Dienstag, 30. November 2010

Kritik nur noch nach Mitternacht

Endlich wird wieder ein wenig Platz im Netz. Dank der vorwärtsweisenden Wege zum Jugendschutz im Internet, die der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag weist, hat mit dem VZlog.de ein erstes "größeres Web-Angebot" (heise.de) Konsequenzen gezogen. Man werde die Seite schließen, um nicht mit den ab Januar geltenden klugen neuen Jugendschutzregelungen in Konflikt zu kommen. Auch der Berliner IT-Experte Kristian Köhntopp, so berichtet Heise, habe angekündigt, seinen Blog wegen der Auswirkungen von Regelungen im Jugendmedienschutzstaatsvertrag zu schließen. "Meine bisherigen Inhalte nehme ich morgen offline, und falls ich noch einmal irgendwas mache, dann für ein Land, das Zukunft hat. Nicht Deutschland", wird der Blogschreiber zitiert, der mit einer größeren Sicherheit, wie sie durch PPQ seit Jahren beim Blogampelamt in Warin angemahnt wird, offenbar nicht zu leben bereit ist.

Für alle verbliebenen Blogs, die nichts zu verbergen haben, ergibt sich dadurch eine Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten. Es werden Leser frei, weil auch viele große Medienhäuser ihre Angebote werden schließen müssen, sobald ihre derzeit noch wirksame Tarnung platzt, sie böten "allgemein interessierende Themen" an.

Denn immerhin sieht die inzwischen auch von den bisher widerborstigen Grünen begrüsste Novellierung des Jugendmediendienste-Staatsvertrages vor, dass künftig jeder Anbieter seine Webseiten auf jugendgefährdende Inhalte hin überprüfen lassen muss - für ein großes Blog wie etwa "Spiegel Online", das aller paar Minuten aktualisiert wird, kaum zu leisten.

"Es fehlt einfach an erfahrenen Zensoren", fürchtet ein Mitarbeiter des Bundesblogampelamtes in Mecklenburg. Diese müssen nach den gesetzlichen Vorgaben jeden einzelnen Text, jeden Film und jedes Bild klassifizieren und je nach Ergebnis umgehend Maßnahmen zum Schutz der Jugend vor diesen Inhalten treffen. Dazu können von den im Blogampelamt angestellten Experten Klassifizierungsstufen wie ab 0, 6, 12, 16 und 18 Jahre vergeben werden, auf die dann jeweils nur Zugriff hat, wer sich mit seinem elektronischen Personalausweis korrekt identifiziert.

Wahlweise können Seitenbetreiber aber auch eine "Sendezeitbeschränkung" einführen, nach der dann nicht jugendfreie Beiträge, politische Artikel oder Kritik an der Bundesregierung erst nach Mitternacht ausgestrahlt wird. Dabei müssen Seitenbetreiber sicherstellen, dass ihre Beiträge von niemandem gelesen werden. Nach Auskunft des Blogampelamtes, das die deutsche Netzzensur federführend begleitet, muss sich weltweit jeder Betreiber einer Internetseite der neuen Zertifizierung stellen, die nach dem Vorbild der Einstufungsordnung aus der DDR-Popmusik entworfen wurde.

Wer Inhalte verbreite, die nicht von der Behörde abgenommen worden seien oder sich der Pflicht zur Altersbeschränkung etwa bei der Präsentation von Oben-ohne-Bildern der Kanzlerin entziehe, müsse mit Bußgeldern für jeden Verstoß rechnen. Ausländische Anbieter werden dabei per Rechtshilfeersuchen durch die jeweiligen Ordnungsämter vor Ort ermittelt, sie können die fällig werdenden Geldstrafen jedoch in der jeweiligen Landeswährung abstottern.

Schluck den Druck

Die Naturschutzorganisation WWF hat ein eigenes, umweltfreundliches Dateiformat entwickelt, das die allmähliche Rückverdummung der gesamten Menschheit ein Stückchen weiter vorantreibt. Nach der Entfindung der Getränkedose, deren Aufgabe seitdem von der Flasche übernommen worden ist, bringt die Entwicklung der "grünen" PDF-Dateien zum ersten Mal wieder einen drastischen Schritt nach vorn zurück. Das Geheimnis des Formats: Grüne PDF-Dateien lassen sich nicht ausdrucken.

Damit, freuen sich der WWF Deutschland und die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt gemeinsam, sei das Format umweltfreundlicher als normale PDF-Dateien, die sich nach Belieben ausdrucken lassen. Das grüne Dateiformat werde die Menschen nun für einen bewussteren Umgang mit Papier sensibilisieren, sagte der Geschäftsführer von WWF Deutschland, Eberhard Brandes stolz. Dank der kostenlosen Software müsse nicht mehr jeder Computernutzer selbst entscheiden, welche Dokumente gedruckt werden sollen und welche nicht, da sich mit dem WWF-Format nichts mehr ausdrucken lasse. Damit werde der Waldbestand geschützt und die Umwelt entlastet, sagte Brandes, der einen Vorausblick in die nächsten Umweltschutzprojekte seiner Organisation im Hightech-Bereich gab.

Um den Stromverbrauch von Computern zu senken, will der WWF demnächst Geräte anbieten, die sich nicht mehr einschalten lassen. Damit sinke der Stromverbrauch auf null, hat die Organisation durchrechnen lassen. Geplant seien auch Handys, die durch den Verzicht auf einen Funkchip besonders strahlungarm arbeiten. Bei diesem "No connect" genannten Projekt erwarte man ebenfalls einen rapide sinkenden Stromverbrauch, da die vom WWF gemeinsam mit der früheren Handy-Schmiede Benq umgebauten Geräte zum telefonieren nicht mehr geeignet seien. Gerade hier biete sich ein weiter Markt, zeigte sich der WWF überzeugt. In der Mache habe man im Augenblick auch Mp3-Player, die zur Einsparung von Tantal und Globarium komplett aus Gips gegossen werden sollen.

Legal, illegal, scheißegal

Darf Wikileaks gestohlene Daten ins Internet stellen, um die internationale Politik transparenter zu machen? Die Frage war nicht nur in der Rateshow "Anne Will" höchst umstritten, sondern im ganzen politischen Deutschland. Jetzt aber wurde sie höchst richterlich vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, zu Gunsten von Wikileaks.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Nutzung von gestohlenen Daten für einen guten Zweck ausdrücklich erlaubt. Die von Informanten aus US-Computern geraubten und an Wikileaks gelieferten vertraulichen Informationen über mutmaßliche Spione in der FDP, Charakterschwächen von führenden Staatsmännern aus aller Welt und Angriffspläne auf den Iran dürfen öffentlich gemacht werden, entschieden die Richter in einem am Dienstag bekannt gegebenen Beschluss. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Lieferung der Daten ursprünglich rechtmäßig war (2 BvR 2101/09).

Die Richter wiesen eine Verfassungsbeschwerde gegen die Wikileaks-Veröffentlichung zurück. Die höchsten Richter argumentierten dabei mit dem alten Spontispruch "legal, illegal, scheißegal". Eine Benutzung gestohlender Daten sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, erklärten sie.

Wann wir streiten Seit an Seit

Was für ein schöner Abend im Harz! "Ein Thema mit sehr vielen Facetten", sagte Katrin Budde zum Auftakt des SPD-Bürgergesprächs im Altwernigeröder Apparthotel, und die Vorsitzende des SPD-Landesverbandes meinte damit nicht den Zustand ihrer Partei, nicht einmal mehr ein halbes Jahr vor der nächsten Landtagswahl.

Aber gepasst hätte es. Denn die SPD, mit 17 Jahren Regierungsbeteiligung in Sachsen-Anhalt federführend verantwortlich für den herausragenden vorletzten Platz, den das westlichste aller östlichen Bundesländer in allen einschlägigen Bundesranglisten belegt, steckt im Strudel gleich eines halben Dutzends von Personal- und sonstigen Skandalen. Gerade erste ist Gesamtparteichef Sigmar Gabriel in die Landeshauptstadt Magdeburg gezogen, um zumindest mit einer kleinen Nebenwohnung näher bei der Zahnärztin seines Herzens zu sein. Da schüttelt es den Landesverband an allen Ecken durch als

Hier tagt ein Untersuchungsausschuss, um aufzuklären, ob SPD-Innenminister Holger Hövelmann und sein Staatssekretär Rüdiger Erben das Parlament über Gründe der Strafversetzung eines hohen Beamten belogen haben. Dort kündigt Erben, ehedem als ehrgeiziger Kronprinz gehandelt, vorsichtshalber an, sich aus der Landespolitik zurückziehen zu wollen, noch ehe der Ausschuss über ihn befunden hat.

Ausgerechnet in dem Ortsverein, den er leitet und dem er künftig als Oberbürgermeister der Gemeinde Teuchern angehören will, meldet sich justament ein SPD-Genosse mit einem Augenzeugenbericht vom NPD-Parteitag zu Wort: Weder seien bei den Rechtsradikalen Kinder gefressen worden noch habe er staatsfeindliche Parolen vernommen. Rüdiger Erben, der Anfang des Jahres noch versucht hatte, jeden Vergleich von Diktaturen aller Art in seinem Bundesland verbieten zu lassen, war entsetzt. Musste aber plötzlich erklären, wieso seine Heimatgewerkschaft Bergbau Chemie in einer Postwurfsendung versucht hatte, Gewerkschaftsmitglieder für die Wahl des Genossen zum Bürgermeister zu begeistern - und das auch noch völlig vergebens.

Dabei hat die SPD keine guten Erfahrungen mit ihren Bürgermeistern gemacht. In Halle etwa regieren die Bürgermeisterinnen seit Jahr und Tag gegen die Landespartei. Und ziehen sie schon mal am Rande jeder Legalität an einem Strang wie bei Finanzierung und Genehmigung eines neuen Stadions für die hochverschuldete größte Stadt im Land, ja, dann kommt auch noch alles heraus: SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn, in den lange zurückliegenden großen Stunden des Klubs treuer Tribünengast, hats versprochen, die Verwaltung aber hat remonstriert. Darauf hat Noch-SPD-Innenstaatssekretär Rüdiger Erben angewiesen, dass Recht zu sein hat, was die Politik für Recht erkennen will.

Eine Sorge weniger für Dagmar Szabados, die derzeit im Rathaus herrschende Sozialdemokratin. Seit ihr Innendezernent Bernd Wiegand seine Ambitionen auf ihr Erbe durch einen Eintritt in die sieggewohnten Reihen der deutschen Sozialdemokratie unterstrichen hat, streitet Szabados nachhaltig mit einem Genossen. Wiegand, gut befreundet mit der Boulevardpresse, inszeniert sich als Marathonläufer und Hundekotinspektor, er gründet kurzlebige Vereine gegen Fußballgewalt und ist auch sonst immer da, wo die Musik spielt. Meist begleitet von seiner sehenswerten persönlichen Referentin, die stets am selben Tag wie er Marathon läuft, in die SPD eintritt und gegen Fußballgewalt demonstriert.

Nein, die Stadt munkelte nicht mehr von Zufall und enger Zusammenarbeit. Und die Oberbürgermeisterin reagierte. Wiegand verlor erst verschiedene Aufgabengebiete, dann seine Referentin, dann erreichten ihn Briefe mit der Bitte, er solle sich in psychiatrische Behandlung begeben.

Eine Partei am Rande des Nervenzusammenbruchs, mit einem Kronprinzen, der allein von seinem Machtinstinkt angetrieben wird, einem Hoffnungsträger, der es nicht vermochte, die Wähler in seinem Heimatort zu überzeugen, ihn zum Bürgermeister zu machen, einer Führungsriege in der größten Stadt, die gegeneinander intrigiert, statt zu regieren. Es ist ein Hauen und Stechen auf allen Ebenen in der stolzen alten "Arbeiterpartei" (Franz Müntefering) und die anämische Parteichefin Katrin Budde thront darüber wie seinerzeit unter Ministerpräsident Reinhard Höppner im Wirtschaftsministerium. Sie guckt, als wüsste sie nicht, was gespielt wird. Sie tut, als sei es das Beste, gar nichts zu tun. So schon schwant den Menschen "draußen im Lande" (Sigmar Gabriel), dass hier eine Partei sich ein ganzes Land zur Beute genommen hat, nun aber streitet, wer welches Stückchen haben darf.

Wenigstens lassen die Medien die halbe Handvoll Führungsfiguren noch in Ruhe, die in immer neuen Kampfkonstellationen inmitten der Auseinandersetzungen auftauchen. Finanzminister Jens Bullerjahn, ein mitarbeiterverschlingendes Arbeitsmonster aus dem Mansfeldischen, outet sich bei entsprechendem Saisonverlauf gern als Fan des Fußballs in Halle. Auf der Tribüne trifft er dann Dagmar Szabados, die früher für den Ortsrivalen VfL Halle schwärmte, aber rechtzeitig umgeschwenkt ist.

Mit Unterstützung von Rüdiger Erben, dem kleinwüchsigen Großtalent, der seinen Genossen und Minister Holger Hövelmann schon bei lebendigem Leib beerbt zu haben glaubte, bauen beide ein Stadion, wie das vom SPD-Genossen Lutz Trümper regierte Magdeburg längst eines hat. Ein eng am Rande der Legalität gebautes Luftschloss, das später verspricht, zu einem Millionengrab zu werden, in dem auch Bernd Wiegand immer wieder auftauchen wird, um nach den Rechten in der Fankurve zu sehen.

Die haben in Hans Püschel, dem SPD-Bürgermeister von Krauschwitz, ein neues Idol, seit der beim NPD-Parteitag "kein Wort" gehört hat, "das ich nicht auch unterschrieben hätte." Genauer erklären darf Püschel das demnächst seinem SPD-Parteigericht in Teuchern, wo Staatssekretär Rüdiger Erben den Sprung in ein e gesicherte Bürgermeisterzukunft verfehlte, weil die einstigen SPD-Wähler von Krauschwitz seiner Partei nach der röhrenden Kritik der Parteispitze am NPD-Besucher Püschel nicht einen Sitz mehr zugestehen wollten. Erben will nun einfach doch Staatssekretär bleiben und sich im Landtagswahlkampf reinhängen. Dann heißt es wieder wie im alten Parteilied "Wann wir streiten Seit an Seit" und sicher singen alle mit. "Ein Thema mit sehr vielen Facetten", würde Katrin Budde sagen.

Montag, 29. November 2010

Wenn Volkes Wille gefährlich wird

Ein alter, erfahrener Demokrat wie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer lässt sich da kein X für ein U vormachen. Volksentscheide, so weiß der ausgebildete Gynäkologe, dürfen die demokratischen Entscheidungsstrukturen eines Landes nicht schwächen. Das aber tun sie, wenn verantwortlich handelnde Männer wie er nicht vorher wissen, was bei einem Plebiszit herauskommt. "In einem modernen Staat kann man nicht jede Entscheidung durch einen Volksentscheid herbeiführen", zeigte sich der greise Mitgründer des demokratischen Sachsen-Anhalt schon Tage vor der jüngsten Niederlage des Guten und Schönen in der Schweiz sicher.

Dort haben sich erneut "rechte Populisten" die Sympathien einer Mehrheit erschlichen, um gefährliche Ideen demokratisch absegnen zu lassen. Auf die sogenannte Ausschaffungsinitiative der Schweizerische Volkspartei, die die automatische Ausweisung von Ausländern vorsieht, wenn sie wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden, fand eine Mehrheit von 52,9 Prozent der Abstimmenden und keinen Beifall bei der für Basisdemokratie eigentlich leicht zu begeisternden Taz.

Die ficht nun in einer Front mit Böhmer und der basisdemokratischen Rauchverbotspostille SZ gegen das "knallharte Ausländer-Abschiebungsrecht", das sich "leichten Herzens über Abkommen mit der EU und internationale Konventionen" hinweg- und ein "fatales Signal in die Welt" setzt. "Die Stimmung in der Schweiz ist gehässig", urteilt der staatliche deutsche Fernsehsender ZDF kritisch, einen "Triumph für die Rechtspopulisten" sieht die "Märkische Allgemeine", auch aus der Ferne stets nah dran am Geschehen. Nach Ansicht der plebiszitären Elementen traditionell abgeneigten "Financial Times" "vergrault direkte Demokratie ergrault Investoren", nach Ansicht der "Zeit" tragen die Leute, die für die Ausschaffung stimmten, nicht zur Lösung von Problemen bei, sondern sie schaffen selbst welche.

Wolfgang Böhmer hat es vorher gewusst. Wer das Volk fragt, bekommt womöglich Antworten, die er nicht hören will. "Mit Volksinitiativen und Wählergruppen kann man in der Kommunalpolitik sicher einiges bewegen – aber Landes- oder gar Bundespolitik ließe sich so sicher nicht machen", hat der Hauslatsch unter den Ministerpräsidenten die "Welt" schon Tage vor der verhängnissvollen Rückkehr des hässlichen Schweizers aus der Minarettabstimmung vom vergangenen Jahr wissen lassen. Dass die Eidgenossen dann auch noch einer Initiative zur Erhöhung der Reichensteuer die kalte Schulter zeigten, passt ins Bild. So wäre Deutschland, wo Politiker unter Beifall von allen Seiten DVDs mit den Daten vermeintlicher Steuersünder kaufen, um sich ein halbes Jahr später unter nicht weniger lautem Applaus über mangelnden Schutz vertraulicher Daten bei Wikileaks zu empören, unregierbar.

Deutschland auf Wikileaks: Unter ferner liefen

Empört, enttäuscht, entsetzt. Selten habe deutsche Politiker, Prominente und Philosophen partei- und religionsübergreifend so einhelllig auf eine "Spiegel"-Gschichte reagiert wie im Fall der von Wikileaks veröffentlichten internen Korrespondenz des US-Außenministeriums. Der Grund liegt auf der Hand: Deutschland, Export-Vizeweltmeister und wichtigster Verbündeter der USA im Kampf gegen Terror und Klimawandel, sieht sich in der Veröffentlichung schwer unterrepräsentiert. Gerademal 2747 Dokumente von rund 250.000 beschäftigen sich mit deutschen Welt- und Spitzenpolitikern wie Dirk Niebel, Angela Merkel und Sigmar Gabriel, wobei letzterer gar nicht vorkommt. Unter dem Stichwort Deutschland listet Wikileaks gar nur ganze 30 Dokumente auf - kaum genug, dass Anne Will ihre Sonntagabendshow über die volle Länge bringen konnte. Damit ist Deutschland gerademal in einem Prozent aller Unterlagen erwähnt, obwohl Deutschlands Gewicht in der Welt, zumindest von Berlin aus gesehen, wenigstens eine Berücksichtigung in rund 10 bis 20 Prozent aller Dokumente gerechtfertigt hätte.

Noch schlimmer für die Berliner Republik, die in allen Schlachten der Gegenwart treu an der Seite der Verbündeten steht: Frankreich, der ewige Konkurrent auf der Weltbühne, wird mit 4400 Dokumenten bedacht, selbst Spanien und Italien waren den diplomatischen Geheimagenten der Amerikaner offenbar wichtiger als die Deutschen. Geradezu zum Imagedebakel für die deutsche Weltpolitik aber wird die Wikileaks-Veröffentlichung durch die Tatsache, dass allein die spanische Insel Mallorca in 3698 Dokumenten eingehend analysiert wird und auch die weltpolitischen Leichtgewichte Korsika und Nicobar Islands den Amerikaner offenbar bedeutsamer sind als die Vorgänge beim treuesten Gefolgsvolk: Über die Nicobars fertigten die Diplomaten mehr als 5000 Schriftstücke an, über die französische Insel Korsika mehr als 4000. Frankreich kommt damit dreimal häufiger vor als Deutschland.

Ein feindlicher Akt, der kaum von dem Umstand geheilt werden kann, dass auch die USA sich selbst nur sehr ungenügend bespitzelten. Mit knapp über 2300 Dokumenten kommt die Führungsmacht des Westen noch ein wenig schlechter weg als Deutschland - der Affront aber wird dadurch nicht kleiner. Da Wikileaks auf eine Suchfunktion verzichtet, heißt es im poltischen magdeburg, konnte die Ministerialbürokratie bisher nicht einmal herausfinden, ob wenigstens über einige führende deutsche Landespolitiker des westlichsten der östlichen Bundesländer kompromittierende Dokumente Berücksichtigung fanden. Stelle sich ehraus, dass etwa Ministerpräsident Wolfgang Böhmer nicht korrekt als die Strickjacke unter den Landesvätern charakterisiert worden sei, werde Sachsen-Anhalt die Beziehungen zur USA vorerst auf Eis legen. Zusätzliche Kosten entständen den Bürgern dadurch nicht, da durch den plötzlichen Wintereinbruch pünktlich zum Auftakt der Weltklimakatstrophensitzung in Mexico Kühlkapazitäten freigeworden seien.

Pittileaks: Diplomaten-Berichte enthüllen Weltsicht der Deutschen

Georg W. Bush ein "wirklich netter Bursche", Wladimir Putin ein "echter Freund und lupenreiner Demokrat", US-Verteidigungsminister Dick Cheney jemand, der "das Hallelujah auswendig singen kann" und das thailändische Königshaus "eine insgesamt recht fröhliche Familie" - Deutschlands Diplomaten zeigen der Welt, wie man auch in Geheimpapieren höflich und freundlich bleiben kann. Nach der Veröffentlichung von 250.000 Geheimdokumenten der US-Regierung durch das Geheimpapierveröffentlichungsportal Wikileaks und das ehemalige Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zieht die Internetseite PPQ.be mit weiteren brisanten Originalpapieren nach - diesmal entstammen die Unterlagen der sogenannten Diplomatenpost, über die 160 deutsche Botschafter in aller Welt unter großen Sicherheitsmaßnahmen mit ihrer Regierung in Berlin kommunizieren.

Die Lektüre der von Pittileaks veröffentlichten 193.835,3 Seiten, die aus mehreren Jahren und von unterschiedlichen Kontinenten stammen, zeigt, dass die Sicherheitsvorkehrungen
für die diplomatischen Depeschen der deutschen Auslandsvertreter meistenteils überflüssig war. Denn der Inhalt der Schreiben beweist, dass deutsche Diplomaten sowohl unter Joachim von Ribbentrop als auch unter Hans-Dietrich Genscher, Joschka Fischer und dessen letztem Nachfolger Guido Westerwelle gelernt haben, sich zu benehmen. Kein böses Wort fällt hier, egal ob über Stalin ("bauernschlau"), Mussolini ("auf sein Äußeres bedacht"), den derzeit amtierenden Papst ("ein Deutscher aus gutem Schrot und Korn", "in Mißbrauchsfälle nicht involviert"), den kongolesischem Staatspräsidenten Joseph Kabila ("feiner Kerl, guter Liebhaber") oder Mordkoreas Staatschef Kim Sung-Il, den die deutschen Beobachter vor Ort als "liebevollen Familienvater" und "glühenden Verehrer deutscher Klassik" charakterisieren. Die Bundesregierung, die ihre Außenpolitik auf der Basis dieser hervorragenden Informationen des Außenamtes ausrichtet, konnte überhaupt nur so umfassend ins Bild gesetzt ihre weltweite geachtete Friedenspolitik in Angriff nehmen.

US-Botschafter Philip Murphy zeigt sich entsprechend zerknirscht. Während er seine Regierung auf völlig unübliche Weise darüber informiert hatte, dass CSU-Chef Seehofer als "unberechenbar" (Der Spiegel) gilt, und auch weitere geheime Einzelheiten aus der deutschen Politik nach Washington gemeldet wurden, hielten die deutschen Partner ihre Regierung stets höflich und korrekt auf dem Laufenden. Bin Laden sei "auch nicht mehr der Alte", im "privaten Gespräch aber ein freundlicher Mann" kabelte die Vertretung aus Islamabad nach Berlin. Mullah Omar hingegen habe es offenbar satt "als Religionsführer betrachtet zu werden". Der oberste Führer der Taliban sehne sich nach Frieden und wünsche sich eine eine Villa bei Bad Godesberg und mindestens sieben Kinder.

Wie PPQ jetzt erstmals dokumentiert, vermischten deutsche Diplomaten nirgendwo fragwürdige Informationen mit eigenen Einschätzungen. Bei "Anne Will", einer vielgesehenen Fernsehrunde in der ARD, gestand FDP-Entwicklungshilfeminister, dass es in der deutschen Politik keinen Informanten gebe. Während sich US-Präsident Barack Obama immer noch weigert, sich bei dem deutsc hen Publizisten Klaus Kocks für die Datenpanne in seinem Außenamt zu entschuldigen, wies Niebel nach, dass es hierzulande soweit nie werde kommen können. Nicht einmal aus der Koalitionsrunde habe damals jemand berichtet. Schon gar nicht würden deutsche Diplomaten in ihren Gastländern Informationen aller Art sammeln und nach Berlin weiterleiten, auch deutsche Geheimdienste täten das nicht.

"Gehen befreundete Nationen so miteinander um?", fragt nun die "Welt" mit Blick auf die menschenverachtende amerikanische Praxis, deutsche Politiker mit Injurien wie "nicht kreativ" und "aggresiv" einzuschätzen. Den deutschen Botschaftern könne man kaum vorwerfen, dass sie nicht begierig aufnähmen, was ihnen da zugetragen werde, lobt die "Süddeutsche Zeitung" die Strategie der Deutschen, auf Geheiminformationen rundheraus zu verzichten. Man müsse sich „der Geheimniskrämerei von Behörden" widersetzen", denn heutzutage könne "jeder Tausende Dokumente ins Internet stellen", nicht mehr nur Zeitungen wie die Süddeutsche.

Deutschland mache vor, heißt es im politischen Berlin, wie sich darauf reagieren lasse: Sei ein Außenministerium auch intern immer diplomatisch, gebe es keine Probleme, erfinde eine Zeitung ihre Nachrichten, wie kürzlich der "Spiegel" es mit der angeblichen Terrordrohung gegen den Reichstag tat, gebe es keinerlei Informaten zu schützen und niemand werde beschädigt.

Sonntag, 28. November 2010

Das Entsetzen regiert

Er verbot jeden Vergleich verschiedener Diktaturen in seinem Bundesland, wusste von nichts, als ein bestechlicher Spitzenbeamter im Innenministerium befördert werden sollte, trieb über Monate unbeirrt die Endlösung der Battke-Frage voran und als ihm der Wind in der Landespolitik immer schärfer ins Gesicht wahrte, beschloß Rüdiger Erben, sein Glück zwischendurch mal wieder auf einem Bürgermeisterstuhl ganz tief unten in der Provinz zu parken, um wiederzukommen, wenn das Volk ihn ruft.

Ein Plan, der nun schon an der ersten Hürde ins Stolpern kam. Bei der Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters des Örtchens Teuchern, einer 10.000-Seelen-Gemeinde an der berühmten Straße der Gewalt, unterlag der SPD-Hoffnungsträger einem parteilosen Sekundarschullehrer. Erben, kleingewachsenes Schwergewicht der Sozialdemokratie im westlichsten der östlichen Bundesländer, erhielt nur knapp 47 Prozent der Stimmen, sein Konkurrent mehr als 53 Prozent.

Beim ersten Wahlgang vor drei Wochen hatte Erben (im Bild zweite Reihe Mitte) noch mit 37,94 zu 21,93 Prozent vor Puschendorf gelegen, dann allerdings erschütterte die Affäre Püschel die ortsansässige Parteigruppe, deren Chef der Multifunktionär ist: Ein SPD-Ortbürgermeister hatte gewagt, auf der Besucherbühne am NPD-Parteitag im nahegelegenen Hohenmölsen teilzunehmen, satt wie Erbven angenommen hatte gemeinsam mit CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer und anderen Landespolitikern gegen die Austragung der Veranstaltung zu protestieren.

Als Püschel nach seiner Hospitation beim Feind auch noch reportierte, es seien dort keine Hitlergüße gezeigt und keine kleinen Demokraten gefressen, dafür aber allerlei Sachen gesagt worden, "die ich auch unterschreiben hätte können", ließ der noch amtierende Vize-Chef des Landes-SPD den "Tagesspiegel" in Berlin wissen: „Ich bin entsetzt“.

Von Entsetzten aber möchten die meisten Menschen im Burgenlandkreis offenbar nicht regiert werden. Erben will sein Amt als Staatssekretär nun doch bis zum Ende der Wahlperiode behalten, parallel dazu werde er um ein Landtagsmandat kämpfen. Klappt es damit nicht, bringt der studierte Verwaltungswissenschaftler aber schon aufgrund seines Parteibuches alles mit, um mit dem immer noch vakanten Posten des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen versorgt zu werden.

Ein Stasi-Experte in seinem Element
Unvergleichlich: Diktaturen hier und dort

Wofür wir gern werben: Krieger-VZ

Alte Kameraden suchen wie das deutsche Staatsanwaltschaften seit mehr als 60 Jahren tun, und sich dann vernetzen, um die geile Zeit in Uniform zu feiern - dank unseres generösen Werbepartners Google können wir in unserer konsumkritischen Reihe Wofür wir gern werben endlich mittun bei der Vorbereitung des Vaterlandes auf den weltweiten Verteidigungsfall. Draußen schleicht sich der Terror in Regionalzüge, die von Islamabad aus gesehen logisches erstes Ziel für islamistische Angreifer sind, drinnen steigende Umsätze im Weihnachtswerbegeschäft: Wo uns in der Vergangenheit verschiedentlich Banner zum Lobe der echten Ostalgie und der geliebten Bundesregierung an den rechten Rand tapeziert wurden, schaltete das Adsense-Programm des kalifornischen Netzriesen Google seit einigen Tagen gelegentlich hilfreiche Hinweise auf die große Bundeswehr-Community Bundeswehrzeit, eine Art Krieger-VZ. Hier finden sich die Stalingrad- und die Kabul-Generation zum lockeren Gespräch zusammen, hier werden Erfahrungen mit Nahkampfwaffen und Koma-Sauf-Anlaufstellen ausgetauscht und man kann seinen alten Stuben-Kameraden die eigene Ordenssammlung präsentieren.

Die Nutzung des "Soldatennetzwerkes" ist selbstverständlich völlig kostenlos, nach einer gebührenfreien "Musterung" kann der große Spaß losgehen, streng getrennt nach Dienstzeiten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und der DDR. Neuerdings wird der virtuelle Dienst, den ein hoffnungsfroher Entrepeneuer aus Herten betreibt, besonders spannend durch ein Punktesystem mit "virtuellen Dienstgraden", die am Ende zum Ideal der sozialdemokratischen Gesellschaft führen werden: Eine Armee aus lauter Generalen. Dafür werben wir doch gern.

Freitag, 26. November 2010

Verdünnter Hass so hoch wie nie


Der Kampf ist nach wie vor ein ungeheurer, er tobt seit mehr als 65 Jahren, er kostet Millionen und aber Millionen und scheint nun doch verloren zu gehen. Schuld ist wie immer das Internet, nach Expertenangaben der "größte Tatort der Welt". Hier machen sich nach aktuellen Erkenntnissen von Menschenrechts- und Internetorganisationen, die auf der ganz dem guten Zweck geweihten Tagung "Moderne Zeiten, neues Netzwerken: Jugend, Hass und Web 2.0" in Wien erstmals öffentlich wurden, immer mehr rechtsradikale, rechtsextreme und rechtsextremistische Seiten breit. Derzeit, so verriet Stefan Glaser vom staatlichen Hassaufsichtsamt jugendschutz.net der ebenfalls staatlichen Danachrichtenagentur dpa, sei die Zahl der diskriminierenden und menschenverachtenden Internetseiten in Deutschland "auf einem nie dagewesenen Hoch". Mit großem Aufwand habe seine Behörde zuletzt "rund 1800 deutschsprachige Websites" mit Hasspropaganda finden können, angesichts einer Gesamtzahl deutscher Internetseiten von nur 13 Millionen eine beunruhigend hohe Zahl.

Der Anteil rechter Netzseiten habe damit inzwischen beängstigende 0.0138 Prozent erreicht - damit sei schon jede 7100. Internetseite rechtsradikal oder gar extremistisch. Eine schiere Explosion von Hass und Hitlertum, denn noch von drei Jahren hatte Jugendschutz.net nur 1.700 Seiten mit rechtsextremistischen Inhalten feststellen können. Damals entsprach das einem Anteil von 0,0195 Prozent aller deutschsprachigen Internetseiten - umgerechnet war eine von 5000 Seiten der Menschenverachtung gewidmet.

Drei Jahre später ist "die Zahl von rechtsextremen Inhalten im Internet aus Sicht von Experten aktuell so hoch wie nie", rechnet dpa die "unter der Schirmherrschaft des OSZE-Büros für Demokratie und Menschenrechte, des Internationalen Netzwerks gegen Cyber-Hass (INACH) und der Antirassismus-Organisation Zara" (dpa) gewonnenen Erkenntnisse

zusammen. Nur schwerer zu finden ist er, der Hass "in der virtuellen Welt" (dpa), die entlang der einst vom späteren Parteispendennehmer Helmut Kohl gebauten Datenautobahnen entstanden ist. Kein Wunder, denn der Rechtsextremismus im Netz hält mit dem Wachstum des Netzes selbst einfach nicht mehr mit: Während die Zahl der deutschen Internetseiten seit 2007 um 62 Prozent zulegte, schaffte die nationale Netzgemeinde gerademal eine Steigerung um fünf Prozent.

Für Stefan Glaser von der gemeinsamen Netzaufsicht der Länder ein Grund zur Beunruhigung. Gehe die Entwicklung weiter in dieselbe Richtung, sagen Mitarbeiter von jugendschutz.net unter der Hand, werde es in zehn bis 20 Jahren selbst für Spezialisten schwierig, inmitten des normalen Netzbetriebs Hass-Seiten und menschenverachtende Propaganda zu finden. Derzeit behelfe man sich noch damit, "7000 extremistische Postings" unter den vielen Milliarden Einträgen in sozialen Netzwerken zur neue Bedrohung von Freiheit und Menschlichkeit aufzublasen und zu behaupten, dass rechte Hetzer mit Hilfe von "Diensten wie der Videoplattform Youtube immer professioneller in ihrer Ansprache an Jugendliche" (dpa) agierten. So seinen im offiziellen NPD-Kanal auf Youtube bis heute bereits drei hochprofessionelle zusammengestümperte Wackel-Videos zu sehen, die täglich durchschnittlich bis zu 50 Zuschauer fänden. Rein rechnerisch erreiche die beinahe verbotene Nazi-Partei damit in nur 4500 Jahren jeden einzelnen Deutschen. Als Gegenmaßnahme fordert Glaser die umgehende Einführung einer "neuen Kultur gemeinsamer Verantwortung von Politik, Unternehmen und Nutzern, um solche Angebote einzudämmen".

Der Himmel über Halle XXXL

Er war, so sagen Himmelskunstkenner, ein großer Jahrgang, dieser 2010er. Ein Skyspektakel nach dem anderen ließen Verwaltung und Stadtrat der früheren mitteldeutschen Kulturhauptstadt Halle über den Köpfen ihrer Bürgerinnen und Bürger in wilden Farbfantasien explodieren, um wenigstens für ein paar Augenblicke von den drängenden Problemen der maroden Kommune abzulenken. Im Rathaus herrscht Krieg, auf den Straßen regiert die Gruppengewalt, nachts schleichen schwerbewaffnete Rocker auf "Mopeds" (dpa) knatternd um die wenigen noch bewohnten Häuser.

Doch wenn der Abend anbricht, kippt das alles nach hinten weg. Dann geben sich die Menschen an der Saale ganz dem Gefühl hin, in einer der schönsten Städte der Welt zu leben. Im Frühjahr nutzte die federführend verantwortliche Abteilung 7 des Grünflächenamtes und die auf Veranlassung des Stadtmarketingbüros bauausführende Firma Lichtschlag aus Nempitz die hereinschwebende Aschewolke, um den Himmel knallig rot zu malen. Später folgten grün und blau und Geld und schwarz, Kunstkritiker in der ganzen Republik waren verzückt, viele zufällige Gäste der Saalestadt staunten begeistert. Das von einer freiwilligen Wählerinitiative zum Rückbau des städtischen Bergzoos betriebene Internet-Board PPQ schließlich, von den ersten, noch unbeholfen an den Himmel projizierten Beta-Versionen offizielles Digital-Dokumentationszentrum der fortgesetzten Sky-Spektakel über dem Saaletal, wurde für seine Langzeitbeobachtungen der Kunstinstallation für den renommierten "Web-Award für klimaintensive Heimatkunde-Blogs" nominiert, den zuletzt die Macher des Films "Die Kinder von Golzow" erhalten hatten.

Inspiriert von den Heldentaten des Wasserdampf-Piloten Sandro Wolf, der im Auftrag der Stadtverwaltung seit Jahren verlässlich für freie Sicht am Himmel über Halle sorgt, haben jetzt 13 junge Künstlerinnen und Künstler vom früheren Gymnasium in Halle-Neustadt den Versuch unternommen, eine Zwischenbilanz der in Nachbarstädten wie Leipzig und Magdeburg neidvoll beargwöhnten Reihe zu ziehen. Als Lieferant des himmelsstürmenden Soundtracks konnten die bürgerschaftlich engagierten jungen Leute den Halle-Sympathisanten Jeremy Enigk gewinnen, als Sender wurde nach einer europaweiten Ausschreibung nach der Muster der Vergabe des laufenden Stadionbaus in Halle die Google-Tochter Youtube verpflichtet.

Noch mehr Himmel über noch mehr Halle:
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Wiedergeboren als Staatsfeind Nummer eins

Was eine klitzekleine Gesichts-Korrektur und ein neues Brillenmodell bewirken können, weiß die welt, seit die DDR-Popsängerin Angelika Weiz als vermeintlich in Westdeutschland geborene Enthüllungsjournalistin Mariam Lau eine gewaltige Zweitkarriere in Volksaufklärung hingelegt hat. Doch was den Guten recht ist, ist dem Bösen billig: Jetzt hat auch Thomas M. Hornauer, in den Dampfradiozeiten des politisch korrekten Erziehungsfernsehens der Thomas Gottschalk der Gegenaufklärung, eine neue Laufbahn gestartet. Der frühere Alleinherrscher bei Kanal Telemedial, einer Oase der Entschleunigung im Ozean des galoppierenden TV-Unsinns, wandelt auf den Spuren des Gossengängers Günter Wallraff. Ziel von Hornauer (Bild oben links): Versehen mit kleinem Bärtchen und Brille, das einst wallende Blondhaar entfärbt und zur Nackentolle geballt, hat sich der enigmatische Fernsehmacher die Rolle des rechtsradikalen Schornsteinfegers Lutz Battke (oben rechts im Bild) auf den irdischen Leib geschrieben.

Wie ehemals in seinen ausufernd improvisierenden Fernsehshows provoziert Hornauer in der Schornsteinfegeruniform des Staatsfeindes Nummer eins aus dem Burgenland, dass jeder Zuschauer seine helle Freude hat. Dabei ist für jeden, der genau hinschaut, ganz klar, dass ein typisch hornauersches Kunstprojekt hinter dem Auftauchen des vermeintlichen Hitler-Widergängers aus dem Örtchen Laucha an der Straße der Gewalt steckt. Nicht nur die körperliche Tarnung Hornauers scheint eher nachlässig. Vielmehr fallen die zeitlichen Abläufe unangenehm ins Auge: Wenige Wochen nur dauerte es von der Abschaltung des Kanal Telemedial durch die hellwachen Fernsehwächter bis zum ersten Auftauchen des vermeintlichen neuen Führers der deutschen Rechten.

Langjährige Dauerzuschauer des Kanal Telemedial lassen sich auch von der prolligen Lederjacke und den steifen Antworten auf Interviewfragen nicht beirren. In seinem Battke-Kostüm lebt Thomas M. Hornauer dieselben schrägen Vorlieben aus wie seinerzeit vor dem großen Fernsehpublikum: Er schlüpft bereitwillig in die Rolle des Fußballtrainers, er spielt einen Schiedsrichter, kandidiert gar für das Bürgermeisteramt. Immer aber hängt ihm dieses typische Hornauer-Lächeln im Mundwinkel wie eine kalte Zigarette, ein Desperado mit einer Mission, die Demokratie heißt. Die Landesregierung, in Teilen demokratischer Teilhabe der Bevölkerung eher abgeneigt, bibbert vor Angst, die Verfassungsschutzbehörden sind alarmiert, der MDR-Rundfunkrat hat ein Auge auf die Vorgänge im Raum Naumburg. Soviel Wind bläht die Segel: Mittlerweile hat Thomas M. Hornauer die NPD überzeugen können, ihn zum Spitzenkandidaten bei der anstehenden Landtagswahl zu machen. Sein Ziel sei es, verlautet aus dem mit den Vorgängen vertrauten Umfeld des Aktionskünstlers, als künftiger Ministerpräsident bessere Videoshows anzubieten als Amtsinhaber Wolfgang Böhmer, dem es nie gelungen war, mit seiner in virtuellen Hauslatschen absolvierten Online-Show größere Bevölkerungskreise in seinen Bann zu ziehen.

Gesänge fremder Völkerschaften: Der König der Straßenklampfer

Heringsdürr steht er da, die dünnen Hüften schaukeln den Hula-Ring, die rechte Hand schlägt energisch auf die Gitarrensaiten ein. "Easy", singt Emery Carl, der selbsternannte König der Straßenkünstler von Seattle, die Füße in den Bergsteigerstiefeln steppen, der Hula-Ring kreist, in der Hand klappert eine Rassel, zwischendurch quäkt die Mundharmonika und wenn es sich nur irgendwie machen lässt, stellt sich der Busker King sein Instrument aufs Kinn, um bei weiterlaufendem Gesang ein bisschen zu akrobatisieren.

Seit zehn Jahren steht Carl am großen Pikes-Touristenmarkt der Metropole, die einst Rockheroen wie Jimy Hendrix und Kurt Cobain hervorbrachte. Verglichen mit denen oder mit vielen anderen Beiträgen zur preisgekrönten kultur- und globalisierungskritischen PPQ-Reihe Gesänge fremder Völkerschaften sind die musikalischen Künste des hageren Einzelkämpfers mit dem glattrasierten Michael-Stipe-Kopf eher handfester Natur. In "I love my Mum", einem seiner großen Publikumserfolge, zelebriert Emery Carl seine Mission des "Walk Play and Sing of Life Love and the Essence of Being" zu zwei groben Akkorden. Der Refrain verzaubert dann mit Variationen von "I love my Mum", "I love my dad" und "I love my dog". Andere Nummern des Königs der Straßenklampfer sind ähnlich stabil in der Saitenlage, hochemotionales Geschrammel verzückt die Laufkundschaft, weil Carl sie mit Gitarrenakrobatik, lockeren Sprüchen und breitem Grinsen aufwertet.

Vier bis fünf Stunden täglich singt und tanzt Emery Carl, der sich selbst einen "modernen Troubadour" nennt, am Pikes Market. Vor sich einen Gitarrenkoffer, der sich zumindest bei einigermaßen schönem Wetter schnell mit Dollarnoten füllt, neben sich die Ersatzgitarre, unter sich ein paar zusätzliche Hula-Reifen, die er kreisen lässt, wenn mal was richtig Spektakuläres geboten werden soll. "Mein Geheimnis ist", sagt er, "dass ich nicht über das nachdenke, was ich mache". Er probiere es lieber einfach aus. Alle seine Tricks sind so entstanden, das Jonglieren mit zwei Gitarren, das Balancieren von drei Hula-Reifen, das Spielen auf einer Klampfe, die er freihändig auf der Kinnspitze balanciert. Kann man denn davon leben, fragen ihn die Leute immer wieder. Sieht ganz so aus, sagt der Busker King dann.

Mehr Gesänge von noch mehr Völkerschaften:
Blasen in Steueroasen
Pogo in Polen
Hiphop in Halle
Tennessee auf Tschechisch
Singende Singles

Mittwoch, 24. November 2010

Ein Abend wie gemalt


Sven Köhler steht da wie festgefroren. Keine Bewegung, die Hände hält Halles Trainer tief in den Taschen vergraben. Müsste ein Bildhauer ein Denkmal für Ratlosigkeit meißeln, Köhler könnte in dieser 88. Minute des heißersehnten Derbys seiner Mannschaft gegen den Landesrivalen aus Magdeburg Modell stehen.

Es ist ein Abend wie gemalt in Leipzig, wo der Hallesche FC in dieser Saison mangels eigenem Stadion alle sogenannten Sicherheitsspiele austrägt. Hier passt wirklich alles. Die sächsische Metropole hat sich fein gemacht, um die Gäste aus Sachsen-Anhalt zu empfangen: Alle Straßen sind gesperrt, alle Ampeln auf rot, an jeder Ecke steht Polizei, die sogar Verstärkung aus Thüringen bekommen hat und Fahndungsfotos direkt auf der Straße anfertigt. Terrorgefahr an der Pleiße, denn sagenhafte 5000 Zuschauer mit Sitzkissen unbekannten Inhalts werden erwartet! Die Stadt, die Goethe einst für ihre Gastfreundschaft lobte, hat diesmal alle Parkplätze am Stadion gesperrt. Parke sich, wer kann!

Auch das Wetter hat sich anlässlich der Bewerbung Leipzigs um die Eingemeindung nach Sachsen-Anhalt, wo man traditionell nicht in der Lage ist, Fußballspiele mit mehr als 100 Zuschauern auszutragen, fein gemacht. Eisige Kälte ist eingezogen, die ersten spillerigen November-Flöckchen künden von der unaufhaltsam hereinschneienden Klimakatastrophe. Die ersten Minuten des Spieles künden von den Schwierigkeiten des numerischen Gastgebers, vernünftig Fußball zu spielen. Magdeburg, seit der Veröffentlichung von Thilo Sarrazins "kruden Thesen" (Der Spiegel) ohne Sieg, hat in den ersten fünf Minuten zwei hochkarätige Torchancen. Halle aber hat mehr vom Spiel und die schöneren Trikots, knalliges Rot, Alarmfarbe, Feuerwehr. Aber nicht hier und nicht heute.

Als drückten die Leibchen noch zusätzlich zur erstmals seit Jahren verliehenen Favoritenbürde, schleppen sich die Köhler-Schützlinge über den rasenbeheizten Grob-Acker, auf dem vor vier Tagen die Fußball-Legenden Ost gegen die Fußball-Legenden West wie selbstverständlich siegten. Heute sehen die Guten schlecht aus. Benes springt der Ball ins Aus, Kanitz, früher ein wieselflinker Offensivmann, kennt nur noch den Sicherheitspaß nach hinten, Torwart Darko Horvat, ehemals Garant für die hinten stabil stehende Null, fängt keinen Ball sicher.

Der einzige, der sich in der bitterkalten ersten Hälfte überhaupt bewegt, ist FCM-Trainer Ruud Kaiser. Der Holländer ist sichtlich unzufrieden mit der Art und Weise, mit der seine Männer um seinen Arbeitsplatz kämpfen. Hier noch verlieren, und Magdeburg hat nicht nur keinen Vorstand mehr, sondern auch endlich mal wieder Trainerbedarf.

Doch der Mann muss keine Angst haben. Halles Sturm, seit einiger Zeit dargestellt vom Neuzugang Alen Lekawski, hat auch heute wieder die Sprengkraft einer Papiergranate. Der Kroate, eingestellt, um die ausschließlich langen Bälle, die praktischerweise gleich aus der Abwehr hereingesegelt kommen, mit dem Kopf abzulegen, ist so groß, dass er zum Kopfball gar nicht hochspringt. Dadurch ist er dann zuverlässig zu klein, um auch nur ein Kopfballduell zu gewinnen. Also keine Ablagen, also keine Torgefahr. Ein Freistoß in der 33. Minute, von Boltze frontal in den HFC-Fanblock gehauen, ist der erste Torschuss der Roten.

Das muss gefeiert werden: Ein beherzter Fan wirft ein bengalisches Feuer aus dem HFC-Block direkt ins Tor von FCM-Keeper Tischer, verfehlt den Torwart aber entgegen der üblichen Praxis. Riesige Empörung nun im HFC-Block. Der völlig unfähige Werfer wird gestellt, viel zu kurz verprügelt und dann der Polizei übergeben, die ihn geradezu zärtlich aus dem Stadion führt. Da wartet wieder eine harte Strafe auf den Attentäter, womöglich gibt es sogar einen Eintrag ins Muttiheft.

Alle anderen HFC-Fans werden allerdings noch härter bestraft. Die in der letzten Saison zu allerlei Hoffnungen ermutigende Köhler-Elf kommt nämlich wie verwandelt aus der Kabine. Jetzt geht gar nichts mehr. Texeira läuft sich abwechselnd mit Benes fest, Boltze kurbelt im Mittelfeld ganz für sich allein vor sich hin und Lindenhahn, die kleine, flinke Nachwuchshoffnung des HFC, spielt um einen neuen Vertrag beim Heimatverein. So wenig, wie ihm heute gelingt, reicht für kein Angebot aus der zweiten Liga.

In der 61. Minute bekommen die Hausherren die Quittung. Magdeburg, nach der Anfangsoffensive bemüht, ein Remis mit nach Hause zu nehmen, kommt über links. Texeira lässt seinen Gegenspieler laufen und passen, in der Mitte steht Köhne und haut den Ball unter die Latte. Von dort springt er ziemlich eindeutig hinter die Linie, sogar zweimal.

Und was macht ein Heimtrainer, wenn der Außenseiter im eigenen Stadion überraschend führt? Richtig, dieser hier schließt messerscharf, dass die jetzt schon leicht platt wirkenden Gäste nun bedingungslos weiterstürmen werden, um das vor zehn Jahren erzielte 7:0 zu übertreffen. Was tut der Taktikexperte dagegen? Natürlich einen schnellen Konterstürmer bringen.

Angelo Hauk, ein 100-Meter-Läufer mit der Schusskraft eines F-Jugend-Kickers, ist kaum auf dem Platz, da kommt Georgi über rechts und macht das 2:0 für Magdeburg. Es ist die 71. Minute, es ist gar fürchterlich kalt geworden im Zentralstadion und Halle beginnt jetzt doch noch, ein bisschen Fußball zu spielen., Ronny Hebestreit, für den eifrigen Finke-Ersatz Phillip Schubert eingewechselt, gibt dem immer noch meist besinnungslos herumstehenden Lekavski eine Lehrvorführung in "Wie ich einen Kopfball gewinne". Boltze müht sich, Lindenhahn ist einmal fast bis zur Torlinie durchgedribbelt. Er holt dann eine Ecke.

Längst singen nur noch die Magdeburger, der Halle-Block macht den Köhler, steht still und schweigt. Auch Thomas Neubert, von den Fachkräften in der Fankurve als "Fußballgott" veräppelt, muss sich nicht mehr warm machen. Alles läuft ja nach Plan, zwei Wechsel reichen. Seit der frühere Stammspieler, von seinen Bewunderern als Westernhagen der 4. Liga verehrt, draußen sitzt, hat der HFC genau null Tore geschossen.

Dabei bleibt es auch heute, obwohl mehrere Magdeburger Fans noch versuchen, durch gezielte Böllerwürfe die vor dem Match von den HFC-Fans favorisierte 0:3-Niederlage zu provozieren. Der Schiedsrichter aber weigert sich, die eigentlich übliche Unterbrechung anzupfeifen. Stattdessen pfeift er das Spiel ab. Sebastian Sumelka, einer von gefühlten 300 auch ohne Sprachkurs super integrierten FCM-Spielern, die aus Holland geholt wurden, nutzt die Gelegenheit, eine Zaunfahne der HFC-Fans als Andenken mitzunehmen. Er pflanzt sie jedoch irrtümlich nicht in den Mittelkreis.

Bessere Tage im PPQ-Archiv: Bullen scheitern am Baby-Bollwerk

Regierung schnürt Rettungspaket für Viertligisten
Beim Westernhagen des deutschen Fussballs
Schlachtfest im Bauernhaus
Abschied der Spartakiade-Kicker

Seit Jahren schnüren sie den Treibhausgas-Gürtel enger und enger, legen Programme für und gegen auf, treffen sich auf Konferenzen, um klimaneutrale Schnittchen zu verspeisen - und heraus kommt: Nichts! Nach Angaben der Verlautbarungsmaschine AFP hat der "Ausstoß von Treibhausgasen nach Einschätzung der Weltwetterorganisation (WMO) im vergangenen Jahr einen Höchststand erreicht". Ups. Wollten die Deutsche mit ihrem Ökostrom-Gewürge nicht quasi im Alleingang genau das verhindern? Waren nicht Solar-Autos und selbstheizende Häuser als Allheilmittel gegen die angeblich drohende Klimaerwärmung via Treibhausgas angetreten? Hatte nicht noch die kleinste Scheune auf dem flachen Land von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern qua Solar-Kollektoren den Weltenrettungsschlüssel in der Hand? Hm. Die Apokalyptiker werden sich durch die neuen Daten bestätigt fühlen, weil die multilateralen Anstrengungen einfach noch nicht ausreichen, um ertrinkenden Eisbären wieder eine Zukunft zu geben. Kurz: Der Misserfolg ist dann ein Zeichen dafür, dass der Erfolg nur mit noch mehr Misserfolg erreicht werden kann. Die etwas näher liegende Idee, das ganze Öko-Brimborium gegen erfolgversprechendere Strategien einzutauschen, die wirklichen Probleme der Menschheit anzugehen, dürfte in den jetzt folgenden Debatten kaum eine Rolle spielen. Schade eigentlich. Dabei ist alles so simpel: Da Wasserdampf das "wichtigste Treibhausgas" ist, müssten nur einfach alle Ozeane ausgetrocknet zu werden, um die Verdunstungsrate zu senken. Die "globale Erwärmung der Erdtemperatur" würde schlagartig der Geschichte angehören. Oder man lässt den Klimawandel einfach Klimawandel sein und wendet sich wirklich wichtigen Herausforderungen zu. Aber ist die Bekämpfung von Malaria schlagzeilenträchtig und mit Schnittchenterminen verbunden? Eben.

Reichstagssturm vertagt

Zu spät! Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat vor dem Zugriff terroristischer Gruppen auf Atomwaffen gewarnt, die bisher von großen Teilen der Bevölkerung für relativ unproblematisch gehalten wurde. Im Hysteriechannel stellte Westerwelle klar, dass ein atomar bewaffneter Iran "bald auch andere Länder nach dem Potenzial greifen" lassen werde. Womöglich folge dann ein atomar bewaffnetes Litauen, ein mit Atombomben ausgerüstetes Vanuatu und ein atomar hochgerüstetes Rumänien. Dadurch wachse die Gefahr, dass sich Terroristen den Zugriff zu Atomwaffen oder schmutzigen Bomben verschafften, führte er in der «Rheinischen Post» aus, ehe er das Bedrohungsszenario auf die Formel brachte: «20 Mann mit einer Atombombe sind eine Armee.»

Die könnte, so fürchtete ganz Mediendeutschland noch am letzten Wochenende, den Reichstag im Sturmangriff nehmen, um dort ein "Blutbad" (Der Spiegel) mit nachfolgender Geiselnahme oder auch umgekehrt durchzuführen. "Sehr konkret" terminiert worden war der Anschlag von Innenminister de Maiziere auf den 22.11. Die Folgerichtigkeit dieses Termins hatte auch kabbalistische Internetportal "Der Sopiegel" nachweisen können: Die Quersumme der Zeichenzahl von "November" plus dem Punkt von "11" sei neun, der November zudem der elfte Monat des Jahres. Das ergäbe 9/11 - eine unmissverständliche Anspielung auf die Terroranschläge vom 9. September 2001.

Damals war mit den Twin Towers das Herz des Westens getroffen worden, jetzt stehe nun ein Angriff auf das Hirn der freien Welt, auf den Ort, von dem aus Angela Merkel die weltweite Klimapolitik koordiniert, die Finanzwelt rettet, den Euro aus der Misere haut, die CDU zusammenhält und nebenbei noch einen Sparhaushalt nach dem anderen beschließen lässt.

Wie sehr Deutschland, der Leuchtturm des Aufschwungs, ins Visier der Terrorinternationale geraten ist, lassen die Meldungen der letzten Stunden ahnen. Obwohl der islamistische Terror die von der Bundesregierung "ganz besonnen" (dpa) avisierten Anschlagtermine ungenutzt hat verstreichen lassen und auch der Reichstagssturm wegen der raschen Aufstellung von Absperrgittern vor dem Parlament vertagt werden musste, reckt der Terror überall sein häßliches Haupt. So sprengten Unbekannte im mitteldeutschen Halle zahlreiche Briefkästen in einem Vorort, in Düsseldorf wurde nach Hinweisen aus der Bevölkerung der Hauptbahnhof gesperrt, in Essen traf es einen U-Bahnhof, in Merseburg fanden aufmerksame Bürger eine von der Sowjetarmee zurückgelassene Übungsgranate.

Allein das Call-Center der Bundespolizei in Sankt Augustin konnte 17 „Hinweise mit Blick auf die Gefährdungslage“ registrieren. Unter anderem meldeten aufmerksame Mitbürger aus dem Bonner Raum "zwei Personen arabischen Aussehens“, die mit einem "Auto mit süddeutschen Kennzeichen unterwegs" seien. In Köln konnte eine verdächtige Person gestellt werden, die aus einer Wohnung heraus den Bahnverkehr fotografiert hatte.

Der Mann, ein Fotoamateur und Eisenbahnfan, wurde durch Terrorfahnder umgehend überprüft und verhört. Nach einer kurzen Durchleuchtung von Lebenslauf, persönlichen Verhältnissen, Vermögenslage, beruflichem Werdegang und der in der Wohnung bei einer intensiven Durchsuchung sichergestellten Sammlung von Eisenbahn-Bildern konnte er aus dem Gewahrsam entlassen werden. Der Mann sei offenkundig "ein Einzeltäter" gewesen. Damit gelte Guido Westerwelles Sicherheitshinweis: Alles unter 20 Mann ist sowieso keine Armee, ob nun mit Atombombe oder ohne.

Türken gründeten Derenburg

Der Schock sitzt tief, guter Rat ist teuer. Nach einer Genanalyse, die das Institut für Anthropologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, das Landesamt für Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt und das Centre for Ancient DNA der Universität von Adelaide an Funden aus einem frühneolithischen Grab in Sachsen-Anhalt vorgenommen haben, steht jetzt fest, dass Türken nicht erst einige Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland eingewandert sind. Die Forschungsergebnisse des internationalen Teams belegten, so schreibt die staatliche deutsche Nachrichtenagentur dpa, "dass mit der neolithischen Revolution vor 8.000 Jahren" auch die ersten Türken eingewandert seien.

Eine fabelhafte Leistung der Betreffenden, die Deutschland so bereits rund 6000 Jahre eroberten, bevor es überhaupt eine Türkei gab. Nachgewiesen werden konnte das auch nur, weil die Wissenschaftler alte DNA von Toten aus, die bei Derenburg in Sachsen-Anhalt gefunden worden war. Das genetische Profil dieser frühen bäuerlichen Gemeinschaft der Linienbandkeramik-Kultur hat große Ähnlichkeit mit den Menschen, die heute im Nahen Osten leben. Hingegen unterscheide es sich deutlich vom Genmaterial der damals bereits hier lebenden nomadischen Populationen.


Fest steht nun, dass die ersten Kachelmänner schon hier waren, als die ersten Türken kamen. Weiter ist klar, dass es Türken schon tausende Jahre gab, bevor Atatürk das Land überhaupt gründete. Ohne Bezug auf die vom früheren Bundesbanker Thilo Sarrazin erfundene und von der deutschen Fachpresse einhellig widerlegte Existenz von "jüdischen Genen" zu nehmen, konnten die sogenannten mitochondrialen Haplotypen der Bandkeramiker im Erbmaterial von Menschen in neun von 36 Regionen in Eurasien nachgewiesen werden. Eine enge Verwandtschaft der Derenburger Bauern bestehe mit drei zentraleuropäischen und mit vier Populationen in der Türkei, in Syrien, im Irak und anderen Regionen des Nahen Ostens.

Zur PPQ-Gendatenbank:
Die Taz und die Gene
Mensch, sei kein Frosch
Hitler: Gentest schürt Rassenhass
Maskenball im Rinderoffenstall
Steffi Grafs sportliche Kinder

Dienstag, 23. November 2010

Mordenmagazin im Hysteriechannel

First we take Belgien, then we take Berlin - einmal mehr zeigt sich nach den nur aufgrund der rechtzeitigen Warnungen der Bundesregierung knapp überstandenen Anschlägen vom 22. November, dass mit dem internationalen Terrorismus nicht zu spaßen ist. Keine 24 Stunden nach dem auf "Februar, März" (Der Spiegel) verschobenen "Sturmangriff" auf den im Mai vor 65 Jahren von schwedischen, flämischen und holländischen SS-Freiwilligen vergeblich gegen ähnliche Abgriffe sowjetischer Truppen verteidigten Reichstag reckt Al Kaida ihr Haupt zu Füßen des berühmten Männecken Piss. Gleich zehn Männer konnten jetzt in Belgien, den Niederlanden und in Deutschland festgenommen werden, weil sie "Verbindungen zur islamistischen Szene haben", wie der "Spiegel", eine Art "Panzerbär" des Terrorzeitalters, mitteilt.

Nicht mehr im Ullstein-Verlag, aber ähnlich vorneverteidigt, verweist das Blatt auf den "Verdacht", die Festgenommenen hätten "im Auftrag einer internationalen islamistischen Gruppe in Belgien einen Anschlag geplant". Im Gegensatz zum "Spiegel", dem die Al Kaida-Spitze das Anschlagsziel schon vergangene Woche brühwarm in die Blöcke diktiert hatte, wurden die mit der Ausführung betrauten Terroristen wie in vielen auch nichtterroristischen Unternehmen bis zum Schluss im Unklaren über "das genaue Ziel" (Der Spiegel) gelassen. Das Ziel sei "noch unklar" gewesen, schreiben die Panzerbären, während die "Welt" schon von "Angst auf den Straßen von Berlin" berichtet. Deutschland sei "im Ausnahmezustand", heißt es, genauer sogar: "vor den Kaufhäusern steht ein Polizist".

Unfassbar. Doch immer noch ist Belgien weit. Die Ermittlungen, so wandten sich die seit Bad Kleinen und der Grams-Erschießung für ihre blühende Fantasie berüchtigten Hamburger Terror-Experten an die "Verteidiger von Berlin", "richteten sich gegen den internationalen Dschihad-Terrorismus" - offenbar sowohl in Belgien als auch in Deutschland ein neuer Strafrechtsparagraph, der noch ohne Nummer ist, denn im Strafgesetzbuch findet er sich bislang nicht. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere nahm den Schlag gegen den internationalen Terrorismus im Hysteriechannel zum Anlass, vor immer mehr Terrorwarnungen zu warnen. Es habe keinen Sinn, sich verrückter zu machen, als es die Situation erfordere. "es passiert, wenns passiert", beruhigte er im "Mordenmagazin" eine Anruferin, die wissen wollte, ob es sehr konkrete Hinweise auf eine erhöhte Anschlagsgefahr im Örtchen Kiekebusch bei Schulzendorf in der Nähe von Königs Wusterhausen gebe. Gebe es nicht, beruhigte der besonnene CDU-Politiker, doch in Spanien etwa habe Al Kaida seinerzeit "in Vorortzügen zugeschlagen".

Die Frau war daraufhin beruhigt. Zum Glück gebe es ja schon lange keine Zugverbindungen mehr von Kiekebusch in die bedrängte Hauptstadt.

Mückenstiche statt Mord
Al Kaida bekennt sich zum Loch von Schmalkalden
Wo die Dämonen wohnen
Unmut in der Umma
Mohammeds Maulfußballer
Mummenschanz vom Muselmann
Virtuelle Terrorwelle

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Wiedergeboren als Weihnachtsbaum

Heimatforschung der dritten Art, die der Berlinpankowblogger da geleistet hat: Punktgenau erkannte der stets stilsichere Architekturkritiker im aktuellen Tannenbaum-Ersatz auf dem Breitscheidplatz in Berlin-Charlottenburg, als der wegen der um sich greifenden Terrorgefahr eine Licht-Installation dient (oben rechts) den Notnachbau des einst als "sowjetischer Pavillon" bekanntgewordenen Achilleions auf der alten Messe in Leipzig (oben links).

Ursprünglich 1923 gebaut, diente die Messehalle in ihrem ersten Leben auch als Sportpalast. Der gerade vom historischen Wochenblatt "Spiegel" wiederentdeckte Joseph Goebbels allerdings, der den bislang für viele Dinge verantwortlich gemachten "Führer" Adolf Hitler nach neuen Erkenntnissen aus Hamburg erfunden und bis ins hohe Alter bei seinen Untaten angeleitet haben soll, hielt hier nie eine Rede.

Trotzdem wurde das von Oskar Pusch und Carl Krämer entworfene Gebäude in der Nähe des Völkerschlachtdenkmals während der Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstört. Gut, dass die sowjetischen Freunde nach der "Befreiung" (Weizsäcker) sofort zu Hilfe eilten, die von den westalliierten Bombern angerichteten Schäden auszubessern: Das Achilleion wurde 1950 als "Sowjetischer Pavillon" wieder eröffnet und machte erneut Karriere. 30 Jahre lang begann die Staats- und Parteiführung der DDR hier ihre in Ost und West beliebten Messerundgänge, ehe die Stadtverwaltung in Berlin beschloss, sich von der einzigartig illuminierten Silhouette zum ersten Not-Weihnachtsbaum des Terror-Zeitalters inspirierten ließ. Eine Wiedergeburt, die Sachsen stolz macht, und das womit? Genau, mit Recht.

Weshalb das in Berlin herrschende Regime die Weihnachtsbaumspitze wegen angeblicher "Verwechslungsgefahr" inzwischen entfernen lassen hat.

Mehr überraschende und erschütternde Wiedergeburten in der PPQ-Datenbank
Magenband-Modell
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Abriss-Architektur

Als die sachsen-anhaltische Provinz noch Bezirk Halle hieß

Montag, 22. November 2010

Wer hat es gesagt?

Dieses Land ist führungslos und es ist nicht anzunehmen, daß die Dilettanten, die zur Zeit regieren, dazulernen.

Mückenstiche statt Mord

Bei "Anne Will" gelang es schon mal. Man solle sich in den Zeiten des eingebildeten Terrors "wie immer verhalten", mahnte Bundesinnenminister Thomas de Maiziere, der die vielgesehene Sendung zuvor genutzt hatte, um seinen inständigen Warnungen vor Terror, vor Hysterie und vor Angst eine vor zuviel Warnungen hinterherzuschieben. Er verhielt sich also wie immer. Auch sonst alles beim alten bei "Will": Die übliche Runde aus Kleindarstellern verbreitet die bekannten Fernsehweisheiten.

Der amerikanische Journalist Don Jordan, der schon mehr Zeit im deutschen Fernsehen als beim Abfassen von Texten für amerikanische Zeitungen verbracht hat, deckte die große Terrorverschwörung denn auch eher unfreiwillig auf. Gerade hatte „Spiegel”-Chefredakteur Georg Mascolo noch mutig davon geschwärmt, dass "die Jünger von Usama Bin Laden" die " Weichteile der freien Gesellschaft angreifen würden - also Bordelle, Hotels, Märkte, Kindergärten, da berichtete Jordan plötzlich von seiner Begegnung mit einer Terrortüte auf dem Hinflug. Unbeobachtet habe sie da gestanden, direkt auf dem Flughafen, ungestört von den schwer bewaffnet herumlungernden Einsatzkräften und folglich auch ungesprengt.

Eine Szene, die deutlich macht, wie einfach es wäre, Hart- oder Weichteile der freien Gesellschaft überall in Deutschland zu treffen. Sprengstoffvorräte findet die Polizei bei jeder Razzia in Lederkluftturnvereinen, Feuerwaffen vermochten sich zuletzt sogar Minderjährige immer wieder leicht zu beschaffen. Und dazu, ein Auto voller Benzin und Schwarzpulver in der Entladezone des Flughafens Düsseldorf zu zünden, bedarf es nur Dreierlei: Eines entschlossenen Fahrers, eines Autos und der explosiven Ladung. Ein Anschlag auf den Kölner Dom oder die Leipziger Nikolaikirche käme sogar ohne Auto aus. Da die Kirchen im Gegensatz zu vielen Moscheen im arabischen Raum für jedermann frei zugänglich sind, könnte ein Selbstmordattentäter einfach hineinspazieren.

Doch Al Kaida schickt ihn nicht. Schickt ihn nicht erst nicht, seit die Polizei ihre Büros ausgekehrt und alle trommelbäuchigen Schreibstubenhengste vor die Agentur-Linsen geschickt hat. