Montag, 31. Dezember 2018

Journalismus: Das Letzte zum Schluss


Der Fall Relotius hat die Medienrepublik erschüttert wie zuletzt die Hitler-Tagebücher und mit Mühe und ein paar cleveren PR-Tricks nur gelang es dem meinungsprägenden Nachrichtenmagazin der Republik, das Systemversagen als Einzelfall darzustellen. Dabei ist einer wie Relotius die Bilderbuchausprägung dessen, was die ideologischen Vordenker des Magazins schon vor Jahren als Strategie zur Gesellschaftsbeeinflussung ausgegeben hatte.

Schon 2015 - noch weit vor dem Höhepunkt des Flüchtlingszustroms - plädierte der Spiegel-Autor Georg Diez in einer wegweisenden  „Spiegel“-Kolumne dafür, das Berufsbild des Journalisten neu zu definieren. Niemand dürfe sich einfach nur hinter Fakten verschanzen und sein Publikum mit der Meinungsbildung allein lassen. Stattdessen müsse der Journalist wieder Agitator, Organisator und Propagandist von der Art sein, die mit dem Untergang von SED und KPdSU von der Weltbühne verschwand.


Diez plädierte unter Bezugnahme auf diese alte kommunistische Propaganda-Tradition für einen „neuen Journalismus“, der die Aufgabe habe, sich mit einer Sache gemein zu machen, sobald eine höhere Macht sie als „gut“ abgenickt habe. Die Deutschen hätten Anspruch darauf, nicht mehr nur hilfsweise und aus Versehen informiert, sondern exklusiv und ausschließlich mit den richtigen Ansichten und Auffassungen versorgt zu werden. Sei in den Medien mehrheitlich die Entscheidung gefallen, welche Ansicht zu einer bestimmten Frage die richtige sei, gebe es keinen Grund mehr, dass der Journalist sich von der Gesellschaft trenne, indem er vorgebe, objektiv zu sein.

Ein Manifest, damals nicht allzu breit beachtet, das Türen öffnete für eine regierungsnahe Berichterstattung, die keinen Zweifel mehr kannte. Der Berichterstatter bringt sich ein, er ist der Transmissionsriemen der Regierenden zu den Regierten, ein "Erklärer" des Richtigen und Beschreiber einer Wirklichkeit, die nicht wirklich real sein muss, sondern eine Waffe, die Wirkung erzielen soll.

„Es gibt Themen, die sind zu groß und zu wichtig, als dass der Journalist sich hinter seiner eigenen Automation und Gefühlslosigkeit verschanzen kann“, begründete Diezm, was bei seinem WDR-Kollegen Georg Restle später als „Journalismus im Neutralitätswahn“ kritisiert wurde. Es müsse Ziel sein, diese Neutralität zu brechen, denn wenn es um existenzielle Fragen der Gesellschaft gehe, bleibe nur ein Ausweg: Dass der Journalismus seiner „demokratischen Aufgabe gerecht werde“, indem er „analytischer, individualistischer, klarer, härter, aktivistischer, mutiger, offener, verständlicher, entschlossener, leidenschaftlicher“ gegen alle anschreibe, die sich dem Fortschritt in den Weg stellen.

Silvesteransprache: Ich übernehme meinen Teil dieser Verantwortung


Die traditionelle Silvesterrede* zur Lage der Nation - für Bundeskanzlerin Angela Merkel immer eine Gelegenheit, Trost zu spenden, Abgehängte selbst bis hinunter ins tiefdunkle Sachsen mitzunehmen und angesichts unvermeidlicher Fehler, die geschehen müssen, wo Menschen handeln, Besserung zu versprechen.

In diesem Jahr steht die traditionelle Ansprache jedoch unter besonderen Vorzeichen: Erstmals gibt es im vergangenen Jahr neugeborene Kinder, die die Aussicht haben, noch vor ihrer Einschulung ein Land zu erleben, in dem irgendjemand anderes die Silvesteransprache halten wird als die mächtigste Frau der Welt.

Entsprechend aufgeregt erwartet wurde Angela Merkels vielleicht schon letzte Jahresendrede. PPQ dokumentiert den vollen Wortlaut einer Rede, die wirkt, als spreche da eine politische Gefangene, die zuviel weiß, aber auch, dass sie es nicht sagen darf.

Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe deutsche Mitbürger,

wir versammeln uns heute wiedereinmal zum Gespräch um unser Land und unserer Zukunft. Die Ereignisse der letzten Wochen haben die Nation tief erschüttert. Sie haben legitime Forderungen mit einer Reihe inakzeptabler Gewalttaten vermischt, und ich möchte Ihnen sofort sagen, dass diese Gewalttaten nicht von Nachsicht profitieren werden.

Wir alle haben das Spiel der Opportunisten gesehen, die versucht haben, den aufrichtigen Zorn der Bürger zu nutzen, um sie in die Irre zu führen. Wir alle haben die unverantwortlichen Politiker gesehen, deren einziger Plan darin bestand, die Republik zu erschüttern und Unordnung und Anarchie zu suchen. Es gibt keinen Zorn, um den Angriff auf die Demokratie, einen Polizisten, einen Politiker oder öffentliche Gebäude zu rechtfertigen. Unsere Freiheit besteht nur, weil jeder seine Meinung äußern kann. Andere können sie nicht teilen, wenn sie Angst vor Meinungsverschiedenheiten haben muss.

Wenn Gewalt ausbricht, hört die Freiheit auf. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, dass sich eine ruhige Ordnung durchsetzt. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um dies zu erreichen, denn nichts wird auf nachhaltige Weise aufgebaut werden, solange es Ängste um den zivilen Frieden gibt. Ich habe der Regierung in dieser Hinsicht die strengsten Anweisungen gegeben.

Aber zu Beginn all dessen vergesse ich nicht, dass es Wut und Empörung gibt, eine Empörung die viele von uns, viele Deutsche teilen, und ich will sie nicht auf das unannehmbare Verhalten reduzieren, das ich gerade angeprangert habe.

Es war zunächst der Zorn gegen meine Euro-Rettungspolitik, dann die Wut auf meine Flüchtlingsentscheidungen. Wir haben reagiert, wir haben gesagt, wir schaffen das, wir haben die Versicherungszahlungen wieder paritätisch gemacht und versprochen, den Solizuschlag irgendwann abzuschaffen. Aber dieser Zorn sitzt tiefer, ich glaube, er ist in vielerlei Hinsicht berechtigt. Er kann unsere Chance sein.

Er ist der eines Paares, dessen Gehalt nicht bis zum Monatsende reicht, das aber jeden Tag früh aufsteht und spät Abends zurückkommt, um weit entfernt zu arbeiten.

Es ist der einer alleinerziehenden Mutter, verwitwet oder geschieden, die sich keine Kinderbetreuung leisten und ihre Situation verbessern kann und keine Hoffnung mehr hat. Ich habe sie gesehen, diese mutigen Frauen, die dieser Not Ausdruck gaben.

Er ist der der bescheidenen Rentner, die ihr ganzes Leben lang eingezahlt haben und oft sowohl Eltern als auch Kindern helfen und nicht mehr auskommen.

Es ist der der Schwächsten, der Menschen mit Behinderungen, deren Platz in der Gesellschaft noch nicht ausreichend anerkannt ist. Ihre Not war nicht neu, aber man hatte sich daran gewöhnt und tief im Inneren geschah alles, als ob sie vergessen, ausradiert worden wären.

Vierzig Jahre des Unbehagens sind jetzt aufgetaucht: das Unbehagen der Arbeitnehmer, die sich nicht mehr zurechtfinden; das Unbehagen der Gebiete, Dörfer und Viertel, in denen die öffentlichen Dienstleistungen reduziert werden und die Lebensumwelt verschwindet; wo Wölfe herumstreichen und kein Internet hinkommt. Aber das demokratische Unbehagen, in dem sich das Gefühl entwickelt, nicht gehört zu werden; das Unbehagen der Veränderungen in unserer Gesellschaft, des erschütterten Säkularismus und der Lebensweisen, die Barrieren und Distanz schaffen.

Es kommt aus weiter Ferne, aber es ist jetzt da.

Wir waren in 16 Jahren zweifellos nicht in der Lage, eine ausreichend schnelle und starke Antwort zu geben. Ich übernehme meinen Teil dieser Verantwortung. Ich habe Ihnen vielleicht das Gefühl gegeben, dass es mir nichts ausmacht, dass ich andere Prioritäten habe. Ich weiß auch, dass ich einige von euch mit meinen Worten verletzt habe. Ich möchte heute Abend ganz eindeutig sein. Wenn ich gekämpft habe, um das politische System, die Gewohnheiten, die Heucheleien zu erschüttern, dann gerade, weil ich mehr als alles andere an unser Land glaube und es liebe und weil meine Legitimität, nicht von einem Titel, einer Partei, oder einer Clique beziehe, ich beziehe sie nur von Ihnen und von niemand anderem.

Viele andere Länder durchleben diese schlechte Phase , aber ich glaube fest daran, dass wir gemeinsam einen Ausweg finden können. Ich möchte dies für Deutschland, denn es ist unsere Berufung im Laufe der Geschichte, Wege zu eröffnen, die von uns und der Welt zuvor nicht gegangen wurden.

Ich möchte das für alle uns Deutsche, denn ein Volk, das so gespalten ist, das seine Gesetze und die Freundschaft, die es vereinen muss, nicht mehr respektiert, ist ein Volk, das verloren ist.

Ich will es auch, weil ich mich in Antizipation dieser Krise 2017 noch einmal um ihre Stimme beworben habe und weil ich diese Verpflichtung und diese Notwendigkeit nicht vergessen habe.

Zunächst möchte ich heute den wirtschaftlichen und sozialen Notstand ausrufen. Wir wollen ein Deutschland des Verdienstes, der Arbeit, ein Deutschland aufbauen, in dem unsere Kinder besser leben werden als wir. Dies kann nur durch bessere Schulen, Universitäten, Lehrstellen und Ausbildungen erreicht werden, die den Jüngsten und Ältesten beibringen, was es braucht, um frei zu leben und zu arbeiten.

Die Investitionen in die Nation, in die Schule und Ausbildung sind beispiellos, das bestätige ich.

Wir wollen ein Deutschland, in dem die Menschen von ihrer Arbeit in Würde leben können. In diesem Punkt sind wir zu langsam vorgegangen. Ich möchte zu diesem Thema jetzt aber schnell und konkret eingreifen. Ich fordere die Regierung und das Parlament auf, das Notwendige zu tun, um sicherzustellen, dass wir von unserer Arbeit Anfang nächsten Jahres besser leben können. Das Gehalt eines Arbeiters mit Mindestlohn wird ab 2019 um 100 Euro pro Monat steigen, ohne dass der Arbeitgeber einen zusätzlichen Euro kostet. Ich übernehme das, wir, die Regierung, wir alle.

