Sonntag, 31. Januar 2021

Zero-Covid-Pionier Restle: Solo-Sendung für den Seuchenschutz

Erste Solo-Sendung als Beitrag zur Zero-Covid-Strategie: "Monitor" aus dem Keller.

George Restle ist einer, der redet nicht nur, der handelt. Beispielhaft zumeist, geleitet von einer höheren Moral - und so auch dieses mal. Eine Woche nach dem vielbeachteten Aufruf der deutschen Linken, Deutschland doch einfach zum ersten Zero-Covid-Land im Weltall zu machen, indem alle Lebens- und Wirtschaftsbewegungen für drei, vier oder auch sieben Wochen komplett eingefroren werden, ist der Chef des Magazins "Monitor" vorbildlich vorangegangen: Georg Reste der Zero-Covid-Pionier!

Beispielhaftes Experiment

Ein gewagtes Experiment, das aber sein musste, wollte der engagierte Fernsehmann seinen Ruf als verlässliche Stimme in der gesellschaftlichen Debatte behalten. Nicht nur sagen, sondern tun, nicht nur Aufrufe unterschreiben, sondern für sich selbst die Konsequenzen ziehen, das war immer Restles Art. Der Mann vom Neckar, der schon seit Jahren für eine rot-rot-grüne Koalition im Bund kämpft,  steht für Prinzipien und klare Kante etwa gegen den neuen US-Präsidenten Joe Biden, der in "Monitor" noch vor seiner Vereidigung als finstere Gestalt im Dienst der Rüstungsindustrie enttarnt werden konnte.

Als Restle seine Stimme für die Zero-Covid-Initiative erhob, klang das wie Donnerhall im politischen Berlin. Und nun setzte die traditionsreiche WDR-Sendung auch noch auf praktische Konsequenzen: Zum ersten Mal seit Gründung der Sendung im Jahr 1965, damals noch von Claus Hinrich Casdorff geleitet, geht das in konservativen und rechtsextremen Kreisen oft kritisierte Magazin des WDR ab sofort als Solo-Sendung über in den Äther, allein hergestellt vom Multitalent Restle selbst. 

Lohnendes Wagnis

Ein unglaubliches Wagnis, denn zwar wurde die Sendezeit von "Monitor" im Gleichklang mit den schrumpfenden Einschaltquoten und den immer wieder wechselnden Sendeplätzen in der vergangenen Jahren immer weiter zusammengestrichen. Doch letztlich handelt es sich bei dem politischen Magazin doch um einen Bestandteil der sogenannten Grundversorgung, die dem Gemeinsinnfunk in der DNA steckt, weil sie sein Lebensrecht garantiert. was aber ist wichtiger? Überleben? Oder Überleben?

Georg Restles konsequente Umsetzung der Zero-Strategie im eigenen Haus bedeutete nichts weniger, als dass keine Technik-Crew zur Verfügung stand, kein Kameramann, keine Redaktion und keine fertigen Filme, die von Reportern in der Regel draußen im Land bei gequälten Arbeitnehmern, betrügerischen Unternehmern und verräterischen Politikern angefertigt werden. Für "Monitor" aber ist diese Situation aber vergleichsweise leicht zu bewältigen. Auch im normalen Betrieb sind Reporter der Sendung nicht unterwegs, um in der Realität zu recherchieren, sondern um sich von handverlesenen Adressen bestätigen zu lassen, dass ihre Arbeitsthese umfassend richtig sein könnte.

Unter dem eingängigen Motto "The aim is zero infections! For a European shutdown in solidarity" sendete Georg Restle nun allein aus dem Keller, ein Modell, das ausgerechnet der für seine Kontakte in die Rüstungsindustrie, seine Beteiligung an zahllosen Kriegen, Geheimdienstaktionen und gezielten Strafrechtsverschärfungen für people of color bekannte Joe Biden erfunden hat.

Einer für alles

Als Kameramann und Toningenieur, Kommentäter, sein eigener Interviewpartner und  Schnittmeister machte der langjährige Profi aus Köln allerdings gleich bei seiner Premiere einen bessere Figur als das US-Vorbild. Anfangs wackelte das Bild, zeitweilig fiel es auch mal aus, doch dann stabilisierte sich die Verbindung und  "Monitor" konnte wieder "unbequem sein, irritieren, provozieren, Hintergrund liefern, Diskussionen anstoßen, Themen setzen". Dass Restle auch den Strom für seine Sendung auf dem eigenen Dach gezogen hatte, wurde nicht breitgetreten, entspricht aber der Art und Weise, wie der 56-Jährige solche Dinge angeht.

Ganz oder gar nicht. Ein verwegenes Unternehmen, das aber eindrucksvoll zeigt, wie ernst Georg Restle seine eigenen Aufrufe zur Schließung aller Wirtschaftsbereiche überall in Europa bis zur Erreichung "niedriger Fallzahlen" (Initiative Zero Covid) nimmt. Zwar war im Aufruf, den den er als einer der ersten Unterzeichner unterschrieb, nur die Rede davon "gesellschaftlich nicht dringend erforderliche Bereiche der Wirtschaft" wie "Fabriken, Büros, Betriebe, Baustellen, Schulen" zu schließen und "die Arbeitspflicht auszusetzen". Doch damit die Menschen überall in der EU-Staatenfamilie mitmachen, braucht es viele gute Beispiele - und kein störrisches Weitersenden im Weiterso-Modus, wie es bisher von den Gemeinsinnsendern praktiziert wird.

Corona-Koma: Auf den Flügeln der Fantasie

Gebannt schaut die Welt in diesen Tagen nach Berlin: Was wird später in den Geschichtsbüchern stehen?


Manches versteht auch Angela Merkel noch immer nicht. Man war so gut, viel besser als alle anderen in der Bewältigung der Pandemie. Man hatte Schlagzeilen, die einem das bestätigten, Schlagzeilen sogar, die die Gründe dafür wussten und und haarklein analysierten, warum das so sein muss.  Man hatte auch vollkommen richtig entscheiden, dass die Schuklen offen bleiben und die Grenzen offenbleiben und leiber ein paar Menschen mehr sterben sollten als dass beim Impfen nationalistische Hektik ausbrechen würde. Und nun soll das alles nicht mehr richtig gewesen sein? Nur, weil pandemiemüde gewordene treue Beifallsklatscher wie Theo Kroll, Anne Will oder Dunja Hayali die Geduld verlieren und in wagemutige Volten von einer "entglittenen Situation", einem "Impfdesaster" und einem Staatsversagen sprechen?   

Historische Wunschwahrheiten

"Die europäische Zusammenarbeit hat sich gerade, und auch der europäische Zusammenhalt hat sich gerade in den letzten Monaten und gerade in der Pandemie als so wichtig erwiesen", hatte Angela Merkel ihren Regierungssprecher Steffen Seibert eben noch die historische Wahrheit verkünden lassen, wie sie nach den Wünschen der Kanzlerin eines Tages in den Geschichtsbüchern stehen wird. Bisher standen die Chancen darauf gut, denn Deutschland im Jahr der Pandemie, das war ein Land ohne Widerspruch. Was im informellen Corona-Kabinett beschlossen wurde, mochte in den Ländern jeweils unterschiedlich oder gar nicht umgesetzt worden sein. Doch wer am Sinn des Gesamtzusammenhangs der jeweils zu trockenen Sträußen gebundenen Maßnahmen zweifelte, landete potzblitz auf der Strafbank für Staatsfeinde, Superspreader, Trumpisten und Volksgefährder. 

Fast zwölf Monate klafften Anspruch und Wirklichkeit, Behauptung und Bewältigung der Krise so auseinander wie die Rockschöße von Kanzleramtsminister Helge Braun. Niemand kümmerte sich um Nichts, die Kanzlerin lenkte das Land aus der sicheren Distanz ihres Youtube-Kanals, der Finanzminister tröstete mit immer neuen Hilfspaketversprechungen und Fragen wurden umgehend mit dem Hinweis auf die schlimme, schlimme Lage in anderen Staaten beerdigt. Bergamo! Spanien! USA! Brasilien!

