Donnerstag, 31. März 2022

EU-Feldzug gegen Krypto-Währungen: Aufhebung der Privatsphäre

Zu wirklich hoher Staatskunst gehört es, keine gute Krise vorbeirauschen lassen, ohne sie als Gelegenheit zu sehen und zu nutzen, Dinge in Gesetze, regeln und Richtlinien zu gießen, von denen man immer schon geträumt hat. Mag auch eine Pandemie fürchterlich sein und ein Krieg ganz in der Nähe etwas ganz Schreckliches. Es ist doch Aufgabe von Institutionen wie der EU-Kommission, dem EU-Parlament und den nachgeordneten nationalen Regierungen, sich auch im Moment der größten Existenzangst, der Furcht vor Wohlstandsverlusten und der Gasknappheit nicht in Panik versetzen zu lassen. Es gilt, über den Tag hinauszuschauen. Es gilt, jetzt die großen Linien zu malen, die für kommenden Generationen wie Leitplanken sein werden, zwischen denen sie sich in bestem Treu und Glauben zu bewegen haben.

Entscheiden, wenn es niemand merkt

Als noch Fußball-Weltmeisterschaften im Sommer stattfanden, waren es stets die spannungsgeladenen die Augenblicke rund um die Schicksalsspiele der deutsche, Nationalmannschaft, die Gelegenheit boten, Pflöcke einzuschlagen, Steuern zu erhöhen und Sicherheitsgesetze zu verschärfen. Vom BKA-Gesetz über die Nachjustierung der Strafprozessordnung, von der Abschaffung der Reste des Bankgeheimnisses über die Erlaubnis zur Nutzung der Bundespaßbilddatenbanken durch gleich ein Dutzend Sicherheitsbehörden bis zur Einführung einer Obergrenze für Barzahlungen wurde im Schatten des Balls alles wegentschieden, was Teile der Bevölkerung hätte irritieren können, wäre erst lang und breit auf den Marktplätzen darüber getratscht worden.

Nun aber hat die Demokratur eine neue Entwicklungsstufe erreicht. Heute schon wird das EU-Parlament die Zügel noch ein wenig straffer ziehen und ein neues umfassendes Überwachungsregime für sogenannte Krypto-Währungen einführen, das Besitzer von Bitcoin, Ethereum, Cardano und einer der tausend anderen Digitalwährungen in der EU zu gläsernen Bürger*innen macht. Nach dem Mielke-Motto "Genossen, wir müssen alles wissen" sieht der Entwurf des Parlaments zur Verordnung über den Geldtransfer für Besitzer von behandelt Krypto-Währungen eine Nachweisgrenze von 1.000 Euro vor: Jedes Mal, wenn tausend oder mehr Euro von einer Wallet zum anderen geschickt wird, müssen Kryptobörsen die Transaktion an die Behörden melden. 

Meldungspflicht für alle

Dazu braucht es keinen Geldwäscheverdacht, keinen Hinweis auf illegale Zwecke der Verwendung, nicht einem Anhaltspunkte für eine verdächtige Aktivität. Das neue Überwachungssystem ist allumfassend und zehnfach härter als bei gewöhnlichen Banküberweisungen, bei denen erst ab 10.000 Euro eine Meldung ans Finanzamt erfolgt. Künftig muss jede Bank alles melden, alle Transaktionen, alle daran Beteiligten, selbst die privaten Informationen von Nichtkunden, mit denen ein Kunde  interagiert. 

Dazu werden die Geldhäuser verpflichtet, vor einer Überweisung nicht nur die personenbezogenen Daten von Nutzern zu ermitteln, die keine Kunden sind. Sondern auch, zu verifizieren, wer hinter der womöglich anonym geführten Empfängeradresse eines self hosted wallet steckt. Unabhängig, wie hoch der übermittelte Betrag ist, wird zudem eine Meldung an die zuständige Aufsichtsbehörde fällig.

Ende der Zukunft in der EU

Wie Krypto-Dienstleister, die mit unhosted wallets arbeiten, dies sinnvoll umsetzen könnten, kann aktuell niemand erklären", teilte die Krypto-Börse Coinbase inzwischen mit. Das Ergebnis könne sein, "dass Unternehmen wirtschaftlich dazu gezwungen sind, Transaktionen mit unhosted wallets einzustellen". Die Zukunftsmusik, die Kryptowährungen mit ihren automatisierten smart contracts versprechen, verklingt, die Vorteile der Blockchain-Technologie lösen sich für den Fortschrittskontinent EUropa in einer vollständigen Auflösen der Privatsphäre auf.

EU-Chatkontrolle: Ein Monstrum gegen die Meinungsfreiheit

So schlimm es zu sein scheint, so schön ist es auch. Getreu der alten Lehre, dass man keine Krise ungenutzt vorübergehen lassen darf, bietet der russische Angriff auf die Ukraine eine fabelhafte Gelegenheit, in Bereichen durchzuregieren, in denen zu normalen Zeiten keine Chance bestände, ohne allgemeinen Aufruhr auszulösen. Die EU hat hier allerdings ganz besondere Fähigkeiten, sie vermag es seit Jahrzehnten, weitgehend unbeobachtet Richtlinien, Regeln und Vorgaben zu beschließen, deren weitreichende Bedeutung erst viel später auffällt. Zu spät: In der Regel kann dann bereits mit der Begründung "das ist doch aber alles schon lange beschlossen" darauf verwiesen werden, dass die Zeit der Diskussionen ja nun leider bereits vorüber sei.

Heldentaten der EU-Kommission

Verlässliche Hilfe bei der Orientierung der Öffentlichkeit auf wegweisende Heldentaten von EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Staatschefs kommt den deutschen Medien zu, die sich des Vertrauens, das höheren Ortes in sie gesetzt wird, aber auch im aktuellen Fall würdig erweisen. Die Beschlussfassung zum "Digital Services Act", einem bürokratischen Monstrum, das den grausamen Geist der Cookie-Richtlinie der Datenschutzgrundverordnung in höheres EU-Recht übersetzt, wird in der "Tagesschau" zünftig als Verabschiedung des "ersten Grundgesetzes für das Internet" gefeiert, das "die enorme Marktmacht der großen Konzerne einschränken" und Facebook, Google, Twitter, Amazon und die anderen Digital-Giganten schärferen Regeln unterwerfen werde. 

Eine Heldentat, denn als selbsternannter weltgrößter Wirtschaftsraum, der selbst binnen eines Vierteljahrhunderts nicht einen einzigen großen Internetkonzern hervorgebracht hat, bleibt den Staaten der legendären "Lissabon-Strategie" nur das Nachregeln, Kontrollieren und Hinterherkehren hinter der durchweg ausländischen Internetindustrie. Lissabon, im Jahr 2000 ausgerufen, hatte zwar zum Ziel, die Europäische Union bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Doch ebenso wie das Nachfolgeprogramm "Europa 2020", das  eine "Innovationsunion" gründen und einen "gemeinsamen Markt für internetbezogene Dienstleistungen" (EU) schaffen sollte, scheiterte das Vorhaben so grandios, dass es seit 2020 nicht einmal mehr die EU-Kommission gewagt hat, eine Nachfolgestrategie auszurufen.

Weltbestes Überwachungssystem

Stattdessen wird kleinteilig reguliert und in "Grundgesetzen" versteckt, was nötig ist, um künftig noch mehr Grundrechte noch gründlicher auszuhebeln. Mit dem "Digital Service Act" behauptet die EU-Kommission, die Meinungsfreiheit zu schützen. Zugleich aber schafft sie die Voraussetzungen für ein Überwachungs- und Löschsystem, wie es die Welt noch nicht gesehen hat: Angefangen beim Verbot der Verschlüsselung privater Kommunikation über die Einführung eines "Systems vertrauenswürdiger Anzeigebefugter von Einrichtungen mit besonderer Expertise in einem bestimmten Bereich" bis hin  zur gesetzlichen Zwang der automatisierten Totalüberwachung von E-Mail- und Messenger-Anbietern setzen die aktuellen Vorhaben totalitäre Maßstäbe.

In Friedenszeiten würden Bürgerrechtler und Datenschützer Sturm laufen gegen die nicht einmal besonders schamhaft geäußerte Absicht, Internetkonzerne zu zwingen, sämtliche Inhalte, die Nutzer erstellen, tauschen, empfangen oder senden, künftig anlasslos nach sogenannten problematischen Inhalten durchsuchen zu lassen. Spätestens die Absicht der EU, dass mögliche Funde durch die Konzerne automatisiert an die Strafverfolgungsbehörden gemeldet werden müssen, hätte womöglich nicht nur Bürgerrechts-Organisationen auf den Plan gerufen, sondern auch die Reste der liberalen, freiheitlichen Gesellschaft, linke Staatsskeptiker und letzte konservative Grundrechtsfreaks.

