Montag, 21. April 2025

Angriff der Optimisten: Die Erfindung der Fröhlichkeit

Die Medien verschreiben Optimismus als Mittel zum Aufschwung
Optimismus soll die Stimmungwende bringen: Es geht den Angestellten von Staat und staatlichen  Organisationen ja immer noch Gold.

Gewöhnlich läuft es genau andersherum. Hetzer, Hasser und Verhöhner, die gegen die demokratische Mehrheitsgesellschaft mobil machen wollen, bemühen sich stets, ihre Wühltätigkeit gegen die Gemeinschaft als "Satire" zu bemänteln. Brutalstmöglich ziehen bekannte Namen wie Jan Böhmermann oder Dieter Hallervorden dann vom Leder - sie benutzen verbotene Worte, gefallen sich dabei, Menschen als "Ziegenficker" herabzuwürdigen und betonen, dass alles nur Spaß sei, sobald sie erwischt worden sind.  

Zoten über Ziegenficker

Es gibt aber auch auf einen anderen Weg, wie die Süddeutsche Zeitung jetzt eindrucksvoll gezeigt hat. Die folgenden Zeilen enthielten "keinerlei Spuren von Sarkasmus" leitet Kommentäter Christian Zaschke einen Beitrag ein, der einen neuen deutschen Optimismus beschwört. "Deutschland kriegt gerade ein paar wichtige Dinge beispielhaft geregelt", heißt es da und allein die Verwendung des umgangssprachlichen Verbs "kriegen" deutet an, dass in der großen Erörterung der Lage der Nation hier keinerlei Spuren von Ernsthaftigkeit zu finden sein werden. 

Vielmehr verlegt sich der Beitrag kunstfertig darauf, beispielhaft vorzuführen, wie sich fehlende Belege für Fortschritte bei der Bewältigung von Problemen "in der Politik, im Städtebau, in der Wirtschaft, allüberall" (SZ) vollständig durch den Mut ersetzen lässt, die Augen zu schließen und die Realität zu ignorieren. Wenn nichts für "Zuversicht" (Robert Habeck) spricht, ist keine Zeit für Verzagtheit. Wenn die Nacht am tiefsten ist und die letzte Fortschrittskoalition durch eine "Arbeitskoalition" ohne große Visionen und Träume ersetzt werden muss, bleibt nur das Pfeifen im dürregeplagten Walde, um den Verzagten und Verunsicherten da draußen vor den Empfängern etwas vorzumachen. 

Es wird Zeit, dass die Welt wieder neidisch auf Deutschland schaut.

Neue deutsche Stärke

Optimismus sei nie eine deutsche Stärke gewesen, heißt es dann, aber gerade das sei ein guter Grund, es einfach mal zu versuchen. Ganz im Gegenteil. Das neue Kabinett, noch unter dem Vorbehalt, dass die Mitgliederinnen und Mitglieder der SPD ihm ihr Plazet geben, zeigt so gut, "wie man ein paar wichtige Dinge geregelt kriegt", dass es "schwer vorstellbar" ist, "dass die Welt oder zumindest ein großer Teil davon derzeit nicht neidisch auf die Bundesrepublik schaut". 

Wachstum unter Null. Mit einem Bundestagsbeschluss mehr Schulden als in den ersten 50 Jahren der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zusammengenommen. Kein Plan, was mit dem westlichen Bündnis werden soll. Keine Idee, wie es mit der Europäischen Union weitergehen soll. Nicht ein weiß sie noch aus. Nicht vor kann sie, aber auch nicht zurück.

 So weit weg von Washington

Und von einer Vorstellung darüber, ob es günstiger kommt, die Ukrainer den Krieg gegen Russland bis zum St. Nimmerleinstag weiterkämpfen zu lassen oder sie zu einem grausamen Kompromiss mit dem Kreml zu drängen, so weit weg wie Berlin von Washington. Wenn alles dagegen spricht, hat die "Bundesrepublik in dieser Krisenzeit die Chance, sich neu zu erfinden", analysiert Zaschke. Ein Land, das noch im Aril vor 80 Jahren an den nahen Endsieg glauben konnte, wird doch wohl in der Lage sein, auch heute, wo es deutlich besser steht, ein paar besorgniserregende Fakten zu ignorieren.

Ja, Deutschland ist verunsichert, wirtschaftlich seit einem Jahrzehnt auf dem absteigenden Ast und ohne Strategie bei Migration, sozialen Sicherungssystem und Rente. Aber es habe die Chance, schreibt Zaschke, dennoch ein "sicherer Hafen inmitten der Wirren der Welt" zu werden. "Es muss sie nur nutzen." 

Das ist kein neuer Zungenschlag, denn das kleine Karo gilt von München aus gesehen schon länger als großer Wurf. "Das Letzte, was dieses Land jetzt braucht, wäre eine Regierung, die einer Vision nachjagt", hatte die SZ schon vor Tagen festgelegt. Inspiriert vom Fernsehmoderator Rangar Yogeswar, der früher schon ermittelt hatte, dass die schlechte lage allein aus der schlechten Stimmung resultiere. Sie Strategie dagen sei einfach. Man müsse nur sagen "Hey, wir können, wir sind ein tolles Land."

Wirtschaftswumms und Klimageld

Eine Folge der enttäuschenden Bilanz der Ampel-Jahre: Gestartet mit verheißungsvollen Versprechen, legte das rot-grün-gelbe Regierungsbündnis nach nur drei Jahren Amtszeit eine bizarre Bruchlandung hin. Vom Wirtschaftswumms bis Klimageld, von Entlastung der Mitte bis zur Schaffung von mehr Gerechtigkeit blieb keine Erwartung enttäuscht. 

Zugleich ließen sich die Gescheiterten von den angeschlossenen Abspielstationen für ihre Erfolge loben. Schon die Halbzeitbilanz fiel durchweg positiv aus. Am Ende war es dann nur die FDP, die die Nerven verlor und durch ihren Verrat am Koalitionsvertrag verhinderte, dass die "sehr unterschiedlichen Partner" auch ihre verbliebenen Zusagen einlösen konnte. 

Wandern entlang der Nulllinie

Zufriedenheit lässt sich aller Erfahrung am sichersten herstellen, wenn ein kluges Erwartungsmanagement vorbeugend dafür sorgt, dass niemand sich mehr erhofft als ein trübes, trauriges Weiterso. Der Aufschlag auf dem Boden kommt einem Fallenden vor wie eine Ankunft an. Zumindest geht es jetzt nicht weiter abwärts. Die Wanderung entlang einer Nulllinie kann tröstende Sicherheit vermitteln. Zumindest wird es nicht mehr schlimmer und das ist schon mal sehr viel besser als das Gegenteil.

In einer Zeit, in der die Lumpen und Lügner sich überall breitmachen, erlaubt es die weltweite Großwetterlage nicht, dass Demokraten einstimmen in die Schimpfkanonaden der Feinde der Demokratie. Scheint auch wenig Anlass zu bestehen, frohen Mutes in die Zukunft zu schauen, so ist doch gerade das die Chance, es unverzagt zu tun. Wahren Glauben zeigt nicht, wer kleinlich ist. Wahren Glauben hat, wer an ihm festhält, wenn alle von ihm abfallen.

Kleingeistigkeit abgeschüttelt

Als die Süddeutsche Zeitung vor genau zehn Jahren  Europa aufgab und an die Mächtigen appellierte, die "gemeinsame Währung aufzulösen", gab sie sich einem Moment der Schwäche hin. Grundsätzliches  sei anzusprechen, hieß es, und zwar ein Problem der Währungsunion, das weit über das damals als ansteckend gefährlich geltende Griechenland hinausgehe: "Sie funktioniert nicht, zumindest nicht in ihrer jetzigen Zusammensetzung." 

Der Euro sei "auf Hoffnung gebaut, nicht auf Vernunft". Zeit, der Irrtum einzugestehen und umzukehren von einem Weg, der Fehlsteuerung und Fremdbestimmung bringe und die Völker des europäischen Kontinents gegeneinander aufbringe, statt sie zu einen. Ein mutiger Appell, der in den Korridoren der Macht ungehört verhallte. Und der Süddeutschen eine Erkenntnis einbrachte: Nach oben treten kann nur, wer auf dem Rücken liegt. 

"Deutsche Unterwerfungsmaschine"

Anerkennung aber gewinnt, wer nicht verrückte Verschwörungstheorien wie die des "Euro als deutsche Unterwerfungsmaschine" verbreitet und ihn als "Geheimplan zur Unterjochung des Kontinents" anprangere  - einen "Schlieffenplan mit Geld statt Soldaten" hatte ihn die Redaktion genannt. Sondern der, der gute Regierungspolitik noch viel besser erklärt, satt wie besinnungslos gegen Freihandel und Zollfreiheit zu hetzen.

Das Bemühen war seitdem immer da. Die Süddeutsche wandelte sich vom kritischen linksliberalen Blatt zum Sprachrohr des Richtigen, dessen Blick stets von oben nach unten ging. Je mehr sich die politischen Ränder einander unaufhaltsam angenäherten, desto treuer stand die SZ in der Mitte. Neben Annalena Baerbock. An der Seite Robert Habecks.  An der Seite der Demokratie und des Fortschritts.

Ein Text wie ein Denkmal

Dort steht der "Deutschland kriegts geregelt"-Text wie ein Denkmal. Spricht es denn nicht für die Lebenskraft eines Systems, wenn es Brücken bauen kann? Etwa zwischen einer Partei, die sich gerade noch entschlossen zeigte, sich niemals mit einer Partei an den Tisch zu setzen, die im Parlament gemeinsam mit in Teilen nachgewiesenermaßen rechtsextremen rechten Kräften abgestimmt hat. Und einer anderen, der die SPD immer zu staats- und schuldengläubig war, zu wachstumsfeindlich und zu bürokratiefreundlich. Kaum nirgendwo gibt es das noch in den gespaltenen Gesellschaften des Westens.

Dass es die Süddeutsche Zeitung war, die zuerst entdecke, wie flott es jetzt zum Aufschwung kommen und wie schnell sich Laune aufhellen wird, ist kein Zufall. In München hören sie das Gras wachsen. In Berlin muss es nur noch geraucht werden. Fünf Tage nach der Duloxetin-Depesche aus dem Süden verkündete auch Friedrich Merz, als Kanzler künftig ein natürlicher Begünstigter der Schreibarbeit der SZ, seine Osterbotschaft: "Nach dunklen Tagen kommt das Licht".

Alarmistische Unkenrufe

Einiges ist freilich noch zu tun, damit es so kommen kann. Der größte Feind jeder Regierung sind halbgare Studien, aus denen Medien alarmistische Unkenrufe fabrizieren. Die Statistik ist die Magd der Zweifler, die aus ihr kaputte Infrastrukturen, kriegsuntüchtige Armeen und  schwächelnde Konjunkturzahlen herauslesen. Sobald ein Kabinett die Statistiker im Griff hat, ist der Aufschwung greifbar und rasante Wachstumsraten nebst umfassender Zufriedenheit aller "allüberall" (SZ) sind beinahe garantiert. 

Niemand hat die Absicht, Daten zu manipulieren, aber gegen eine zuversichtlichere Einordnung kann niemand etwas haben. Eine Anzahl von 16.000 kaputte Brücken etwa, wie sie in diesen Tagen als Beleg für die prekäre Lage durch die Medienlandschaft geistert, erscheint nur so lange hoch, wie die Zahl  ohne Einordnung bleibt. Angesichts einer Gesamtzahl von 130.000 Brücken im ganzen Land realativiert sich die Parole: Bei einer normalen Standzeit von 20 Jahren sind 6.500 immer gerade mit einer Renovierung dran. Wirklich überfällig sind also eigentlich nicht einmal 10.000.

