Donnerstag, 24. April 2025

SPD-Mitglieder*innenentscheid: Was bleibt uns denn noch übrig

SPD sichert Neuaufbau Mitgliederentscheid
Wieder geht es um Neuaufbau. Und wieder steht die SPD in der Pflicht.

Serhac W. aus Essen ist grundsätzlich dagegen. Gestern erst machte er seinem sozialdemokratischen Herzen Luft und er schlug den Koalitionsvertrag rundheraus zur Bank, den Union und SPD miteinander ausgehandelt haben. Zu viele schwarze Positionen. Zu wenig sozialdemokratische Handschrift, so schrieb der Heizungsmonteur, der aus einer traditionell roten Familie stammt. Rudolf Kailer aus Bautzen hat den Text gelesen. Und sich "schrecklich aufgeregt", wie er sagt.  

Unbeugsamer alter Sozi

Auch Kailer ist ein "alter Sozi", wie er selbst sagt, "unbeugsam", nennt er sich selbst. Als Gerhard Schröder damals Kanzler wurde, hat der heute 62-Jährige gefeiert, denn der soziale Neoliberalismus des Niedersachsen gefiel dem gebürtigen Ostdeutschen sehr. Leistung und Selbstbestimmung seien ihm, der im Herbst 1989 immer wieder auf der Straße war, ganz besonders wichtig. Mit dem Koalitionsvertrag habe er deshalb "auch so" seine "Probleme". Kailer sagt, es sei ihm "zu viel Merkel und zu wenig Helmut Schmidt" in dem Papier. Doch gibt es eine Alternative? Der Schalenmonteur, der seit zwei Jahren gesundheitsbedingt im Ruhestand ist, sagt nein.

"Warum ich als alter Sozi für den Koalitionsvertrag stimme (und warum ihr das auch tun solltet)" hat er seine Erwiderung an Serhan W. überschrieben. Kailer rechnet nicht damit, den "Genossen aus dem Westen" umstimmen zu können. "Der schien mir doch sehr festgefahren in seiner Kontrahaltung". Aber vielleicht erreiche er ja den einen oder anderen in der Partei. "Ich höhre ja von meinen Genossen hier, dass viele noch überlegen."

Bloß nicht verzagen

Ich bin also der Rudolf, 62 Jahre alt, früher Montagearbeiter, geboren in Bautzen, hier aufgewachsen und immer noch zu Hause. Und ich sage euch gleich zu Anfang: Verzagt nicht! Ich hab mein Leben lang für die rote Fahne gestanden – und das nicht nur, weil ich mal auf einer Maikundgebung zu tief ins Bierglas geguckt hab. Mein Opa hat schon 1919 in der SPD den ersten Betriebsrat mitgegründet, meine Mutter hat nach dem Krieg die Wohnfahrt (Arbeiterwohlfahrt, Awo) in unserer Siedlung aufgebaut, und ich hab mit elf das erste Mal vor dem Westfernsehen gesessen und Willy Brandt reden sehen. Ich war sofort auch Sozialdemokrat, obwohl wir im Osten das damals natürlich nicht sein durften.

Wer mir also erzählen will, ich hätte keine Ahnung von Sozialdemokratie, der kann gleich wieder einpacken und zur FDP gehen. Jetzt also dieser Koalitionsvertrag. Ich sag’s euch ehrlich: Ein Gedicht ist das nicht. Wenn ich den lese, hab ich nicht das Gefühl, dass Willy Brandt aus dem Grab springt und "Mehr Demokratie wagen!" ruft. Im Grunde genommen ist das ja ein Demokratieabbauplan, mit dem sie uns richtig an die Kandare nehmen wollen. Da geht es um mehr Überwachung, um mehr Betreuung und Bemutterung. Ehrlich gesagt: Ich hasse das! Wir hatten das in der DDR und ich will das nie wieder.

Warte nicht auf bess're Zeiten

Aber - und das ist für mich der entscheidende Punkt – wir leben nicht in Willy-Brandt-Zeiten. Wir leben im Jahr 2025, und draußen vor der Tür steht der Sturm. Wer jetzt glaubt, wir könnten uns in die Opposition verkriechen, eine Tasse Tee trinken und warten, bis die Sonne wieder scheint, der hat nicht verstanden, wie ernst die Lage ist. Es gibt keine Erneuerung in der Opposition, es gibt kein Luftholen, Kraftsammeln und dann stärker zurückkehren. 

Das ist alles Quatsch. Wer die Macht nehmen kann, der muss zuigreifen, das sagt mir meine ganze Lebenserfahrung. Ich hab ja schon allerlei erlebt. Der Honecker ist meiner erste Erinnerung an Staatsmacht, unter dem haben wir richtig gelitten. Was für ein Glücksgefühl, als Helmut Kohl uns da rausgeholt hat! Meiner Partei habe ich es damals sehr nachgetragen, dass sie den Osten nicht haben wollte. Zum Glück gab es die großen Alten, Brandt und Schmidt, die da nicht mitgespielt haben.

Die Rechten nicht rechts überholen

Aber was jetzt passiert, ist eine ganz andere Nummer. Die AfD steht in Umfragen bei 25 Prozent, vor der Union, sagen manche. Und die CDU versucht, die Rechten rechts zu überholen. Die sehen nicht mal dass das die FDP komplett zerstört hat. Denen ist nicht zu helfen, glaube ich. Was glauben die denn, wer von den AfD-Wählern hier bei uns auf eine billige Kopie der Blauen wartet? Und wir? Wir Sozialdemokraten stehen da wie das letzte Aufgebot der Vernunft, und alle erwarten, dass wir die Demokratie noch mal aus dem Feuer holen. 

Zu viel verlangt. Wenn die Union so weitermacht und wir nicht gegensteuern, dann platz der demokratie der letzte Lack ab. Ich weiß, was manche jetzt sagen werden: "Rudolf, das ist doch Panikmache! Die SPD muss sich treu bleiben, lieber in Würde untergehen als sich verbiegen!" Ja, Genossen, das klingt schön. 

Eine Geschichte der Verantwortung

Aber ich sag euch was: Die Geschichte der SPD ist nicht die Geschichte des Untergangs, sondern die Geschichte davon, dass wir immer dann Verantwortung übernommen haben, wenn es sonst keiner getan hat. 1918, als das Kaiserreich zusammengebrochen ist. 1949, als die Republik aufgebaut wurde. 1969, als Willy Brandt das Land modernisiert hat. Und jetzt, 2025, stehen wir wieder an so einer Schwelle. Wir werden uns verbiegen müssen, um im Rücken gerade zu bleiben!

Klar, ich hätte mir auch mehr sozzialdemokratsiche Handschrift gewünscht. Mehr Europa, weniger Grenzkontrollen, ein bisschen weniger CDU im Text und ein bisschen mehr SPD im Herzen. Aber mal ehrlich: Lars und Saskia sind nicht unbedingt die Art Sozialdemokraten, die ich bewundere. Für mich sind das blutleere Funktionäre aus dem Westen, die noch keinen Augenblick ehrlich geschuftet haben wie unsereins. 

Wir haben keine Alternative

Was ist die Alternative? Noch mal vier Jahre Blockade, während die Rechten das Land aufheizen? Eine Minderheitsregierung, die bei jedem Gesetz bibbern muss, ob sie durchkommt? Oder Neuwahlen, bei denen am Ende die AfD mitregiert und wir alle gemeinsam hoffen, dass uns alte Sozialdemiokraten und Sozialisten nicht doe Polizei abholt, morgens um fünf?

Der Koalitionsvertrag ist nicht perfekt. Aber er ist vielleicht das Beste, was in dieser Lage rauszuholen war. Und er trägt ja unsere Handschrift – auch wenn sie manchmal ein bisschen zittrig ist. Wir haben das Rentenniveau gesichert, die Grundsicherung verbessert, bei den Sanktionen eine Formulierung herausgeholt, die gar nichts ändert, wenn alles glatt geht. Es ist besser als Hartz IV, wobei ich das eigentlich gut fand. Dazu als Bonbon den Mindestlohn hochgeschraubt, Investitionen in Bildung und Brücken gesichert, neue Kredite in ungeahnter Höhe verfassungsfest vereinbart. er da sagt, das sei alles nur CDU-Politik, der hat entweder den Text nicht gelesen oder will einfach nicht sehen, was wir erreicht haben. 

Kontrollen sind Notwehr

Was die Grenzkontrollen betrifft, sehen wir Leute hier an der Grenze  da gar keinen Verrat, sondern Notwehr. Ich bin auch kein Freund davon, denn wir hier fahren alle rüber nach Polen zum Tanken, zum Einkaufen, viele auch zur Arbeit. Aber seien wir doch ehrlich: Ohne Grenzkontrollen wird es nicht gehen, wenn wir nicht wollen, dass die AfD jeden Tag neue Angstkampagnen fährt und die CDU begeistert einstimmt, um uns Linken die Schuld für irgendwelche Messerattentate zuzuschieben.

Wer glaubt, wir könnten mit einem offenen Brief an Ursula von der Leyen die Probleme an den Außengrenzen lösen, der hat die letzten Jahre im Winterschlaf verbracht. Von der Leyen tut nur, wozu sie sich gezwungen sieht. Schon immer. Wer auf Europa hofft, der ist verloren. Ehe von dort etwas kommt, hat die AfD Deutschland schon in den Dexit gezwungen. Nein, wir müssen Europa schützen – und dazu gehört eben auch, dass wir zeigen, dass wir die Kontrolle behalten. Das ist kein Verrat an Europa, das ist der Versuch, die EU zu retten, die es, das sieht doch jeder, selbst nicht schafft. 

Sanktionen bis zum Hungertuch

Dass ich bei unserer künftigen Sozialpolitik keine Bauchschmerzen habe, Bauchschmezen, von denen auch viele andere Genossinnen und Genossen berichten, will ich ja gar nicht behaupten. Ich habe sie! Aber schaut euch doch mal an, was die Union gefordert hat: Arbeitsdienst für alle, die nicht spuren, und Sanktionen bis zum Hungertuch. Für mich ist klar: Es wird sicher nicht besser werden für die Armen. Aber wir haben das Schlimmste verhindert und das Beste rausgeholt, was in dieser Situatioin möglich war. Genossen, wir haten nicht einmal 17 Prozent der Wähleer hinter uns! Was erwartet ihr denn da?

