Donnerstag, 3. Juli 2025

Hitzekampf: Mit Regenpflicht und Tempolimit

Aus "Wann wird's mal wieder richtig Sommer" ist deutschlandweit eine verzehrende Sehnsucht nach richtig viel Regen geworden. Doch die Bundesregierung tut nichts.

Trotz Finanznot überall haben sie ein paar Brunnen angeschaltet, hier und da stehen Riesenventilatoren, an die schweißnass vorbeihetzenden Touristen werden Kühle-Orte-Karten verteilt und die morgendliche Hitzewarnung kommt nicht mehr nur aus Radioempfänger, Fernsehgerät und Zeitung, sondern auch aus der Katastrophenwarnapp. Hitzewarnung der Stufe 2 erlaubt es noch, auf eigene Gefahr ins Freie zu gehen. Viele schlagen sich von Kältestube zu Kältestube durch, viel Trinken ist das Motto, zumindest dort, wo die Wassernot noch nicht für akute Versorgungsengpässe gesorgt hat.

Cremenachweis und Sonnenhut 

Doch der Cremenachweis ist mitzuführen, ebenso Sonnenhut und Sonnenschirm. Besonders gefährdet sind ältere Menschen, Kinder, Menschen mit chronischen Erkrankungen sowie obdachlose Personen, die von den Behörden oft nicht einmal mit der Notfall-Informations- und Nachrichten-App des Bundes, kurz Warn-App NINA, erreicht werden können. Gerade diese Menschen wissen ohne die wichtigen Warnmeldungen des Bevölkerungsschutzes gar nicht, dass es heiß ist. Oft genug, sagen Hitzehelfer, taumeln sie dadurch arglos und ungeschützt durch Ortslagen mit extremen Temperaturen. 

Ein solches Leben mit dem Klima ist keine Lösung, es braucht eine für die Lösung der Klimakrise. Wie der Wissenschaftler Volker Quaschning, ein Kenner und Verfechter regenerativer Energiesysteme, sind auch andere Experten der Meinung, dass die Zeit zum Handeln für die Bundregierung gekommen ist. Über Jahre wurde der Ausbau der Erneuerbaren verschleppt, der von Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot und Rot-Grün-Gelb angekündigte große Sprung zur Senkung der Kohlendioxidproduktion blieb aus und selbst die einfachsten Notmaßnahmen wurden nicht ergriffen. 

Der Preis ist heiß 

Der Preis dafür ist glühend heiß: 40 Grad im Schatten, teilweise mehr. Dazu ein blankgeputzter Himmel, weil es an den früher schützend über Land ziehenden Feinstaubwolken fehlt. Neue Dürrerekorde, die Wälder leiden und die Wiesen, in vielen Städten und Gemeinde im Frühjahr vorschriftsmäßig auf die Grasnarbe zurückgeschnitten, kaum weniger. "Sofortige Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise sind nötig!", zeigt sich Quaschning am Ende seiner Geduld. "Was braucht es eigentlich noch, damit die Regierung ausreichend handelt?"

Wann, wenn nicht jetzt? Wie, wenn nicht mit einem Tempolimit, einem Haustierverbot und schärferen Kontrollen gegen Betreiber und Besitzer sogenannter Steingärten? Noch ist es nicht amtlich, aber die vom Deutschen Wetterdienst (DWD) betriebene Klimareferenzstation in Potsdam zeigt mutmaßlich das trockenste erste Halbjahr seit Messbeginn vor mehr als 130 Jahren an, wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mitteilte. Die Station auf dem Potsdamer Telegrafenberg am Templiner See, die den bereits vor Jahren von der Bundesregierung angeschobenen Rückbau der Anzahl der Wetterstationen des DWD bisher überstanden hat, habe "voraussichtlich so geringe Niederschlagsmengen gemessen wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1893", hieß es bei den Klimaforschern. 

Das trockenste voraussichtlich gemessene 

Das erste Halbjahr 2025 war damit, so ist es beschlossen, "das trockenste, das je an einer wichtigen Klima-Messstation gemessen wurde", wie Volker Quaschning die alarmierende Lage zusammenfasst. "Das trifft besonders die deutschen Wälder", warnt er vor einem weiteren Zuwarten bei Bund, Ländern und Gemeinden sowie der EU. 

Mit Handventilatoren, Trinkbrunnen, Sonnensegel und  dem Umzug ins klimatisierte Auto ist es nicht mehr getan. Erfahrungsgemäß bringen auch die life hacks staatliche geprüfter Hitzespezialisten ab 40 Grad im Schatten nur noch wenig. Das Licht und so viele elektrische Geräte wie möglich ausschalten, nasse Handtücher aufhängen, um die Raumluft herunterzukühlen, und die Teppiche wegräumen, weil sie als Wärmespeicher fungieren - selbst Ventilatoren, die als primitives Kühlmittel ein Gefäß mit Eiswürfeln nutzen, erzielen in einer akuten Hitzewarnklage kaum mehr messbare Ergebnisse.

Wenn der "Green Deal" versagt 

Hilfe muss von oben kommen, abzuwenden ist nicht die Erhitzung im Einzelnen, sondern die weitere Aufheizung Deutschlands insgesamt. Nach Berechnungen der Klimafolgenforscher in Potsdam ist es zwischen Alpen und Ostsee heute schon im Durchschnitt etwa zwei Grad Celsius wärmer als noch vor 100 Jahren. Europa insgesamt erhitzt sich trotz der Pariser Klimazeile, auf die sich als EU-Staaten gemeinsam schon vor vielen Jahren verpflichtet haben, und dem großen "Green Deal" der EU-Kommission aufgrund des Klimawandels stärker als alle anderen Kontinente, die sich ihrerseits ebenfalls stärker erwärmen als die Erdoberfläche insgesamt. 

Schuld ist die Untätigkeit aller Bundesregierungen seit Beginn des ersten Jahrtausends des Anthropozäns, in dem der Mensch die Folgen seines unbedachten und schädlichen Eingreifens in die Natur seit Beginn der Industriellen Revolution vor rund 200 Jahren zu spüren bekommt. Abgewiegelt haben sie alle, die Dringlichkeit negiert und Interesse nur vorgespielt. Historische Daten zeigen, dass der Begriff "Klima" gesamtgesellschaftlich heute kaum mehr Interesse findet als vor 20 Jahren. Das große Bild ist sogar noch erschreckender: Seit der Entdeckung des Klimas vor rund 200 Jahren ist die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dafür um mehr als ein Viertel eingebrochen.

Klimalobby ohne Einfluss 

Viele sagen, sie können es einfach nicht mehr hören. Andere geben zu, dass sie tief in sich spüren, dass es nicht mehr wirkt. Ohne Effekt geblieben sind die Jahre, in denen es einer kleinen, aber lautstarken Klimalobby gelang, zumindest vordergründig den Eindruck zu erwecken, der Klimawandel sei tatsächlich das wichtigste Thema der Welt. Dann aber kamen Pandemie und Krieg, Trump, Zölle und Rechtsruck. Erst die aktuellen Hitzewarnungen vermochten es, die Dringlichkeit einer grundlegenden Lösung jenseits von Eiswürfellutschen und Hitzefrei für Beamte wieder auf die gesellschaftliche Tagesordnung zu setzen.

So wichtig wäre es. Noch in 100.000 bis 300.000 Jahren werden die Ruinen der Fabriken der einstigen deutschen Industriegesellschaft wie die Fossilien der Jetztzeit an den großen Wandel von der Naturwelt in die der menschengemachten Klimakatastrophe erinnern. Abdrücke der Verursacher werden sich nicht im Gestein der Gebirge finden, aber im Beton der Parkplätze, Einkaufszentren und im Dämmstoff der  Häuser in den Städten, in denen die Primaten lebten. Es werden Spuren sein wie die der Dinosaurier, Fossilien aus Plastik, Stahl und Aluminium, fast schon zu Staub zerfallen, gelingt es nicht zuvor noch, die Klimabremse zu ziehen.

Die erste des Sommers 

Die Hitzewelle, oft als "erste dieses Sommers" angekündigt, kommt gerade recht, die Bundespolitik aufzurütteln. Unmöglich, sich auch dieses Mal wieder damit herauszureden, dass anderes wichtiger sei. Längst kratzt Deutschland an der 1,5-Grad-Marke, jener roten Leitplanke, die es nach Einschätzung zahlreicher Wissenschaftler um jeden Preis zu halten gilt. Die Zwei-Grad-Marke ist in Sichtweite, auch sie wird entgegen aller völkerrechtlich verbindlichen Zusicherungen, die Deutschland damals in Paris abgegeben hat, wohl gerissen werden.

Kein anderes Volk wird mehr darunter zu leiden haben als das der Täter, die über hundert Jahre hinweg Waren, Güter und Dienstleistungen produziert haben, als müssen sie die gesamte Welt mit Autos, Maschinen, Anlagen und  Motoren Made in Germany versorgen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt, der Moment, in dem das Bundeskabinett seine Prioritäten neu bestimmen muss, er ist gekommen. Nicht mehr Pandemiefolgen und auch nicht Lieferkettenengpässe, nicht Rechtsruck, Arbeitsmarkt und Konjunktur, keine Zollfragen und auch nicht der drohende Angriff Russlands auf die EU darf jetzt handlungsleitend sein, da sind sich Experten wie Volker Quaschning mit Grünenpolitikern wie Felix Banaszak und dem früheren SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach einig.  

Wenigstens ein Haustierverbot 

Die Klimakrise müsse "in den Politik-Teil zurück, weil Politik es ist, die darüber entscheidet, wie gut oder schlecht es für unsere Kinder wird", hat Felix Banaszak seiner Co-Vorsitzenden Franzsika Brandtner zugestimmt, als die verdeutlichte, dass Atomkraft als Klimaretter ausfällt, weil das "Klima inzwischen so heiß ist, dass AKWs bei Hitzewellen runterfahren müssen". Es braucht andere Ideen, die schnell greifen - etwa das bundesweite Haustierverbot, das schlagartig fast 18 Millionen Tonnen CO2 sparen würde. Auch ein Tempolimit wäre denkbar. Das wäre von der reinen CO2-Einsparmenge weniger durchgreifend, aber symbolisch ein starkes Zeichen in Zeiten, in denen Deutschland von einem Hitzerekord zum anderen taumelt.

Etwas muss passieren und das wissen die Entscheidungsträger im politischen Berlin inzwischen ganz genau. Extremwetterlagen wie die Hitzewelle derzeit sind Symptome der Klimakrise, kein "Badewetter" wie es früher verharmlosend hieß. Entsprechend muss es über die bereits geplanten Klimaschutzmaßnahmen, die der nächsten Generation ein Überleben ermöglichen werden, auch rasch wirkende Schutzmaßnahmen geben, die die Zeit überbrücken, bis die Durchdämmung des Immobilienbestandes, der Umstieg auf erneuerbare Heizungen und elektrisch angetriebene Fahrzeuge und der Rückbau der Industrie Wirkung zeigen.

