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Bei der Besetzung offener Richterstellen am Bundesverfassungsgericht kommt es aktuell zu Verzögerungen. |
Schlimm oder schlimmer? Debakel oder "Desaster" (Britta Haßelmann)? "Gar kein Problem" (Heidi Reichinnek) oder Bauchlandung für eine bereits nach nicht viel mehr als 100 Tagen tödlich verletzte Koalition, deren gemeinsamer Ideenvorrat sich im Wunsch erschöpft, lieber selbst bis zum Aufschlag am Boden des Abgrundes am Steuer zu sitzen? Statt den Rest der Höllenfahrt aus dem Wohlstandsstaat in die Tiefen der Verzweiflung nur als Passagier zu erleben?
Kein böses Blut
Eigentlich hatte die Regie alles wie immer vorbereitet. Die Wahl der drei neuen Verfassungsrichter war Formsache, im Hinterzimmer abgesprochen, im Bundestagswahlausschuss abgenickt, von den Volksvertretern im Bundestag nur noch formal durchzuwinken. Den einen Kandidaten, den die anderen nicht hatten haben wollen, zog die Union vorab zurück. Bloß kein böses Blut in einer Koalition, die keine Liebesheirat ist und auch kein Zweckbündnis, sondern einfach die einzige Konstellation, die überhaupt noch eine regierungsfähige Mehrheit ohne die zeitweise als in ihrer Gesamtheit als gesichert rechtsextremistisch bezeichnete AfD garantiert.
Natürlich will die SPD ein ganz anderes Land als CDU und CSU. Natürlich bliebt, trifft man sich beim Umgestalten in der Mitte, alles wie bisher - minus Schuldenbremse plus Rüstungsbooster. Doch wenn es zum Schwur kommt, dort, wo Geld allein nicht hilft, stören die Unterschiede schon. Der trockene Verwaltungsakt, vakante Plätze auf den Richterbänken des Karlsruher Verfassungsgerichtes zu besetzen, vollzieht sich auf einmal nicht mehr leise und "traditionell nach Proporz" im Halbdunkel einer Öffentlichkeit, die davon gar nichts mitbekommt. Sondern auf offener Bühne.
"Biologistisch-naturalistischer Fehlschluss"
Niemand hatte damit gerechnet, dass ein uraltes Zitat der von der SPD nominierten Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf die Republik in die handgezählt bereits 14. Staatskrise der vergangenen 15 Jahre stürzen könnte. Brosius-Gersdorfs These, dass Menschenwürde nicht überall gilt, "wo menschliches Leben existiert", weil diese im Grundgesetz formulierte Auffassung "ein biologistisch-naturalistischer Fehlschluss" sei, war in den Hinterzimmergesprächen zwischen SPD und Union vielleicht nicht bekannt, vielleicht kein Thema, vielleicht auch einfach schrille Marotte abgetan worden.
Dass daraus eine der größten Schlachten im Kulturkampf zwischen den Kräften des Gestern und den Träumen von Morgen werden könnte, stellte sich erst auf der Zielgerade zum Abstimmungstermin heraus. In der Union brummelte es. In der SPD gelangten die Genossen zur Auffassung, dass geschenkt geschenkt ist und Wiederholen gestohlen wäre. Nur wie in Zeitlupe schien Führung von CDU und CSU zu begreifen, dass das geplante Augen zu und durch und dann in die Sommerferien schiefgehen könnte.
Atomisieren statt spalten
Frauke Brosius-Gersdorf gelang es ohne eine einzige eigene Äußerung, die demokratische Mitte nicht nur zu spalten, sondern sie förmlich zu atomisieren. In der Union erklären Abgeordnete, sie würde die SPD-Kandidatin keinesfalls wählen. Die SPD stellte klar, dass sie weiterhin davon ausgehe, dass die Fraktionsspitzen des Koalitionspartners für die vereinbarte Zustimmung sorgen werde. Die Grünen und die Linken nutzten die Gelegenheit, sich selbst als das einzig wahre Fundament des Verfassungsstaates zu zeigen.
Die AfD konnte ihr Glück kaum fassen. Kurz vorm finalen Schwur stand nur noch die Frage, was genau schiefgehen wird: Rächt sich die Linke bei der Wahl des Unionskandidaten vorab für den Verrat an den beiden SPD-Anwärterinnen? Und springt dann die AfD ein, um den renommierten Arbeitsrechtler mit ihrem Votum vom ersten Tag an unmöglich zu machen? Oder kommt es erst bei der für den Nachmittag angesetzten Wahl der beiden künftigen Verfassungsrichterinnen zum Eklat, weil die die notwendige Zweidrittelmehrheit mangels ausreichender Unterstützung von CDU und CSU verfehlten?
Notbremse im Morgengrauen
Merz und Spahn ließen es nicht darauf ankommen. Im Morgengrauen zogen sie die Notbremse. Passenderweise waren "Plagiatsvorwürfe" gegen Brosius-Gersdorf aufgetaucht, wie immer dort, wo sie für alle Fälle auf Halde zu liegen scheinen. Einen besseren Vorwand, die Abstimmung zu vertagen und eigene drohende Wahlniederlage auf die lange Bank zu schieben, würde nicht mehr kommen, das war den Chefs von CDU und CSU sofort genauso klar wie der Chefetage der SPD.