Feier zur Bedrohung der Bürgerrechte

Allein, die Zeiten sind nicht so. Im Augenblick der größten Bedrohung der Bürgerrechte feiern öffentlich-rechtliche Sender das "erste Mal", dass ein Gesetzgeber versuche, "die Grundrechte der Bürger*innen auf Google, Facebook & Co. durchzusetzen", private Medien bejubeln eine "Plattformregulierung zugunsten der Nutzerinnen" (Die Zeit) und die Kostgänger der Gegenaufklärung sehen die Einschränkung der Meinungsfreiheit als wichtigen Teil des Kampfes gegen "Desinformation

Auf dem einzigen Kontinent, der mit der "Child Sexual Abuse Directive" seit Jahren schon über eine offizielle "Richtlinie zum sexuellen Missbrauch von Kindern" verfügt, gibt es nun demnächst auch eine mehrfach verbotene Vorratsdatenspeicherung für alles, die es nicht gibt, weil es sie nicht geben darf, die gerade darum aber noch effektiver und umfassender zu werden verspricht als sämtliche feuchten Träume, die die Apologeten der totalen Netzkontrolle jemals träumten.

Mittwoch, 30. März 2022

Nationalpreis: Auch Deutsche unter den Oscars

Oscars für "Deutsche" sind eine nationale Sache, sie wiegen mehr als alle anderen Oscars zusammen.

Mit dem Schauspieler Will Smith war es ein Amerikaner, der alles überstrahlte. Als Avantgardist der neuen Gewaltkultur, die aus den Kriegsgebieten in den Wertewesten schwappt, ohrfeigte Smith einen Hollywood-Konkurrenten, beinahe gleichzeitig fiel auch der frühere Fußballliedsänger Oliver Pocher einer Ohrfeigenattacke zum Opfer und für einen Moment war Unterhaltungskunst wieder, was sie sein sollte. Ein Ventil, das mit gespielten Problemen ablenkte von den großen Krankheiten der Welt, von Blut, Schweiß und Tränen und der Frage, ob Deutschland lieber Iron Dome oder Arrow III kaufen solle, um sich vor russischen Atomraketen zu schützen.

"Made in Germany"

Es war dann an Claudia Roth, der grünen Alt-Internationalen, die Dinge wieder gerade zu rücken. Auch Roth, die auf ihre alten Tage noch als Staatssekretärin mit dem Titel "Kulturstaatsministerin" umhergehen darf, hatte die sogenannte Oscar-Verleihung nicht gesehen, aber Ausschnitte. Und weil es bei der Veranstaltung offensichtlich um Kunst und Kultur ging zu gehen schien, auch wenn der Augenschein es nicht verriet, ließ ihr Roth ihr Kulturstaatsministerium, das eigentlich keines ist, weil dem Bund nach dem Grundgesetz keine Kompetenzen in Sachen Kunst und Kultur zustehen, eine Pressemitteilung verbreiten, in der die 66-Jährige ehemalige Kulturschaffende den beiden deutschen Oscar-Gewinnern zu ihrem Sieg gratulierte.

Die Oscars für Gerd Nefzer und Hans Zimmer seien "verdienter Lohn für herausragende künstlerische und technische Leistungen Made in Germany", ließ die Grünen-Politikerin offiziell verkünden -  ein Rückfall in dunkle Zeiten, in denen Kunst als Verdienst von Nationen, Leitkulturen und Landsmannschaftlichkeiten begriffen und am liebsten gefeiert wurde, wenn sich aus einem Werk eine Genspur zum Eigenen zurückverfolgen ließ.

Triumph des Nationalen

In der Stunde des doppelten Oscar-Triumphes wird der Nationalstaat, längst überlebt und von einer größeren europäischen Entität aufgehoben, für die deutsche Kulturstaatsministerin zu einer legitimen Rückzugslinie. Vorbei die Feiern der Entstaatlichung, das Beschwören des großen Einen unter Wegfall aller Grenzen und Barrieren und die Sehnsucht nach Auflösung der Nation im Allgemeinmenschlichen.  Claudia Roth, die selbst schon als Darstellerin einer temperamentvollen Tänzerin in Yüksel Aksus „Entelköy Efeköy’e karşi“ vor der Kamera stand, gibt dem nationalen Affen Zucker

Kunst handelt im Verständnis des Kulturministeriums von Herkunft, Abkunft, Geburt und Nationalität, buchstabengetreu nach dem fünften Gesetz der Mediendynamik, nach dem sich Deutsche nur für deutsche Opfer interessieren, so das Medien aufmerksamkeitsmechanisch gezwungen sind, die Ursprungsländer von Menschen, die bei Flugzeugunglücken, Bombenanschlägen und Attentaten ums Leben kommen, nach einer klaren Reihenfolge zu nennen: Sterben 17 Pakistani, 112 Chinesen, 500 Indonesier oder 7.300 Venezoelaner, wiegt weniger als ein Toter mit deutschem Pass.

Roths Phantasmagorie 

Als Muster gilt dabei die Faustformel Entfernung zum Wohnort mal Entfernung zum Tatort gleich Buchstabengröße, der sich auch Claudia Roth mit ihrer Phantasmagorie vom "Made in Germany" bedient. Hans Zimmer, dessen Fähigkeit, Bildsprache und Emotionalität eines Films mit einzigartigen musikalischen Kompositionen zur vollen Geltung zu bringen, nach Auffassung der Zahnarzttochter aus Ulm der deutschen Herkunft und dem deutschen Wesen des Komponisten zu verdanken ist, wurde zwar in Deutschland geboren und saß im Taunus auch zum ersten Mal am Klavier. Doch schon sein Abitur machte er an einem englischen Internat, später arbeitete er in London, Anfang der 80er Jahre zog er in die Vereinigten Staaten. Von dort ist er niemals zurückgekehrt.

Bloß nicht frisch und regional: Das deutsche Erdgas-Tabu

Deutschland investiert in der Fläche, aber bloß nicht ins böse Fracking.

Erdgaspanik in Europa, der Russe will Rubel, der Kunde es warm und die Bundesregierung mag so wenig wie die EU-Kommission schon nicht ablassen von den vielen schönen grünen Plänen, die man geschmiedet hatte, als die Welt noch der Ort zu sein schien, in den man geboren worden war. Kurz die Augen gerieben und schon saß Robert Habeck im Flugzeug an den Goldf, um die Blutprinzen  als Ersatzlieferanten für Menschenrechtsenergie zu gewinnen. Olaf Scholz konferierte mit Joe Biden, der schon Ölmanager in der Verwandschaft hatte. Und auch Ursula von der Leyen setzte dem Amerikaner auseinander, dass Europa noch frei und demokratisch bleiben kann, wenn der Texaner weiter fleißig frackt, selbst wenn  dabei da und dort die Wasserhähne brennen. 

Nicht unsere Wasserhähne brennen

Wir allerdings wollen das nicht. Das russische Gas soll durch Flüssiggas ersetzt werden, aber bloß keins aus eigener Ernte! Dass Deutschland LNG-Terminals baut, damit der der norwegische Tanker mit den großen Sprengstoffblasen auf dem Buckel anladen und abladen kann, ist gerade noch vorstellbar, jedenfalls im Augenblick noch, wo die Deutsche Umwelthilfe im Ukraine-Schock zu stecken scheint.  Aber die eine einfache Lösung, die andere Länder schon lange einsetzen, kommt nicht infrage für die letzte moralische Nation weltweit: Selber fördern, frisch und regional, ohne lange Transportwege, monströse LNG-Tanker, die unterwegs ganz Schwerölmeere verbrennen, auf dass weitab in Arabien, den USA und dem obszön reichen Norwegen frackende Naturvernichter sich gesundstoßen.

Es würde gehen, darf aber nicht. Nach den Zahlen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) verfügt Deutschland derzeit über konventionelle Erdgas-Lagerstätten von 123 Milliarden Kubikmetern Gas, davon sind 20 Milliarden Kubikmeter sicher nachgewiesenen und mit bekannter Technologie wirtschaftlich gewinnbare Vorkommen in der Erdkruste. Dazu kommen Nicht-konventionelle Lagerstätten aus denen weitere 100 Milliarden Kubikmeter gefrackt werden könnten, Kohleflözgas wäre in der Lage, weitere 450 Milliarden Kubikmeter zu liefern, und Schiefergas steuert sogar 1.300 Milliarden Kubikmeter bei.  

Gas eigene Ernte

Gasvorräte, die so gewaltig sind, dass sie die Lieferversprechen aus den USA und Katar wie Almosen wirken lassen. Mit einem derzeitigen Erdgasverbrauch von etwa 90 Milliarden Kubikmetern könnte Deutschland seinen Bedarf zumindest über das kommende Jahrzehnt ohne russische Importe, aber auch ohne  Flüssiggas aus zweifelhaften anderen Quellen vollständig decken: Mit derselben Konsequenz gefrackt wie im amerikanischen Permian-Becken würde das heimische Erdgas bei langsam sinkendem Verbrauch vermutlich sogar noch "100 Jahre" reichen, wie die Bundesanstalt für Geowissescnhaften und Rohstoffe vorrechnet.