Deutschlandweite Regenpflicht 

Forderungen, wie sie der grüne Geschäftsführer Andreas Audretsch aunach längeren Pausen für Bauarbeiter,  Sonnenschutz und Getränke "passend zur Tätigkeit" aufmachen, reichen absehbar nicht, auch nicht kombiniert mit einem "Recht auf Hitzefrei", wie sie Audretsch vorschlägt.

Eine deutschlandweite Regenpflicht plus Tempolimit und höherer CO2-Abgabe dagegen könnte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einerseits würden die bereits spürbaren Dürrefolgen bekämpft, andererseits sorgt ausgebrachte Feuchtigkeit aller Erfahrung nach für eine Abkühlung der betroffenen Gebiete. Durch die auf Regen folgende Verdunstung kommt zudem ein Automatismus in Gang, der selbsterhaltend wirkt: Das sich verflüchtigende Wasser bildet Wolken, die wiederum abregnen, wenn es den Behörden mit Kontrollen und Zurückweisungen gelingt, zu verhindern, dass sie über die Landesgrenzen entweichen.

Eine Regenpflicht wäre leicht umzusetzen. Insgesamt benötigt werden zusätzlich zu den 300 Milliarden Tonnen Wasser, die in gewöhnlichen Klimazeiten über Deutschland abregnen, nur etwa 40 Milliarden Tonnen Wasser. Das ist weniger als der Bodensee enthält, wenn er nicht ausgetrocknet ist. Ein großes, wohlhabendes Land wie Deutschland sollte es schaffen können, diese Menge in die Luft zu bringen, um sie gezielt dort abregnen zu lassen, wo der Bedarf am größten ist. Ein Airbus A400M bringt beinahe 40 Tonnen Nutzlast in die Luft, die 48 Maschinen, über die die Bundesluftwaffe derzeit verfügt, müssten nur etwa 20 Milllionen Mal aufsteigen, um ganz Deutschland abzukühlen.  

Mittwoch, 2. Juli 2025

Wärmewende: Auf einmal noch heißere Hitze

Der Planet brennt, Hitze ist Trend.

Die weltweite Erwärmung und die Erwärmung bei uns galoppieren uns regelrecht davon. 

Karsten Schwanke, Wettermoderator

Heiß, heißer, am heißesten und immer ist es Deutschland. Nur in absoluten Erhitzungszahlen sind andere Staaten längst davongeeilt, unbewohnbar nach hiesigen Maßstäben nicht erst seit gestern. Im statistischen Langzeitvergleich der Entwicklung der Temperaturen aber zeigt sich, dass Deutschland das am heftigsten betroffene Gebiet weltweit ist.  "Die Bayern vertragen die Hitze schlechter als die Spanier", heißt es in warnenden Aufsätzen der Leitmedien, die zugleich auch diese Gelegenheit nutzen, die längst widerlegte These von den angeblich nur nachweisbaren zwei Geschlechtern wieder zu propagieren. 

Bedrohlicher Trend 

Die erste Hitzewelle des Jahres, "früh wie nie", erläutert der ZDF-Wetterexperte Karsten Schwanke, weckt Hoffnungen, dass ein bedrohlicher Trend nicht weiter anhält: Gemittelt über die Fläche Deutschlands zählte das Umweltbundesamt im vergangenen Jahr nur noch ganze 12,5 sogenannte "⁠Heiße Tage⁠"(Originalschreibweise),  also Tage, an denen Temperaturen von 30 Grad Celsius oder mehr gemessen werden konnten. Das war rund ein Drittel weniger als im Jahr 2023, als nach Angaben der Experten "etwa 17,3" gemessen wurden. Und erneut weniger als in den Jahren 2003, 2015 und 2018, als die Belastung durch Hitze in Deutschland stets zwischen 18 und 20 Tage lang anhielt. 

Nie mehr ist es so heiß gewesen wie damals, vor sieben und vor 22 Jahren und das erscheint angesichts der Daten, die das Umweltbundesamt zur Entwicklung der globalen Lufttemperatur vorliegen hat, fast schon wie ein Wunder. Um ein ganzes Grad ist die Welt allein im zurückliegenden Vierteljahrhundert heißer geworden.  "2024 war weltweit das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen 1850", schreibt das Amt, und "die letzten zehn Jahre waren die weltweit wärmsten Jahre seit 1850". Nur verteilt sich die neue Hitze so weitläufig, dass schon seit sieben Jahren keine neue Hitzespitze gemeldet werden kann.

Frucht der kommunalen Wärmeplanung 

Liegt es am Hitzeschutzplan des inzwischen abgetretenen Gesundheitsministers Karl Lauterbach? Oder an den Fortschritten der kommunalen Wärmeplanung? Zeigen sich erste Auswirkungen der erreichten Klimaziele im Industriebereich? Oder sind es die Effekte der Anschaffung von mehr als einer Million Balkonkraftwerke, die die Erwärmung vermeintlich gestoppt haben? Beunruhigende Fragen, denn jede falsche Antwort wäre Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die Hitze leugnen und sich weigern, Deutschland heute schon als eines der Hauptkrisengebiete in der Klimaschlacht anzusehen.

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) in Köln hat deshalb kurzfristig reagiert und mit der Umstellung auf ein neues Rechenverfahren dafür gesorgt, dass die Erhitzung als "das zentrale Maß für den Klimawandel in Deutschland" (DPA) weiter voranschreiten kann: Am Abend des 31. März hatten die Temperaturen in Deutschland dem langfristigen Trend zufolge noch um 1,9 Grad über dem frühindustriellen Niveau gelegen. Seit dem Morgen des 1. April aber sind es 2,5 Grad, um die sich das Land des langjährigen Exportweltmeisters im Vergleich zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwärmt hat.

Neue Rechnung zeigt Dramatik 

Ein mahnender Wert, liegt er doch haargenau dort, wo die Welttemperatur nach den Pariser Klimabeschlüssen nie hinkommen sollten. Lange glaubten auch die Spezialisten beim Deutschen Wetterdienst, dass es den kollektiven Anstrengungen der Menschheit gelingen könne, das Schlimmste zu verhindern. Das neue Rechenverfahren aber zerschlägt nun diese Illusion: Eine Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf "deutlich unter zwei Grad Celsius, möglichst auf 1,5 Grad Celsius" im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter bis 2030 scheint unmöglich, wenn schon fünf Jahre zuvor zweieinhalb Grad Erwärmung nicht mehr zu leugnen sind.

Die Entscheidung des DWD, dennoch zu einer neuen Berechnungsmethode des DWD zu greifen, um  die dynamische Entwicklung des Klimawandels genauer abzubilden, wie es bei der Jahrespressekonferenz am 1. April hieß, stellt sich als überaus verhängnisvoll heraus. Zwar war es aufgrund dieser Neuerung gelungen, trotz des vielerorts als kalt empfundenen Frühjahrs weiterhin deutlich zu hohe Temperaturen melden zu können. 

Hitzesprung in einer Frühlingsnacht

Doch nach einem Hitzesprung von 0,6 Grad Celsius nach oben, ohne dass sich an den bis 2024 erfassten Temperaturen etwas geändert hat, wird die Luft dünn: Das Loess-Verfahren, mit dem jetzt gerechnet wird, von Experten auch als lokale Regression bezeichnet, ist eine Methode, bei der eine Trendkurve mittels Gewichtung von Datenpunkten angepasst wird. Das Ergebnis ist eine glattere Kurve, die eher einem allgemeinen Trend der Daten folgt, statt sich um Ausreißer zu kümmern. Je nachdem, wie die zugrundelegenden Parameter ausgewählt und angepasst werden, reagiert die Darstellung dynamischer oder robust, ohne dass sich an den eingegebenen Werten etwas ändert.

2024 bleibt damit das mit Abstand wärmste Jahr in Deutschland, 2023 ist weiterhin das zweitwärmste. Nach Anzahl der Heißen Tage wurden die zehn wärmsten Jahre alle seit 1994 registriert, neun der wärmsten Jahre seit 1881 liegen im 21. Jahrhundert. Wie aber die Dringlichkeit der Bedrohung so darstellen, dass sie einer Wetterkarte bei ARD oder ZDF wenigstens nahekommt? Bei einer Aufarbeitung der letzten 150 Jahre im traditionellen Stil zeigt sich ein linearer Trend mit einer Erwärmung um 0,13 Grad pro Jahrzehnt. Bleibt der Anfang der Entwicklung hingegen unbeachtet, wird es deutlich dramatischer: Eine Darstellung des Zeitraums  zwischen 1971 bis 2024 verdreifacht die Erwärmung auf einen Wert von 0,41 Grad pro Jahrzehnt.

Mit Irrglauben aufgeräumt 

Der Irrglaube, dass Temperatur eine Frage der Messung ist, wird vom DWD gleich mit ausgeräumt. Thermometer hin, Thermometer her, mit dem neuen Verfahren beträgt das Plus bei der Jahresmitteltemperatur in Deutschland seit 1881 nicht mehr 1,9, sondern von 2,5 Grad. Die Realität und die beschleunigte Erderwärmung würden "jetzt besser beschrieben", betonte Andreas Becker, Leiter der Abteilung Klimaüberwachung des DWD, bei der Vorstellung der neuen Klimatrendlinie im Frühjahr.

So frustrierend es ist, dass die Daten nun noch weniger Erfolge der deutschen Klimaanstrengungen zeigen, so vorteilhaft wird das Loess-Verfahren sein, wenn es erst welche zu melden gibt. Auch eine künftige Stagnation oder einen Rückgang der Erderwärmung durch erfolgreichen Klimaschutz würden die neuen Grafiken schneller anzeigen als das beim bisher verwendeten linearen Trend der Fall wäre. 

EUneinig: Alle wollen verbotene Kontrollen

Migrationspolitik, Grenzkontrollen, Schengenraum, Abschottung, europäische Werte, Flüchtlingskrise, Grenzzäune
Polen macht dicht. Aber auch diese Kontrollen sind nur vorübergehend.

Als Ungarn anfing, füllte die Empörung ganze Magazine. Viktor Orbáns Grenzregime galt als Rückfall ins Mittelalter souveräner Nationalstaaten, seine Zäune waren menschenverachtend und beinahe hätte Deutschland sich in Budapest förmlich darüber beschwert, dass der Präsident des Landes, das den Deutschen ihre Wiedervereinigung beschert hat, den Zustrom von Flüchtenden aus Nordafrika nach Deutschland so rigoros unterband. 

Erhitzte Gemüter 

Langsam nur beruhigten sich die Gemüter, so langsam wie Farbe trocknet, wenn Angela Merkel streicht. Die hält heute noch an ihrer Entscheidung fest, Orban damals gezeigt zu haben, wie richtige Migrationspolitik geht. Wieder so machen würde sie es, immer wieder.  Zwar teile sie zehn Jahre nach "Wir schaffen das" das Ziel, illegale Migration zu begrenzen. Aber immer noch und wie immer müssten "wir das Ganze europäisch denken." 