Ich möchte auch auf eine richtige Idee zurückkommen: dass Mehrarbeit ein zusätzliches Einkommen darstellen muss. Überstunden werden deshalb ab 2019 ohne Steuern und Gebühren bezahlt. Und ich möchte, dass eine echte Verbesserung sofort spürbar wird; deshalb bitte ich heute und hier alle Arbeitgeber, die es können, ihren Arbeitnehmern einen Jahresabschlussbonus zu zahlen, und dieser Bonus wird keine Steuern oder Gebühren zahlen müssen.

Rentner sind ein wertvoller Teil unserer Nation. Für diejenigen, die weniger als 2.000 Euro pro Monat erhalten, werden wir 2019 des zu versteuernden Anteils der Renten, der in den vergangenen Jahren zu verzeichnen war, absagen. Der Beitrag, um den sie gebeten wurden, war zu groß und es war nicht fair. Ab morgen wird meine Parteivorsitzende diese Entscheidung den Parlamentariern zur Abstimmung mitteilen.

Aber wir dürfen es damit nicht bewenden lassen. Ich brauche unsere großen Unternehmen, unsere wohlhabendsten Bürger, um der Nation zum Erfolg zu verhelfen; ich werde sie zusammenbringen und zu diesem Zweck diese Woche Entscheidungen treffen. Ich weiß, dass einige wünschen, dass ich in diesem Zusammenhang auf die Reform der Steuern zurückkomme, vor allem des Solidaritätszuschlages. Aber seit fast 30 Jahren gibt es den und haben wir in diesem Zeitraum besser gelebt? Die reichsten Menschen zahlten mehr, hatten aber immer noch mehr. Und unser Land wurde schwächer. Gemäß den Ihnen gegenüber eingegangenen Verpflichtungen wird diese Steuer bald für diejenigen abgeschafft, die in unsere Wirtschaft investieren und damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen. Doch sie wird für diejenigen beibehalten, die über viel Vermögen verfügen.

Ein Rückschritt würde uns in einer Zeit schwächen, in der wir Arbeitsplätze in allen Bereichen schaffen. Die Regierung und das Parlament müssen jedoch noch weiter gehen, um ungerechtfertigte Vorteile und Steuerhinterziehung zu beenden. Der Manager eines deutschen Unternehmens muss seine Steuern in Deutschland zahlen, und die großen Unternehmen, die hier Gewinne erzielen, müssen auch hier Steuern zahlen, das ist einfache Gerechtigkeit.

Wie Sie sehen können, werden wir auf die wirtschaftliche und soziale Notlage mit starken Maßnahmen, schnelleren Steuersenkungen, einer besseren Kontrolle der Ausgaben und nicht mit Rückschlägen reagieren.

Ich beabsichtige, dass die Regierung das Ziel der Transformation unseres Landes verfolgt, die das Volk vor 16 Jahrem gewählt hat; wir haben eine tiefgreifende Reform des Staates, der Arbeitslosenunterstützung und der Renten vor uns. Sie sind unerlässlich. Wir wollen gerechtere, einfachere, klarere Regeln, die diejenigen belohnen, die arbeiten.

Aber heute geht es auch um unser gemeinsames Projekt, das wir erneuern müssen. Für Deutschland und für Europa. Deshalb muss die angekündigte nationale Debatte viel umfassender sein. Dazu müssen wir zunächst alle unsere Aufgaben gemeinsam erfüllen. Dazu gehört die Pflicht zu produzieren, um umverteilen zu können, die Pflicht zu lernen, um ein freier Bürger zu sein, die Pflicht zur Veränderung, um der Dringlichkeit unserer Klima- und Haushaltsschulden Rechnung zu tragen.

Um erfolgreich zu sein, müssen wir zusammenkommen und alle für die Nation wesentlichen Fragen angehen. Ich möchte, dass die Fragen, die die Repräsentation betreffen, gestellt werden; die Möglichkeit eines besseren Verständnisses der Meinungsvielfalt, ein faireres Wahlrecht, die Berücksichtigung des Vorrangs europäischer Entscheidungen und sogar die Zulassung von nicht parteigebundenen Bürgern. Ich möchte die Frage nach dem Gleichgewicht unserer Steuern stellen, damit sie sowohl Gerechtigkeit als auch Effizienz im Land ermöglichen. Ich möchte, dass die Frage nach unserem täglichen Leben gestellt wird, um dem Klimawandel zu begegnen: Wohnen, Reisen und Heizen. Muss das wirklich alles sein? Und auch aus der täglichen Praxis werden richtige Lösungen hervorgehen.

Ich möchte die Frage nach der Organisation des Staates stellen, nach der Art und Weise, wie er von Berlin aus regiert und verwaltet wird, wahrscheinlich zu zentralisiert seit Jahrzehnten. Und die Frage des öffentlichen Dienstes in allen unseren Gebieten.

Ich möchte auch, dass wir uns mit der Nation selbst darüber einig sind, was ihre tiefe Identität ist, um das Problem der Einwanderung anzugehen. Wir müssen uns dem stellen.

Diese grundlegenden Veränderungen, die eine tiefgreifende und gemeinsame Reflexion erfordern, erfordern eine beispiellose Debatte. Sie muss auf nationaler Ebene in unseren Institutionen stattfinden, jeder wird seinen Teil dazu beitragen können: Regierung, Versammlungen, Sozialpartner und Verbände; Sie werden Ihren Teil dazu beitragen. Ich möchte es selbst koordinieren.

Aber eine solche Debatte ist nicht nur Sache der institutionellen Vertreter; sie muss auch überall vor Ort stattfinden, und es gibt natürliche Gesprächspartner, Bürger, die Anfragen entgegennehmen und als Relais fungieren müssen: Sie sind die Bürgermeister; sie bringen die Demokratie vor Ort. Deshalb werde ich mich mit den Bürgermeistern und Landtagsabgeordneten Region für Region treffen, um den Grundstein für unseren neuen Vertrag für die Nation zu legen.

Wir werden nicht zum normalen Verlauf unseres Lebens zurückkehren, wie in der Vergangenheit allzu oft in ähnlichen Krisen, ohne dass etwas wirklich verstanden wird und sich nichts ändert. Wir befinden uns in einem historischen Moment für unser Land: Durch Dialog, Respekt und Engagement werden wir erfolgreich sein.

Wir sind bei der Arbeit und ich werde auf Sie zurückkommen, um Ihnen Bericht zu erstatten.

Meine einzige Sorge gilt dir, mein einziger Kampf ist für dich.

Unsere einzige Schlacht ist für Deutschland!

Es lebe die Republik, es lebe die Demokratie!


*Nach Motiven der Gelbwestenrede von Emmanuel Macron




Sonntag, 30. Dezember 2018

Geheimpapier: Grenze hätte auch 2018 noch geschlossen werden können

Es waren sogenannte "Non-Paper", also Nichtpapierpapiere, die kürzlich dafür sorgten, dass der Flüchtlingszustrom von 2015 in einem neuen Licht gesehen wurde. Die bislang geheimen Unterlagen enthüllten, dass es 2015 keine rechtlichen Bedenken gegen die Abweisung von Flüchtlingen gab. Die Bundesregierung hätte, den entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, jederzeit ein Stoppzeichen für die Aufnahme weiterer geflüchteter setzen können, so formulierte die Tageszeitung "Die Welt" unter Berufung auf das im Herbst 2015 erstellte Gutachten von Spitzenbeamte des Innenministeriums, das eigentlich niemals hatte veröffentlicht werden sollen. Eines dieser Geheimpapiere enthüllte die Wams, ein anderes liegt jetzt PPQ vor.

Das inoffizielle Dokument des Innenministeriums trägt den Titel „Möglichkeit einer Zurückweisung von Schutzsuchenden an deutschen Grenzen IIII/2018“. Die Autoren erörtern darin mit Datum vom Frühsommer 2017 die rechtliche Handhabe, die Grenzen nach Monaten, in denen rund eine Million Flüchtlinge nach Deutschland geströmt waren, doch noch zu schließen und Menschen abzuweisen, die immer noch als Flüchtlinge über Österreich nach Deutschland strebten.

Erneut spielte das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration, kurz GASIM, in einer vertraulichen Analyse verschiedene Szenarien für die Grenzschließungen entlang der Balkanroute durch. Vor der Öffentlichkeit sollten auch diese Überlegungen verborgen bleiben. Wie bekannt, blieb die Grenze wie 2015 auch 2016 und 2017 und 2018 weiter geöffnet. Dabei hatten die Experten wie 2015 auch 2016 oder 2017 und 2018 keine rechtlichen Bedenken gegen eine Schließung.

Die Bundeskanzerin blieb dennoch bei ihrer Auffassung, dass es nicht mehr ihr Deutschland sei, wenn man kein freundliches Gesicht zeige. Die zentrale Frage des Schutzes der Außengrenzen wurde in abgeschotteten und verdunkelten Runden debattiert. Auch die Entscheidung, alle aufzunehmen, die es bis an einen deutschen Grenzzaun schafften, fiel in einer informellen Zusammenkunft, es existiert nicht einmal ein Notizzettel, wie ihn der DDR-Grenzöffner Günter Schabowski noch benutzt hatte.

Keine Spuren hinterlassen, keine Fehler zu verantworten, demokratische Entscheidungen meiden, das war die Strategie in jenen Jahren der Neuansiedlung von rund 1,5 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Weder der Bundestag noch die Bundesländer noch die europäischen Nachbarn waren in die Willensbildung der Regierung einbezogen, die bis heute dafür sorgt, dass die Rechtspraxis vor der Grenzöffnung im September 2015 suspendiert ist.

Inzwischen hat die scheidende Kanzlerin Angela Merkel mehrfach bekannt, dass sie auch Fehler gemacht habe, für die sie die Verantwortung trage.  „Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückspulen“, sagte Merkel bei einem Besuch im Krisengebiet Chemnitz, wo Rechtsextreme, Rechtsradikale und Rechtspopulisten öffentliche Hetzjagden abhalten. Dies sei aber leider nicht möglich, so die Physikerin, deshalb müsse die Grenze offen bleiben.