Die Sehnsucht nach Trost

Menschen in einer solchen Situation wollen glauben, denn sie sehnen sich nach Trost. Sie verlangen nach jemandem, der ihnen Dinge zuruft wie "Wir haben die Lage im Griff" (Armin Laschet) oder "Deutschland ist gut vorbereitet" (Jens Spahn) oder auch "Kein Arbeitsplatz wird wegen Corona verlorengehen" (Peter Altmaier). Auf den Flügeln der von außen angeregten Fantasie entfleucht der Bürger folgsam den Fesseln des Ausnahmezustandes. Es wird Weihnachten besser werden, darauf vertraut er sicher. Oder dann im neuen Jahr. Oder doch zu Ostern. Spätestens, wenn alle geimpft sind. Also am Ende des Sommers. Der Bürger, im Gemeinsinnfunk nun oft "Bürger*in genannt, schweigt, glaubt und hofft, dass das alles stimmen möge, was dort erzählt wird, wo, wie er doch annimmt, mehr gewusst wird als bei ihm daheim.

Aber das muss nicht sein. Spätestens als Deutschland die alte Walter-Ulbricht-Parole vom "Überholen ohne Einzuholen" umsetzte und die nach allgemeinem Bekunden aller deutschen Medien von Donald Trump so planlos und selbstmörderisch durch die Seuche geführten USA bei den Todeszahlen hinter sich ließ, tauchte selbst bei den treuesten Vermittlern der grundguten Pandemiestrategie der größten Koalition aller Zeiten ein erster Hauch von Zweifel auf. Und als sich die allergrößte Impfkampagne aller Zeiten als eher theoretisches Vorhaben entpuppte, das nicht einmal mit empörten "Haltet-den-Dieb"-Rufen wegzutarnen war, kippte der Tenor, der nahezu ein Jahr lang für konsensualen Gleichklang von "Spiegel" über SZ, Taz, Stern, FAZ bis zur Münsteraner "Glocke" und dem Schwäbischen Tageblatt gewesen war.

Im Spagat geplatzte Adduktoren

Im Spagat zwischen Realität und Berichterstattung waren da aber schon Adduktoren geplatzt und Muskelbündel gesprengt worden, dass nur noch wahre Gläubige wie der "Zeit"-Autor Mark Schieritz ("Die Stunde der Europäer") und die Stuttgarter Zeitung ("Der Erfolg von Angela Merkel") es wagten, zu zeigen, wie weit Satire wirklich gehen darf. Lachen konnte nun aber schon niemand mehr, nach den vielen Monaten des "Männer haltet aus, der Führer haut euch raus!" "Ich glaube fest daran, dass wir diese Aufgabe bestehen"ist nur noch wenig Glaube übrig und viel Misstrauen. Selbst der ARD-Deutschlandtrend, eigentlich ein verlässlicher Indikator für gewünschte Stimmungen, zeigt eine Unzufriedenheitsquote von 54 Prozent - und das am Anfang eines Superwahljahres.

Selbst Angela Merkel, die nach früheren Analysen all das vom Ende her gedacht haben wird, verliert angesichts solcher Umfragen die Nerven. "Wenn ich mal auspacke, was wir schon für Fehler gemacht haben", soll die gesagt haben, andeutend, dass alles noch viel viel schlimmer hätte kommen können. Und „warum können wir die Reisen nicht verbieten?“, soll sie gefragt haben, sie, die Grenzen immer für unkontrollierbar gehalten hat. Elf Monate Seuche reichten nun aber, auch die Bundeskanzlerin eine Pandemie-Binse zu lehren: Wer die Ausbreitung eines Virus in seiner Herde kontrollieren will, braucht zuallererst einen Zaun, über den ständig neue Schafe hinzuspringen.

Brandneue Erkenntnisse aus der Schafzucht

Dort, wo wieder und wieder über das Schicksal von 83 Millionen Menschen entschieden wird, ist diese Erkenntnis offenbar brandneu und eilig wird nun nach Möglichkeiten gesucht, die Lehren daraus zu ziehen. Könnte man nicht „den Flugverkehr so ausdünnen, dass man nirgendwo mehr hinkommt?“ Oder vielleicht doch besser ein "Impfstoffbeschleunigungsliefergesetz" oder sogar eine EU-Impfstofflieferungsbeschleunigungsverordnung (ISLBVO) auf den Weg bringen? Kann der Kampf gegen rechts noch einmal entscheidend helfen? Oder besser gleich widerborstige Pharmafirmen enteignen? Sollte man vielleicht noch einmal ein Hilfspaket für alle schnüren, dass jede Kritik am Krisenmanagement unter Giga-Tonnen von bedingungslosen Pandemieeinkommen für alle erstickt? 

Was, so fragt sich das politische Berlin in diesen Tagen mitten in der Mitte der "größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg" besorgt, vermag die schlimmste Seuchenfolge zu lindern: Die, dass einem niemand mehr über den Weg traut, weil nun jeder mitbekommen hat, dass es beim Regieren ist wie beim Führen jedes Schiffes: Den guten Kapitän erkennt man nur bei schlechtem Wetter.

Samstag, 30. Januar 2021

Zitate zur Zeit: Gefährliche Macht

Macht ist etwas sehr gefährliches. Sie zieht die Bösen an und verdirbt die Guten.

Ragnar Lothbrok

  

Spitze an der Spritze: Letzte Rettung Impf-Gipfel

Ein Gipfel ist sich stets selbst das allerschönste Ziel.
Erst kommt immer die Ankündigung, verbunden mit einem großen versprechen. Es folgt die Phase der Enttäuschung, das mühsam vermiedene Eingeständnis des Scheiterns, die späte Medienschelte, die unglückliche Umstände verantwortlich macht. Die Lage kann nun nur noch durch Kapitulation bereinigt werden - in längst vergangenen Zeiten trat jemand zurück, irgendetwas wurde zu einer sogenannten "Chefsache" und mit der umgehenden Einberufung eines "Gipfels" signalisierten die verbliebenen Verantwortungsträger, dass schließlich doch noch alles gut werden würde.

Ein Gipfel ist der Gipfel

Wer erinnert sich nicht gern und mit großem Wohlgefallen an Klimagipfel, Benzingipfel, Terrorgipfel und Gipfel zu EU-Staatschuldenkrise, an Steuergipfel, Arbeitsmarktgipfel und Digitalgipfel, Stromgipfel, Migrationsgipfel, Rentengipfel, Öko-Gipfel, Geheimdienstgipfel und all die EU-Gipfel, die Nato-Gipfel und die zuletzt alltäglichen Corona-Gipfel? Wie die legendären Zehn-Punkte-Pläne, die ein probates politisches Mittel sind, akute Fragen zu beantworten, indem sie unter großem Mediengetöse für immer in virtuelle Papierkörbe verschoben werden - vergleiche hier den vor zwei Jahren bereits zwölf Stunden nach Verkündigung still verstorbenen Zehn-Punkte-Plan der SPD für Ostdeutschland - ist der "Gipfel" ein magisches Mittel für und gegen alles. 

Klima heilen mit einem Croissant 

Gipfel können das Klima heilen und den Arbeitsmarkt, sie können das Geld der Europäer retten, aber auch Griechenland, sie vermögen es, Islamisten in die Schranken zu weisen, die Wirtschaft zustärken und ganze Heerscharen von europäischen Jungarbeitslosen im Handumdrehen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wenn sie nur getreulich "Beschäftigungsgipfel" genannt werden.  Auf Gipfeln, schweizerdeutsch ein Croissant, wird Geschichte gemacht, oft in hektischen nächtlichen Beratungen, manchmal gar mit angehaltener Uhr, aber, wenn Donald Trump nicht dabei ist, der alles kaputtmacht, immer mit herausragendem Erfolg. Gipfelprotokolle halten diesen vorab fest, Gipfelfotos zeigen die Triumphatoren der Nachtschlacht aufgeräumter Stimmung. Innerhalb eines Berges als Geländeform bilden die Gipfel die entsprechende Kleinform dazu. Innerhalb der Politik sind Gipfel einfach das höchste der Gefühle.

Auf einem Gipfel wird beraten, beschlossen, verabschiedet, verkündet und das Errungene später nie wieder erwähnt. Legendär geworden ist der Benzingipfel, auf dem die Bundesregierung vor zehn Jahren nach Wegen zur Steigerung der Nutzung des Dünnbenzins E10. Unmittelbar nach dem Gipfel lag der Verbrauch des klimarettenden Bioethanols in Deutschland bei 1,24 Millionen Tonnen im Jahr. Knappe zehn Jahre später war die Menge auf nur noch 1,16 Millionen Tonnen zurückgegangen. 

