Donnerstag, 31. August 2023

Gewalt, Sex, Rassismus: Diese Lieder gehören nicht mehr gehört

Das Trio "Trio" rühmt in seinem Hit "Dadada" gesellschaftliche Kälte und Hass.

Seit Jahrzehnten werden Musikstücke wie "Dadada" oder "The Winner takes it all " in aller Öffentlichkeit abgespielt und aufgeführt. Zuhörern gelten sie oft als leichte Kost, gut zum Tanzen und Feiern. Doch das heißt nicht, dass sie noch zeitgemäß sind, sagen Experten. In Wirklichkeit verstecke sich hinter den fröhlichen Melodien mit den ins Ohr gehenden vermeintlich harmlosen Texten häufig rechtsradikales, ja, sogar rechtsextremes Gedankengut, das den Kapitalismus preise, Konkurrenzdenken rühme oder den Klimawandel leugne.  

Dadada, eine Hassbotschaft

"Dadada, ich lieb' dich nicht, Du liebst mich nicht", klingt im ersten Moment wie ein Blödelreim, der sich nicht einmal reimt. Doch Frauke Hahnwech, die als Gebärdendolmetscherin im sächsischen Bitterfeld praktiziert und als intime Kennerin der Berliner Bühne schon wegweisende EU-Papiere etwa zur "Just-Transition-Strategy" aus dem Politischen ins Deutsche übersetzt hat, kennt die Fallstricke, die sich gerade in der leichten Popmuse  verbergen. In dem in den 80er Jahren in der alten Bundesrepublik entstandenen Stück des Trios "Trio" hat die Expertin für subkutane Botschaften beispielsweise eine "direkte Hassbotschaft" entdeckt: "Das Lied ist zweifellos gesellschaftsschädlich, denn es ironisiert die gesellschaftliche Kälte", urteilt sie. 

Kein Wunder für Musik aus einem Land, das sich bis in die 90er Jahre weigerte, die deutsche Ostgrenze anzuerkennen. Und auch kein Einzelfall. In "Taxi nach Paris" rühme der Sänger Felix des Luxe die private Verbrennermobilität bis zum Exzess, "Hurra, Hurra, die Schule brennt" gelte als Loblied auf Gewalt und Terror gegen staatliche Einrichtungen und beim "König von Deutschland" handele es sich zweifelsohne um eine Reichsbürgerhymne. Bis in das Repräsentationsgebahren der Republik schwappt der unachtsame Einsatz fragwürdiger Gesänge. Die sogenannte "Nationalhymne", von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben in einer längst überwunden geglaubten Zeit gedichtet, beharrt mit Begriffen wie "brüderlich" und "Vaterland" auf dem Ausschluss von Frauen und Schwestern.

Gefährliches Liedgut

Frauke Hahnwech zeigt sich betroffen vom laschen Umgang der Gesellschaft mit dergleichen gefährlichem Liedgut. "Ich dachte lange, wir sind da schon weiter", seufzt sie. Doch die genannten Evergreens sind nur einige Beispiele aus einer viel längeren Reihe an ehemaligen Hits, die längst nicht mehr zeitgemäß sind. "Man sollte im Hinterkopf behalten, dass angesichts der Geisteshaltung, die in Liedern wie ,Das Modell" der Formation Kraftwerk oder ,Autostop' von der sogenannten Spider Murphy Gang steckt, nur eine kompromisslose Haltung hilft, kommende Generationen vor den falschen Rollenbilden zu schützen, die da vermittelt werden." 

Das "Modell" beschwöre mit Zeilen wie "sie ist ein Model und sie sieht gut aus" überkommene Schönheitsideale, der "Autostop" gipfele gar in der Aussage "liaba war ma a Sportcoupé!" Für den aufmerksamen Zuhörer sei sofort erkennbar, dass "Lieder dieser Art den heute benötigten Debatten nichts Nützliches hinzufügen können", wie die auch als Musikethnologin ausgebildete Hahnwech sagt.

Unvorsichtiger Alltagsumgang

Im unvorsichtigen Alltagsumgang mit solchen Songs aber zeige sich, dass sich kaum jemand ernsthaft mit den Hintergründen der Machwerke befasse. "Sie werden auf Partys mitgegröhlt, denn wer das tut, bekommt hierfür Bestätigung." Für noch weitaus schlimmer aber hält die Ethnologin die Ignoranz selbst in progressiven Kreisen, die aufschimmert, wenn es um internationales Liedgut geht. Paul McCarneys Welthit "Ebony and Ivory" nennt Hahnwech, die einer kleinen Band spielt, die auf bulgarische Folklore spezialisiert ist, spontan als Beispiel. "There is good and bad in ev'ryone, schreibt der weiße, privilegierte Multimillionär da", analysiert sie: "Als stehe es ihm zu, Schwarze Menschen als nicht besser als Seinesgleichen zu bezeichnen."

Es heiße immer, genau hinzuhören, rassistische Weltbilder zu enttarnen, sich gerade zu machen gegen Gesang, der stereotype Anschauungen predige, und kulturelle Aneignung wie "Cotton Eye Joe" oder gar Gewalt gegen Frauen wie "Hit me Baby one more time" schonungslos anzuprangern. Auch Lieder wie "The Winner takes it all" haben einen ähnlich empörenden Hintergrund. "The winner takes it all, the loser's standing small beside the victory, that's her destiny" entschlüsselt Frauke Hahnwech das von einer schwedischen Formation propagierte Loblied auf das kapitalistische Konkurrenzdenken.

Rassistische Weltbilder

Die Expertin ist sicher, dass schon die Musikerziehung im Kindergarten und Grundschule darauf achten muss, Heranwachsende und andere vulnerable Gruppen vor Liedern mit rassistischen und mysogynen  Weltbildern zu warnen. "Aufklärung im Kindesalter ist wichtig", sagt sie. Kinder könnten die Bedeutung der Begriffe und den geschichtlichen Kontext nicht begreifen und neigen dadurch zur leichtfertigen Übernahme von oft stereotypen Menschenbeschreibungen.

"Oft kennen Kinder diese Lieder zum Beispiel schon von zu Hause, wo Eltern sie unbefangen abspielen", weil sie zu ihrer Zeit als "normal" gegolten hätten. "So kommt es, dass sich selbst eine Klimaleugnungshymne wie "Here comes the sun" von den britischen Beatles immer noch großer Beliebtheit erfreut." Dabei verharmlose das Lied mit Zeilen wie "Here comes the sun and I say, it′s all right" nicht nur die Notwendigkeit der Einhaltung des Zwei-Grad-Zieles, sondern rühme mit Reinem wie "Building me a fence, building me a home" auch den Bau von Zäunen und klimaschädlichen Einfamilienhäusern.

Suche nach gesellschaftlichem Konsens

Hahnwech dringt auf einen Konsens, nach dem derart veraltete Kunst mit so ungeheuerlichen Liedtexten  kritisch beäugt und geächtet werden müssen. Der Kampf gegen den Klimawandel werde durch das Lied ins Lächerliche gezogen, aber nicht nur durch dieses. "Auch Lana del Ray hat dem Bestreben der Menschheit und des Bundesministers für Gesundheit, den Kampf gegen die Hitze aufzunehmen, mit ihrer Neuaufnahme des längst vergessenen Liedes "Summertime" sicher keinen Gefallen getan. Frauke Hahnwech singt leise an: "Summerime, and the livin' is easy". Sie schüttelt den Kopf. "Unmöglich."

"A boy named Sue" gebe Transmenschen der Lächerlichkeit preis, das "Paint it black" der Rolling Stones mache sich über Schwarze Menschen lustig. "Aber das subtile Spiel mit den allzu deutlichen Codes und der Haltung, war doch nicht so gemeint", es funktioniert sagt Frauke Hahnwech. Postkoloniale Stereotype würden so zur Normalität, mit der Mentalität zufriedener Untertanen feierten Betroffene sich selbst als "Sklaven", riefen zum Kampf gegen die demokratischen Verhältnisse und unter Bezug auf finsterste Zeiten nach "one more time in for solutions". "Wenn wir als Mehrheitsgesellschaft nicht aufpassen, ziehen wir uns eine Generation heran, die jeden Respekt vor ordentlicher, sauberer Rockmusik verloren hat."

Das neue Normal: Wir Wettermacher

Oft ist das Wetter auch einfach zu normal.

Es war immer schon zu warm, zu kalt, zu heiß, zu nass und zu trocken in Deutschland, selbst als noch nirgendwo der Klimanotstand ausgerufen war, Greta Thunberg im Körbchen lag und Luisa Neubauer noch brav zur Schule ging. Der Mensch und das Wetter, sie waren nie kompatibel, immer fehlte etwas, sie es ein bisschen Sonne oder ein paar Grad Wärme, ein kühlender Regen oder ein wenig Wind, der endlich Abkühlung bringt. Ehe man sich schon wieder nach dem Sommer sehnt, der freilich entweder zu früh kommt oder viel zu spät, zwischendrin aber niemals so ist wie früher, als er auf fast dieselben  Monate fiel, aber niemals aus oder zu heiß oder zu kalt aus.

Vom Hinnehmen zur Gestaltung

Über Generationen nahmen Menschen selbst in Deutschland das Wetter als unveränderlich hin. Es gab Jacken und es gab Schirme, es gab Frotteeschweißbänder und Flüche, Socken und Sandalen, aber keine Glaubensrichtung, die ihren followern predigte, sie müssten nur dies oder jenes tun oder lassen, dann werde das Wetter so oder anders. Dass der Einzelne die Macht und die Fähigkeit habe, sein eigenes Wetter zu bestimmen, es im Grunde je nach Belieben zu programmieren, behaupteten allein fürsorglichen Mütter, zumindest bis in die 70er Jahre hinein. Der Junge müsse nur aufessen, dann werde das Wetter nicht schön, behaupteten sie einen Zusammenhang zwischen individueller Handlung und Großwetterlage, der wissenschaftlich nie nachgewiesen werden konnte. 