Eine Alptraumvorstellung nicht nur für Russland, die USA und die neuen Wertepartner in Katar, sondern vor allem für alle, die es mit dem Klima, der Natur und dem Umweltschutz halten. Mag auch das Gas, das Deutschland in Zukunft verbrennt, eine Energiebilanz haben wie ein Mercedes GLS, der mit 250 km/h quer über die Autobahn geschoben wird, bleibt das deutsche Gewissen doch sauber. 

St. Florian, zünd' and're Wasserhähne an! Die dort werden es sein, die unsere Umwelt zerstören, die sich Kritik gefallen lassen müssen, weil sie keinerlei Rücksicht nehmen, und die es ertragen müssen, wenn wir dem völlig zurecht oscarnominierten Enthüllungsfilm "Gasland" applaudieren, weil wir auch hier im Vorstand von Grünen und SPD und Süddeutscher Zeitung und EU stabil überzeugt sind, dass ein sehr restriktives Fracking-Gesetz der einzige Ausweg ist.

Ein Pakt für neue Abhängigkeit

Katar und die Vereinigten Staaten werden die deutsche Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland reduzieren, einer der vielbemühten "Pakte" holt die Kuh vom Eis. Deutschland lässt fracken: Zusätzliche 15 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas hat Joe Biden sofort zugesagt, Gas, das nun gefördert werden kann, indem eine Emulsion aus Wasser, Sand und chemikalischen Zusätzen in Tiefbohrungen eingepresst wird, um im Gestein Risse zu erzeugen und so die Gas- und Flüssigkeitsdurchlässigkeit der Gesteinsschicht zu erhöht, damit Erdgas, Erdöl oder Wasser leichter zur Bohrung hin fließen können. 

Deutschland kann das nutzen, , um russische Gasimporte zu ersetzen, kann es aber auch weiterhin strikt ablehnen. Langfristig ist geplant, die Importe auf 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zu steigern und damit rund ein Drittel der europäischen Importe aus Russland zu ersetzen. Die deutsche Förderung von der derzeit nur rund 5,2 Milliarden Kubikmeter, die nur etwa fünf Prozent des einheimischen Bedarfes deckt, soll hingegen nicht erhöht werden. 

Mit hohem Tempo in neue Abhängigkeit

Keinen Augenblick lang stand eine Ausweitung der eigenen Förderung zur Debatte, kein Wort fiel jemals dazu in Berlin, kein umweltfreundlich auf Strom erscheinendes oder auf Umweltpapier gedrucktes Medien fragte danach. Es gehe jetzt darum, die Abhängigkeit von russischen Energieimporten "mit hohem Tempo" zu reduzieren, hat Robert Habeck deutlich gemacht. Schon Mitte dieses Jahres "werden die russischen Ölimporte nach Deutschland voraussichtlich halbiert sein", sagte der Klimaminister. Beim Gas könnte es so gelingen, schon bis zum Sommer 2024 bis auf wenige Anteile vollkommen abhängig von den USA, Katar, Aserbaidshan, Kasachstan, den Niederlanden und Norwegen zu sein. 

Im Herbst 2024 wird dann in den USA gewählt. Mal sehen, wer es diesmal wird und wie nett er dann ist zu den Energiemündeln in Europa.

Dienstag, 29. März 2022

Ach, Artenreichtum: Schnitzelpreisbremse statt Madengoldfliege

Es zieht Dunkelheit heran über der EU-Agrarwende.

Alles ist wichtig, bis etwas Wichtigeres kommt. Alles muss, bis alle Kraft einer ganz anderen Aufgabe gewidmet werden muss. Der Kampf ist immer ein ungeheurer, zumindest bis er unverhofft endet, mal mit lautem Krach an einer Wand, mal aber auch ganz leise im Kleingedruckten einer EU-Verordnungsrichtlinienregel, die nichts besagt, jedenfalls nicht endgültig. Aber ungeachtete aller Vorhaben, die bis zu diesem Moment auf Papierstapel gedruckt wurden, auf denen Menschen hätten bis zum Mond klettern können, ab sofort eingehalten werden dürfen müssen.

Ende der Agrarwende

Diesmal könnte es der Anfang von etwas ganz, ganz großem sein: Das Ende der Agrarwende, eines Aufgabengebietes, um das sich in der Europäischen Union von ihrem Gründungstag an alles gedreht hatte, wenigstens finanziell. Die gemeinsame Politik des allen geben, damit alle haben nahm zuletzt zwar nicht mehr zwei Drittel des EU-Haushaltes in Anspruch, sondern nur noch eines plus ein paar Kräuterschnaps und Weizen obendrauf. Dafür aber ging es erklärtermaßen nicht mehr nur um Butterberg und Milchseen und die Subventionierung der eigenen Scholle, auf dass sie ganz Afrika miternähre, so dass dort Bauernde viel Tagesfreizeit genießen können. Sondern auch um Klimaschutz und Artenvielfalt, Wasserreinheit und Pestizitbuchhaltung.

Die EU-Kommissionwar da ganz vorn und sie war sehr streng. Gerade erst hatte sie wieder einen Entwurf in der Mache, der den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft bis 2030 halbieren und für den Anfang mal für ein Zehntel der Ackerfläche in der Union Artenreichtum gesetzlich vorschreiben sollte. Weniger Dünger würde zudem erlaubt sein, dafür aber mehr Ausgleichsfläche Pflicht. Bienenweiden am Feldrand. Insektenhotels in bequemer Flugentfernung. 

Der Kreml greift ein

Ein Konzept, dessen Übersetzung in Insektische noch nicht abgeschlossen war, das aber in Moskau gar nicht gefiel. Mit dem Einmarsch Putins in die Ukraine explodierten die Nahrungsmittelpreise. Und wie es die klassische Konflikttheorie vorhersagt, schwenkte die EU-Kommission um-. Für Brüsseler Verhältnisse in beinahe schon panischer Geschwindigkeit verschwand die angekündigte Agrarwende-Verordnung in den labyrinthischen Kellern der überstaatlichen Vorordnungsverewaltung. Und statt ihrer erblickte eine Notanweisung für den Krisenfall das Licht der Welt.

Ein Schock für Freunde der Artenvielfalt, für Anhänger des Eisbären und der Biene, für Cem Özdemir, der nun endlich am Ende seiner Tage doch noch Minister geworden war, und für die Straßenkleber der Essenretten-Bewegung. Statt den Düngereinsatz wie angekündigt zu reduzieren, werden nun aus Sorge um ausbleibende Erträge auch auf ökologischen Vorrangflächen chemische Hilfen erlaubt. Biobauern dürfen ihre Biorinder mit chemisch gedopten Futtermitteln füttern, das Ziel einer Stilllegung von wenigstens vier Prozent der Anbaufläche wird beerdigt, es darf gesprüht und es dürfen selbst die Randstreifen von Feldern, die kleinen Paradiese von Mücke, Maus und Madengoldfliege beackert und beplfanzt werden.

Furcht vor der Versorgungslage

Und alles nur wegen einer drohenden Hungersnot in Afrika! "Das ist so kurzsichtig wie unlogisch", haben Kritiker der überstürzten Entscheidung sofort auf die Weiterungen verwiesen. Wer jetzt nur wegen eines Krieges und eines Ausfall der beiden größten Weizenlieferanten Europas panisch wird,  der lädt den Klimawandel förmlich ein, noch härter zuzuschlagen. Jetzt zurückrudern, nur um im Herbst und im Winter zu Essen zu haben nicht nur in Berlin, Frankfurt und Hamburg, sondern auch in Addis Abeba, Athen und Adıyaman, der kapituliert feige vor der ersten Schwierigkeit einer Versorgungslage, die so schwierig ja noch gar nicht ist.

Würde sie es denn überhaupt je werden? Hat es nicht immer gereicht? Ginge es nach Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne), dann sind doch höhere Preise für Lebensmittel genau das, was die Welt gebraucht hat  wurde sein Vorstoß Anfang des Jahres noch verhöhnt, lacht über Putins Initiative niemand mehr. Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen aber hat die Nerven verloren. Statt glaub- und vertrauenswürdig auf den längst beschlossenen großen Green Deal zu verweisen und die Wissenschaft in gewohnter Weise mit dem Eisbären, der Biene und dem Feldhamster argumentieren zu lassen, ist Brüssel umgekippt: Die Schnitzelpreisbremse war am Ende wichtiger als Mücke, Maus und Madengoldfliege.

Sichere Daten: Quantensprung ins nächste Desaster

Europas Daten sind in den USA nun bald so sicher wie früher. Ursula von der Leyen steht mit ihrem Wort dafür.

Ein rechtloser Zustand über Jahre, stolz vorgeführt sogar von den höchsten Repräsentanten von Ländern, Bund und Europäischer Union. Obwohl höchste europäische Gerichte die Vertragsbasis für den Austausch von Daten zwischen  den EU-Staaten und der USA für ungültig erklärt hatten, tummelten sich Kommissionspräsidentinnen, Bundeskanzlernde und populäre Minister unter Missachtung der Gefährdung für die Daten ihrer Schutzbefohlenen eitel auf amerikanischen Plattformen, denen US-Rechtsvorschriften auferlegen, alle gesammelten Daten auf Anforderung an Geheimdienste herauszugeben. Kritik perlte an den Täterinnen und Tätern ab. Man müsse doch dorthin gehen, wo die Menschen  seien, hieß es. Ob das rechtens sei, können dabei dann leider keine Rolle spielen.