Ich sage: Die Grundsicherung bleibt sozial, die Mitwirkungspflichten sind hart, ja, aber sie sind nicht unmenschlich. Und der Mindestlohn von 15 Euro ist ein Meilenstein – das hätte es mit der Union alleine nie gegeben. Es ist ja nicht so, dass von dieser Erhöhung nur die Mindestlöhner profitieren werden. Ich sage Euch: Jeder, der jetzt 15 Euro bekommt, vielleicht als qualifizierter Bauhelfer oder als Küchenmitarbeiter in der Gastro, wird zu seinem Chef sagen, hey, Boss, ich brauch mehr Geld - wenn er spitzkriegt, dass der ungelernte und überhaupt nicht qualifizierte Nebenmann auch 15 Euro einsteckt, obwohl er viel weniger leistet.

Alle klagen seit Jahren

Wer mir erzählt, dass die SPD in der Wirtschaftspolitik nichts mehr zu melden hat, dem empfehle ich mal ein Gespräch mit einem Mittelständler aus unserer Ecke hier. Die klagen alle seit Jahren. Aber was wird das für ein Boom werden, wenn jetzt die Milliarden Investitionen in Infrastruktur, die Entlastungen für kleine Einkommen, der Industriestrompreis, wenn das alles kommt. Ich sage: Das alles sind sozialdemokratische Erfolge. Klar, einem alten Sozi wie mir tun die Steuersenkungen für Unternehmen weh. Das Geld sähe ich auch lieber woanders angelegt, in höheren Sozialleistungen und niedrigen Mieten zum Beispiel.

Aber ohne Wirtschaftswachstum gibt’s auch keine Arbeitsplätze und schon gar keine sozialen Leistungen. Wir haben das in der DDR erlebt. da wurde nichts investiert, noch länger als in der Bundesrepublik. Und so sah es am Ende dann auch aus. Fürchterlich. Alles kaputt. Alles verrostet und vom Zahn der Zeit zerstört. Das ist die Realität, und wer das nicht sehen will, der hat die letzten 60 Jahre verschlafen.

Der böse Nachbar

Als Rentner, der vor 40 Jahren Uniform anziehen musste, habe ich zur Friedenspolitik eine feste Meinung. Ich bin kein General, ich will auch keiner sein. Aber selbst ich hab verstanden, dass wir in einer Welt leben, in der Putins Panzer nicht mit Friedensgebeten aufzuhalten sind. Der Friede muss bewaffnet sein, haben sie uns in der Schule einreden wollen. Aber heute muss ich sagen, da ist was dran. Damals hielten wir das für Schwachsinn, reine Propaganda. Kein Mensch kann in Frieden leben, wenn es der böse Nachbar nicht will! Fakt.

Wir investieren in die Bundeswehr, ja, aber nicht, weil wir Krieg wollen, sondern weil wir Frieden sichern müssen. Das ist kein Widerspruch zur sozialdemokratischen Tradition – das ist ihre Fortsetzung unter veränderten Bedingungen. So schwer es fällt, auch hier wieder Geld auszugeben, das woanders besser angelegt wäre - es nützt doch nichts, Genossen.

Opposition ist Mist

Ich hab nie verstanden, warum manche Genossen meinen, wir müssten uns in die Opposition zurückziehen, um unsere heilige sozialdemokratische Seele zu retten. Gar nicht, sage ich. Opposition  ist Mist, hat Franz immer gresagt! (Müntefering) Die SPD war immer dann am stärksten, wenn sie Verantwortung übernommen hat, wenn sie mutig genug war, Kompromisse zu schließen. Wir haben damals den Kriegskrediten für den Ersten Weltkrieg zugestimmt, weil es um die Nation ging. warum also jetzt nicht?

Mein Opa zum Beispiel hat 1920 oder so gegen die Kapp-Putschisten gekämpft. Darauf bin ich stolz, daraus ziehe ich auch die Kraft, dass wir heute sagen können: Ja, wir machen das mit, aber das ist nicht das letzte Wort der Geschichte. Unser Angebot an die Menschen muss Glaubwürdigkeit sein. Die bekommen wir aber nicht,w enn wir nach wochenlangen Verhandlungen jetzt sagen, nöö, das dieser Koalitionsvertrag ist uns nicht schön genug. Ich stimme ihm deshalb zu - nicht, weil ich ihn liebe, sondern weil ich weiß, dass Deutschland uns jetzt braucht, weil es keine Alternative hat.

Die Gefahr der Rechtsregierung

Ja, jetzt sagen vielleicht mache: Gibt's doch. Lasst doch die Union versuchen, mit der AfD im Bundestag zu regieren. Dann werden alle am schnellsten sheen, wie das vor den Baum geht. Aber ich sage Euch was: Das kann auch ins Auge gehen. Was wäre denn, wenn das klappt? Wenn die CDU sich anschließend endgültig nach rechts verabschiedet? Wenn die beiden nach 2029 koalieren? Um die Sozialpolitik von gestern wieder zum Maßstab zu machen, der Wirtschaft die gemeinsam mit den EU-Partner verpassten Fesseln abnimmt und wir hier Wildwest-Zustände wie in Amerika bekommen?

Ich wills nicht erleben. Und deshalb sage ich: Lieber ein Koalitionsvertrag mit Kompromissen als ein Deutschland, in dem wir uns in ein paar Jahren fragen, warum wir nicht gehandelt haben, als es noch möglich war. Nicht, dass wir etwas Gutes bekommen, beileibe nicht. Aber wir müssen doch handeln, solange es geht. Und deshalb müssen wir jetzt Verantwortung übernehmen, nicht irgendwann morgen oder in ein paar Jahren, wenn alle aus ihrem Traum von einer neuen Fortschrittskoalition der vielen linken Parteien aufgeacht sind. Jetzt ist die Stunde, in der wir Sozialdemokraten noch da sind, dass unser Ideen mehr als Nostalgie sind und dass unser Spitzenpersonal vielleicht nicht überzeugt ist, aber doch die letzte Kraft, die dieses Land zusammenhalten kann, wenn alle anderen auseinanderlaufen.

Mittwoch, 23. April 2025

Erfolgsmodell Euro: Bilanz des Schreckens

Euro Verschuldung EU-Staaten EU-27
Eine Bilanz des Schreckens: Der Euro lädt zu höherer Verschuldung ein, produziert aber weniger Wachstum.

Niemals eine große Krise ungenutzt verstreichen lassen, sich niemals irritiert zeigen, wenn wieder einmal ein Plan nicht funktioniert hat. Ursula von der Leyen hat "Europa freier gemacht" (CDU, nicht nur ihr allein aber haben 440 Millionen Europäer es zu verdanken, dass die Staatsschulden in der Eurozone sind im Jahr 2024 einmal mehr leicht gestiegen sind. Und einmal mehr deutlich mehr als in dem Teil Europas, der zur EU gehört, die Einführung der Gemeinschaftswährung aber immer noch hinhaltend verweigert.  

Ein großer Plan

Dahinter steckt langfristige Arbeit, die Arbeit von Generationen. Seit den Geheimgesprächen zum Abschluss des Hades-Planes an jenem 27. September 1991, der die Weichen für das heutige Europa stellte, haben mehrere Kommissionen, eine ganze Reihe von EZB-Chefs und zahllose Regierungen in der EU alles getan, um den Euro zu dem Erfolg zu machen, der er heute ist. Zahlen lügen nicht: Der öffentliche Schuldenstand der Euro-Länder erhöhte sich zuletzt  auf 87,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die sieben Nicht-Euro-Länder in der EU eingerechnet, liegt er die Staatsschuldenquote im Durchschnitt nur bei 81,0. 

Eurostat, die EU-Statistikbehörde, weist den Schuldenstand der sieben Nicht-Euro-Staaten nicht eigens aus. Die Gesamtschau aber zeigt, dass er deutlich niedriger liegt als der der Euro-Staaten. Ein Phänomen, das eine lange Geschichte hat: Staaten ohne Euro hatten schon immer im Durchschnitt niedrigere Schulden als Staaten, die den Euro bei sich eingeführt hatten. Sie haben eigene und oft unabhängige Zentralbanken und damit kaum die Möglichkeit, Schulden auf Kosten anderer Schuldner aufzunehmen.

Es kostet nichts

Ist der Euro erst Landeswährung, erlaubt es die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, auch mal was anschreiben zu lassen, das eine nichts kostet. Dadurch wird der Spielraum kleiner, auch fehlt die Möglichkeit, die eigene Währung abwerten zu lassen. Aber der Zugang zu Krediten ist einfacher. Ein Tausch Souveränität gegen Fremdfinanzierung, bei dem sich 20 von 27 Staaten für die zweite Variante entschieden haben. Eigentlich müssten alle, abgesehen von Dänemark. Nur wollen tun sie nicht. 

Es gibt keinen Zwang für Mitgliedstaaten der, den Euro einzuführen. Aber eine bindende Verpflichtung: Alle EU-Staaten müssen den Euro einführen, sobald sie die Konvergenzkriterien erfüllen.  Die meisten der Länder, die es könnten und damit zwingen müssten, vermeiden es jedoch tunlichst. Seit 2007 traten nur sieben weitere Staaten bei, alle zwei Jahre eins. Zuletzt kam Kroatien hinzu, acht Jahren, nach Litauen, das das Schwundgeld 2015 eingeführt hatte.

Polen, Ungarn, Tschechien, aber auch Schweden und Dänemark, vier echte Wachstumsraketen im Blindgängerarsenal der Gemeinschaft, scheuen schon länger jedes Gespräch über ihre Verpflichtung aus den Maastricht-Verträgen. Die EU meidet jede Erwähnung der Frage mindestens ebenso streng, denn frühere Ankündigungen, dass Bulgarien (2021) und Rumänien (2022) wären jetzt so weit und bereit, haben sich als Falschmeldungen herausgestellt.

Die Euro-Musterschüler haben keinen

 Bulgarien, mit einer Schuldenquote von nur 24 Prozent ein EU-Musterschüler, wird wissen, weshalb.  Denn auffälligerweise sind nicht nur unter den sechs am wenigstens verschuldeten EU-Staaten drei ohne Euro -  neben Bulgarien Dänemark (31,3 Prozent), Schweden (33,5 Prozent). Sondern unter den am höchsten verschuldeten auch ausschließlich Euro-Zahler: Griechenland (153,6 Prozent), Italien (135,3 Prozent), Frankreich (113,0 Prozent), Belgien (104,7 Prozent) und Spanien (101,8 Prozent). 

Sie alle reißen wie sieben weitere Euro-Staaten die Maastricht-Kriterien, die für einen Beitritt zur Euro-Zone Voraussetzung sind. Deutschland (62,5 Prozent) tut das seit Jahren auch, damit ist das Problem vom Tisch: Die Minderheit der 13 Staaten, die heute noch um eine Zulassung zur Gemeinschaftswährung bitten dürften, besteht aus Kleinstaaten, Nicht-Euro-Ländern, Steueroasen und Google-Kolonien. 