Weshalb Fernsehmeteorologen  sich früh darauf konzentrierten, wenigstens drei Viertel ihrer Sendezeit mit einem Rückblick auf den vergangenen Tag zu füllen: Hier warm, dort kälter, dazwischen Regen und daneben keiner. Der kurze Rest folgt traditionell den Regeln der Wahrsagekunst: Es könnte warm werden, wenn es nicht kalt bleibt, streifenweise aber sind Niederschläge nicht auszuschließen, vorausgesetzt, das Regenband zieht nicht nördlich vorbei, ohne sich zu ergießen.

Die Kunst des Knochenwurfs

Generationen sind durch diese Mischung an Wissenschaftsverleugnung, nachholender Vorausschau und der Kunst des Knochenwurfs unter Berücksichtigung der Beobachtung des Vogelfluges geprägt worden. Die alte Binse, dass Wetter immer irgendwie ist, niemals aber irgendwie sein muss, geriet darüber ganz in Vergessenheit. Wie die Führung der Sowjetunion auf dem Höhepunkt ihrer Macht fest davon ausging, dass auch das Wetter nur ein Ding ist, das sich dem Fortschritt und dem von Marx und Lenin vorhergesagten Gang der Geschichte unterwerfen muss, so ist der Jetztmensch davon überzeugt, dass es einen Zustand gibt, in dem das Wetter richtig ist. 

Für jede Jahreszeit, jeden Monat, ja, für jeden Tag gibt in dieser Vorstellungswelt ein Wetter, das im Rahmen geringer Abweichungen der Norm entspricht. Alles andere ist verkehrtes Wetter, geprägt von einem außer Rand und Band geratenen Klima, das nicht von einzelnen Wettern gebildet wird, sondern selbst Wetter macht. Falsches vor allem, denn geht es nach den Suchanfragen, die die Deutschen stellen, gibt es neuerdings nicht mehr nur zu kaltes und zu warmes, zu heißes, zu trockenes und zu nasses Wetter. Sondern sogar zu normales.

Mittwoch, 30. August 2023

Hass auf Schlanke: Wie Fettfans gegen Schönheitsideale kämpfen

Google verbreitet ein Schönheitsideal, das Fettaktivistinnen gern abschaffen würden: Dünn, sportlich und ohne wabbelnde Massen von Fleisch und Fett.

Sie predigen dicke Bäuche statt schlanker Silhouetten, wabbelndes Fett statt fester Muskeln und den Griff zur kleinen Snack zwischendurch statt dem zum Laufschuh. Influencer wie die Körperaktivisten Melodie Michelberger, Charlotte Kuhrt und Anne-Luise Lübbe haben sich den Kampf auf das in den Gesellschaften des Westens herrschende allgemeine Schönheitsideal auf die Fahne geschrieben. Schlank sein, dünn sein, hübsch sein, mit schmalen Fesseln, sportlich flachem Bauch und ohne hängendes Doppelkinn, so zu leben und das als normal anzusehen, sei ein Angriff auf alle, deren Körperlichkeit anders ausfalle.

Schlanksein ist Rassismus

Auf blankem Rassismus beruhe dieses Schönheitsideal, analysiert Melodie Michelberger, die über ihr konkretes Gewicht nicht spricht, dem Spruch "ein paar Kilo weniger würden Ihnen nicht schaden" aber als Ausdruck der überlebten Beauty-Doktrin einer männlich geprägten Welt voller "Du musst schlank sein"-Schönheitsideale aber entschieden entgegentritt. Kaum eine Frau passe in Konfektionsgröße 36, manche auch nicht in die 44 oder 46. Dennoch böten Modehersteller überwiegend Kleidung für diese Maße an. Ein sich selbst verstärkendes System: Internetsuchmachinen werfen auf Anfragen nach "schönen Frauen " oder "beautiful girls"  Stereotype aus, die mit dem Körper der Fettaktivistin gar nichts zu tun haben, sondern mit der Erwartungshaltung der Mehrheitsgesellschaft, die durch eben jene Stereotypen genährt wird.

Prantl belässt es oft beim Salat.
Für Michelberger und ihre Mitaktivistinnen ein Grund, Schlanke als Rassisten zu bezeichnen, Muskeln für verwerflich zu erklären und das Betreiben privater Sportübungen als Vorstufe zum Faschismus anzuprangern. Wer nicht wenigstens ein bisschen dick sei, gefährde für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Wer fette Menschen nicht schön finde und eher magere ungleich hässlicher, der sei kapitalistischer Verwertungslogik verhaftet, die Menschen sortiere und nach Verwendbarkeit gruppiere.

Der Hass auf Dünne

Über den neuen Hass auf Schlanke hat PPQ mit der Kolumnistin und Yoga-Lehrerin Svenja Prantl gesprochen, die bei einer Körpergröße von 1,79 Metern 58 Kilogramm wiegt und, wie sie selbst sagt, "sehr stolz" darauf ist, dieses Gewicht seit ihrem 15. Lebensjahr stabil zu halten.

PPQ: Blond, schlank, weiß, sportlich - so sehen nicht nur deutsche Fußballerinnen aus, sondern auch die Frauen, die man bei der Eingabe des Suchbegriffes "schöne Frauen" von Google geliefert bekommt. da sind die Bäuche flach, die Brüste klein und fest, die Beine lang und die weiße Haut ist leicht angebräunt. Sie selbst haben meist dunkles Haar, entsprechen aber davon abgesehen diesem vermeintlichen Ideal. Wie lebt es sich damit?

Prantl: Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich komme zurecht, kenne ja aber auch nichts anderes. Seit Ende der 50er-Jahre verkörpert die schmale, schlanke Frau nach westlichen Maßstäben das Ideal von weiblicher Attraktivität, ebenso ist es aber übrigens beim Mann. Der soll groß sein, schlank, muskulös und sportlich. Aus eigenem Erleben kann ich sagen, dass das kein Selbstläufer ist, es gehört Disziplin beim Essen dazu, Anstrengung beim Sport. Man muss das aber für sich selbst tun, denn die Gesellschaft belohnt einen höchstens mal mit ein paar anerkennenden Blicken.

PPQ: Nun gibt es in letzter Zeit eine Art Befreiungsbewegung der Fettleibigen, die angetreten ist, das Schönheitsideal infrage zu stellen. Es sei an der Zeit gewesen, diese Rolle anders zu besetzen, mit quellenden, schwellenden Körperformen, die im öffentlichen Raum sichtbar werden und im besten Wortsinne mehr Raum greifen sollen. Fürchten Sie da nun, aus dem Blick gedrängt zu werden?

Prantl: Wie gesagt, man macht das eigentlich für sich selbst. Die Anerkennung nimmt man mit, aber sie motiviert einen nicht. Ich muss zugeben, dass ich als junges Mädchen selbst etwas mollig war, obwohl ich sehr begeistert mit Barbies gespielt habe. Damals wurde mir auch klar, dass ich mit meinen Fettröllchen nicht werde leben können, sondern so schlank und sportlich sein will wie meine Barbies. Das ist ja kein absolut unrealistisches Körperideal. Viel mehr entspricht es genau dem, was Männern gefällt, wie Frauen gern aussehen würden, könnten sie es sich aussuchen. Und Mediziner sagen: Ja,  ein BMI von 19, das ist gesund. Heute muss ich mich tatsächlich auch sehr darüber wundern, dass dieses Abbild einer perfekt erscheinenden Frau so leidenschaftlich angegriffen wird, gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und dennoch von Medien mit großer Bereitschaft propagiert.

PPQ: Sie klingen ratlos?

Prantl: Das bin ich auch. Ich meine, wie kann es sein, dass ganze Bücher den Körper zu Politik erklären und das Fettsein zu einer Art Geschäftszweck machen? Wie kann es sein, dass sich eine Gesellschaft darauf einlässt, sich einreden zu lassen, das 120 Kilogramm bei einer Frau von 1,72 Metern Größe kein absolut unrealistisches Körperbild sind, das nicht nur die Kniegelenke kaputtmacht. Sondern ein Ideal, das ein sehr gutes Marketing ermöglicht und eine sehr gute Presse bekommt? 

PPQ: Wie kommt es denn?

Auch in den USA gilt fettfrei als schön.
Prantl: Ich denke, das bedient ein Bedürfnis bei vielen Menschen. Die schauen ihre eigenen Körper an und sind damit eigentlich gar nicht zufrieden, weil sie sich nach diesem perfekten Körper sehnen. Aber sie wollen nicht den Schluss ziehen müssen, sich aufzuraffen, Sport zu treiben und dazu auch noch auf allerlei Süßes und Fettiges zu verzichten. Da kommen dann diese aufgeschwemmten Fettpropagandisten und bieten eine verführerische Alternative: Du kannst fett sein, du darfst dich vollstopfen, du musst dich nicht bewegen. Wer sich den perfekt erscheinenden Körper sowieso nicht schaffen kann, weil er zu behäbig ist, zu faul oder zu verfressen, der sagt sich dann, nun, jetzt bin ich eben anders schön.

PPQ: Sie lachen?

Prantl: Weil dieses vermeintlich diverse Bild von Schönheit natürlich nur einer Verabredung zu verdanken ist, die dem gleicht, was wir aus dem Märchen ,Des Kaisers neue Kleider' kennen. Niemand widerspricht, also ist das so: Die wabbelnden Körper werden als ,Plus-Size-Aktivistinnen' behandelt, als habe ihr persönliches Problem, dass sie eben nicht dem allgemeinen Schönheitsideal entsprechen, irgendeine Relevanz für andere. Dabei kommt eine Bevölkerungsmehrheit eigentlich gut damit klar, dass ein Ideal eben genau darum ein Ideal ist, weil es nicht so einfach erreicht werden kann. 

PPQ: Für Körperaktivistinnen, wie sie sich selbst nennen, ist das allgemeine Schönheitsideal aber so etwas wie ein Fetisch, sie verlangen im Grunde, mit ihrer ungesunden und ja auch mit Blick auf den Klimawandel gefährlichen Körperlichkeit zumindest ebenso als Schönheitsideale anerkannt zu werden?

