheidenden ersten Mannes im Land gearbeitet. Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst, die letzte Verfassungsinstitution, die noch hohes Ansehen bei den Bürgerinnen und Bürgern genießt, erklärte sich schließlich bereit, für den angeschlagenen Christian Wulff zu sprechen – damit sollte von vornherein verhindert werden, dass dem beliebten CDU-Mann eventuelle Äußerungen zu Themen wie Wahrheit, Gleichheit, Gesetztestreue und sozialer Kälte zynisch unter die Nase gerieben werden, wie es verschiedene Medien vorab getan hatten.

Damit die Menschen draußen im Lande aber dennoch zu gewohnter Stunde das gewohnte Weihnachtsbild auf ihrem Fernsehgerät vorfinden, doubelte Wulff sich selbst, wie immer umgeben von einem buntgemischten Häuflein Getreuer, die eigens als Staffage für diese letzte große, nie gehaltene Rede ins Schloss Bellevue gerufen worden waren.

„Immer noch eine bessere Lösung als damals bei Helmut Kohl, bei dem 1986 einfach die Rede vom vergangenen Jahr noch einmal gesendet wurde“, hieß es bei den vereinigten Staatsfunkanstalten, die ursprünglich geplant hatten, die nach Wulffs denkbarem Abgang klaffende Sendelücke von Thomas Gottschalk mit einer lustigen Weihnachtsmütze und einigen alten Hariboscherzen füllen zu lassen. Das sei nun nicht nötig und darüber sei man „sehr froh“.

Zumal der Bundespräsident trotz gelegentlicher Synchronisationshacker, die verraten, dass Angela Merkel nicht allzu häufig Männer synchronisiert, eine gute Figur macht. Obwohl ein gebrochener Mann, steht Wulff sehr aufrecht, gelegentlich schaut er sogar direkt in die Kamera. Der rote Schlips leuchtet. Merkels Redetext orientiert sich an den Standards, die zum eher fetten Weihnachtsessen passen: Wir alle müssen den Gürtel enger schnallen, aber die Krise muss uns keine Angst machen, denn die Regierung hat alle Probleme seit Jahren fest im Blick. Am Ende wünscht Christian Wulff wie immer ein schönes Jahr und alles wird gut unterm Baum.

Merkel nimmt Stellung zu allem

Fremde Federn

Ich beschäftige mich mit Marxismus, mit Leninismus, mit Stalinismus. Das ist eine schwierige Angelegenheit. Der Faschismus ist das ganz und gar nicht. Das waren böse Jungs, als sie an der Macht waren, da machten sie die bösen Sachen. Das war beim Stalinismus völlig anders. Da waren es die Guten, die die schlimmsten Sachen machten. Jedenfalls ging der Stalinismus aus einer Emanzipationsbewegung hervor. Das ist schwer zu verstehen. Es ist interessant. Vor allem aber ist es eine Tragödie. Sehen Sie, so irrational der Faschismus gewesen war, Sie konnten doch, wenn Sie kein Jude, kein Kommunist, kein Sozialdemokrat waren, wenn Sie nicht irgendwelchen privaten Krach mit den Nazis hatten, ganz gut den Faschismus überleben. Das war im Stalinismus völlig anders. Sehen Sie sich das wunderbare Buch von Karl Schlögel „Traum und Terror – Moskau 1937“ an. Da merken Sie, wie sehr der Traum von neuen sozialistischen Menschen verflochten war mit der Vernichtung der realen Sowjetbürger.

Freitag, 23. Dezember 2011

Wulff-Wochen bei PPQ: Auf der Flucht nach vorn

Dem ersten Befreiungsschlag, den Bundespräsident Christian Wulff mit einer bis zur Transparenz durchsichtigen Rede in Berlin unternahm, folgt sogleich der zweite. Wie eine Nachrichtenagentur aus dem Schloss Bellevue erfahren haben will, plant der finanziell nicht auf Rosen gebettete Präsident einen finanziellen Kraftakt, um weitere Vorwürfe aus der Welt zu schaffen.

Dabei geht es um den Unternehmer Carsten Maschmeyer, der vor einigen Jahren Anzeigen für ein Buch Christian Wulffs bezahlt hatte. Dem Werk mit dem Titel „Besser die Wahrheit“ hatte das nicht geholfen. Doch die von Maschmeyer völlig ohne Wissen Wulffs verauslagten 42.700 Euro werden dem Bundespräsidenten jetzt vorgeworfen.

Zufällig aber veröffentlicht Carsten Maschmeyer im kommenden Jahr selbst ein Buch über sein faszinierendes Leben und beeindruckendes Werk. "Jeder hat das Recht auf Erfolg!", versichert der sympathische Versicherungsvertreter darin, denn er ist ein Selfmademan wie einst Jonathan Hart. "Sein Erfolgsgeheimnis?", fragt sein Verlag, "dass es kein Geheimnis gibt, denn Erfolg ist machbar, wenn man nur weiß, wie."