Es sieht so gut aus

So schlecht steht das Land also gar nicht da - es "kriegt" nicht nur "ein paar wichtige Dinge geregelt", sondern sogar dieses im Handumdrehen. Ähnlich entschlossen angepackt, können sich viele Probleme wie von selbst auflösen. Wenn die Entschlossenheit der Süddeutschen Zeitung, die rosa Brille nicht mehr abzunehmen, auf das unter einer Regierung Merz zu erwartende und so lange vermisste Höchstmaß an Staatskunst trifft, kann alles ganz schnell gehen. 

Mit einem neuen Förderbeschluss für Elektroautos etwa hätte Deutschland dann nicht nur mehr, sondern sogar deutlich mehr Elektroautoförderbeschlüsse als alle Minister sämtlicher Bundesregierungen seit 1949 an Elektroautos als Dienstwagen gefahren haben. Ein Zeichen, das weithin zu sehen sein wird. Auch Wladimir Putin, der bisher plant, den Angriff seiner Armee auf die westlichen Verbündeten  anzuordnen, sobald die Bundeswehr in drei, vier oder fünf Jahren verteidigungsfähig ist, wird nicht umhin kommen, anzuerkennen, dass Deutschland gerade ein paar wichtige Dinge beispielhaft geregelt kriegt. Und umgehend umplanen.


Ostern am Ende der Welt: Vom Scheitern des Christentums

Jesus am Kreuz Kümram Art
Knapp 2000 Jahre nach dem demonstrativen Tod des Jesus von Nazareth am Kreuz ist die Idee des Christentums komplett gescheitert.


Alles muss genauso Gottes Wille gewesen sein. Der Anfang der größten Geschichte der Welt, wie sie ein Filmregisseur einmal nannte. Und ihr Ende. Dafür spricht schon allein die schöne runde Zahl der Jahre, die Gott, der Chef von allem, Jesus' Geburt und an dem Ende seiner großen Idee von der anderen Backe, dem Frieden für alle und der Liebe zum Feind gelegt hat. 2.000 sind es etwa, anfangs war die Zählung noch ungenau.  

Die Frohe Botschaft

Aber nach zwei Jahrtausenden intensiver Forschung ist nicht viel mehr bekannt, dass Jesus am Tag seiner Kreuzigung zwischen 30 und 40 Jahre alt war. Doch die Hinrichtung erfolgte während der Herrschaft von Pontius Pilatus, der von 26 bis 36 nach Christus römischer Statthalter in Judäa war. Jesus könnte also auch 26 gewesen sein. Oder 25, denn das Jahr war noch jung an diesem Tag, der mittlerweile als "Karfreitag" durch die Jahre vagabundiert.

Fakt ist: Es ist vorbei. Den Gedanken, eine Welt zu bauen, die auf grenzenloser Liebe gründet, hat im Jahr 2025 nach der Geburt des Mannes, der ihn in die Welt gesetzt hat, selbst die von seinen Jüngern gegründete Kirche aufgegeben. Kirchenfürsten sagen heute, ja, wir lieben uns auf Feinde, aber wir müssen keinen Umgang mit ihnen pflegen. Wer dem falschen Irrglauben angehört, dem wird die Tür nicht mehr geöffnet, dem bleibt das gute Christenherz verschlossen. Vorbei die Zeit, als sich der nach aktueller Lesart flüchtenden Familie des Gottessohnes die Stalltore öffneten, um ihr ein Obdach zu geben.

Brandmauern statt Gebete

Zurückweisung, Brandmauern, Barrikade, sie sind die Zeichen der Zeit. Nur weil sie etwas anderes glauben als andere Menschen, lehnen Menschen Menschen ab. Und das Christentum, der große Brückenbauer, tut mit. Bis hin zum greisen Papst nach Rom haben sich die Kirchenoberen verabschiedet vom Grundsatz der bedingungslosen Liebe des einzigen und es wahren Gottes. Ein Auslaufmodell, das der Realität nicht mehr standhält. Ein Rezept, nach dem nicht mehr gekocht werden kann. Wer dem anderen die andere Wange hinhält, fällt selbst hinein. Wer nicht rüstet, wird verschlungen.

Das Ende des Christentums mit seinem Blumenglauben und den frommen Gesängen von Gottesdienstbesuchern, die sich ganz in die Hand des Herrn gaben, es führt die Gemeinden der heute 2,4 Milliarden Gläubigen zurück in die vielen Jahrhunderte, in denen Katholiken gegen Orthodoxe und Orthodoxe gegen Evangelen antraten, weil sie ihre Interpretation der Bibel für die einzig wahre hielten. Was sich Gott dabei gedacht hat, gleich mehrere Christentümer zu erschaffen und ihre für Außenstehende kaum unterscheidbaren Interpretationsdifferenzen zum Anlass für epische Schlachten mit hunderttausenden Toten zu nehmen. 

Fehden statt Federstrich

Was Gott der Herr damit bezweckte, immerhin ist er der Legende nach allmächtig und wäre damit problemlos in der Lage, den Kampf jederzeit mit einem Federstrich zu entscheiden, ist nie ausreichend und endgültig erforscht worden. Der Allmächtige hat es so gefügt, dass die, die am heftigsten für seine Lehre von der unendlichen und bedingungslose Liebe eintreten, die waren, die sie mit der größten Ausdauer zerstörten. 

Von Paulus von Tarsus, der selbst Christen verfolgte, bekehrt und eingesperrt wurde und mit seiner Missionsarbeit in Rom die Grundlage schuf, aus der verfolgten Sekte die weltweit beliebteste Religion zu machen, führt kein Weg in die Bischofspaläste der Gegenwart. Dort wird die Nächstenliebe ohne Vorbedingungen abgelehnt: Die eine Seite bietet Patriarchen auf, die Hass im Namen des Friedens predigen. Die andere leitet aus der  christlichen Glaubenslehre die Forderung ab, dass, wer Verantwortung für viele Menschen hat, auch die schwere Pflicht für ihre Verteidigung trägt. 

Hundert Mann in Reserve

Militärprediger haben inzwischen herausgefunden, dass die Bergpredigt Selbstverteidigung nicht verbietet. Ein "Friedenswort" der Bischöfe muss nach dieser Logik ein Bekenntnis zu Waffenlieferungen sein. Die Bundeswehr hat heute 200 Militärseelsorger, etwa je zur Hälfte evangelisch und katholisch. Hinzu kommen ebenso viele Pfarrhelfer. Sie könnte jeden ihrer Panzer mit einem Priester besetzen. Und hätte noch 100 Mann in Reserve.

Der Ursprungseinfall des Jesus von Nazareth, Hass und Hetze und Schläge und Schüsse in vollkommener Übereinstimmung mit Gottes Wort und Willen vergilt, indem er duldet, leidet und durch sein Beispiel wirkt wie Deutschland mit seiner Energiepolitik auf alle Staaten, die noch Erdgas, Kohle und Kernenergie verwenden, er hat sich überlebt. 

Was nach dem Tod kommt

Christen sind sicher immer noch gerecht, wo andere ungerecht sind; sie sind geduldig, wo andere ungeduldig sind; sie sind fleißig, wo andere faul sind und sie wissen genau, was nach dem Tod kommt, wo andere im Ungewissen leben. Aber inmitten einer Wirklichkeit, in der niemand dem anderen die Wange hinhält, wollen sie auch nicht die sein, denen das Gegenüber den Kopf abschlägt.

In seiner Karfreitagsbotschaft hat Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck von seinen Christinnen und Christen Friedenstüchtigkeit bei gleichzeitiger Kriegstauglichkeit verlangt. Der Essener Bischof, nebenher Militärbischof der Bundeswehr, schwärmte vom neuen Begriff "Kriegstauglichkeit", den er künftig anstelle des ministeriell eingeführten "Kriegstüchtigkeit" verwendet sehen will. Beide Worte seien erschreckend, lobte er, denn sie zeigten schonungslos, "wie bedrohlich die Lage" sei. 

Gebete helfen ja doch nicht

Doch es nütze nichts, sich den Realitäten zu verweigern und die Bedrohungslage zu ignorieren, so Overbeck. Gebete helfen nicht, wenn der Teufel vor der Tür steht. Es gelte deshalb, gesellschaftliche Akzeptanz dafür aufzubauen, dass "Friedenstüchtigkeit" und "Kriegstauglichkeit" keinen Widerspruch darstellten. "Wir müssen kriegstauglich werden – um friedenstüchtig zu bleiben."

Lange hat das Christentum an seiner Idee der Versöhnung und der Erlösung festgehalten. Die größten Mörder der Weltgeschichte waren Christen, doch Gott verzieh ihnen. Hitler stellte zwar die Zahlung der Kirchensteuern ein, trat aber nie aus der Kirche aus. 

Es wäre ohnehin zwecklos gewesen, denn wer einmal getauft ist, bleibt Christ wie ein türkischer Staatsbürger Türke, selbst wenn er ein Dutzend anderer Staatsangehörigkeiten annimmt und seinen türkischen Pass jedes Mal abgibt. Stalin dagegen tauschte nach zwei Jahren in einem Priesterseminar eine sichere Zukunft als Landpfarrer ein gegen eine Laufbahn als Weltrevolutionär und Massenmörder. Für die orthodoxe Kirche kein Grund, ihm übelzuwollen. 

Die allerbarmende Kirche

Die allerbarmende Kirche exkommunizierte weder Hitler noch Stalin, wie sie es mit dem englischen König von England Heinrich VIII. getan hatte. Der aber war auch eindeutig schuldig: Er ließ sich ohne Zustimmung des Papstes von Katharina von Aragón scheiden und heiratete mit seine Mätresse Anne Boleyn. Zu Beginn der 30er Jahre vertraten einige Bischöfe die Meinung, ein Katholik könne nicht Mitglied der NSDAP oder eines der ihr nahestehenden Organisationen sein. Wer dagegen verstieß, sollte exkommuniziert werden. 

Doch kaum hatte die Hitlerpartei die Regierungsgeschäfte übernommen, schickten die deutschen Bischöfe den Päpstlichen Thronassistenten Wilhelm Berning zu Hitler. Anschließend wurde das Verbot der Mitgliedschaft in einer Botschaft an die Gläubigen aufgehoben. Die katholische Kirche war nun sicher, dass man den "Kampf gegen Bolschewismus und Gottlosigkeit" gemeinsam am besten führen könne. 

Konflikt mit der Kirche

Erst seit sechs Jahren gilt wieder die christliche Grundbotschaft, "dass nationalistisches Gedankengut im Konflikt mit der katholischen Kirche" steht. Erst seit drei Jahren orientiert die Geistlichkeit ihre Schäfchen wieder darauf, als Streitmacht des Herrn mit gesegneten Waffen und gutem Gewissen in den Krieg gegen das Böse zu ziehen.