Prantl: Aus meiner Sicht reicht ihnen das nicht. Sie möchten vielmehr eine Welt, in der Frauen wie ich, die vielleicht nicht 20 oder 50 Kilo zu viel herumschleppen, uns verstecken müssen. Dass wir alle, die wir auf uns aufpassen und dafür auch mal auf ein Stück Schokolade, den Zucker im Kaffee oder  das große Eisbein verzichten, konstant mit dem Gefühl rumlaufen, dass unsere Körper so wie sie sind, nicht gut sind, dass wir sie verfallen lassen müssen, damit sie in eine naturgewollte Form fallen, die von dicken Schwartenschichten umgeben ist. Dieser Druck soll gemacht werden, bei Frauen insbesondere.

Dreckschleudernde Elite: So schaden Politiker dem Klima

In Ägypten kam es zuletzt zu einem Weltgipfel von Menschen mit einem besonders großen und zerstörerischen Klima-Fußabdruck.

Sie jetten nach Reykjavik über Menschenrechte, den Ukraine-Krieg und Russland zu reden. Sie reisen nach Ägypten, um tagelang über Klimafragen zu verhandeln. Sie sind in Afrika unterwegs, im arabischen Raum, aber auch in den beiden Amerikas. Sie sind zudem nie allein, sie lassen sich begleiten von Beratern, Helfern und Berichterstattern, die die Menschen daheim wissen lassen sollen, wie toll die Arbeit ist, die sie gerade wieder leisten. Bundesaußenministerin  Annalena Baerbock schickte zu Beginn ihrer Amtszeit Bilder in die Welt, die sie in historischer Pose vor dem Eiffelturm zeigten. Robert Habeck und Cem Özdemir ließen sich in Südamerika von Kindern schminken. Der Bundeskanzler war gleich mehrfach nachdenklich nach Japan unterwegs.

Über den Nordpol nach Hause

Der Airbus A350 „Kurt Schumacher“, die größte und modernste Maschine der Bundeswehr-Flugbereitschaft, überquerte auf dem Rückflug eigens den Nordpol, denn um den russischen Luftraum zu vermeiden, reiste Scholz von Japan zuerst Richtung Norden über Alaska, dann nach Westen über das Nordpolarmeer und schließlich über Finnland nach Deutschland. Nach etwa 13 Stunden und 30 Minuten und 12.319 Flugkilometern landete die Maschine daheim in Berlin, ohne neue Vereinbarungen, einen Friedensvertag im Gepäckabteil oder Plänen, dem japanischen Beispiel des Ausbaus der klimafreundlichen Atomenergie nachzueifern. Mehr als ein neues Loch in den Himmel gebrannt zu haben, durch das das Klima sich weiter erhitzen kann, war nicht passiert.

So geht es meist zu, wenn die Weichensteller der Weltgeschichte in malerischen Kulisse alles für das Wohl der Menschheit tun. Mal in Genf, mal in Portugal, mal in Davos, mal in Jackson Hole - wo sich die Mehrzahl der Menschen keinen Kaffee würden leisten können, wohnen sie in Luxus-Hotels, finanziert von der öffentlichen Hand. Sie essen Drei-Gänge-Menüs, nutzen täglich den Wäscheservice und haben zuweilen sogar Familienangehörige dabei wie der Bundeskanzler, der im Frühjahr auf einer Dienstreise "viel Zeit" (Scholz) mit seiner Britta Ernst verbrachte. 

Die armen Alleinreisenden

Für hunderttausende Normalsterbliche eine traumhafte Vorstellung. Sie sind gezwungen, ihre Reisen im Auftrag ihrer Arbeitgeber allein zu absolvieren - niemand würde die zusätzlichen Kosten tragen. Zudem wäre da ja immer noch die Extrabelastung für das Weltklima, wenn zwei Personen reisen, wo nur eine reisen muss.

Diese Anekdote erzählt nicht nur von der Instinktlosigkeit der Mächtigen, sondern auch von ihrer abgekoppelten Lebenswirklichkeit. Es handelt sich um eine exklusive Elite, über deren genaue Lebenswirklichkeit oft wenig bekannt ist. Ihre Lebenshaltung verbergen sie hinter Parteiämtern, staatlichen Aufgaben und Verpflichtungen, die in Terminkalendern stolz präsentiert werden. Kein Krieg und keine Pandemie, kein Kampf gegen die Erderwärmung und kein Energiesparappell kann den Angehörigen dieser abgeschotteten Elite etwas anhaben – sie reisen, wann immer sie mögen, wohin sie wollen und ohne Gewissensbisse, wie wie sie auf stolz verbreiteten Fotos zeigen.

Umgeben von Influencern

Das in Sachsen beheimatete Climate Watch Institut (CWI) hat jetzt nachgerechnet, wie drastisch sich der CO2-Fußabdruck von Politikern von dem gewöhnlicher Menschen unterscheidet. Die Ergebnisse sind erschütternd. Allein die Auslandsreisen der führenden Verantwortlichen der Bundesregierung summieren sich auf Tausende Tonnen des Klimagiftes CO2, die zusätzlich in die Atmosphäre geblasen werden. Sogar noch schlimmer wirkt die Haushaltung der ihnen unterstellten Behörden: Wie das Bundeskanzleramt in Berlin sind die Gebäude häufig nicht ausreichend gedämmt, Hunderte neugeschaffener Stellen erhöhen den Heiz- und Kühlaufwand trotz bereits ausgerufener Notstandgebiete.

Der französische Soziologe und Politologe Grégory Salle hat darüber den erschreckenden Essay "Luxus und Stille im Kapitalozän" (Suhrkamp) verfasst. Für ihn sind die Zustände  ein Symbol dafür, dass der "Exzess zum Kennzeichen unseres Zeitalters" geworden ist. Die zumindest finanziell Glücklichen seien kaum mehr eingebunden in demokratische Entscheidungsprozesse, sie sind allenfalls abhängig von der Gnade ihrer Parteien. Für sie spielt es keine Rolle, wenn für das Volltanken eines Airbus mal eben mit 50.000 Dollar bezahlt werden müssen, ohne dass das Benzin dem verschärften europäischen CO₂-Handel, gewissermaßen einer Klimasteuer, unterliegt. 

Klimafrei in alle Welt

Nach den Zahlen des CWI, einer von der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen der Behördenansiedlungsinitiative angeschobenen Gründung im sächsischen Grimma, liegen die Emissionen der politischen Klasse in Deutschland bei mehr als 10.000 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr. Den Kriterien der Forscher zufolge umfasst die betreffende Gruppe aus Parteiführern, Vorständen, Ministern, Staatssekretären, Strippenziehern und Talkshowtouristen etwa um die tausend Personen. Diese 0,0001 Prozent der vielreisenden Entscheidungsträger belastet das Klima jeweils etwa mit dem dem Tausendfachen des Durchschnittsdeutschen. 

Da verwundert es natürlich, wieso die abgeschottet wirtschaftende Elite nicht längst schon auf der moralischen Anklagebank schmort oder wenigstens schnurstracks zur Kasse gebeten wird – gerade, was die durch sie verursachten Umweltkosten betrifft. Sie sind weit überdurchschnittlich beteiligt an der Zerstörung unseres Planeten, meistenteils dienen ihre Fernreisen keinem direkten Zweck außer dem, schöne Bilder für die Daheimgebliebenen zu produzieren. An den Pranger gestellt zu werden, mussten Minister, Mitarbeiter und zur Mitreise eingeladene Influencer nie befürchten. 

Dreckschleudernde Elite

Während fleißigen Pendlern ein Tempolimit eingeredet wird und auswärts arbeitende Monteure sich mit dem 49-Euro-Ticket zu ihren Baustellen durchschlagen sollen, müssen die mit einem ganzen Hofstaat reisenden Entscheider nicht einmal Ablass für ihre dreckschleudernden Fortbewegungsmittel leisten. Heute geht es nach mit dem Kurzstreckenflieger oder einer Diesellok nach Hamburg zur Talkshow, morgen ist schon Moma in Berlin, Mittwoch dann Parteitag in München oder Straßenwahlkampf im Ruhrgebiet. 

Gesellschaftlich wird das alles noch akzeptiert", fasst CLI-Chef Herbert Haase die Ergebnisse der Studie "How decision-making elites exploit and destroy the planet" zusammen. Der Forscher konstatiert: "Ihre Welt ist ein Paradebeispiel für einen atemberaubenden Taschenspielertrick: die Fähigkeit der Weichensteller und ihres engsten Umfeldes etwa in den sogenannten Hauptstadtbüros der Medien, sich von den gesellschaftlichen und umweltbezogenen Kosten zu befreien. In einer Meisterleistung wälzen sie diese Kosten auf die anderen gesellschaftlichen Gruppen ab, darunter auch auf die ärmsten."

Dienstag, 29. August 2023

Reformen: Der stille Tod eines Zauberworts

Grafik Google Trends Reformen
Das Zauberwort "Reformen" hat seit seiner Einführung unter Gerhard Schröder an Wirkungsmacht verloren.

Den Staub von gefühlten fast 1.000 Jahren wegzublasen waren sie unerlässlich. Als der Sozialdemokrat Gerhard Schröder vor einem Vierteljahrhundert antrat, den kaisergleich seit Jahrzehnten regierenden CDU-Kanzler Helmut Kohl aus dem Amt zu treiben, führte er in der Hand ein scharfes Schwert: Schröder verunglimpfte Deutschland als den kranken Mann Europas, ein Land, wie festgebacken in seiner Vergangenheit, berauscht von längst zurückliegenden Erfolgen und unfähig, seine geschrumpfte Bedeutung selbst einzusehen.

Reformen gegen Weiterso

Konkurrent Kohl, der alte, weiße Mann, rief Weiterso. Schröder aber predigte "Reformen", ein Zauberwort, das die damals noch weitgehend unbekannte Bundesworthülsenfabrik (BWHF) dem ehrgeizigen Niedersachsen auf den Leib geschneidert hatte. "Reform", gebildet aus dem Lateinischen "re" wie zurück und "formare" wie bilden oder gestalten, bedeutet eigentlich zwar so etwas wie Wiederherstellung. signalisierte im schröderschen Niedersächsisch aber eine geplante Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse, einen Neuanfang mit neuer Glaubenslehre für Politik und Gesellschaft, die sich am Ende eines - ja, sagte Schröder, auch schmerzhaften Prozesses - von Fesseln befreit finden würde, bereit zu neuen großen Taten.