Signale vom Gipfelstieg

So bedeutend sind Gipfel - und so wichtig ist es nun, die deutsche Impfkatastrophe mit einem zünftigen Impfgipfel symbolisch auf höchster Ebene anzugehen, wenn sie schon nicht mehr abgewendet werden kann. Die Seilschaft, die sich zum geografisch-topographischen Endpunkt der Malaise aufmachen wird, besteht aus allem, was Rang und Namen hat Impfstoffkrieg. Neben der Bundeskanzlerin und den Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenzng sind "weitere Mitgliedern der Bundesregierung, die Regierungschefs der Länder und Vertreter der Impfstoffhersteller sowie der betreffenden Verbände" geladen, um auf Vorschlag von Bundesimpfminister Jens Spahn "über die Lage, die Ziele und das weitere Vorgehen" an der Vakzinfront zu beraten. „Sich informieren und abstimmen, um dann einheitlich zu agieren und kommunizieren: Das hilft immer“, erklärte der Minister. 

Womöglich gelingt es auch diesmal, mit einem neuen Zehn-Punkte-Plan für Beruhigung zu sorgen, und direkt vom Gipfelstieg Signale zu senden, dass alles gut werden wird, wenn nur der Glaube fest bleibt und das Vertrauen hoch.

Freitag, 29. Januar 2021

Nord Stream-Stopp: Nimm 2

Die Endmuffe von Nord Stream 1: Erste Stimmen fordern, nicht nur Nord Stream 2 zu stoppen, sondern auch Nord Stream 1 zurückzubauen.


Kurz vor der Fertigstellung des russischen Prestige-Projektes Nord Stream 2 mehren sich die Stimmen, die einen Stopp des Weiterbaus der unterseeischen Pipeline fordern. Nicht zuletzt das harte Vorgehen des Putin-Regimes gegen die Massenproteste etwa in Moskau, wo am Wochenende mehr 40.000 der elf Millionen Einwohner für den Regimekritiker Alexej Nawalny auf die Straße gegangen waren, ist in der gesamten EU auf harten Widerspruch gestoßen - es sei nun Zeit, auf die Ermahnungen aus den USA zu hören und Nord Stream 2 zu beenden, ehe die neue Erdgasleitung weitere hunderte Millionen Tonnen von schädlichem Klimagas in die EU transportiere, so die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock, die die Pipeline als „Prestigeobjekt des Kremls“ brandmarkte.

Wette gegen Europas Ziele

Das "fatale Projekt" (Baerbock) werde nicht gebraucht, es sei vielmehr eine "Wette gegen die europäischen Klimaziele", prangerte die grüne Vordenkerin an, die darauf verweist, dass die Gasleitung Europa in eine zu große Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen bringt und es den USA quasi unmöglich mache, ihr teureres Fracking-Gas in der EU abzusetzen.

Herbert Haase vom Klimawatch-Institut (CLW), das von der Bundesregierung im Zuge des Braunkohleausstieges in einer aufgelassenen Grube in der Nähe des dunkeldeutschen Grimma angesiedelt worden war, kritisiert die halbherzigen Forderungen der Grünen-Spitze allerdings mit Nachdruck. Es reiche längst nicht aus, wenn die Bundesregierung  Putins Prestige-Pipeline auf Wunsch von Joe Biden stoppe, um dem neuen US-Präsidenten eine Art Begrüßungsgeschenk zu machen, sagt der Forschungsleiter aus Sachsen, der zuletzt mit dem ehrgeizigen Projekt "Nullwatt für die Transformationsgesellschaft" Aufsehen erregt hatte. Nicht erst seit dem Mord an Nawalny sei Deutschland von russischem Klimagas abhängig. "Aus unserer Sicht als Klimaethiker kann Deutschland nur eine klare, die einzig mögliche Antwort geben - und die lautet: den Bau von Nord Stream 2 abbrechen und Nord Stream 1 zurückbauen."

Schweigen über Nord Stream 1

Haase legt damit den Finger in die Wunde der gesellschaftlichen Debatte, die sich seit Monaten in anhaltender Kritik am Bau von Nord Stream 2 übt, die Frage der Versorgung Deutschland mit Kremlgas über die existierende Pipeline Nord Stream 1 aber als blinden Fleck behandelt. Weder deutsche Gaskritiker wie Annalena Baerbock noch die in Polen und der Ukraine gegen Nord Stream 2 kämpfenden Regierungen haben sich bisher zu einem Stopp der in gemeinsamem Besitz der russischem Staatsfirma Gazprom und der EU-Firmen Wintershall, E.ON, Gasunie und Engie befindlichen ersten russischen Prestige-Pipeline geäußert.

Dabei war auch diese Leditung nie ein rein wirtschaftliches Projekt, wie es die Befürworter behaupten. Dass Russland durch die beiden Röhren in jedem Jahr knapp 60 Milliarden Kubikmeter klimaschädliches Gas in die EU pumpt, dient dem Zweck, Europa in Abhängigkeit zu halten. Jederzeit könnte Putin Europa destabilisieren, indem er den Gashahn zudreht. Herbert Haase mahnt denn auch, dass der Fokus auf Nord Stream 2 nicht die Bedeutung von Nord Stream 1 verwischen dürfe. "Schon mit dieser Pipeline hat der Kreml seinen Einfluss auf Deutschland und die gesamte EU erhöht, globalstrategisch hat Putin damit jederzeit die Möglichkeit, einen Keil in die Europäische Union zu treiben."

Teuer, aber unumgänglich

Zwar müsse man zugeben, dass es recht teuer werde, nicht nur Nord Stream 2 kurz vor dem Ziel zu beenden, sondern auch Nord Stream 1 stillzulegen. "Zumal es juristisch nicht einfach wird, einen Baustopp durchzusetzen und aus dem Lieferverträgen mit Russland auszusteigen.". Deutschlands Klimaziele aber und die wachsende Rolle der Bedeutung von Wind, Sonne und Elektroautos aber sollten Deutschland motivieren, der Welt ein klares Signal zu geben und die Notbremse zu ziehen." 

Aus Haases Sicht ist der Zeitpunkt günstig: "Kommt Joe Biden zu Besuch nach Deutschland, könnte man ihm das als Gastgeschenk überreichen." Die Bundesregierung könne die EU mit ins Boot holen und den Fehler vermeiden, der den Bau überhaupt erst ermöglicht hat: im Alleingang zu handeln. Künftig könnte Europa gemeinsam auf russisches Klimagift verzichten und stattdessen mit Wind und Sonne heizen.

Verbal-Versagen im Impfstoff-Krieg: Fragwürdige "Berechtigungsscheine" statt Bundesmaskenhilfe

Auf einmal sucht alle Welt wieder nach Berechtigungsscheinen.
Die Absicht der Wortwahl war erkennbar gut gemeint, die Umsetzung aber ist für manche Menschen leider missverständlich. Deswegen regt sich nun Kritik an der Verbalstrategie des Bundesgesundheitsministeriums im Kampf gegen die Corona-Pandemie: Das Bundesgesundheitsministerium hatte die Zugangsgenehmigungsvouchers für die überlebensnotwendigen FFP2-Masken, die an handverlesene ältere Bürgerinnen, Bürger und Risikopatienten verschickt werden, „Coupons“  genannt. Doch weil das Ministerium eine umfassende Bundessprachregelung verabsäumte, werden die lebensrettenden Zettel bei den Krankenkassen und in den Apotheken „Berechtigungsscheine“ genannt.  

Lebensrettende Zettel

Ein Begriff, der an unselige Zeiten erinnert, wie Rainald Schawidow im Gespräch mit PPQ.li entsetzt und ein bisschen auch enttäuscht anmerkt. Der Chef der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin gilt als Deutschlands führender Beschwichtigungssprachler, Schawidow, Sohn eines Sohn eines Bergmanns aus Ludwigslust und schon in jungen Jahren als Teilnehmer an FDJ-Poetenseminaren, wurde auch schon "Sprachlehrer der Nation". 

Umso schwerer wiegen die Bedenken, die der einst beim BWHF-Vorläufer VEB Kombinat Geschwätz ausgebildete Wortschmied gegen den erneuten Alleingang von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn äußert. "Das ist doch ein Begriff, den wir lange überwunden zu haben glaubten", sagt er. Dennoch werde "Berechtigungsschein" nun offiziell verwendet, so dass mancher sich an unselige Zeiten erinnert fühle.

Im symbolischen Titanenkampf

Schawidow, ausgebildeter Worthülsendreher und einst Vertrauter von Bundeskanzler Helmut Kohl,weiß genau, wovon er spricht. Mit "Rettungspaket", "Konjunkturspritze", "Abwrackprämie", "Schuldenbremse" und "Rettungsschirm"hat die BWHF der Spitzenpolitik mehr als einmal die Verbalwaffen in die Hand gegeben, um den symbolischen Titanenkampf des Staates gegen ominöse Bedrohungen zumindest in Talkshows und auf Wahlkampftribünen mit Nachdruck führen zu können. 