Solches Wissen muss unter die Leute, damit die endlich auch erfolgreich werden können, findet Christian Wulff. Er werde deshalb in den kommenden Wochen die Flucht nach vorn antreten und Anzeigen im Wert von 42.700 für Maschmeyers Buch privat bezahlen, ohne seinem Freund Carsten davon zu erzählen. Im Amt des Bundespräsidentem hofft man, dass die leidige Anzeigen-Affäre damit ebenso erledigt ist wie die Urlaubsaffäre damals erledigt war, nachdem Christian Wulff ein großzügiges Entgelt für seinen eigentlich kostenlosen Ferienaufenthalt bei Carsten Maschmeyer gezahlt hatte.

Wulff-Wochen bei PPQ: Die Weihnachtsbotschaft aus dem Bellevue
Wulffs Erben: Das Kandidatenkarussell
Wulffs Bekenntnis: So habe ich den Skandal erlebt
Wulffs Waschmaschine: Sauberes Geld im Schloss

Sparta-Projekt: Unter Rettern

Schicksalstage eines Kontinents, und PPQ, eine starke europäische Stimme, ist mittendrin statt nur dabei. Seit dem 15. Dezember läuft das Projekt Sparta, ein ebenso mutiges wie einzigartiges Privatrettungsunternehmen für Griechenland: Aus Verantwortung dem Land, dem Kontinent und seinen Menschen gegenüber sind mündige Bürger hier beim Finanzblog PPQ für Athen und die redaktionelle Altersvorsorge aufgestanden und zur örtlichen Sparkasse gegangen. Dort gelang es mit Hilfe einiger imposanter Overhead-Folien, einen sogenannten Wulff-Kredit loszuschlagen: 500.000 Euro zu sieben Prozent Zinsen, die von den Initiatoren sofort in 10.000 Stück der griechischen Staatsanleihe mit der Kenn-Nummer A0T6US (aktueller Kurs hier) gesteckt wurden. Das von der Europäischen Zentralbank als „unabhängig von externen Rating notenbankfähige Sicherheit" (EZB) eingeschätzte Papier dient gleichzeitig als Kreditbesicherung für sich selbst.

Alles richtig gemacht, schätzt der Führungsausschuß des ersten in Mitteldeutschland ansässigen Hedge Funds nur sieben Tage nach dem Erst-Engagement in Hellas ein. Als hätten die Märkte weltweit nur auf ein starkes Signal gewartet, läutete der massive Einstieg des PPQ-Fonds in die A0T6US einen Welle von Folgekäufen anderer großer Adressen ein. Von knapp über 45 Euro schoß das Papier auf mehr als 49 Euro – für die Väter des Projekts Sparta, die bis März mit einem Gewinn von fünf Euro pro Stück gerechnet hatten, ein starkes Signal für die schnelle Gesundung Europas.

Vor allem aber ein starkes Signal für das eigene Portefolio. Mit einem Gesamtgewinn von derzeit rund 40.000 Euro liege „Sparta“ zwar noch rund 35.000 Euro unter dem avisierten Endgewinn, für die bisher zurückgelegte Wegstrecke von nur sechs Handelstagen sei das Ergebnis jedoch beeindruckend, wie die Blicke zahlreicher Neider bestätigen. Das Timing sei optimal gewesen, die Aussichten hellten sich zudem immer weiter auf, weil Griechenland in der öffentlichen Diskussion kaum noch eine Rolle spiele, die EZB aber mit einer Bilanzsumme von mittlerweile mehr als 2.400 Milliarden Euro längst über den Punkt hinweg sei, wo es noch auf ein paar Milliarden mehr oder weniger ankomme. Deshalb wird an der Rettung festgehalten, billiges Geld sei genug da.

Da die Anleihe A0T6US jedoch bereits in der Nähe des vom deutschen Steuerzahler Europa garantierten Rückzahlbetrages von 50 Euro notiert, haben sich die Sparta-Vordenker entschlossen, den Gesamtbestand von 10.000 griechischen Qualitätsanleihen mit der WKN A0T6US an deren Bedürftigen zur Verfügung zu stellen. Mit den flüssig gemachten Mitteln orientiert sich der Sparta-Fonds neu, um noch tatkräftiger helfen zu können: Sparta kauft zum Tageskurs von 33 Euro 16.000 Stück der griechischen Hochqualitätsanleihe mit der WKN A0LN5U (aktueller Kurs hier) Das Papier läuft bis zum 20. August 2012. Der Kaufpreis von 484.000 Euro wird finanziert aus dem derzeitigen Cashbestand in Höhe von 540.000 Euro (450.000 Euro Ursprungseinsatz in A0T6US + 40.000 Euro Gewinn aus Verkauf A0T6US + und 50.000 Euro Cashbestand aus dem Sparkassenkredit).

Das Rettungsziel bei diesem Kauf liegt ebenfalls bei rund 50 Euro, dem vom deutschen Steuerzahler garantierten Rückzahlbetrag. Wir erwarten also in den kommenden acht Monaten einen Gewinn von rund 250.000 Euro.