Das Zauberwort, es wirkte. Obwohl Kohl für seine letzten Wahlplakate die Brille absetzte, um eine Art eigenen Egon Krenz als Nachfolger für sich selbst zu markieren, ritt der SPD-Mann ins Kanzleramt. Und Schröder, der als junger Mann angetreten war, eine Revolution loszutreten, meinte es ernst mit mit allerlei Änderungen, die für deutsche Verhältnisse auch schon einen radikaleren Wandel bedeuteten. Hartz IV brachte die Massen auf die Straßen, damals noch unter lautem Applaus der Medien. Schröder, der Sozialist mit der Zigarre, verwandelte sich in einen Neoliberalen, dessen "Reformen" als lästig, schädlich und überhastet kritisiert wurden. Die Wiederwahl gelang dem Sozialdemokraten nur mit Hilfe eines als Friedenserklärung verkleideten Antiamerikanismus.

Abgesetzt von der Tagesordnung

Von Reformen aber, wie der geschwächte Kanzler sie weiter zu betreiben beliebte, hatten Land und Leute genug. Der kranke Mann, er konnte doch wieder gehen. Die Wirtschaft nahm Fahrt auf. Die Arbeitsmarkt-Reformen der "Agenda 2010" (BWHF) schmerzten noch immer, doch man hatte sich weitgehend arrangiert. Noch einen "Ruck" für Deutschland, wie ihn der frühere Bundespräsident Roman Herzog gefordert hatte, konnte niemand gebrauchen. Mit Schröder, der im Juli 2005 eine Vertrauensabstimmung im Bundestag und im September schließlich die vorgezogene nächste Bundestagswahl verlor, verschwand auch der Begriff "Reformen" von der politischen Tagesordnung.

Verbraucht, abgeschliffen, ausgelutscht. Wer nach 2005 noch von Reformen sprach, hatte die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Angela Merkel vermied es deshalb nicht nur vom ersten Tag an, das Wort in den Mund zu nehmen, sie vermied es sogar, irgendetwas zu tun, was Menschen als "Reform" missverstehen könnten. Die Zauberkraft des Begriffes war erschöpft wie die des ebenfalls von der BWHF an Schröder gelieferten magischen Wortes "Agenda", das seitdem nie wieder regierungsoffiziell verwendet worden ist.  Stattdessen übernahmen die "Maßnahmen", die Schutzpläne und Förderrichtlinien.

Last Light: Klimaterror im Licht der letzten Tage

Last Light: Klimaterror im Licht der letzten Tage
Ökoterror als Erfolgsmodell: "Last Light" spielt mit der Idee der Radikalisierung der Klimabewegung.

Deutschland diskutiert, Deutschland spaltet sich entlang einer Bruchlinie, die die unruhevolle Jugend aufwirft, die sich selbst als die "Letzte Generation" bezeichnet. Sie kleben, sie werfen mit Farbe, sie beschädigen Kulturgüter und sitzen in Talkshows, um ihre Positionen deutlich zu machen. Ist das schon kriminell, was die jungen Leute tun? Handelt es sich um eine terroristische Vereinigung? Oder schießen da nur ein paar Jugendliche im Furor "achtenswerter Motive" ein wenig über das Ziel hinaus?

Achtenswerte Motive

Die Filmproduzenten Patrick Massett und John Zinman haben gemeinsam mit Regisseurin Dennie Gordon schon vor einem Jahr nach den langen Linien gesucht, an denen die Geschichte der derzeit wirkmächtigsten Jugendbewegung in die Zukunft fährt. Ihre Streaming-Serie "Last Light" bringt nicht nur die Rückkehr des früheren Stars Matthew Fox, der in der Serie "Lost" den Jack gab, später aber beschuldigt wurde, ein Frauenschläger zu sein. Sondern auch eine unterhaltsam verpackte Variante der Geschichte des Kampfes einiger weniger Überzeugungstäter gegen die globalen Mächte der Fossillobby. Fox spielt in der fünfteiligen Miniserie einen Wissenschaftler, der sich an die Ölindustrie verkauft hat. Ein arabischer Multi ruft ihn zu Hilfe, als es dort zu unerklärlichen  Problemen bei der Nutzung von Öl und Benzin kommt: Autos explodieren, Maschinen funktionieren nicht mehr.

Der von Fox gespielt Andy Yeats stürzt mitten in eine eher schnell als langsam anschwellende Apokalypse, die aus Gründen der besseren Vermittelbarkeit als Familiendrama verpackt wird. Das Schreckensszenario, das selbstverständlich eine ökologische Botschaft aussenden soll, ist menschengemacht: Ein alter Kumpel und Kollege von Yeats nutzt eine uralte gemeinsame Entwicklung, um das Zeitalter der fossilen Brennstoffe von jetzt auf gleich zu beenden. Die Welt versinkt im Chaos, Menschen sterben zu Tausenden gestürzt, Yeats blinder Sohn, der gerade mit Hilfe einer Operation sein Augenlicht zurückerhalten soll, droht bleiben Blindheit.

Rückkehr von Matthew Fox

Die französische Produktion - nur in Europa hatte Matthew Fox offenbar die Chance, wieder in seinem Beruf arbeiten zu können -  schleppt sich als Mischung von "Blackout" und der EU-Parabel "Willkommen auf Eden" gemächlich über die Strecke. Die Welt geht unter und der Star aus "World War Z", "Lost" und "Bone Tomahawk" bereist sie im Stil von Olaf Scholz oder Tom Hanks als Harvard-Professor Langdon in "Illuminati". Dass der Petrochemie-Spezialist mehr weiß, als er sagt, wird schnell klar. Warum er schweigt, bleibt lange ein Geheimnis der Produzenten. Seine Tochter ist Aktivistin gegen den Klimawandel, der Rest der Familie gehört zum globalen Jetset der Gutmeinenden, die nur nicht anders können als Ressourcen zu verschlingen wie es nur wenige können.

Die auf dem gleichnamigen Roman von Alex Scarrow basieren Geschichte um den mysteriösen Angriff auf die fossile Gesellschaftg leuchtet nicht, sie flackern allenfalls, mahnt aber beständig, wohin der globale Aufstand gegen den status quo führen würde, wenn Gruppen wie Last Generation oder Extinction Rebellion die Mittel in die Hand bekämen, ihre erklärten Ziele gegen die Mehrheitsgesellschaft durchzusetzen. Eine Krise, die direkt in die Dystopie führt: Das Aufgebot an bekannten Namen wie Amber Rose Revah ("The Punisher"), Tom Wlaschiha ("Game of Thrones", "Stranger Things") und Victor Alli ("Belfast") belebt eine Welt, die schneller düster wird als sich Ersatz für die auf Ölverbrennung basierende Energieversorgung finden lassen.

Gegenwart im Zeitraffer

Das wirkt wie die Gegenwart im Zeitraffer. Der aus Sachsen stammende Tom Wlaschiha spielt den deutschstämmigen Ökosekten-Anführer Karl Bergmann, der bereit ist, abrupt ernst zu machen mit der Idee von Degrowth und modernem Mittelalter. Ohne das Rückgrat der Technologie aber  wird der Alltag der Zivilisation unmöglich. Nur noch Regierungen und Militär verfügen über Treibstoffe und Elektrizität, der Rest hat nicht einmal mehr Wasser. Dennoch scheint es, als wende sich selbst Yeats Tochter, die jugendliche Rebellin und Aktivistin, gegen ihren Vater, der die Welt retten will. 

Ein Generationskonflikt der neuen Art, nicht wie üblich verbal ausgefochten am Abendbrottisch mit argumentativer Hilfe von Fachmagazinen und besorgten Experten. Sondern mitten im Zusammenbruch einer ganzen Welt, der dynamisch inszeniert, schön beleuchtet und mit mahnenden Bildern von strömenden Regen und verzehrenden Feuern illustriert klar macht, dass es keine Alternative gibt: Geht es weiter wie bisher, geht die Welt unter. Entsteht aus den Gruppen und Grüppchen der derzeit noch halbherzig in die Normalität eingreifenden Klimabewegung eine zu allem entschlossene Grüne Armee, dann bricht sie schlagartig zusammen.

Die Opfer müssen sein, selbst ein paar mehr, so argumentiert  Tom Wlaschihas Karl Bergmann, sind kein zu hoher Preis dafür, langfristig alle Übrigbleibenden zu retten. In der Konsequenz ist das die Essenz dessen, was die Klimakinder von Greta Thunberg über Luisa Neubauer und Clara Hinrichs bis hin zu verantwortlichen Politikern der Ampelkoalition auch glauben: Das Schlimmste kann nur verhindert werden, wenn Schlimmes akzeptiert wird, den Planeten kann nur retten, wessen Glaube fest genug ist, andere dafür zu opfern. Als Film findet "Last Light" aus dem selbstgemachten Dilemma, dass eine Veränderung des Laufes der Dinge von den Betroffenen stets als schlimmer empfunden werden wird als die Aussicht, ohne diese Veränderung könne das schlimmste ja vielleicht doch ausbleiben, nicht heraus. 

Am Ende versöhnen die Produzenten ihre Zuschauer mit der Botschaft, dass diese letzte Warnung vor dem Klimawandel helfen könnte, ein Bewusstsein zu schaffen, dass Ökoterror obsolet macht.

Montag, 28. August 2023

Betreutes Trinken: Schnabeltassen für Umweltsäue

Tethered caps Flaschenverschlüsse EU Richtlinie
Wird eines Tages weltweit Schule machen: Die neuen Festverschlüsse der EU, die im Dienst der Umwelt mit scharfen Kanten Lippen aufkratzen.

Sie waren eine der großen Bedrohungen von Natur, Umwelt und Frieden, klein, rot, manchmal auch blau oder grün oder gelb, auf den ersten Blick harmlos, auf den zweiten aber eine tödliche Gefahr. Jeder kannte sie, jeder nahm sie dennoch nicht nur jahrzehntelang hin wie eine Naturgewalt, sondern tat auch mit bei ihrem schleichende Feldzug gegen die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit: Drehverschlüsse an Plastik-Wasserflaschen wurden vor allem in Europa traditionell nach dem Öffnen der Flasche in die Landschaft geworfen. Jedes Mal landeten 21 Gramm Plastik in der Umwelt. Bei 300 Milliarden verkauften sogenannten PET-Flaschen summierte sich das zu einem Berg von sieben Millionen Tonnen hochverdichteten Erdöls, der drohte, den gesamten Kontinent über kurz oder lang unter sich zu begraben.  