Sinnleere Substantivkompositionen wie "Energiewende",  "Mietpreisbremse", "Stromautobahn" oder "Wachstumspakt" gelten heute schon als Klassiker, die zum Teil monatelang frucht- und ergebnislose  Debatte prägten, damit aber immer Raum schufen, Tatsachen zu schaffen.

In der "Corona-Krise", einem ebenfalls recht erfolgreich eingeführten Synonym für die laufende Corona-Katastrophe, machte sich die Bundesworthülsenfabrik vor einem Jahr zum ersten Mal aus in Sachen Seuche verdient. Später - und nach einem Stilwechsel, der nun mehr auf englischsprachige Nebel-Nomen setzt - folgten „Lockdown“ und „Shutdown“ und "Wellenbrecher-Lockdown", aber auch traditionell geschmiedete Handarbeiten wie "Kontaktbeschränkung", "Corona-Leine", "Maskenpflicht" und AHA-Regel", die als Kernstück aller Überzeugungsarbeit auf die semantische Beschichtung der Wirklichkeit mit verbalem Schaum setzen.

Großzügige Maskengeschenke

Rainald Schawidow ist stolz auf diese Erfolge seines Teams. Aber er ist gerade deswegen auch erschüttert davon, "dass ein Gesundheitsminister meint, er könne Bundessprachregelungen nach eigenem Dafürhalten erlassen". Das Ergebnis sei in diesen Tagen ringsum zu betrachten: Die großzügige Geste der Bundesregierung, die für den Fall des Ausbruchs einer Pandemie auf dem Preispeak im Frühjahr vergangenen Jahres für Milliarden Euro eingekauften FFP2-Masken nun im Zuge eines hochkomplizierten Vergabeverfahrens an bedürfte Steuerzahler abzugeben, gerate ins Zwielicht der ontisch-ontologischen Differenz zwischen ermunternder Absicht und erschreckender Wirkung.

Spahns Masken-Manöver haben aus syntaktischer Sicht das Gegenteil des gerade mit Blick auf das anstehende Superwahljahr erwünschten Effektes erzielt, ist sich Deutschlands höchster Politiksprachberater sicher. Zwar geht der angesehene "Spiegel", seit dem ersten Tag der Pandemie ein verlässliches Sprachrohr der besten Seuchenpolitik der Welt, vorerst nur gegen die "Flucht aus der Verantwortung" vor, der sich Spahn beim Impfstoff schuldig mache. Doch Schawidow ist sicher, dass die verbalen Verfehlungen spätestens nach dem Ende der aktuellen Impfstoff-Kriege noch Thema werden werden.

Unselige Erinnerungen

"Berechtigungsscheine" hätten in der Geschichte vor allem diktatorische deutsche Regierungen ausgegeben, deren Handeln in Notzeiten von fragwürdiger Art gewesen sei. "Wir als BWHF hätten sicherlich geraten, positiv besetzte Begriffe zu verwenden." Von "Bundesmaskenhilfe" über "Bundespandemiestopppaket" bis "Solidaritätsschnutenschutz" sei in seinem Hause schon einiges in Vorbereitung gewesen. "Dann kam Herr Spahn mit seinen ,Coupons'", klagt Rainer Schawidow, "und nun sehen wir, wie bei Google Trends die Nachfrage nach „Berechtigungsschein“ nach oben springt".

Ein Rückfall in unselige Zeiten, in denen der Staat mit gnädig ausgereichten "Berechtigungsscheinen" wie Lebensmittelkarten und Bezugsrechten für Medikamente oder Kleidung rationierte, woran Mangel herrschte. "Es mag sein, dass auch heute wieder nur der Staat uns alle retten kann", sagt Schawidow, "aber er sollte das aus Sicht der Bundesworthülsenfabrik mit dem richtigen, verbal verantwortbaren Zungenschlag tun."

Donnerstag, 28. Januar 2021

Impfstoff-Krieg: Heiß auf verbotene Ware


Das Versprechen war vollmundig, das Versprechen war vermutlich sogar ernst gemeint.  Als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kurz vor Weihnachten klagte, es mit den europäischen Partnern sei nicht abgesprochen gewesen, dass die 101 Jahre alte Edith Kwoizalla aus Halberstadt schon am Samstag geimpft worden sei, weil doch der Sonntag als Starttermin für die gesamte Europäische Impfgemeinschaft festgezurrt worden war, verband der CDU-Hoffnungsträger mit der harschen Kritik am Sololauf in Dunkeldeutschland auch eine Zusicherung. Jetzt gehe es los, jetzt werde Deutschland "durchgeimpft" (DPA).

Und in der Tat: einen Tag später startete die größte Impfkampagne aller Zeiten bundesweit, zumindest in den Medien. Auf allen Kanälen wurde gespritzt, Rentner hier, Senioren da, dazwischen mal eine dankbare Schwester und ein tapferer Chefarzt. Die Bilder glichen sich, die Botschaft war unübersehbar. Glaubt an die rettende Kraft aus der Ampulle. Hilfe ist nahe. Bald ist der Alptraum vorüber.
 

Unsichtbar auf der Impfweltkarte


Die Zwischenbilanz nach einem Monat aber fällt nun nur umso erschütternder aus. Zwei Prozent der Bevölkerung sind geimpft, das ist ein Prozent mehr als vor zwei Wochen - das Tempo der "Durchimpfung" hat seitdem nicht nur nicht zugelegt, es hat sogar nachgelassen. Auf der Impfweltkarte  ist Deutschland mittlerweile nicht mehr auszumachen, weil der hiesige Impfstrich an der Null-Linie klebt.
 
Die Gründe für dieses "Totalversagen" (Nordkurier) wären schnell aufgezählt. Deutschland, im Herbst noch gefühlter Pandemieweltmeister, hatte seine kommode Corona-Lage genutzt, um die eigene Veranwortung für die Impfstoffbestellung mit einer großzügigen Geste an die EU-Kommission weiterzugeben. Der gute Ruf war wichtiger als die gute Vorbereitung auf die Impfungen. Der EU aber ging es vor allem um Politik: Wer deutschen Impfstoff bestellt, muss auch französischen bestellen. Und weil Großbritannien nicht mehr Teil der Gemeinschaft ist, muss man sich bei der Zulassung eines Vakzins, das dort bereits zugelassen ist, demonstrativ Zeit lassen, um zu zeigen, wie verantwortungslos der Brite und der Trumpamerikaner mit der Gesundheit der ihm ausgelieferten Impflinge spielt.
 

Längere Prüfung, selbes Ergebnis

 
Mit vier Wochen und drei Millionen Geimpften Verspätung wurde der erste Impfstoff in der EU zugelassen, mit sechs Wochen und 150.000 zusätzlichen Toten Verspätung der zweite. Der dritte - es ist der inzwischen bekannteste von AstraZeneca - wartet noch immer auf grünes Licht der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), die nach Angaben von Jens Spahn immer viel genauer prüft als alle anderen. Ehe sie stets zum selben Ergebnis kommt.
 
Dass nun ausgerechnet um einen Impfstoff, der in der EU überhaupt nicht zugelassen ist, ein demonstrativer "Krieg" um Schuld und Unschuld ausgebrochen ist, passt zum Gesamtbild einer Gemeinschaft, der es kaum noch gelingt, ihre an allen Ecken aufklaffenden Defizite zu bemänteln. Aber unübertroffen ist, Schuldige zu finden: Plötzlich ist der Hersteller eines Vakzins, das weder eine Zulassung hat noch zur "Verimpfung" (Spahn) zur Verfügung steht, nach Bekundungen aller Verantwortungsträger verantwortlich dafür, das Europa langsam impft und Deutschland in vielen Regionen gerade gar nicht mehr.
 
War die Empörung noch gewaltig, als Russland im Sommer 2020 begann, Menschen mit seinem "Sputnik V"-Impfstoff zu immunisieren, weil der noch gar nicht zugelassen war, würde EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heute am liebsten sofort alle 440 Millionen Rest-EUropäer mit dem - nicht zugelassenen - AstraZeneca-Vakzin spitzen.
 

Was schert uns die Zulassung

 
Jens Spahn wäre auf jeden Fall an ihrer Seite. Der deutsche Gesundheitsminister, der Anfang Januar noch beteuerte, die EU habe "mehr als genug Impfstoff bestellt", ehe er Mitte des Monats auf "genug" korrigierte, schert sich auch nicht mehr um formale Zulassungen. Hatte der CDU-Mann noch im letzten Sommer die Erwartung geäußert, dass das Corona-Medikament Remdesivir "nach einer Zulassung von in ausreichendem Maße für Europa zur Verfügung stehen" werde, hat er den monoklonalen Antikörper der US-Firma Regeneron nun einfach bestellt, ohne dass eine Zulassung zur Verabreichung in der EU vorliegt.

So schnell verfallen die Sitten. So schnell werden Menschenexperimente nicht nur denkbar, sondern Realität, wenn es darum geht, den Kopf aus der Schlinge drohender Verantwortungzuweisung zu ziehen. Not kennt kein Gebot und Anstand sowieso nicht. Ursula von der Leyen wettert also überdie angebliche Weigerung eines Impfstoffherstellers, einen Impfstoff an die EU zu liefern, den die EU noch überhaupt nicht zuglassen hat.  Und Jens Spahn, der eben noch so skeptisch und besorgt auf Russlands Sputnik-Start schaute, weil das ja alles „nicht hinreichend erprobt" sei, was da gespritzt werden, umgeht nun die EMA, um sich dafür feiern zu lassen, dass Deutschland das als "Trump-Medikament" bekanntgewordene Remdesivir "als erstes Land in der EU einsetzt" (Tagesspiegel). Und das, wo doch noch im Herbst nachdrücklich vor der Anwendung nicht zugelassener Medikamente gewarnt worden war.

Studie bestätigt PPQ: Gurgeln gegen Corona

Wie Medizin: Alkohol wirkt desinfizierend

Im jenem März 2020, als Covid-19 noch ein Angsttraum war, der fremde Länder befiel, die falsch oder doch zumindest nicht von Frauen regiert wurden, traf es Andreas Behndorf aus heiterem Himmel. Ohne Grund und Ursache und ohne bekannte Kontaktperson steckte sich der lebensfrohe Norddeutsche mit dem Virus an. Zu einer Zeit, in der vor allem die Prominente, die Schauspieler, Ansager, Sänger und Moderatore die Turbinen der Aufmerksamkeitsindustrie öffentlich mit einem "Ja, ich habe Covid-19" fütterten, war der Angestellte ein Exot. "Kopfschmerzen, Schüttelfrost und ein Reizhusten, wie ich ihn noch nicht kannte", berichtete er später von seinem grausigen Ausflug ins Seuchenland, "dazu ein furztrockener Husten, stundenlang, ohne das geringste Kratzen im Hals". Zusätzlich habe es einen pappigen Belag in Mund und Rachen gegeben. "So, wie ein Esslöffel Honig genascht, nur ohne süß."

Medizin Hausmarke

Deutschland war damals gut vorbereitet, aber nicht auf Corona-Fälle und Covid-Kranke. Als Behndorf bei seinem Hausarzt anrief, um nachzufragen, wann er am besten vorbeikommen könne, war die Auskunft eindeutig. Gar nicht. Sonst müsse er danach ja schließen, seine Leute in Quarantäne schicken und die ganze Praxis entseuchen, sagte der handfeste Doktor. Ein anderer verschrieb schließlich immerhin Hustensaft, mit 30 Prozent Alkohol. Pech für Behndorf, doch ein großes Glück für die Menschheit: Die zähe Brühe schmeckte ekelhaft. In der Stunde der Not griff der gesundheitlich schwer angegriffene Pandemiepatient also zur Flasche, aber nicht mehr zu der mit der prozenthaltigen Medizin.

Das geht auch in schmeckt besser, habe er sich gedacht und alternativ einen edlen Schotten Marke Laphroaig engeschenkt. "Zehn Jahre in Eiche gereift und schmeckt immer noch nach Desinfektionsmittel und altem nassen Lappen", so Behndorf, der im Fieber entschied: "Ein Geschenk, muss ja auch mal weg." Medizinisch ein Durchbruch. "Es löste sich was - und ab da gurgelte ich mehrmals täglich mit unterschiedlichstem Stoff jenseits der 40 Prozent."

40 Prozent und eine Woche

Bis zur Heilung dauerte es eine Woche, bis zu dem Moment, an dem aus der Zufallsentdeckung der ersten Corona-Akutprophylaxe mit europaweiter Zulassung ein Thema für seriöse Nachrichtennetzwerke wurde, fast ein ganzes Jahr. Eben erst ist die segensreiche Kraft des Alkohols, der es vermag "Sars-CoV2-Viren zu deaktivieren" (RND) in den Fokus der Schulmedizin geraten. Dass das das Gurgeln mit alkoholhaltigen Flüssigkeiten schwere Covid-19-Verläufe verhindern kann, weiß Behndorf aus eigener Erfahrung genau - nun aber geben auch Laborexperimente erste Hinweise, dass er von Anfang an richtig lag. 

Wie Emil Reisinger, Professor an der Uniklinik Rostock, gegenüber der „Ostsee Zeitung“ erklärt hat, ist die desinfizierende Wirkung von Alkohol beim Händewaschen seit den Vorbildwaschungen von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bekannt und gut erforscht. „Und wir haben Hinweise darauf, dass dies im Rachenraum genau so sein könnte, dass Gurgeln mit Schleimhautdesinfektionsmitteln die Virenlast im Rachen reduzieren kann.“ Reisinger, der noch nichts von Andreas Behnsdorf bereits durchgeführten Studien weiß, will nun  Menschenexperimente durchführen, um den erhofften alkoholischen Anti-Corona-Effekt am lebenden Objekt zu überprüfen und nachzuweisen.

Andreas Behndorf, der wegen seiner Laphroaig-Kur verschiedentlich beschmunzelt wurde, freut sich. "Die eine alte Dame da im Harz", sagt er, "war vielleicht die erste, die gegen Corona geimpft wurde - aber ich war der erste, den ein guter Whiskey geheilt hat."

Casino-Milliardär: Sheldon Adelson

Sheldon G. Adelson, Sohn eines Taxifahrers, der das weltgrößte Imperium von Casinos und Resort-Hotels in Las Vegas, Macau, Singapur und anderen Glücksspiel-Mekkas gebaut hat und seinen enormen Reichtum nutzte, um rechtsgerichtete politische Parteien in Amerika und Israel zu fördern, starb am 11. Januar in seinem Haus in Malibu, Kalifornien. Er war 87 Jahre alt. Die Ursache waren Komplikationen des Non-Hodgkin-Lymphoms, eine Form von Blutkrebs. 

Herr Adelson hatte eine harte Kindheit. Ein Straßenjunge aus der Zeit der Depression, der in Boston Zeitungen verkaufte und auf der Straße oft in Kämpfe geriet. Unbeeindruckt von Risiken, Rivalen oder dem Gesetz baute er ein Vermögen auf, das 2014 von Forbes auf 36,6 Milliarden Dollar und vom Bloomberg Billionaires Index auf 40,8 Milliarden Dollar geschätzt wurde, was ihn zum acht- oder neuntreichsten Menschen der Welt macht.  

Seinen Reichtum hatte Adelson hauptsächlich seinen Casinos zu verdanken. Casinos erfreuten sich allgemein stetig wachsender Beliebtheit, was sie zu einem großem Geschäft machte. Dieser Erfolg beruht hauptsächlich auf wiederkehrende Kunden, den sogenannten „High Rollern“. Diese werden für ihre kontinuierliche Kundschaft belohnt, nicht nur in realen Casinos, sondern auch in Online Casinos. Ein High Roller ist ein Spieler, der regelmäßig große Geldbeträge in landbasierten oder in online Casinos einsetzt. High Roller erhalten oft luxuriöse Services von den Casinos, um sie in die Spielhallen zu locken, wie zum Beispiel kostenlose Privatjet-Transfers, Nutzung von Limousinen und Nutzung der besten Suiten der Casinos. 

Auch Adelson wusste diesen Vorteil für sich zu nutzen und kreierte ein regelrechtes Imperium von Fantasie-Resorts mit Kanälen im venezianischen Stil, motorisierten Gondeln, singenden Gondolieri und Nachbildungen des Campanile di San Marco und der Rialto-Brücke, die allesamt mit Spielautomaten und Roulette-Rädern, aufwändigen Shows und den größten und prunkvollsten Hotels der Welt ausgestattet waren. 