Im Willy-Brandt-Haus hatten sie bis dahin Stunde um Stunde darauf gehofft, dass Brosius-Gersdorf sich selbst von ihrer Kandidatur verabschieden würde, wie es die meisten Anwärter angesichts von Umständen getan hätten, die ein späteres unbefangenes Wirken in Karlsruhe kaum mehr zulassen. Die 54-jährige Professorin aber erhörte das stille Flehen nicht. Und so musste der größte anzunehmende Schaden vermieden werden, indem ihm die Gelegenheit genommen wurde, einzutreten.
Regieren auf der Notruffrequenz
Eine Regierung auf der Notruffrequenz, nach nicht viel mehr als 100 Tagen. Nur noch Tricks und Verfahrenskniffe halten die windige Bude zusammen, in der Union und Sozialdemokratie wohnen, bequem gebettet auf Berge von frischem Geld, mit dem sie nicht einmal etwas Rechtes anzufangen wissen. Der Haushaltsplan, den Klingbeil und Merz im Schatten der Gefechte um die bis vor wenigen Tagen nur ausgesprochenen Jura-Freaks bekannte Hochschullehrerin vorgelegt haben, spricht Bände über die Visionen der Loan-Twins. Nicht alles geht, gleich schon gar nicht. Anderes aber muss warten.
Das ungleiche Bündnis aber hält, selbst im Moment der seit der abgesagten Stromsteuersenkung größten Blamage. Die Union musste die SPD nicht einmal bitten, angesichts unvermutet öffentlich aufgetauchter Zweifel an der so sorgsam "vorsortierten" (Die Zeit) Kandidatin noch einmal in eine Prüfungsphase einzutreten. Der dünne Plagiatsvorwurf genügte dem kleineren Koalitionspartner, achselzuckend zur Tagesordnung überzugehen.
Ausstiegsforderungen der wahren Genossen
Nur ein paar Radikale, von Anfang an unzufrieden damit, dass Rot und Grün trotz einer Überzahl an Parteien so weit weg von einer gesellschaftlichen Mehrheit sind wie seit 30 Jahren nicht mehr, forderten, dass die SPD die Koalition sofort verlassen müsse. Statt weiter "Verantwortung für Deutschland" (Titel des Koalitionsvertrages) zu tragen, dürfe die Partei sich nicht bieten lassen, was ihr von CDU und CSU angetan werde. "Wenn die SPD sie das tut, verabschiedet sie sich als relevante und selbstbewusste politische Kraft", hieß es in einem Forum engagierter Genossen.
Die Art und Weise, "wie hier eine hochangesehene Juristin, Professorin für Verfassungsrecht, Herausgeberin einer der führenden Grundgesetz-Kommentare wegen ein paar missliebiger progressiver, aber keineswegs radikaler und zweifellos im Rahmen des verfassungsrechtlich Vertretbaren liegender rechtspolitischer Ansichten als linke Aktivistin verleumdet und zum Gegenstand einer Hetzkampagne gemacht wird, macht betroffen und macht Angst", schreibt einer, der in der ablehnenden Haltung Koservativer und Liberaler ein "Alarmzeichen für unsere politische Kultur und unser Verhältnis zum Rechtsstaat" entdeckt.
Ansichten zur Menschenwürde
Wo käme denn eine Land hin, in dem zu Impfpflicht, dem Verbot konkurrierender Parteien und der Terminierung des Entstehens von Menschenwürde verschiedene Ansichten existieren. Wenn schon eine Spitzenjuristin dem Ansehen des Bundesverfassungsgerichtes schade, "weil sie ein paar Ansichten hat, die den Rechten nicht passen", dann "muss die Koalition sofort beendet werden, ohne Wenn und Aber".
Um Karlsruhe, um eine der letzten noch weitgehend vom grassierenden Vertrauensverlust verschonten Institutionen ging es niemandem mehr. Die AfD-Führung höhnte über die Unfähigkeit der Mitte, ohne den rechten Rand eine Mehrheit zu finden. Die seit der verlorenen Bundestagswahl abgetauchten Grünen sahen endlich eine Gelegenheit, sich als Lordsiegelbewahrer der wahren Verfassungsrichterwahlen darzustellen - ungeachtet des eigenen Anteils an der Organisation einer Kontroverse, wie es sie im Armdrücken und Fingerhakeln um die Besetzung eines Richterpostens noch nie gegeben hat.
"Frauen wehrt Euch!"
Alles traten sie an, den Lärm und das vermeintliche Chaos zu verstärken und die verfahrene Situation für sich zu nutzen. Andreas Audretsch und Heidi Reichinnek und Janosch Dahmen beklagten den Niedergang der Hinterzimmersitten und Britta Hasselmann rief den Aufstand der "aller Frauen in der Republik" aus und forderten "Wehrt Euch!". Felix Banaszak, der als neuer Chef der Grünen berufen ist, die alten Lebenslügen der früheren Ökopartei in eine neue Zeit zu transplantieren, verkündete froh, "CDU und CSU haben sich heute aus der demokratischen Mitte unseres Landes verabschiedet".