Unlust und Erschrecken


Die größeren darunter - etwa Schweden, Ungarn und Polen - wollen nicht. Die EU aber kann nicht. In Erwartung, dass der Euro ein Selbstläufer wird, der wie ein Magnet Mitgliedsstaaten anzieht, war vergessen worden, Strafen für die Verweigerung der Einführung vorzusehen. Der legendäre EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junckers hatte das öffentlich eingeräumt: Er könne ja Länder nicht "in den Euro zu zwingen, die nicht in den Euro wollen oder können". 

Die große Stärke der europäischen Gemeinschaft zeigt sich vor allem darin, dass sie unbeirrt am Kasperletheater um die "Konvergenzberichte" fest. Kommissionen bescheinigen den Beitrittskandidaten darin etwas, dass "Schweden das Kriterium der Preisstabilität" erfülle, Bulgarien, Tschechien und Schweden sogar das "für die langfristigen Zinssätze" und dass die Vorfreude auf den Euro überall groß ist

Vorfreude schönste Freunde

Sie vergeht allerdings rasend schnell: Kroatien hat mit der Euro-Einführung sofort den Spitzenplatz in der Inflationstabelle erklommen. Am Wachstum kann es nicht liegen, denn traditionell liegt das in den Staaten ohne Euro höher als in denen mit. So zuverlässig sich die Staatsverschuldung der Länder in der Euro-Zone sich immer weiter vom 60-Prozent-Ziel entfernte, so stur lagen die Wachstumsraten in den Euro-Ländern unter denen ohne. Selbst das Licht am Horizont, wenn es schon mal scheint, ist draußen heller: Geht es mal abwärts, dann dort schneller, wo der Euro Landeswährung ist.

SPD-Mitgliederentscheid: Genosse in Gewissensnot

Jetzt ist unsere Zeit: Serhac K. (r.) würde sich eine Fortsetzung der Regierungsbeteiligung der SPD wünschen. Doch ihre Grundwerte sollte sich seine Partei deshalb nicht abhandeln lassen, sagt er.


Dass wir wieder dabeisein werden, das hat mich schon gefreut. Ich bin SPD-Mitglied, aber eins aus Überzeugung. Also eins von denen, die noch wissen, was ein rotes Parteibuch ist, und die sich sonntags um 10 Uhr im Ortsverein den Filterkaffee in die Tasse kippen, während sie sich fragen, ob unsere Partei jetzt links, rechts oder einfach nur geradeaus in den Abgrund marschiert. Was haben wir nicht alles an Kompromissen gemacht! Die ganzen Jahre, auf die ich sehr stolz bin, kam hinten nie SPD raus, wo wir Genossen vorn Herzblut reingesteckt haben. 

Ein stolzer Sozialdemokrat

Ich war auch stolz darauf, dass wir sagen konnten, wir haben länger mitregiert als irgendwer anders, wir haben am meisten  dafür gesorgt, dass Deutschland heute ist, wie es ist. Uns entgegenzuhalten, was wir alles nicht geschafft haben, Frieden, Gerechtigkeit, soziales Glück und die soziale Spaltung ab, das ist billig. Was wäre denn, hätten wir nicht ab und an mal die Regierung geführt? Und in der restlichen Zeit mitregiert?

Es ist für mich schon wichtig, festzustellen, dass wir es nicht wissen. Villeicht wöäre die Infrastruktur noch kaputter? Das Bildungssystem vollkommen erledigt? Die Wirtschaft ganz weg? Richtig optimistisch bin ich auch nicht, das gebe ich zu. Es war mehr drin. aber nun liegt wieder mal ein Koalitionsvertrag auf dem Tisch bei uns in der Stube, und wieder darf ich als einfacher Genosse abstimmen. Und mein Gefühl ist, es geht diesmal darum, ob wir uns diesmal endgültig selbst abschaffen oder noch ein paar Jahre auf Sparflamme weiterwursteln.

Besser weiterwursteln

Ich meine schauen Sie doch zurück. Da war Olaf Scholz, ein Mann, ein Wort, wir hatten Führung bestellt und er wollte Fortschritt liefern. Was rausgekommen ist, haben Sie sicher auch mitbekommen. Nichts mit Führung, nichts mit Fortschritt. Hohngelächter. Selbst wir an der Parteibasis hatten keine Lust mehr, den Bockmist zu verteidigen, den die in Berlin zusammenregiert haben. 

Aber Blut ist dicker als Wasser. Dass wir bei der Wahl einen Dämpfer bekommen, war zu erwarten gewesen, dass danach die Chance besteht, alles besser zu machen, hat mich aber trotzdem gefreut.Es fiel riesige Last von uns allen ab, als klar wurde, dass sich meine Parteiführung schließlich mit denen geeinigt hat, mit denen wir alle kurze Zeit zuvor nie wieder an einem Tisch hatten sitzen wollen. Demokraten können aber eben über ihren Schatten springen, wenn es um wichtigere Dinge als die Brandmauer und den Kapmf gegen rechts geht.

Ich lag immer richtig

Jetzt also Mitgliederentscheid. Ich habe mehrere mitgemacht und es hat immer bedeutet, dass es letztenendes auf mich ankam. Ich verate Ihnen mal was: Die Mehrheit hat immer so abgestimmt wie ich! Auch diesmal steht es Spitze auf Knopf, denke ich. Die Jungen in der Partei sind wohl weitgehend dagegen, die Pragmatiker und Funktionäre mehr dafür. Wir Älteren sind froh, eine weitere Legislaturperiode obendran zu bleiben, ich sage immer, Regierungsbeteiligung ist nicht Champions League, aber Pokalsiegercup oder wie das heute heißt. 

Trotzdem ist es schwer. Ich habe den Koalitionsvertrag gelesen, richtig wie früher im Parteilehrjahr mit Stift und Notizblock. Aber was das Gefühl betrifft, stehe ich nun mitten dazwischen und weiß nicht, was ich denken soll. Dagegen? Dafür? Ich würde meine Hand gern führen lassen vom glücklichen Gefühl, zu wissen, dass wir die nächsten vier Jahre weiterhin oben mitspielen. Aber der Gedanke, was wir dafür preisgeben, der lähmt mich richtig. 

Erschrocken über Zugeständnisse

Also ganz ehrlich:Ich bin erschrocken über die Zugeständnisse an CDU und CSU, die Lars und Saskia gemacht haben. Brutale Zurückweisungen an den Grenzen? Vielleicht mit Waffengewalt? Zustimmung zum neuen europäischen solidarischen Asylsystems mit sicheren Herkunftsländern wie Tunesien und Ägypten? Ich war dort schon im Urlaub und ich weiß, da liegt sehr vieles im Argen! Wir bekommen weiter keine Reichensteuer, keine Regeln zum Abschöpfen von Übereinkommen, keine Anpassung des Mindestlohns an die Rente und kein bedingungsloses Grundeinkommen. Wenn ich rückhaltlos offen und ehrlich bin, muss ich Ihnen sagen, Herz und Hirn schreien nach Ablehnung.

Ich will nicht, dass dieses Land keine offenen Arme mehr! Ich will nicht, dass wir uns weigern, am Bahnhof Applaus zu spendieren und unseren Wohlstand zu teilen. Ich bin auch eher ein Freund des Friedens und der Völkerverständigung, würde es also gern sehen, wenn wir ein Abkommen mit Putin treffe, um den Krieg zu beenden - und zwar am besten, bevor das Trump macht. Dessen Gesicht würde ich nämlich gern sehen! 

Es grummelt im Bauch

Aber dazu steht nichts im Koalitionsvertrag. Deshalb grummelt es mir im Bauch. Ich habe die letzten Wochen alles gelesen: Koalitionsvertrag, Kommentare, Facebook-Posts von Leuten, die ich nicht kenne, aber die trotzdem wissen, was für die SPD gut ist. Und ich habe gelernt: Egal, wie ich abstimme, die AfD regiert danach sowieso spätestens ab 2029, die SPD wird einstellig und Olaf Scholz und unsere anderen Spitzenleute landen vor Gericht. Ich glaube das nicht. Aber ich sehe auch nicht, wie es anders kommen soll.

Denn offen gesagt: Groß geredet wurde zuletzt in der Partei nicht mehr. Früher, als ich ein ganz junger Genosse war, da gab’s bei uns noch richtige Debatten. Da wurde gestritten, da wurde gerungen, da wurden notfalls auch mal die Stühle gerückt. Heute gibt es Ansgaen von oben. Und Warnungen, dass die Einheit der Partei das Wichtigste ist. Bloß keine Fehlerdiskussion! Sogar Drohungen kann man sich abholen. Mir hat ein Genossevon Kreisvorstand geschrieben: !"Wenn du gegen die GroKo stimmst, ist die SPD tot." Ein anderer hat mich gewarnt: "Wenn du für die GroKo stimmst, ist die SPD tot." Ich habe also die Wahl zwischen Pest und Cholera. Demokratie, wie sie leibt und lebt.

Dann kommt die AfD


Ich sehe ja die verfahrene Lage. Wenn wir jetzt nicht mit der Union koalieren, kommt die AfD an die Macht, weil es dann Neuwahlen gibt oder der Merz sich vorher einen schlanken Fuß macht und eine Minderheitsregieurng von der weidel tolerieren lässt. Aber wissen wir es denn wirklich? Ich frage mich manchmal, ob wir noch Politik machen oder schon Astrologie betreiben. Könnte es nicht sein, dass bei Neuwahlen endlich viele verstehen, wie wichtig und bedeutsam eine starke SPD ist? Und wir wieder 30 oder 40 Prozent holen? 

Für mich ist das nicht nur eine Gefahr, sondern auch eine Chance. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine Große Koalition. Ich bin ja auch nicht grundsätzlich gegen Zahnarztbesuche oder Überstunden. Aber irgendwann ist doch mal gut. 

Ich träume von Angela Merkel

Wir haben jetzt schon so oft mit der Union regiert, dass mir nachts manchmal Angela Merkel im Traum erscheint, wie sie mir das Parteibuch wegnimmt und durch einen CDU-Mitgliedsausweis ersetzt. Und jetzt, wo Merz die Union endgültig zur AfD light umgebaut hat, sollen wir noch mal mitspielen? Vielleicht gleich mit Parteifusion, dann sparen wir uns wenigstens die doppelten Mitgliederbeiträge.

Alles, was wir immer wollten, will diese Regierung abwickeln. Keine rede mehr von den Vereinigten Staaten von Europa! Stattdessen Grenzkontrollen! Ich dachte immer, auch die CDU ist die Europapartei. "Für ein Europa ohne Grenzen", stand auf deren Plakaten, als ich noch jung war und die Haare dichter. Jetzt wollen sie Grenzkontrollen, als wären wir wieder 1985 und Helmut Kohl hätte gerade den Schlagbaum in den Kofferraum gepackt. Und mit Nancy Faeser hat der Merz auch das richtige Personal: Die ist noch stolz darauf, Menschen zu trennen! 