Inspiration für zahlreiche Casino-Designs kam aus Venedig (Quelle: Unsplash)

Im März 2016 gab Forbes an, dass das Nettovermögen von Herrn Adelson auf 25,2 Milliarden Dollar gesunken war, vor allem wegen des Rückgangs der Glücksspieleinnahmen in seinem riesigen Casino in Macau an der Südküste Chinas, wo die Schwärme von chinesischen Geschäftsleuten und Funktionären der Kommunistischen Partei im Zuge der Korruptionsbekämpfung durch den chinesischen Präsidenten Xi Jinping fast ausgetrocknet waren. Aber Herr Adelson schien den Verlust gelassen zu nehmen, und es hatte keine offensichtlichen Auswirkungen auf seinen politischen Einfluss oder seinen Gewinn. Im März 2019 bezifferte Forbes sein Nettovermögen auf 35,1 Milliarden Dollar. 

Nachdem er das Sands Casino & Hotel 2004 an die Börse gebracht hatte, wuchs sein Nettovermögen zwei Jahre lang um eine Million Dollar pro Stunde - Wochenenden, Feiertage und Nächte eingeschlossen. In wenigen Monaten im Jahr 2009 fiel es von 30 Milliarden Dollar auf zwei Milliarden Dollar. Aber 2013 hatte er alles wieder, und zwar in Milliardenhöhe. Oft klingelte die Kasse mit zwei Millionen Dollar pro Stunde. 

Herr Adelson wurde zu einem von Amerikas schwergewichtigen politischen Spendern - der größte Einzelspender bei den Wahlen 2012 - nach dem „Citizens United"-Urteil des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2010, das viele Beschränkungen für politische Spenden als verfassungswidrige Verstöße gegen die Redefreiheit aufhob. 

Im Mai 2016, nachdem Donald J. Trump republikanischer Präsidentschaftskandidat wurde, versprach ihm Herr Adelson, seine Kampagne mehr als alle anderen zu unterstützen. Er gab schließlich 25 Millionen Dollar für die Trump-Präsidentschaftskampagne aus und war somit sein größter Spender.

Mr. Trump, der mit erstaunlicher Leichtigkeit durch die Vorwahlen kam, hatte sich fast ein Jahr lang auf sein eigenes Vermögen und kleine Wahlkampfspenden verlassen. Aber er sagte zu der Zeit, dass er vielleicht eine Milliarde Dollar für den allgemeinen Wahlkampf benötigen würde. Viele der reichsten Spender der republikanischen Partei, darunter Charles G. und David H. Koch, gaben an, dass sie Herrn Trump wahrscheinlich nicht unterstützen würden, so dass die Zusage von Herrn Adelson ein kräftiger Schub für seine Kampagne war. 

Nach der Wahl von Herrn Trump spendete Herr Adelson fünf Millionen Dollar an das Komitee, das die Feierlichkeiten zur Amtseinführung organisierte. Es war die größte Einzelspende für eine Amtseinführung eines Präsidenten, und am Tag der Vereidigungszeremonie im Januar 2017 saßen Herr Adelson und seine Frau in den vorderen Reihen, als Herr Trump den Amtseid ablegte. Unter der Trump-Administration erreichten die Adelsons zumindest eines ihrer lang gehegten Ziele: die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem im Jahr 2018. 

Im Jahr 2007, drei Jahre nachdem er mit einem 265 Millionen Dollar teuren Casino in Macau Fuß gefasst hatte, eröffnete Herr Adelson sein nächstes großes Ding: das Venetian Macao, ein 2,4 Milliarden Dollar teures, 39-stöckiges Hotel und Casino, das siebtgrößte Gebäude der Welt, mit einem Spielparadies, das fast so groß ist wie zehn Fußballfelder. Asiens leidenschaftliche Glücksspieler strömten herbei, und Herr Adelson vervielfachte seinen Reichtum um ein Vielfaches. 

Hotel und Casino "Venetian Macao" (Quelle: Unsplash)

Er baute weitere Casino-Hotels in Macau, Singapur und Pennsylvania und fügte den Las Vegas Palazzo hinzu. Und er plante Casinos in Japan, einem unerschlossenen Glücksspiel-Megamarkt, und, da Milliarden auf dem Spiel stehen, setzte er sich stark gegen Online-Glücksspiele ein. 

Die erste Frau von Herrn Adelson, Sandra, hatte drei Kinder, Mitchell, Gary und Shelley, die er alle adoptierte. Er und seine Frau ließen sich 1988 scheiden. Im Jahr 1991 heiratete er Miriam Farbstein Ochshorn, eine israelische Physikerin, und bekam zwei Söhne, Adam und Matan. 

Seine Frau und Kinder überleben ihn, zusammen mit zwei Stieftöchtern, Yasmin Lukatz und Sivan Dumont, und elf Enkelkindern. Sein Sohn Mitchell starb im Jahr 2005 an einer Überdosis Drogen.

Herr Adelson und seine Frau spendeten Hunderte von Millionen für medizinische Forschung, Bildung und andere philanthropische Zwecke in Amerika und Israel. Sie gaben auch 500.000 Dollar an Präsident George W. Bush für seine zweite Amtseinführung im Jahr 2005 und begleiteten ihn 2008 nach Jerusalem zum 60-jährigen Jubiläum der Gründung Israels. Herr Adelson hatte Israel zum ersten Mal 1988 besucht, in den Schuhen seines Vaters, eines in Litauen geborenen Juden, der die Reise nie gemacht hatte.

Mittwoch, 27. Januar 2021

Impfstoffnationalismus: Wie der Brexit der EU hilft, das eigene Versagen zu tarnen

Lange schien es auszureichen, Neid zu schüren.

Verpokert, versagt, zu wenig bestellt, zu viel versprochen. Einen Monat nach dem groß gefeierten beinahe gemeinsamen Impfbeginn in der EU steht der Friedensnobelpreiskontinent vor den Trümmern einer "Impfstrategie", die auf zentralisierte Planwirtschaft setzte und ihr Hauptaugenmerk darauf richtete, gerecht und billig einzukaufen. Die EU-Kommission hat viel geordert, aber nicht das richtige, sie hat hauptsächlich dort eingekauft, wo bis heute nichts zu holen ist außer Applaus des französischen Präsidenten - und mittlerweile leidet die Bundesregierung so stark unter ihren früheren Erklärungen, das sei genau so gewollt gewesen, dass der Gesundheitsminister alles zu tun bereit scheint, um das eigene Mittun an der Organisation des bislang größten Corona-Desasters auf dem weltweit am härtesten von der Seuche betroffenen Kontinent vergessen zu lassen.

Noch in der vergangenen Woche sollte Gesundbeten gegen den wachsenden Missmut im Land helfen. Die Kanzlerin selbst versprach ein "Impfangebot" an alle bis zum Ende Sommers, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Die EU-Chefin versprach sogar, 70 Prozent aller EUropäer bis zum Sommer zu impfen. Deutschland aber müsse aufhören, die EU für die Impfpleite verantwortlich zu machen. man habe immer genug bestellt gehabt und später sogar noch einmal nachbestellt.

Oma auf der Barrikade

Doch die Berichte von der Impffront lassen mittlerweile sogar die Fankurve vom Glauben abfallen: Es mehren sich die Berichte über überlastete Hotlines zur Terminvergabe, zusammenbrechende Internetseiten und Impfzentren, die auf Wochen hinaus keine Impfstofflieferungen mehr erwarten. Die Hochbetagten, eine traditionell folgsame, disziplinierte und leicht ruhigzustellende  Bevölkerungsgruppe, muckt auf. Man fühle sich doch veräppelt, zürnen rüstige Rentner, das könne doch alles nicht wahr sein, granteln nicht mehr nur Meckerer und Kritikaster in Sachsen, sondern bundesweit. Oma ist auf der Barrikade, Opa sitzt zornrot am Telefon. Selbst in den Medien ist ein Hauch von Ungeduld und Unverständnis zu erahnen.

Es droht Ungemach in den Umfragen, ein finaler Abfall vom Glauben, Deutschland sei doch, alles in allem, supergut durch die Pandemie geflutscht. Das schürt Panik im politischen Überbau. Plötzlich will der Kanzleramtsminister die kurze Karriere der Schuldenbremse beenden, die EU-Chefin fordert irgendetwas mit "Transparenz" und der Gesundheitsminister droht, die EU-Grenzen für Impfstoffe zu schließen wie letztes Jahr alle EU-Staaten ihre Grenzen für Masken, Handschuhe und Beatmungsgeräte geschlossen hatten. 

Verwaltungsebene im Ausnahmezustand

Die höchste Verwaltungsebene ist im Ausnahmezustand. Hatte man sich eben noch geeinigt, dass die Grenzen diesmal offenbleiben müssen, droht denen nun dasselbe Schicksal wie den Schulen und Kindergärten, von denen es im Herbst noch hieß, zugemacht wie im Frühjahr dürften die nie wieder werden. Für die als "drastische Einschränkung des Reiseverkehrs" umschriebene umfassende Verkehrskontrolle wird das von der "Tagesschau" gerade noch für den deutschen Impfstoffnotstand verantwortlich gemachte Israel zum Vorbild. Klappe zu, Mutante tot.  

