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Aus "Wann wird's mal wieder richtig Sommer" ist deutschlandweit eine verzehrende Sehnsucht nach richtig viel Regen geworden. Doch die Bundesregierung tut nichts. |
Trotz Finanznot überall haben sie ein paar Brunnen angeschaltet, hier und da stehen Riesenventilatoren, an die schweißnass vorbeihetzenden Touristen werden Kühle-Orte-Karten verteilt und die morgendliche Hitzewarnung kommt nicht mehr nur aus Radioempfänger, Fernsehgerät und Zeitung, sondern auch aus der Katastrophenwarnapp. Hitzewarnung der Stufe 2 erlaubt es noch, auf eigene Gefahr ins Freie zu gehen. Viele schlagen sich von Kältestube zu Kältestube durch, viel Trinken ist das Motto, zumindest dort, wo die Wassernot noch nicht für akute Versorgungsengpässe gesorgt hat.
Cremenachweis und Sonnenhut
Doch der Cremenachweis ist mitzuführen, ebenso Sonnenhut und Sonnenschirm. Besonders gefährdet sind ältere Menschen, Kinder, Menschen mit chronischen Erkrankungen sowie obdachlose Personen, die von den Behörden oft nicht einmal mit der Notfall-Informations- und Nachrichten-App des Bundes, kurz Warn-App NINA, erreicht werden können. Gerade diese Menschen wissen ohne die wichtigen Warnmeldungen des Bevölkerungsschutzes gar nicht, dass es heiß ist. Oft genug, sagen Hitzehelfer, taumeln sie dadurch arglos und ungeschützt durch Ortslagen mit extremen Temperaturen.
Ein solches Leben mit dem Klima ist keine Lösung, es braucht eine für die Lösung der Klimakrise. Wie der Wissenschaftler Volker Quaschning, ein Kenner und Verfechter regenerativer Energiesysteme, sind auch andere Experten der Meinung, dass die Zeit zum Handeln für die Bundregierung gekommen ist. Über Jahre wurde der Ausbau der Erneuerbaren verschleppt, der von Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot und Rot-Grün-Gelb angekündigte große Sprung zur Senkung der Kohlendioxidproduktion blieb aus und selbst die einfachsten Notmaßnahmen wurden nicht ergriffen.
Der Preis ist heiß
Der Preis dafür ist glühend heiß: 40 Grad im Schatten, teilweise mehr. Dazu ein blankgeputzter Himmel, weil es an den früher schützend über Land ziehenden Feinstaubwolken fehlt. Neue Dürrerekorde, die Wälder leiden und die Wiesen, in vielen Städten und Gemeinde im Frühjahr vorschriftsmäßig auf die Grasnarbe zurückgeschnitten, kaum weniger. "Sofortige Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise sind nötig!", zeigt sich Quaschning am Ende seiner Geduld. "Was braucht es eigentlich noch, damit die Regierung ausreichend handelt?"
Wann, wenn nicht jetzt? Wie, wenn nicht mit einem Tempolimit, einem Haustierverbot und schärferen Kontrollen gegen Betreiber und Besitzer sogenannter Steingärten? Noch ist es nicht amtlich, aber die vom Deutschen Wetterdienst (DWD) betriebene Klimareferenzstation in Potsdam zeigt mutmaßlich das trockenste erste Halbjahr seit Messbeginn vor mehr als 130 Jahren an, wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mitteilte. Die Station auf dem Potsdamer Telegrafenberg am Templiner See, die den bereits vor Jahren von der Bundesregierung angeschobenen Rückbau der Anzahl der Wetterstationen des DWD bisher überstanden hat, habe "voraussichtlich so geringe Niederschlagsmengen gemessen wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1893", hieß es bei den Klimaforschern.
Das trockenste voraussichtlich gemessene
Das erste Halbjahr 2025 war damit, so ist es beschlossen, "das trockenste, das je an einer wichtigen Klima-Messstation gemessen wurde", wie Volker Quaschning die alarmierende Lage zusammenfasst. "Das trifft besonders die deutschen Wälder", warnt er vor einem weiteren Zuwarten bei Bund, Ländern und Gemeinden sowie der EU.