Ein Brauch von alters her. Über Jahrhunderte hinweg hatten die Stellvertreter Gottes auf Erden Schwerter, Schilde und Feldgeschütze der Truppen gesegnet, die im Namen Gottes gegeneinander antreten sollten. Christen schlachteten Christen, erst weil sie wissen wolten, welcher Jesus der wahre ist. Bis vor einem Vierteljahrhundert stand es unentschieden

Ohne Entscheidungsschlacht

Dann ließ Gottes genug sein. Er ersparte seinen irdischen Heerscharen eine Entscheidungsschlacht und findet sein Vergnügen seitdem darin, die ehemals als "Moslems" bekannten Muslime gegen Christen antreten zu lassen. Wenn er nicht lieber Schiiten gegen Sunniten ins Rennen schickt oder Wahhabiten Aleviten massakrieren lässt. 

Es sterben viele, doch wiederauferstanden ist seit fast 2000 Jahren keiner mehr. Jesus Christus, "unser Friede", wie er im Epheserbrief genannt wird, er steht nicht an der Seite der Opfer; er interveniert nicht für den Frieden, er beschwört nicht den Geist der Gewaltlosigkeit in einer von Gewalt durchdrungenen Welt. 

Wie noch immer, wenn es ernst wird, sind seine Priester näher bei Benrings Bekenntnis "Wir dienen dem Staat mit heißer Liebe und mit allen unseren Kräften" als bei dem Dietrich Bonhoeffer und seiner Ablehnung der Zeiten, in denen in Kircher "wieder Märtyrerblut gefordert werden wird". 600 Millionen im Jahr zahlt der deutsche Staat an die christlichen Kirchen. Schöne Geld.

Modisch gendern, aber mit Gluten

Wie die Kirche unter Hitler und die Kirche im Sozialismus will Gottes Schar auch heute dort sein, wo der Teil von Gottes Schöpfung sitzt, der über den anderen herrscht. So wie modisch gegendert wird, so dass es im Katholizismus nun die Begriffe "Pfarrerin", "Pastorin", "Bischöfin" und "Päpstin" gibt, nicht aber Pfarrerinnen, Pastorinnen, Bischöfinnen und Päpstinnen. 

Eine Anpassungsleistung, die nur in Details versagt, sich aber auf lange Sicht als Erfolgsrezept herausgestellt hat. "Nicht der Sieg im Krieg schafft Frieden, nur der Sieg über den Krieg", predigt die Kirche, doch wer den Frieden wolle, der müsse sich eben auf den Krieg vorbereiten. "Si vis pacem para bellum" wird den alten Lateinern zugeschrieben. Die konnten keine Christen sein, weil Gott Jesus noch nicht in Heilige Land geschickt hatte, um ihn dort von den Römern ermorden zu lassen.

Damit die Menschheit heute Ostern feiern kann.

Sonntag, 20. April 2025

Frohe Ostern allen Lesern!

Die Eiersaison hat begonnen.

Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. 

Schreibe, was du gesehen hast, und was da ist, und was geschehen soll darnach. 

Offenbarung 1,18

Friedensbewegung: Sag mir, wo die Panzer sind

Der Tod der Friedensbewegung
Aus der Friedensbewegung vergangener Jahrzehnte ist ein trauriger Rest an Unbelehrbaren geworden.

Seit mehr als sechs Jahrzehnten versammeln sich Menschen, um zu Ostern für den Frieden zu demonstrieren. Doch seit wirklich Krieg herrscht, ist das unmöglich geworden. Wer sich im dritten Jahr des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges noch auf die Straße stellt und gegen Waffenlieferungen, Nachrüstung und Kriegstüchtigkeit argumentiert, ist nicht mehr nur ein Putinversteher und Russland-Freund, sondern neuerdings auch noch ein Trumpist und mieser Verräter der europäischen Werte.  

Lieber aufrecht sterben

Die Friedenstaube, in den großen Zeiten der Systemauseinandersetzung zwischen dem von Moskau aus regierten kommunistischen Weltreich und dem freien Westen, ein Botschafter Ostberlins, der sich in progressiven Kreisen des Westens großer Beliebtheit erfreute, ist zur Nebelkrähe deren geworden, die Einknicken vor roher Gewalt und lieber im Knien leben wollen, als aufrecht im Stehen zu sterben, wie es sich gehört.

Die Ostermarschierer, sie sind verschwunden. Die Friedensbewegung, sie hat sich still und leise aufgelöst,  nach deutlich längerer Halbwertszeit als die vielen Nachahmungsorganisationen von Attac über Fridays for Future bis zur Letzten Generation. Aber sie ist nicht weniger weg. 65 Jahre nach dem ersten Ostermarsch, der 1960 vor einem Truppenübungsplatz im niedersächsischen Bergen-Hohne bei Celle stattfand, sind nicht einmal mehr die 20 Leute übrig, die damals aus Angst vor dem Atomkrieg mahnend vor eine Nato-Kaserne zogen.

Die größte Friedensbewegung

Undenkbar inzwischen. Die Nato gilt - wie früher die ostdeutsche NVA - als größte Friedensbewegung der Welt. Die SPD und die Grünen, die die Proteste gegen neue Panzer, Kanonen und Raketen in den 80er Jahren trugen, wetteifern heute darum, wer mehr und schneller größere Kaliber an die Front schicken kann. Immer im Wettbewerb mit der Union, die Westbindung von Anfang an als bewaffneten Frieden verstanden hat. Und nun in einem Punkt wenigstens nicht umfallen muss, um auf Augenhöhe mit dem modernen Pazifismus zu kommen.

Die weißen Tauben, sie fliegen nicht mehr. Die Friedenstaube ist zu einer ausgestorbenen Art geworden. Das erste Opfer des Krieges war die Friedensbewegung: Die Pazifisten, seit dem Ende des Koreakrieges bei jeder verbalen Truppenbewegung der US-Amerikaner zuverlässig auf der Palme, bescheiden sich heute mit stiller Bedenkenträgerei. Nicht einmal mehr versprengte Reste der Massen sind zu sehen, die früher jeden Nahost- oder Balkaneinsatz deutscher Truppen mit geharnischter Kritik überzog. Mitleid hatten sie sogar Saddam Hussein, Bashir al Assad und den Taliban. 

Biblische Logik

Die biblische Logik, dass niemand mehr jemanden schlägt, wenn alle einander die andere Wange hinhalten, schaffte es in den 90er Jahren raus aus der Wickelrock-Nische und rein in den Mainstream. Angela Merkel, ausgebildet bei der DDR-Zivilverteidigung, schaffte die Wehrpflicht ab.  Die von ihr erwählten Ministerinnen ließen die Bundeswehr vergammeln und verrotten. Ein Friedensdienst der anderen Art, fast schon für selbstverständlich genommen in einer Zeit, in der der Weltfriede tatsächlich ausgebrochen zu sein schien.

Out of area, da brannte noch etwas an. Aber Heimatschutz? Vor wem denn? Neue Raketen? Wozu? Die Friedensbewegung streckte die Waffen, überwältigt vom moralischen Dilemma: Kann sich denn, wer sich mit aller Kraft dafür eingesetzt hat, das Wettrüsten mit der kriegerischen Despotie Sowjetunion einfach einseitig abzubrechen, und zu schauen, was dann passiert, heute darauf verlassen, dass Wladimir Putin hält, was er nicht verspricht? Oder ist nicht das Wagnis größer, auf den Mann im Weißen Haus zu hoffen oder auf die Erkenntnis von irgendwem in Europa, dass dieser Krieg noch hundert Jahre dauern wird, wenn ihn niemand zu beenden versucht?

Vorabend des Dritten Weltkrieges

Am Vorabend des Dritten Weltkrieges begann das Ende der Friedenssehnsucht, die für ihre Überzeugung auf die Straße ging. Aus Angst, in der falschen Schublade zu landen, teilten sich die Friedenswilligen in die, die daheim weiter für den Frieden waren. Und die, es sich anders überlegt hatten, jetzt, wo es ernst geworden war. Alle zusammen verurteilten den russischen Angriffskrieg. Uneins waren sich alle nur darüber, ob der Kremlherrscher nicht doch ein bisschen recht oder ein bisschen sehr provoziert worden war. Oder komplett verrückt geworden.

Lebte der amerikanische Außenminister Alexander Haig noch, der 1981 verkündet hatte, es gäbe "wichtigere Dinge, als im Frieden zu leben", nämlich "Dinge, für die wir bereit sein müssen zu kämpfen", schlüge dem ehemaligen NATO-Oberbefehlshaber für Europa keine Welle der Empörung mehr entgegen, sondern olivgrüne Begeisterung. Für den Frieden zu sein, dass ist im Krieg von gestern. Die Älteren sind sicher, nicht noch mal eingezogen zu werden. Die Jüngeren so konditioniert, dass ihnen nichs ferner liegt, als als sich Schwerter-zu-Pflugscharen-Aufnäher an die Adidas-Uniform zu nähen. 

Für den Krieg sein

Für den Krieg zu sein, weil er allein Frieden verspricht, ist einfach. Für den Frieden zu sein, macht einsam. Die alte Bundesrepublik, in der die rigorose Ablehnung von Rüstung und Abschreckung zum Distinktionsmerkmal einer ganzen Generation wgeworden war, ist untergegangen,. Die DDR, die ihren Kindern den "bewaffneten Frieden" und den "Friedensdienst mit der Waffe in der Hand" einzuimpfen versuchte, hat sich auch in dieser Hinsicht als das lebensnähere System herausgetstelt.

Frieden ist kein Wert an sich mehr, sondern ein Zustand, der erkämpft werden muss. Imemr haben  Linke in der Bundesrepublik eine andere Art Frieden gemeint als die Friedensfreunde im Osten, die gern besiegt worden wären, wenn es ohne Blutvergießen hätte erledigt werden können. Dass nicht mehr der mit dem Überleben der Menschheit spielt, der alles auf Rüstung setzt, sondern der, der den Waffendienst verweigert, ist weitgehend Konsens.

Wozu sind Kriege da

Unvorstellbar, dass noch einmal 300.000 Menschen zusammenkommen, um gegen Aufrüstung und Raketenschach zu protestieren. Unvorstellbar, dass ein SPD-Politiker die Friedensbewegung lobt als das "Bündnis derer, die nichts mehr von Rüstung wissen wollen". Kein Udo Lidnenberg fragt heute mehr "Wozu sind Kriege da?" Keine kölsche Band, die den "Noodelstriefe-Schreibtischtäter" ein todesmutiges "Plant mich bloß nicht bei Euch ein" entgegenschleudert und sicher ist, dass "Eure Schachfiguren denken gelernt" haben und nun "einfach vom Brett" springen. Von wegen "bis zum Kadaver wird jetzt nicht mehr pariert" von wegen "probiert doch selbst, wie Dreck schmeckt!".

Vorm Krieg wird nicht gesungen, vom Frieden auch nicht. "Würde ein Grüner heute Petra Kelly zitieren, klänge deren 44 Jahre alter Satz "Wir wollen aus diesem waffenstarrenden, weltumspannenden Irrenhaus ausbrechen. Wir wollen kein Feindbild, wir wollen nicht das Fußvolk einer Raketenpartei sein" wie der Aufruf zum Austritt aus der einstigen Öko- und Friedenspartei.

Nicht einmal Spuren

Paralysiert, katatonisch und dermaßen eingeschüchtert, dass von der zweitgrößten gesellschaftlichen Bewegung, die Deutschland jemals hervorgebracht hat, nicht einmal mehr mikroskopische Spuren übriggeblieben sind. Die Pfarrer schweigen. Die Pastoren holen die alten Feldbibeln wieder hervor. Niemand will als Fünfte Kolonne des Kriegstreibers im Kreml aus der Gemeinschaft der friedliebenden Demokraten ausgeschlossen zu werden. Die Atlantiker haben nicht etwa die Führung übernommen, die  Scharfmacher bestimmen nicht die Tonart. Alle sind Atlantiker. Alle singen wie Scharfmacher.