Rechtsgemeinschaft ohne Recht

Natürlich blieb der Makel, als Rechtsgemeinschaft Recht geschaffen zu haben, dass es denen, die es erdacht und beschlossen haben, unmöglich macht, sich daran zu halten. Nur leider gibt es keinen Kompromiss zwischen der amerikanischen Position, dass US-Dienste stets schnell und sicher Zugriff auf alle verfügbaren Informationen haben müssen, um die Sicherheit des Landes zu schützen. Und der EU-Sicht, dass die Daten von EU-Bürgerinnen und Bürgern unter dem Schutz des europäischen Rechts stehen und Anbieter deshalb sicherstellen müssen, dass US-Geheimdienste keinen automatisierten Zugriff bekommen.

Es hat ein paar Jahre gedauert und einen Präsidentenwechsel in Übersee gebraucht, bis die EU-Kommission überhaupt jemanden gefunden hatte, der über ein Privacy Shield 2.0 reden wollte. Dann aber ging es schnell, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach einem Gespräch mit  US-Präsident Joe Biden stolz mitteilte: Man habe eine "grundsätzliche Einigung" über den transatlantischen Datenverkehr erzielt, verkündete die wegen ihrer Missachtung des Bürgerrechts auf informationelle Selbstbestimmung einst als "Zensursula" geschmähte Christdemokratin. Angestrebt sei ein "neuer Rahmen", in dem Daten künftig transferiert werden sollten. Ein Durchbruch, so von der Leyen.

Symbolabmachungen gestoppt

Endlich, endlich! Zweimal bereits hatten Gerichte die Abmachungen mit den USA gestoppt, mit denen die EU versucht hatte, den Anschein zu wahren, dass Daten von EU-Bürgern in den Vereinigten Staaten vor aus europäischer Sicht illegalem Zugriff sicher seien, während die US-Behörden sich sicher sein konnten, dass jeder Zugriff weiterhin automatisiert möglich ist. Ein quadratischer Kreis, den Biden und Leyen nun zum dritten Mal malen: Der "weitere große Durchbruch" (Biden) verlässt sich auf "ein neues Regelwerk und verbindliche Sicherheitsvorkehrungen" (Zitat), "um den Zugriff auf Daten durch US-Geheimdienste auf das zu beschränken, was zum Schutz der nationalen Sicherheit erforderlich und angemessen ist".

Eine neue Zeit bricht an, die ganz und gar aussieht, riecht und klingt wie die alte, als US-Geheimdienste Einsicht in alles nehmen konnten, was Europäer bei Twitter, Facebook oder Snapchat hinterlassen hatten, sobald die angaben, dass das zum Schutz der nationalen Sicherheit erforderlich und angemessen ist. Jetzt endlich werden "Verfahren" eingeführt, "um eine wirksame Überwachung der neuen Datenschutz- und bürgerlichen Freiheitsstandards sicherzustellen", die symbolisch sicherstellen, was praktisch genau so unsicher bleibt wie bisher. 

Quantensprung ins nächste Desaster

Was bleibt auch? Die Partnerinnen und Partner in den USA haben sich seit dem Scheitern des ersten EU-US Privacy Shield-Abkommens nicht einen Millimeter auf die EU zubewegt. Es war die EU-Kommission, die die Zusicherungen der amerikanischen Seite, dass man "wirksame Aufsichtsmaßnahmen" gegen Unternehmen durchführe und die "Weitergabe von Daten an strengere Voraussetzungen" binde, als Durchbrüche und Quantensprünge für die Datensicherheit verkaufen musste. Ehe später Gerichte feststellten, dass das rechtlich geforderte gleiche Niveau des Schutzes privater Daten nicht einmal theoretisch gewährleistet war.

Praktisch bleibt es dabei. Privacy Shield, als Nachfolger des aus denselben Gründen gescheiterten "Safe Harbor"-Abkommens gedacht, bekommt einen Nachfolger, der im Vergleich zur aktuellen Regelung nicht mehr ausdrücklich erlaubt, dass US-Geheimdienste alles sehen dürfen, was sie sehen wollen, sondern nur noch, dass sie überall dort hineinschauen dürfen, wo sie meinen, dass es nötig ist, weil die nationale Sicherheit bedroht sein könnte.

Montag, 28. März 2022

Frieren für den Frieden: Wider Wattfraß und Kohlenklau

 

Nach der Einigung von SPD, FDP und Grünen auf ein Entlastungspaket zum Energieausgleich für Bürgerinnen und Bürger mit versicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit steht der Zeitplan der Durchführung des Geldaustausches von der linken in die rechte Tasche noch nicht fest. Als Lehre aus der erfolgreichen Umsetzung der Impfkampagne vom Dezember aber will die Bundesregierung nun offenbar möglichst rasch den bereits vor Wochen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angeregten Werbefeldzug für das Energiesparen in Gang setzen. Das glasklare Ausmerzen von Wärmebrücken, Verschwendungslücken und unangemessenem Überbedarf gilt als wichtiger Baustein der neuen EU-Strategie einer schnellen Unabhängigkeit von russischem Gas und Öl.

Erfolg im Retro-Style

Mit der Figur des Willy Wattfraß und Plakaten im Retro-Style knüpft die Bundesregierung an die "Impfen hilft auch denen, die es nicht mehr können"-Plakate aus der Vorkriegszeit an, als Querdenker, Inzidenzen und Montagsdemos das gesellschaftliche Klima noch mit Nebenwirkungs- und Impfhetze vergifteten. Held der kleinen Bildgeschichten, die vom aktuellen Kampf der Gemeinschaft zwischen Lappland und Larnaca gegen Verschwendung, durchgedrehte Thermostate und Pulliverweigerer berichten, sind der mündige Bürger Beppo Bastelmann und sein Hund Bolli Spürnase, die es nicht ertragen können, wenn wertvolle Fossilenergie verschwendet wird. 

Auf eigene Faust sucht das sympathische Team nach Schwachstellen in der energetischen Verteidigung der Gesellschaft, durch die sich Wladimir Putin immer noch in deutsche und europäische Brieftaschen schleicht. Mission des starken Teams: Abklemmen der Stromfresser, Einfangen der Unbelehrbaren.

Versteckt in der eigenen Wohnung

Und wo werden die beiden Spannungschecker nicht alles fündig! Willy Wattfraß versteckt sich in einer Küche, in der zahlreiche Elektrogeräte angeschaltet sind, obwohl man wirklich nicht immer warm essen oder in der Mikrowelle kochen muss. Selbst Gekochtes schmeckt auch kalt, das machen Beppo und Bolli den oft gedankenlos Kauenden klar. Die verjagen den Stromteufel, der flieht - womöglich wegen der neuen Neun-Euro-Fahrkarte - mit der Straßenbahn und verbirgt sich im Zimmer eines gedankenlos in alten Zeiten schwelgenden Angestellt*In, dier sich mit zahlreichen Heizgeräten und Lampen umgibt als sei noch Frieden und nirgendwo ein Klimawandel in Sicht.

Unter solchen Umständen, unter Träumer*Innen, Illusionist*innen und Verharmlosern der Situation,  fühlt sich nicht nur Willy Wattfraß, sondern auch sein alter Kumpan Karl Kohlenklau wohl. Wattfraß singt sein hämisches  Freudenliedchen, Kohlenklau schnüffelt gierig umher., über die Schulter einen leeren Sack geworfen, mit dem er wertvolle Steinkohle, Braunkohle, aber auch Biopelletts und Sammelholz aus dem Stadtwald  entführen will. Beppo und Bolli aber geben nicht auf, sie spüren den beiden miesen Gesellen nach und lassen sie nicht wieder entkommen, wenn alle mitmachen.

Der verbotene Buchstabe: Höchststrafe für Zorro

Umverpacken oder einstampfen: Das neue "Z"-Verbot betrifft auch einen teil des kulturellen Erbes.

Höchste Zeit wurde es! Nach dem Doppel-H, dem AH, dem IS und den üblichen Verdächtigen "HJ", "KZ", "SA" und "SS" haben mit Bayern und Niedersachsen die ersten Bundesländer ein entschiedenes Vorgehen gegen den Buchstaben "Z" beschlossen, der seitdem dem Einmarsch der russischen Invasionsstreitkräfte in die Ukraine als Propaganda-Symbol genutzt wird.  