Millionen Tonnen Trinkverschluss

Die EU konnte dem nicht tatenlos zuschauen. Nach jahrelangen Beratungen gelang es der Gemeinschaft vor vier Jahren, mit der Einwegkunststoffrichtlinie "über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt" eine weltweit einzigartige Regel zu erlassen, die dem drohenden Ende Europas unter einer Flut an Plastikverschlüssen ein Ende macht. Wie so oft, wenn es um konstruktive Lösungen für ein akutes Problem geht, zeigten die Kommissare trickreich auch technologische Fantasie: Statt Flaschenverschlüsse einfach zu verbieten, verfügten sie dass Schraubverschlüsse für Getränkeverpackungen von bis zu drei Litern Größe nicht nur in geschlossenem Zustand fest verbunden sein müssen mit Flaschen oder Kartons, sondern auch nach der Öffnung so zu verbleiben haben.

Bis zum Sommer kommenden Jahres, wenn die fünfjährige Übergangsfrist für die umweltbedrohenden Altverschlüsse ausläuft, müssen alle Schraubverschlüsse in der Gemeinschaft den Vorgaben der die EU-Richtlinie 2019/904 folgend als "Tethered Caps" gestaltet sein wie sie die EU-Kommission mit ihrer Vorliebe für die Verwendung der Sprache der knapp sechs Millionen englischen Muttersprachler in der Gemeinschaft nennt. Fest mit dem Behältnis verbunden, reißen diese "angebundenen Deckel" mit ihren scharfen Kanten Lippen auf und sie lassen Getränk an der Flaschenöffnung vorbeisprudeln, führen aber damit wie beiläufig den Beweis, dass sich die 440 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner der größten Staatenfamilie der Erde im Grunde genommen alles bieten lassen. 

Eine echte europäische Innovation

Technisch war die Erfindung des unlösbaren Deckels selbst für die Wissenschaftler, Ingenieurinnen und Computerspezialisten des Innovationsleuchtturms EU keine ganz einfach zu lösende Aufgabe. Einerseits soll der Schraubdeckel auch nach seiner Lösung fest mit der Flasche verbunden bleiben. Andererseits soll er von seiner starren Halteschlaufe nur mahnend in seiner Drehfreude behindert zu werden, ohne es vollkommen unmöglich zu machen, den Flascheninhalt zu trinken. Damit die sich von den neuen Schnabeltassen in ihren Lebensgewohnheiten gestörten EU-Trinker nicht an den Deckeln zerren und sie womöglich noch abreißen, werden sie durch einen amtlichen Aufdruck über den Auftrag der lästigen Befestigung informiert: "Lass mich dran fürs Recycling". 

Damit stellt sich jedermann und jede Frau, die den behördlich befestigten Deckel entgegen der amtlichen Verfügung entfernt, außerhalb der betreut trinkenden Gemeinschaft der demokratischen Mitte, die klaglos einsieht, dass das gesamte experimentelle Unternehmer der Umwelt dient, die ohne Milliarden von verantwortungslos in die Landschaft geworfene Schraubdeckel künftig aufatmen darf.

Ozonloch: Irgendwas ist immer

Schreckensmeldungen aus einer vergangenen Zeit: Das Ozonloch macht Angst, bis es verschwand.

Jede Zeit hat ihre Hiobsbotschaften, von den Tatarenmeldungen vor 170 Jahren bis zum steten Strom an Existenzalarm, der heute aus den Nachrichten quillt wie ein süßer Märchenbrei. Als es noch keinen Klimanotstand in Konstanz, keine Pariser Klimaziele und keine deutschen Klimakleber gab, lockten sommerliche Temperaturen und Sonne satt die Menschen nach den kalten Wintermonaten des Jahres 2011 endlich ins Freie. Damals, als noch bedenkenlos mit Russengas geheizt und Städte nachts beleuchtet wurden, als würden anständige Bürger*innen nicht sowieso schlafen, lauerte die Gefahr unsichtbar im Sonnenlicht.

Vorfristige Sichtung

Das konnte seinerzeit gefährlich werden, denn das Ozonloch über der Arktis hatte nicht nur "eine  Rekordgröße erreicht" (Bild), nach Angaben der Weltmeteorologieorganisation (WMO) "driftete" aus auch noch nach Europa. 1985 über dem Südpol entdeckt, würde es eigentlich erst neun Jahre später von den Forschern des deutschen Alfred-Wegener-Institutes erstmals auch über dem Nordpol gesichtet werden. Nun aber war es schon mal da und es brachte erhöhte Sonnenbrandgefahr, denn die Ozonschicht über der Arktis war "so dünn wie nie zuvor".

Was für ein Rückschlag. Der ganz spezielle Teil der Stratosphäre in 15 bis 50 Kilometern Höhe war in den 80er Jahren durch den Siegeszug der Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) schon beinahe zerstört gewesen, ein weltweites Verbot der Verwendung als Kältemittel in Kühlschränken und als Treibgas für Spraydosen aber hatte ihn noch einmal knapp gerettet. Die Bedrohung schrumpfte in der Folge nicht nur in der dünnen Luft über der Antarktis, sondern auch in der Berichterstattung. Aus dem unerbittlich nahenden Untergang wurde medialer Alltag, allenfalls beinharte Ozonfans verfolgten die Wasserstandsmeldungen im Kleingedruckten: Mal war das Ende absehbar, mal war es das Ende des Ozonlochs.

Abgelöst von akuteren Bedrohungen

Neue, akutere und greifbarere Bedrohungen übernahmen. Das riesige Arktis-Ozonloch des Jahres 2011, das im April bereits Südskandinavien erreicht hatte und sich - lange vor den umfassenden Sanktionspaketen der EU- ostwärts nach Russland bewegte, es enttäuschte die Erwartungen. Statt in Richtung Mitteleuropa zu ziehen und im Mittelmeerraum Scharen an weißhäutigen Urlauber zu verbrennen, tauchte es kurz nach seiner Ersterwähnung ab. Und nie wieder auf, bis "Forschende vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt" (Deutschlandfunk) es schließlich neun Jahre später endlich zum allerersten Mal am nördlichen Ereignisort beobachten konnten.

UV-Strahlung, wie sie bei der vorhergehenden Ersterwähnung drohte, empfindlichen Menschen "binnen weniger Minuten Sonnenbrand" (Bild) zu bescheren, gab es diesmal nicht. Deshalb blieb die Hiobsbotschaft aus der Arktis auch nicht im kollektiven Gedächtnis hängen. Dort ist die ganze Angelegenheit im Archiv abgelegt. Die Ozonlöcher kommen, aber sie gehen auch wieder, wenigstens, wenn nicht wie jetzt der Klimawandel als Aufreißer in Aktion tritt und alles Erreichte zunichtezumachen versucht. Irgendwann sind sie dann zugedübelt, jedenfalls bald und wenn nicht wieder was dazwischenkommt.

Sonntag, 27. August 2023

Grün: Warum uns das Fürchterliche so fasziniert

Grüne Magie ist ein Füllhorn, das nie leer wird.

Es ist eine Farbe von gewaltiger Magie, ein Zauberton, der in den unterschiedlichsten Facetten schillert, aber immer dieselbe Wirkung entfaltet. Wo es Grün schimmert, setzt der Verstand aus, das Herz übernimmt, dieser einsame Jäger nach romantischer Wunscherfüllung aus dem Nichts. Der Mensch, zumal in Nordeuropa, ist geprägt von Jahrtausenden im Wald. Dort, wo es grün ist, fühlt er sich geborgen, daheim und zuhause. Kein Unheil kann ihm angetan werden, so lange da Laub über ihm grün glänzt, die Sonne grün getönt durch Laubwerk fällt und ihm versprochen wird, auch die Zukunft, so ungewiss sie auch aussehe, werde eines auf jeden Fall sein. Grün.  

Opus Magnum aus Thüringen

Als Biograf der früheren Kanzlerin hat sich der junge Thüringer Autor Wenzel Heisebrink, Sohn eines Pfarrers und einer Edeka-Verkäuferin, schon vor Jahren einen Namen gemacht. Sein Polit-Thriller "Die Iden des Merz" gilt in den Annalen der deutschen Biografieliteratur als Brückenschalag zwischen "Borgen" und "House of Cards", war für den früheren Wahlhelfer bei einer grünen Landtagswahl-Kampagne jedoch nur ein Trittbrett hinauf zu einer größeren und umfassenderen Aufgabe. Mit "Das Grünbuch“ legt der inzwischen 35-Jährige, der hauptberuflich noch immer als Kühlwagenfahrer bei einer internationalen Spedition in Gotha arbeitet, sein opus magnum vor: 1076 Seiten über die Farbe Grün, anspielungsreich gefüllt mit Querverweisen, Zitaten und großen grünen Namen, angefangen beim sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz bis hin zu Cem Özdemir, Claudia Roth und Wladimir Putin. 

Wenzel Heisebrink ist selbst überzeugt, dass er sich sein neues Thema nicht ausgesucht, sondern von diesem erwählt worden sei. "Grün hat die Menschheit seit jeher fasziniert", sagt er, "diese Farbe symbolisiert und zelebriert wie keine andere das Leben, den Neubeginn und das Wachstum: ob Blattgrün, grüne Hoffnung, leuchtende Smaragde, grüne Patina, grün hinter den Ohren, British Racing Green oder Kermit der Frosch". Ohne Chlorophyll kein Pflanzen, ohne Pflanzen kein Leben, ohne Leben keine Menschen. "Aus heutiger Sicht mag das vielen bedauernswert erscheinen", versetzt Heisebrink, "aber dieses Bedauern ist ja überhaupt nur denkbar durch den Umstand, dass es soweit gekommen ist."