Kein Rechtsruck mit mir

Klar, wir müssen die AfD bemämpfen, damit sie nicht zu viel Zustimmung bekommt. Aber muss ich dafür gleich die europäische Einigung beerdigen? 75 Jahre erfolgreiche Friedenspolitik in die Tonne hauen? Von Bürokratieabbau schwärmen wie Donald Trump? Und den demokratischen  Rundfunk insgesamt infragestellen? Ich sehe schon die Schlagzeile: "SPD hilft CDU beim Rechtsruck – Europa schaut traurig zu." Dann würde ich doch lieber bei den Grünen eintreten. Einfach fürs Herz.

Im Koalitionsvertrag steht das mit den Zurückweisungen an der Grenze definiv drin, zum Glück aber nicht so, dass es nach einer geplanten Umsetzung klingt. Sie wollen da mit den anderen Ländern reden, also genau wie bisher eigentlich. Aber mich störts dennoch. Wenn man Neuankömmlingen kein freundliches Gesicht mehr zeigt, sondern erst mal eine Sicherheitsüberprüfung anordnet, eine Wartefrist und einen Stapel Formulare überreicht, dann ist das nicht mehr mein Land.

Gegen Umfragewertepolitik

Ich frage mich, wie wir das unseren europäischen Nachbarn erklären wollen. "Sorry, wir machen jetzt wieder dicht, aber nur ein bisschen. Ist ja nur vorübergehend. Also vielleicht auch für immer. Mal sehen, wie die Umfragewerte sind." Ernsthaft? Und dann die Sozialpolitik! Bürgergeld umbenennen,  Sanktionen verschärfen. Wer zweimal nicht zum Termin kommt, kriegt das Geld gestrichen. Wer dreimal nicht kommt, ist raus. 

Haben wir kein Grundgesetz mehr, das jedem das Existenzminumum sichert, ob er nun arbeitet oder nicht? Ich dachte, wir sind die Partei der sozialen Gerechtigkeit? Jetzt sind wir die Partei der Arbeitsvermittler mit erhobenem Zeigefinger. "Fördern und fordern" hieß das mal. Jetzt heißt es nur noch: "Fordern, fordern, fordern – und wenn du nicht spurst, gibt’s nix mehr."

Neoliberalismus in reinster Form


So geht das nicht. Das ist Neoliberalismus in reinster Form. Und dann die Aufrüstung! Wie damals beim Kaiser und bei Helmut Schmidt sind Kriegskredite wieder sozialdemorkatische Herzenssache. Wir stärken die Verteidigungsfähigkeit, hat Lars gesagt. Ich habe ja auch nichts gegen eine starke Bundeswehr. 

Aber mir war es doch lieber, als unsere Partei so konsequent gegen den Krieg war, dass sie sogar mit Gruselgestalten wie Breshnew, Honecker und Jaruzelski im Gespräch gebliben ist. Was haben wir damals nicht gegen Aufrüstung demonstriert! Gegen den eigenen Kanzler waren wir für den Frieden! Heute wollen wir ein Koalitionsvertrag unterschrieben, der die NATO bestimmen lässt, wie viel Geld künftig noch für die Armen, die Alleinstehenden und die Wohnungssuchenden übrig bleibt.

Ich war lieber für den Frieden


Das konsterniert mich. Ein guter Genosse fragte neulich, wann der Vorstand wohl den ersten SPD-Bundeswehrsong aufnimmt. "Panzer vorwärts, nie zurück, Panzer fahren für das Glück." Und gegen die AfD noch die Wehrpflicht obendrauf. Bisher haben wir ja Billionen für Waffen, aber wohl noch keine Leute in Aussieht, die schießen. wer nicht will, der bekommts wie beim Bürgergeld: Zweimal nicht in der Kaserne erschienen, kriegt die Grundsicherung gestrichen.

Das ist mir zu viel Zwang für eine freiheitliche Gesellschaft. Serhac, halt den Mund, sagen dann manche Genossen, zu überziehst. Natürlich, aber ist es denn nicht wirklich alles ganz beschissen? Dann könnten wir doch genausogut gleich jede Kritik an der Regierung verbieten, mehr Überwachung anordnen, Meinungen behördlich erlauben lassen und jeden Widerspruch als Hohn unter Erlaubnisvorbehalt zu stellen. Wo leben wir denn!

SPD-Politik für Überreiche

Mich haben Saska und Lars verloren. Körperschaftsteuer runter, Bürokratie runter, Stromsteuer runter und ein extra Strompreis für Großkonzerne, damit sie hier mit KI mehr Arbeitsplätze vernichten können. Und für uns? Steuersenkungen in zwei Jahren, wenn es die Kassen zulassen. Aber auf jeden Fall höhre Krankenbeiträge. Also wie immer alles runter, außer die Preise und die Mieten, die gehen natürlich weiter rauf. Ist das sozialistische Politik? Können wir uns damit im nächtsen Landtagswahlkampf auf der Straße sehen lassen?

Ich sehe es nicht. Und mir leutet auch das Argument nicht ein, dass all das alternativlos ist, weil sonst kommt die AfD. Ich weiß nicht, wie oft ich das schon gehört habe. Wenn ich jedes Mal einen Euro bekommen hätte, könnte ich die SPD alleine retten. Wissen Sie, was ich da sage? Das ist ein Popanz. Die kommt nicht. Die hat nicht die Leute. Und wenn sie kommt, geht sie auch ganz schnell wieder. Und mal ehrlich: Wenn wir alles mitmachen, was die Union will, nur damit die AfD nicht gewinnt, sind wir dann noch SPD? Oder sind wir dann nur noch die Union mit sozialdemokratischem Anstrich?

Erneuerung in der Opposition

Ich habe manchmal das Gefühl, wir Sozialdemokraten sind wie der Typ, der beim Poker immer mitgeht, egal, was auf dem Tisch liegt. Am Ende ist das Geld weg, die Freunde auch, und der Kellner fragt, ob wir wenigstens das Trinkgeld bar zahlen können. Nicht mit mir.

Ich werde gegen den Koalitionsvertrag stimmen. Nicht, weil ich die Große Koalition grundsätzlich ablehne. Nicht, weil ich die Union nicht mag. Sondern weil ich glaube, dass wir irgendwann mal wieder für etwas stehen sollten, statt immer nur gegen etwas. Für Europa, für soziale Gerechtigkeit, für eine Politik, die nicht nur auf Umfragewerte schielt. 

Wenn das bedeutet, dass wir bei der nächsten Wahl einstellig werden, weil Wähler*nnen noch nicht verstehen, was wir wollen, dann ist das eben so. Dann erneuern wir uns in der Opposition und ich kann wenigstens sagen, wir haben dem Verlangen nicht nachgegeben, um der Macht willen Abschied von unseren Werten zu nehmen. Nein, wir sind anständig geblieben und den Preis dafür haben wir gern gezahlt.

Dienstag, 22. April 2025

System stürzen, Gras essen: Lob des Kriegskommunismus

Stylisch inszeniert, gibt Kohei Saito den an Selbstgeißelung interessierten Eliten im Westen den kompromisslosen Stichwortgeber für die Abschaffung von Demokratie und Marktwirtschaft. Dafür lieben sie ihn.

Die Klima kommt, und in Europa kommt es mit aller Macht. Der  Kontinent, der sich am eifrigsten bemüht, die Klimafolgen der eigenen Existenz zu bekämpfen, leidet am stärksten unter dem Versagen bei der Erfüllung seiner Aufgaben. Nur hier blockierten mutige junge Menschen massenhaft die Straßen, um den Verkehr zu stoppen und vom Bundeskanzler ein Überlebensversprechen zu bekommen. Nur hier wird Klimastabilität von Grundgesetz und den europäischen Verträge als Kinderrecht geschützt.  

Traum von weniger Wohlstand

Doch nicht nur hier träumen Menschen von weniger Wohlstand, sondern auch am anderen Ende der Welt. In Japan denkt der Philosoph Kohei Saito schon lange über eine Welt am Abgrund des Klimakollapses nach, die unbeirrt weitermacht mit ihren Versuchen, noch mehr Menschen aus Armut, Hunger und medizinischer Unterversorgung zu holen. Kohei Saito ist 38 Jahre als, ein "Vordenker der Degrowth-Bewegung" und gerade um den halben Globus gereist, um Europa die Vorzüge des auf Minuswachstum geeichten Kriegskommunismus zu predigen. Nur der, so sagt er, könne wieder in bessere Zeiten führen. 

Es ist ein erneuter Versuch, die Menschheit zur Umkehr zu bewegen. Viele sind schon unternommen worden, von deutschen Vordenkerinnen und Wirtschaftsministern, von Think Tanks wie dem Denkwerk Demokratie und Wirtschaftswissenschaftlernden wie Marcel Fratzscher. 

Abbau des Wohlstandes kommt voran

Deutschland steht am Ende aller Anstrengungen vergleichsweise gut da: Zum dritten Mal hintereinander wird die immer noch größte europäische Wirtschaftsnation in diesem Jahr nicht wachsen, sondern schrumpfen. Die Corona-Zeit mitgerechnet, gelang es sogar in vier der letzten fünf Jahre weniger zu produzieren und zu konsumieren als früher.

Zwar stiegen die Staatseinnahmen im selben Zeitraum noch kräftig, aber die Mehreinnahmen reichen nur noch für deutlich weniger als die geringeren Mittel, die früher zur Verfügung standen. Etwas ist erreicht worden, aber es ist zu wenig, sagt Kohei Saito, ein Spezialist für staatliche Planung und Öko-Kommunismus, der das als "Postwachstum" bezeichnete Gesundschrumpfen der Menschheit mit demokratischen Mitteln als nicht erreichbar ansieht.

Echter Zwang und brutaler Druck

Es braucht härtere Bandagen, echten Zwang und brutalen Druck, um die Menschen auf Linie zu bringen und der Natur zum Sieg über den Kapitalismus zu verhelfen, hat er jetzt in Hamburg empfohlen, wo der Professor der Universität Osaka beim Geisteswissenschaftlichen Zentrum  "Zukunft der Nachhaltigkeit" der dortigen Universität vorrechnete, dass "der kapitalistische Weg von kontinuierlichem Wachstum und Akkumulation" nicht mit der Endlichkeit der irdischen Ressourcen vereinbar ist. "Wir können kein weiteres Wachstum dulden", schlussfolgert der Degrowth-Marxist aus der "biophysikalischen Tatsache, dass unsere Ressourcen endlich sind, unsere Welt begrenzt ist".