Kein "Z" im Schnee

Russische Panzer und Versorgungsfahrzeuge tragen das Zeichen ebenso wie bekennende Putin-Verteidiger und klassische Abenteuerfilme - nun aber soll die Verwendung des "Symbols der Schande richtig teuer werden können" (Bild). Mit Hilfe von Paragraph 140 Abs 2 StGB, der die öffentliche Billigung von Straftaten "in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören" oder "durch Verbreiten eines Inhalts" unter Strafe stellt, wird das "Z", ohnehin der letzte Buchstabe des deutschen Alphabets, als erster Einzelbuchstabe überhaupt auf den Index der verfassungsfeindlichen Symbole gesetzt.

Ein harter Schlag für die Sympathisanten der Invasionsarmee des Kreml-Diktators, aber auch für Teile des kulturellen Gedächtnisses der Menschheit, in dem das "Z" traditionell eine große Rolle spielt. Von "World War Z"  über ZZ Top bis zum Evergreen "Zorro" prangt der 26. Buchstabe als nunmehr strafbares Erkennungszeichen: Aus dem "Ze" der protosinaitischen Schrift, das eine Stichwaffe symbolisierte, ist mit dem blutigen Krieg in der Ukraine eine Straftat geworden, die - wenn auch vorerst nur in Niedersachsen und Bayern - hart bestraft wird. Tätern drohen Geldstrafen oder aber sogar eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.

Klare Kante gegen Romantisierung

Die Romantisierung des "Z", wie sie in früheren werken von Kunst und Kultur betrieben wurde, dürfte damit beendet sein. Vorbei die Zeiten, als der maskierte Rächer Zorro seinen Mantel durch die Nacht schwang, als Musikformationen ihn ein "Z en der Schnie" pinkeln sahen und Dichter sich in gedankenlosen und verharmlosenden Reimen versuchten: "Das Z gehört zum Alphabet, auch wenn es ganz am Ende steht. Am Ende steht es auch bei Herz, bei Holz, bei Pilz, bei Netz, bei Schmerz."

Der Angriff auf die Ukraine hat die Sensibilität für die im "Z"-Symbol verborgenen Botschaften deutlich erhöht. Wurde Zorros voluntaristischer Rachefeldzug im Zeichen des "Z" noch als sympathischer Akt der Selbstermächtigung gefeiert und beklatscht, äußert heute "Zustimmung zum Angriffskrieg von Russlands Präsident Putin auf die Ukraine", wer ein "Z" zeige, wie Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius deutlich gemacht hat. 

Finale nach 3700 Jahren

3700 Jahre nach dem ersten Auftauchen des Z in einem Vorläufer der phönizischen Konsonantenschrift kann jemand, der es öffentlich benutzt, bestraft werden. Und zwar prinzipiell in ganz Deutschland, weil die Rechtslage identisch mit der in Niedersachsen und Bayern ist und das klare Zeichen, dass Putins Angriffskrieg nicht geduldet werden wird, kann in den kommenden Wochen und Monaten überall gesetzt werden.

Sonntag, 27. März 2022

Uhrenumstellung: Zeichen der Zeit

In Brüssel wird nicht mehr für eine Abschaffung der Zeit gebetet.

Eine übergroße Mehrheit der deutschen EU-Bürgerinnen und Bürger war ausschnittshalber dafür gewesen, sie abzuschaffen. Also dagegen, sie beizubehalten. Jean-Claude Juncker, der große, scheinbar ewiglich regierende EU-Kommissionspräsident der 75-jährigen Friedensära, in der sich die Völker-, Glaubens- und Wertegemeinschaft Zeit ihrer Existenz wähnte, versprach mit donnernden Worten, dieses Mal, dieses eine Mal!, auf die Massen zu hören, auf die crowd, das Volk, auf we die people, von denen in überseeischen Verfassungen die Rede ist.

Junckers Abschiedsgeschenk

Ein Abschiedsgeschenk sollte es werden, energiesparend nun auch wieder wie die Einführung der zweimaligen Uhrenumstellung jährlich Energiespargründe gehabt hatte. Sommerzeit und Winterzeit, in sich schon irrige Bezeichnungen, sollten Geschichte werden, die Naturzeit zurückkehren, eine große europäische Einheitszeit, von Brüssel aus normiert, ein Fundament für einheitliche Fahrpläne, Sonnenuntergänge, Fernsehhauptnachrichtenfanfaren, Fußballspielanpfiffe.

Juncker, der Mann mit dem braunen Schuh, kämpfte wie ein Löwe um sein Vermächtnis. Auf den letzten Metern seiner langen, von peinlichen Höhepunkten und langwierigen Tiefpunkten geprägten Funktionärskarriere, während der EUropa tiefer und immer tiefer in eine Abfolge aus einander überlagernden Krisen manövriert worden war, hatte der Luxemburger mit dem Händchen für Steuergeschenke beweisen wollen, dass auch ein überstaatliches Monster aus 27 Machtinteressen handlungsfähig sein kann, zumindest, wenn nur beiläufige Probleme zu lösen sind, die man eigens zum Zwecke der demonstrativen Lösung erst erfunden hat.

Zentrale Ausrufung scheitert

Aber selbst so war es dann nicht. Umgehend nach der zentralen Ausrufung der Abschaffung von Jahres-Zeiten geriet der geeinte Kontinent in Streit darüber, in welche Richtung abgeschafft werden solle. Was direkt vor der seinerzeit anstehenden EU-Wahl - offiziell "Europa-Wahl" - ein Zeichen der Tatkraft in die Welt und die Wohnstuben der am Bürokratiepalast in Brüssel verzweifelnden Wählerinnen und Wähler senden sollte, endete als Rohrkrepierer: Die einen wollten nicht so, die anderen nicht so, die dritten gar nicht.

Ein deutliches Zeichen fürwahr: Der Kontinent, der bis heute gleich zwei venezuelanische Präsidenten für den rechtmäßigen hält, nur eben nicht gemeinsam, ist groß, aber behäbig, er kümmert sich, aber am liebsten um Dinge, die niemanden kümmern. Und ehe er zu einem einheitlichen Beschluss gelangt, haben einzelne Staaten oft nationale Regelungen eingeführt - und manchmal sogar wieder abgeschafft. 

Das garstige Glück

Das größte Glück der gemeinsamen Institutionen liegt im rücksichtsvollen Umgang der europäischen Medien mit den Junckers, von der Leyen, Barleys, Webers und Schulzens: Reicht auch die Kraft der Wertegemeinschaft nicht, unterschiedliche Interessen auf ein gemeinsames Ziel zu konzentrieren, so  kartet doch niemand garstig nach. Kommt die Umstellung der Uhrzeiger auf Sommer- oder aber Winterzeit, dann kommt sie.Kommt sie nicht, kommt sie nicht. Verspricht jemand das eine, und es kommt anders, ist das so. Und das wäre es auch, wäre es anders.

Lobenswert ist schon die Absicht, das Leben von Millionen zu verbessern. Dass es vor der Wahl 2018 nichts wurde mit der Abschaffung der Zeit, nicht danach im Jahr 2019, nicht im ersten Corona-Jahr 2020, dann auch nicht "ab spätestens 2021", wie die EU-Kommission verkündet hatte, und bis zum Frühjahr 2022 immer noch nicht, zeigt deutlich, wie viel stille Dynamik noch im Kreis der 27 ruht. 

Aus der Zeit gefallen

Was damals schon wie aus der Zeit gefallen wirkte, ein zynisches Spiel der Macht mit den Gefühlen, Hoffnungen und Erwartungen der Menschen, mutet angesichts der aktuellen Lage noch mehr an wie die Erfindung eines schlechten Drehbuchschreibers: Die größte - und immer noch einzige - Staatenfamilie der Welt nimmt sich vor, die Zeit abzuschaffen. Wo doch die Führer der 400 Millionen Betreuungspersonen in der Gemeinschaft sich hätten seinerzeit um dieses kümmern können und um jenes, sie hätten Vorsorge treffen dürfen für den einen Fall oder für den anderen, es wäre Zeit für Verhandlungen gewesen, für Aufrüstung, für den Bau von Mauern und das engere Zusammenrücken mit befreundeten Staaten. 

Stattdessen die Zeit. Und nun immer noch. Und sie bleibt für immer.


Habecks Hofknicks: Augenhöhe aus der Wahrheitsquelle

Um Robert Habeck auf Augenhöhe zum Gasscheich zu bekommen, musste der DPA-Fotograf riskieren, dass die Blattpflanze im Hintergrund jeden Moment umfällt.

Die Feinde unserer Ordnung, die Mitarbeiter*innen der fünften Kreml-Kolonne und überhaupt aller Feinde des Umstiegs auf klimafreundliche Menschenrechtsenergie witterten Manipulation und Verrat an den ehernen Werten des Westens in jenen Bildern aus dem Reich von Tausend und einer Nacht und einem Flüssiggasvertrag und einem deutschen Klimaschutzminister. 