Weitere Geheimpapiere:
"Grenze hätte auch 2017 geschlossen werden können"
"Grenze hätte auch 2016 geschlossen werden können" 

2018: Das Jahr Februar

Von einem Hauch Abendrot umgeben: Angela Merkel bei einem ihrer letzten Auftritte im Bundestag.
Es ist der Monat vor dem Ende, der Moment, in dem klar ist, dass kein Novemberfrost mehr kommen wird, kein Dezembersturm und kein eisiger Januarfrost. "Februar" nannte die DDR-Rockband Silly vor knapp drei Jahrzehnten ein Album, das damals den Zeitgeist einfing: Kein Tauwetter ringsum, aber schon ist zu spüren, dass der Winter zu ende gehen wird.

Väterchen Frost, der diesmal eine Frau ist, die die Landschaft über Jahre hinweg in ein Gefrierfach verwandelt hatte, das kein gesellschaftliches Gespräch mehr kannte, sondern nur noch alternativlose Anweisungen, hat seine Kraft verloren. Ein paar verlorene Landtagswahlen und die Angst der unteren und mittleren Funktionärsebene vor galoppierendem Machtverlust reichten, die eben noch mächtigste Frau der Welt zu einem Rückzug auf Raten zu zwingen.

In den Winterjahren nach 2015


Es wird im Nachhinein ein Februar gewesen sein, das Jahr 2018, in dem all das, was ein Jahrzehnt lang als unanzweifelbare Gewissheit jeder Diskussion entzogen worden war, plötzlich wieder zum Gegenstand von Debatten wurde. Einen "Rechtsruck" hat die extreme Linke das genannt. Eine "Normalisierung" sahen die, die in den Winterjahren nach 2015 den Eindruck hatten, das Land habe sich in eine DDR verwandelt, in der jeder zwar noch "die formale Freiheit hat, zu sagen, was man denkt". In der man aber sicherheitshalber "nicht mehr zu denken wagt, was man nicht sagen darf", ohne unter die "Hetzer, Hasser und Zweifler" (Claus Kleber) einsortiert zu werden, denen das Böse Wesensart und Handlungsziel ist.

Deutschland vor der Zeitenwende, die dann doch nicht kommen wird. Die Lähmung ist alternden Gesellschaften Rückgrat und Tempolimit, wenn "unendlich viel auf dem Spiel" steht, macht das Spiel in satten Runden selten gute Laune. Das Jahr 2015 darf sich nie wiederholen, hat Angela Merkel noch zu Amtszeiten festgelegt. Armin Laschet, ihr onkelhafter Erbe aus NRW, ergänzte das um die Vorgabe, auch 2018 dürfe sich nicht wiederholen. "Zu viel Streit" habe es gegeben, das sei "nicht hilfreich" und helfe nur den Populisten. "Lauter Splittergruppen", schimpft der Hoffnungsträger, der sich im Jahr Februar lieber noch für den nächsten Neustart der CDU aufgespart hat.

Ein Witz, über den niemand mehr lacht


2017 war das Jahr, in dem die Wirklichkeit die Satire hinter sich ließ. 2018 dann das, in dem die Satire gewordene Wirklichkeit niemanden mehr zum Lachen brachte. Ein Witz, der politische Zwerge wie Annegret Kramp-Karrenbauer nach oben spülte und vermeintliche Riesen wie den Franzosen Emmanuel Macron entzauberte. Wer jetzt noch lacht, der baut kein Haus mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn im März die ersten Sprossen treiben.

2018 bleibt nicht deswegen in Erinnerung, weil der kaum jemandem bekannte Begriff "Heißzeit" das "Wort des Jahres" wurde, sondern weil es die Hoffnung nährte, dass es viel verrückter ja nun bald nicht mehr gehen kann. Nach dem Atom-, kam der Dieselausstieg, das Trinkhalmverbot, das WM-Aus und die ersten Befahrensverbote für Innenstädte.

Der Tugendterror absurder EU-Grenzwerte erreichte den Alltag von Millionen, die immer noch still staunend zuschauten, wie sich ihr Schicksal wendete, weg von der freien Entscheidung des Einzelnen, hin zu einer Gesellschaftsordnung, die vorkaut und vorgibt, einengt und einhegt und das für die Objekte im Gehege viel angenehmer hinbekommt als es das stalinistisch strenge System im Osten sich jemals erträumt hat. In dem hatte die Band Silly, als sie vor 30 Jahren dieses "Februar"-Album eingespielte, schon alles gesungen, was immer noch stimmt.



Wir wollen die Dose Spray unterm Arm
Wir wollen den wollweichen Streichelcharme
Wir wollen die Droge asiatischen Tee
Und Unterweltpornos aus Übersee

Wir wollen die Umwelt, wir wollen Benzin
Und übersinnliche Energien
Wir wollen schön sein, aber auch klug
Doch in jedem Falle reich genug

Alles wird besser,
Aber nichts wird gut

Wir wollen das Auto mit Klapprad im Heck
Ein schickes Zuhause und immer nur weg
Wir wollen jung, aber mächtig sein
Und alle Wetter lang Sonnenschein

Wir wollen die Insel mit nichts drumrum
Und reichlich Beifall vom Publikum
Kritisches Lob und 'ne gute Kritik
Und im Fernsehn uns're heiße deutsche Popmusik

Alles wird besser,
aber nichts wird gut






Samstag, 29. Dezember 2018

Relotius-Preis®© : PPQ sucht Vorschläge für ersten Preisträger

"Wirklichkeiten schaffen" ist auch das Ziel der vielfach preisgekrönten ARD-Journalistin Golineh Atai.
Der Namensgeber des neuen Relotius-Preises®© sollte selbstverständlich auch der erste Preisträger sein. Claas Relotius hat mit seiner Undercover-Mission im Spiegel-Hochhaus den deutschen Journalismus revolutioniert wie zuletzt Günter Wallraff die Mindestlohnbranche, er hat aufgedeckt, die Fälschungsanfälligkeit der Branche entlarvt, fehlenden Qualitätssicherungsmechanismen öffentlich gemacht und der Öffentlichkeit gezeigt, wie einfach es für gewiefte rechtpopulistische Schmierfinken oder putintreue Trolle wäre, Artikel und Reportagen ganz nach gusto ihrer verqueren Weltsicht in deutschen Medien zu veröffentlichen und die öffentliche Meinung damit zugunsten neofaschistischer Meinungen zu beeinflussen.

Relotius aber sagte ab. Nach dem Start einer konzertierten Kampagne, bei der befreundete Großmedienhäuser die "Spiegel"-Bezichtigung des 33-jährigen mutigen Enthüller als angeblich psychisch krankem Einzeltäter ungeprüft und ohne Gegencheck bei mindestens einer weiteren Quelle übernahmen, stand der gebürtige Hamburger in einem Mediensturm, der Ausweichen und Flucht nahelegte, nicht aber, verdiente Anerkennung anzunehmen.

Dennoch möchte PPQ den auf Initiative eines multimedialen Förderkreises um den Hauptinspirator Torsten Heinrich erstmals für das Jahr 2018 ausgelobten Relotius-Preis für pfiffige Schreibtischreportagen auch im Premierenjahrgang vergeben - am liebsten an eine/n/s Preisträger/in/x, der/die/das in seinen/ihren/essen besonders schön geschriebenen "Geschichten" (Der Spiegel) seinen/ihren/essen inneren Überzeugungen treu geblieben sind, obwohl das die Fakten nicht hergaben. Und der/die/das ungeachtet der möglichen Folgen für das Vertrauen der Leser, den Ruf der Branche und das eigene Renommee auch nach Versuchen der Widerlegung durch freiheitsfeindlich gesinnte Kreise bei den von ihm geschaffenen Wirklichkeiten blieb, um die gesellschaftliche Situation in der Bundesrepublik zum Guten zu verändern.

Teilnahmebedingungen:
Für den Relotius-Preis für pfiffige Schreibtischreportagen®© in Frage kommen Frauen und Männer und Diverse, die in einer besonderen Situation oder bei einem konkreten Anlass, aber ohne zu recherchieren, in angenehmem Stil verfasste und schön geschriebene Reportagen veröffentlicht und gegenüber Widerständen und Leserprotesten an ihrer einseitigen Sichtweise festgehalten haben. Der Preis kann für eine einmalige Aktion, aber auch für ein Lebenswerk verliehen werden. Der "Relotius-Preis" sollte sich allerdings in der Regel auf die gesellschaftliche Situation in der Bundesrepublik beziehen, den Kampf gegen rechts, gegen russische Infiltrationsversuche, Trump oder Sachsen in den Mittelpunkt stellen, wobei der Preisträger bzw. die Preisträgerin gleichwohl ausländischer Herkunft oder Staatsbürgerschaft sein kann.

Bewerbung:
Eine Selbstbewerbung ist nicht möglich, Kandidaten für den Relotius-Preis müssen von ihren Lesern oder Leserinnen vorgeschlagen werden, wobei diese auch ausländischer Herkunft sein können oder eine oder mehrere Staatsbürgerschaften eines EU-Partnerlandes oder eines anderen Staates besitzen dürfen.

Bewerbungsunterlagen:
Vorschläge für die Auszeichnung können von den Juroren und allen Bürgerinnen oder Bürgern formlos über die politplatschquatsch@gmail.com eingereicht werden.  Gemeldet werden darf, wer seine Arbeit als Journalist hervorragend in den Dienst der guten Sache stellt,Regierungspolitik noch besser erklärt und sich demokratiefeindlichen, nicht zugelassenen und zweiflerischen Positionen entschlossen entgegenstellt.

Der Relotius-Preis®© wird einmal jährlich in Erinnerung an den Undercovereinsatz des vielfach preisgekrönten Reporters Claas Relotius beim früheren Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vergeben. Relotius, der ein besessener Arbeiter war und seine Reportagen stets mit Absicht schrieb, um sie danach um so entschiedener zu vertreten, hatte über mehrere Jahre hinweg als angeblicher Reporter bei dem Hamburger Blatt geschrieben und sich dabei weite Teile seiner Berichte aus aller Welt einfach ausgedacht, um auf Missstände im deutschen Premiumjournalismus aufmerksam zu machen. Dafür war Relotius gelobt und mit Preisen geehrt, später aber wie ein Hund davongejagt und mit Klagen überzogen worden. Ganz im Sinne des Enthüllungsjournalisten soll die Ehrung für „wegweisende, grundstürzende Aufsätze" (Satzung für die Preisvergabe) gewährt werden.

Preisgeld:
Der Preis ist auf Vorschlag von Torsten Heinrich mit 30 Silberlingen dotiert.


Schmalhans bei "Schmalbart": Wo sind all die Spenden hin?