Wer widerspricht, überlebt das politisch nicht. Die Mühlen mahlen langsam, aber alle Einwände zu Staub. Die Alten in der Bewegung haben den Text von "Es ist an der Zeit", "weit in der Champagne, im Mittsommergrün, dort wo zwischen Grabkreuzen Mohnblumen blüh'n" lässt sich heute gut Urlaub machen. Die Jüngeren werden mit ihren Protestliedern über "ruhmsüchtige Kriegsminister, ehrgeiz'ge, greise Generale und deren Mordgeschwister" nicht mehr gehört. Wie das Land sind seine Protestler gealtert, jederzeit bereit zum Aussterben: 30 Jahre nach den Ende des kalten Krieges ist die Weltlage zu kompliziert, um als Ostermarschierer Position zu beziehen.

Unterhaken mit Donald Trump

Wer gegen den Krieg auf die Straße geht, hakt sich mit Donald Trump unter. Im früher Freidesnbewegten Milieu ist das vergleichbar mit der Vorstellung, von Putin geküsst werden zu müssen. Mit Zunge. Und wer der Nato eine Mitschuld am Morden in der Ukraine zuschiebt, greift seine eigene Regierung an. Zwischen den Tischen, an denen die Weltmächte verhandeln, ist kein großer, idealistischer Volksaufstand gegen Hochrüstung, Waffengeklirr und Kriegstüchtigkeit möglich.

Als moralische Großmacht braucht Deutschland nicht nur eindeutige, sondern vor allem die richtigen Feindbilder.  Fehlen sie, geht die Nation, die sich selbst für so pazifistisch hielt wie ein Gänseblümchen, am eigenen Anspruch zugrunde: Krieg kann sie nicht. Frieden kann sie gerade nicht wollen. So lange die Friedensbewegungnicht gebraucht wurde, gehörte es zum Standardrepertoire der amtlichen "Tagesschau", über die Handvoll Ewiggestriger zu berichten, die vom "Ostermarsch" nicht lassen wollten. Seit es eine Friedensbewegung bräuchte, ist keine mehr da.

Jesus mit Knarren

Wolf Biermanns "Jesus mit der Knarre" ist das neue Normal, die Feldküche die gesellschaftliche Perspektive. Wo vor zehn Jahren noch jede Vereidigung von Bundeswehrrekruten unter Polizeischutz stattfinden musste, weil die militante Linke die Militarisierung handfest bekämpfte, soll die verbliebene Trümmertruppe heute nicht nur die Linke, sondern auch die Rechte und die hart arbeitende Mitte schützen. Aus der Aufregung über jede neue Raketen ist Achselzucken geworden. Die Aufrechnung von Billionen für Panzer, Granaten und Jagdflugzeuge gegen Schulklos, Schienen und Frauenschutzhäuser hat aufgehört.

Die Friedensbewegung ist am Krieg gescheitert. Je häufiger die EU ihre Friedenslüge wiederholte, je häufiger die Bundeswehr als Entwicklungshilfeorganisation in Uniform verkauft wurde und je mehr es gelang, den Eindruck zu vermitteln, dass Deutschlands militärische Hilfslosigkeit kein Versagen ist, sondern eine Pionierleisteung, desto sicherer war das Land vor Massendemonstrationen gegen den Krieg und Wehrpflicht zugleich. 

Dämlihcer Donald Trump

Was haben wir gelacht über Donald Trump und seine dämliche Zwei-Prozent-Forderung? Nicht einmal protestieren lohnte sich dagegen.  Noch ist der mentale gesellschaftliche Zustand nicht wiederhergestellt, aus dem die euphorische Kriegsbegeisterung der Schlafwandler von 1914 wuchs. Aber dass es keinen Fluchtweg gibt, wenn man auf dem Schlachtfeld wohnt, das hat sich herumgesprochen.

Samstag, 19. April 2025

Zitate zur Zeit: Absehbare Folgen der Automatisierung

Automatisierung Folgen    Registratur Arbeit    Ove Sprogøe Olsenbande    Olsenbande Film 1978    Egon Olsen Zitat
 

Ungefähr 700 Personen arbeiten in der Registratur. Das ist eine Folge der Automatisierung.


1978 kommentiert der dänische Schauspieler Ove Sprogøe im Kinofilm "Die Olsenbande steigt aufs Dach" in seiner Rolle als Bandenchef Egon Olsen die bereits absehbaren Folgen der bevorstehenden Digitalisierung

Ein Mann, ein Wort: Habecks Verrat am Wahlbetrug

Ein Rückzug aus strategischen Gründen: Robert Habeck ist zwar bitter enttäuscht von den deutschen Wählern. Eigentlich aber ist die Rückgabe seines Bundestagsmandats der erste Schritt in Amt des Bundespräsidenten.

Er hatte es versprochen, hoch und heilig. Ein Mann. Ein Wort! Für Robert Habeck war es Ehrensache, die Deutschen aus diesen dunklen Tagen der Depression zu führen. Ein Politiker, ein Plan! Seit der Mann aus Schleswig-Holstein 2021 in den Bundestag eingezogen war, galt er als Hoffnungsträger nicht nur der Menschen, die es vom Herzen her schon immer mit den Grünen halten.

Habeck kam mit großer Erfahrung aus einem Ministeramt im Norden, in ihm verbanden sich die Wesenszüge eines smarten, sympathischen Philosophenpolitiker mit dem zupackenden Tatendrang eines Machers, der besser als andere wusste, was diese tun und lassen dürfen. 

Sehnsucht und Erfüllung

Habeck war Sehnsucht und Erfüllung in einem, ein Mann, ein Wort. Eine Partei, ein Versprechen. Höflich hinter Annalena Baerbock zurücktretend, plante der gebürtige Lübecker den Generalangriff auf die fossile Mehrheitsgesellschaft.

In den ersten vier Jahren sollte die Fortschrittskoalition aus Roten, Grünen und Gelben unter einem sozialdemokratischen Kanzler die Basis für die große Transformation legen, getreu der Pläne, die Patrick Graichen und sein weitverzeigtes Agora-Vetternnetzwerk in den langen Oppositionsjahren erdacht und ausgeklügelt hatten.

Im zweiten Anlauf dann würde Habeck selbst ins Kanzleramt einziehen, getragen von einer Bevölkerung, die eingesehen hat, dass nur er die Erde vor dem Verbrennen und die Deutschen vor Wohlstandsverlusten bewahren kann.

Fünfmal schneller verlorenes Vertrauen

Dass alles schiefging unter Olaf Scholz, dass die Dreierkoalition in Berlin das bisschen Vertrauen, das sie anfangs genoss, fünfmal schneller verlor als Angela Merkels Regierungen, war nicht Habeck zuzuschreiben. Er stand am Ende dennoch bereit, die maroden Laden zu übernehmen. Ein "Bündniskanzler" würde er werden, gestützt auf ein "Team Robert", das seine Berater wenig später auf der Suche nach Seriosität in "Team Habeck" umbenannten. Ein Mann. Ein Wort, versprach Habeck noch vor 55 Tagen. 

König Demokratus, wie sie ihn in Hamburg nannten, war die Brandmauer zwischen liberaler Anarchie und gekämmter Regelgesellschaft. Der Held aus Heikendorf wurde umschwärmt und im Wahlkampf gefeiert. Er gab sich für ordnungswidrige Werbeaktionen her, die den Rechtsstaat verhöhnten. Er schwenkte auf der Suche nach Zustimmung mal nach rechts und mal nach links. Seine Agentur beschäftigte hunderte Bots und Fake-Accounts, um den Eindruck zu erwecken, dass der schon im Herbst vergangenen Jahres deutlich von der Last seines Amtes als Superminister für Klima und Wirtschaft gezeichnete Mittfünfziger von einer echten Begeisterungswelle getragen werde.

Alle Tabus fielen in diesem Schicksalswahlkampf. Selbst die Instrumentalisierung des Massenmordes an den Juden im Dritten Reich war nicht schmutzig genug. Habeck ersparte seinen Fans allerdings das Selfie vor den Öfen. Sein Anhang argumentierte anschließend, der grüne Starter im Kanzlerrennen sei nun Favorit. 

Strafbare Falschbehauptung

Eine Behauptung, die nach dem Willen der kommenden Koalition in einigen wenigen Wochen wohl schon als "bewusst verbreitete falsche Tatsachenbehauptung" vom Grundrechtsschutz ausgenommen und von eigens eingerichteten Meinungsgerichten bestraft werden wird. Ein Ruck in eine Richtung, der Robert Habeck Angst gemacht haben wird. 

Wie soll Politik noch funktionieren, wenn Politiker gezwungen würden, sich an objektive Wahrheiten zu halten, statt sie je nach Bedarf frei zu eigenen Gunsten zu interpretieren? Wie soll ein Mann ein Land verantwortlich regieren, wenn ihm die Möglichkeit genommen wird, an seinen Träumen und Visionen festzuhalten, auch wenn sich längst gezeigt hat, dass sie nicht den Bach hinauf, sondern hinunter in den Abgrund führen?

Angst vor dem Lügenverbot

Die absehbar bedrohliche Lage durch das schwarz-rot-koalitionäre Lügenverbot wird Habeck wohl bestärkt haben in seiner Entscheidung, es jetzt genug sein zu lassen. Auf den üblichen Wegen hat Habeck im politischen Berlin durchsickern lassen, dass er sein Angebot zurückziehen wird, auch die nächsten vier Jahre für die Wählerinnen und Wähler im Wahlkreis Flensburg-Schleswig da zu sein. Das ist nicht mehr seine Welt. Das ist mehr das Land, das er transformieren wollte. 

Nein, den Satz "Macht euern Dreck alleene!", der dem letzten sächsischen König Friedrich August III. zugeschrieben wird, der 1918 wütend abdankte, als sich die Bürgerinnen und Bürger weigerten, die Monarchie zu verteidigen, hat Habeck nicht gesagt. Er zieht sich still zurück, dorthin, wo er zu Hause ist. Vorwürfe wie den, er übe damit offenen Verrat am Wahlbetrug, lässt er bisher still an sich abbtropfen. Natürlich ist ein Job als einfacher Abgeordneter für eine wie ihn zu klein und zu popelig. Natürlich hatte er für sich selbst längst beschlossen, dass er als Kanzler weitermachen wird. Oder gar nicht.

So großer Schmerz

Die Leute hätten ihn nur wählen müssen. Stattdessen aber haben sie ihn verraten. Der Schmerz der Wahlniederlage, die noch schlimmer ausfiel als die der "Plagiatsprinzessin" 2021, er sitzt tief und er brennt immer noch. In seiner Hochburg im Norden, wo der Name Habeck wie Donnerhall klingt, war der grüne Direktkandidat bei der Bundestagswahl zwar mit 22,6 Prozent einer völlig unbekannten  Hinterbänklerin der CDU unterlegen gewesen. Dank der frisch verabschiedeten Wahlrechtsreform aber zog nicht die Unternehmergattin in den Bundestag ein. Sondern Habeck, der Mann mit dem sicheren Platz auf der Landesliste. 