Eine Fahrt ins Grüne

Für Wenzel Heisebrink war seine Fahrt ins Grüne eine Reise in die Geschichte, aber auch zu sich selbst. Sein Grünbuch, Untertitel "Die Farbe der Zeit", ist eine faszinierende Sammlung verschiedenster Verknüpfungen und Kuriositäten rund um die Farbe Grün als reich bebildertes Liebhaberstück. Der ehemalige Wahlhelfer kommt nie zu Wort, dafür aber der begnadete Formulierungskünstler, der seine Rechercheergebnisse in ein zauberhaftes Sammelsurium aus spannenden Erkenntnissen verwandelt. Wer weiß heute schon noch von der jahrtausendealten Faszination der alten Ägypter für die Farbe Grün? Wer kennt noch den Ursprung des Begriffes "grüner Junge", der beim ersten Bundesparteitag der Alternativen Liste in Gummersbach entstand, als ältere Delegierte die jüngeren Parteimitglieder so bezeichneten?

Es ist ein umfassendes Bild tief aus den grünen Dschungeln der Vorzeit bis hin zu aktuellen Themen wie Nachhaltigkeit und grüne Politik. Heisebrink, der auch ein leidlicher Maler und Zeichner ist, hat  atemberaubenden Bilderwelten geschaffen, um sein Anliegen deutlich zu machen und möglichst viele Menschen einzuladen auf seine Reise durch Biologie, Politik, Religion, Kunst, Sport bis hin zur Literatur. Das "Grünbuch", augenzwinkernd in Anspielung am Muammar Gaddhafis berühmtes "kleines grünes Buch so genannt, ist eine wahre Augenfreude und ein Genuss für Augen und Hirn. 

Männer in grünen Kitteln

Wer sich immer gefragt hat, warum tragen Ärzte grüne Kittel tragen, grüne Politiker aber Turnschuhe, was der veraltete Begriff "Grüne Witwe" bedeutet, wieso die "grüne Minna" nicht mehr kommt, aber Menschen trotz Artensterben immer noch über den grünen Klee gelobt werden, der wird hier fündig. Selbst im Ausland findet Heisebrink Anflüge derselben  Faszination für alles Grüne, etwa bei der „Greenfee“ auf dem Golfplatz, die sogar ein zerstörerischer Charakter wie Donald Trump akzeptieren muss. In 15 Kategorien unterteilt und mit hochwertigen Fotografien und Bildern illustriert lässt der Band seine Leser*innen in eine facettenreiche und faszinierende Farbwelt eintauchen und zeigt auf, wie die Farbe Grün in den verschiedensten Lebensbereichen Einzug gefunden hat.

Jahrgedächtnis Steuerlüge: Immer im nächsten Jahr

Eine FDP-Initiative, die verpufft ist.

Und schon ist er vorüber, der erste Jahrestag des historischen Moments, an dem Bundesfinanzminister Christian Lindner damals eine Steuersenkung für Geringverdiener in Aussicht stellte. Es war der Sommer 2022, an allen Warenfronten kletterten die Preise beängstigend, kein Tag verging, an dem im politischen Berlin nicht Durchhalteparolen gereicht wurden, gewürzt mit allerlei Hilfsversprechen. In Brüssel zog die Gleitgeldklausel, das Heer der emsigen EU-Beamten freuten sich über Gehaltserhöhungen im Gleichschritt mit der grassierenden Inflation. In Deutschland sparten sich die Menschen reich, immer entlang der guten Ratschläge der Spitzenpolitik: Nicht Duschen. Nicht Heizen. Licht aus. Den Mut nicht sinken lassen. Das wird schon.

Die Steuersenkung "im kommenden Jahr"

Der liberale Bundesfinanzminister aber spürte, dass die Stimmung noch viel schlimmer war als die Lage. Kaum jemand wollte sich vom Versprechen des Bundesklimawirtschaftsministers trösten lassen, Fachbeamte zur Heizungsentlüftung in alle Haushalte schicken zu wollen. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Auszahlung der Milliardeneinnahmen aus der neuen CO2-Steuer als "Klimageld", "Klimagehalt" oder "Klimaprämie" an alle Bürgerinnen und Bürger scheiterte, weil die drei Regierungsparteien in der Sache einig, bei der Entscheidung über den Namen aber schwer zerstritten waren. Der Kanzler ging auf Reisen, sein Finanzminister nutzte den Moment: Er plane eine Steuersenkung im kommenden Jahr, verkündete Lindner. Damit würden Geringverdiener entlastet werden – aber auch die "arbeitende Mitte". 

Diesmal würde es etwas Großes werden, ein Bierdeckel-Moment quasi. Nicht mehr nur herumdoktern am Grundfreibetrag, nicht mehr nur ein paar Cent zurückgeben von den dicken Eurobeträgen, die Vater Staat allein durch die gestiegenen Preise tagtäglich einstrich. Diesmal, so Lindner, gehe es der sogenannten kalten Progression endlich richtig an den Kragen. Bei dieser schleichenden Steuererhöhung, die höhere Gehälter, die durch Geldentwertung höher besteuert, so dass der, der mehr verdient, sich anschließend noch weniger leisten kann, handelt es sich um eine zentrales versprechen aller Bundesregierungen: Immer wird sie demnächst bekämpft. Immer kommt etwas dazwischen.

Mal zu wenig Geld, mal fehlt es überall

Mal ist zu wenig Geld da, mal braucht der Staat einfach mehr. Nach Schätzungen der Bundesbank aus jenem Sommer 22, in dem Lindner mit dem Thema punktete, lag das Volumen der Mehreinnahmen durch diesen kleinen, für den kleinen Mann kaum zu bemerkenden Effekt bei 13,5 Milliarden Euro. 160 Euro pro Einwohner, 350 pro Steuerzahler. 

Nichts, was dem Einzelnen hilft, wenn er es behalten dürfte, befanden die Grünen. Vielmehr wäre "ein Abbau der kalten Progression sozial ungerecht und darüber hinaus teuer für den Haushalt, denn das würde hohen Einkommen deutlich mehr als kleinen und mittleren Einkommen helfen". Die SPD wartete auf die Rückkehr des Kanzler, der aber schwieg, so dass SPD-Chefin Saskia Esken anmerken musste, dass die Krise weiter andauere und ein starker Staat jetzt gerade nicht auf zufällige Übergewinne verzichten könne. 

Die Parteipresse assistierte. Es passt jetzt gerade nicht. Christian Lindner parierte. Man einigte sich auf die üblichen Centbeträge und vereinbarte im übrigen Stillschweigen. Nur gerecht, denn so kam zwar keine Entlastung bei den Geringverdienern, Rentnern und Soloselbständigen, an, aber dafür hatten auch die Reste des Mittelstandes und die Reichen nichts zu feiern. Die große Steuersenkung kommt nun sicherlich wie stets im kommenden Jahr, zumindest eine Ankündigung sollte es aber geben.

Samstag, 26. August 2023

Zitate zur Zeit: In Rüppurr ist die Luft ein großer Haufen

Wenn es sein muss, sprechen die Politiker mit dem Maul. Alle vier Jahre sind in diesem Land Wahlen. Alle vier Jahre also werden die Dörfer aktuell.

In Rüppurr ist die Luft ein großer Haufen. Kiesinger lässt sich mit einem Jagdhund fotografieren. Er bedankt sich und streut Resolutionen über das Getreide. 

Wolf Wondratschek, 1969

Leben als letzte Generation: So radikal wird die Transformation

Wenn nur die Besten verzichten, reicht es nicht. Also müssen die Besten alle anderen mitnehmen.

Sie reden, sie zetern, sie kleben, sie blockieren und jammer, haben Angst und Sitz und Stimme in allen Talkshows. Nie reicht, was sie bekommen, nie ist es genug mit den "Maßnahmen" und Regeln, die das Klima retten sollen, jetzt und gleich. Helge Peukert, Professor für Staats- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität in Siegen, hat im Frühjahr detailliert herausgearbeitet, wo Ende Gelände wäre für die Letzte Generation: Wie muss eine Gesellschaft aussehen, die so lebt, dass es dem Klimagott gefällt? Was können sich die Menschen noch an Leben leisten, die zur Einsicht gekommen sind, dass es so wie bisher nicht weitergeht? 

Postwachstum als Predigt

Peukert, Mitglied der sanft entschlafenen antikalitalistischen Attac-Bewegung, Postwachstumsprediger  und Anhänger eines neuen Währungssystems, in dem die Zentralbanken die alleine Macht zur Geldschöpfung haben, kommt zu klaren und harten Einsichten, die befolgt werden müssen, um, wie er schreibt, "die thermophysikalische Bedrohung der Menschheit abzuwenden". Was selbsternannte Klima-Vorkämpfer wie die "Letzte Generation", Fridays for Future, Extinction Rebellion oder die einzig wahren Wissenschaftler der "Scientist Rebellion" an Forderungen aufmachen, sei viel zu lasch, zu sanft und zu windelweich. 

Letztlich könnten weder Neun-Ticket noch Tempolimit, weder Kohleausstieg noch Heizungsverbot den Untergang aufhalten. "Es fehlt ein radikaler Vorschlagskatalog als Richtungsanzeige", schreibt Peukert. Nur Blockaden, Moral und naiv wirkende Appelle an die Bundesregierung könnten ansonsten womöglich zu einem baldigen Scheitern der Klimaproteste führen.

Der große Plan

In der Monatszeitung "OXI – Wirtschaft anders denken" lässt Peukert keine Zweifel daran, was für eine Art System ihm vorschwebt, um das höhere Ziel der Weltenrettung zu erreichen. Keins mit laschen Gesellschaftsräten, die, "sollten sie tatsächlich die Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung wiedergeben, derzeit für das Weiterlaufen der Atomkraftwerke einträten". Nein, angesichts des "weitestgehend aufgebrauchten Emissionsrestbudgets und des Artenschwundes von weltweit hundert Millionen Arten bis Ende dieses Jahrhunderts – über 30.000 Arten allein in Deutschland" brauche es eine "Klimanotstandspolitik". 