Das deutsche Breitbart von links heißt Schmalbart und liegt von Geburt an im Koma.

Was war die Leitmedienlandschaft augenblicklich in Wallung! Begeistert berichtet jedermann, der irgendwie noch einen  Stift halten kann, im Frühjahr 2017 über diese coole und achso witzige Idee: "Schmartbart" wird die deutsche Antwort auf das US-Portal Breitbart, das mit populistischen Parolen und dreisten Fake News dafür gesorgt hatte, dass Donald Trump Präsident wurde.

Schmalbart dagegen würde ein "Netzwerk von Menschen" mit dem Internet-Unternehmer Christoph Kappes an der Spitze, die dann alle zusammen mit der "Tagesschau" und der "Schwarzen Kamera" Süddeutschen Zeitung Front machen würden gegen die verhängnisvolle Propaganda des rechten US-Medienunternehmens Breitbart. Donald Trump darf nie, so der Beschluss in Hamburg, Berlin und München, auch noch Europa-Präsident werden.
Schmalbart.de, eine Mitmach-Seite für Gegenpropagandisten, war dann "offen für andere, die mitmachen wollen", aber einig darin, "Grenzen zu ziehen, wenn Unwahrheiten und Verdrehungen oder gar Fälschungen verbreitet werden". Mit fünf Mark schon durfte jeder dabei sein, als Unterstützer des Projekts, das sich selbst als "Network" bezeichnete, weil es einfach so groß und mit der ganzen Gesellschaft so dicht verwoben war. Es bestand nämlich die Gefahr, dass dunkle Mächte mit miesen Klagen versuchen würden, das große Projekt zu stoppen.

Schmalbart dagegen setzte "Transparenz gegen Pöbelei", wie die "Zeit" lobte. Die "Deutsche Welle", Deutschlands einziger echter Staatssender, eilte gleich herbei und besuchte die "Anti-Populisten". Klares Fazit: Die segensreiche Tätigkeit der Positivpopulisten richtete sich gegen "Volksverhetzung, Rassismus, Antisemitismus und jede andere Art von Menschenfeindlichkeit", allerdings sammele man derzeit erstmal Geld für den großen Kampf. "Wir sind dort, wo die Menschen sind, und wir wollen ihre Sprache sprechen", kündigte Christoph Kappes an, "wir sind also zum Beispiel auf Facebook, auf Youtube und auf Twitter und wir werden an den Stellen im Netz sein, wo die Diskussionen sind."

Große Pläne, aus denen auch anderthalb Jahre später nicht mehr geworden ist. Schmalbart ist ein totgeborenes Kind, das nicht nur von der Öffentlichkeit, sondern auch von seinen Vätern und Müttern längst vergessen worden ist. Auf zwei kleine Artikelchen haben es die Kämpfer gegen Populistenpropaganda in knapp zwei Jahren gebracht, der letzte datiert aus dem Sommer 2017. Seitdem dürfen sich "Hetze, Hatespeech oder Hass" und "Nationalromantik" wieder ungebremst und unwidersprochen verbreiten. 

Was aber ist aus dem Geld geworden? Zwar sprudelten die Spendenquellen nie so freigiebig, wie das staatliche Fördermittelbrunnen in anderen Fällen tun, doch ein paar hundert Euro sind doch zusammengekommen. Nach eigener Aussage von Schmalbart werden die sogar monatlich eingenommen - rund 10.000 Euro sind so bisher zusammengekommen.

Für die niemand eine Gegenleistung erhalten hat, denn auch die erhoffte Klage finsterer rechtsnationaler Kreise ist nie eingegangen. Womöglich, weil "die agitatorische Subkultur der rechtsradikalen Facebook-Gruppen rund um die AfD in ihrer a) Trivialität, b) Aggressivität, c) Borniertheit und d) Tretmühlenhaftigkeit" (Schmalbart) ihre menschenfeindliche Agenda lieber weiterverfolgen wollte, ohne tote Babys zu verprügeln.

Sicher können die "knapp 200 Personen" (Schmalbart), die "ihre Bereitschaft zur Mitarbeit bekundet" hatten - davon gut 100 professionelle Videoproduzenten, Programmierer, PR-Berater und Suchmaschinenoptimierer (Christoph Kappes) - mit dem kleinen Verlust von ein paar hundert Euro im Monat gut leben.

Doch nachdem selbst Vox Populisti, ein Schmalbart-Projekt, das sich "mit Beiträgen und Beitragenden von publizistischen Produkten beschäftigt, die immer wieder in Populismus-Verdacht geraten", nach einem letzten Beitrag über Emmanuelle Macron Mitte Mai 2017 still entschlafen ist, "engagieren sich" bei Schmarbart ja nun offenbar gar keine "Bürger" mehr "parteiunabhängig für die demokratische Öffentlichkeit" (Schmalbart). Wohin verschwindet also das gespendete Geld? Wofür wirbt Schmalbart noch immer neue Spenden ein?


Das Transparenzportal selbst gibt keine Auskunft dazu. Auch die Leitmedien berichten längst nicht mehr. Mails werden nicht beantwortet, bei Facebook ist seit Monaten Totenstille, nur bei Twitter regt sich hin und wieder noch etwas.  Aber über Geld wird auch dort nicht gesprochen. "Wir twittern mehrmals wöchentlich und fragen uns auch alle paar Monate, was aus uns geworden ist", heißt es auf Nachfrage, "hauptsächlich unterstützen wir besser organiserte Gruppen, mit denen es Kontakte gibt." Zudem könne man "im Notfal, auch wieder aus dem Schlummer auftauchen. Oder sollten wir uns das überhaupt für das nächste Jahr vornehmen?"


Freitag, 28. Dezember 2018

Aus für Wegwerfprodukte: Was das Kondomverbot der EU bedeutet


Die EU sagt Plastik den Kampf an: Wegwerfprodukte wie Plastikteller, Trinkhalme und Kondome sind künftig verboten. Wie sieht die Regelung aus, was ändert sich beim Sex? Ein Überblick.

Plastikteller, Trinkhalme und Kondome sollen schon 2021 in der gesamten EU verboten sein. Darauf haben sich Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten in dieser Woche final geeinigt. Die EU-Kommission hatte bereits im Mai vorgeschlagen, Wegwerfartikel aus Plastik zu verbieten, um die Weltmeere zu retten. Man folgt damit einem weltweiten Trend: Indien hat bereits eines der strengsten Plastikgesetze verabschiedet, um die derzeit täglich entstehende Menge von 15 Millionen Kilogramm Plastikmüll in den Griff zu bekommen. Nun zieht die EU mit , in der allein in Deutschland täglich rund 840.000 Tonnen Plastikmüll anfallen.

Damit durch die neue Richtlinie wirklich 3,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart und so bis 2030 Umweltschäden von 22 Milliarden Euro vermieden werden können, musste die EU-Kommission ans Eingemachte gehen.

Doch wie ist die Situation? Was bedeutet das kommende Kondomverbot für die Situation in deutschen Betten? Und was ändert sich für Leute, die nur den kurzen Seitensprung suchen? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.

Wie viel Kondome werden EU-weit verkauft und warum ist das so schlimm?

Das ist unbekannt, aber allein in Deutschland werden pro Minute über 450 Kondome verbraucht. 241 Millionen Kondome (Stand: 2014) im größten Land der EU deuten auf einen europäischen Gesamtverbrauch von bis zu einer Milliarde Präservativen jährlich.

Da die meisten nur ein einziges Mal benutzt werden, produzieren die Europäer dadurch etwa 50 Millionen Kilogramm Kunststoffabfall, der zudem beinahe nie, so die Europäische Kommission, recycled wird. Weniger als 0,03 Prozent davon gehen in die Wiederverwertung, der gesamte Rest landet in der Kanalisation und gelangt von dort in die Flüsse und Weltmeere. Weltweit machen Kunststoffe laut Kommission einen Anteil von 85 Prozent der Abfälle an Stränden aus. Acht Millionen Tonnen Plastik gelangen jährlich in die Ozeane, 50000 Tonnen davon sind benutzte EU-Kondome.


Was droht dadurch?

Wenn Plastik, etwa in Formen von Mikropartikeln, erst einmal in der Umwelt ist, ist es nur schwer wieder einzufangen. Wie sich das mitunter unsichtbare Mikroplastik aus Kondomen langfristig auf Lebewesen auswirkt, ist bisher zwar kaum erforscht. Aber was man weiß: An den Kunststoffen lagern sich giftige Stoffe an - zusätzlich zu den Schadstoffen, die bereits während ihrer Produktion entstehen, und zu den Ejakulaten, die sich nach der Benutzung in der Regel im Gummi finden. Im Meer werden die Plastikteile häufig von Fischen gefressen, in denen sich so Hormone und giftige, krebserregende Chlorverbindungen anreichern.

Was ändert sich durch die Richtlinie?

Eine ganze Menge an Produkten werden durch die Richtlinie ab 2021 in der EU verboten sein. Dazu zählen Besteck, Teller, Strohhalme, Wattestäbchen, aber eben auch Kondome aus Plastik. Dadurch wird der Verseuchung der Ozeane ein Riegel vorgeschoben. Zur Verhütung gebe es ausreichend andere Möglichkeiten, heißt es in Brüssel, darunter viele, die ohne künstliche Zusatzstoffe auskommen, die nicht biologisch abbaubar sind. Kondome und Kondomreste verbleiben damit nicht länger in der Umwelt.

Was könnte sich für den One-Night-Stands und bei der Aids-Vorsorge ändern?

Wer schnellen Sex sucht, muss sich vor allem auf umweltfreundliche Alternativen zu Kondomen aus Kunststoff einstellen - zumindest national, denn außerhalb Deutschlands werden entsprechende EU-Regeln in der Regel ignoriert. Nicht so hierzulande: Ab Januar soll ein neues nationales Kondomverbotsgesetz in Deutschland die Abfallmenge reduzieren und die Recyclingquoten deutlich erhöhen. Auch Österreich geht deutlich rigider gegen die Ollas vor, wie man bei unseren Nachbarn Kondome nennt: Ab 2020 sollen hier sämtliche Kunststofftüten verboten werden. Auch die Verwendung von Mikroplastik in Kosmetikprodukten soll enden, wenn die EU das Problem bis 2020 nicht selbstständig löst.

Gibt es denn erlaubte Alternativen?