So hatte sie es vielmals vorgeschlagen, so wurde es dauernd gemacht. Die einen waren für dies, die anderen für das. Offene Grenzen, geschlossene oder sogar Kontrollen, wie sie seit zehn Jahren vorübergehend an der bayrisch-österreichischen Grenze stattfinden. Oder doch lieber keine oder aber Zurückweisungen, wie sie Angela Merkel ablehnt, weil sie "das europäische Recht so verstanden" hat. Nur weil viele Menschen wünschen, dass es anders ausgelegt wird, könne man "deswegen doch nicht ein Fremdenhasser werden", hat Merkel ein Nachgeben in dieser Frage ausgeschlossen. 

Dutzende Einigungen 

Vierzehn Tage können sich über Jahre ziehen, die Menge der Zehn-Punkte Pläne steigt und die Zahl der endgültigen historischen und wegweisenden EU-Klimaeinigungen geht irgendwann ins Dutzend. Der Überblick geht verloren, selbst denen, die die Lösungen mitverhandelt haben. Das gilt nie ab sofort, nie unverzüglich, sondern irgendwann hinter St. Nimmerlein und ab dem jüngsten Tag, wenn sich die Zahl der illegalen Migration reduzieren lässt, aber so, dass Angela Merkel "unsere Werte" weiter vertreten kann.

Viele Staaten habe nicht diese Geduld, nicht diese starken Nerven, die auch Merkels Nachfolger Scholz noch zum Vorzeigeeuropäer machten. Nach den Ungarn schotteten sich die Spanier ab, die Griechen, die Franzosen und Slowenen. Es folgten die Schweden und die Dänen und die Niederländer. Die Polen bauten sogar eine Mauer, um Putins miese Strategie zu durchkreuzen, Europa mit Hilfe menschlicher Waffen zu bedrohen. 

Fördermittel für Zäune 

Die EU-Kommission machte eigens eine Ausnahme und spendierte denen, die sich nach dem ungarischen Vorbild abschotten wollten, 170 Millionen Euro für die Modernisierung ihrer elektronischen Überwachungsausrüstung und den Bau einer Abschottungsmauer mitten in Europa.  Hinfällig war der heilige Schwur des früheren Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der den Ungarn entgegengeschleudert hatte:  "Wir finanzieren keine Zäune". Nachfolgerin Ursula von der Leyen sah das größere Bild: "Wir dürfen es Autokraten niemals erlauben, unsere europäischen Werte gegen uns zu verwenden."

Wenn's dazu Grenzen braucht, dann eben Grenzen. Wenn es Zäune braucht, dann Zäune. Und wenn Kontrollen oder Zurückweisungen sein müssen, dann sei's drum. Friedrich Merz schaffte es ins Kanzleramt, weil er Wählerinnen und Wähler zumindest im Glauben ließ, mit ihm an der Spitze werde alles wieder wie früher. Robert Habeck schaffte es nicht, weil seine Abschottungsfantasien zu spät kamen. Zu glaubhaft hatte der Grüne Kanzlerkandidat schon versichert, dass eine harte Hand für Illegale ohne gültigen Aufenthaltsstatus seine Sache nicht sein werde.

Gegen Merkels Recht 

Merz kollidierte mit europäischem Recht, wie es Angela Merkel verstanden zu haben glaubt. Er war nicht der Erste, aber dass er nicht der Letzte sein würde, konnte wirklich niemand ahnen. Während aus hybriden Angreifern vor deutschen Gerichten siegreiche Geflüchtete wurden, verwandelte sich der treue Europäer Donald Tusk in einen vom polnischen Wähler und dem deutschen Kanzler gleichermaßen getriebenen Regierungschef, der "Autokraten erlaubt, unsere europäischen Werte gegen uns zu verwenden." Drei Wochen nach Merz verhängt Tusk Grenzkontrollen. Dadurch solle "der unkontrollierte Strom von Migranten hin und zurück begrenzt und verringert werden".

Das Echo ist verhalten, die Kritik unhörbar. Verglichen mit dem September vor zehn Jahren, als Dänemark es wagte, seine Landesgrenzen wieder bewachen zu lassen,  ist es ringsum vollkommen still. Verantwortlich für den polnischen Schritt zurück in die Kleinstaaterei sei Friedrich Merz, heißt es überall. Mit seiner Zurückweisungsentscheidung habe er Warschau förmlich gezwungen, den Schengenraum auch noch von Osten anzugreifen. Nachdem Deutschland begonnen habe, Menschen nach Polen zurückzuschicken, werde Polen nun beginnen, Menschen nach Deutschland auszuweisen. 

Im Nirgendwo der Zwischenwelt 

In wenigen und sehr seltenen Fällen könnte es sich dabei um dieselben Personen handeln, fliegende Holländer quasi zwischen Guben und Gubin, Ratzdorf und Kozarzyn, Aurith und Urad, gezwungen, auf ewig hin- und herzureisen wie Tom Hanks in "Terminal", in dem er als Viktor Navorski aus Krakosien auf dem New Yorker JFK-Flughafen strandet und für immer im Nirgendwo der Zwischenwelt gefangenbleibt.

Durch die Hintertür hat die EU so schließlich doch noch Einigkeit in der spaltenden Migrationsfrage hergestellt. Kein Land ist heute mehr Merkels Land mit offenen Armen und offenem Herzen, mit "Wir haben Platz"-Schildern und Schuldgefühlen, weil es mit der Integration der Neuen trotz all der Milliarden und Abermilliarden einfach nicht klappt. Statt gemeinsam offen sind jetzt alles gemeinsam geschlossen. Wie die Maastricht-Regeln zur Schuldenbegrenzung ignoriert werden, werden es jetzt auch die Schengen-Verträge zur Reisefreiheit.

 

Dienstag, 1. Juli 2025

Roter Adel: Türmer, Rächer der Enterbten

Philipp Türmer SPD Jusos Hetze gegen Privatiers
Von der eigenen Bedeutung höchst bewegt: Philipp Türmer steht für eine Generation an der Spitze der SPD, die noch nie irgendeine Berührung mit der Lebenswelt der Menschen hatte, für die sich sich einzusetzen vorgeben. 

Hart in der Sache, falsch in den Fakten. Als Phillip Türmer, Chef der Jungsozialisten und Nachwuchshoffnung der SPD, beim Parteitag der früheren Arbeiterpartei hinter das Rednerpult trat, waren all die Großen schon durch. Esken hatte gesprochen, im Moment des Scheidens gefeiert. Scholz, denn alle in der Partei seit Jahren hatten loswerden wollen, wurde beklatscht. Sogar Klingbeil, den die Delegierten mit nur 64 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt hatten, durfte sich wie ein Sieger fühlen.

Alle hatten sie getan, was verlangt war. Die Seele der an sich selbst zweifelnden Reste der früher so selbstbewussten größten sozialdemokratischen Bewegung Europas gestreichelt, Aufarbeitung möglicher Fehler versprochen und rituell zum Kampf gegen rechts aufgerufen.

Aus altem rotem Adel 

Routine, um über den Tag zu kommen, bis sie einer unterbrach: Phillip Türmer, 29, aus altem sozialdemokratischen Adel und seit zwei Jahren Chef der Nachwuchsorganisation der Partei. Kein Name wie Donnerhall, kein Rebell wie Jette Nietzard gegenüber bei den Grünen oder ein scharfsinniger Strippenzieher mit Machtinstinkt wie es einst Kevin Kühnert war. 

Türmer sieht aus wie Büroangestellter. Ihn umweht so viel Hauch von Rebellion wie einen Ordnungsamtsmitarbeiter. Türmer war es, der die SPD-Spitze vor der Bundestagswahl zur Veranstaltung einer großen geplanten "Wahlsieg-Konferenz" drängte. Türmer war es auch, der Klingbeil nach der verlorenen Wahl den "Architekt des Misserfolgs" nannte.

 

Die Entscheidungen in der Partei aber laufen immer noch am Mann auf Offenbach vorbei, obwohl der aus bestem sozialdemokratischen Hause stammt. Mutter Staatsanwältin mit SPD-Parteibuch, Vater Ministerialdirektor. Hart arbeitende Mitte und roter Adel mit tiefen Wurzeln, aus denen Türmer junior als neuer Trieb schlägt.

Und wie! Als der Student der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin ans Podium trat, waren nur formal längst alle Messen gesungen und die SPD ein weiteres Mal gerettet. Dann aber hob Türmer an mit einer leidenschaftlichen Rede, wie sie die auf bloße Machtroutine abonnierte SPD schon lange nicht mehr gehört hat. Wie ein den Zeiten von Andrea Nahles stand da jemand, der sein Inneres sprechen ließ, die Stimme nahe am Kippen, der Inhalt sogar komplett.

Aufgebaut auf falschen Fakten  

Ausgangsthese Türmers war eine Fake News, die der angehende Jurist wohl in seinen Kindertagen der Hamburger Wochenschrift "Die Zeit" entnommen hatte. Die Vermögensverteilung im Land, wetterte der Hesse nach deren Drehbuch jedenfalls, sei so ungerecht verteilt wie zu Kaisers Zeiten vor 100 Jahren. Die Empörung, die Türmer als Sprössling einer Sippe empfindet, die selbst unter dem ungerecht verteilten Wohlstand leidet, war ihm anzuhören.

Zwölf Jahre nach dem Abitur ist Türmer in der Rolle des zornigen jungen Mannes aus dem Volk zu sehen, der sich Sorgen über eine wirtschaftliche Ungleichheit macht, von der er gelesen hat. 900.000 Menschen lebten "allein von ihrem Vermögen", ruft Türmer mit vor Selbstbegeisterung zitternder Stimme, aber "20 Prozent der Familien können sich nicht einmal eine Woche Urlaub pro Jahr leisten". 

Mit den 900.000 Selbstversorgern, deren Auskommen nicht näher erklärt wird, sind Statistiken zufolge offenbar die knappe Million Deutscher, die mit dem Ertrag ihres Ersparten lebt, entweder, weil sie früher fleißig waren und wenig ausgegeben haben, oder weil ihre Vorfahren zu Geld gekommen waren und es schafften, es durch als Weltstürme zu erhalten.

Keinen Tag Arbeit 

Für Philipp Türmer macht sie das zu Feindbildern. Der Mann, der von den Gründern der SPD als von Leuten aus der "Arbeiter*innenbewegung" spricht, spuckt den Begriff "Privatier" aus wie Galle. "Privatiers" sind es, die für den zerrütteteten Zustand der Gesellschaft verantwortlich sind. Privatiers sind die neuen Spekulanten, Manager und Reiche. Die SPD will sie wieder schützen. Sie müsse, sagt Philipp Türmer.

Den Mann, der in seinem ganzen Leben noch keinen Tag dort zugebracht hat, wo die leben, für die er zu kämpfen vorgibt, beseelt unübersehbar ein tiefsitzender Hass auf jeden, der seiner Zuwendung nicht bedarf oder sie aus prinzipiellen Gründen ablehnt.