Da stand er, Robert Habeck, einer Grüner, binnen eines halben Jahres im Amt ergraut, im teuren Zwirn der Macht, aber gebeugt unter der Last der Verantwortung, eine eben noch weltweit bewunderte Exportvizeweltmeisternation energetisch am Leben zu halten. Ein Canossa-Gang, für den sich Habeck nicht schämte, gleichsam ironisch übertrieb er den Kotau sogar noch, ein leutseliger, dankbarer Gefolgsmann der Baustellenmörder, Sklavenhalter und Terrorfinanzierer. Wenn schon, denn schon. Not kennt kein Gebot und keine Rücksichtnahme auf Ekelgefühle gegenüber arabischen Blutprinzen.

Zu Gast bei den Blutprinzen

Habecks Hofknicks-Foto aus Katar kamen daheim allerdings in zwei Varianten an: Einmal war da die unterwürfige Version, ein Kniefall mit "großartigem" (T-Online) Ende, die genau zeigte, dass in der Liebe, in der Politik und im Energiekrieg kein Platz für verletzte Gefühle, Menschenrechte und Klimabedenken sein kann. Hier beugt der Schwache das Knie vor dem Starken, hier erbittet, erbettelt und erfleht der abhängige Lehnsmann Gnade und Recht von seinem Herren und gemeinsame besiegelt man so einen Bund, in dem beide glücklich werden können, der Herre wie sein Gescherre. 

Transparenz und Offenheit, Bilder, die die Wahrheit zeigen, Bilder aber, die in großen Redaktionen für Irritation sorgten. Was würden die Menschen draußen im Lande denken, sähen sie ihren mächtigsten Zukunftsminister so? Den Kanzler nach Scholz, den Allesbeweger zu den Klimazielen? Als Kniefaller, rückgratbeugenden Opportunisten? 

Der Weg aus der Schmach

Nein. Die fortschrittlichsten Blätter entschieden schnell: Es gibt einen Weg, die Schmach nicht zu zeigen, nicht den Fehlen zu machen, den die begehen, die gedankenlos Signale senden, die Teile der Bevölkerung zweifellos irritieren werden. Die Deutsche Welle, der "Stern", das "Manager-Magazin", die "Tagesschau" und der Münchner Merkur, sie entschieden scheinbar wie an einem geheimen Faden gezogen, ein wenig am so entsetzlich abschreckenden Orginalbild zu drehen. Und Deutschland Rang und Geltung so am Lichttisch der Fotoredaktion wiederherzustellen.

20 Grad nur aus der Waagerechten und schon war deutsche Weltbild wieder ins Lot gerückt. Die Demokratie zeigte sich wenigstens auf Augenhöhe mit den Macht-und Gashabern vom Golf - zumindest, bis den ewig Quertreibenden, den Nörglern, Sachsen und Quenglern einfiel, dass eine katarische Regalstrebe im Hintergrund des historischen Handschlagfotos sich auffällig aus der Senkrechten neigt. Sollte etwa? Könnte es sein, dass selbst die "Tagesschau", jenes allabendliche Lagerfeuer der deutschen Selbstvergewisserung, ein Foto manipuliert hat? Auf dass es die passende Wahrheit gerade rückt, indem es schief gestellt wurde? 

Wirklichkeit, geradegerückt

Selbstverständlich nicht. Die "Welt", ebenso unter Verdacht, zum Besten des Landes, seiner Regierung und damit auch seiner Bürgenden eingegriffen zu haben, klärte auf, wie es zum Schiefstand der katarischen Täfelung, zum Aufwuchs Habecks aus dem Kniefall auf Augenhöhe und zum Eindruck kommen konnte, dass zwei Habecks zwei Scheichs Mohammed bin Hamad bin Kasim al-Abdullah Al Thani die Hand geschüttelt haben - einmal beinahe auf dem Bauch liegend, einmal mutig Aug' in Aug'. 

Es waren danach nicht die Redaktionen, die an der Realität aufwertende Arbeiten vornahmen, sondern ein aufmerksamer Fotograf, der schon vor Ort erkannte, was daheim gebraucht werden würde: Der im Auftrag der Wahrheitsfabrik DPA knipsende Lichtbildner Bernd von Jutrczenka neigte seine Kamera schon während der Verewigung der peinlichen Szene instinktiv so, dass Robert Habeck gemäß seiner historischen Bedeutung für Deutschlands und damit auch für Europas Zukunft aus dem Teppich bis auf Augenhöhe zum gastgebenden Scheich wuchs.

Keine nachträgliche Manipulation

Ohne nachträgliche weitere Manipulation konnten die Medien an der deutschen Heimatfront so auf Bildmaterial zurückgreifen, das bedenkenlos nutzbar war, ohne Ruf und Ansehen von Land und aktueller Administration weltweit zu beschädigen. Durchsichtige Vorwürfe konterte die "Welt" auch im Sinne anderer angegriffener DPA-Abspielstationen souverän und Buchstabe für Buchstabe zutreffend: "Tagesschau hat das Foto nicht nachträglich manipuliert."

Samstag, 26. März 2022

Zitate zur Zeit: Preisdruck in Paradies

Bei der derzeitigen Teuerung deckt der Preis, zu dem ich vermiete, nicht einmal die Unkosten.

Jacques-Michel Bonacieux über die Zustände im Paris des Jahres 1625. 

* Nach: Alexandre Dumas, Die drei Musketiere

Schon wieder: Entlastung aus der Trickkiste

Wichtiger als eine echte Entlastung wegen höherer Energiepreise war der gute Eindruck, den das "Entlastungspaket" machen soll.

Ursprünglich war gar nichts drin, nüscht mehr da, kein Cent, nicht einmal das versprochene Energiegeld für alle, dieser Schluck aus der CO2-Flasche, den eigentlich schon die Klima-Vorgängerregierung fast fest versprochen hatte. Mitte Februar dann hatte der Staat dann schon wieder so supergut gewirtschaftet, dass der Finanzminister die Taschen weit öffnen konnte. 

Ein paar Milliarden purzelten heraus, für jeden etwas im Schüttelbeutel, wenigstens gefühlt, denn die Medien spielten mit. Zwar gab der Staat nicht einmal zehn Prozent der Mehreinnahmen als "spürbare Entlastungen" (DPA) zurück, die durch die russische Invasion in der Ukraine einheimste. Aber als "großzügiges staatliches Hilfspaket" verkauft, verschaffte die edle Spende zumindest so viel Manöverraum, dass vier Wochen lang Ruhe war im Karton. Mehr war nicht drin! Wird nicht drin sein!  

Druck der Verhältnisse

Bis der Druck der Verhältnisse denn doch zu groß wird und das nächste Niemalsnicht den Weg aller ewigen Gewissheiten ging. Kaum stehen die ersten Landtagswahlen des Jahres an, kommt das nächste "Entlastungspaket" (®© BWHF), wenigstens gefühlt. Tief greifen Finanzminister und Bundeskanzler zwar nicht in die Staatsschatulle, dafür aber in die Trickkiste: Nach elf Stunden Nachtsitzung, in denen es wie immer vor allem darum gegangen war, wie die divergierenden Wunschlisten der drei Regierungsparteien wenigstens anscheinshalber als ein Gesamtkonzept gebündelt werden könnten, gebar der Berg eine mächtige Maus aus "bis zu 20 Milliarden Euro!" (Bild) Entlastung. 

Nach einer raffinierten Formel wird die Energiesteuer so gesenkt, dass aus ihrer Verringerung und der sich daraus ergebenden Senkung der Umsatzssteuer ein um 30 Cent niedrigerer Benzin- und ein um 14 Cent niedrigerer Dieselpreis entsteht. Busse und Bahnen sind bundesweit für 90 Tage ab einem - noch nicht festgelegten Stichtag - zum symbolischen Preis von 30 Cent pro Tag nutzbar. 

Energiegeld für den Finanzminister

Damit ist die Mobilität in Kriegszeiten abgesichert, den Rest erledigen staatliche Heizzuschüsse, deren Vergabe einem komplizierten Tanz um einen unsichtbaren Mittelpunkt gleicht: Hartz-IV-Empfänger bekommen den Einmal-Zuschlag vom Februar,  nun aber doppelt,  Familien erhalten 100 Euro pro Kind, aber nur einmal. Wer einer einkommenssteuerpflichtige Arbeit hat, soll nicht frieren müssen und deshalb beteiligt sich der Bund über eine vom Arbeitgeber zu zahlendes "Energiegeld" (®© BWHF) an den Kosten von Kochfeuer, Heizung und Warmwasser. Die auszuzahlenden 300 Euro sind allerdings nach dem persönlichen Steuersatz einkommenssteuerpflichtig, so dass sich Finanzminister Christian Lindner einen Großteil der Spende umgehend zurückholen kann.

Notgeburt mit der Zwangszange

Nicht schlecht für eine Notgeburt mit russischer Zwangszange, die dazu angetan ist "die Menschen und die Wirtschaft angesichts dieser enormen Preissteigerungen kurzfristig und befristet zu schützen", wie Lindner gesagt hat. Das geschieht nach deutschen Maßstäben rasch, vielleicht sogar schon am Juni oder Juli, auf jeden Fall aber ohne dass Rentnerinnen und Rentner in ihrer Planung der Bezahlung künftiger himmelhoher Heizkostenrechnung gestört werden: Rentnende sind keine einkommenssteuerpflichtig Erwerbstätigen und damit auch nicht betroffen von der Auszahlung des Energiegeldeszustimmen. Ihnen bleibt es damit auch erspart, den großzügigen Zuschuss extra zu versteuern.