Selbstverständlich, sogar direkt aus der Natur: Spezialbehandelter Naturdarm aus den Darmmembranen neuseeländischer Lämmer wird dazu in einem aufwändigen Veredelungs- und Aufbereitungsprozess gegerbt. Wer möchte, kann sich seine Kondome auch selbst machen: Schafsdarm (Intestinum caecum) wird dazu für mehrere Stunden in Wasser eingeweicht, mehrfach umgestülpt und dann in eine schwach alkalische Lösung gebettet, die alle zwölf Stunden gewechselt wird.

Danach heißt es nur noch, die Schleimhaut abschaben, dabei vorsichtig sein, denn die peritoneale und die muskulöse Schicht müssen unbeschädigt bleiben. Das Tütchen danach den Schwaden von brennendem Schwefel aussetzen, mit Wasser und Seife waschen; aufblasen, trocknen, auf eine Länge von 18 bis 20 cm kürzen, an die Kante ein Band nähen und fertig. Aber Achtung vor zu viel Promiskuität: Die natürliche Mikroporösität des Materials bietet keine ausreichende Barriere gegen Bakterien bzw. Viren; nur Spermien werden zuverlässig blockiert, so dass dieses Material konsequenterweise auch nur „für monogame Paare zur Empfängnisverhütung“ geeignet ist.

PPQ 2018: Die Menschendarsteller des Jahres

Von wegen Merkel ist weg! Die Frau, um die sich nicht nur in der CDU seit Jahren alles drehte, hat es kurz vor Sonnenuntergang dann doch noch geschafft, ein wenig Beinfreiheit herzustellen, um ihr großes Ziel weiter anvisieren zu können, Helmut Kohl vom Thron des am längsten regierenden deutschen Staatschef zu stoßen.

Typisch Merkel, dass sich die angeblich stets Zögerliche, die Aussitzerin und an Macht gar nicht Interessierte dabei auch gleich noch gegen die Alpha-Männer durchsetzt, die ihr gefährlich hätten werden können. Nun aber sind Jens Spahn, Wolfgang Schäuble und Friedrich Merz entmannt, beide können ncihts gegen sie, sondern höchstens mit ihr.

Chapeau!, Angela Merkel ist ein Mensch des Jahres, wie ihn die PPQ-Jury noch nie gefunden hat: Dominierend nicht nur in den Schlagzeilen, sondern auch mit den Fußabdrücken, die sie in der politischen Landschaft hinterlässt. Niemand anders, nicht einmal Andrea Nahles, die das gern gewollt hätte, und Jogi Löw, der sich dessen schon sicher war, kamen Merkel an Wirkung gleich.

Alt, neu und ehemalig


Die alte und neue, ehemalige und künftige Kanzlerin dominiert die Liste der Begriffe des Jahres 2018, nur "Deutschland" schlägt sie, aber wer die Ereignisse regelmäßig beobachtet, weiß, das es eher umgekehrt ist. Dass die SPD so weit vorn landet, ist dem Effekt zu verdanken, den jeder Autofahrer kennt, der schon einmal an einem schwern Unfall vorüberfahren musste. Man will nicht, aber man schaut dennoch hin, immer wieder.

Das Leid und der Verlust der Würde der Beteiligten dauert einen, aber man muss gucken, am besten noch mit ausgestrecktem Hals, eine gaffende Giraffe, vor deren Augen Andrea Nahles "Bätschi" ruft und Martin Schulz den als Staatsmann verkleideten Wurzelzwerg gibt, dem nur ein drolliger Erbschleicher wie Kevin Kühnert zu widersprechen wagt. Alle anderen hören ihm erst gar nicht mehr zu.

Donald Trump war Thema, aber eins ohne Relevanz. Jede Woche schrieb die deutsche Presse den Präsidenten immer noch aus dem Amt, inzwischen aber schon mit getrocknetem Schaum vorm Mund, weißverkrustet im Mundwinkel. Am nächsten Morgen war er immer noch da. Natürlich, denn Routine hatte selbst bei echten Glaubenskriegern wie Karl Doemens und unermüdlichen Widerständlern wie Damir Fras Leidenschaft und den Glauben an den Endsieg abgelöst. Wie Fras musste auch Spiegel-Chef Klaus Brinkbäumer, Erfinder der Online-Postille "Trump Daily", dem verlorenen Kampf Tribut zollen: Beide verloren ihren Job noch vor Trump.

Hans-Georg Maaßen dagegen siegte, obwohl er seinen Job verlor. Beinahe hätte der oberste Verfassungsschützer die junge deutsche Demokratie mit einem halben Satz zerstört, erst im letzten Moment einigte sich die Groko darauf, lieber ihr Gesicht zu verlieren als ihre Posten.

Ruhestand mit 55, das wird erst Andrea Nahles übertreffen, Lars Klingbeil sicher auch, nur wird das dann nicht halb so viel Aufsehen erregen wie der erneute Angriff der deutschen Sozialdemokratie auf Thilo Sarrazin, an dem das Jahr fast vorübergegangen wäre, weil sein aktuelles Buch "Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht" bei Amazon zwar rund 74.500 Plätze vor Anja Reschkes Rückenschule "Haltung" und 64.000 Plätze vor Dunja Hayalis "Haymatland" liegt, dennoch aber weniger Kritikerlob einheimste.

Kampf, Hass und Sachsen


Es waren Begriffe wie Fake, Migrationspakt, Europa, Kampf, Hass und Sachsen, die die Debatten des Jahres bestimmten. Recht bekam eine moralische Komponente, der Mann entpuppte sich als Verbreiter breitbeiniger Männlichkeit, der Hetze ausschwitzte, selbst wenn er nur am Rechner saß. Notgedrungen fast ist der Staat gezwungen, die Freiheit durch immer mehr Überwachung, durch Grenzen im Inneren und Beschwörungen seiner guten Absichten einzuschränken. Vollerfassung aller Fahrzeugbewegungen, Gesichtserkennung in Echtzeit, dazu die staatsamtlich geäußerte Absicht, Entschlüsselungssysteme ungeachtet des Paragraphen 202a StGB aufhacken und grundgesetzlich geschützte private Kommunikation anlasslos mitlesen -

Putin, Özil, Zuckerberg, Malvina und Diaa, der EU-Vorsitzende Juncker, der den Zustand der Gemeinschaft inzwischen geistig und körperlich in imponierender Kongruenz darstellt. Dazu Seehofer und Erdogan und ein islamistischer Terrorist mit dem Namen Cheriff; Hambi, Hasi und Küblböck, die Dürre, die Heißzeit, der Spiegelbetrug und der Kinderkanal, der mittlerweile überall schreibt und moderiert und sendet, als säßen vor den Empfängern Halbwüchsige, die nur über halbe Hirne verfügen.

Bis zum Skandälchen um den Spiegel-Star Claas Relutius, glaubten Teile der in Deutschland verbliebenen Nutzer seriöser Medien tatsächlich, dass ein Hass-Rundbrief wie "Trump-Daily" Nachrichten udn Informationen transportierte und die "Tagesschau" sich zumindest in Ansätzen bemüht, selbiges zu tun.

Dabei hätte spätestens die Jahresanfangflügelfigur des Journalistendarstellers Deniz Yücel, der agitatorischen Aktivismus stets kühler Berichterstattung vorgezogen hatte und dafür mit Preisen überhäuft worden war, jedermann rechtzeitig eine Warnung sein müssen. es geht nicht darum, was ist, denn was ist, ist oft unangenehm. es geht darum, was sein soll, damit Macht erhalten bleibt, Ruhe und Ordnung, der traurige Wohlstand bescheidener Ansprüche. Die Karl-Eduard von Schnitzlers, die kein Interesse an Tatsachen haben, sondern angetreten sind, ihre "Haltung" (Anja Reschke) als beispielhaft für alle zu propagieren, erleben ein Comeback, das noch vor zehn, zwölf Jahren unvorstellbar gewesen wäre.

Donnerstag, 27. Dezember 2018

SPD: Klöße, Rotkohl, Wein und Schulz


Höchststrafe für die SPD: Das angeschlagene Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hat die stille Zeit zwischen den Jahren genutzt, um der seit Monaten taumelnden deutschen Sozialdemokratie einen erneuten Schlag zu versetzen.

In einem nur von Eingeweihten als Fake News im Postillon- und Relotius-Stil zu erkennenden Text behauptet das Hamburger Blatt, die sich seit rund einem Jahr straff erneuernde frühere "Arbeiterpartei" (Willy Brandt) wolle im anstehenden Europa-Wahlkampf auf Anfang des Jahres auf Altenteil geschobenen früheren Parteichef Martin Schulz als Wahlkampf-Lokomotive setzen. Der "glühende Europäer" (Spiegel) habe das  selbst in einem Interview erklärt. Seine Rolle werde eine "wichtige" sein, wird der vermeintliche Schulz zitiert. Der in Rekordzeit vom "Gottkanzler" (Spiegel) zur Witzfigur abgestürzte 63-jährige Polit-Renter habe zudem "offizielle Auftritte im Wahlkampf" angekündigt, bei denen er für seine Partei "kämpfen" wolle.

Schulzens Trackrekord spricht für seinen Einsatz: Als Knazlerkandidat war es ihm gelungen, der SPD jeden fünften Wähler abspenstigf zu machen. Bereits wenige Minuten nach der Veröffentlichung, die sich ohne jede Prüfung auf ein vom Redaktionsnetzwerk Deutschland geführtes Gespräch berief, meldeten sich besorgte Stimmen in der SPD. Damit sei die Europawahl, für die die SPD mit der derzeit noch amtierenden Justizministerin Katarina Barley ohnehin nur eine Notkandidatin hatte aufstellen können, "gelaufen" unkte ein besorgter Sozialdemokrat. Selbst die als seriös und SPD-nah geltenden Kieler Nachrichten ätzten über die Weihenstellung für den neuen Schulzzug: "Einige Zeit sah es so aus, als habe die SPD keine Aufgaben mehr für ihren früheren Vorsitzenden", doch nun sei Schulz wieder da und er bringe auch gleich "Ideen" mit, "auf welche Themen die SPD setzen muss".

Eine Drohung, denn einen Teil seines Angriffsplan verriet Schulz schon vorab. Die SPD werde unter seiner Führung die Werte von Toleranz, Freiheit und Solidarität hochhalten. "Darin liegt eine große Chance", glaubt Schulz. Auch mit dem Thema Europa werde er wieder wie gewohnt punkten. "Nach dem Brexit muss Deutschland als proeuropäischer Partner vorangehen."

Zwar ist in den bisher bekanntgewordenen Plänen des ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments nicht mehr die Rede davon, die EU innerhalb der nächsten sieben Jahre abzuschaffen und an ihrer Stelle ein Kerneuropa aus den Staaten errichten, die bereit sind, als „Vereinigte Staaten von Europa“ mit einem, so nennt es Schulz, „gemeinsamen Verfassungsvertrag“ zu handeln. Doch eine Internetsteuer für große US-Konzerne wie Apple, Facebook, Google und Amazon soll ein Türchen öffnen, um unwillige Partnerländer aus der Gemeinschaft drängen zu können.

Wenn ein von Finanzminister Olaf Scholz bei der OECD vorgelegtes Konzept für eine weltweite Internetsteuer wegen des Widerstandes internetsteuerfeindlicher Staaten nicht durchsetzbar sei, "dann müssen wir es auf europäischer im Notfall gemeinsam mit Frankreich durchsetzen", sagte Schulz. Zeige sich dann, dass es auch im europäischen Rahmen "einzelne Verweigerer" gebe, dürfe dieses neue, "zentrale Projekt" (Schulz) daran nicht scheitern.

Lieber mit ein paar willigen Ländern vorangehen und sei es um den Preis der Einheit der Wertegemeinschaft als in der Frage der von den meisten EU-Bürgerinnen und Bürgern als wichtigstes Problem der Gegenwart neben der Umstellung von Sommer- auf Winterzeit bezeichneten Frage zu scheitern.

Das Momentum ist derzeit klar auf Seiten der Sozialdemokratie: Die Kanzlerin schweigt seit Tagen, dafür gelang der Parteizentrale mit der Ankündigung des Starts sogenannter "SPD-Gesetze" zum 1. Januar ein echter Coup. "Zu Gans passt besonders gut: Klöße, Rotkohl, Wein – und ein fundiertes Gespräch darüber, wie unsere am 1.1.2019 in Kraft tretenden Gesetze das Leben der Menschen verbessern", hatte der Parteivorstand getwittert und auf "mehr Geld im Portemonnaie, mehr Investitionen in Bildung, mehr bezahlbarer Wohnraum, Schutz und Sicherheit für Beschäftigte" und einen "Neustart für eine stabile Rente" verwiesen, die bewiesen: "Mit der SPD wird das Leben besser."


Claas Relotius: Das schwarze Schaf

Manchmal erscheint eine neue Ausgabe, manchmal Henri Nannen im Traum.


In eigener Sache: Die Berichterstattung über Claas Relotius steht nach PPQ-Recherchen unter dem Verdacht weitgehender Fälschungen und Manipulationen. (mehr dazu hier: spiegel.de über PPQ) PPQ geht allen Hinweisen nach und lässt die Artikel bis zu einer weitgehenden Klärung der Vorwürfe unverändert im Archiv, auch um transparente Nachforschungen zu ermöglichen. Wir bitten um Hinweise an politplatschquatsch@spiegel.com.

Bis zur endgültigen Klärung hier der Versuch einer intimen Annäherung an einen Mann, der Deutschlands Medien in die Krise stürzte - und seitdem untergetaucht ist.



An einem frühen Morgen in diesem Sommer 1991 steht Claas Relotius, ein magerer Junge mit langen Schlenkerarmen und Beinen, die aussehen wie von einem Rehkitz ausgeborgt, allein am Fenster einer feinen Villa in Hamburg Tötensen und schaut hinaus auf die noch dunklen Fluten der Unterelbe. Das Wasser wälzt sich vorüber wie ein unendlicher Strom aus feucht wabernder Finsternis. Am Himmel steht kein Stern und im Kopf von Claas Relotius, gerade sechs Jahre alt, klingt ein Lied: "hiwieanau enderdenas", singt der kleine Claas. Seine Lippen bewegen sich kaum.

Draußen steht die Stadt, die prunkvollen Anwesen, die verfallenden besetzten Gebäuden, die lausigen Hunde der Punks, die noch schlafen, die Laternen ohne Licht. Das Lied, das Relotius singt, handelt vom Bedürfnis, nicht unbeschäftigt zu bleiben, immer etwas zu schauen zu schauen zu haben, unterhalten zu werden und in seinen Erwartungen bestätigt. Der kleine Mensch am Fenster weiß das noch nicht und er weiß ebensowenig, das ihm ein Leben offenstehen wird, in dem er all das für andere verwirklichen kann. Bis ihn schlimmstes Leid treffen wird, von dem er später, längst ein großer, hagerer Mann mit Dreitage-Bart brennenden Augen, wochenlang nicht wissen wird, ob er oder irgendein Mensch auf der Welt oder gar das renommierte frühere Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" es wird überleben können.

Das Leben, ein Traum


Dabei ist das Leben des Hamburger Reedersohns bis dahin ein Traum. Geboren als jüngster Sohn einer alteingesessenen Reeder-Familie, hat Claas, der früh durch seine quicke Auffassungsgabe und sein enormes Sprachtalent auffällt, aber zum Erstaunen seiner Onkel, Tanten und Neffen nie schwimmen lernen will, seinen Eltern Alma-Charlotte und Hans-Hennig niemals Ärger bereitet. Als Kind spielt Claas gern für sich allein, am liebsten mit kleinen Plasikfiguren, die er in selbstausgedachten Geschichtenhandlungen auf dem Boden seines Kinderzimmers herumschiebt. Er liest aber auch viel, Karl May, Jules Verne, später Tom Kummer. Relotius` sind stolz. Die Familie führt ihre Wurzeln auf den römischen Galeerenkapitän Flavius Arminus Relotius zurück, der während des Germanien-Feldzuges von Kaiser Germanicus im Sommer 16 n. Chr.nach der Flottenlandung der Römer von rechtsrheinischen Ems-Sachsen gefangengenommen worden war, dann aber hatte entkommen können und im späten Frühmittelalter zum Begründer der Großreederei TLS wurde.

Claas Relotius könnte sich selbst in einer Verfilmung spielen.
Alle Angehörigen der männlichen Blutlinie der Relotius` sind seitdem stets Kapitäne oder Reeder gewesen, ausgenommen die zweiten Söhne, die in der Regel als Lotsen dienten, während die jeweils dritten zur Kriegsmarine gingen. Claas Relotius schlug früh aus der Art. Er kam aus einer alten Stadt, und als der kalte Krieg gewonnen war, kam er in die Schule. Wenn seine Mutter, die die karge Freizeit, die ihr die Führung einer homöopatischen Arztpraxis ließ, häufig für gemeinwohlorientierte Aktivitäten opferte, zum Unterricht fuhr, sah der fantasiebegabte Junge aus dem Beifahrerfesnter des Mercedes-Cabrios, auf das der Regen prasselte, die schneejeansblauen Scharen der grausam entwurzelten Ostflüchtlinge. Um ihren Beschützern in der kalten norddeutschen Fremde zu dienen, arbeiteten sie so hart, dass ihre Rücken krumm wurden und ihre Hände blutig, fast wären sie gestorben.

"Eines Tages", fragte Claas seine Mutter eines Tages, "werden sie doch für ihre Schmerzen reich belohnt, oder, Mutter?". Die sorgfältig manikürte und blondierte Reedersfrau nickte, ein wenig unaufmerksam, denn der Verkehr in Hamburg wurde damals schon, lange vor den ersten Fahrverboten, immer verrückter. Claas Relotius schmunzelte zufrieden und fast unhörbar begann er das Lied mitsingen, das gerade bei Radio Rock Hamburg lief: "You better watch what you say, you better watch what you do to me, don't get carried away, girl, if you can do better than me, go, yeah go, but remember."

Mit 14 weg von Mädchen


Als Claas Relotius zwölf Jahre alt wurde, hatte er noch immer keine richtigen Freunde, aber er wollte auch keine haben. Mit 14 beschloss er, dass das auch für Mädchen gelten sollte. Als sein Vater, ein Patriarch alter Schule, ihn zu sich in die große Bibliothek lud, um über seine weitere Lebensplanung zu sprechen, war Claas Relotius 16 Jahre alt, ein großer Fan der Pop-Band Atomic Kitten und ein leidenschaftlicher Sänger von deren Hit "Whole Again". Die Zeile "Time is laying heavy on my heart, seems I've got too much of it since we've been apart", spielte in Dauerrotation in Claas` Kopf, als sein Vater auf ihn einredete. Gorch Fock, Bundesmarine, Reederschule, Studium der Seefahrtstechnik, Heirat mit der ältesten Tochter des Reedereiimperium von Ernst August von Allwörden, der drüben in Drochtersen auf Feederschiffe spezialisiert ist.

In Claas Relotius ist an jenem Nachmittag etwas zerbrochen. Der Geruch von Schweiß lag in der Luft und der von Angst, Angst davor, dem Vater sagen zu müssen, dass all das nicht geschen wird. Das warme Licht der nahezu 754 Jahre alten Kerzenleuchter strahlt von der Decke, fällt grell auf den schlacksigen Jungen in seiner Schuluniform, die maßgeschneidert ist, aber wirkt, als sei sie schon wieder zu klein geworden. Ein zartes Gesicht schaut aus dem Kragen des marineroten Blazers, kaum Bartflaum, aber Lippen, die sachte zittern. "I can hear your soul crying, listen to your spirit sighing" hört Claas Relotius Martin Core singen, "I can feel your desperation, emotional deprivation". Doch sein Vater fühlt nichts. Er weist ihm die Tür. "Komm besser erst wieder, wenn du zur Vernunft gekommen bist", sagt der Patriarch. Ohne die Stimme zu haben.

Eine Einladung. Claas Relotius fühlt sich wie befreit von der Last einer fast zweitausendjährigen Geschichte, die in dem Augusteischen Germanenkriege begonnen hat. Er studiert nun Politik- und Kulturwissenschaften in Bremen und Valencia, geht dann zum Masterstudium an die Hamburg Media School, an der die seriösen Medien des Landes ihren Nachwuchs heranziehen. Manchmal erscheint ihm Henri Nannen im Traum, manchmal ist es Egon Erwin Kisch, der ihm zuzuwinken scheint.

Manchmal winkt ihm Nannen im Traum


Das  "hiwieanau enderdenas" aus dem Kinderzimmer hat der große Claas längst entschlüsselt: "Here we are now / entertain us!, ruft ihm das Publikum zu. Das will, das kann er. In seiner Klasse ist Claas einer der besten, willig, klar im Erkennen von Prioritäten und zentralen Wissensinhalten, fantasiebegabt und ein begnadeter Finder von passenden Fakten.

Das von seinen Lehrern hochgeschätzte Talent absolviert in dieser Zeit Praktika beim ZDF heute-Journal in Mainz, bei der Deutschen Welle in Berlin sowie der taz in Hamburg. Überall lernt Claas Relotius dazu: Er hat Haltung bei Anja Reschke, nimmt bei Georg Restle Vorlesungen in Verschwörungstheorie und schaut sich bei Dunja Hayali ab, wie ein neuer Haymatbegriff global und definiert werden könnte.

Abends, allein in seiner großzügig geschnittenen Studentenbude, sitzt Claas Relotius in den seltenen Schreibpausen an seinem Bösendorfer-Flügel und er summt eine Melodie von U": "I see an expression so clear and so true, that it changes the atmosphere, when I walk (in)to the room".

Die ersten Preise für seine bewegenden, tiefgründigen Texte lasse nicht lange auf sich warten. Der Schwerpunkt Auslands- und Reportagejournalismus ist genau sein Ding, hier kann Claas Relotius alles hineinlegen, was er kann. Nachdem Artikel von ihm in deutschsprachigen wie in englischsprachigen Publikationen erschienen sind, u.a. in der Weltwoche, der Neuen Zürcher Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Cicero sowie im britischen Guardian und in der Los Angeles Times, beginnt ein Aufstieg in die lichten Tannenhöhen des weltbedeutsamsten Journalismus überhaupt: 2013 bekommt er den ersten Deutschen Reporterpreis, 2015, 2016 und 2018 weitere drei. Nur 2014 und 2017 verhindern eine langwierige und chronische Rückengeschichte, dass im der Coup gelingt, als erster deutscher Reporter genauso viele Meisterschaften am Stück zu feiern als der FC Bayern.

So viele Meisterschaften wie der FC Bayern


Dafür aber ist der Name Relotius jetzt bei allen Preiskommissionen auf dem Zettel. 2014 zeichnete ihn CNN als Journalist of the Year aus. 2017 wird er für seine Spiegel-Reportagen über einen Jemeniten im US-amerikanischen Guantanamo-Gefängnis und zwei syrische Flüchtlingskinder mit dem Liberty Award und dem European Press Prize geehrte.Für die Spiegel-Reportage "Königskinder" erhält er im selben Jahr auch den Katholischen Medienpreis, es folgen der Peter-Scholl-Latour-Preis der Ulrich-Wickert-Stiftung und der Preis der Konrad-Duden-Stiftung für die Spiegel-Reportage "Nummer 440", mit der er es, so die Jury, geschafft habe, "Buchstaben und Zahlen beispielhaft so zu kombinieren, dass eine Ergriffenheit sich bei Leserinnen und Lesern einstellt, die herzergreifend authentisch wirkt."

Claas Relotius ist am Ziel seiner Wünsche, Träume und Befürchungen. Nur den Egon-Erwin-Kisch-Preis wird er, dass ist ihm klar, nicht mehr gewinnen können, weil der dem jüdischen Publizisten Kisch gewidmete Preis kurz vor dem Beginn seiner Karriere als Großschriftsteller in "Henri-Nannen-Preis umgetauft worden war, um die Erinnerung an den ehemaligen Kriegsberichtserstatter der Propagandakompanie der SS-Standarte Kurt Eggers wachzuhalten. Doch der Vater hat im nun verziehen, die Mutter gar gefragt, ob er nicht auch einmal eine packende Reportage über homöopathische Wege zur Friedensbewältigung schreiben können.

Make you wanna cry


Mitten in eine glückliche Lebensphase, in der Claas Relotius in der Tat genau darüber nachdenkt, gründlich, wie es seine Art ist, und dabei immer wieder die Zeilen "Hotel, motel make you wanna cry, ladies do the hard sell know the reason why, gettin' old, gettin' grey, gettin' ripped off, underpaid, gettin' sold, second hand, that's how it goes" aus AC/DCs "It's a Long Way to the Top" summend, ereilt ihn der Anruf aus dem "Spiegel"-Hochhaus, mit dem ihm eine Sekretärin über den Verrat seines Kollegen Juan Moreno informierte.

Claas Relotius stellte sich dem Termin mit der Chefredaktion, die gleich ihre Justiziare mitgebracht hatte. Sein Vater, den er anzurufen versuchte, als er nach viereinhalb Stunden wieder auf der Straße stand, in einem kalten Hamburger Wind, durchsetzt mit feinen Regentropfen, nahm nicht ab. Am Morgen danach ging Claas Relotius zu dem Arzt, der ihn schon als Kind betreut hatte, und ließ sich ein Attest ausstellen. Offiziell ist der 33-Jährige jetzt psychisch krank. Das Münchhausen-Syndrom, Krankenkassen-Code 4725P. Nur eine Zahl. Und doch ein Urteil.

Das Schaf von Winterhude


Der Starreporter, von dem niemals wieder jemand eine seiner wundervollen, eleganten Starreportagen drucken wird, sitzt schweigend auf seinem liebsten Platz in der großen Loftwohnung in Winterhude, die er von all den Preisgeldern angezahlt hat. Ein schwarzes Schaf, auf einmal. Ein Ausgestoßener. Allein. Er trinkt viel, schiebt sich später am Abend oft ein Kissen hinter seinen Rücken, stellt den linken Fuß auf das Pedal des Bösendorfer und legt die rechte Hand auf die Klaviartasten. Claas Relotius möchte spielen, ein Lied, irgendeins.

Aber da ist keine Melodie mehr. In diesen Momenten laufen Tränen über seine Wangen. Claas Relotius schämt sich, er schlägt beide Hände vors Gesicht, obwohl ihn doch niemand sehen kann. Es ist nicht wegen seiner Eltern, wegen der Familie, des Erbes, des bürgerlichen Todes, der Kollegen, der Träume; nicht einmal wegen der Schmerzen, die er fast körperlich fühlen kann.

Es ist, so würde er sagen, wenn er mit jemandem reden könnte und wollte, weil die Erwachsenen nun mit ihm schimpfen. Mit dem kleinen Jungen, der er doch immer geblieben ist.

Solch ein tragisches Schicksal ist im Leben so selten. Bitte teilen Sie diesen Beitrag, wenn auch Sie dieser Meinung sind.

Mittwoch, 26. Dezember 2018

Zitate zur Zeit: Die formale Freiheit


Dass man die formale Freiheit hat, zu sagen, was man denkt, besagt nicht viel, wenn man nicht mehr zu denken wagt, was man nicht sagen darf.

Norbert Bolz macht sich Gedanken über die Gedankenfreiheit

Wehrhafter Rechtsstaat: Urteilsflut schafft Sicherheit

Kurz vor dem Fest wurde noch eine Fuhre wegweisender Urteileaus Europas höchsten Gerichten gekarrt.
Es war die Woche des Rechtsstaates, kurz vor Weihnachten, schnell noch. Es war die Woche, in der die Demokratie wehrhaft wie selten zuvor zurückschlug gegen die, die mit Krokodilstränen "Staatsversagen" beklagen und sich in klammheimlicher Freude suhlen, wenn es den Feinden der Freiheit gelingt, mit einem besonders dreisten Anschlag auf die Grundwerte unserer Gesellschaft durchzukommen.

Diese Woche aber gelang es nicht. Diese Woche wehrte sich die Gemeinschaft, wehrten sich die unabhängigen Institutionen mit aller Kraft. Zuerst war da das Urteil des EuGH, der ein für alle mal klarstellte, dass es der Europäischen Zentralbank natürlich gestattet ist, von Staaten emittierte Wertpapiere aufzukaufen, auch wenn es sich bei den Verkäufern um die Staaten handelt, in deren Besitz sie sich die EZB faktisch befindet. Wenn es um das Glück eines ganzen Kontinentes geht, muss ein Wort wie "unmittelbar" so ausgelegt werden, befanden die Richter, dass Dinge möglich werden, die vielleicht ursprünglich gar nicht ermöglicht werden sollten.

Das ist doch keine verbotene Beihilfe


Nur so kann es weitergehen, nach vorn und nach oben, nur so finden die derzeit 23 öffentlich-rechtlichen Fernseh- und 35 Radiostationen, die die Grundversorgung der Deutschen mit Fakten, Fußball und Kriminalfilmen sicherstellen, genug Stoff, um Talkshow und Tagesthemen zu befüllen. Finanziert nicht mit Steuergeld, sondern mit Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag, der, auch das haben Europas Richter in dieser schicksalhaften Woche nach der Wahl von AKK an die CDU-Spitze klargemacht, keine verbotene staatliche Beihilfe ist. Allein schon deshalb, urteilten die Luxemburger Richter in der Rechtssache C-492/17, weil er nicht gegen EU-Recht verstoße.

Das ist eine in ihrer Deutlichkeit beeindruckende Argumentation, die die gehässigen Kritiker der wichtigsten Einnahmequelle für ARD, ZDF und Deutschlandradio zum Verstummen bringen dürfte. Allein der Umstand, dass die staatlichen Sendeanstalten säumige Zahler selbst verfolgen dürfen und nicht wie jeder andere Gläubiger zu ordentlichen Gerichte gehen müssen, sei kein Hinweis auf eine Sonderstellung, ebensowenig die Tatsache, dass der Rundfunkbeitrag wie eine Wohnungssteuer von jedem bezahlt werden müsse, der irgendwo wohne, auch wenn er kein Rundfunkempfangsgerät besitze.

Und Deutschland wie die ganze Union werden mit einem weiteren EuGH-Urteil sogar noch rechtssicherer. Denn Busfahrer wissen nun, dass sie nicht verpflichtet und nicht einmal berechtigt sind, anstelle derabgezogenen Grenzbeamten an den EU-Innengrenzen Pässe zu kontrollieren. Da ist das höchste europäische Gericht kompromisslos: Weil Grenzübertrittskontrollen sind nicht mit den Regeln des Schengen-Raum vereinbar sind, müssen Busfahrer Fahrgäste auch dann befördern, wenn die nicht die erforderlichen Reisedokumente haben, um in Deutschland einreisen zu dürfen.

Zuvor waren Busunternehmen von deutschen Behörden gezwungen worden, ähnlich wie Fluglinien vor Fahrten in die Bundesrepublik den Pass und den Aufenthaltstitel ihrer Passagiere zu kontrollieren.
Solche Kontrollen, befanden die Richter, hätten aber die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen und seien damit nicht mit der Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen des Schengen-Raums vereinbar. Eine ähnliche Entscheidung wird in Bälde für Fluglinien erwartet, so dass in Griechenland gestrandene Flüchtlinge dann per Flugzeug nach Deutschland werden reisen könne.


An dieser Front ist nun Ruhe im Karton - und vermutlich auch an der, an der, an der Populisten von rinks und lechts seit Monaten Stimmung gegen den Migrationspakt gemacht hatten. Teilweise auch unter missbräuchlicher Verwendung der Möglichkeiten, die der Rechtsstaat auch seinen erklärten Feinden gibt: Beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatten die beispielsweise versucht, eine einstweilige Anordnung zu erwirken, mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel die Unterzeichnung des Abkommens zur Förderung legaler Migration untersagt werden sollte.

Es gibt kein Widerstandsrecht gegen keine Unterschrift


Nun hat Merkel bei ihrem Besuch in im Partnerstaat Marokko, das sich mit einem Angriffskrieg gegen den Nachbarn Westsahara seit 40 Jahren darum bewirbt, zum sicheren Herkunftsland ernannt zu werden, in der Tat nichts unterschrieben. Doch nicht wegen der Verfassungsrichter. Die erteilten dem Anliegen der Antragsteller in Sachen UN-Migrationspakt nämlich eine deutliche Abfuhr. Unter dem Aktenzeichen 2 BvQ 106/18 bestätigten die Richter, dass es kein Wider­stands­recht der Bürger gegen internationale Verträge gibt, die keine sind und keine Rechtswirkungen entfalten.

So ähnlich also, wie das lange auch bei der Richtlinie 2008/50/EG über Luftqualität und saubere Luft für Europa war. Bis die ersten Fahrverbote verhängt wurden, die dann eine panische Reaktion der EU-Kommission auslöste, die versuchte, die selbstausgedachten Grenzwerte abzuschwächen. Illegal war das, hat der EuGH jetzt entschieden, denn es muss auch möglich sein, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge der neuesten Generation zu verhängen, wenn sie die Fantasiegrenzwerte nicht einhalten, die die EU-Kommission vor zehn Jahren ausgedacht hat.

Dadurch werden nach einer Übergangszeit von 14 Monaten, die dazu dient, die EU-Wahlen noch ohne lästige Gelbwestenproteste durchzuziehen, auch Euro 6 d-Norm-Autos illegal. Betroffen sind nicht mehr nur Dieselfahrzeuge, sondern auch viele Benziner. Ein kluges Urteil, weitsichtig und im Dienst der Natur. Das wird viele Menschen freuen, auch in Osteuropa, wo viele Bürger sich demnächst einen Diesel werden leisten, weil die EU bei der geplanten europäischen Exportverbotsregelung bisher etwa so weit gekommen ist wie bei der gesamteuropäischen Flüchtlingslösung, die Angela Merkel im Juni für "in 14 Tagen" versprochen hatte.

Damit ist auch das kurz vor dem Jahresende noch abschließend geklärt, die Geschenke sind unterwegs und einer friedlichen Weihnachtszeit zwischen Finistere und Wladiwostok steht nichts weiter im Wege.


Dienstag, 25. Dezember 2018

Papst gesteht: Ich bin gierig und unersättlich


Papst Franziskus hat an Heiligabend Maßlosigkeit und die Ungleichheiten auf der Welt beklagt. "Der Mensch ist gierig und unersättlich geworden", sagte das Katholikenoberhaupt bei der Christmette vor Tausenden Gläubigen im Petersdom in Rom und meinte mit diesem brutalen Pauschalurteil wohl vor allem sich selbst. "Eine unersättliche Gier durchzieht die Menschheitsgeschichte, bis hin zu den Paradoxien von heute, dass einige wenige üppig schlemmen und so viele kein Brot zum Leben haben", prangerte er sein eigens, äußerst abgehobenes Leben im Vatikan an.

Unter Bezugnahme auf die Weihnachtsgeschichte machte Franziskus klar, dass nicht der Besitz, die Gier oder der Überfluss essenziell für das Leben seien. Wichtig sei die Nächstenliebe, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche. Das Imperium, über das Franziskus herrscht, verfügt allein in Deutschland über ein Vermögen von mehr als 270 Milliarden Euro. Die reichste Institution der Welt - der US-Konzern Apple hat weltweit nur rund 250 Milliarden Dollar zurückgelegt - vermehrt ihre Rücklagen alljährlich durch Kirchensteuern, Spenden und Erträgen aus wirtschaftlichen Unternehmungen und Beteiligungen und profitiert dabei von staatlicher Unterstützung und massiven Steuervorteilen.


Der Papst will nun  offenbar Schluss machen mit dem Prunk und hohlen Tand, den der Vatikan traditionell pflegt. Keine goldenen Gewänder mehr, keine Privatflugzeuge und kein Verkauf von billigen Souvenirs an Touristen. "Man darf nicht in die Schluchten des mondänen Lebens und des Konsums abrutschen", forderte er eine Rückkehr zu dem Lebensmodell, dass der "kleine Körper des Kindes in Bethlehem" entworfen habe.

Bei der Geburt Jesu, der Christen an Heiligabend durch gegenseitiges Beschenken mit Smartphones, Horror-Film-DVDs und Heavy-Metal-CDs gedächten, gehe es nicht um "Fressen und Hamstern, sondern um Teilen und Geben", predigte Franziskus, der die Geburt des Herren am heiligen Abend mit ein paar Eberswalder Würstchen gefeiert hatte.

"Fragen wir uns", forderte er die Touristen auf, die eigens für seine langerwartete Rede nach Rom gereist waren, "teile ich mein Brot mit dem, der keines hat?" Er selbst habe diese Frage für sich beantwortet: Die katholische Kirche werde ihre gesamten Besitztümer an Arme und Ausgegrenzte in der Gesellschaft verschenken und bis dahin  Obdachlose oder Flüchtlinge nicht nur wie bisher symbolisch in den Vatikan einladen oder Häftlinge mal kurz vor der Kamera treffen, sondern die Türen auf und die Tore weit für alle machen, die dauerhaft bleiben wollen.

Geldbörsenfunde: Das stille Ende eines wunderbaren Phänomens


Gerechtigkeit kommt wieder, trösteten sich Verlierer beim Kartenspiel in früheren Zeiten, zumeist sogar vergebens. Etwas ist aber dran an der steilen These, wonach Gott es den Seinen vergilt, meist sogar noch im Dieseits. So durfte sich ein afghanischer Flüchtling, nach Angaben der Polizei ein "Asyland, der Aussicht auf ein dauerndes Bleiberecht" hat, jetzt freuen, weil eine ehrliche Finderin seine verlorene Geldbörse mit 2000 Euro nicht eigensüchtig selbst behielt. Sondern abgab, so dass der junge Mann, der seit acht Jahren auf der Flucht vor Verfolgung in seiner Heimat ist, jetzt endlich zum lang ersehnten Heimaturlaub nach Afghanistan aufbrechen kann, um seine "zwei kleinen Kinder" (Esslinger Zeitung) zu besuchen, die er "schon acht Jahre nicht mehr gesehen hat" (EZ).

Hier vergilt Gott offenbar ganz gezielt die guten Taten so vieler Schicksalsgenossen des afghanischen Familienvaters, die in der Vergangenheit nie lange überlegt hatten, was sie mit Geldbeträgen anstellen sollten, die auf Deutschlands Straßen zeitweise herumlagen wie alte ausgeknetschte Kaugummis. Egal ob 1000 Euro, 5000, 15000 oder gar 150.000, nach dem großen "Zustrom" (Angela Merkel) von 2015 fanden Flüchtlinge aus aller Herren Länder beinahe täglich kleine, größere und ganz große Beträge, die von achtlosen Deutschen nicht nur in bar durch die Straßen geschleppt, sondern ihnen dabei auch häufiger als das bis dahin bekannt war aus der Tasche gefallen waren.

Doch dieses vielleicht beeindruckendste Phänomen der von Rechtspopulisten hetzerisch "Flüchtlingskrise" genannten Erweiterung Deutschlands um mehrere hunderttausend ehrliche Männer und Frauen, Kinder und Alte endete irgendwann still und unbemerkt. Kein Nachruf, keine Nachfrage, und das nicht etwa erst, als öffentlich Zweifel an einer Geldbörsenfindegeschichte des "Spiegel" laut werden durften.

Die geldsammelnden Neuankömmlinge landeten schon zuvor auf der Halde der medialen Demenz. Kein junger Iraker fand mehr 1000 Euro und gab sie ehrlich ab - unter Verzicht auf den Finderlohn. Kein junger Syrer meldete 150.000 gefundene Euro bei der Polizei, kein Landsmann von ihm fand mehr einen Geldbeutel mit 1450 Euro, kein Geflüchteter staunt über 1000 Euro, die einfach so in einem Bus liegen.

Im ganzen Jahr 2018 gab es nur eine halbe Handvoll froher Meldungen über sogenannte Finder-Flüchtlinge. 2015 und 2016 hatten Neuankömmlinge die entsprechenden Summen noch binnen weniger Tage gefunden.

Passen die Deutschen besser auf? Oder wirkt die Unehrlichkeit der Menschen, die schon länger hier leben und keineswegs stets alles, was sie finden, bei den Behörden abgeben, auf negative Weise integrativ? Werden als ursprünglich ehrliche Refugees durch den Umgang mit den von Haus aus eher egoistischen Einheimischen selbst zu nur auf den eigenen finanziellen Vorteil bedachten Menschen? Irrte Grünenchefin Katrin Göring-Eckhardt, als sie vorausgesagte "Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch"? Weil sich nicht das Land an die Zugewanderten, sondern am Ende doch die Zugewanderten an das Land anpassen?

Alle Umstände sprechen dafür. Es gibt keine Woche mehr mit mehreren großen Geldfunden, auch über das Schicksal früherer Finder - ursprünglich hatte es sich eingebürgert, sie zumindest mit einem kleinen Porträt in der Lokalpresse zu ehren - wird nichts mehr bekannt. Was zum Beispiel wurde aus dem 35-jährigen Foaz Osso, der in Wolfsburg in einer gespendeten Jacke 3000 Euro entdeckte? Welche Ausbildung hat der 16-jährige Syrer inzwischen erfolgreich absolviert, der im Sommer 2015 "kein Wort Deutsch" sprach, doch "das Herz am rechten Fleck" hatte 1450 Euro einfach so an die rechtmäßige Besitzerin zurückgab? Und was wurde aus dem Iraker Jamal Khalaf, der der seine Familie zu Hause zurücklassen musste, eine gefundene Geldbörse mit 400 Euro Bargeld und Kreditkarten aber sofort zur Polizei brachte, weil "ich nicht wegen des Geldes nach Deutschland gekommen bin"?

Niemand wird es niemals erfahren. Die Welt aber, sie ist offenbar ein Stück schlechter geworden.