Donnerstag, 22. Dezember 2011

Sprich Krisisch: Das Alphabet der Krise

Es ist eine Fähigkeit, die lebensnotwendig ist, um die Welt zu verstehen. Doch sie wird weder in Schulen gelehrt noch in Talkshows vorgeführt, es gibt keine Sendung "Deutschland sucht den Krisenübersetzer" und keine Zeitungskolummne zum Thema "wie ist das alles überhaupt noch zu kapieren". Doch Krisisch, die lingua franca der Endzeit der menschlichen Zivilisation, allein daheim zu lernen, vielleicht mit Hilfe von Internet-Lektionen, ist auch nicht die Lösung. Den Ausweg bietet das Alphabet der Krise, ein Wörterbuch des Unmenschlichen, der Tarnsprache aus der Bundesworthülsenfabrik, das selbstverständlich mit dem Begriff "alternativlos" startet:

Alternativlos
Hieß früher "Kommissarsprinzip", bei Oma noch "Not kennt kein Gebot". Es wird gemacht, was muss, auch wenn man es nicht darf. Siehe auch unter „Notstandsgesetze“.

Banken
Siehe "Spekulanten" und "Märkte". Das Böse schlechthin, also das Gegenteil von siehe "Politiker".

Banklizenz
Lizenz zum Gelddrucken. Erlaubt das Ausgeben von jeweils 88 Euro Kredit auf zwölf Euro Einlage. Die besten Banken schaffen noch mehr: Die Europäische Zentralbank kann auf fünf Euro Einlage Kredite in Höhe von 95 Euro ausgeben! wer Verbriefungen im Besitz hat, kann auch die als erstklassige Sicherheit nehmen.

Credit Default Swaps

Ausfallversicherungen. Siehe "Spekulanten". Teufelszeug.

Garantierahmen
Höchstgrenze der Schuldenübernahme, wird wöchentlich ausgeweitet.

Einlagensicherung
Eine Zusicherung von Angela Merkel, die erklärte "Wir sagen den Bürgern und Bürgerinnen, die Guthaben sind sicher." Sie hat damit natürlich nichts garantiert. Nur gesagt, dass sie im Namen von irgendwem, den sie nur „wir“ nannte, allen sage, „die Guthaben“, von denen sie nicht sagt, wessen das sind, seien „sicher“.

Euro-Rettung

Erste Phase des Umbaus der Union.

EU-Gipfel
Das ist doch die Höhe.

Euro-Skeptiker
Früher auch "Klimaskeptiker". Leute, die nicht glauben wollen, was ihnen gesagt wird.

Europäische Verträge
Siehe unter "alternativlos". 

Europa
Empfindlichster aller Lebensräume auf Erden. Hört mit dem Ende der gemeinsamen Währung auf zu existieren.

Fiskalunion
Bedeutet schlicht, dass von den Steuern, die die Griechen nicht einzutreiben in der Lage sind, jetzt alle Länder der Union profitieren.

Finanzmärkte
Siehe unter „Spekulanten“. Namen sind nicht bekannt, im Zweifelsfall Goldman Sachs, also Ostküste.

Gläubigerbeteiligung
Thema für Pressekonferenzen. Wird so lange diskutiert, bis alle privaten Gläubiger ihre Papiere an staatliche Stellen verkauft haben.

Hebel
Mehr mit weniger retten. Ein Feuerwehrauto ist der Hebel des Feuerwehrmannes, eine Banklizenz der Hebel des Rettungsschirmes. Heißt bei Spekulanten "Verbriefung", ist dann aber Teufelszeug.

Inflation
Gibt es nicht, wird es nie geben. Glauben nur Euro-Skeptiker nicht. Siehe auch dort.

Konjunkturspritze
Auch "Verschrottungsprämie". Wird über neue Staatsschulden finanziert und die Staatsverschuldung konsequent abzubauen.

Kreditklemme
Wenn nach einer Phase mit billigem Geld, das zur freigiebigen Vergabe von Krediten geführt hat, alle vorsichtig werden und niemand mehr niemandem etwas leihen will. Wird mit noch mehr noch billigerem Geld bekämpft, etwa durch Konjunkturspritzen. Siehe auch dort.

Liquiditätsengpass
Siehe "Pleite". Wird von Politikern und in der „Tagesschau“ synonym verwendet, um niemanden zu beunruhigen.

Liquidität
Wenn viel Geld ohne Ziel unterwegs ist und sich Anlagemöglichkeiten in US-Verbriefungen, Swaps und Schiffsfonds sucht. Wichtig!

Merkozy
Kosename für ein Doppelgespann aus Ratlosigkeit und Hyperaktivität in Pressekonferenzen. Vermutlich soll der Begriff Frankreichs Wirtschaft zumindest verbal auf das Niveau des deutschen Nachbarlandes bringen.

Moratorium
Die Übereinkunft, die Lösung eines Problems besser auf morgen oder übermorgen zu verschieben, aber trotzdem darüber zu reden, als sei die Sache damit erledigt.

Notstandsgesetze
Gibt es nicht, wird es nicht geben. Im modernen Europa wird der Notstand ohne spezielle Gesetze verwaltet. Siehe Kommissarsprinzip.

Ostküste
In Zeiten abnehmenden Lichts noch ganz anders genannt. Kann aus naheliegenden Gründen nicht weiter erklärt werden. Insider verstehen aber, was gemeint ist.

Politiker

Müssen die Märkte zähmen, die Spekulanten bekämpfen, die Schulden wie die Zinsen niedrig halten und den permanten Aufschwung über höhere Steuern organisieren.

Private Gläubiger
Im Inland zumeist staatliche Banken wie KfW, Landesbanken oder die halbstaatliche Commerzbank.