Manchen hätte das gefreut, manches hätte es glücklich gemacht. Doch für einen Mann, der fast vier Jahre lange gezeigt hat, wo es langgeht, der seine Partei binnen weniger Tage zum Kanzlerwahlverein umbauen konnte und seither alle Beliebtheitslisten anführt, war das eine herbe Enttäuschung. Die Wahl verloren. Das Ministeramt. Die Macht. Und den Wahlkreis. Wie viel Undankbarkeit und Hass kann ein Mensch ertragen. 

Das Volk hat sein Vertrauen verloren

Nein, das Volk hat das Vertrauen des grünen Kanzlerkandidaten verscherzt. Und da es immer noch keine gesetzlichen Regeln gibt, die es einer provisorischen Regierung erlauben, das Volk aufzulösen und sich ein anderes zu wählen, zieht Robert Habeck eben die Konsequenzen: Ohne Tränen, ohne Jammern und Greinen. Robert Habecke wird sein Bundestagsmandat niederlegen und sich nach dem Abschied von Grünen-Vorsitz, Spitzenkandidatenamt und Bundesklimawirtschaftsministerium ganz ins Privatleben zurückziehen. 

Nach der als Absage verkleideten Bitte Habecks, ihm bei der Neuaufstellung der Partei entsprechend seiner Bedeutung für die Nation und die globale Gemeinschaft bedeutende Ämter zuzueignen, hatte der Mann, der eben noch Herz und Hirn der gesamten Organisation gewesen war, wohl noch gehofft, sein Anliegen werde erhört. Doch schon ein, zwei Tage später war klar: Die von ihm selbst installierte neue Parteiführung hatte nicht vor, ihm oder seiner langjährigen Konkurrentin Annalena Baserbock mehr zu reichen als ein Gnadenbrot.

Das Wort hielt 52 Tage

Einer wie Robert Habeck, fast ein Jahrzehnt lang nur auf dem Weg nach oben, spielt dieses miese Spiel nicht mit. Er ist dann mal weg. Ein Mann, ein Wort, das genau 52 Tage gehalten hat. Was seit Wochen absehbar war, weil Habecks Team aus Sockenpuppen seine Propagandaarbeit nahezu völlig eingestellt hatte, ist nun bittere Wirklichkeit für 84 Millionen Menschen allein in Deutschland und weitere 8,1 Milliarden weltweit. Sie alle werden lernen müssen, ohne ihn zu leben und zu überleben. Denn statt als "Bündniskanzler" eine neue "Zuversicht" (Habeck) einzupeitschen, geht Habeck einfach in den Ruhestand. Rache, kalt genossen.

Die Entscheidung über die Nachfolgerin ist im Hinterzimmer bereits ausgehandelt. Wie es guter Brauch ist bei den Grünen, wird ein ausgebildeter Nomenklaturkader auf den Giganten folgen. Die 25-jährige Studentin Mayra Vriesema bringt alles mit, was ein grüner Hoffnungsträger haben muss: Sie wurde schon mit 19 Jahren von der parteieigenen Heinrich-Böll-Stiftung finanziert, ist als Mitarbeiterin einer grünen Bundestagsabgeordneten auch finanziell seit Jahren von der Partei abhängig und sie ist noch nie einer Erwerbstätigkeit außerhalb der geschützten Parteiblase nachgegangen.

Keine Arbeit mehr mit dem Mandat

Ob sie die Fußstapfen ausfüllen können wird, die ihr 55-jähriger Vorgänger so tief in den "grünen Sumpf" (Mario Czaja) gedrückt hat, wird sich zeigen, wenn Vriesema Habecks Abgeordnetensitz nach der parlamentarischen Sommerpause übernimmt. 

Habeck selbst wird bis dahin nicht mehr allzuviel Arbeit mit seinem neuen Mandat haben: Derzeit plant die rot-schwarze Mehrheit im Bundestag, es ganz ruhig angehen zu lassen mit der Arbeit. Erst Ende Mai, drei Monate nach der Bundestagswahl, stehen erste ernsthafte Sitzungen an. Acht Wochen später geht es dann schon in die große Sommerpause bis Mitte September. Angesichts der derzeit weltweit recht ruhige Gesamtlage sehen die Volksvertreter  keinen Grund, an diesem alten Brauch etwas zu ändern.

Das neue Amt im Visier

Kommt der Herbst, kommt Robert Habeck nicht zurück. Natürlich drängeln hinter ihm jetzt schon die, die ihn beerben wollen. Natürlich spekulieren Freund und Feind, die im politischen Berlin zurückbleiben, welchen Plan der gescheiterte grüne Spitzenkandidat mit seinem zornigen Ausstieg wohl langfristig verfolgt. Ist Habeck wirklich nur sauer, weil seine Partei ihm nicht einen Posten bei der Uno besorgt hat? Fühlt er sich zurückgesetzt, weil die Leute, die er selbst ins Team Habeck geholt hat, lieber den von ihm aussortierten Omid Nouripur zum Bundestagsvize machten und nicht ihn? Oder spekuliert in ganz anderen Dimensionen?

Die Amtszeit von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier endet im Jahr 2027, erfahrungsgemäß beginnen die Verhandlungen um einen Nachfolger bereits Ende diesen Jahres. Schon vor einem Jahr hatte die damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) vorgeschlagen, dass sich die vom Bundesamt für Verfassungsschutz als demokratisch anerkannten Parteien vor der Wahl des nächsten Staatsoberhaupts in Hinterzimmerabsprachen auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen sollten.

Verbindendes trennt

Als Grundanforderungen an das Profil des Betreffenden formulierte die CDU-Vizechefin Karin Prien damals, dass er "das Verbindende über das Trennende stellen und dabei jederzeit unmissverständlich zu den Werten unserer Gesellschaft stehen können" müsse.

Wer diese Vorgaben in die Bilderzeugung der KI ChatGPT eingibt, bekommt ein Bild von Robert Habeck geliefert.

Freitag, 18. April 2025

Strategische Seitenwechsel: Schwarz-grünes Traumpaar

Carsten Linnemann  und Ricarda Lang sind das neue Traumpaar
Der junge Maler Kümram hat die beiden Jungpolitiker, die sich für größere Aufgaben aufsparen, auf einer Blumenwiese skizziert.

Der Plan, den Ricarda Lang wohl direkt nach ihrem Rauswurf zu schmieden begann, war bestechend. Eben hatte die 31-Jährige sich sagen lassen müssen, dass nicht die Amtsführung der grünen Minister, sondern ihr engagiertes Bemühen um Schadensbegrenzung durch Talkshow-Auftritte die Grünen bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen auf den Status einer Nischenpartei zurückgeworfen habe. Lang, pfiffig, sympathisch und flink im Kopf, sah sich aussortiert, ohne jede Gelegenheit, einen Machtkampf auch nur anzufangen.

Ohne zu Murren

Ohne zu Murren folgte die Frau aus Filderstadt der Aufforderung, Platz zu machen für neue Kräfte. Und im Gegensatz zu ihrem Vorstandskollegen Omid Nouripur verweigerte die Partei ihr, der Frau, trotzdem die Zusicherung, bei nächster Gelegenheit einen prestigeträchtigen Posten als Parlamentspräsidentin, Verfassungsrichterin oder Verwaltungsvorsitzende der Vereinten Nationen zugeschanzt zu bekommen.

Der Plan, den Ricarda Lang daraufhin entwickelte, zeigte sich schon nach wenigen Wochen der Absenz in ersten Ansätzen. Die nach allen Vorschriften der grünen Kaderentwicklungsrichtlinien von der Grünen-Jugend-Chefin bis zur Parteivorsitzenden aufgestiegene Bildhauertochter gestand zur besten Sendezeit im Gemeinsinnfunk Fehler ein. Statt der bekannten grünen Kampfmaschine saß da eine verletzte Seele voller Funktionsreue, die mit ihren Sorgen nicht länger hinter dem Berg halten konnte.

 Auf einmal ohne Wordings

 "Manchmal verbringen wir in Berlin so viel Zeit damit, Wordings untereinander abzustimmen, dass wir dabei vergessen, ob da draußen überhaupt noch jemand versteht, was wir sagen", hatte Lang in dem Moment bemerkt, in dem niemand mehr mit ihr Wordings absprechen wollte. Über Jahre war sie so eingespannt gewesen, dass ihr das nie aufgefallen war. Zu tief drin. Zu viel zu tun, um irgendwann einmal nachzudenken.

Der Abschied, das war zu spüren, fiel ihr schwer. Aber die Zukunftsaussichten machten ihre offenbar auch große Lust darauf, beim nächsten Mal weniger über Klimaschutz zu reden, dafür aber "mehr über Jobs, Wachstum, soziale Sicherheit". 

Unverdrossen für ein Comeback

Lang, deutlich jünger als die jetzt scheidende Generation der Habeck, Özdemir, Baerbock, Paus und Lemke, begann unverdrossen an ihrem Comeback zu arbeiten. Fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit verändert ihre Position. Lang rutschte unaufhörlich nach rechts. Sie distanzierte sich vom linksradikalen Behütungsversprechen, mit dem die Grünen unter Habeck so tragisch gescheitert waren. Der Anführer, der Chef, der Leitstern einer ganzen Generation, er geht jetzt still. Robert Habeck ist vom Volk enttäuscht, er wird sich ein neues suchen.

Ricarda Lang hat es kommen sehen. Schon vor Monaten brach mit einer der wichtigsten grünen Traditionen und eine Lanze für die Meinungsfreiheit. Und sie widersprach denen in der Partei, die meinen, man müsse die eigene, von vielen als grundfalsch verstandene, Politik das nächste Mal nur besser erklären, dann werde das schon mit dem Habeck als Bündniskanzler. Es wäre ein aufsehenerregender Schritt aus dem Ruhestand auf einer Hinterbank des Deutschen Bundestages gewesen. Doch er fiel nicht auf.

Abnehmen als Ausweg

Der Trick dabei: Parallel zu ihrer Neuerfindung als Vorsitzende der AG Realisten bei Bündnis90/Die Grünen speckte Lang drastisch ab. Nein, sie sei nicht müde der Vorwürfe, so viel mehr breit als Lang zu sein, sagte sie. Ihr sei nur halt gerade so danach. Weniger Reisen, mehr Zeit - auch zum Kochen. Die Machtdiät tat ihr sichtlich gut.

Als gewiefte Taktikerin weiß die Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Backnang – Schwäbisch Gmünd, die noch niemals außerhalb der Politik einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, dass Haut zeigen muss, wer nicht nach dem gefragt werden will, was er im Kopf hat. Die persönliche äußerliche Transformation dient Ricarda Lang als Schutz ihrer inneren Zeitenwende: Beim jüngsten Klassentreffen unserer Demokratie im feinen Hotel Adlon ging Lang auf offene Konfrontation. Wie Annalena Baerbock kam sie im roten Kleid

Kampfansage an die Konkurrenz

Eine Kampfansage an die innerparteiliche Konkurrenz. Ja, wenn sie zurückkehrt, dann so rank und schlank und schön wie die Außenministerin: Und mindestens so intellektuell und beliebt wie Robert Habeck. Nur eben ohne dessen ewige Seeleningenieursattitüde. Ricarda Lang wird nicht vorgeben, Leben gestalten zu können und die Wirtschaft lenken zu wollen wie Gerhard Schürer und Robert Habeck. Sie wird angekommen sein, wenn sie wieder dort ist, wo sie war, ehe ihr eine neue Parteispitze aus blutigen Amateuren und provinziellen politischen Leichtgewichten vor die Nase gesetzt wurde. 