Türmer hat noch nie ernsthaft gearbeitet, noch nie Hunger gelitten, noch nie Armut erfahren.Aber er hat gelernt, auf Bühnen so zu tun als ob: Wie er da steht, in einer Art blassblauen Popstar-Arbeitshemd und mit der großen schwarzgerahmten Intellektuellenbrille in Ray-Ban-Optik im Gesicht, erinnert Türmer an eine anderen großen Redner aus der deutschen Geschichte, der ähnlich ekstatisch wetterte und stets am meisten von sich selbst ergriffen war. 

Die tiefen Taschen des Staates 

Dass die Eingangsthese mit der Ungerechtigkeit, die schlimmer ist als im Kaiserreich, frei erfunden ist, stört Philipp Gangolf Balthasar Türmer nicht. Nahles machte sich die Welt, wie sie ihr gefiel, er schwatzt einfach, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Kaiserreich. Ungerechtigkeit. Kuponschneider. Urlaubsmangel. Als Nachwuchskader einer Partei, die maßgeblich dafür gesorgt hat, dass seit Jahrzehnten jede Verschlimmbesserung von Gesetzen, Regeln und Vorgaben dazu führte, dass Vater Staat am Ende noch tiefere Taschen hatte, schafft es Türmer so zu tun, als sei das alles das Werk schamloser Großkapitalisten.

Richtig ist zwar, dass die Vermögensungleichheit in den letzten 25 Jahren stark zugenommen hat, weil das Vermögenswachstum in der unteren und oberen Hälfte der Verteilung deutlich auseinandergegangen ist, während die Sozialdemokraten regierten oder doch mitregierten. Einer Studie des Egon-Institutes zufolge, die Vermögenssteuerdaten, Erhebungen und Listen vermögender Personen untersucht hat, ist die Konzentration von Vermögen beim reichsten Prozent der Deutschen seit 1895 allerdings nicht etwa gestiegen, sondern von 50 Prozent auf inzwischen weniger als 25 Prozent gefallen. 

Der vermeintlich gerechte Sozialismus 

Statistisch erwiesen ist auch, dass der von bürgerlichen Herzenssozialisten wie Kühnert, Esken oder eben Türmer gern als gerechter propagierte Sozialismus Vermögen keineswegs gerechter verteilt. In der DDR, von ihren glühenden Anhängern bis heute als der gerechtere deutsche Staat verherrlicht, waren die Vermögen exakt im gleichen Maße ungerecht verteilt wie im Westen mit seiner Marktwirtschaft und der parlamentarischen Demokratie, die Populisten wie Phillip Türmer am liebsten abschaffen würden, um als Wohlfahrtsausschuss selbst für Gerechtigkeit zu sorgen.

Türmer, Gerüchten im politischen Berlin zufolge wegen einer groben Namensähnlichkeit zuweilen als "Stürmer" verhöhnt, lässt sich von der Wirklichkeit allerdings nicht aufhalten. Der 29-Jährige, vom Habitus her Mitte 40, hat einen Karriereplan, der den guten alten Sozialneid als Haupttreibstoff nutzt wie frühere sozialdemokratische Führungsgenerationen auch. Hass schüren auf die, die mehr haben, bringt politisch mehr ein als dort sparen, wo vor allem denen genommen wird, die jeden Cent brauchen. 

Die Reichen im Visier 

Philipp Türmer würde gar nicht wissen wollen, dass ein höherer Mindestlohn vor allem dem Finanzminister nützt. Reiche sind seine Zielgruppe, bei denen, die mehr haben als andere, will er kassieren, was fehlt, um noch mehr als die bisherigen 52 Prozent umverteilen zu können: Von oben nicht nach unten, sondern von oben zum Staat. Dazu brauche es, ruft Türmer im Berliner City Cube von der Bühne, "eine mutige Sozialdemokratie, die es wagt, die Frage der Vermögensverteilung laut und deutlich anzusprechen". 

Der Satz sagt natürlich vor allem: Seht her, hier ist einer, der es wagt! Ein mutiger Mann mit zitternder Stimme, der sich bewusst ist, wie sehr er an ein Tabu rührt, das Linkspartei, Grüne, Wagenknechts BSW und die SPD in jedem Wahlkampf und an jedem Tag zwischendurch beklagen. Ohne jemals auf die Idee kommen zu wollen, nach den Ursachen zu fragen. Wo ist es hin, das ganze Geld? Wieso hat der Staat immer mehr und es reicht für immer weniger? Wieso können hart arbeitende Mittemenschen sich heute kein Haus mehr bauen? Und wie sind es die Bundestagsabgeordneten, deren Einkommen in den zurückliegenden 25 Jahren um 87 Prozent gestiegen sind? Während Arbeitnehmer mit deutlich weniger zufrieden sein mussten?

Rächer der Enterbten 

Philipp Türmer steht da, ein Schmied seines eigenen Glückes und ein weiterer Vertreter der Nomenklatura der SPD, der sich müht, einen echten Blue-collar-Politiker zu spielen. Türmer hat es geschafft, der drohenden Zukunft in einer Rechtsanwaltskanzlei Richtung Politik zu entkommen. Dort ist der Rächer der Enterbten, über dessen Broterwerb nicht mehr bekannt ist, als dass er im 24 Semester gerade seine Doktorarbeit schreibt und als Juso-Chef kein Gehalt bekommt, ein aufgehender Stern in einer untergehenden Partei. Die Linke hat ihre Ostmulle Heidi Reichinnek, zuständig für besinnungslosen Populismus. Die SPD hat Philipp Türmer, der die Partei wieder zur linken Volkspartei machen will, indem er Milliardäre so lange enteignet, bis aus ihnen Millionäre geworden sind.

Ohne Scham, ohne Respekt und ohne Interesse an der Wirklichkeit steht der von sich selbst berauschte späte Teenager für eine SPD-Funktionselite, die das Leben gewöhnlicher Menschen nur aus Erzählungen kennt. Dank Führungsfiguren wie Türmer ist die frühere Arbeiterpartei heute kulturell das perfekte Abbild der Lebenswelt und der Lebensläufe ihrer Funktionäre. 

Alle unter seine Knute 

Türmer beklagt nicht etwa, wie das ehemals so wohlhabende Deutschland in einen Zustand geraten konntet, in dem es in einem langen Berufsleben von 20 Millionen Rentnern und Ruheständlern nur 900.000 geschafft haben, sich von staatlichen Zuwendungen und Hilfszahlungen unabhängig zu machen. Er zielt darauf, auch diese knappe Million noch unter seine Knute zu bekommen, um sie sich mit gnädigen Gaben gewogen machen oder mit angedrohten Strafen erziehen zu können.

Das Ideal des jungen Mannes, der im Geiste bis heute im Kaiserreich feststeckt, ist der fürsorgliche Staat, in dem jedermann sich darauf verlässt, dass von oben Manna regnet und keiner merkt, dass er selbst das bisschen Tröpfeln bezahlt. Philipp Türmer will ausdrücklich nicht, dass möglichst alle Menschen unabhängig und selbstbestimmt leben können. Er will das Gegenteil. Um dorthin zu kommen, das betonte er am Ende seiner Parteitagsrede, benötige Deutschland eine Sozialdemokratie, die stark sei und groß.

Seine Rede beendet Philipp Türmer dann wirklich und ganz ernsthaft damit, dass den "lieben Genossinnen und Genossen" ein "Glück auf!" zuruft als habe er seine Rede nach Schichtschluss in der Kaue geschrieben. 

Friedrich Merz: Erfolgreicher erster Deutschlandbesuch

FTZNFRITZ Kampagne gegen Merz Aufkleber
Seit Friedrich Merz als 10. deutscher Kanzler amtiert, mehren sich die Angriffe organisierten Gruppen gegen den Christdemokraten. Wer dahitler steckt, lassen Wortwahl professionelles Design vermuten.


Er triumphierte im Februar, schmiedete im März seine Deutschland-Koalition mit der SPD und begann dann im April und Mai, die EU auf Kurs zu bringen. Nach seinem Vorstellungsgespräch in Washington im Juni, bei dem der neue deutsche Bundeskanzler die Aufsicht über den US-Präsidenten übertragen bekam, begann der hochaufgeschossene Christdemokrat langsam, die Leitung der Weltprozesse zu übernehmen. 

Mit großem Plan ins Kanzleramt 

Es ging alles sehr schnell und es wird klar, dass Friedrich Merz einen großen Plan mit ins Kanzleramt gebracht hat. Deutschland soll wieder Weltmacht werden, weit über seine gewohnte Rolle als moralisches Vorbild hinaus. Deutschlands Rüstungsindustrie ist dank nach oben offener Spezialverschuldungsmöglichkeiten im Begriff, die Autobranche als Grundpfeiler des früheren Wohlstandes abzulösen. 

Deutschlands Armee, daran hat Merz keine Zweifel gelassen, wird in den kommenden Jahren die stärkste nur konventionell ausgerüstete der Welt zu werden. Und Deutschlands Weltraumambitionen haben erstmals ein eigenes Ministerium bekommen.

Was für ein Unterschied zu den Jahren der Agonie unter Merkel und Scholz. Obschon fast im gleichen Alter wie seine beiden zögerlichen, beständig unsicher taktierenden und zu keiner durchgreifenden Entscheidung fähigen Vorgänger, ist Friedrich Merz ein ganz anderes Kaliber. Er stabilisierte die Lage in der zerstrittenen und gerade noch "hirntoten" Nato (Emmanuel Macron) im Handumdrehen.

Der halbe Bundeshaushalt 

Er verpflichtete die anderen Mitgliedsstaaten nicht auf läppische zwei oder 3,5 Prozent Rüstungsausgaben, sondern setzte ohne jede Debatte glatte fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes durch - der halbe Bundeshaushalt und alles finanziert ohne Rücksicht auf die Maastricht-Kriterien, die lange als sakrosankt geltende "Schuldenbremse" oder die Bewerbchen einer jungen Generation, die das alles eines Tages wird erwirtschaften müssen.

Ein Mann der Tat, nicht der Bedenken. Merz besuchte die Front in der Ukraine und vereinbarte mit den Nachbarn in Paris, Warschau und Italien eine Rückkehr zur engeren Zusammenarbeit früherer Zeiten. Mit seiner demonstrativen Genehmigung der israelischen Luftangriffe auf den Iran - Stichwort "Drecksarbeit" - griff er zudem wie beiläufig auch im Nahen Osten ein. Kaum hatte er den Mullahs in Teheran mit dem Wort signalisiert, dass sie auf Hilfe aus Deutschland nicht hoffen dürfen, streckte das Regime die Waffen.

Feinde machen mobil 

Auf bedingungslosen Applaus darf Merz allerdings trotz solcher Erfolge, erreicht in kürzester Zeit, nicht hoffen. Die Feinde des zehnten Bundeskanzlers lassen nicht ab von hetzerischen Parolen wie dem "FTZNFRTZ" oder Verleumdungen des CDU-Vorsitzenden wegen notwendiger Kürzungen bei der Pflege, bei versprochenen Entlastungen der hart arbeitenden Mitte und dem geplanten Aufwuchs der Truppenstärke der Bundeswehr über die einst mit den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges im Zwei-plus-Vier-Vertrag festgelegte Obergrenze hinaus.