Mit Handventilatoren, Trinkbrunnen, Sonnensegel und dem Umzug ins klimatisierte Auto ist es nicht mehr getan. Erfahrungsgemäß bringen auch die life hacks staatliche geprüfter Hitzespezialisten ab 40 Grad im Schatten nur noch wenig. Das Licht und so viele elektrische Geräte wie möglich ausschalten, nasse Handtücher aufhängen, um die Raumluft herunterzukühlen, und die Teppiche wegräumen, weil sie als Wärmespeicher fungieren - selbst Ventilatoren, die als primitives Kühlmittel ein Gefäß mit Eiswürfeln nutzen, erzielen in einer akuten Hitzewarnklage kaum mehr messbare Ergebnisse.
Wenn der "Green Deal" versagt
Hilfe muss von oben kommen, abzuwenden ist nicht die Erhitzung im Einzelnen, sondern die weitere Aufheizung Deutschlands insgesamt. Nach Berechnungen der Klimafolgenforscher in Potsdam ist es zwischen Alpen und Ostsee heute schon im Durchschnitt etwa zwei Grad Celsius wärmer als noch vor 100 Jahren. Europa insgesamt erhitzt sich trotz der Pariser Klimazeile, auf die sich als EU-Staaten gemeinsam schon vor vielen Jahren verpflichtet haben, und dem großen "Green Deal" der EU-Kommission aufgrund des Klimawandels stärker als alle anderen Kontinente, die sich ihrerseits ebenfalls stärker erwärmen als die Erdoberfläche insgesamt.
Schuld ist die Untätigkeit aller Bundesregierungen seit Beginn des ersten Jahrtausends des Anthropozäns, in dem der Mensch die Folgen seines unbedachten und schädlichen Eingreifens in die Natur seit Beginn der Industriellen Revolution vor rund 200 Jahren zu spüren bekommt. Abgewiegelt haben sie alle, die Dringlichkeit negiert und Interesse nur vorgespielt. Historische Daten zeigen, dass der Begriff "Klima" gesamtgesellschaftlich heute kaum mehr Interesse findet als vor 20 Jahren. Das große Bild ist sogar noch erschreckender: Seit der Entdeckung des Klimas vor rund 200 Jahren ist die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dafür um mehr als ein Viertel eingebrochen.
Klimalobby ohne Einfluss
Viele sagen, sie können es einfach nicht mehr hören. Andere geben zu, dass sie tief in sich spüren, dass es nicht mehr wirkt. Ohne Effekt geblieben sind die Jahre, in denen es einer kleinen, aber lautstarken Klimalobby gelang, zumindest vordergründig den Eindruck zu erwecken, der Klimawandel sei tatsächlich das wichtigste Thema der Welt. Dann aber kamen Pandemie und Krieg, Trump, Zölle und Rechtsruck. Erst die aktuellen Hitzewarnungen vermochten es, die Dringlichkeit einer grundlegenden Lösung jenseits von Eiswürfellutschen und Hitzefrei für Beamte wieder auf die gesellschaftliche Tagesordnung zu setzen.
So wichtig wäre es. Noch in 100.000 bis 300.000 Jahren werden die Ruinen der Fabriken der einstigen deutschen Industriegesellschaft wie die Fossilien der Jetztzeit an den großen Wandel von der Naturwelt in die der menschengemachten Klimakatastrophe erinnern. Abdrücke der Verursacher werden sich nicht im Gestein der Gebirge finden, aber im Beton der Parkplätze, Einkaufszentren und im Dämmstoff der Häuser in den Städten, in denen die Primaten lebten. Es werden Spuren sein wie die der Dinosaurier, Fossilien aus Plastik, Stahl und Aluminium, fast schon zu Staub zerfallen, gelingt es nicht zuvor noch, die Klimabremse zu ziehen.
Die erste des Sommers
Die Hitzewelle, oft als "erste dieses Sommers" angekündigt, kommt gerade recht, die Bundespolitik aufzurütteln. Unmöglich, sich auch dieses Mal wieder damit herauszureden, dass anderes wichtiger sei. Längst kratzt Deutschland an der 1,5-Grad-Marke, jener roten Leitplanke, die es nach Einschätzung zahlreicher Wissenschaftler um jeden Preis zu halten gilt. Die Zwei-Grad-Marke ist in Sichtweite, auch sie wird entgegen aller völkerrechtlich verbindlichen Zusicherungen, die Deutschland damals in Paris abgegeben hat, wohl gerissen werden.