Hilfe mit Augenmaß, die sich nicht nur der FDP, sondern nach Angaben der "Tagesschau" "vor allem SPD und Grünen" (Zitat) verdankt. Denen sei es besonders wichtig gewesen, eine Regelung zu finden, nach der einfach nicht jeder, der wegen der gestiegenen Preise mehr ausgeben müsse, ein wenig davon zurückbekomme, sondern bei der Gelegenheit gleich einen gerechtigkeitserweiternden Weg hin zum Endziel eines gesamtgesellschaftlichen Ausgleichs für alles einzuschlagen. 

Die schweigsamen Schuldigen

Ein bisschen Schwund ist dabei immer, und wenn Rentnerinnen und Rentner es warm haben wollen, dann sollen sie eben die Hände aneinander reiben. In der professionellen Erleichterung der begleitenden Chöre, Orgeln und Orchester war keine Zeit für falsche Zwischentöne und das Gejammer derjenigen, die sich wieder zu kurz gekommen fühlen. Die Betroffen*Innen aber wissen selbst: Sie waren es doch, die den Krieg verloren, die die Öl- und Gaspipelines nach Russland gezimmert und all die Gasheizungen in deutsche Wohnungen eingebaut haben. Diese Schuld macht schweigsam. Proteste also sind nicht zu befürchten.

Freitag, 25. März 2022

Fridays forever: Im Lande Infantilien

Trotz und Anspruchshaltung: Die Klimakinder sind aufgewachsen im Glauben, jemand müsse ihnen ihre Zukunft garantieren.

Der Schuss hat gedonnert und gekracht, dass selbst Berlin für einen kurzen Moment aufgewacht schien. War manches womöglich falsch gewesen in den Jahren, in denen alle alles richtig gemacht hatten? In denen man sich am Ende der Geschichte wähnte, kein Erbauer mehr von irgendetwas, sondern Fassadenmaler der Geschichte, Verwalter zurückgelegter Vermögen, aufgerufen, sie klimafreundlich zu verprassen? Frauen und Männer mit mehr oder weniger großer politischer Karriereerfahrung schauten wie Rehe ins Scheinwerferlicht. Noch nicht mal ein halbes Jahr am Ziel aller Wünsche angekommen. Und auf einmal sollten sie nicht nur eine gute Figur machen. Sondern schlaue, gerissene Machtpolitik, wie sie in Deutschland seit Jahren nur noch an parteiinternen Kampfkunstschulen gelehrt wird.

So viele flüchtige Gefühle

In der Hauptstadt verlor sich das Gefühl der grausamen Dringlichkeit wie immer recht schnell. Ein paar Zeichen wurden gesetzt, ein paar große, mächtige Zahlen kamen in die Welt. Es wurde entlastet, gestärkt und umgesteuert, bis nach vier Wochen endlich das Normalgeschäft zurück war. Jetzt ging es nur noch darum, das, was man sowieso immer hatten tun wollen, als angesichts der neuen Umstände als unbedingt notwendig und alternativlos zu beschreiben. Noch vor einer anstehenden Landtagswahl musste eine Nachtsitzung die Entscheidung darüber bringen, wer wie bedacht wird, damit alle ihre Stimmen kommen. Alles gelang wie gewünscht. Es war für jeden etwas dabei. Zumindest symbolisch.

Auch auf den Straßen der Republik geht das Geschäft weiter wie gehabt. Nach kurzer Winterunterbrechung sind die zumeist jugendlichen Anhänger eines radikalen Abschieds vom Wohlstandsmodell  der westlichen Marktwirtschaften wieder unterwegs zum "Klimastreik", jenem Renitenzritual der Generation Greta, das trotzigen Kohortentanz anstelle demokratischer Mehrheitsfindung setzen will. Wie jede selbsternannte "Bewegung" fühlten sich die Teilnehmer am Kinderkreuzzug von Anfang an als bestimmende Mehrheit, sie riefen "folgt der Wissenschaft", ignorierten aber allein schon die arithmetischen Wahrheiten, die sich aus den Teilnehmerzahlen an ihren Aufzügen ergaben.

Im Lande Infantilien

Damals im Frieden winkte Weltherrschaft.

I
m "Lande Infantilien" (Wiglaf Droste) werden Ignoranten zu Helden, wenn Medien auf ihr Thema fliegen. Aus einer kleinen, mit neutralem Blick kaum wahrnehmbaren Jugendbewegung, die in ihrer Hochburg Hamburg auf dem Höhepunkt ihres Erfolges keine sieben Prozent der Schülerinnen, Schüler und Studierendeninnen mobilisierte, wuchs so eine Debattenmacht, die Stars hervorbrachte, als Lobbykraft im Bundestag wirkte und Wahlprogramme mitschrieb, bis ihre bestimmenden Figuren sich selbst im Führerstand des Zukunftszuges wähnten.

Den Schuss, der Ende Februar im kalten Osten fiel, haben sie nicht gehört. Nur weil es reihenweise andere, existenziell drängende Probleme gebe, die gelöst werden müssen, muss der Klimazug weiterfahren, der Trotz eine neue Runde drehen, das "gerade jetzt aber muss, was wir schon immer sagen" Gassigehen. Nicht nur die Braunkohle abschalten, sondern den ganzen Kapitalismus, nicht nur die Hand abhacken, die im Bonbonglas lebt, sondern gleich die ganze Zuckerindustrie: Luisa Neubauer lässt in einem Grundsatzinterview zum "10. Klimastreik" (FFF) keinen Zweifel daran, dass der Flammrückstoß durch den Putin-Krieg kein Grund sein könne, die Welt realistisch zu betrachten. Vielmehr müsse nun "die Systemfrage" gestellt werden, sagt Neubauer, ein Hätschelkind dieses Systems.

Trotzig "trotzdem" rufen

Und trotzdem. Und obwohl. Und selbst wenn morgen noch dazu Außerirdische landen würden. Trotzig verweigern die Reste der Generation Friday for Future die Einsicht, dass es heute ums Überleben geht, nicht um das Wetter von morgen, um Frisuren oder um ein Tempolimit oder staatliche Vorgaben für zulässige Zimmertemperaturen. 

Draußen wird es warm, drinnen richtet sich die ehemalige Jugendbewegung auf einen langen Winter ein, den es zu überleben gilt, um eines besseren Tages, wenn andere den ganzen Laden mit kalter Realpolitik an rettende Ufer gerudert haben, wieder über Klimakatastrophen, die "Transformation von Energiesystemen", das "Risiko des Klimakollapses" und die "großen Hebel zur Humanisierung, Demokratisierung und Dekarbonisierung von Energie, Mobilität, Landwirtschaft und so weiter" (Neubauer)  sprechen zu können.

Life's a gas: Halbwertszeiten der Gewissheit

 

Es ist ein Gebinde aus flüchtigen Gewissheiten, ein Fliehen vor der Wahrheit und Fluchen über sie, ein Kommen und Gehen von letztem Wissen und der Erkenntnis, nun sicher zu sein, warum, weswegen und wozu überhaupt. Das Leben, das Streben und die Zukunft der Menschheit, nie waren sie so sicher wie noch vor einem halben Jahr. 

Es war der 26. September 2021, als ein Bundestag gewählt wurde, indem erstmals überhaupt wieder seit vier langen Jahren eine Mehrheit saß, die besser wusste als die, die ihr hatte weichen müssen, wie das Land umzugestalten sein würde, um weiterhin ein Hort von Wohlstand, sozialer Wärme und klimatischem Neuanfang zu sein. Mehr Fortschritt würde man wagen, für "Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit", hieß es im Gründungsdokument der Ampel-Koalition, das einen Aufbruch voller Dynamik auslösen wollte.

Zeit der zartesten Ansätze

Sechs Monate danach hat die Zeit alle zarten Ansätze, irgendwann mit irgendetwas anzufangen, beendet. Ein kalter Wind aus dem Osten kam auf, gänzlich unerwartet und blasend in Segel ohne Mast auf einem Schiff ohne Kiel mit einer Brücke ohne Steuerrad, hinter dem kein Kapitän lenkt und steuert. Der hatte sich mit den Seinen mühsam darauf geeinigt, den laufenden Energieausstieg lieber doch nicht blind zu beschleunigen, bis irgendwann das Licht ausgeht, sondern neben dem "massiven Ausbau der Erneuerbare Energien" auch "die Errichtung moderner Gaskraftwerke" zu beschleunigen, "um den im Laufe der nächsten Jahre steigenden Strom- und Energiebedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen zu decken". 

