Dienstag, 10. April 2018

Schüler kontra Autolobby: Junge Deutsche marschieren für ihr Leben


Sie sind jung, sie sind hübsch, klug, gebildet und über soziale Netzwerke eng miteinander verbunden. Zudem aber sind die jungen Deutschen so klar für schärfere Fahrzeuggesetze wie keine andere Altersgruppe: Sie selbst haben oft kein Auto, sondern eine Studentenfahrkarte, im Urlaub trampen sie oder nutzen Mitfahrgelegenheiten. Ihrer Generation komme eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Autolobby zu - nach dem Anschlag von Münster, begangen mit einem Campingmobil, zu dem ein psychisch Kranker unbeobachtet und unkontrolliert Zugang hatte, mehr denn je.

Es hat einen guten Grund, dass Angela Merkel am Tag danach nicht auftauchte und noch einen Tag weiter ebenso nicht. Merkel hat ein feines Gespür dafür, was sie in der Öffentlichkeit schlecht aussehen lassen könnte. Und das wäre in diesem Fall ein von mehreren hunderttausend Kindern und Teenagern belagertes Kanzleramt. Allein die Vorstellung lässt PR-Experten schaudern.

Es hat ebenfalls einen guten Grund, warum Merkel gleich nach dem Münsteraner "Vorfall" (Tagesspiegel) ihren Sprecher verkünden ließ, man werde alles tun, um aufzuklären und jede Maßnahme treffen, die eine Wiederholung verhindern könne.  Ein Versprechen, das Merkels ungeliebter Heimatminister Seehofer sofort zur Hälfte zurückholte, denn "das absolute Sicherheit ist leider nicht möglich", bestätigte er entsprechende Gerüchte im Regierungsviertel. Doch dass es Maßnahmen gegen den sich immer nach demselben Muster wiederholenden Kleintransporterterror auf Europas Straßen geben muss, das ist auch Seehofer klar.

Generation der Autoskeptiker


Ein wenig muss die Bundesregierung der jungen Generation der Autoskeptiker entgegenkommen, um nicht völlig als herz- und empathielos dazustehen. Denn es sind ungewohnte Töne in der seit Jahren festgefahrenen Debatte über Autos in Deutschland, die mal als Dieselkampf auftaucht, mal Besorgnis weckt, weil Fahrzeuge als Waffe missbraucht werden. Kevin Müller ist dagegen und er hat nach dem Vorfall von Münster schnell Mitkämpfer gefunden: „Ich wusste, dass wir als Schüler etwas tun müssen“, sagt er. Jenni Esler hatte dieselbe Idee.

Die beiden 18-Jährigen sind keine engen Freunde, sie sind auch nicht direkt zusammen, aber sie mögen sich. Beide sind politisch engagiert und beschreiben sich gegenseitig als „leidenschaftlich, wenn etwas wichtig ist“. Ihre Lehrerin Carola Schröder nennt sie „beeindruckend“. Ihr Schuldirektor Klaus Ebert benutzt für sie den Begriff „inspirierend“.

Kevin und Jenni jedenfalls starteten eine Diskussion über das mörderische Potential von Autos an ihrer Schule. Kevin trug das Thema in seine linke Antifagruppe und den Schachklub, Jenni begeisterte ihre veganen feministischen Freundinnen und die Spielerinnen in ihrer Hockeymannschaft. Zuerst überlegen sie, den Überlebenden von Münster zu schreiben. Doch dann kam die Idee mit dem Marsch auf Berlin, einem, so nennen sie es, "Marsch fürs Leben", gegen die Allmacht der Konzerne und das falschverstandene Konzept von individueller Mobilität.

Niemand braucht ein eigenes Auto


"Niemand braucht ein eigenes Auto, das die meiste Zeit nur herumsteht", sagt Kevin Müller. Dass die Autolobby dieses Weltbild dennoch habe durchsetzen können, liege daran, dass sie politische Hebel habe, weil sie die Wähler der Abgeordneten im Bundestags mit der Angst vor Arbeitsplatzverlust und sinkendem Wert des eigenen Autos mobilisieren könne.

Wenn ein Volksvertreter damit rechnen muss, nicht wiedergewählt oder gar nicht erst von seiner Partei zur Wahl aufgestellt zu werden, nur weil er sich für strengere Zulassungsgesetze für private Autos einsetze, dann werde er dies auch nicht tun. Die Politik, so Jenni Esler ganz erwachsen, "reflektiert zu einem guten Teil lediglich die Prioritäten vieler ihrer Wähler, besonders im ländlichen Raum, wo die Menschen noch glauben, individuelle Mobilität sei auf vier Räder angewiesen".