Nicht jeder kann alles haben, wenn alle aber nichts beanspruchen, dann haben dennoch alle genug. Saito ist kein normaler Klimabewegter, der Menschen zutraut, gemeinsam zu lernen und langsam Fortschritte zu erreichen. Er will seine neue Welt aufbauen, indem er zu Verzicht zwingt, Bürgerinnen und Bürger entmündigt und dem Staat wieder die Macht zurückgibt, die er unter Stalin, Mao und Hitler hatte.

Zurück zum Kriegskommunismus

Er wolle "das Konzept des Kriegskommunismus wiederbeleben", sagt Saito, den augenscheinlich die Vorstellung fasziniert, alle verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen nach dem Vorbild der Pandemiezeit außer Kraft zu setzen. Das müsse so, sagt er, denn die Welt steuere "auf eine sich immer weiter verstärkende, weltumspannende Krise zu". Damit ist alles erklärt und alles entschuldigt.

Was früher der Sozialismus, der Kommunismus oder der abstammungsreine Volksstaat war, ist heute die CO2-neutrale Klimagesellschaft. Der kommende Klimakollaps zwinge "uns, das aufzugeben, was als business as usual" gilt, sagt er, ganz im kollektiven Duktus aller Weltenretter. "Wenn wir einfach so weitermachen, bedeutet das weniger Freiheit und mehr Chaos." Und um das zu vermeiden, muss die Freiheit vorbeugend neu definiert werden, denn "eine radikale Neukonzeption von Freiheit ist die erste Voraussetzung für eine Transformation".

Das Konzept Zwangsgefolgschaft

Frei soll nicht mehr sein, wer tun kann, was er will. Frei ist der, dem gesagt wird, was er wollen soll.  Weniger produzieren, weniger konsumieren, weniger privat, noch mehr Staat. In der totalitären Vorstellungswelt des japanischen Wanderpredigers für weniger von allem und für alle steht ein allwissender, alles vorausahnender und planender guter Staat als zentraler Mechanismus parat. Er teilt von oben herab Ressourcen zu, bestimmt über zulässige Bedürfnisse und sorgt für die "Kontingentierung und Konzentration auf die essenziellen Güter" (Saito).

Eine totalitäre Dystopie, die der Wissenschaftler stylisch inszeniert verkündet als handele es sich um ein Erlösungsversprechen. Bei den an Selbstgeißelung interessierten Eliten in Deutschland ist der Verfechter eines totalen Staates, der im Dienst einer dräuenden Klimagefahr alle Freiheiten unter Erlaubnisvorbehalt stellt, ein beliebter Guru.

Geht es nach Saito, darf es auch in der zusammenschrumpfenden, untergehenden Welt der Zukunft weiter privatwirtschaftliche Unternehmen geben. Aber es wird der Staat selbst sein, der lebenswichtige Güter und Dienstleistungen bereitstellt. Für alles andere gibt er Anweisungen: Unternehmen anweisen, mehr Elektrofahrzeuge und Solarmodule zu produzieren. Oder es ihnen verbieten.

Eine faschistische Fantasie

Subjektive Bedürfnisse kennt der Japaner so wenig wie die kommunistischen, sozialistischen und faschistischen Führer sie kannten. Wer vom anstehenden Klimakollaps ausgeht und sich selbst im Besitz des großen Rettungsplanes wähnt, denkt nicht anders als Lenin, Mao, Stalin, Pol Pot oder Hitler. Nach seinem Verständnis ist "die Art von Freiheit, die wir heute im Kapitalismus als selbstverständlich erachten" ohnehin schon verloren. Besser also jetzt, von oben und ohne falsche Rücksicht alles abschaffen, was zwischen den Rettern und der Rettung steht.

So verrückt das alles klingt, so ernst wird es genommen. Kohei Saito wird ganz ernsthaft nach seinen Ideen zur Abschaffung von Demokratie und Marktwirtschaft gefragt. Er wird von der "Tagesschau" als "Star-Philosoph" gefeiert. Sein Buch "Systemsturz", im Original von einem britischen Großverlag vertrieben, haben Hunderttausende gekauft. Alle wohl verzweifelt auf der Suche nach jemandem, der ihnen erklärt, warum sie nur in der Lage sind, von Konsum und Götzendienst am Goldenen Kalb abzulassen, wenn es ihnen ein knallhartes Klimaregime verbietet.

Der Irrwitz der Freiheit

Selten nur ist der Irrwitz der freiheitlichen Gesellschaften des Westen, Saito hat sich die Anregungen für seine übergriffigen Ideen beim Studium in Berlin geholt, deutlicher vorgeführt worden als durch diesen Mann. Der Umstand, dass sich der von der Profitmaschine Marktwirtschaft unterhaltene Wissenschaftsbetrieb einen Extremisten hält, der ernsthaft fordert, acht Milliarden Menschen sollten sich "auf eine Form der Selbstversorgung zubewegen", spricht für eine gewisse Grundverunsicherung. Dass der Mann  mit den faschistischen Fantasien überall Beifall bekommt für die Vorstellung, "Degrowth Communism can save the Earth", zeigt, dass der Amerikaner Chris Korda mit seiner Idee seiner Selbstmordkirche Church of Euthanasia nur zu früh dran war, um die ihm eigentlich zustehende Anerkennung zu bekommen.

Die Aberkennung gleicher Rechte 

Saito ist schicker und geschickter als der Verfechter eines freiwilliges Aussterben der gesamten Weltbevölkerung zum Schutz des Weltklimas. Der Bestsellerautor beteuert, dass seine Aberkennung gleicher Rechte für die meisten Menschen nicht auf Verboten und Verzicht basiert, sondern auf einer Neubewertung von Wohlstand und Glück jenseits ökonomischer Maßstäbe. 

Jedes Dorf, in das ein Prediger mit dieser Botschaft  in den zurückliegenden 10.000 Jahren gekommen wäre, hätte den Botschafter dieses Blödsinns entweder in Decken gewickelt, bis sein Fieber wieder sinkt, oder ihn schlicht aus der Gemeinde geprügelt. Fortschritt ist, wenn Quatsch mit ernsten Mienen betrachtet und im Kern faschistische Vorschläge mit großer Bewunderung bestaunt werden.

Regulieren als Freiheitsersatz

Keiho Saitos kruden Thesen mangelt es an Ernsthaftigkeit, nicht aber an dreister Umdeutung aller Grundwerte. In der Geschichte habe es genügend Beispiele für Epochen gegeben, in denen "Regulieren und Begrenzen als Freiheit galten", hat er der Taz verraten, wie sich Zwang in ein Gefühl von Freiwilligkeit verwandelt. Sein totalitärer Staat werde natürlich planen, einschränken und regulieren müssen. Aber das klinge nur "sehr nach autoritärer Verneinung von Freiheit". Sei aber eine Chance, die "eher philosophische Definition von Freiheit in der Tradition der Aufklärung" zu erkennen. Dann müsse "man eigentlich nicht so viel Angst vor Begrenzung und Regulierung haben".

Historische Tatsachen scheren den Star-Philosophen wenig. "Für die Mehrheit der Menschen bedeutet der Fortbestand des heutigen Kapitalismus den Verlust von Wohnraum und Arbeitsplätzen", schwatzt er daher und er prophezeit: "Es wird weniger von all den guten Dingen geben, die die Menschen genießen." Doch dafür sei nicht das geringer gewordene Wachstums verantwortlich, sondern der  Kapitalismus: Während der Sozialismus mit Planwirtschaft, Unfreiheit und Bevormundung verhindert habe, dass "Wohnraum der Finanzspekulation zugänglich" gemacht wird, schaffe das Wirtschaftssystem, das ihn besiegte, "mehr Unsicherheit, mehr Verluste und mehr Instabilität".

Lob des Kommunismus

Von alldem ist nicht einmal das Gegenteil wahr. Saitos Warnung, dass "Preise für Lebensmittel und Energie steigen" würden und "ebenso die Inflation", zeigt, dass der Philosoph des Anti-Konsumismus nicht einmal die grundlegenden Zusammenhänge des Wirtschaftlebens verstanden hat. Er versuche gerade, herauszufinden, dass "Kapitalismus Knappheit schafft", denn das wäre ein gutes Argument für den Kommunismus, der nachgewiesenermaßen König in der Disziplin der Knappheitsschaffung ist. Noch istb der Beweis nicht erbracht. Aber die Therapie dagegen hat Keiho Saito schon fertig: "Wir dürfen kein weiteres Wachstum mehr dulden."


Elitenwechsel: Die Austauschschüler

Wie hier im Vatikan ist auch auf der Weltbühne gerade ein großes Kommen und Gehen.

Der Papst ist tot, Klaus Schwab hat beim World Economic Forum mit sofortiger Wirkung gekündigt. Noch ein paar Tage nur, dann müssen auch Olaf Scholz und Robert Habeck Platz machen. Und um die Nachfolge des erfolgreichen Bundespräsidenten Walter Steinmeier, über die in zwei Jahren dringlich entschieden werden muss, gibt es heute schon Gerangel.  

Nur zwei

Eine Frau soll es machen, rufen die, die am überkommenden Konzept von den angeblich nur zwei existierenden Geschlechtern festhalten. Als Papst komme am ehesten ein Kirchenfürst aus Afrika infrage. 

Kanzler wird mit Friedrich Merz ein Mann, der frisch aus der Opposition kommt und noch nie eine Verwaltung geleitet hat. Das Wirtschaftsministerium würde ein studierter Soziologe besetzen, er folgt auf einen Germanisten und Philosophen, der so vieles richtig gemacht hat, dass seine Nachfolger beschlossen haben, seine Ideen endlich umzusetzen.

Die Welt steht vor dem Wandel, ein Elitenwechsel steht an. Namen werden noch nicht gehandelt, aber die Marschrichtung ist klar. Beim WEF übernimmt kommissarisch Peter Brabeck-Letmathe, ein früherer Nestlè-Chef, der seinen ökonomischen Sachverstand zuletzt mit einer Investition in eine Kaviarfarm unter Beweis stellte. 

Brabeck-Letmathe ist acht Jahre jünger als der 88-jährige Schwab, doch nicht nur wegen der beim letzten Treffen der konkurrieren Sicherheitskonferenz in München offenbar gewordenen Spaltung des Westens braucht die geheime Weltregierung für den geplanten "Great Reset" frisches Blut.