Jens Spahn, den die Grünen in Ermangelung anderer politischer Themen zum symbolischen Hauptgegner erklärt haben, verrate die gemeinsamen Werte, die Verhinderung der Wahl von Brosius-Gersdorf sei eine Art Anschlag auf die Demokratie und zudem ein Angriff auf eine fortschrittliche Frau. Reichinnek setzte ein "Immer wenn man denkt, die Union kann nicht noch tiefer sinken, kommen Sie, Herr Spahn, und packen Ihre Schaufel aus", drauf, für die oppositioonelle SPD stelle Michael Miersch klar, dass die deutsche Sozialdemokratie es auf den Bruchtest ankommen lassen werde, und wenn alles in Scherben fällt. "Wir halten an unseren Kandidatinnen fest. Ich erwarte, dass die Mehrheit steht."
Mitten in Feldgeschrei und Pulverdampf der Propagandaschlacht verraten Anlass, Ort und Beteiligte des Getümmels letztlich vor allem eins: Wo Parteien inzwischen nahezu durchweg von Personal geleitet werden, dessen Berührungspunkte mit der Wirklichkeit der Lebensrealität der Regierten sich auf wenige und kurze Augenblicke in einer mehr oder weniger weit zurückliegenden Jugend beschränken, kann jeder Anlass zu folgenschweren Fehleinschätzungen führen. Aus denen aufwachen zu müssen, tut weh.
9 Kommentare:
Wäre doch gelacht, wenn wir 'Demokraten' die unsere politische Korrektheit häufig immer noch störende Verfassung unserer Vorfahren nicht komplett unter Zeitgeist-Kontrolle bringen können.
Das schafft man idealerweise mit weiblichen Richtern, die z.B. ungeschützt fickfreudigen Damen die Fähigkeit absprechen, sich innerhalb von 3 Monaten (90 Tage x 24 Std Zeit fürs grübeln reichen Frauenhirnen wohl nicht) für oder gegen die Abtreibung/Tötung eines neuen Menschen zu sein.
Damit bis kurz vor der Geburt warten zu wollen, erinnert erschreckend an die perversen Methoden eines Dr. Mengele.
Sind einige Deutschen bereits wieder so weit?
Solche Kreaturen will ich nicht im obersten BRD-Gericht haben !!!
Und den Blackrock-Tojaner Merz auch nicht als Regierungschef!
Leider hat der Mehrheitsmichel mal wieder anders entschieden.
Ein echter Premiumschildbürger.
...als gesichert rechtsextremistisch bezeichnete AfD ...
"Ich möchte wissen wieso?" (Gilbert Wolzow) - Hat doch einer der ihren, mit leicht (((verdächtigem Namen))),
allen Ernstes von "unserer historischen Verantwortung" geblödelt. Der Laden ist damit voll effdegä-oh-tauglich.
...Eine Regierung auf der Notruffrequenz, nach nicht viel mehr als 100 Tagen ...
Sehe ich nicht so - die sind doch dicke da, und werden täglich noch immer unverschämter. SPCDUSED mit zwei stinkenden Wurmfortsätzen, in gelb und grün.
ich bin zu dem schluss gekommen, dass JEDER der diese chimäre in bezug auf verfassungs-wasauchimmer durch immer währende repitierung aufrecht erhält, entweder ebenfalls ein u-boot ist, oder nicht bewusst ist was es damit eigentlich so auf sich hat. vor allem in bezug auf das ende der staatssimulation namens BRiD in den kommenden jahren und dem sich dann findenden neuanfangs, wovon die weitere zukunft des landes abhängt. wenn es ohne verfassung weitergeht, wird sich NICHTS ändern (geht ja auch gar nicht in einem faktisch rechtslosen raum)!
Frauke Brosius-Gersdorf gelang es ohne eine einzige eigene Äußerung
Öhm, nein. Ein paar Ansagen hat sie schon gemacht.
„Die Tötung eines Menschen ohne herabwürdigende Begleitumstände, die ihm seine Subjektqualität absprechen, verletzt Art. 1 I GG nicht.“. Zumindest wird Art. 1 I GG nicht verletzt, wenn über die Vernichtung ihres Lebens hinaus kein weiteres Übel zugefügt wird und sie nicht besonders lange seelisch oder körperlich zu leiden haben.
das waren äußerungen VORHER. in der gesamten debatte um sich selbst hat sie nichts gesagt, natürlich nicht.
Ist doch gar nicht so neu: "Wir stellen etwas in den Raum und warten, was passiert ..."
wann wird die Sellner / Krah / Kubitschek -Debatte debattiert ?? re : warum verschenkt der brd Staat die bunten Passpapiere mit denen man money ziehen kann ? warum tut er das ?
...warum verschenkt der brd Staat die bunten Passpapiere ...
Wohl recht neu im Internet?
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