Friedrich Merz hat sich bislang souverän ferngehalten von diesen kleinlichen Diskussionen um Völkerrecht, gebrochene Wahlversprechen und die geplante Neuordnung  der demokratischen Landschaft mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe. 

Er denkt über die Grenze hinaus 

Die Welt war das Feld des 69-Jährigen. Friedrich Merz, das konnte jeder sehen, denkt größer, weiter als bis zur deutschen Grenze und über den Tag hinaus. 127 Tage dauerte es, bis der früher auch in seiner eigenen Partei umstrittene Münsterländer die Dinge auf dem globalen Spielfeld so weit in Ordnung gebracht und in Gang gesetzt hatte, dass er Zeit für einen ersten offiziellen Deutschlandbesuch fand. 

Pünktlich mit Beginn des Hitzesommers, auf den Merz im Wahlkampf den Vollzug des geplanten Stimmungsumschwungs datiert hatte, besuchte der Bundeskanzler die deutsche Hauptstadt. Der Außenstürmer, als der Merz bisher gerühmt und gelobt wurde, verwandelte sich für einige Stunden in einen echten Innenverteidiger, der souverän zeigte, dass er sich von den manipulierten Videos, erfundenen Skandalen und wilden Behauptungen, mit denen seine Gegner in den sozialen Medien  bewusst gegen ihn hetzen, nicht kirre machen lässt. Merz geht seinen Weg, mit klarem Blick und festem Schritt.

Die Hauptstadt bebt 

Und die Hauptstadt, sie bebt beim Besuch des Kanzlers. Zwar ist der Ausnahmezustand für Berlin eigentlich Alltag - immer ist hier etwas, immer schaut die Welt auf diese Stadt. Doch der große Betrieb um den Staatsbesuch des Regierungschefs sticht noch einmal hier heraus. Als Friedrich Merz nach Berlin reist, werden Straßen gesperrt, der Bahnverkehr eingeschränkt und selbst auf der Autobahn werden besondere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. 

Kein Wunder, denn es ist der erste Besuch des aktuellen Anführers der freien Welt in der Stadt, die mehr als jede andere für die Verheißung der Freiheit durch Demokratie und Marktwirtschaft steht, die freiheitlichen Möglichkeiten aber am liebsten nutzt, um von Menschen unter großen Opfern erkämpfte individuelle Freiheiten einzuschränken.

Keine Kritik an Kinkerlitzchen 

Merz, eben noch zu Gast im Operativen Führungskommando der Bundeswehr in Schwielowsee, lässt sich nicht dazu herab, diese Kinkerlitzchen zu kritisieren. Auch beim Hauptstadtbesuch sind es die globalen Themen, die ihn bewegen. Das falsche Sicherheitsgefühl vieler, die immer noch glauben, in Freiheit, Frieden und Sicherheit zu leben, sei eine Selbstverständlichkeit. Seine Weigerung, persönlich mit Wladimir Putin zu sprechen, weil ihm "die möglichen Konsequenzen zu riskant" sind, wie Merz bekannt hat. 

Die Wähler, von denen es schon schien, als würden sie mit dem kantigen Neuen im Kanzleramt so wenig warm wie mit seinem verhuschten Vorgänger, danken es Merz. Lisa Weintraut und Karsten Spaniel etwas sind eigens aus dem Münsterland in die Hauptstadt gekommen, um ihrem Landsmann an seinem ersten großen Tag vom Straßenrand aus zuzujubeln. Weintraut und Spaniel sind mit dem Fahrrad gekommen, eine Tour über fast 500 Kilometer. Die beiden Mittfünfziger sind zum ersten Mal in Berlin, und das nur wegen Merz. "Wir finden ihn einfach gut", sagt Lisa Weintraut. Aber auch Berlin sein recht hübsch, gerade jetzt im Sommer. "Man stellt es sich aus der Ferne größer vor, aber die Spree hat was", bestätigt Karsten Spaniel.

Merz hat sich wachgeküsst 

Eine Erkenntnis, die die beiden langjährigen SPD-Wählenden nur Friedrich Merz verdanken. "Wir haben ihn Anfang des Jahres bei einem Auftritt bei uns in der Stadt erlebt", sagen sie, "und er hat uns genau dort abgeholt, wo wir damals waren." Den langsamen Niedergang, der unter Merkel begonnen habe und sich in den Ampeljahren beschleunigt hatte, den wollten die beiden Mitarbeiter einer Krankenasse nicht mehr mitansahen. "Aber niemand hat doch Lust, seine Stimme den Falschen zu geben." Friedrich Merz sei gerade recht gekommen, erzählt Lisa Weintraut, die vor dem Schloss Bellevue gerdae versucht, ein Foto vom vorüberfahrenen Kanzler zu machen.

Leichter gesagt als getan, denn die Menschenmenge, die Merz bei seinem ersten Deutschlandbesuch erleben will, steht weit entfernt im Park vor der Straße vor dem Schloss, denn so weit wurde die Absperrung drum herum gezogen. Rund ein Kilometer ist von hier bis zur Siegessäule. Von dort am Spreeweg zurück zum Schloss und zusätzlich ein langes Stück der Spreepromenade verläuft die sogenannte Protokollstrecke, die Merz im Rahmen seines Kurzbesuchs absolvieren wird.  

Geheimnis um den Neuen 

Die Hauptstadt ist bestens vorbereitet, wie Karsten Spaniel beobachtet hat. "Am Potsdamer Platz stehen bestimmt 800 bis 1000 Polizisten." Ob wegen Merz, wisse er allerdings nicht. "Es kann auch eine Pro-Palistinenserdemo gewesen sein." Nicht zu den Fans durchgedrungen ist auch die Information, wo Merz bei seinem Abstecher nach Spreeathen nächtigen wird. "Von Frau Merkel war bekannt, wo sie wohnt und in welchem Supermarkt sie einkaufen geht wie ein ganz gewöhnlicher Mensch", sagt Lisa Weintraut, "der Neue macht da noch ein bisschen ein Geheimnis draus." 

Mit gutem Grund. Seit Friedrich Merz begonnen hat, Deutschland aus den Fesseln der Vergangenheit zu meißeln und den trägen Riesen auf Trab zu bringen, hat er sich nur Freunde gemacht. Ja, viele Wälerinnen jnd Wähler sind hochzufrieden mit Merz wie Umfragen zeigen. Im Alleingang hat er das land aus dem Koma gewckt, die AfD distanziert und Kraft genug gesammelt, um der SPD versprechen zu können, dass er auch ihre Umfragewerte wieder auf über 20 Prozent ziehen könne.

Inszenierte Kampagne 

Zugleich aber regen sich die erklärten Gegner einer Rückkehr Deutschlands auf die Weltbühne und die Karte der großen Wirtschaftnationen. Mit "Desinformation als auch persönlichen Diskreditierung und Propaganda auf vielen Kanälen", so bestätigt ein Regierungssprecher, werde alles unternommen, um den Kanzler und seine Partei in der neuen Machtposition zu diskreditieren. Nicht nur die üblen "FTZNFRITZ"-Aufkleber, die tausendfach in ganz Deutschland geklebt worden sind, lassen Hintermänner mit sehr tiefen Taschen vermuten: Hinter Planung, Anfertiguung und Verteillogistik stecken  wie in früheren Fällen zweifelos nicht übermütige Jusos oder unge Grüne, sondern ganz andere Kreise.

Das Regierungsviertel war allerdings vor Merz' Stippvisite gesäubert worden, beim Staatsbesuch in Berlin sollte kein Misstron die Stimmung trüben. Ältere Besucher, die aus dem Ostteil der Stadt herbeigeströmt sind, erzählen von einem Besuch des sowjetischen Diktaors Chruschtschow, der zu seiner Zeit auch einmal mit großem Pomp emfangen worden war. Jetzt gehe eher "alles ein wenig unter", ärgern sie sich. Die Köpfe der Westdeutsche nicken. Damals bei Kennedy sei mehr ,los gewesen, auch zuletzt noch bei Joe Biden, der einen Satz aufgesagt habe, in dem Berlin als "Leuchtfeuer der Demokratie" erwähnt worden sei. Da seien er und seine Frau stolz gewesen, dabeigewesen zu sein, sagt ein älterer Mann.

Mit hohem Tempo 

Bei Merz` Ankunft im Regierungsviertel patrouillieren handverlesene Polizisten mit Jet-Ski und Booten der Wasserschutzpolizei auf dem Fluss. Ob auch wieder Scharfschützen im Einsatz sind, auf dem Dach des Bundeskanzleramtes etwa, wird geheimgehalten. Das übliche Versiegeln der Gully-Deckel ist unterblieben, die Gefährdungsstufe sei hoch, die Geschwindigkeit der Fahrzeugkolonne, die Merz brengt und wieder abholt, allerdings auch, heißt es unter der Hand. 

Im Kanalsystem Sprengsätze zu legen, erscheint nach Ansicht der Experten aussichtslos. "So schnell kann keiner reagieren." Zumal Helikopter von oben freie Sicht auf verdächtige Bewegungen haben - besetzt mit erfahrenen Beamten, die das Besuchschaos mit traumwandlerischer Sicherheit vom ganz normalen Berliner Chaos zu unterscheiden wissen.

Montag, 30. Juni 2025

Indoordürre: Gurken in Gefahr

Laura-Sophie mit der Gurke, dem Gemüse des Jahres für 2019 und 2020 ernannt.
Kein Regen im Gewächshaus. Laura Sophie und die Trockengurke.

Die Flüsse fallen trocken, die Wälder brennen, in den modernen Steingärten glücken die Kiesel. Ein ganz normaler Sommer in Deutschland, ein Sommer unter der selbstgemachten Klimaknute. Weil vor allem der Verkehrssektor und das Wohnen der Deutschen ihre Planvorgaben bei der CO2-Einsparung noch immer nicht einhalten, rächt sich Mutter Natur auf brutale Weise. Seit Monaten schon regnet es nicht mehr. Seit Tagen ist es viel zu heiß.

Kampf gegen Kälte 

Die Folgen lassen sich in den ersten Medien besichtigen. Angler klagen über tote Fische, Gärtner über verdorrte Feldfrüchte. Bauern müssen zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um aus viel Bürokratie wenig Einnahmen zu generieren.  Nachdem es vor drei Wochen noch zu viel geregnet hat, ist jetzt alles zu trocken. Nach einem Frühjahr, das den Gasverbrauch der privaten Haushalte in die Höhe trieb, folgt ein Frühsommer, der den Discountern keine andere Wahl lässt, als eiskalt Klimaanlagen in die Auslage zu stellen.