Keine Sanierung

Nicht anders sieht es im Vatikan aus, den der verschiedene Papst Franziskus renoviert, aber nicht grundlegend saniert hat. Zugeständnissen an den Zeitgeist, wie er sie in seiner Enzyklika "Laudato si" formulierte, als er der Welt mit dem Satz "Es gibt keine Ökologie ohne eine angemessene Anthropologie" den richtigen Weg wies, widersprach Franziskus selbst häufig. 

Der "mutige Erneuerer" (Bayrischer Rundfunk) warnte seine Bischöfe vor "Schwuchtelei" und er nannte Homosexuelle behandlungsbedürftig, um konservative Kreise bei der Stange zu halten. Und nahm alles zurück, um sein progressives Image zu polieren. Die päpstliche Unfehlbarkeit war diesem Amtsinhaber weniger wichtig als eine gute Presse. 

Der Volkspapst

Der "Volkspapst", als der sich Jorge Mario Bergoglio gern feiern ließ, scheiterte bei der Aufklärung der Verbrechen seiner Kirche an Hunderttausenden Kindern, bereute das aber immer wieder gern. Er entschuldigte sich demonstrativ für den Kolonialismus, verschwieg aber wohlweislich die zentrale Rolle, die der institutionalisierte Katholizismus mit seiner Wahnvorstellung von einer unerlässlicher Missionierung zu gottgewollten Rettung ungetaufter Seelen dabei spielte. 

Ausweichen, abwiegeln, ablenken. Auf der großen Klaviatur der Kompromisse spielte Franziskus das hohe C. Kostümiert als großer Mahner für Frieden und Versöhnung forderte er die Ukraine auf, die weiße Fahne zu hissen. Der "Meister der Gesten" zeigte sich als Zweifler und Grübler (Die Zeit), hielt aber trotzig am reaktionären katholischen Geschlechterbild fest, das Frauen vom Priesteramt ausschließt. 

Ein Reaktionär auch in der modernen Geschlechterfrage: Geschlechtsangleichende Operationen seien wie die gesamte "Gender-Theorie" "ernsthafte Verstöße gegen die von Gott gegebene Würde des Menschen" ließ Gottes Stellvertreter auf Erden verkünden. Ein Mensch, der "über sich selbst verfügen" wolle, falle der uralten Versuchung anheim, "sich selbst zu Gott zu machen". 

Wiederauferstehung

Franziskus sammelte Freunde, mehr noch als der berühmte Benedikt, den die junge Generation mit "Benedetto"-Gesängen gefeiert hatte. Politiker aller Farben, getauft und ungetauft, machten ihm die Aufwartung, um sich mit Kalendersprüchen speisen zu lassen. 

Olaf Scholz führte mit dem Argentinier ein "wichtiges Gespräch in schwierigen Zeiten" und US-Vizepräsident J.D. Vance machte ihm nur wenige Stunden vor seinem Tod die Aufwartung. Einzig Annalena Baerbock wagte es überhaupt, das Oberhaupt von 1,4 Milliarden Katholik*innen an seine Verantwortung zu erinnern.  

Dank für seine Positionen

Baerbock war nun aber auch unter den ersten, die dem Verstorbenen "für seine Positionen in sozialen und kirchlichen Debatten" dankte. Wie von Geisterhand war der Tote im Moment seines Ablebens nicht mehr der erzkonservative CEO des ältesten, größten und reichsten Unternehmens der Welt, sondern der unerschrockene Kämpfer für "eine arme Kirche für die Armen". Er werde fehlen, hieß es, er sei überdies unersetzlich.

Einen adäquaten Nachfolger zu finden, wird schwer. Klaus Schwab steht wohl entgegen anderslautender Gerüchte nicht zur Verfügung, obwohl der Vatikan mit Deutschen gute Erfahrungen gemacht hat. 

Annalena Baerbock steht bei der Uno im Wort, Olaf Scholz hätte zwar Zeit und wäre als evangelisch getauft Konfessionsloser eine ökumenische Wahl, die erstmals nicht mehr nur Christen, sondern in Ansätzen auch Atheisten repräsentieren könnte. 

Anstehender Elitenwechsel

Ohnehin trifft der erforderliche Elitenwechsel auch in Deutschland auf eine ausgedünnte Personaldecke.  Viele wollen, aber wer kann? Fehlende Erfahrung in der Regierungsführung galt eben noch als Ausschlusskriterium für höhere Ämter. Selbst wenn der Heilige Stuhl derzeit noch nicht zwingend paritätisch besetzt werden muss, wird es kompliziert werden, überhaupt einen Kandidaten zu finden, der bei Christen und Nichtchristen allgemein Akzeptanz findet. 

Der Neue darf nicht erzkatholisch sein, aber auch kein reiner Popstar. Er muss Brücken bauen, aber auch deutlich Stellung beziehen. Schon wieder einen Südamerikaner zu nehmen, verbietet sich.

 Ein Italiener wie es lange üblich war - geht nicht. Ein Europäer aber darf es nach 35 Jahren unter einem Polen und einem Deutschen auch nicht sein. Asien oder Afrika, das ist die Frage. Zwei Kontinente mit wachsendem Glauben, die jubeln würden, dürfte einer ihrer Kardinäle nach Rom ziehen.

Abstammung und Geschlecht

Wie weit der Weg bis dahin noch ist, das zeigt sich im seit Wochen andauernden Gerangel um die Posten im künftigen Merz-Kabinett. Auch da geht es zuvörderst um Abstammung und Geschlecht, um Parteibuch und Prestige, auch da wird gehandelt und gepokert - neuerdings unter Einbeziehung des erst in zwei Jahren vakant werdende Amt des Bundespräsidenten. 

Als sei Walter Steinmeier schon nicht mehr da, werden die ersten Steine aufs Feld gesetzt: Immer Männer, einmal sogar ein Ostdeutscher. Konsens besteht darüber, dass es nun eine Frau sein muss - als hätte es nicht eben noch hunderte weiterer Geschlechter gegeben, die durchweg alle noch nie berücksichtigt wurden.

Bei den Ministerposten sieht es nicht besser aus. Nach Parteibuch ist alles aufgeteilt, wegen der gerechteren Vergabe nach Wahlergebnis wird sogar eigens ein 18. Ministerium neu gegründet. 

Die Diskussion darüber aber, wie viele Frauen, wie viele Queerpersonen, wie viele Ostdeutsche und wie viel ostdeutsche Frauen einen Sitz am Kabinettstisch abbekommen, ist nach einer kurzen Aufwallung bereits wieder verstummt. Um diese Frage ist es jetzt so still wie um die, welche Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen welchen Anwärter für welches Amt qualifizieren.

Montag, 21. April 2025

Angriff der Optimisten: Die Erfindung der Fröhlichkeit

Die Medien verschreiben Optimismus als Mittel zum Aufschwung
Optimismus soll die Stimmungwende bringen: Es geht den Angestellten von Staat und staatlichen  Organisationen ja immer noch Gold.

Gewöhnlich läuft es genau andersherum. Hetzer, Hasser und Verhöhner, die gegen die demokratische Mehrheitsgesellschaft mobil machen wollen, bemühen sich stets, ihre Wühltätigkeit gegen die Gemeinschaft als "Satire" zu bemänteln. Brutalstmöglich ziehen bekannte Namen wie Jan Böhmermann oder Dieter Hallervorden dann vom Leder - sie benutzen verbotene Worte, gefallen sich dabei, Menschen als "Ziegenficker" herabzuwürdigen und betonen, dass alles nur Spaß sei, sobald sie erwischt worden sind.  

Zoten über Ziegenficker

Es gibt aber auch auf einen anderen Weg, wie die Süddeutsche Zeitung jetzt eindrucksvoll gezeigt hat. Die folgenden Zeilen enthielten "keinerlei Spuren von Sarkasmus" leitet Kommentäter Christian Zaschke einen Beitrag ein, der einen neuen deutschen Optimismus beschwört. "Deutschland kriegt gerade ein paar wichtige Dinge beispielhaft geregelt", heißt es da und allein die Verwendung des umgangssprachlichen Verbs "kriegen" deutet an, dass in der großen Erörterung der Lage der Nation hier keinerlei Spuren von Ernsthaftigkeit zu finden sein werden. 

Vielmehr verlegt sich der Beitrag kunstfertig darauf, beispielhaft vorzuführen, wie sich fehlende Belege für Fortschritte bei der Bewältigung von Problemen "in der Politik, im Städtebau, in der Wirtschaft, allüberall" (SZ) vollständig durch den Mut ersetzen lässt, die Augen zu schließen und die Realität zu ignorieren. Wenn nichts für "Zuversicht" (Robert Habeck) spricht, ist keine Zeit für Verzagtheit. Wenn die Nacht am tiefsten ist und die letzte Fortschrittskoalition durch eine "Arbeitskoalition" ohne große Visionen und Träume ersetzt werden muss, bleibt nur das Pfeifen im dürregeplagten Walde, um den Verzagten und Verunsicherten da draußen vor den Empfängern etwas vorzumachen. 

Es wird Zeit, dass die Welt wieder neidisch auf Deutschland schaut.

Neue deutsche Stärke

Optimismus sei nie eine deutsche Stärke gewesen, heißt es dann, aber gerade das sei ein guter Grund, es einfach mal zu versuchen. Ganz im Gegenteil. Das neue Kabinett, noch unter dem Vorbehalt, dass die Mitgliederinnen und Mitglieder der SPD ihm ihr Plazet geben, zeigt so gut, "wie man ein paar wichtige Dinge geregelt kriegt", dass es "schwer vorstellbar" ist, "dass die Welt oder zumindest ein großer Teil davon derzeit nicht neidisch auf die Bundesrepublik schaut". 

Wachstum unter Null. Mit einem Bundestagsbeschluss mehr Schulden als in den ersten 50 Jahren der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zusammengenommen. Kein Plan, was mit dem westlichen Bündnis werden soll. Keine Idee, wie es mit der Europäischen Union weitergehen soll. Nicht ein weiß sie noch aus. Nicht vor kann sie, aber auch nicht zurück.

 So weit weg von Washington

Und von einer Vorstellung darüber, ob es günstiger kommt, die Ukrainer den Krieg gegen Russland bis zum St. Nimmerleinstag weiterkämpfen zu lassen oder sie zu einem grausamen Kompromiss mit dem Kreml zu drängen, so weit weg wie Berlin von Washington. Wenn alles dagegen spricht, hat die "Bundesrepublik in dieser Krisenzeit die Chance, sich neu zu erfinden", analysiert Zaschke. Ein Land, das noch im Aril vor 80 Jahren an den nahen Endsieg glauben konnte, wird doch wohl in der Lage sein, auch heute, wo es deutlich besser steht, ein paar besorgniserregende Fakten zu ignorieren.