Helge Peukert macht Schluss mit der Illusion, es könne anders gehen als knallhart. Wie Richard Parncutt von der Karl-Franzens-Universität Graz, der vor Jahren schon die Todesstrafe für Klimaleugner forderte, will Peukert keine wolkigen Debatten um qualitatives oder grünes Wachstum mehr, kein Heizungstauschgesäusel, keinen Umstieg auf "grünen Wasserstoff" oder den Einstieg in die große Lastenradökonomie. Sein Plan ist radikal, aber kompromisslos: In einer kurzen Frist brauche es erstens einer weltweiten Halbierung des Primär- und Endenergieverbrauchs, zweitens einer Reduzierung der Stoffströme um 90 Prozent  und drittens eines absoluten Endes des Flächenverbrauchs in den nächsten fünf Jahren. Dazu müsse den Menschen da draußen offen gesagt werden, dass alle diese Ziele auf dem heutigen Produktions- und Konsumniveau selbst durch eine vollständige Umstellung auf Grünstrom sicher nicht erreichbar seien.

Ökomoderne am Ende

Damit ist der ökomodernistische Traum ausgeträumt. Helge Peukert, ordentlich bestallter Professor an einer deutschen Lehreinrichtung, erhebt die Stimme für ein schnelles Ende des demokratischen Systems, ein Ende der verfassungsgemäßen Ordnung und ein Ende der Gewaltenteilung. "Nach jahrzehntelanger Verschleppung bedarf es sofort der Einführung von Notstandsgesetzen", schriebt er in seinem Manifest zur Errichtung einer Öko-Diktatur, denn "wenn es so weitergeht" werde eine Verschärfung der Klimakatastrophe bis zu sechs Grad Erderwärmung in Deutschland bringen. Was dann sowieso "zu einem Außerkraftsetzen der Demokratie über längere Zeiträume" führe - die Lage der Demokratie in heißen Staaten wie Mexiko, Marokko oder dem Senegal lässt daran keinen Zweifel.

Warum also kein Selbstmord aus Angst vor dem Tod? Rechtzeitig? "Was wir bräuchten, wäre eine Eine-Welt-Überlebensparteienallianz unter Ausklammerung des üblichen kleinkarierten Parteiengezänks, idealerweise unter Einschluss der EU, Chinas, den USA, Japans, Russlands und Indiens." Eine Weltpartei am besten und nur "weil dies derzeit unrealistisch ist, wäre eine solche Notstandsregierung vorerst auch erst einmal auf nationaler und dann europäischer Ebene anzustreben". Politische Ziele hätte diese Truppe aus engagierten Menschheitsschützern keine, sie träte ausschließlich "zur Umsetzung der erwähnten drei wissenschaftlich abgeleiteten Primärziele an - Halbierung des Energieverbrauchs, Reduzierung der Stoffströme und Ende des Flächenverbrauchs." 

Das postdemokratische Klimaregime

Als kleine Borte drumherum gäbe es in diesem postdemokratischen Klimaregime von der Letzten Generation "organisierte Gesellschaftsratsgespräche als Weiterentwicklung ihrer Rekrutierungsveranstaltungen stattfinden, um mit der Zivilgesellschaft, aber auch Politiker:innen und Wissenschaftler:innen den vorläufigen Panoramaaufriss zu diskutieren und ihn auch in Interviews, Talkshows und auf der Website offensiv einzubringen". Wer nicht hören will, wird fühlen. Wer nicht mitmacht, muss dann müssen. 

Im Einzelnen sieht der Peukert-Plan folgende Schritte vor:

Klima: Den EU-Emissionshandel sieht Peukert als gescheitert an. Er wäre vor 30 Jahren ein effizientes Instrument gewesen, bei einem Notstandsprogramm kann er nur sehr begrenzt lenkend wirken, heißt es. Stattdessen müsse mit den Öl-, Kohle- und Gasförderländern unter der Regierung der neuen Klimadiktatur ein Superkartellvertrag geschlossen werden, demgemäß unter Wahrung der Interessen dieser Länder die fossilen Ressourcen im Boden bleiben. Deutschland würde also für jede Tonne Kohle, jeden Liter Öl und jeden Kubikmeter Gas zahlen, den es nicht kauft. 

Dadurch werde es möglich, die Treibhausgase in der EU bis 2035 linear auf netto Null zu senken, unter Anrechnung der Bindung von CO2 durch Wälder usw. Jede weitere Verwendung von Palmöl und sonstigen durch Entwaldung hergestellten Produkten werde sofort verboten; überall sollten Bäume neu angepflanzt werden, auch bei nur geringen Senkeneffekten. Entwaldung hingegen werde ebenso verboten wie jeder Holzeinschlag sowie alle Aktivitäten, die organischen Zerfall verursachen – Feldfrüchte und Gartenabfälle verbrennen, Lager- und Grillfeuer usw. Das noch vorhandene Militär sei "weitestmöglich zu reduzieren". 

Verkehr: 100 km/Höchstgeschwindigkeit und 9-Euro-Ticket könnten nur der "sofortige Einstieg" in den Ausstieg aus der Mobilität sein. Weitergehend würden alle fossilen Individual-Transportmittel zunächst eingeschränkt und dann "so schnell wie möglich überflüssig gemacht". Der private Benzin- und Dieselverbrauch liege zukünftig bei 500 Liter pro Person/Jahr; er sei als nicht übertragbar zu gestalten müsse in den nächsten fünf Jahren auf 0 reduziert werden. Dafür werde der öffentliche Nah- und Fernverkehr kostenfrei, der Rad- und Schienenverkehr hätten absoluten Vorrang. Um die Motivation der Betroffenen zu stärken erfolge die Verkehrsberuhigung auch durch den Abbau von Straßen/Autobahnen. 

Vorgegeben werde vom herrschenden Klimarat, dass die Frachtschifffahrt und der Straßengüterfernverkehr jährlich um 20 Prozent sinken müssten, bis auf 90 Prozent Reduktion im Vergleich zu 2023 erreicht seien.; Kreuzfahrtschiffe und Niedrigpreis-Fluglinien sind wie alle Flüge unter 1000 km und über 3000 km sofort zu verbieten; Business- und First-Class entfallen unmittelbar. In der Übergangszeit gewähre die Klimaregierung den Bürgerinnen und Bürgern "das Recht auf einen Hin- und Rückflug/Jahr", nach fünf Jahren sinke die Zuweisung auf einen Flug aller drei Jahre. Auch dieses das Recht sei nicht übertragbar. Sobald als möglich folge dann die Schließung der meisten Flughäfen. Eine kleine Hintertür: "Forschungen in alternative Formen des Fliegens und Antriebssysteme können subventioniert werden."

Verteilung/Soziales/gesellschaftlicher Zusammenhalt/Kommunikation: Da nicht alle Menschen an alternativen Formen des Fliegens forschen und damit von staatlichen Fördermitteln leben können, sei ein bedingtes Grundeinkommen einzuführen. Vollbeschäftigung werde durch "einen dritten, öffentlichen Sektor mit sozial-ökologischen Arbeitsplätzen" gewährleistet. Dabei liege das Maximaleinkommen im Klimaland beim Zehnfachen des Mindestlohns. Möglichst hohe Vermögens- und Erbschaftssteuern und eine Deckelung des maximal noch zulässigen Vermögens ermögliche es,  die hier und da erwartbaren finanziellen Umstellungslasten besser zu verteilen.

CO2-Steuer: Zentrale Innovation ist eine neue CO2-Steuer. Wer mehr als zwei Tonnen verursache, zahle für Prozent des persönlichen Jahreseinkommens pro mehr verbrauchter Tonne. Abgeschafft werde das System der Krankenversicherung. Künftig gebe es nur noch öffentliche Krankenversicherung, bei der Beitragszahlung entfalle die Beitragsbemessungsgrenze. Sorge- und Pflegearbeit seien zu entkommerzialisieren, angesichts dadurch zu erwartende geringerer Einnahmen für das Pflegepersonal werde ein verpflichtender sozialer Dienst "für alle Bürger:innen" eingeführt, die sich zu festen Dienstzeiten als "Mitsorgearbeitende"  in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen einfinden müssen. 

Kommunikation/Forschung: Der Wildwuchs i Internet hat zu einer Informationsübersättigung geführt, die mit mangelnder staatlicher Informationskontrolle einhergeht. Deshalb plädiert Helge Peuker für die Einrichtung einer vom Staat (ARD? ZDF?) betriebenen unabhängige Online-Suchmaschine, die eingebettet in ein sicheres Internet zu einer "drastischen Einschränkung der Handlungsfreiheit der IT-Konzerne des Überwachungskapitalismus" führe. geführt werde das von einer noch zu gründenden staatseigenen "Kommunikationsorganisation", die Maßnahmen erdenkt, die "zur Einsicht in Veränderungen und Notwendigkeit radikaler Maßnahmen" bei den Betroffenen führen. Zentrales Moment der künftigen Forschungslandschaft ist die sofortige Einrichtung eines Sondervermögens zur Einrichtung von Forschungseinrichtungen, deren Arbeit ausgerichtet ist auf eine neuartige "Überlebenswissenschaft" (Peukert), die die wachstumsfixierten Wirtschaftswissenschaften ablöst. 

Wohnen: Alle Neubauaktivitäten sind umgehend. Es erfolgt eine Umverteilung der vorhandenen Einwohner auf den vorhandenen Wohnraum. Jedem Inländer steht nur noch so viel Energie zu, wie für 45 Quadratmeter bei 20 Grad zum Heizen benötigt wird. Möglicherweise Bau von Neubauten nur als Null-Emissionshäuser, aber: Ohne weitere Versiegelung von Freiflächen und Ansiedlungen auf der grünen Wiese.

EE-Sanierung mit Wärmepumpen auch beim Altbestand, unabhängig von der Effizienz.  Förderung auch kleiner Solarpanele auf Balkons, vor allem aber Baus von Solarparks und Windrädern durch Bürgergenossenschaften. Waschmaschinen, Smartphones, Radios und Fernseher müssen A+++ entsprechen und eine Mindestzahl an Nutzern aufweisen - keine individuellen Geräte mehr, sondern Nutzergemeinschaften, die auch für Rasenmäher, Computer und Musikinstrumente zu gründen sind. 