Dramen spielen sich ab, nicht nur auf der Pride-Parade in Budapest, bei der 200.000 Menschen nicht nur dem ungarischen Diktator Viktor Orbán, sondern auch der Hitze trotzen mussten. Auch in Gelnhausen im Südosten von Hessen erlebten Bürgerinnen und Bürger im Strömungskanal eines Freibades sommertypische Szenen. "Bei den hohen Temperaturen liegen die Gemüter manchmal blank", verwies Ortsbürgermeister Christian Litzinger auf ein bekanntes Phänomen. Geschlechtertrennung ist nötig, neue Plakate gegen Vorfälle müssen geklebt werden.

Je heißer, desto Hetze 

Je heißer, desto Hetze, je sonniger, desto mehr Gewalt.  Der UN-Weltklimarat IPCC hatte bereits 2014 darauf hingewiesen, dass der Klimawandel eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit darstellt, weil in vielen ohnehin nicht sonderlich friedlichen Ländern mit heißem Klima jedes zusätzliche Grad zu exponentiell mehr Gewalt führt.

Aber auch zu Ernteausfällen wie bei Laura Sophie. Das traurige Schicksal des Mädchens zwischen Gewächshaus und Gießverbot sorgt deutschlandweit für Aufsehen. In einem Gewächshaus war es der jungen Gärtnerin gelungen, Gurken zu ziehen. Die aber vertrocknen nun unter den Händen der 16-Jährigen. Nur das Unkraut zwischen den Fugen der Pflastersteine sind noch grün und saftig, der Rest der Plantage liegt knochentrocken brach. 

Wenn Laura Sophie eine vertrocknete Gurke anklagend hochhält, sind sie direkt zu sehen, die "ersten Folgen des ausbleibenden Regens". Kein Tropfen erreicht den Acker im Gewächshaus, die "Familie fürchtet um die Ernte". Deutschland, eines der wenigen Länder weltweit, das sich zumindest theoretisch selbst mit Lebensmitteln versorgen könnte, droht durch die Dürre eine Hungerwelle. In den Niederlanden, Italien und Polen, traditionell die Staaten, die Deutschland mit Lebensmitteln versorgen, ist es ebenso oder noch heißer. Wasser fehlt auch in Spanien und der Türkei. Jeder Sonnenstrahl spitzt die Lage zu.

Wasserspeicher Gurke 

Die Gurke, auch grüne oder Salatgurke genannt, gilt normalerweise als pfandfreie Einwegverpackung für Wasser. Jedes Exemplar besteht zu etwa 95 bis 97 Prozent aus Wasser, der Wasseranteil am Gesamtgewicht ist damit deutlich höher als der einer handelsüblichen Glasflasche. Das ist Segen, aber auch Fluch. Da der Großteil einer Gurke aus Wasser besteht, das als Träger von Vitamine der B-Gruppe, von Vitamin C, Vitamin K und Mineralstoffen wie Kalium und Eisen dient, hat die Gurke in Dürrezeiten kaum längerfristige Überlebenschancen.

Im Augenblick ist Deutschland doch noch eines ihrer Rückzugsgebiete. Die Kukumer aus der Familie der Gurkengewächse, zuletzt 2019 und 2020 vom Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt zum Gemüse des Jahres ernannt, wird durch die Indoordürre zur bedrohten Art und der kluge Schachzug der gestielten und borstig behaarten Pflanze, sie dem Menschen als Nahrung anzudienen und ihn im Gegenzug für die eigene Verbreitung weit über den ursprünglich in Indien liegenden natürlichen Lebensraum hinaus sorgen zu lassen, zeigt seine Tücke.

Auch um seine Gewächshäuser mit Folie zu bespannen und die außerhalb der Vegetationszeiten zu beheizen, befeuert der Mensch eine Klimaerhitzung weit über das Maß, das der Globus ertragen kann. Es fehlt in der Folge an Wasser. Und mit der Gurke stirbt ein Stück Nahrungsgrundlage der Welt. 

Ums Überleben: Wenigstens ist die SPD dagegen

SPD, AfD-Verbot, Volkspartei, Wahlniederlage, Neustart, Sozialdemokratie, Schadensbegrenzung
Auf eines immerhin konnte sich die abgestrafte und innerlich zerrissene SPD einigen: Könnte man die AfD verbieten, wäre die eigene Rückkehr zum Status der Volkspartei ein Kinderspiel.

Die Arbeiter verloren, die kleinen Angestellten verprellt, von den Wählerinnen und Wählern mit nicht einmal mehr 17 Prozent aus dem Kanzleramt gejagt und innerlich tief zerstritten. Als die deutschen Sozialdemokraten am Wochenende zu ihrem ersten ordentlichen Bundesparteitag nach dem Wahldesaster vom Februar zusammenkamen, galt das gesamte Bemühen der Parteiführung der Schadensbegrenzung. Wie lässt sich persönliche Verantwortungsübernahme verhindern? Wie kommen die, die den Marsch auf den Irrweg zu immer höheren Belastungen und immer weniger individueller Verantwortung anführten, am besten ungeschoren davon?

Aufarbeitung später 

Im CityCube der Hauptstadt, für die vielbeschäftigten Bewohner des politischen Berlin bequem erreichbar, sollte zu diesem Zweck ein besonderes Kunststück gelingen: Unter der Überschrift "Veränderung beginnt mit uns" schwor sich die abgestrafte Partei ein auf eine "umfassende Aufarbeitung ihrer historischen Wahlniederlage". Die unmittelbar auf eine ferne Zukunft verschoben wurde. Dann  irgendwann soll eine parteiinterne Debatte zu einer inhaltlichen Neuaufstellung führen, um 2029 mit einem neuen Grundsatzprogramm in die Wahlschlacht ziehen zu können.

"Neustart" nennt die frühere Arbeiterpartei traditionell jeden ihrer Versuche, Konsequenzen aus gescheiterten Plänen, grassierendem Vertrauensverlust und innerer Ratlosigkeit zu ziehen. Alte Genossen wissen, es wird danach nie besser, aber immer schlimmer. Neue Parteiführungen haben nur dieses eine Mittel: Immer wird sich inhaltlich und personell neu aufgestellt. Immer wird leidenschaftlich und engagiert diskutiert. Immer können sich die Flügel der Parteitag nicht einigen. Immer läuft es deshalb auf eine Vertagung der Beantwortung von Schlüsselfragen hinaus, an deren Stellen eine kämpferische gemeinsame Haltung überall dort posaunt wird, wo es schadlos möglich ist.

Gegen rechts und Reiche 

Gegen rechts und gegen die Reichen, das geht bei Sozialdemokraten immer. Und es ging auch dieses Mal. Als "Partei der linken Mitte" sieht sich der Funktionärsapparat derzeit, der die Regie im Berliner Marshall-Haus führte. Worum es sich dabei handelt, ob es eine Abspaltung der im Wahlkampf beschworenen "hart arbeitenden Mitte" oder ihre Erweiterung bis kurz vor den linken Narrensaum ist, lässt sich vorerst nur erahnen - eine eigene Definition verweigert die furchtsame Truppe um Klingbeil und Bärbel Bas, die neue Frau an seiner Seite.

Die mühte sich, nur ja keine Gräben aufzureißen. Nachdem das alte Establishment mit dem zuletzt abgetauchten Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz und der aussortierten Ex-Parteichefin Saskia Esken sich seinen letzten Applaus hatte abholen dürfen, war es die Bundesarbeitsministerin, die Esken zu einer der "Mütter des Erfolges" der deutschen Sozialdemokratie ernannte. Die 63-Jährige, in den zurückliegenden Monaten verhöhnt als das Gesicht des Niedergangs einer Partei, die den Kontakt zum Alltag der Bürger mutwillig abgebrochen habe, habe "die Partei durch stürmische Zeiten geführt".

Partei der Nische 

Doch wohin? Aus der einstigen Volkspartei ist eine Partei der Nische geworden, in der die wenigen Nutznießer der obrigkeitsstaatlichen Ideologie der SPD wohnen. Für die ist Olaf Scholz der "neben Willy Brandt besten Bundeskanzler, den die Bundesrepublik jemals hatte", so war auf den Fluren zu hören. Gerade der Vergleich "mit seinem kalten, arroganten, zynischen Nachfolger" mache das deutlich. Selbst die gescheiterte "Ampel"-Koalition habe letztlich doch viel Wegweisendes erreicht, darauf beharren die Hundertprozentigen stur. Noch mehr wäre möglich gewesen, hätte die FDP nicht mit dem Dolch im Gewand jede Bemühung um Klimaschutz, Gerechtigkeit

Kein Hohn, kein Spott, keine Persiflage. In der Parallelwelt der festen Burg von Willy Brandts Erben sind die Totengräber Superstars und eine Partei, die 21 der letzten 25 Jahre regiert hat, kann sich selbst glauben machen, dass sie es immer schon besser gemacht hätte. Und jetzt erst recht.

Führung vertröstet

Bloß keine Fehlerdiskussion! Die Basis durfte ihr Mütchen an Lars Klingbeil kühlen, der mit seinem Wahlergebnis von nicht einmal zwei Dritteln der Stimmen der Delegierten in vergangenen Zeiten keine Chance gehabt hätte, sich noch lange an der Spitze zu halten. Danach vertröstete die Führung die handverlesenen Genossen darauf, dass das Geheimnis um die Gründe für das schlechteste Wahlergebnis seit Gründung der Bundesrepublik durch eine Expertenkommission unter Leitung des neuen Generalsekretärs Tim Klüssendorf enthüllt werden soll. 

Mit dieser Art Zeitspiel hat die Sozialdemokratie gute Erfahrungen gemacht. Schon unter der wenig später entmachteten Kurzzeit-Vorsitzenden Andrea Nahles gelang es der SPD vor sieben Jahren, alle Fehler im Wahlkampf und die gesellschaftlichen Veränderungen, die die SPD in die Defensive brachten, so lange und gründlich zu untersuchen, dass das Ergebnis kein Erschrecken mehr hervorrief. Entscheidend war damals ein "Mangel an klaren Führungsstrukturen" sowie "zu wenig Teamwork" gewesen. Ein Urteil, mit dem die aktuelle Parteispitze Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres sicher auch gut leben könnte.

Nie genug 

Man ist sich selbst genug, kann aber von anderen einfach nicht genug bekommen. Klüssendorf, der neue Kevin Kühnert, hat sich zur Amtseinführung für höhere Belastungen für die hart arbeitende linke Mitte ausgesprochen. Den Krankenkassen fehle, die Bürger hätten es. Mit einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze sei "noch deutlich mehr drin" für die Gemeinschaft. Klüssendorf, 33 und ohne jede störende Berührung mit einer bürgerlichen Erwerbsarbeit ins Amt geraten, hat sich selbst als bestes Beispiel genannt. Er zahle zwar den Maximalbeitrag. Wäre aber durchaus "in der Lage, auch mehr zu zahlen."