Ja, Deutschland ist verunsichert, wirtschaftlich seit einem Jahrzehnt auf dem absteigenden Ast und ohne Strategie bei Migration, sozialen Sicherungssystem und Rente. Aber es habe die Chance, schreibt Zaschke, dennoch ein "sicherer Hafen inmitten der Wirren der Welt" zu werden. "Es muss sie nur nutzen." 

Das ist kein neuer Zungenschlag, denn das kleine Karo gilt von München aus gesehen schon länger als großer Wurf. "Das Letzte, was dieses Land jetzt braucht, wäre eine Regierung, die einer Vision nachjagt", hatte die SZ schon vor Tagen festgelegt. Inspiriert vom Fernsehmoderator Rangar Yogeswar, der früher schon ermittelt hatte, dass die schlechte lage allein aus der schlechten Stimmung resultiere. Sie Strategie dagen sei einfach. Man müsse nur sagen "Hey, wir können, wir sind ein tolles Land."

Wirtschaftswumms und Klimageld

Eine Folge der enttäuschenden Bilanz der Ampel-Jahre: Gestartet mit verheißungsvollen Versprechen, legte das rot-grün-gelbe Regierungsbündnis nach nur drei Jahren Amtszeit eine bizarre Bruchlandung hin. Vom Wirtschaftswumms bis Klimageld, von Entlastung der Mitte bis zur Schaffung von mehr Gerechtigkeit blieb keine Erwartung enttäuscht. 

Zugleich ließen sich die Gescheiterten von den angeschlossenen Abspielstationen für ihre Erfolge loben. Schon die Halbzeitbilanz fiel durchweg positiv aus. Am Ende war es dann nur die FDP, die die Nerven verlor und durch ihren Verrat am Koalitionsvertrag verhinderte, dass die "sehr unterschiedlichen Partner" auch ihre verbliebenen Zusagen einlösen konnte. 

Wandern entlang der Nulllinie

Zufriedenheit lässt sich aller Erfahrung am sichersten herstellen, wenn ein kluges Erwartungsmanagement vorbeugend dafür sorgt, dass niemand sich mehr erhofft als ein trübes, trauriges Weiterso. Der Aufschlag auf dem Boden kommt einem Fallenden vor wie eine Ankunft an. Zumindest geht es jetzt nicht weiter abwärts. Die Wanderung entlang einer Nulllinie kann tröstende Sicherheit vermitteln. Zumindest wird es nicht mehr schlimmer und das ist schon mal sehr viel besser als das Gegenteil.

In einer Zeit, in der die Lumpen und Lügner sich überall breitmachen, erlaubt es die weltweite Großwetterlage nicht, dass Demokraten einstimmen in die Schimpfkanonaden der Feinde der Demokratie. Scheint auch wenig Anlass zu bestehen, frohen Mutes in die Zukunft zu schauen, so ist doch gerade das die Chance, es unverzagt zu tun. Wahren Glauben zeigt nicht, wer kleinlich ist. Wahren Glauben hat, wer an ihm festhält, wenn alle von ihm abfallen.

Kleingeistigkeit abgeschüttelt

Als die Süddeutsche Zeitung vor genau zehn Jahren  Europa aufgab und an die Mächtigen appellierte, die "gemeinsame Währung aufzulösen", gab sie sich einem Moment der Schwäche hin. Grundsätzliches  sei anzusprechen, hieß es, und zwar ein Problem der Währungsunion, das weit über das damals als ansteckend gefährlich geltende Griechenland hinausgehe: "Sie funktioniert nicht, zumindest nicht in ihrer jetzigen Zusammensetzung." 

Der Euro sei "auf Hoffnung gebaut, nicht auf Vernunft". Zeit, der Irrtum einzugestehen und umzukehren von einem Weg, der Fehlsteuerung und Fremdbestimmung bringe und die Völker des europäischen Kontinents gegeneinander aufbringe, statt sie zu einen. Ein mutiger Appell, der in den Korridoren der Macht ungehört verhallte. Und der Süddeutschen eine Erkenntnis einbrachte: Nach oben treten kann nur, wer auf dem Rücken liegt. 

"Deutsche Unterwerfungsmaschine"

Anerkennung aber gewinnt, wer nicht verrückte Verschwörungstheorien wie die des "Euro als deutsche Unterwerfungsmaschine" verbreitet und ihn als "Geheimplan zur Unterjochung des Kontinents" anprangere  - einen "Schlieffenplan mit Geld statt Soldaten" hatte ihn die Redaktion genannt. Sondern der, der gute Regierungspolitik noch viel besser erklärt, satt wie besinnungslos gegen Freihandel und Zollfreiheit zu hetzen.

Das Bemühen war seitdem immer da. Die Süddeutsche wandelte sich vom kritischen linksliberalen Blatt zum Sprachrohr des Richtigen, dessen Blick stets von oben nach unten ging. Je mehr sich die politischen Ränder einander unaufhaltsam angenäherten, desto treuer stand die SZ in der Mitte. Neben Annalena Baerbock. An der Seite Robert Habecks.  An der Seite der Demokratie und des Fortschritts.

Ein Text wie ein Denkmal

Dort steht der "Deutschland kriegts geregelt"-Text wie ein Denkmal. Spricht es denn nicht für die Lebenskraft eines Systems, wenn es Brücken bauen kann? Etwa zwischen einer Partei, die sich gerade noch entschlossen zeigte, sich niemals mit einer Partei an den Tisch zu setzen, die im Parlament gemeinsam mit in Teilen nachgewiesenermaßen rechtsextremen rechten Kräften abgestimmt hat. Und einer anderen, der die SPD immer zu staats- und schuldengläubig war, zu wachstumsfeindlich und zu bürokratiefreundlich. Kaum nirgendwo gibt es das noch in den gespaltenen Gesellschaften des Westens.

Dass es die Süddeutsche Zeitung war, die zuerst entdecke, wie flott es jetzt zum Aufschwung kommen und wie schnell sich Laune aufhellen wird, ist kein Zufall. In München hören sie das Gras wachsen. In Berlin muss es nur noch geraucht werden. Fünf Tage nach der Duloxetin-Depesche aus dem Süden verkündete auch Friedrich Merz, als Kanzler künftig ein natürlicher Begünstigter der Schreibarbeit der SZ, seine Osterbotschaft: "Nach dunklen Tagen kommt das Licht".

Alarmistische Unkenrufe

Einiges ist freilich noch zu tun, damit es so kommen kann. Der größte Feind jeder Regierung sind halbgare Studien, aus denen Medien alarmistische Unkenrufe fabrizieren. Die Statistik ist die Magd der Zweifler, die aus ihr kaputte Infrastrukturen, kriegsuntüchtige Armeen und  schwächelnde Konjunkturzahlen herauslesen. Sobald ein Kabinett die Statistiker im Griff hat, ist der Aufschwung greifbar und rasante Wachstumsraten nebst umfassender Zufriedenheit aller "allüberall" (SZ) sind beinahe garantiert. 

Niemand hat die Absicht, Daten zu manipulieren, aber gegen eine zuversichtlichere Einordnung kann niemand etwas haben. Eine Anzahl von 16.000 kaputte Brücken etwa, wie sie in diesen Tagen als Beleg für die prekäre Lage durch die Medienlandschaft geistert, erscheint nur so lange hoch, wie die Zahl  ohne Einordnung bleibt. Angesichts einer Gesamtzahl von 130.000 Brücken im ganzen Land realativiert sich die Parole: Bei einer normalen Standzeit von 20 Jahren sind 6.500 immer gerade mit einer Renovierung dran. Wirklich überfällig sind also eigentlich nicht einmal 10.000.

Es sieht so gut aus

So schlecht steht das Land also gar nicht da - es "kriegt" nicht nur "ein paar wichtige Dinge geregelt", sondern sogar dieses im Handumdrehen. Ähnlich entschlossen angepackt, können sich viele Probleme wie von selbst auflösen. Wenn die Entschlossenheit der Süddeutschen Zeitung, die rosa Brille nicht mehr abzunehmen, auf das unter einer Regierung Merz zu erwartende und so lange vermisste Höchstmaß an Staatskunst trifft, kann alles ganz schnell gehen. 

Mit einem neuen Förderbeschluss für Elektroautos etwa hätte Deutschland dann nicht nur mehr, sondern sogar deutlich mehr Elektroautoförderbeschlüsse als alle Minister sämtlicher Bundesregierungen seit 1949 an Elektroautos als Dienstwagen gefahren haben. Ein Zeichen, das weithin zu sehen sein wird. Auch Wladimir Putin, der bisher plant, den Angriff seiner Armee auf die westlichen Verbündeten  anzuordnen, sobald die Bundeswehr in drei, vier oder fünf Jahren verteidigungsfähig ist, wird nicht umhin kommen, anzuerkennen, dass Deutschland gerade ein paar wichtige Dinge beispielhaft geregelt kriegt. Und umgehend umplanen.


Ostern am Ende der Welt: Vom Scheitern des Christentums

Jesus am Kreuz Kümram Art
Knapp 2000 Jahre nach dem demonstrativen Tod des Jesus von Nazareth am Kreuz ist die Idee des Christentums komplett gescheitert.


Alles muss genauso Gottes Wille gewesen sein. Der Anfang der größten Geschichte der Welt, wie sie ein Filmregisseur einmal nannte. Und ihr Ende. Dafür spricht schon allein die schöne runde Zahl der Jahre, die Gott, der Chef von allem, Jesus' Geburt und an dem Ende seiner großen Idee von der anderen Backe, dem Frieden für alle und der Liebe zum Feind gelegt hat. 2.000 sind es etwa, anfangs war die Zählung noch ungenau.  

Die Frohe Botschaft

Aber nach zwei Jahrtausenden intensiver Forschung ist nicht viel mehr bekannt, dass Jesus am Tag seiner Kreuzigung zwischen 30 und 40 Jahre alt war. Doch die Hinrichtung erfolgte während der Herrschaft von Pontius Pilatus, der von 26 bis 36 nach Christus römischer Statthalter in Judäa war. Jesus könnte also auch 26 gewesen sein. Oder 25, denn das Jahr war noch jung an diesem Tag, der mittlerweile als "Karfreitag" durch die Jahre vagabundiert.

Fakt ist: Es ist vorbei. Den Gedanken, eine Welt zu bauen, die auf grenzenloser Liebe gründet, hat im Jahr 2025 nach der Geburt des Mannes, der ihn in die Welt gesetzt hat, selbst die von seinen Jüngern gegründete Kirche aufgegeben. Kirchenfürsten sagen heute, ja, wir lieben uns auf Feinde, aber wir müssen keinen Umgang mit ihnen pflegen. Wer dem falschen Irrglauben angehört, dem wird die Tür nicht mehr geöffnet, dem bleibt das gute Christenherz verschlossen. Vorbei die Zeit, als sich der nach aktueller Lesart flüchtenden Familie des Gottessohnes die Stalltore öffneten, um ihr ein Obdach zu geben.