Auch der Impfstoffnationalsmus, vom Bundespräsidenten schon vor Monaten als schädliche Geste globaler Entsolidarisierung angeprangert, erhebt sein hässliches Haupt. Nun ist er die letzte Hoffnung auf ein paar Momente Ablenkung. Flankiert vom Gerücht, das Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers wirke bei Älteren gar nicht richtig, warum also ungeduldig sein, ihr Alten im Lande!, spielt Jens Spahn die Regulierungskarte. Dass der Pharmakonzern AstraZeneca Großbritannien weiter beliefere, die EU-Staaten aber nicht, die seinen Impfstoff auch vier Wochen nach der Zulassung im Reich des verrückten Boris noch immer nicht zugelassen haben, ist für Spahn unerhört. 

Der Brexit als Glücksumstand

Aber ein bisschen auch ein großes Glück. Denn weil der Brexit Anfang des Jahres endlich doch noch richtig inkraftgetreten ist, lassen sich ganze Fernseh-Talkshows nun mit der Forderung nach einem Exportverbot für in der EU hergestellte Impfstoffe in arme Länder außerhalb der Union bestreiten. Wäre Großbritannien noch Teil der traurigen Impf-Union, fiele diese Forderung aus. So aber kann das Versagen beim Einkauf durch Tatkraft beim Androhen planwirtschaftlicher Eingriffe zumindest verbal korrigiert werden. Wer als Impfstoffhersteller die Wahl hat, wird seine Schlüsse ziehen. Und seine nächste Produktionsanlage sicherheitshalber gleich außerhalb der EU in Betrieb nehmen.

Das war das erste Seuchenjahr: Im medialen Angst­sturm

Nach einer aktuellen Analyse kam Corona nicht aus China, sondern von der AfD.
Zuletzt durfte man etwas Hoffnung schöpfen. Einen Moment lang traf es die Richtigen, da drunten in Sachsen, einem Gebiet falscher Vorstellungen, dem niemand etwas Böses wünscht, dessen Schicksal aber doch hier und da Erinnerungen an die "klammheimliche Freude" aufkommen ließ, die in der alten Bundesrepublik einst für unheimliche Aufregung gesorgt hatte. Die Hoffnung darauf, dass eine neue Corona-Mutante nun aber weit genug entwickelt ist, um ausschließlich schlechte Menschen üblen Sinns zu treffen, ließ sich nicht lange aufrechterhalten. Wie so viele Mythen, die das erste Seuchenjahr hervorbrachte, um sie wenig später wieder zu verschlingen.

Schneller als das Virus



D
ie älteren Überlebenden erinnern sich noch, wie es war, als der "Spiegel" gekonnt professionellen Trost spendete, damals, im Januar 2020, als Umwelthetzer sich mit falschen Greta-Zöpfen gegen den Klimaumbau auflehnten und in Thüringen der Nazimob bis in die Staatskanzlei marschierte. Die spitzesten Federn und fingerfertigsten Propagandisten wurden aufgeboten, die Menschen draußen im Lande zu beruhigen: "Schneller als sich das Coronavirus 2019-nCoV selbst verbreitet, verbreitet sich die Angst davor in den Medien", prangerte das Nachrichtenmagazin an, dem Vorwissen bekanntermaßen noch nie Bedingung war, zu urteilen.
 
Auch hier war die Lage klar, spätestens seit der Feind die Hügel gegenüber bezogen hatte. Von dort schrie er dunkle Warnungen vor der Weltpest, vor Millionen Toten, vor einer Pandemie und dem Untergang. Man müsse nur nach China sehen, ganze Städte abgeriegelt, Millionen Menschen in Hausarrest. Da drohe doch etwas Großes und es komme schon!
 

Als es Drosten noch nicht gab

 
Aber selbstverständlich nicht. Man schrieb Januar 2020, wie gesagt, es gab keinen Christian Drosten und keine offiziell von der WHO ausgerufene Pandemie. Wer also schrie, dass das Coronavirus 2019-nCoV ist nicht nur ein Krankheitserreger sei, sondern "weltweites Gesellschaftsereignis neuen Typs: der globale Angststurm", der stand auf sicherem Grund, der wusste es nicht, aber ganz genau, der legte die Pulsfühlhand genau dorthin, wo Gefahr drohte: Es war die schnelle Verbreitung von Inhalten im Netz, ironischerweise "viral" genannt, die uralte Regungen irrationaler Furcht mit hoher Geschwindigkeit zu globalen Panikwellen aufbliesen.
 
Angst und Schrecken und Sascha Lobo waren schon immer ein gutes Gespann. In seinem heute leider weitgehend vergessen Aufsatz  zu Corona als Bedrohung, die aus "digitalsozialen Interaktionen" und "social-media-getriebenen Mechanismen" kommt, um eine "Massenangst" zu erzeugen, die vollkommen grundlos ist, setzte der "Blogger, Buchautor, Journalist und Werbetexter" (Lobo) Maßstäbe. Wo Ruhe erste Bürgerpflicht ist, muss Angst, dieses evolutionäre Gefahrenwerkzeug, das die Sinne schärft und Menschen handlungsfähig macht, sinnlos sein. 
 

Fluchtreflex und Atemmaske

 
Das Individuum braucht weder Fluchtreflex noch Atemmaske, es braucht keinen Toilettenpapiervorrat und Notkasten voller Bier, falls die Supermärkte schließen. Es hat seine Regierung, seine staatlichen Behörden, seine Gesundheitsämter und seine Beruhigungsmedien. Sie alle kümmern sich um unmittelbare Bedrohungen, kümmern sie sich nicht, wie anfangs bei Corona. handelt es sich folglich nicht um solchem, sondern "um eine Angstprojektion" (Lobo).
 
Die ist das Ergebnis von Verbildungen, die gerade vom "Spiegel" schon länger beobachtet wurde. Energiewende, Flüchtlingszustrom, Genderreform - immer waren die Menschen außerhalb des Spiegel-Hochhauses "schlecht darin, Gefahren und Wahrscheinlichkeiten realistisch einzuschätzen". Lieber als darauf zu vertrauen, dass die EU, die Bundesregierung und die in ihrem Auftrag mit der Vermittlung des nötigen Wissen betrauten Medien, die Lage im Griff haben, tendieren sie zu Fluchtreflex und irrationaler Vorsorge. Ein angstmachender Anlass werde zum globalen Angststurm werden, analysierte Sascha Lobo als einer der letzten Rationalisten angesichts des herannahenden Seuchensturms, "wenn das Gefühl der Gleichzeitigkeit entsteht: Ich bin genau jetzt Teil eines weltweiten Geschehens."
 

Gefahr Hyperemotionalisierung

 
Es ist doch aber nur ein Gefühl, denn von Corona war in Deutschland noch gar nichts zu sehen. So wie das Bundesgesundheitsministerum einige Wochen später vor sich selbst und seinen in die Welt geblasenen Falschbehauptungen warnen wird, warnt Sascha Lobo hier vor der "Hyperemotionalisierung", die der anhaltende, hochemotionale Alarmzustand sein wird, in den das wenig später gegründete informelle Corona-Kabinett das Land ab Herbst versetzen wird. "Dabei werden der Grad der Betroffenheit und die Gefahr selbst übertrieben", arbeitet Lobo heraus und er verweist dabei auf die "Ökonomie der Hyperemotionalisierung", die kollektive Erregungszustände monetarisierbar macht: Jeder Klick auf eine Katastrophenmeldung hilft wirtschaften, jeder Penny hilft, die Pandemie zu überstehen.
 
Lobo zeigt sich in seinem vermeintlich analytischen Text als Meister der Autosuggestion. Wer es schafft, die mentalen Reaktionen auf einen herannahenden Feind unbekannter Kraft und Macht zu rationalisieren und die Angst vor dem womöglich anstehenden Massensterben als größtes Problem darzustellen, verfügt über eine fast perfekte Angstabwehr. 
 
Lobo selbst schreibt "Es handelt sich um Irrationalität im Gewand des aufgeklärten Realismus, denn eine neue, noch unverstandene Gefahr lässt sich selten sinnvoll mit bekannten und deshalb leichter bekämpfbaren Gefahren vergleichen." Dass die Johns Hopkins University damals schon ihre Corona-Weltkarte  ins Netz gestellt hatte, erscheint wie eine zusätzliche Bedrohung: "Von der Farbgebung (schwarz-rot) bis zur Entscheidung, auf der Weltkarte die 3.500 Fälle in Hubei (China) etwa so groß darzustellen wie Nord- und Südkorea zusammengenommen, schreit die Website: Alarm!"
 