Kein anderes Volk wird mehr darunter zu leiden haben als das der Täter, die über hundert Jahre hinweg Waren, Güter und Dienstleistungen produziert haben, als müssen sie die gesamte Welt mit Autos, Maschinen, Anlagen und Motoren Made in Germany versorgen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt, der Moment, in dem das Bundeskabinett seine Prioritäten neu bestimmen muss, er ist gekommen. Nicht mehr Pandemiefolgen und auch nicht Lieferkettenengpässe, nicht Rechtsruck, Arbeitsmarkt und Konjunktur, keine Zollfragen und auch nicht der drohende Angriff Russlands auf die EU darf jetzt handlungsleitend sein, da sind sich Experten wie Volker Quaschning mit Grünenpolitikern wie Felix Banaszak und dem früheren SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach einig.
Wenigstens ein Haustierverbot
Die Klimakrise müsse "in den Politik-Teil zurück, weil Politik es ist, die darüber entscheidet, wie gut oder schlecht es für unsere Kinder wird", hat Felix Banaszak seiner Co-Vorsitzenden Franzsika Brandtner zugestimmt, als die verdeutlichte, dass Atomkraft als Klimaretter ausfällt, weil das "Klima inzwischen so heiß ist, dass AKWs bei Hitzewellen runterfahren müssen". Es braucht andere Ideen, die schnell greifen - etwa das bundesweite Haustierverbot, das schlagartig fast 18 Millionen Tonnen CO2 sparen würde. Auch ein Tempolimit wäre denkbar. Das wäre von der reinen CO2-Einsparmenge weniger durchgreifend, aber symbolisch ein starkes Zeichen in Zeiten, in denen Deutschland von einem Hitzerekord zum anderen taumelt.
Etwas muss passieren und das wissen die Entscheidungsträger im politischen Berlin inzwischen ganz genau. Extremwetterlagen wie die Hitzewelle derzeit sind Symptome der Klimakrise, kein "Badewetter" wie es früher verharmlosend hieß. Entsprechend muss es über die bereits geplanten Klimaschutzmaßnahmen, die der nächsten Generation ein Überleben ermöglichen werden, auch rasch wirkende Schutzmaßnahmen geben, die die Zeit überbrücken, bis die Durchdämmung des Immobilienbestandes, der Umstieg auf erneuerbare Heizungen und elektrisch angetriebene Fahrzeuge und der Rückbau der Industrie Wirkung zeigen.
Deutschlandweite Regenpflicht
Forderungen, wie sie der grüne Geschäftsführer Andreas Audretsch aunach längeren Pausen für Bauarbeiter, Sonnenschutz und Getränke "passend zur Tätigkeit" aufmachen, reichen absehbar nicht, auch nicht kombiniert mit einem "Recht auf Hitzefrei", wie sie Audretsch vorschlägt.
Eine deutschlandweite Regenpflicht plus Tempolimit und höherer CO2-Abgabe dagegen könnte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einerseits würden die bereits spürbaren Dürrefolgen bekämpft, andererseits sorgt ausgebrachte Feuchtigkeit aller Erfahrung nach für eine Abkühlung der betroffenen Gebiete. Durch die auf Regen folgende Verdunstung kommt zudem ein Automatismus in Gang, der selbsterhaltend wirkt: Das sich verflüchtigende Wasser bildet Wolken, die wiederum abregnen, wenn es den Behörden mit Kontrollen und Zurückweisungen gelingt, zu verhindern, dass sie über die Landesgrenzen entweichen.
Eine Regenpflicht wäre leicht umzusetzen. Insgesamt benötigt werden zusätzlich zu den 300 Milliarden Tonnen Wasser, die in gewöhnlichen Klimazeiten über Deutschland abregnen, nur etwa 40 Milliarden Tonnen Wasser. Das ist weniger als der Bodensee enthält, wenn er nicht ausgetrocknet ist. Ein großes, wohlhabendes Land wie Deutschland sollte es schaffen können, diese Menge in die Luft zu bringen, um sie gezielt dort abregnen zu lassen, wo der Bedarf am größten ist. Ein Airbus A400M bringt beinahe 40 Tonnen Nutzlast in die Luft, die 48 Maschinen, über die die Bundesluftwaffe derzeit verfügt, müssten nur etwa 20 Milllionen Mal aufsteigen, um ganz Deutschland abzukühlen.