Brandmauern statt Gebete

Zurückweisung, Brandmauern, Barrikade, sie sind die Zeichen der Zeit. Nur weil sie etwas anderes glauben als andere Menschen, lehnen Menschen Menschen ab. Und das Christentum, der große Brückenbauer, tut mit. Bis hin zum greisen Papst nach Rom haben sich die Kirchenoberen verabschiedet vom Grundsatz der bedingungslosen Liebe des einzigen und es wahren Gottes. Ein Auslaufmodell, das der Realität nicht mehr standhält. Ein Rezept, nach dem nicht mehr gekocht werden kann. Wer dem anderen die andere Wange hinhält, fällt selbst hinein. Wer nicht rüstet, wird verschlungen.

Das Ende des Christentums mit seinem Blumenglauben und den frommen Gesängen von Gottesdienstbesuchern, die sich ganz in die Hand des Herrn gaben, es führt die Gemeinden der heute 2,4 Milliarden Gläubigen zurück in die vielen Jahrhunderte, in denen Katholiken gegen Orthodoxe und Orthodoxe gegen Evangelen antraten, weil sie ihre Interpretation der Bibel für die einzig wahre hielten. Was sich Gott dabei gedacht hat, gleich mehrere Christentümer zu erschaffen und ihre für Außenstehende kaum unterscheidbaren Interpretationsdifferenzen zum Anlass für epische Schlachten mit hunderttausenden Toten zu nehmen. 

Fehden statt Federstrich

Was Gott der Herr damit bezweckte, immerhin ist er der Legende nach allmächtig und wäre damit problemlos in der Lage, den Kampf jederzeit mit einem Federstrich zu entscheiden, ist nie ausreichend und endgültig erforscht worden. Der Allmächtige hat es so gefügt, dass die, die am heftigsten für seine Lehre von der unendlichen und bedingungslose Liebe eintreten, die waren, die sie mit der größten Ausdauer zerstörten. 

Von Paulus von Tarsus, der selbst Christen verfolgte, bekehrt und eingesperrt wurde und mit seiner Missionsarbeit in Rom die Grundlage schuf, aus der verfolgten Sekte die weltweit beliebteste Religion zu machen, führt kein Weg in die Bischofspaläste der Gegenwart. Dort wird die Nächstenliebe ohne Vorbedingungen abgelehnt: Die eine Seite bietet Patriarchen auf, die Hass im Namen des Friedens predigen. Die andere leitet aus der  christlichen Glaubenslehre die Forderung ab, dass, wer Verantwortung für viele Menschen hat, auch die schwere Pflicht für ihre Verteidigung trägt. 

Hundert Mann in Reserve

Militärprediger haben inzwischen herausgefunden, dass die Bergpredigt Selbstverteidigung nicht verbietet. Ein "Friedenswort" der Bischöfe muss nach dieser Logik ein Bekenntnis zu Waffenlieferungen sein. Die Bundeswehr hat heute 200 Militärseelsorger, etwa je zur Hälfte evangelisch und katholisch. Hinzu kommen ebenso viele Pfarrhelfer. Sie könnte jeden ihrer Panzer mit einem Priester besetzen. Und hätte noch 100 Mann in Reserve.

Der Ursprungseinfall des Jesus von Nazareth, Hass und Hetze und Schläge und Schüsse in vollkommener Übereinstimmung mit Gottes Wort und Willen vergilt, indem er duldet, leidet und durch sein Beispiel wirkt wie Deutschland mit seiner Energiepolitik auf alle Staaten, die noch Erdgas, Kohle und Kernenergie verwenden, er hat sich überlebt. 

Was nach dem Tod kommt

Christen sind sicher immer noch gerecht, wo andere ungerecht sind; sie sind geduldig, wo andere ungeduldig sind; sie sind fleißig, wo andere faul sind und sie wissen genau, was nach dem Tod kommt, wo andere im Ungewissen leben. Aber inmitten einer Wirklichkeit, in der niemand dem anderen die Wange hinhält, wollen sie auch nicht die sein, denen das Gegenüber den Kopf abschlägt.

In seiner Karfreitagsbotschaft hat Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck von seinen Christinnen und Christen Friedenstüchtigkeit bei gleichzeitiger Kriegstauglichkeit verlangt. Der Essener Bischof, nebenher Militärbischof der Bundeswehr, schwärmte vom neuen Begriff "Kriegstauglichkeit", den er künftig anstelle des ministeriell eingeführten "Kriegstüchtigkeit" verwendet sehen will. Beide Worte seien erschreckend, lobte er, denn sie zeigten schonungslos, "wie bedrohlich die Lage" sei. 

Gebete helfen ja doch nicht

Doch es nütze nichts, sich den Realitäten zu verweigern und die Bedrohungslage zu ignorieren, so Overbeck. Gebete helfen nicht, wenn der Teufel vor der Tür steht. Es gelte deshalb, gesellschaftliche Akzeptanz dafür aufzubauen, dass "Friedenstüchtigkeit" und "Kriegstauglichkeit" keinen Widerspruch darstellten. "Wir müssen kriegstauglich werden – um friedenstüchtig zu bleiben."

Lange hat das Christentum an seiner Idee der Versöhnung und der Erlösung festgehalten. Die größten Mörder der Weltgeschichte waren Christen, doch Gott verzieh ihnen. Hitler stellte zwar die Zahlung der Kirchensteuern ein, trat aber nie aus der Kirche aus. 

Es wäre ohnehin zwecklos gewesen, denn wer einmal getauft ist, bleibt Christ wie ein türkischer Staatsbürger Türke, selbst wenn er ein Dutzend anderer Staatsangehörigkeiten annimmt und seinen türkischen Pass jedes Mal abgibt. Stalin dagegen tauschte nach zwei Jahren in einem Priesterseminar eine sichere Zukunft als Landpfarrer ein gegen eine Laufbahn als Weltrevolutionär und Massenmörder. Für die orthodoxe Kirche kein Grund, ihm übelzuwollen. 

Die allerbarmende Kirche

Die allerbarmende Kirche exkommunizierte weder Hitler noch Stalin, wie sie es mit dem englischen König von England Heinrich VIII. getan hatte. Der aber war auch eindeutig schuldig: Er ließ sich ohne Zustimmung des Papstes von Katharina von Aragón scheiden und heiratete mit seine Mätresse Anne Boleyn. Zu Beginn der 30er Jahre vertraten einige Bischöfe die Meinung, ein Katholik könne nicht Mitglied der NSDAP oder eines der ihr nahestehenden Organisationen sein. Wer dagegen verstieß, sollte exkommuniziert werden. 

Doch kaum hatte die Hitlerpartei die Regierungsgeschäfte übernommen, schickten die deutschen Bischöfe den Päpstlichen Thronassistenten Wilhelm Berning zu Hitler. Anschließend wurde das Verbot der Mitgliedschaft in einer Botschaft an die Gläubigen aufgehoben. Die katholische Kirche war nun sicher, dass man den "Kampf gegen Bolschewismus und Gottlosigkeit" gemeinsam am besten führen könne. 

Konflikt mit der Kirche

Erst seit sechs Jahren gilt wieder die christliche Grundbotschaft, "dass nationalistisches Gedankengut im Konflikt mit der katholischen Kirche" steht. Erst seit drei Jahren orientiert die Geistlichkeit ihre Schäfchen wieder darauf, als Streitmacht des Herrn mit gesegneten Waffen und gutem Gewissen in den Krieg gegen das Böse zu ziehen.

Ein Brauch von alters her. Über Jahrhunderte hinweg hatten die Stellvertreter Gottes auf Erden Schwerter, Schilde und Feldgeschütze der Truppen gesegnet, die im Namen Gottes gegeneinander antreten sollten. Christen schlachteten Christen, erst weil sie wissen wolten, welcher Jesus der wahre ist. Bis vor einem Vierteljahrhundert stand es unentschieden

Ohne Entscheidungsschlacht

Dann ließ Gottes genug sein. Er ersparte seinen irdischen Heerscharen eine Entscheidungsschlacht und findet sein Vergnügen seitdem darin, die ehemals als "Moslems" bekannten Muslime gegen Christen antreten zu lassen. Wenn er nicht lieber Schiiten gegen Sunniten ins Rennen schickt oder Wahhabiten Aleviten massakrieren lässt. 

Es sterben viele, doch wiederauferstanden ist seit fast 2000 Jahren keiner mehr. Jesus Christus, "unser Friede", wie er im Epheserbrief genannt wird, er steht nicht an der Seite der Opfer; er interveniert nicht für den Frieden, er beschwört nicht den Geist der Gewaltlosigkeit in einer von Gewalt durchdrungenen Welt. 

Wie noch immer, wenn es ernst wird, sind seine Priester näher bei Benrings Bekenntnis "Wir dienen dem Staat mit heißer Liebe und mit allen unseren Kräften" als bei dem Dietrich Bonhoeffer und seiner Ablehnung der Zeiten, in denen in Kircher "wieder Märtyrerblut gefordert werden wird". 600 Millionen im Jahr zahlt der deutsche Staat an die christlichen Kirchen. Schöne Geld.

Modisch gendern, aber mit Gluten

Wie die Kirche unter Hitler und die Kirche im Sozialismus will Gottes Schar auch heute dort sein, wo der Teil von Gottes Schöpfung sitzt, der über den anderen herrscht. So wie modisch gegendert wird, so dass es im Katholizismus nun die Begriffe "Pfarrerin", "Pastorin", "Bischöfin" und "Päpstin" gibt, nicht aber Pfarrerinnen, Pastorinnen, Bischöfinnen und Päpstinnen. 

Eine Anpassungsleistung, die nur in Details versagt, sich aber auf lange Sicht als Erfolgsrezept herausgestellt hat. "Nicht der Sieg im Krieg schafft Frieden, nur der Sieg über den Krieg", predigt die Kirche, doch wer den Frieden wolle, der müsse sich eben auf den Krieg vorbereiten. "Si vis pacem para bellum" wird den alten Lateinern zugeschrieben. Die konnten keine Christen sein, weil Gott Jesus noch nicht in Heilige Land geschickt hatte, um ihn dort von den Römern ermorden zu lassen.

Damit die Menschheit heute Ostern feiern kann.

Sonntag, 20. April 2025

Frohe Ostern allen Lesern!

Die Eiersaison hat begonnen.

Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. 

Schreibe, was du gesehen hast, und was da ist, und was geschehen soll darnach. 

Offenbarung 1,18