Falscher Alarm

 
Falscher Alarm, wenn Sascha Lobo zu glauben gewesen wäre. Es wird noch fast Jahr dauern, bis sich ein EU-Gipfel darauf einigt,  besonders betroffene Gebiete auf dem am härtesten betroffenen Kontinent EU nicht mehr mit Rot, sondern mit Dunkelrot zu markieren - eine Entscheidung im Sog der Hyperemotionalisierung, die im Januar 2020 vermieden werden sollte, im Januar 2021 aber dringend gebraucht wird, um die seit Monaten anhaltenden Eindämmungsmaßnahmen zu begründen.
 
Der Angststurm, der drohte, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu zerstören, das Vertrauen in das gute und rechtmäßige Handeln der Regierenden zu untergraben und die irrationale Sehnsucht nach radikalen Schutzmaßnahmen wie im totalitären Chinas weckte, mutierte über Monate vom gefürchteten Werkzeug der Feinde der der offenen Gesellschaft zum wichtigsten Handwerkszeug des Durchregierens. Auf dem "perfekten Nährboden für Instrumentalisierung" wuchs die kollektive Angst, die erst Corona-Kabinette, Maskenpflicht, Corona-Leine und Ausgangssperren möglich machte. 
 

Das gut vorbereitete Land

 
Verschwörungsmythen standen auch hier Anfang eines umfassenden Vertrauensverlustes, Verschwörungsmythen wie etwa die, dass gegen die "neuartige Lungenkrankheit" keine Maske helfe, Deutschland aber "gut vorbereitet" sei. So offensichtlich das nicht stimmte, wurde es doch "behauptet und rasch verbreitet" (Bundesgesundheitsminiterium), vermischt mit seriösen Informationen, Vermutungen und tendenziösen Grafiken. Jeden Abend die aktuelle Corona-Zahl, jeden Abend uneingeordnete Inzidenzzahlen und R-Werte - was während der frühen Phase der Pandemie noch unvorstellbar war, erhöhte und erhielt später, als nicht mehr Beruhigung und Leugnung auf der Agenda standen, sondern "shock & awe"  (George W. Bush) durch fortwährende Wiederholung und Bündelung das kollektive Erregungslevel. 
 
Eine perfekte Ablenkung, denn der ständige Nachrichtenfluss der globalisierten, digital vernetzten Welt vermittelt eine Atemlosigkeit, die Verständnis dafür schafft, dass ganz oben gelogen werden muss macht. Niemand glaubte dem Bundesgesundheitsminister vor einem Jahr wirklich, dass das Tragen von Masken nichts nütze. Alle wussten, dass der Mann das nur sagte, weil jede andere Aussage die Frage provoziert hätte, wo denn die von ihm für einen solchen Fall bevorrateten Masken seien. Ebenso ist jeder sicher, dass die Befristung des derzeitigen lock down genauso verlässlich ist wie die Befristung des Wellenreiter-Lockdown im November oder die des "Nunaberrichtigknallhart"-Lockdown im Dezember. 
 

Abschied von Oma und Opa

 
Die Macht der Gewöhnung aber hilft akzeptieren, dass die Bedrohung dies alles verlangt, den Abschied von Oma und Opa, die Schließung der Geschäfte, die Reiseverbote und das Vermummungsgebot. Die Nation tanzt am Nasenring, "zum guten Teil unabhängig von der realen Gefahr", wie Lobo vor einem Jahr so falsch attestierte, dass es heute komplett richtig ist. Galten die Bemühungen der Politik anfangs noch der Vermeidung einer Überforderung des Gesundheitssystems, gelten sie jetzt erklärtermaßen dem Ziel, die Gefahr der Möglichkeit einer Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern. Und bis kurz vor der Bundestagswahl im Herbst wieder Normalität herzustellen, auf dass die Dankbarkeit der Wählerinnen und Wähler am 26. September das Kreuz an der richtigen Stelle mache.

Dienstag, 26. Januar 2021

Brüssel greift durch: Neue Wahrheitsvorschrift für das Netz

Hass weniger droht die EU zu zerstören, aber die Kommission plant jetzt scharfe Maßnahmen.


Es gibt überhaupt nur ganz wenige Institutionen, die das könnten: In der gewaltigsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg in gemächlichem Eiltempo einen Impfstoff nach dem anderen zulassen und bestellen, dabei ehrgeizigste Klimapläne für die ganze Welt umsetzen, Europa zusammenhalten und im selben Augenblick auch noch Geld drucken, dass es für alle reicht. Die EU-Kommission aber schafft das und seit der auf seine alten Tage lendenlahm gewordene Jean-Claude Juncker Platz machen musste für von 28 Staatschefs demokratisch gewählte Bundeswehr-Reformatorin Ursula von der Leyen geht in Brüssel sogar noch mehr.

Verfall der Sitten

Alarmiert vom Verfall der Sitten im Netz und dem Misserfolg bisher erlassener Eindämmungsverordnungen verschärft die EU-Kommission ihr Vorgehen gegen Hetze, Hass und Zweifel im Internet. Mit einem "europäischen Aktionsplan für Demokratie", für die in der Gemeinschaft verbliebenen Englischmuttersprachler in Irland offiziell "European Democracy Action Plan", soll bis 2024 ein sauberes Netz vollkommen ohne "Desinformierer" (EU) erschaffen werden. 

Dazu geht die EU neue Wege: Wer systematisch Falschinformationen etwa über Wahlen oder Covid-19 verbreitet, soll an den Pranger gestellt und mit Sanktionen belegt werden, kündigte Věra Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission für Werte und Transparenz, eine Ausweitung des EU-Mandats aus den europäischen Verträgen in die direkte Strafverfolgung an.

Kommende Ko-Regulierung

Für die in der Vergangenheit bereits mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Gemeinschaft der nach dem Ausstieg des perfiden Albion verbliebenen 27 ist das ein Quantensprung. Mit der sogenannten "Ko-Regulierung" zugelassener Wahrheiten werden die Plattformen gezwungen, die Verbreitung von Desinformation zu verhindern. Obwohl es nicht darum gehe, umstrittene Inhalte löschen zu lassen, werde es klare Vorgaben für alle geben, was erlaubt und was zwar nicht verboten, aber auch nicht zulässig sei. 

Nach den Vorstellungen Jourovás plädierte dafür, Akteure über längere Zeit durch Meinungsfreiheitsschutzabteilungen, wie sie vom Bundesblogampelamt bereits bei Facebook implementiert wurden, beobachten zu lassen, um Verbreiter systematischer Desinformationen ausfindig zu machen. Urheber von sogenannter Überkritik oder Nutzer "aufrührerischer Worte" (Heiko Maas) könnten dann eigene Sondereinheiten der "Mouse-Police" (Ian Anderson) nicht nur Zuge der alljährlichen bundesweiten Großrazzien zur Auffindung von Hasskommentaren festnehmen, bis beispielsweise, so die Vorstellungen der EU-Kommissarin, Werbetreibende auf den betreffenden Portalen keine Banner mehr schalteten.

Gegen Beeinflusser der Meinungen

Gegen bekanntermaßen "bösartige Akteure" im feindlichen Ausland, gedacht ist etwa an Russland oder China, würden schwerere Geschütze in Stellung gebracht. Hier droht entdeckten Beeinflusser und Saboteuren der öffentlichen Meinung in den  sozialen Netzwerken ein "EU-Pranger" und eine EU-Anweisung an  Google und Facebook, die enttarnten fünften Kolonnen algorithmisch aus dem jeweiligen Index auszuschließen. 

Um keine Lücken im Findfeld aufklaffen zu lassen, sieht die Initiative "Gute Suche, sicheres Finden" - für die irischen EU-Mitbürger "Good search, safe finding" - die Verwendung gemeinsinnstiftender Algorithmen vor, die gefundene Fakten statt fake news bevorzugt auf den ersten zehn Trefferseiten zeigen. Wenn die neuen Wahrheitsvorschriften erst greifen - den aktuellen Plänen unter dem Titel "European Democracy Action Plan: making EU democracies stronger" etwa im Jahr 2024 - wären Bürgerinnen und Bürger dann wieder "in der Lage, Entscheidungen zu treffen, bei denen Ansichten frei geäußert werden können", wie es Ursula von der Leyen unübertroffen klar formuliert hat.