Es wird nicht lange dauern

Als intime Kennerin des politischen Berlin weiß Lang, dass es nicht lange dauern wird, bis die Brantner, Banaszak, Edalatian, Giegold, Knopf und Audretsch abgewirtschaftet haben werden wie die aktuelle grüne Ministerriege. Niemand wird sich in ein, zwei Jahren noch an Namen wie Dröge und Haßelmann  erinnern. Niemand wird der Zeit nachtrauern, als sich führende Figuren der Partei ihren Platz im Parlament über Nebenwege und Menschenopfer verschaffen mussten.

Ricarda Lang wird bereit sein, wenn an der Basis die Sehnsucht nach den guten alten Zeiten wächst und die meisten grünen Mitglieder aller Zeiten verunsichert und verängstigt Parteibasis danach rufen, doch wieder Volkspartei werden zu wollen. Dann werden sich alle daran erinnern, wer damals am Ruder stand, als es ganz nach oben zu gehen schien und die Grünen nicht nur einfach mitregierten, sondern den Kurs bestimmten.

Ein anderer im zweiten Glied

Ein Comeback, auf das sich auch Carsten Linnemann heute schon vorbereitet. Der jugendliche Generalsekretär der CDU hatte seine glücklosen ostdeutschen Vorgänger Mario Czaja erst im Sommer 2023 abgelöst und die Union in kürzester Zeit auf Umfragewerte von 34 Prozent geführt. Auch zur Bundestagswahl reichte es noch zu 28,5. Genug, um das zweitschlechtesten Abschneiden aller Zeiten als Kantersieg über alle anderen Parteien der demokratischen Mitte zu feiern.

Für Friedrich Merz war Linnemann, ein gedienter Soldat mit Wirtschaftsstudium, das konservative Fähnchen, hinter dem die Garde der Merkelianer hinterhermarschieren musste. Der Münsteraner hatte den Paderbornen handverlesen. Der knapp 20 Jahre jüngere galt als künftiger Kanzlerflüsterer, der für seine Dienst in der Partei mindestens mit einem der drei wichtigen Ministerien belohnt werden würde.

Ausgeschlagenes Angebot

Vom Grundinteresse her kam nur Wirtschaft infrage. Das Angebot lag auf dem Tisch. Doch Linnemann will es nun nicht. In einem bizarren Film, dessen setting an eine Satiresendung erinnert, teilte er Partei und Bevölkerung seinen Entschluss mit, lieber Generalsekretär bleiben zu wollen als dort zu dienen, wo es angesichts der verfahrenen Lage am wichtigstens wäre.

Mit dem Satz "Hallo zusammen, ich wollte mich mal schnell melden", hat der 47-Jährige einen modernen Klassiker der politischen Unterhaltung geschaffen. Er stehe hier in einer "tollen Kulisse", nämlich "an den Fischteichen", sagt Linnemann ohne eine Miene zu verziehen, "und wer mal in der Nähe unterwegs ist, muss das unbedingt anschauen". 

Richtig lustig wird es anschließend, wenn Linnemann verkündet, dass er Generalsekretär bleibe und das "gut, richtig gut" finde, weil es "genau mein Ding" sein. Den Kabinettsposten habe er abgelehnt, denn "es muss auch passen, sonst macht das keinen Sinn". Cartsen Linnemann, ein jugendlich, aber meist ernsthaft wirkender Politiker, gibt den Clown. Hier ist einer unverkennbar schwer enttäuscht vom Gang der Dinge. Von einem künftigen Kanzler, der noch im Hafen alles über Bord wirft, was man sich vorgenommen hatte.

Aufgesparter Politikwechsler

Carsten Linnemann hätte auch ein rotes Kleid tragen können, um zu signalisieren, dass er sich lieber für später aufsparen will, wenn der "Politikwechsel", der er jetzt "als Generalsekretär besser forcieren" zu können glaubt, erst mit Wumms vor die Brandmauer gefahren ist. Nein, der ewige Nachwuchskader ist kein besonders guter Diplomat. Immerhin aber erspart sich der "Favorit für das Amt des Wirtschaftsministers" deutliche Hinweise auf die Gründe seiner Demission. 

Die Fischteiche. Die Einladung sich das "unbedingt" anzuschauen und die Anspielung auf das "Forcieren" müssen reichen. Paderborner Pathos.

Es wird nicht vorbei sein


Wie Ricarda Lang meldet da einer Ansprüche an, ohne zu drängeln. Soll Friedrich Merz sich doch verkämpfen zwischen einer SPD, die die fehlende Volksbegeisterung für ihre erstickende Fürsorge- und Verbotspolitik am liebsten mit einem kräftigen Linksrutsch befeuern würde. Und dem rechten Rand, den Merz hatte halbieren wollen, der ihn aber nun wohl bald halbiert haben wird. Wird Friedrich Merz sich den Affront bieten lassen? Diese unausgeprochene Illoyalität? Oder wird er die Entscheidungsschalcht suchen und Linnemann den Gefallen tun, ihn wegzumerkeln?
 
Dem Generalssekretär kann es gleichgütkig sien. Muss er gehen, hilft ihm das. Darf er bleiben, hilft es auch. Wenn es vorbei ist, wird es noch lange nicht vorbei sein. Die wirklich Cleveren halten sich zurück, sie treten im richtigen Moment auch mal ganz aus dem Glied, um sich dann - vielleicht erst nach vielen Jahren - als Erlöser wieder zu materialisieren.
 

Jetzt ist nicht die Stunde

Jetzt ist nicht die Stunde, die besten Kräfte in einem aussichtslosen Kampf zu opfern, mag Carsten Linnemanns "Bauchgefühl" (Linnemann) seinem Besitzer gesagt haben. Der Job, den er ausgeschlagen hat, liegt jetzt als unwiderstehlicher Köder vor seinem schärfsten Konkurrenten Jens Spahn. Mag der sich doch daran verschlucken. 

Friedrich Merz, Linnemanns Mentor, hat es vorgemacht. Als der heutige CDU-Chef und künftige Vielleicht-Kanzler beiseite trat, nachdem Angela Merkel ihn geschoben hatte, war er 49 Jahre alt. Bei seiner Wahl zum Parteichef 49. Linnemann hätte Zeit bis 2043. Dann könnten er und Ricarda Lang das Traumpaar sein, das Deutschland mit einer schwarz-grünen Fortschrittskoalition aus dem Koma weckt.

Almosen für alle: Auskömmlich reich

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Die Frühstart-Rente ist ein weiterer Schritt zur Rentenwahrheit: Die staatliche Rente ist weder sicher noch wird sie auskömmlich sein.

Die Rente ist nicht sicher, schon wieder nicht, obwohl erst Grüne, FDP und SPD sie per Gesetz festgeschrieben und für sicher erklärt haben. Bis 2038, schon als das Jahr des endgültigen Kohleausstieges kein Datum wie jedes andere, so bestimmte die später so dramatisch gescheiterte Ampelkoalition, dürfen weder Beiträge so hoch steigen, dass sie alle Renten in der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe finanzieren können. Noch dürfen die Renten auf das Maß sinken, das die noch vorhandene Beitragssumme hergibt.

Regelung mit Ewigkeitskraft

Im Grunde eine Regelung mit Ewigkeitskraft, die der Rentenkanzler Olaf Scholz in der Nachfolge von Norbert Blüm als dem bekanntesten Garanten sicherer Renten durchgesetzt hatte. Allein die Mathematik widerspricht den Festlegungen. Deutschland steckt in der demografischen Falle. Immer weniger Beitragszahler müssen immer mehr rentenberechtigte ehemalige Beitragszahler aushalten. Entsprechende Produktivitätsfortschritte vorausgesetzt, wäre das kein Problem. 

Doch wie der frühere EZB-Chef Mario Draghi im vergangenen Jahr in seinem Bericht zur Lage der Union dargelegt hatte: Dank eines Dschungels von mehr als 13.000 Gesetzen und Rechtsakten gefunden, mit denen die EU Fortschritt behindert und Bürokratie beständig ausbaut, steigt die Produktivität in Europa nur noch "schwach, sehr schwach" , so dass die Effizienzgewinne nicht ausreichen, dass weniger Arbeitnehmer mehr Ruheständler finanzieren können. 

Ein schöner Platz auf der langen Bank

Ein Problem, das eines Tages sehr akut werden wird, bis dahin aber immer wieder einen schönen Platz auf der langen Bank bekommt hatte, dort, wo sich die Suche nach einem Atommüllendlager nun sogar bis 2074 hinziehen soll, damit kein heute lebender Politker mehr jemandem sagen muss, dass es in seiner Nachbarschaft ideal angesiedelt wäre.

Jede neue Bundesregierung betrachtet es interessiert, aber am liebsten aus weiter Ferne. Um so zu tun, als wolle und werde man etwas tun, führte die eine Koalition die "Riester-Rente" ein, die eine Beitragserhöhung nicht sehr ins Kostüm einer "zusätzlichen privaten Altersvorsorge" steckte. Nachfolgende Regierungen reformierten hier und dokterten da an den Prämien und Provisionsmodellen herum. 

Kürzungen und Umbuchungen

Keiner aber gelang es, noch arbeitende künftige Rentner davon zu überzeugen, dass der Staat der bessere Investor ist und Riester ein verlockendes Angebot. Die Ampel versuchte es später mit einer Kapitalrente. Das nötige Anlagevermögen sollte mit Hilfe neuer Schulden herbeigeschafft werden. Die Hoffnung war groß, dass die Zinsen auf die Kredite etwas niedriger ausfallen würden als die Rendite der Investition in ein breit gestreutes Aktienportfolio. 

Weil aber selbst optimistischste Berechnungen letztlich nur bei einem Zubrot von Kleckerbeträgen landeten, war sogar der marktaffine Finanzminister der Liberalen entschlossen, es erstmal bei zehn Milliarden Euro für den neuen Rentenfonds zu belassen. Das wären 120 Euro pro Kopf der Bevölkerung gewesen. Über ein Leben gerechnet hätte der Ertrag bei um die 800 Euro gelegen. Genug, um eine ganze Woche im Pflegeheim zu bezahlen.

Den Eltern nehmen, den Kindern schenken

Der Koalitionsvertrag der schwarz-roten Koalition, die Deutschland zurück in bessere Zeiten führen wird, wenn die noch 365.000 SPD-Mitglieder dem Votum der 59 Millionen Wahlberechtigten zustimmen, macht nun aber Schluss mit dem Kleinklein. Er enthält nach Recherchen des Magazins "Focus" einen "schon fast revolutionären Plan für die Rente". Der Staat helfe Kindern beim Aufbau einer aktienbasierten privaten Altersvorsorge. Dazu nimmt er den Eltern. Und überweist ein bisschen an die Kleinen zurück.

"Wir wollen für jedes Kind vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr, das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht, pro Monat zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot einzahlen", heißt es da zur Erklärung der nun "Frühstart-Rente" genannten Idee, Steuern zum Beispiel von den Eltern der Kinder einzunehmen, um ihnen dann pro Kind "das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht" zehn Euro zu Sparzwecken zurückzugeben.

Statt Klimageld ein Rentenalmosen

Schon zum 1. Januar 2026 wollen Union und SPD ihre "Frühstart-Rente" BWHF) einführen. Das Geld ist da, der Staat hat gut gewirtschaftet. Nicht zuletzt kann er auf die beim Klimageld eingesparten Milliarden zurückgreifen. Das hatte ursprünglich spätestens zum 1. Januar 2025 an die Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt werden sollen, sofort nachdem alle Kontonummer ermittelt worden waren.

Nun verbleibt es aber doch dort, wo es deutlich besser eingesetzt werden kann, wie schon eine Überschlagsrechnung zeigt: Waren die jährlichen Klimageldzahlungen auf Summen von zwischen 130 und 300 Euro pro Person veranschlagt worden, werden die Frühstartrenten-Zuschüsse deutlich günstiger: Eine vierköpfige Familie bekommt im Jahr nicht zwischen 500 und 1.000 Euro, sondern nur 240. Das Ganze nicht ein Leben lang, sondern nur über zwölf Jahre.

Riester III, aber billiger

Anschließend wird das große Förderprogramm für die "auskömmliche Rente" - der Begriff hat auf Vorschlag der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) die "sichere Rente"  abgelöst -  zu einem Projekt Riester III. "Nach dem 18. Lebensjahr kann das Vorsorgedepot weiterhin zum Sparen für die Rente verwendet werden", heißt es im Koalitionsvertrag. SPD und Union gestatten Bürgerinnen und Bürger damit erstmals, Geld am Kapitalmarkt anzulegen, ohne mehr dafür hergeben zu müssen als die Zusicherung, nach derzeitig geplanter Gesetzeslage sollten die privaten Rentendepots "vor staatlichem Zugriff geschützt" sein.

Und alle dort wie bei Riester aus dem versteuerten Arbeitseinkommen angesparten Erträge "bis zur Regelaltersgrenze steuerfrei", wobei Sparer eben auch "erst mit 67 Jahren auf das Geld im Depot zugreifen können", wie erste Experten gelesen haben wollen. Staatliche Zuschüsse wie bei Riester gibt es nicht mehr. Dafür aber die gesetzlich festgeschriebene Zusicherung der Bundesregierung, dass alle auf diese Art angesparten Erträge nur "bis zur Regelaltersgrenze steuerfrei sein" werden. Von einem Zugriffsalter von 67 Jahren steht dort nichts. Wo die Regelaltersgrenze in 60 Jahren liegen wird, weiß niemand. Nur nicht bei 67 Jahren, das ist sicher.

Winzige Beträge, großer Applaus

Doch dass die Koalitionäre die Altersvorsorge mit der "Frühstart-Rente" komplett auf den Kopf stellen, wie Kommentatoren loben, ist sicher. Für winzige Beträge pro Kind - der Staat zahlt zwölf Jahre lang monatlich 10 Euro, also 1.440 Euro insgesamt - bekommt die neue Koalition Schlagzeilen, die sie dafür loben, wie sie "mehr Menschen an den Kapitalmarkt heranführt" und endlich den Start in eine "aktienbasierte, geförderte Altersvorsorge" schaffe. Hurra, die Kapitaldeckung ist da!

Und das mit deutlich weniger staatlichem Geldeinsatz als bisher: Riester-Sparer erhalten im Moment 175 Euro Zuschuss monatlich, nicht für zwölf Jahre, sondern für immer. Dazu gibt es eine jährliche Kinderzulage von bis zu 185 Euro pro Kind, das vor 2008 geboren wurde, oder sogar von bis zu 300 Euro pro später geborenem Kind. Das summiert sich auf mehr als 10.000 Euro über ein ganzes Sparerleben. 

Kein einziger Cent macht reich

Selbst Gazetten, die Kapitalmärkte und Aktien aus ideologischen Gründen rundheraus ablehnen, kommen angesichts der radikalen Kürzungen bei den staatlichen  Hilfen zur privaten Altersvorsorge ins Schwärmen. Wenn nichts weiter mit den schmalen 1.440 Euro pro Kind passiere, "also kein einziger Cent neu im Depot eingespart werden, dann sammeln die 2.729 Euro einfach weiter Zinsen und Zinseszinsen ein", hat die Frankfurter Rundschau errechnet. 

Bei acht Prozent Rendite im Jahr habe der Sparer mit 67 Jahren dann 135.765 Euro auf dem Konto. Bei einer konservativeren Berechnung mit sechs Prozent Rendite seien es sogar 44.203 Euro.

Ein Mann des spitzen Rechenstifts

Friedrich Merz, als Manager bei Blackrock ein Mann des spitzen Rechenstiftes, darf zufrieden sein mit dem Echo, das seine Idee einer endgültigen und dauerhaften Auslagerung der staatlichen Verantwortung für eine auskömmliche Rente findet. Niemand kritisiert, dass es ein CDU-Chef ist, der die einstige Zusage der sicheren Rente für alle, die Beiträge gezahlt haben, abräumt, und sie ersetzt durch das Versprechen, wer zusätzlich privat vorsorge, müsse keine Angst vor Altersarmut haben. 

Merz zeigt sich als Meister der politischen Verstellung: Wo sein Vorgänger Scholz von "Respekt" schwatzte und es nicht wagte, einen Offenbarungseid zur Zukunft der Rente zu leisten, vermeidet Merz ihn, indem er so tut, als sei schon lange klar, dass  das Geld weg ist und nur noch mehr Geld hilft, privat aus versteuertem Einkommen gespart, die auskömmliche Rente sicherzustellen. Die dann keine mehr ist, sondern Ertrag von privatem, Verzicht zugunsten privater Rücklagen. 

Für die eigene Kasse

Merz hat sofort erkannt, dass weniger hier mehr ist, mehr vor allem für die eigene Kasse. Es geht nicht um Alterssicherung. Wichtig ist vielmehr nur der Eindruck, dass es darum gehe. Rein rechnerisch spielen die zehn Euro Staatszuschuss für einige ausgewählte Kindheitsjahre für die Rente überhaupt keine Rolle. Doch medial produzieren sie die erhofften Schlagzeilen darüber, wer bald "massiv profitieren" werde und wie zehn Euro im Monat ein Land überreich zu machen versprechen.

Norbert Blüm, der die Renten durch eine Absenkung des Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent hatte sichern wollen, würde staunen: Heute liegt das festgeschriebene Niveau bei 48 Prozent und die Deutschen sind glücklich, dass ihnen auch die nächste Regierungskoalition wieder verspricht, dass sie eine Lösung gefunden habe, die auf mehr Selbstverantwortung setzt. Wer im Leben nur 450.000 Euro in die Rentenklasse einzahlt wie der deutsche Durchschnittverdiener, kann nach 45 Arbeitsjahren nicht mit einer üppigen Rente rechnen, wenn alle im Durchschnitt zu alt werden.

Überzeugungskraft der Arithmetik

Die "Frühstart-Rente" vertraut auf die Überzeugungskraft der Arithmetik: Würde das in den Jahren seiner Schulzeit so großzügig mit zehn Euro im Monat bedachte Kind seine guten Gaben ein langes Arbeitsleben lang angelegt lassen, wären nach 60 Jahren etwa 9.000 daraus geworden. Die durch eine durchschnittliche Inflationsrate von zwei Prozent verursachten Kaufkraftverluste - der Durchschnitt der zurückliegenden 50 Jahre - schmilzt den eigentlichen Wert des stolzen Gesamtvermögens gerechnet in heutigen Preisen allerdings auf nur noch 2.700 Euro ab. Aber immerhin: Ein ganzer Monat Pflegeheim, einfach bezahlt aus den Ersparnissen, die der Staat geschenkt hat.

Und die stolze Summe, sie lässt sich noch deutlich erhöhen, wenn der SchuKo-Plan aufgeht, dass sich Bürgerinnen und Bürger für die "Rentenrevolution" (Focus) begeistern lassen. Wer von der knappen Hälfte seines Arbeitseinkommens, das ihm nach Steuern und Abgaben übrigbleibt, selbst weiter emsig in ein Frühstartrenten-Depot einzahlt, wird richtig reich.

Zwei Jahre Pflegeheim

Nach den 12 Jahren, in denen Friedrich Merz und Lars Klingbeil das Debot füttern, spart das Kind weitere 50 Jahre lang monatlich 10 Euro, also 6.000 Euro zusätzlich. Nach 62 Jahren hat sich das angesparte Vermögen auf einen Wert von etwa 190.000 Euro vermehrt, eine konservative nominale Rendite von 8 Prozent pro Jahr zugrundegelegt, wie sie den langfristigen Durchschnitt vieler Märkte in den zurückliegenden 50 Jahre repräsentiert. kaufkraftbereinigt wären das um die 60.000 Euro - umgerechnet zwei jahre Pflegheim. 

Würden alle Rentenbeiträge am Kapitalmarkt angelegt, käme der durchschnittliche Einzahler nach 45 Arbeitsjahren auf etwa 3,5 Millionen Rentenguthaben.

 

Donnerstag, 17. April 2025

Auftritt als Anwalt der Vernunft: Diestels Sehnsucht nach Eliten

Peter-Michael Diestel, hier in Öl gemalt vom jungen Künstler Kümram, gefällt sich als barocker Solitär der deutschen Politik.

Er war Melker und Jurist in einer LPG, er verabscheute die Gängelwirtschaft der DDR, schloss sich mitten im Zusammenbruch des deutschen Sozialismusversuchs der konservativen CSU-Schwesterpartei DSU an und wickelte als letzter ostdeutscher Innenminister die Staatssicherheit ab. Als CDU-Mitglied im großen Deutschland hatte Peter-Michael Diestel dann keine großen Erfolge mehr. Der störrische Jurist schaffte es einmal für vier Jahre in den Brandenburger Landtag, doch als eher barocke und unangepasste Figur eckte der frühere Leistungssportler nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in seiner Partei immer öfter an.

Der kantige Ourlaw

Diestel pflegte sein Image als Outlaw sorgfältig. Er unterhielt Freundschaften über politische Brandmauern hinweg, etwa zu Gregor Gysi, dem Star der Linkspartei PDS, die in den 90ern in der CDU ebenso verfemten und mit Kontaktverboten belegt war wie heute die AfD. Es schien Diestel ein nie endendes Vergnügen zu bereiten, die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft vor den Kopf zu stoßen: Er spielte eine Zeit lang den Fußballpräsidenten beim gefürchteten Hooligan-Klub Hansa Rostock, er war Mitinitiator der "Komitees für Gerechtigkeit" und er wetterte immer wieder gegen die Übernahme der DDR durch drittklassige Politiker und Verwaltungsbeamte aus dem Westen.

Es dauerte mehr als zwei Jahrzehnte, aber dann war es so weit: Im April 2021 erklärte Diestel seinen Austritt aus der CDU, die ein "schwammiger und hilfloser Kanzlerwahlverein geworden sei. Stiller ist der Mann, der die DDR bei den Verhandlungenzum Einigungsvertrag verteten hatte, seitdem nicht geworden. Diestel braucht das Licht der Öffentlichkeit wie jedes andere Starlet auch, er lebt vom Widerspruch und proviziert ihn gezilet, indem er allem widerspricht, was im politishcen Berlin als Konsens, unumgänglich und alternativlos gilt.

Scharf und unerbittlich

Schon seit 1993 betreibt Diestel eine eigene Anwaltskanzlei, er ist gut beschäftigt, findet aber immer noch Zeit, sich zur jeweils aktuellen politischen Lage in Deutschland zu äußern. In einem Gastbeitrag für die "Berliner Zeitung" hat der 73-Jährige sich jetzt wieder gemeldet, in gewohnter Schärfe und Unerbittlichkeit. Diestel war nie ein Diplomat, seine Vorstellung von Politik ist das Breitbeinige, Männerbündische und Entscheidungsfreudige, das nicht lange herumschwatzt, sondern einfach mal macht. 

Aus Sicht des Offizierssohnes fehlt es dazu aber derzeit an brauchbarem Personal: Das, was er da auf der politischen Bühne sehe, sei inkompetent, eitel und anmaßend selbstbewusst, ohne dafür irgendeinen Grund zu haben. "Ich habe Angst vor der uns umgebenden politischen Dummheit", schreibt der gelernte Rinderzüchter.

Dramatischer Niedergang

Diestel beklagt einen dramatischen Niedergang der politischen Kultur und Kompetenz in Deutschland. In der gegenwärtigen Politik sehe er eine Erosion der einstigen Werte und Fähigkeiten. "In der deutschen Politik haben sich Figuren breitgemacht, die in keiner Weise den Anforderungen der heutigen Zeit entsprechen", glaubt er beobachtet zu haben. Viele Politikerinnen und Politiker verfügten weder über die nötige Bildung noch über praktische Berufserfahrung. "Politiker ohne Bildung und ohne Ausbildung, Politiker, die noch nie in ihrem Leben wertschöpfend gearbeitet haben, Politiker, die ihre Lebensläufe eigenhändig gestalten und dabei der Fantasie freien Lauf lassen", so Diestel. 

Der altgediente Christdemokrat ohne Parteibuch kritisiert einen Verfall der Sitten und des politischen Anstandes. Selbst Plagiate und gefälschte Lebensläufe hätten kaum noch Konsequenzen, Schummeln und Betrug würden akzeptiert, Rücktritte wegen irgendwelcher Verfehlungen gebe es nicht mehr. Das befeuere den Vertrauensverlust in die politische Klasse weiter und vertiefe die Kluft zwischen Regierenden und Regierten. 

Besonders angetan haben es Diestel die Führungsfiguren der Parteien. Die CDU unter Friedrich Merz habe zwar die Wahl gewonnen, aber "nicht wie die SPD das schlechteste, sondern das zweitschlechteste Ergebnis seit der deutschen Wiedervereinigung erzielt", ätzt er. Und er ist sicher: Hätte Merz im Wahlkampf das angekündigt, was er seit der Wahl propagierte, "dann hätte die CDU ein veritables Problem mit der Fünfprozentklausel gehabt".

Verlust politischer Traditionen und Werte

Die SPD kommt nicht besser weg. Mit Blick auf die deutsche Sozialdemokratie konstatiert Diestel, dass sozialdemokratisches Gedankengut, das über Jahrzehnte einen fortschrittlichen Einfluss auf das Land gehabt habe, heute vergessen und verloren sei. "Die Gedankengänge von Ferdinand Lassalle, August Bebel, Eduard Bernstein, Karl Kautsky und anderen großen Köpfen spielen in der aktuellen deutschen Politik keine Rolle mehr", stellte er fest.

Auch das Wirken von Politikern wie Willy Brandt, Egon Bahr oder Gerhard Schröder sei in die Bedeutungslosigkeit geführt worden. Wie bei der CDU, in der das Wirken von Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl nicht mehr spürbar ist, habe sich auch die aktuelle Führung der SPD in einer Welt eingerichtet, in der die Brandmauer die einzige tragende Wand sei.

Kritik an der politischen Strategie

Diestel, als DDR-Innenminister schwer unter Beschuss, weil er dem von der letzten SED-Regierung  Konzept nicht folgen wollte, die Schuld am Scheitern des sozialistischen Menschenexperiments nicht der Staatssicherheit zuzuschreiben, kritisiert die Strategie der Abgrenzung und Ausgrenzung bestimmter Parteien scharf, ohne die in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD beim Namen zu nennen. 

Zwei "extrem geschwächte politische Kräfte" hätten sich in der neuen Regierungskoalition in Berlin zusammengeschlossen, um "das Volk beim Ausbauen der Brandmauer einzubinden", beschreibt er. Diese politische Mauer sei jedoch "völlig nutzlos", denn man könne die derzeit stärkste politische Partei nicht einfach "verbieten oder ausgrenzen". Nötig sei, sie nur in der parteipolitischen Auseinandersetzung zu bekämpfen, betont Diestel. Wer davor zurückschrecke, schade der Demokratie insgesamt.

Totalitäre Techniken

Diestel warnt davor, diesen Weg zu beschreiten. Die Demokratie selbst übernähme "etwas von totalitären Techniken", wenn sie zur Ausgrenzung von Abgeordneten greife, die demokratisch gewählt worden seien. Er erinnert daran, dass er gemeinsam mit Wolfgang Schäuble 1990 einen der wichtigsten deutsch-deutschen Verträge unterzeichnet habe – den Vertrag über den endgültigen Abriss der Grenzanlage, die Ost und West bis dahin entlang einer unüberwindlich erscheinenden ideologischen Mauer getrennt hatte. 

"Durch verantwortungslose Politik wird gegenwärtig eine neue, diesmal unüberwindliche Mauer aufgebaut", warnt Diestel und spielte damit auf die zunehmende Spaltung zwischen Ost und West sowie auf die gesellschaftlichen Gräben zwischen rechts und links an.

Staatsangestellte und Mitarbeitern in der freien Wirtschaft kommen nicht mehr überein, Vertreter der Überzeugung, zur Rettung der Welt müsse alles an Maßnahmen und verboten erlaubt sein, finden keine gemeinsame Sprache mehr mit denen, die darauf verweisen, dass eine Gesellschaft sich die große Transformation leisten können müsse, weil ihr sonst das Volk abhanden kommt wie es der mit dem Aufbau des Sozialismus beschäftigten DDR-Führung von der Fahne gegangen war.

Umgang mit Ostdeutschen

Diestels Lieblingsthema kommt auch nicht zu kurz. Als selbsternannter Anwalt der Ostdeutschen äußert er nicht nur verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vollständige Ausgrenzung bestimmter Gruppen von Abgeordneten. "Wer sich mit dem deutschen Verfassungsrecht auseinandersetzt, wird den Begriff Brandmauer dort nicht finden", heißt es in seinem Text. 

Vielmehr sei es verfassungswidrig, bestimmte Gruppen von Abgeordneten von der politischen Teilhabe auszuschließen. "Jeder Abgeordnete, aber auch jeder, ist seinem Gewissen verpflichtet und hat dem deutschen Volk zu dienen", so Diestel. Solange eine Partei nicht verboten sei, dürfe es keine Ausgrenzung geben. 

Ausschluss von Minderheiten

Die sieht er 35 Jahre nach derf Wiedervereinigung jedoch fast schon institutionalisiert zwischen Ost und West. Es gebe eine fortdauernde Benachteiligung ostdeutscher Bürger in Politik und Gesellschaft, die sich weder erklären noch entschuldigen lasse.

"Die vollständige Ausgrenzung ostdeutscher Menschen aus der Politik, aus den gesellschaftlichen Strukturen, aus der Möglichkeit, Abgeordneter zu sein, ist verfassungswidrig", betonte er. Diese Ausgrenzung sei nicht nur illegal, sondern auch vergeblich, da eine Minderheit von 15 bis 16 Millionen Menschen nicht einfach aus dem politischen Leben ausgeschlossen werden könne.

Ärger über Annalena

Auf der Suche nach den Gründen dafür, dass Deutschland irgendwann falsch abgebogen sei, wird Peter-Michael Diestel bei den Eliten fündig, die er eben gerade nicht mehr findet. Am Beispiel der deustchen Außenpolitik der zurückliegenden knapp vier Jahre führt er aus, wie ein großes und weltweit geachtete Land dank einer einzigen Ministerin zu globalen Lachnummer geworden sei. 

"Eine Außenministerin ohne fachliche und rhetorische Eignung hat Deutschland über fast vier Jahre in der ganzen Welt lächerlich gemacht", schreibt er mit Blick auf Annalena Baerbock. Dorthin, wo Weltpolitik gemacht werde, werde Deutschland nicht mehr eingeladen, weil es nicht mehr "ernst genommen wird", so Diestel. Und die Antwort der Regierenden darauf sei nur: "Augen zu und durch!"

Symbolische Reinigung

Man beschäftigte sich im politischen Berlin lieber mit der symbolischen Gesten der Reinigung. Diestel schimpft über das Abhängen des Bismarck-Gemäldes im Auswärtigen Amt und er lässt kein gutes Haar an der vermeintlich "feministischen" Außenpoltik der vergangenen Jahre. Der Vergleich mit großen weiblichen Führungspersönlichkeiten wie Golda Meir, Indira Gandhi, Margaret Thatcher und Angela Merkel, um zu unterstreichen, dass eine von Frauen gestaltete Außenpolitik keineswegs ignorant sein müsse.  Der Blick auf die aktuelle lage zeige aber, dass sie es sein könne.

Diestel fühlt sich offenbar verraten, verkauft und veräppelt. "Schulden werden als Vermögen bezeichnet und eine Kreditaufnahme, die unserem Vaterland endgültig den Todesstoß geben wird, wird begründet mit der Behauptung, Putin stehe mit der Keule vor der Tür", kritisierte er. Es sei paradox, dass Russland angeblich erst dann angreifen werde, wenn Deutschland sich wieder wehrhaft gemacht habe, und nicht jetzt, wo die Bundeswehr als nahezu hilflos gelte. Ein Wahnwitz, bei dem dem bekennenden Fan des früheren bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Joseph Strauß das Lachen im Halse steckenbleibt. 

Mangel an Fühgrungsfiguren

Wie konnte es soweit kommen? Diestel diagnostiziert einen Mangel an Führungsfigutren von Format, an Klugheit und Lebesnerfahrung in der deutschen Politik. Es hätten sich "Figuren breitgemacht, die in keiner Weise den Anforderungen der heutigen Zeit genügen", schreibt er und verweist auf "Politiker ohne Bildung und ohne Ausbildung, Politiker, die noch nie in ihrem Leben wertschöpfend gearbeitet haben, Politiker, die ihre Lebensläufe eigenhändig gestalten und dabei der Fantasie freien Lauf lassen". 

Unter ihnen seien Exemplare, "die ihre Doktorarbeiten schreiben lassen müssen, weil sie es selber nicht können, die zu faul sind, diese zu lesen und dumm genug, bei simplen Plagiatsprüfungen durchzufallen". Daraus resultiere das Elend der aktuellen Lage. Diestel forderte eine grundlegende Erneuerung der politischen Führung: "Eine Rückkehr der Eliten in die Führung der Parteien ist geboten", sagt er und lässt keinen Zweifel daran, dass dieses problem zu seiner Zeit nicht bestand. 

Arroganz und Inkompetenz

Doch der aktuelle Zustand zeige eben, dass Parteien von "Witzfiguren" geführt würden, die nicht nur ehemalige Volksparteien zugrundewirtschaften, sondern das ganze Land. das sei nicht länger hinnehmbar. Er warnt eindringlich vor den Folgen politischer Arroganz und Inkompetenz: "Ich habe Angst: Angst vor der uns umgebenden politischen Arroganz", schreibt er und verweist auf seinen Vater, der ihn immer gewarnt habe, dass es gefährlich werde, "wenn die Dummen anfangen zu denken". 

Einen echten Ausweg weiß Peter-Michael Diestel allerdings auch nicht. Nur ein Appell fällt ihm ein. "Wir alle müssen aktiv werden, um aus diesem Tief herauszukommen: Überlegen, einander zuhören und die Ergebnisse in Taten, nicht in Verbote umsetzen", schlägt er vor.