Auch die neue Co-Parteichefin Bärbel Bas, wegen in der SPD-Spitze exotischen  Herkunft aus einem nicht-intellektuellen Milieu schon als Kanzlerkandidatin gehandelt, trommelte für den weiteren Ausbau eines "Sozialstaat, der ein freies und selbstbestimmtes Leben ermöglicht – unabhängig von Herkunft oder Geschlecht" und Kosten. Nach Jahrzehnten, in denen der Anteil der Umverteilung bei den Bundesausgaben auf mehr als 57 Prozent gestiegen ist, soll mehr Umverteilung endlich das Problem lösen, dass die Armut im Gleichschritt mit dem Bruttoinlandsprodukt steigt. 

Stimme einer verschwindend kleinen Minderheit 

An den zentralen Versprechen ihrer Bundestagswahlkampge hält die SPD fest. Die Forderung nach einer Einkommenssteuerreform mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes, einer neuen Vermögensteuer und einer globalen Milliardärssteuer bleiben ebenso aktuell wie der Mindestlohn von 15 Euro, die Einführung von kostenfreiem Kita- und Grundschulessen, die Verlängerung des Elterngeldes auf 18 Monate und eine dauerhafte Mietpreisbremse. 

Nur noch zwölf Prozent der Arbeiter und zehn Prozent der Ostdeutschen, so hat es die SPD selbst offenbart, fanden das zuletzt richtig und wichtig genug, der alten und neuen Regierungspartei ihre Stimme zu geben. Auch die erratische außenpolitische Ausrichtung der Partei überzeugt nur die einen, die anderen dafür gerade nicht. 

Der Kremlflügel hat in einem "Friedensmanifest" eben erst für mehr Diplomatie geworben. SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius beinahe im gleichen Moment bekanntgegeben, dass die im Zwei-plus-Vier-Vertrag vom 12. September 1990 festgelegte Obergrenze für die Truppenstärke des vereinten Deutschlands von maximal 370.000 Soldaten für ihn nur ein Eisch Ppaier ist. 90.000 mehr sollten es schon sein, Völkerrecht hin, Völkerrrecht her. 

"Neuausrichtung" im ZDF 

Im ZDF gilt das als "Neuausrichtung", mit der es gelingen kann, die 2,4 Millionen früheren SPD-Wähler zurückzuholen, die ihr Kreuz zuletzt lieber bei der AfD gemacht hatten. Die Debatte über Wehrpflicht, von den Jusos kritisch gesehen, und die Haltung zur NATO führte zu hitzigen Diskussionen, uneins ist die SPD auch, ob die plötzlich nötigen Investitionen in Bildung, Infrastruktur und soziale Gerechtigkeit mit Hilfe von Schulden finanziert werden sollen, wie es die Parteiführung gern hätte. Oder lieber eine neue höhere Vermögenssteuer beschlossen werden soll, um die seit 15 Jahren stabil steigende soziale Ungleichheit zu bekämpfen.  

Nur in einem einzigen Punkt waren sich die 600 Genosssinnen und Genossen wirklich einig. Einstimmig forderten sie die "Vorbereitung" eines AfD-Verbotsverfahrens. Eine "Bund-Länder-Arbeitsgruppe" im Moment noch unklaren Zuschnitts solle Materialien und genügend Belege für die vermutete Verfassungsfeindlichkeit der AfD sammeln. Die SPD - im Gegensatz zu Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung nicht befugt, einen Verbotsantrag zu stellen -  will sie dann dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. 

Auch ohne genügend Belege 

Schon heute, ohne "Materialien und genügend Belege" stuft die SPD die konkurrierende AfD als "klar rechtsextremistisch" ein. Lars Klingbeil nannte die Durchsetzung fast auf den Tag genau 90 Jahre nach der Verhängung des letzten Verbotes über seine Partei eine "histoische Aufgabe". Die SPD Sachsen, mit sieben Prozent der Stimmen bei der letzten Landtagswahl ein Zwerg gemessen an dern mehr als 30 der gesichert Rechtstremistischen, sieht das erhoffte Verbot nicht als Ersatz der politischen Auseinandersetzung mit der AfD, sondern als Ergänzung. 

"Wir dürfen nicht länger hinnehmen, dass eine verfassungsfeindliche Partei ungehindert gegen die Demokratie agiert", hatte Landeschef Henning Homann vorab mitgeteilt. Die SPD im Freistaat, so klein sie auch sei, stehe "für ein wehrhaftes, demokratisches Sachsen. Wer unsere Freiheit angreift, muss mit klarer Kante rechnen." 

Da gibt es kein Vertun. Da wenigstens sind sich Tauben und Falken, Sozialisten und Marktwirtschaftler, Identitäre und Funktionäre einig. Als "Hauptforderung" wurde das angestrebte Verbot der Konkurrenz in den "Heute"-Nachrichten gefeiert - in schwierigen Zeiten, in denen die Wirtschaft torkelt, das westliche Bündnis nur von Hoffnung zusammengehalten wird, die Kassen der versorgungssysteme leer sind und die Meinungsfreiheit von allen Seiten unter Beschuss genommen wird, hat die SPD damit nach langer Suche immerhin ein Thema gefunden, mit dem sie zu reüssieren zu können glaubt. 

Sonntag, 29. Juni 2025

Wer hat es verdient?

Es ist zum Besten aller.

2000: 6.400 Euro

2001: 6.600 Euro

2002: 6.893 Euro

2003: 7.009 Euro

2004: 7.132 Euro

2005: 7.258 Euro

2006: 7.387 Euro

2007: 7.519 Euro

2008: 7.655 Euro

2009: 7.668 Euro

2010: 7.668 Euro

2011: 7.668 Euro

2012: 8.252 Euro

2013: 8.667 Euro

2014: 8.840 Euro

2015: 9.082 Euro

2016: 9.327 Euro

2017: 9.541 Euro

2018: 9.780 Euro

2019: 10.012 Euro

2020: 10.083 Euro

2021: 10.157 Euro

2022: 10.323 Euro

2023: 10.591 Euro

2024: 11.227 Euro

2025: 11.898 Euro

Warum sich der Bundestag nach dem Nominallohnindex entlohnt  

Morbus Meinungsfreiheit: Die Zumutung

Die Lehrstelle gemahnt besser noch als der Biller-Text an eine deutsche Obsession. 

Es ist eine neue "Zeit", die die neuen Möglichkeiten der neuen Technik souverän nutzt, um Schaden vom Gemeinwesen abzuhalten. In früheren Tagen fielen Kinder in den Brunnen und eine Tragödie nahm ihren Lauf. Gedruckt war gedruckt, die Katastrophe angerichtet. Das Wort "Depublizieren" stand nicht nur nicht im Duden, es existierte nicht einmal. Eine Zeitung oder Zeitschrift, die etwas veröffentlicht hatte, von dem sie später zur Auffassung kam, sie hätte es nicht veröffentlichen sollen, konnte sie allenfalls entschuldigen. Die Zahnpaste aber wieder in die Tube zu drücken, vermochte niemand.  

Der Fortschritt marschiert 

Doch der Fortschritt marschiert und nicht nur große Parteien haben gelernt, gelenkig mit den Herausforderungen einer Ära umzugehen, in der morgen schon vollkommen falsch sein kann, was heute noch richtig war. Als "Zeit"-Kolumnist Maxim Billers seine Kolumne "Morbus Israel" abgab, schien sie beim Hamburger Wochenblatt durchaus druckreif. Biller, immer schon ein Freund zugespitzter Thesen,  hatte diesmal über die Frage nachgedacht, warum "sich die Deutschen immer so über die Juden des Nahen Ostens aufregen". 

Ein Rätsel seit Jahren, denn der Firnis zwischen Staatsräson und Antisemitismus ist dünn und die Geschichte der sogenannten "Israelkritik" lang. Nur der Judenstaat ernährt hierzulande eine eigene Branche an Genozidbesorgten, Zwei-Staatenlösungsbeseelten und engagierten Terrorverstehern - deutschlandweit gibt es keinen einzigen Japankritiker, keinen Mexikokritiker und keinen Sudankritiker, aber Heerscharen an Experten, die jeden Morgen aufstehen und wissen, was Israel tun müsste, tun darf und was ganz sicher nicht.

Das schlechte Gewissen der Guten

Biller, selbst Jude, hat das in seinem Text "Morbus Israel" genannt. Dem schweren Thema nähert er sich mit Ironie, Sarkasmus und Zynismus. Er schreibt von Täterenkeln und ihrem schlechten Gewissen,  ein streichelt die empfindliche deutsche Seele mit der Drahbbürstem und erzählt jüdische Witze, überf die zu lachen sich verbietet, und er griff sich den Fernsehmoderator Markus Lanz heraus, um die jüngst neu erblühte deutsche Sehnsucht nach einem "Völkerrecht", das für alle gilt, wenn Deutschland gerade meint, es müsste, auf ihre Ursachen zu untersuchen.

Das Ergebnis präsentiert die "Zeit" in der gedruckten Ausgabe, im Internet aber nur kurz. Der Raum dort, grenzenlos, aber nicht rechtsfrei, wurde schon nach kurzer "Zeit" von Billers Text befreit. Der "an dieser Stelle erschienene Text", hieß es, habe "mehrere Formulierungen enthalten, die nicht den Standards der "Zeit" entsprächen. "Unsere aufwändige redaktionelle Qualitätssicherung hat leider nicht gegriffen", erläuterte die Redaktion. man habe den Text deshalb "nachträglich depubliziert".

Leichen im Archivkeller 

Die Wortwahl ist interessant, erscheint doch eine vorsorgliche Depublizierung schon logisch unmöglich. Nachträglich aber geht es, nur traut sich auch die früher liberale Wochenzeitschrift seit Jahren nicht, den Weg konsequent zu gehen. Im Hamburger Archivkeller wimmelt es bis heute von N-Worten und "Negerhäuptlingen", Polygamie-Klischees und "Negern, die schneller laufen". 

Allerdings sind das Petitessen, keine Juden. Maxim Biller wurde wegen seiner Erwägungen umgehend von denen, die er gemeint hatte, als "chauvinistisch" und "bellizistisch" verdammt, ein shitstorm im Wasserglas des deutschen Wohlfühlmilieus, dem noch nie eine Hamas-Rakete auf den Kopf zu fallen drohte. Gut vorbereitet und motiviert durch die zuletzt wieder verstärkte Berichterstattung über wahllos auf hungernde Familien vor Essenausgabestellen schießende israelische Soldaten und von "Gesundheitsministerium" in Gaza gemeldete Todesopfer, war der Aufschrei der am schlimmsten Betroffenen laut genug, die "Zeit" neu über die Grenzen der Meinungsfreiheit nachdenken zu lassen.

Heimatfront der Heuchler 

Zack und weg. Billers garstiger Humor passt nicht in eine "Zeit", in der die Mehrheit der Deutschen sich wünscht, dass ihre Regierung den Juden mit ordentlich Druck klarmacht, was sie dürfen und was nicht. Der jüdische Blick auf die Lage an der Heimatfront der Heuchler passt nicht zum deutschen Anspruch auf die moralische Hoheit weltweit. 