Doch es sind auch gegenläufige Tendenzen zu erkennen: Junge Wähler im städtischen Raum besitzen mit viel höherer Wahrscheinlichkeit keine Autos, haben oft auch kein Geld für einen Führerschein und sind mit viel höherer Wahrscheinlichkeit für schärfere Zulassungsvoraussetzungen. Die fortschreitende Urbanisierung wird die politischen Mehrheiten und Mobilisierungspotentiale der Autos deshalb immer mehr einschränken. Und die Schülerinnen und Schüler setzen dafür mit ihrem für Mai geplanten "Marsch fürs Leben" nach Berlin ein deutliches Zeichen; Hunderttausende werden kommen, in Busse, mit der Bahn oder von den Eltern gebracht. "Das Regierungsviertel wird beben", freuen sich Jenni und Kevin.


Regierungsviertel wird beben


Ein weiterer Faktor ist das wachsende Unbehagen weiter Teile der Öffentlichkeit angesichts sich wiederholender Amokläufe mit vielen Toten auf deutschen Straßen und Plätzen. Die immer gleichen Betroffenheitsrituale und die immer gleiche Untätigkeit der Politik empört viele vor allem junge Wähler zusehends. Die jungen Menschen aus der Medienbranche, die Barista, die Kreativen und künftigen Chirurgen wollen Taten sehen, neue, schärfere Gesetze, eine Kontrolle psychisch labiler Leute und ein hartes Durchgreifen gegen Missbraucher von Fahrzeugen.

Die jungen Organisatoren der Anti-Autodemo "Marsch fürs Leben" agieren vor dem Hintergrund dieser zunehmend besorgten öffentlichen Meinung. Sie hoffen, dass ihre Wut, ihre Betroffenheit und ihre Tränen Ausgangspunkt für eine politische Welle werden könnten, die das Thema auf die Agenda der nächsten Landtagswahlen bringen könnte. Im Autoland Bayern würde dann abgestimmt über eine Stimmung, die etwas ändern kann. "Das Thema muss den Klauen der Autolobby entwunden und in einer breiteren Öffentlichkeit debattiert werden", betont Jenni Esler.

Selbst dann wird man das Problem nicht in kurzer Zeit einhegen können. Aber selbst kleine Schritte wären wichtig, wie zum Beispiel das von den Schülern angeregte Verbot von individuellen Kastenwagen und Transportern und oder die Forderung, für den Besitz anderer Individualfahrzeuge strenge polizeiliche Führungszeugnisse zu verlangen.

Wandel der politischen Mehrheiten


Der jüngeren Generation kommt beim Wandel der politischen Mehrheiten eine Schlüsselrolle zu, das sagen die Initiatoren selbst. Noch nie habe es einen solchen politischen Graben zwischen den politischen Werten der 15- bis 25-Jährigen und den älteren Generationen wie heute gegeben, sagen sie auch. Die jungen Menschen sind so klar für schärfere Gesetze wie keine andere Altersgruppe. Die Angst vor einem plötzlich auftauchenden Fahrzeug als Waffe ist mittlerweile bei den 13- bis 24-Jährigen größer als die vor schlechten Noten und dem Klimawandel. "Diese Angst aber", sagt Wortführer Kevin Müller, "können wir bekämpfen."



3 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Klar braucht niemand ein Auto. ALG II kann man auch zu Fuß beantragen. Außerdem, wer ein Auto hat, könnte vom Amt genötigt werden, Arbeitsstellen anzunehmen, die nicht gleich um die Ecke liegen.

Um zukünftig den Stammesfehden in den Städten zu entfliehen, wäre ein Auto allerdings nützlich. Busse und Bahnen fahren dann sicher nur noch sporadisch und mit dem Rad oder Skateboard ist das Fliehen etwas beschwerlich.

Anonym hat gesagt…

bald beginnt die Badesaison - die JF hat die 10 besten Freibäder der Republik vorgestellt :

Eigenbetrieb Wirtschaft und Stadtmarketing
Lindenstraße 2
75175 Pforzheim

betr.: Medienbericht aktuell
https://jungefreiheit.de/kultur/gesellschaft/2018/mehrere-sexuelle-uebergriffe-auf-maedchen-in-pforzheimer-schwimmbad/


Herzlichen Glückwunsch !

wie die JF heute berichtet werden auch Ihre Schwimmbäder kulturell bereichert .

Macht mal eben MINUS 14 Tage MAL Anzahl der FERIENGÄSTE . ( wir fahren lieber nach Dresden )

Wünsche weiterhin frohes Schaffen .

Gruß aus Hamburg ( ein kleiner Trost für Sie und Ihre Mitarbeiter : bei uns herrschen deutlich schlimmere Zustände ) .

und damit der Bürger auch versteht worum es geht : CC an die AfD .


KdF Regionalwart / Süd .

na wer schon - eben

Anonym hat gesagt…

Auch wenn Danisch noch an den Weihnachtsmann (Ho,ho,ho!) glaubt, in einem anderen Punkt hat er bitter recht: Aus angeblicher politischer Korrektheit werden die sogenannten Suchmaschinen zunehmend von - sagen wir - Zeitgenossen sehr schlichten Geistes bedient. Beim Gurgeln bekommt man inzwischen manchmal Gelüste wie sie Sepp hat: B*ernburg, H*adamar ...