Ratingagenturen
Von der - siehe dort - „Ostküste“ aus gesteuert, um den kerngesunden Euro und die höchstvitalen europäischen Staatshaushalte bei Spekulanten und Finanzmärkten in Verruf zu bringen.

Rettungspaket
Ein Bündel aus Pressekonferenzen, in denen Wort wie "Rettungsschirm" und "geschnürt" verwendet werden. Kommt gut in der Tagesschau.

Rettungsschirm
Geld, das man nicht hat, wird zum Fenster rausgeworfen, um in die "Tagesschau" zu kommen

Realwirtschaft
Der Bäcker an der Ecke, der vorlebt, wie es ohne Banken und Kredite geht: Erst backen, dann Brötchen verkaufen, dann die Einnahmen sparen, bis es dazu reicht, einen Laden zu mieten und eine Backstube zu bauen. Oskar Lafontaine liebt es. Christian Wulff kann es nicht abwarten.

Risikoabschirmung
Kunstwort aus der "Tagesschau". Bedeutet nichts. Mehrere Rettungsabschirmungen ergeben einen Rettungsschirm, der kann zu einem Rettungspaket gebündelt und - siehe dort - „verbrieft“ werden. Die besten Rettungsschirme haben eine Banklizenz.

Staatsbanken
In Deutschland alle außer die Deutsche Bank. Nur Oskar Lafontaine weiß das nicht.

Schuldenbremse
Das aktuelle Parlament sieht sich außer Stande, Haushalte ohne zusätzliche neue Schulden aufzustellen und verordnet deshalb der Einfachheit nachfolgenden Parlamenten, Haushalte ohne zusätzliche neue Schulden aufzustellen, um seinen guten Willen zu zeigen.


Schulden

Treibmittel für den Permanent-Aufschwung. Haste was, biste nix, dann greift die - siehe dort - Gläubigerbeteiligung

Steuereinnahmen
Sind seit Ausbruch der Krise auf neue Höchstände gestiegen, reichen aber nach dem Gips-Wasser-Prinzip gerade deshalb nicht aus. Höhere Einnahmen haben immer höhere Ausgaben zur Folge, weshalb die höheren Einnahmen nie für die höheren Ausgaben ausreichen. Benötigt werden deshalb zuallererst höhere Einnahmen.

Staatsgarantie
Mit der Staatsgarantie bürgt der deutsche Steuerzahler für sämtliche Spar- und Sichteinlagen aller deutschen Steuerzahler, aber auch derjenigen, die keine Steuern zahlen. Garantiert wird die Rückzahlung in voller Höhe, nicht aber im vollen Wert.

Spekulanten
Namentlich nie genannte Verantwortliche für alles Böse. Unterm Mikroskop gesehen: Lebensversicherer, Pensionskassen.

Tagesschau
Siehe „Ufa-Wochenschau“. Aktuelle Rückblicke auf die jeweilige Tagesrettung. Schönste Dauerszene: Retter kommen in dunklen Rettungslimousinen vor einer dunklen Rettungsgipfel-Tagungsstätteneinfahrt an.

Transaktionssteuer.
Wie Praxisgebühr, Ökosteuer und Dosenpfand eine Regelung mit Lenkungswirkung. Soll die Einnahmen des Staates erhöhen und die Marktteilnehmer dazu bringen, weniger zu handeln, um weniger Steuern zahlen zu müssen. Klappt immer, siehe Dosenpfand.

Subprime-Krise
Eigentlich auch schon eine Staatsschuldenkrise, weil entstanden durch zuviel zu billiges Geld. Sollte aber damals nicht so heißen, damit niemand was merkt.

Volksabstimmung
Spielt Spekulanten in die Hände und dauert immer zu lange.

Verstaatlichung
Muss kommen. Nur Verstaatlichung verhindert siehe "Spekulation". Vorteil: Staatliche Banken müssen in der Krise nicht verstaatlicht werden, weil sie schon staatlich sind.

Verbriefungen
Gibt es als Mortgage Backed Securities (MBS), Asset-backed Commercial Papers (ABCP), Collateralized Debt Obligation (CDO), Collateralized Loan Obligation (CLO) und Collateralized Bond Obligation (CBO). Zeitweise Hauptanlageinstrument deutscher Landesbanken.

Vertiefte Integration
Berlin wird das neue Brüssel. Brüssel wird das neue Berlin.

Zinsen
Müssen niedrig sein, um die Liquidität zu erhalten.

Wulff-Wochen bei PPQ: Die Weihnachtsbotschaft von Bellevue

Es war die am sehnsüchtigsten erwartete Rede des Jahre. In nicht einmal sieben Minuten sollte der Bundespräsident alles klären, es allen recht machen, aber lieber links. Die Euro-Krise war noch beenden, ein wenig Europastimmung sollte auch aufkommen, zugleich aber mussten Kritiker zum Schweigen gebracht werden wie der ewig medieneifrige Kardinal Joachim Meisner, der in den Tagen vor dem großen Redeereignis zum Rückzug und zum Eingeständnis, der Präsident des Volkes sei ein "armer Sünder" geraten hatte.

Christian Wulff aber hat Format gezeigt. Er hielt dem Druck stand, er hörte nicht auf die Pöbeleien, er drückte das Kreuz durch und hielt seine Rede. Eine halbe Woche vor dem großen Tag der Ausstrahlung, dem die ganze Nation entgegenzittert, schon einigte er sich mit Ehefrau Bettina, Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Kreis seiner engsten Berater auf einen Redetext, den er anschließend im großen Ballsaal von Schloss Bellevue einlas.

Ein Datenleck im Hausnetz des ersten Hauses im Lande ermöglicht es PPQ, die selbstbewusste, aber auch selbstkritische Rede bereits vorab im Wortlaut öffentlich zu machen. Nein, Christian Wulff nimmt kein Blatt vor den Mund. Und ja, er bleibt sich treu. Aber doch, seine Kritiker werden wieder auf ihn einschlagen. Allerdings vergeblich. Denn letztlich gilt die alte Regel: Hält die Schweigefront noch eine Woche, verliert das Publikum den Spaß am Thema, zu dem, wie Christian Wulff selbst schon an Tag zwei der Affäre bemerkte, „alles gesagt“ ist. Während "Spiegel", dpa und die FAZ noch böswillig behaupten, Wulff würde in seiner Weihnachtsrede nicht auf die bösen Vorwürfe eingehen, zeigt das Wortlautprotokoll aus dem Schloss, dass er - sehr staatsmännisch - durchaus dazu Stellung nimmt.

Hier die Mitschrift der Sendung vom kommenden Samstag:

"Fröhliche Weihnachten, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! In diesen festlichen Tagen nehmen wir uns Zeit für Menschen, die uns wichtig sind. Wir freuen uns über Besuche, Briefe und Anrufe, so weit sie nicht von Presseleuten kommen. Wir spüren: Wir gehören zusammen wie meine Freunde und ich. Wir stützen einander, nicht nur während der Ferien. Wir sind einander verbunden, auch über Verträge und Banküberweisungen. Zusammenhalt, Verständigung, Miteinanderauskommen: Das brauchen wir in unseren Familien, in unserem privaten Leben und in unserer ganzen Gesellschaft. Zusammenhalt, Verständigung, Miteinanderauskommen: All das geschieht nicht von allein. Dafür muss man etwas tun.

Unsere Gesellschaft lebt von denen, die sehen, wo sie gebraucht werden, die nicht dreimal überlegen, ob sie sich einsetzen und Verantwortung übernehmen, auch ohne einen Grundbucheintrag. Einige dieser Menschen habe ich heute Abend ins Schloss Bellevue eingeladen. Da ist Carsten Maschmeyer, ein ganz alter Freund, der nie gefragt hat, was ich als Gegenleistung bringe. Und da ist Egon Geerkens, der auf viel Geld verzichtet hat, damit ich meiner Familie ein Dach über dem Kopf bieten konnte. Sie haben sich in diesem Jahr für andere, mit anderen gemeinsam eingesetzt. Aus unterschiedlichen Gründen und Motiven, die wir alle nicht kennen. Obwohl sie alle verschieden sind, liegt es an ihnen und an vielen anderen, die so handeln wie sie, dass unser Land zusammengehalten wird: von Solidarität und von dem gemeinsamen Füreinandereinstehen.

Der Staat kann im Rahmen seiner Möglichkeiten Menschen in Not finanziell unterstützen. Aber jemandem Mut zusprechen, jemandem auf die Schulter klopfen, jemandem die Hand reichen, jemandem finanzielle Unterstützung zu geben, von dem viele meinen, er verdiene doch eigentlich genug: Dafür braucht es Menschen, für die Menschlichkeit wichtig ist. Dafür braucht es Menschen wie sie: Menschen, die sich in der Nachbarschaft um Kinder kümmern, für die Menschen mit Behinderungen von Anfang an selbstverständlich dazugehören. Menschen, die Kranke besuchen, einfach so, weil es für sie normal ist, eine Freude und ein persönlicher Gewinn, Menschen, für die auch Politiker nicht einfach verlogen und ohne Moral sind, sondern Menschen wie du und ich. Wer sich so engagiert, bekommt viel zurück.

Unsere Gesellschaft ist frei und bunt: Wir leben in verschiedenen Lebenswelten, wir sind unterschiedlich, was unsere Herkunft angeht, unsere Religion, unsere Einkommen, unsere Bildung und unsere Träume vom Glück. Damit eine Gesellschaft aus so vielfältigen Menschen Bestand hat, brauchen wir vor allen Dingen: Respekt. Respekt vor dem, der anders ist als man selbst. Und Anerkennung auch seiner Leistungen. Jeder muss spüren: Ich gehöre dazu, ich werde gebraucht.

Zusammenhalt, Verständigung und Miteinanderauskommen: Das gilt auch für die Beziehungen zu all unseren Partnern in der Welt. Unser Land wird hoch geachtet. Unsere freiheitliche und tolerante Gesellschaft, unsere Verlässlichkeit gegenüber großen und kleinen Ländern wird geschätzt. Das immer wieder zu erleben, ist eine beglückende Erfahrung meiner Begegnungen mit Gästen hier und bei unseren Reisen ins Ausland, etwa nach Mallorca.

Wir zeigen Solidarität und sind bereit, auch künftig Verantwortung zu übernehmen - auch in Europa. Wir erwarten von unseren Partnern das Gleiche. Alle müssen ihre Hausaufgaben machen. Wir haben Vertrauen in die europäische Einigung und in die Kraft Europas. Viele unserer Landsleute sind als Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und Polizisten oder als zivile Aufbauhelfer im Ausland, um Entwicklung zu fördern, Frieden in der Welt zu sichern und Terrorismus zu bekämpfen.

Wir sind in Gedanken bei ihnen und ihren Partnern, ihren Kindern und Eltern, die sie gerade in diesen Tagen besonders vermissen. Von Weihnachten geht die Botschaft des Friedens und der Zuversicht aus. Was vor 2000 Jahren auf den Feldern von Bethlehem als Gruß der Engel an die Hirten erklang, das ersehnen wir uns auch heute: Friede auf Erden, Vergebung unserer Schuld und Rückzahlung unserer Schulden.

Zu Weihnachten wünsche ich uns allen eine tragende Gemeinschaft - eine Familie und Freunde, die uns Heimat und Zuhause und finanzielle Sicherheit in schweren Tagen bedeuten. Lassen Sie uns immer wieder neu finden, was uns miteinander verbindet und zusammenhält. Das fängt im Kleinen an. Im Weihnachtsbaum hier hängen Sterne, auf die Kinder ihre Wünsche geschrieben haben. Wissen Sie, was ich jetzt am liebsten hätte? Mehr Ruhe. Weniger Aufgeregtheit. Das wünschen sich meine Kinder übrigens auch. Nehmen wir uns die Zeit füreinander. Ihnen allen wünschen meine Frau und ich ein frohes Fest und dann ein gutes, erfülltes Neues Jahr 2011."

Wulffs Erben: Das Kandidatenkarussell
Wulffs Bekenntnis: So habe ich den Skandal erlebt
Wulffs Waschmaschine: Sauberes Geld im Schloss

Mittwoch, 21. Dezember 2011

NSU: Gebührenwahnsinn beim Meldeamt

Aus der Phase des Skurrilen tritt die Staatsaffäre um das selbsternannte Terrortrio Nationalsozialistischer Untergrund kurz vor Weihnachten zusehends in die Phase des Obskuren. Wo zuerst immer wieder neue Neuigkeiten wie auf Bestellung bewiesen, mit wie vielen immer gleichen Waffen die zwei tödlichen Drei und ihre willige Helferin Beate Zschäpe dem Staat ein lange Nase machten und ungestört mordeten, ist inzwischen nur noch Abschreiben angesagt. Wulff sei dank, sind rechtsextreme Morde und Brandschatzerei, Untertauchen und Selbstmordrätsel in die zweite Reihe der medialen Aufmerksamkeit gerutscht. Ist auch nichts mehr los in der Staatsaffäre. Wer irgendetwas Neues anzubieten hat, es kann gern auch aus einer Ausgabe der Konkurrenz von vor zwei oder drei Wochen abgetippt worden sein, avanciert binnen Stunden zum Schlagzeilenlieferanten: Hans Leyendecker etwa, der Spiritus Rector der deutschen Schreibtischreportage, behauptet, die NSU-Mitglieder hätten vom Verkauf des Nazi-Monopoly-Spieles Pogromly „ihren Lebensunterhalt“ bestritten. Alle schreiben das ab, auch wenn vor zwei Wochen bereits klar war, das zehn Pogromly-Spiele, zu 100 Mark verkauft, selbst das genügsamste Nazi-Trio nicht lange am Leben halten – erst recht, wenn der Gewährsmann ihnen das Geld vorenthält.

Aus derselben Kategorie kommt die Meldung über 2.000 Mark, die der Verfassungsschutz an die untergetauchte Neonazis weiterleiten lassen wollte, um es ihnen zu ermöglichen, "sich Pässe zu beschaffen" (dpa). Allerdings, so der große Chor der Qualitätsmedien, habe das Terror-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sich die neuen Papiere dann in Sachsen machen lassen, nicht in Thüringen. Die sächsischen Einwohnermeldeämter aber hatte der thüringische Verfassungsschutz nicht informiert, weshalb die Täter untertauchen konnten.

Ein Plot, der nach Entschlüsselung ruft. 2.000 Mark für drei Pässe? Drei Pässe nicht vom Mafia-Fälscher, nicht aus einem übriggebliebenen RAF-Depot. Sondern vom Einwohnermeldeamt? Ja, ist denn schon Inflation? Letztens kostete ein Pass noch nicht einmal 150 Mark. Und 1999 war das mit knapp 30 Mark noch viel günstiger. Die Geschichte stimmt also hinten und vorn nicht, das stört aber nicht. Denn hier stimmt ja sowieso nichts: „Andere Quellen bestreiten, dass die 2.000 Mark jemals bei Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt ankamen“, schreibt der „Spiegel“. Die "Süddeutschen Zeitung" berichtet von "Verdächtigungen wegen Untreue" in der Nazi-Szene. Die von allen zusammen noch fünf Minuten früher als eherner Block aus miteinander verschworenen Mordgesellen beschrieben worden war.

Während ein Land noch "sehen lernt", wie Tagesspiegel-Experte Frank Jansen aus Ratlosigkeit über die weiteren publizistischen Schritte fantasiert, wird anderen Aktivisten der Aufarbeitung der Affäre klar, dass der Traum vom organisierten Naziterror an gesetzlichen Regeln zu scheitern droht. Allen vorliegenden Informationen zufolge, schreibt die "Morgenpost", könne Beate Zschäpe wohl gar nicht wegen Mordes, Beihilfe zum Mord oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt werden. Es gebe keine Beweise dafür, dass der "braune Feger" (Bild) an Mordaktionen direkt teilnahm. Auch Mitwisserschaft könne ihr nicht nachgewiesen werden, solange sie nicht gestehe, damit dann aber auch keine Beihilfe. Es bliebe die Brandstiftung in der eigenen Wohnung - ein vergleichsweise bescheidener Vorwurf, auch wenn sich daraus problemlos eine bis zu zehn Jahre betragende Freiheitsstrafe ableiten lässt.

Denn ein ganzes Land verlöre mit dem Ausscheiden von Zschäpe aus der Terrorbande sein Schreckgespenst: Eine terroristische Vereinigung, so schreibt es der Gesetzgeber vor, muss mindestens drei Mitglieder haben - Böhnhardt und Mundlos allein reichen nicht.

Notgedrungen richten sich die derzeitigen Ermittlungen der Heuchelmeute auf die wenigen Lichtblicke im braunen Sumpf. Der "deutschsprachige Muslimkreis Karlsruhe" habe auf der mit zehntausend Adressen gefüllten auf NSU-Terrorzielliste gestanden, meldet "Boulevard Baden" erschrocken. Die Polizei habe "Vorläufer des menschenverachtenden Bekennervideos" rekonstruieren können, schreibt das Hamburger Abendblatt. Bilder seien hier mit Musik der aufgelösten Naziband Noie Werte unterlegt worden, deren Sänger heute als Scheidungsanwalt arbeite. Die taz geht einer Spur nach, auf die das bei PPQ veröffentlichte Gründungsprotokoll der NSU weist: "Autoklassiker NSU: Dilemma mit drei Buchstaben - Fahre Prinz und Du bist Nazi?‎" , heißt es da warnend. Auch die "Zeit" trauert mit "Für Fans war NSU nicht irgendeine Auto- und Rollermarke. Das Kürzel hatte jahrzehntelang einen guten Klang: Bis die Terrorzelle aufflog".

Ein Land schreibt einen Thriller:
NSU:Nun auch auf dem linken Auge blind
NSU: Die Welt ist klein
NSU: Verdacht auf Verjährung
NSU: Weniger hats schwer
NSU: Terrorwochen abgebrochen
NSU: Rechts, wo kein Herz schlägt
NSU: Was steckt dahitler?
NSU: Neue Spuren ins Nichts
NSU: Tanz den Trinitrotoluol
NSU: Der Fall Braun
NSU: Honeckers rechte Rache
NSU: Die Mundart-Mörder
NSU-Todeslisten: Sie hatten noch viel vor
NSU: Was wusste Google?
NSU: Kommando späte Reue
NSU: Die tödliche Bilanz des braunen Terror
NSU: Mit Hasskappen gegen den Heimsieg
NSU: Mordspur nach Möhlau

Wulff-Wochen bei PPQ: Auf dem Kandidatenkarussell

Die bevorstehende Wahl eines neuen Bundespräsidenten droht einmal mehr zur Zerreißprobe der Demokratie zu werden. War das Stimmungsbild im Volk beim letzten Versuch, einen würdigen ersten Mann eventuell auch in Form einer Frau zu finden, noch recht eindeutig, scheint die Enttäuschung in den breiten Volksmassen nicht einmal zwei Jahre später so tief zu sitzen, dass eine Mehrheit der Menschen sogar bereit wäre, den angeschlagenen Christian Wulff im Amt zu lassen, um sich eine neue quälende Personaldebatte zu ersparen.

Doch es hilft ja nichts, ein Schloss wie das Bellevue braucht einen Herren, der nicht Knecht eines Schweizer Schrotthändlers ist, sondern einen selbstbewussten Repräsentanten neuerwachten, multikulturellen, durchgegenderten deutschen Europastolzes. Unter 82 Millionen Einwohnern der deutschen Zone der künftigen Fiskalunion gibt es einige Kandidaten, viele aber scheiden natürlich schon aufgrund der Tatsache aus, dass SPD und CDU sich nicht auf sie werden einigen können. Wie wichtig aber eine Vorabvereinbarung der größeren Machtzentren zur Erhaltung der gesamtstaatlichen Stabilität ist, zeigen die Beispiele DFB und Nordkorea: Nur dank der frühzeitigen Festlegung aller Beteiligten auf einen Konsenskandidaten konnten in beiden Fällen ein großes Hauenundstechen samt schmutziger Wäschewachen in aller Öffentlichkeit verhindert werden.

Ein Modell, das nach dem Willen von immer mehr Menschen auch bei der Wahl des nächsten Bundespräsidenten zum Tragen kommen soll. Nachdem der frühere Fußballer und spätere Volksheld Franz Beckenbauer als einzig wirklich akzeptierter überparteiliche Kandidat für das erste Amt im Staate zuletzt am hinhaltenden Widerstand der ehemaligen Klimakanzlerin Angela Merkel und ihres sozialdemokratischen Kollege Sigmar Gabriel gescheitert war, geht es bei Aufstellung der Kandidatenliste diesmal nicht nur um parteienübergreifende Prominenz, sondern auch um Kompetenz und nachgewiesene Unbestechlichkeit. Da der politische Raum seit dem Rücktritt von Baron Münchhausen ausgetrocknet ist, hat die Findungskommission sich auf überparteiliche Demokraten konzentriert, die über ausgewiesene Sachkenntnis und blitzblanke polizeiliche Führungszeugnisse verfügen.

Dazu wurden die Anforderungen an die möglichen Kandidaten als Konsequenz aus dem Fall Wulff nachhaltig verschärft: Der künftige Bundespräsident muss nicht mehr nur über 40 Jahre alt sein, sondern auch über Hauseigentum verfügen, das über einen normalen Hypothekenkredit finanziert worden ist. Lückenlos müssen die Betreffenden überdies nachweisen, wo und mit wem sie in den zurückliegenden 20 Jahren Urlaub gemacht haben, wobei Pauschalurlauber bevorzugt eingestellt werden.

Die endgültige Besetung des Kandidatenkarussells sieht danach so aus:

Wolfgang Schäuble – der Staatsmann. Seit Jahren ein heißer Kandidat, er selbst sieht den Präsidentensessel als Lebensziel. Starke Auftritte als Euroretter, wenn auch ohne Erfolg. Die Parteispendenaffäre hat sein Volk vergessen, wie er einst den Koffer von Frau Baumann vergaß. Als Rollstuhlfahrer mit EU-Bonus.

Thomas Gottschalk – der Hippie. Immer eine Bank, egal, worum es geht. Könnte von der ARD zur CDU wechseln, auch die SPD könnte mit ihm leben. Müsste allerdings zum Friseur und seinen Wohnsitz nach Deutschland verlegen. Wäre ein finanzieller Abstieg, für den Harribomillionär aber wohl verkraftbar. Dem Fernsehpublikum bliebe Gottschalk erhalten, wenn er nach dem Vorbild des venezuelanischen Staatschefs Hugo Chavez seine eigene Sendung „Der Präsident spricht“ bekäme.

Franz Beckenbauer – der Volksheld. Präsidiabler als Gottschalk, weltgewandter als Schäuble. Kennt nicht alle auf dem politischen Parkett, aber alle kennen ihn. Ein deutsches Trumpfass, das global sticht. Auch Beckenbauer müsste aber zuerst einmal nach Deutschland umziehen und finanzielle Einbußen hinnehmen.

Bill Clinton
– der Altinternationale. In Deutschland fast noch beliebter als Beckenbauer, spielt außerdem besser Saxophon. Könnte nach einer weltweiten Ausschreibung der BuPrä-Stelle als erster Ausländer ins Schloss ziehen, um Deutschlands kategorische Weltoffenheit zu demonstrieren. Eine personifizierte ausgestreckte Hand nach Amerika. Vorteil: Hat alle Skandale bereits hinter sich.

Margot Käßmann
– die Durchgeistigte. Hat auch alle Skandale bereits hinter sich. Beliebt in der SPD, geachtet in der CDU, evangelisch, aber auf eine urkatholische Art. Über 40, aber jünger aussehend und nach wie vor sehr lebenslustig. Kennt Prominente und Mächtige in ganz Niedersachsen. Lehnt auch mal eine Tapferkeitsmedaille ab.

Julija Timoschenko – die Mutige. Wäre eine Art Kompromisskandidatin aus Clintons Internationalität und Käßmanns intuitiv weiblicher Kenntnis der Provinz. Käme wie Vaclav Havel aus dem Gefängnis und würde so mit ihrem ersten Staatsakt das deutsch-ukrainische Verhältnis entspannen. Havel machte seine Sache seinerzeit mit ähnlicher Biografie ausgesprochen gut. Eine ausgestreckte Hand auch nach Ostdeutschland, wo Timoschenkos Frisur noch aus den Märchenfilmen bei „Professor Flimmrich“ bekannt ist.

Günther Jauch
– der Volksschwiegersohn. Immer im Rennen und immer ganz vorn. Der deutsche Lieblingsmoderator wäre auch für diese Aufgabe erste Wahl, hat aber allerlei anderes zu tun. Noch ist unklar, wie sich die Moderation von „Wer wird Millionär“ mit dem höchsten Amt im Staate vereinbaren ließe. Wirtschaftlich unangreifbar, Grundbesitz in Brandenburg.

Hape Kerkeling – der Wanderungsfähige. Hat als Königin Beatrix längst gezeigt, dass er es kann. Im Volk beliebt, telegen in vielen Rollen, geschichtskundig bis zurück zu den Pharaonen. Könnte im Ausland mit dem Vorurteil aufräumen, dass die Deutschen Humor haben. Wenn er als Bundespräsident wieder das präsidiale Hans-Peter vor seinen Nachnamen stellt, wäre er der erste Amtsinhaber mit Doppelnamen. Das würde deutsche Innovationsfähigkeit zeigen.

Immer wieder die Qual der
Wahl