Nach erneuter aufwändiger Qualitätssicherung verschwand Billers Kolumne. Sie wurde nicht gelöscht, nur "nachträglich depubliziert". Der Schriftsteller ist damit kein Opfer einer Meinungslenkungsmaßnahme, mit der eine unangenehme Stimme zum Schweigen gebracht wird, sondern selbst schuld. Hätte er nicht geschrieben, was er geschrieben hat, hätte niemand seinen Text  verschwinden lassen müssen. 

Triump der Qualitätssicherung 

Die Löschung ist ein Triumph der Qualitätssicherung, ein Akt journalistischer Tugend, der der Gefahr begegnet, dass Leserinnen und Leser sich mühevoll selbst ein Urteil bilden müssen. Wer die "Hungerblockade von Gaza" als "strategisch richtig, aber unmenschlich" bezeichnet, der missbraucht seine privilegierte Position als Publizist dazu, nicht klar Stellung zu beziehen. Unmenschliches Handeln, darüber ist sich die Mehrheit der Deustschen einig, kann nicht richtig sein, weil es unmenschlich ist. Gelegentliche Ausnahmen regeln Pandemieverordnungen.

Falsche Vergleiche, historisch krumme Gleichsetzungen, all das gehört zum Handwerkszeug des Kommentäters. Die Grenze aber liegt dort, wo Gefühle von Menschen verletzt werden, die ihre Illusionen ernst meinen. In einer Zeit, in der Worte staatsamtlich für ebenso gefährlich gehalten werden wie Taten, braucht es nicht nur Messerverbotszonen, sondern auch Meinungsverbotbereiche. Es gilt, die Demokratie vor sich selbst zu schützen, nicht nur bei den feierlichen Festtagen gegen Hass und Hetze, sondern auch dort, wo die sensible Seele der Nation "Genozid-Apologetik" und - besonders passend - "Stürmer-Niveau" entdeckt.

Traum aller Diktatoren 

Die Moral darf nicht schlafen und wenn sie einmal müde wird und ein Text durchrutscht, der für Irritationen sorgt, muss schnell reagiert werden. Die Depublikation, Traum jedes Diktators, radiert den Fehler nicht gänzlich aus, hinterlässt aber nur einen blauen Fleck in  Form eines bürokratischen Vermerks. Hier stand etwas, aber jetzt nicht mehr. Für euch da draußen ist es besser so. Und schon ist die Welt wieder ein Stück sicherer. 

Ein Texte-TÜV, der über die allgemeine Moral wacht, wäre früher das Gegenteil des linken Ideals von absoluter Meinungsfreiheit gewesen, wie es in der alten SPD-Hymne "Die Gedanken sind frei" besungen wird. Bis in den wilden Tagen der 68er war die Linke der Vorreiter für Redefreiheit, sie löckte wider den Stachel, stichelte gegen die Verhältnisse und reklamierte für das Recht, zu provozieren und zu kritisieren. 

Zumutung Redefreiheit 

Dasselbe Milieu empfindet dieselbe Redefreiheit heute als Zumutung, weil Menschen sie für falsche Zwecke nutzen: Als Demonstranten gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik auf die Straße gingen und später gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen, stand sofort fest, dass es sich um einen Missbrauch der vom Staat so großzügig gewährten Meinungsfreiheit handelt. 

Die Löschung von Billers Text ist ein Symbol für diesen Meinungsumschwung. Jeder darf alles sagen, aber wenn es nicht das Richtige ist, eben nicht überall. Unbequeme Stimmen sind nicht verboten, aber eine Plattform bieten muss ihnen niemand. An die Seite staatlicher Tugendwächter sind in der neuen  Ordnung Aufsichtsgremien getreten, die aus eigener Anmaßung handeln: Staatslich finanziert sind sie Teil eines nichtstaatlichen Systems, das Menschen vor sich selbst schützt, in dem es sie sanft, aber bestimmt dazu erzieht, es mit den eigenen Ansichten nicht zu übertreiben.

Ein Klick und weg 

Der Online-Journalismus macht es möglich, das Kind aus dem Brunnen zu holen. Ein Klick, der Text ist weg und der Skandal da. Aus einer Debatte über den deutschen Anspruch darauf, besser zu wissen, was Israel tun sollte als Israel selbst, ist eine über mangelnde Qualitätssicherung geworden. Künftig könnte das die KI übernehmen, trainiert mit 40 Jahrgängen des Neuen Deutschland. Nur noch Texte, die den Standards entsprechen! Nur noch Meinungen, die tagesschaugeprüft sind. Maxim Biller mag im Moment wie ein Opfer aussehen, aber sein Text beweist, dass deutschland aus den fehlern der vergangenheit gelernt hat. Und wenn später einmal wieder Enkel fragen, Opa, Oma, warum habt ihr damals nichts getan?, werden "Zeit"-Redakteure gelassen antworten können: „Haben wird doch, denn haben Maxim Biller depubliziert."

 

Morbus Israel

Warum regen sich die Deutschen immer so über die Juden des Nahen Ostens auf? 

Eine Kolumne von Maxim Biller 

Kommt ein Deutscher zum Arzt und sagt: "Herr Doktor, immer, wenn ich über Israel rede, geht sofort mein Puls schneller, und nach dreißig Sekunden brülle ich jeden an, der nicht meiner Meinung ist. Ist das normal? Und wie gefährlich ist es für meine Gesundheit?" "Was ist denn Ihre Meinung zu Israel?", sagt der Arzt. "Hören Sie auf!", schreit der Patient den Arzt an. "Wollen Sie mich umbringen?! Ich sollte mich doch nicht mehr so aufregen!" 

Ja, wenn es um Israel geht, um Benjamin Netanjahu und die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza oder die rein defensive Iran-Kampagne der IDF, kennen die meisten Deutschen keinen Spaß.

Das Drama, das sie dann aufführen, begleitet von der bigotten Beschwörungsformel "Das Völkerrecht! Das Völkerrecht!", mit der sie niemals Leute wie Sinwar oder Ali Chamenei belegen würden, hat nichts mit einer zivilisierten politischen Auseinandersetzung zu tun. Es ähnelt eher einer Teufelsaustreibung am eigenen Leib, ohne Priester und Handbuch, und die Frage ist nur, wer oder was hier der Teufel ist: das schlechte Gewissen des Täterenkels? Oder der ewige Opa und willige Wehrmachtsspieß, der für immer in solchen Leuten steckt?

Neulich zum Beispiel, bei Lanz, der politischen Talkshow für politische Anfänger, das war noch kurz vor dem Israel-Iran-Krieg. Gerade ging es um die EU, Flüchtlinge und den opaken Minister Dobrindt, als sich im entspannt fragenden Gastgeber plötzlich alles zusammenzog. Denn jetzt war der Nahe Osten dran! 

Er ging in seinem Moderatorenstuhl in eine raubtierhafte Angriffshocke, er zischte und fauchte, statt zu sprechen, und versuchte immer wieder, von seinen Gästen die Aussage zu erpressen, dass Israel im Gazastreifen der Al-Kassam-Brigaden "Kriegsverbrechen" begehe. Und während der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ihm erklärte, wie selbstkritisch und demokratisch die israelische Gesellschaft sei und dass er dieses Land nie aufgeben würde, rollte der nervlich stark angegriffene Moderator mit den Augen wie Elon Musk auf Ketamin. 

Was ist sein Problem?, fragte ich mich. Welcher Dybbuk ist in den freundlichen Südtiroler gefahren, der ausgerechnet seit dem 7. Oktober davon besessen ist, die Israelis als mittelalterliche Kindermörder und moderne Kriegsverbrecher zu überführen? Und warum regt er sich nie ähnlich leidenschaftlich über die Endlösungsmullahs von Ghom oder über die dschihadistischen Steinzeitserienkiller der Hamas auf, die seit Jahrzehnten die Menschen von Gaza, Be’eri und Tel Aviv terrorisieren, töten, vergewaltigen? 

Vielleicht, dachte ich, sollte sich die Lanz-Redaktion zum Beispiel einmal zu einer Sendung über die Hamas aufraffen, über die Hamas und nichts als die Hamas, die ja den ewigen Gazakrieg ganz allein angefangen hat und durch ihre bedingungslose Kapitulation und die Überstellung ihrer noch lebenden Führer nach Den Haag ganz allein beenden könnte. 

Bei so einem Hamas-Special wäre dann die Schuldfrage von Anfang an hundertprozentig geklärt, nicht wahr, überlegte ich weiter, und der nervöse Moderator müsste endlich einmal beim Thema Nahost nicht ausflippen. Außerdem könnten seine Redakteure noch ein paar andere leicht entflammbare Islamversteher wie Tilo Jung, Ralf Stegner, Kai Ambos, Kerstin Hellberg und jemanden von Amnesty International einladen – damit auch sie endlich herunterkommen können von ihrem pathologischen, psychisch bestimmt sehr belastenden Anti-Israel-Horrortrip. 

Ich selbst habe zum Glück privat mit dem Morbus Israel der Deutschen kaum zu tun, denn bei der Auswahl meiner Freunde achte ich immer darauf, dass kein faules Ei dabei ist, kein Juden- und Israelhasser, aber auch kein eifriger Philosemit, denn bei Eiferern weiß man nie, welcher Glaube ihnen gerade passt. Womit ich beim Kern der neugermanischen Orient-Neurose wäre – der enttäuschten Liebe der Deutschen zu ihren Opfern von früher, locker formuliert. 

Wie rief vor ein paar Wochen der selbsterklärte Anti-Antisemit und Martin-Walser-Sohn Jakob Augstein in einem Streit-Podcast stocksauer aus? "Ich werde mir von niemandem erklären lassen, was die deutsche Verantwortung für den Holocaust ist!" Dass er dabei genauso enttäuscht klang wie sein biologischer Vater, der einst dem Schoah-Helden und größten deutsch-jüdischen Politiker der Nachkriegszeit Ignatz Bubis vorwarf, ihm seien seine Geschäfte wichtiger als Vergangenheitsbewältigung, wies Augstein jr. – Vorsicht, Ironie! – schon mal als engagierten Freund der Juden aus. 

Als er dann – gedämpft, aber immerhin – die Hamas eine "Terrororganisation" nannte und die Israelis "unsere Verbündeten", wusste ich endgültig, hier spricht kein Judenhasser, sondern ein Freund, der nur gerade sauer ist, dass es seinen rachitischen, hochgebildeten Idealjuden nicht mehr gibt, der höflich vor der für ihn vorbereiteten Gaskammer ansteht. Oder sich von den iranischen Revolutionsgarden in Atomstaub verwandeln lässt. 

Kommt ein Israeli zum Arzt und sagt: "Herr Doktor, ich war gerade vierzig Tage mit meiner Einheit in Gaza und hab keine Lust mehr, auf Araber zu schießen. Was soll ich tun?" "Sie könnten damit natürlich sofort aufhören, wenn Sie wollten", sagt der Arzt, "aber raten würde ich es Ihnen nicht. Auch nicht nach unserer Therapie."