Ungelöste Ungleichung

Zur Lösung der Ungleichung, wie "die bis zur Versorgungssicherheit durch Erneuerbare Energien notwendigen Gaskraftwerke" in der Kürze der Zeit auch mit deutschem Planungsrecht nicht nur gebaut, sondern auch noch "so gebaut werden können, dass sie auf klimaneutrale Gase (H2-ready) umgestellt werden können" kam es nicht mehr. Erdgas, in den Tagen kurz vor der aufkommenden vierten Corona-Welle noch "für eine Übergangszeit unverzichtbar" war, verlor seinen Zukunftswert schneller als Karl Lauterbach die Ohren der Nation und die Klimajugend den Applaus der Medien.

Die Welt, die dem Willen der eigenen Vorstellung folgen sollte, ein gestaltbarer Klumpen, der mit Hilfe der Wissenschaft und viel Geld in jede Form gezwungen werden kann, sie geriet in einem Tempo außer Kontrolle, das die zwei Minuten zwanzig von Marc Bolans philosophischem Klassiker "Life's a gas" wie eine Ewigkeit erscheinen lässt. Wo der Dichter fürchtet, dass seine Liebe selbst groß wie ein Planet sein könnte und das Herz der Liebsten an einen Stern gekettet, trotzdem aber alles flüchtig bleibe wie ein Hauch von Nichts, so verdanken es die großen Visionäre vom Wahlkampfherbst 2021 nur der Vergesslichkeit der Gesellschaft, dass ihnen nicht Hohngelächter entgegenschallt, wo immer sie sich zeigen.

Halbwertszeit der Gewissheit

Die Halbwertszeit der Gewissheit jedenfalls, in den späten, bleiernen Jahren der Merkel-Ära auf den unbestimmten Zeitraum zwischen zwei "Mutanten" (Lauterbach) geschrumpft, liegt seit Putins Ausstieg aus der Nachkriegsordnung bei unter acht Wochen. Die Energiewende wird zur Rolle rückwärts, ein Purzelbaum, bei dem der Turnern alle Bleistifte aus den Taschen fallen: Der beschleunigte Gasausbau, der beschleunigte Braunkohleausstieg, das gezielte Hochpeitschen der Preise, damit Energieverbrauch möglichst schmerzhaft wird. Nur der "Atomkonsens", den Angela Merkel in einer Nacht nach Fukushima mit sich selbst vereinbart hatte, er hält noch. Noch.

I hope it's going to last", singt Bolan, der seiner Zeit voraus war und vor seiner Zeit ging. Life's a gas und wie jeder Regierungsplan überlebte auch dieser den ersten Kontakt mit der Wirklichkeit nicht. Die Bedrohungen wechseln, das Augenmerk wechselt mit, die Prioritäten sind andere in diesem Frühjahr als sie es im letzten Herbst waren, als ein langer, lahmer und gelangweilter Wahlkampf ohne Inhalte und erst recht ohne inhaltliche Unterschiede mit einem Wahlgang endete, dessen Ergebnis vor allem für Erleichterung sorgte, weil jedermann sich sagen konnte, dass das Allerschlimmste nicht eingetroffen war.

Es kam dann mit Verspätung aber doch noch, wenn auch anders als gedacht.

Donnerstag, 24. März 2022

Meta und die Wahrheitsfabrik DPA: Eine für alles

Das Wunder der Nachrichtenproduktion: Der Fotograf der Bundesregierung drückt auf den Auflöser, wenig später schon hat DPA das Bild in unabhängigen Journalismus verwandelt.  

 

Die Physik sucht sie schon langem, die eine einheitliche Theorie von allem, die alles zugleich erklärt und begründet, prüft, widerlegt und bestätigt. In der deutschen Nachrichtenlandschaft hingegen ist sie nun gefunden, die eine einheitliche Informationspraxis für überall und immer. Die amtliche Nachrichtenagentur DPA übernimmt nun nach der Belieferung von 713 der 712 deutschen Medienhäuser und der Faktenprüfung der darin enthaltenen Tatsachen in sozialen Netzwerken auch die sogenannte Kuratierung des Dienstes Facebook News.  

Widerspruchsfreie Unabhängigkeit

DPA, ein Unternehmen im gemeinsamen Besitz der Abnehmer der DPA-Nachrichten, gelingt damit ein großer Wurf. Erstmals schließt sich die Informationskette aus dem politischen Berlin bis hin zum Nachrichtenadressaten zum Beispiel maßnahmekritischen Spaziergangsmilieu in Sachsen. Wenn Facebook ab April alle Inhalte für Facebook News auswählt, gewichtet und passgenau macht, dürfen sich Nutzer des Dienstes der Plattform Meta auf widerspruchsfreie Unabhängigkeit freuen. Derzeit ist DPA zwar bereits Urheber, Verarbeiter, Verwandler und Veredler von etwa 67 Prozent aller in deutschen Medien verwendeten und von TV-Anstalten, Zeitungen, Zeitschriften und Internetplattformen verbreiteten Inhalten. 

Doch mit der Meta-Partnerschaft erreicht die 1949 gegründete frühere Genossenschaft eine neue Tiefenwirkung: DPA fertig nun nicht mehr nur Nachrichten an und prüft später gemeinsam mit anderen angesehenen Firmen der Faktencheck-Branche, ob sie zutreffen sind. Sondern das von einem studierten Öffentlichkeitsarbeiter geführte journalistische Großunternehmen sitzt nun auch selbst direkt an der Schaltstelle, an der entschieden wird, welche Nachrichten, Fakten und Meinungen überhaupt öffentlich präsentiert werden sollen.

Gewohnte Verarbeitungstiefe

Wuppen soll die Mammutaufgabe ein neues Team, dem die Übertragung der gewohnt hohen Verarbeitungstiefe bei DPA in einen neuen Produktionsbereich zugetraut wird. Bisher galt als größtes Wunder der DPA-Nachrichtenbrikation in mehr als 100 Standorten, wie es der Agentur Tag für Tag gelingt, etwa ein von einem festangestellten Fotografen der Bundesregierung angefertigtes Promotion-Foto der früheren Bundeskanzlerin bei einem Promi-Treffen mit dem amerikanischen Kaffeepad-Werber und Frauenschwarm George Clooney binnen weniger Augenblick in hochwertigen, unabhängigen Journalismus zu verwandeln.

Eben noch reine Werbung, wird das Bild durch die Verbreitung als DPA-Produkt im Handumdrehen zu purem Nachrichtenwert: Jeder kann nun  sehen, wie der smarte Amerikaner, seitlich von seiner Frau bewundern betrachtet, der deutschen Kanzlerin erklärt, wie sich die Weltprobleme lösen lassen. 

Dieses sogenannte Wunder  der Verwandlung ist nicht das einzige, das DPA zu wirken vermag. Geschätzt in Staatskanzleien, Parteizentralen und Ministerien wird auch das Vermögen der Agentur, flächendeckend bis in die letzte Ecke der Republik gleichlautenden Nachrichtenersatz liefern zu können. Wie Metastasen wachsen die Verteilungsstränge durchs Land. 

Alle nähren sich von DPA

Von kleinen Provinzblättern bis zu den großen Leitmedien nährt sich alles von der Brust der Agentur, allenfalls wird noch ein wenig an dem herumgeschmirgelt, was da aus der Nachrichtenfabrik kommt. Schön für die Redaktionen: Das "Agenturprivileg" enthebt sie von jeder Pflicht, irgendetwas, das DPA meldet, gegenchecken, prüfen oder kontrollieren zu müssen. Selbst die Pressemitteilung einer Partei oder eines Ministers, einmal durch Handauflegen eines DPA-Mitarbeiters veredelt, ist schlagartig keine Meinungsäußerung mit fragwürdiger Interessenlage mehr. Sondern das pures Gold reiner Sachinformation. George Clooney lächelt. Die Kanzlerin lauscht andächtig. So muss es gewesen sein.

DPA ist Wahrheit, Wahrheit ist DPA. Umso schöner, dass die Nachrichtenagentur seit Jahren schon zugleich auch als Faktenchecker für Facebook tätig ist, denn mit fake news kennen sie sich aus bei DPA. Die meisten Nachrichten, die über das soziale Netzwerk verbreitet werden, stammen ohnehin aus der DPA-Nachrichtenküche, wer also könnte besser erkennen, dass das alles sehr wohl ganz genau stimmt? Und nun noch der neue Job als "Kurator" von "News" für Facebook: Endlich fügt sich alles zu einer langen Verwertungskette, die nicht einmal mehr symbolisch irgendwo unterbrochen wird. 

Jedes Wort die Wahrheit

DPA fertigt eine Nachricht an, indem  ein DPA-Mitarbeiter die Pressemitteilung eines Politikers routiniert in DPA-Nachrichtensprache übersetzt oder das Promotionfoto aus einer Parteiveranstaltung mit dem Kürzel DPA versieht. Diese tolle Ware sucht sich DPA dann als Nachrichtenangebot aus, das bei Facebook-News bestimmt nicht fehlen darf. Und steht es dann dort, kann das dritte Profit-Center blitzeschnelle einen Faktencheck vornehmen: Ja, super, jedes Wort an der richtigen Stelle. 

So geht Wirklichkeit.