Der Müll von Privathaushalten darf nach Einführung des Notstandsregimes noch höchsten zehn Prozent des Vorjahreswertes vor Einführung des Notstandsprogramms betragen; die Höchsttemperatur in Gebäuden ist auf 20 Grad festzulegen. Firmen Haushalte und Gebäude müssen ihre Emissionen um 12 Prozent jährlich reduzieren, das Ziel liegt bei 70 Prozent in zehn Jahren, wer es nicht einhält, verliert Privilegien wie die eigenen 45 Quadratmeter, Zugang zu Fernsehgemeinschaften und muss Doppelschichten in der Mitsorgearbeit leisten. 

Arbeit/Wirtschaft/Industrie: Angesichts der zeitlichen Dringlichkeit kann nicht mehr auf Preissignale zur Korrektur gesellschaftlicher Fehlstellungen gesetzt werden. Das Scheitern aller früherer Planwirtschaftssysteme darf nicht davon abhalten, einen erneuten versuch zu wagen: Der Klimanotstand erfordert eine starke gesamtwirtschaftliche Rahmenplanung, aus der hervorgeht, welcher Konsum angesichts welcher Produktionsinputs noch möglich sein wird, um dann - in den handverlesenen Gesellschaftsräten - möglichst demokratisch über den gewünschten Mix zu entscheiden.

Über allem steht die Notwendigkeit, bei durch die Fachkräftemigration weiterhin wachsender Bevölkerung strikt um die nötigen 90 Prozent zu schrumpfen. Damit sind folgende Produktionsbereiche weitgehend rückzubauen: Fossilenergieunternehmen, Zementhersteller, forstwirtschaftliche Betriebe, Automobilhersteller, Flug- und Schiffsgesellschaften, Chemieunternehmen, Düngemittelhersteller, Metallhersteller und der Finanzsektor. 

Für alle anderen Wirtschaftsbereiche gilt eine umfassende Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung aller Arbeitsplätze, Mitarbeiter werden regelmäßig auf ihre Einstellung zu den neuen großen Aufgaben überprüft und Umschulungen unterzogen. Es erfolgt eine allgemeine Arbeitszeitreduktion auf maximal 25 Stunden in der Woche; bis 25.000 Euro Einnahmen sind keine Steuern mehr zu zahlen, danach müssen sie linear ansteigen, um Arbeit unattraktiver zu machen. Die Mehrwertsteuer- derzeit mit rund 300 Milliarden Euro Haupteinnahmequelle des Staates -  entfällt, stattdessen wird eine CO2-Besteuerung auf Herstellung und Kauf von Produkten erhoben, die den künftig Hauptanteil der Steuererträge ausmachen soll. Dazu wird eine neue Bundesbehörde gegründet, die für jedes planwirtschaftlich hergestellte Produkt dessen Öko-Bilanz ausrechnet und einen individuellen Steuersatz festlegt.

Strafsteuern auf Internetkäufe: Um die Onlinewirtschaft abzuwürgen, wird eine neue Steuer in Höhe von 25 Prozent auf Onlinekäufe eingeführt. Je nach Produkt beträgt der Steuersatz für Neuwaren damit zwischen 20 und 70 Prozent. Weitere Leitplanken der neuen Konsumgesellschaft: Alle Einwegprodukte sind zu verbieten, auch Becher, Flaschen, Plastikfolien und sonstige nichtentsorgbare Verpackungen; alles andere ist von Bürgerinnen und Bürgern zu sammeln und muss am Ursprungsort zurückgegeben werden. 

Die Bewegungsgesellschaft: Alle nichtessenziellen Maschinen werden verbieten: Fahrstühle, Rolltreppen, Brotschneidemaschinen, Leuchtreklame und Aufzüge, letztere bleiben in Betrieb, dürfen aber nur mit Berechtigungskarten durch Behinderte benutzt werden, sofern der zum  Antrieb benötigte Strom aus Erneuerbaren Energien kommt. Der Nachweis ist vom Betreiber bei einer neuen Bundesaufzugskontrollbehörde (BAKB) monatlich vorab einzureichen. 

Reklame: In der Post-Wachstumsgesellschaft verliert Werbung ihren Sinn, sie ist schädlich und kontraproduktiv. Werbedisplays an Straßen entfallen, Schaufenster werden nachts nicht beleuchtet. Werbeagenturen können sich um Klimaaufträge der Notstandsbehörden bewerben, alle übrigen werden aufgelöst und die Mitarbeitenden in die Mitsorgearbeitskolonnen integriert. 

Eine weitere Aufgabe ist die Schaffung einer Bundeszentralbehörde zur Regulierung des Produktdesigns mit dem Ziel der Maximierung der Lebensdauer: Nicht wiederverwendbare Produkte dürfen noch drei Jahre genutzt werden, müssen dann aber bei Bundessammelzentren abgegeben werden. Herstellern komplexer Produkte (Autos, Handys) ist vorzuschreiben, diese am Produktionsende zu zerlegen und alle Rohstoffe zu entnehmen, unabhängig von den Kosten. Das Privateigentum an Wasser, Land und natürlichen Ressourcen (Holz) muss sehr stark eingeschränkt und reguliert werden, die Erbpacht löst das  Privateigentum an Grund und Boden ab, nachdem der Notstandsstaat entschädigungslos in die Rechte und Pflichten aller bisherigen Eigentümer eingetreten ist. 

Ernährung/Landwirtschaft: Prinzipiell sind regional anbaubare Produkte zu bevorzugen, diese Schwerpunktsetzung ist durch einen weitgehenden Importstopp von Lebensmitteln zu unterstützen.  Die Einfuhr von Lebensmitteln mit hohem CO2-Fußabdruck ist sofort komplett einzustellen. Vertrieb und Konsum der verbleibenden Reste etwa an Südfrüchten erfolgen über ein Punktebezugssystem, um eine gesicherte Basisversorgung und Gleichverteilung der Bevölkerung angesichts der vorzunehmenden Begrenzungen insbesondere in der Übergangsphase zu erreichen. Um Bilder zu verhindern, die den Vorbildcharakter der Umbaugesellschaft im weltweiten Maßstab beschädigen würden, ist ein bundesweites Verbot des Schlangestehens etwa nach Bananen und Orangen zu erlassen.

Die Vernichtung von Lebensmitteln ist verboten, nicht benötigte oder verdorbene Speisen sind abzugeben und/oder kostenlos zu verteilen. Es erfolgt kein Fleisch- und Wurstwaren-Verzehr mehr, in der Übergangszeit ist eine geringe, maximale Fleischquote pro Kopf denkbar. Die Massentierhaltung ist zu verbieten, erlaubt sind nur noch so viele Kühe, wie Wiese für die Gülle beim Halter vor Ort vorhanden ist (Übergangszeit bis zum Eintritt in das vegane Zeitalter).

Die Emissionen in der Landwirtschaft sind um 12 Prozent jährlich zu reduzieren (70 Prozent in zehn Jahren), 2035 ist die Null zu erreichen. Umweltschädliche Düngemittel und Pestizide sind verboten; Fisch-Fangquoten unabhängig von der Nachfrage zwecks Erholung der Bestände neu festzulegen, der Beifang/Rückwurf ist zu senken, umweltschädliche Fischereimethoden sind untersagt, höhere Biodiversität ist vorgeschrieben. Mindestens 20 Prozent der Land- und Wasserfläche Deutschlands werden Ökozonen erklärt, in denen es keinen versiegelten Boden, keine Straßen und keine Ortschaften gibt (Initiative Holzweg). Langfristiges Ziel ist die Rückverdschungelung des gesamten Landes. 

Finanzsektor: Drastische Schrumpfung von Derivaten, Optionen und Futures, nur zugelassen, sofern sie zur Abdeckung von Risiken in der verbliebenen Restrealwirtschaft dienen. Ökosoziale Ausrichtung öffentlicher und privater Kreditvergabe; ein sicheres Bankensystem für Alltagstransaktionen wie Bewegungen auf Girokonten unter staatlicher Kontrolle. Mindesthaltedauer von Aktien, Anleihen, Währungen von einer Woche unter Aufsicht des Notstandskomitees und Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Beendigung privater Geldschöpfung zugunsten der alleinigen Geldschöpfung durch die öffentliche Hand, die den sozial-ökologisch-gerechten dritten Arbeitsmarkt durch Schenkgeld der Zentralbank ohne Zinsen und ohne Tilgung finanziert. Staatliche Größenbegrenzung der Restbanken auf 100 Milliarden und verpflichtende Auflagen an die Institute, rückzahlungsfreie Investitionen in die grüne Fundamentaltransformation wie etwa die Schaffung eines integrierten europäischen Bahnnetzes bis an die letzte Milchkanne zu finanzieren. Ziel: In sechs Stunden von Paris nach Athen.

Die frohe Botschaft des Helge Peukert: Die unerlässliche Entmaterialisierung führt zwangsläufig zu einer völligen Umwälzung der Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen, damit einhergeht der komplette Verlust von Wohlstand, Bequemlichkeit und Lebensgewohnheiten, wie sie Generationen von Längerhierlebenden aufgebaut haben.

Doch eine Postwachstumsökonomie entlastet und entschleunigt auch, sie schafft ein neues transzendentes Weltbild jenseits von individualegoistischem Konsum, Expansion und Geschwindigkeit. Wie die Aktivist:innen der LG selbstlos ihre Körper in die Waagschale für eine Rettung der Welt werfen, kann künftig jede/r Einzelne als handelnde Persönlichkeit und Repräsentant der Einsicht in die Notwendigkeit einer zukünftig radikal biosphärischen Lebensökonomie auftreten. Jeder Nicht-Konsument wird unter der Führung des Notstandskomitees zu einem Kämpfer gegen die voranschreitende Zerstörung des Planeten, selbst wer den Glauben an den Klimawandel und die Ziele der Transformation nicht teilt oder die Methoden zur Durchsetzung ablehnt, wird durch die umfassenden Maßnahmen zu einem sinnerfüllten, kreativen, solidarischen, schönen und glücklichen Leben gezwungen.

Später werden alle dankbar sein.

Professor Helge Peukert ist tatsächlich Wirtschafts- und Staatswissenschaftler. Er lehrte an der Universität Siegen und ist Experte für eine Post-autistische Ökonomie (Real World Economics). Sein Plan zur großen Transformation gilt als bislang umfassendste Arbeit zum Umbau der Gesellschaft nach den Kriterien der Notwendigkeit einer globalen Rettung vor dem Klimatod.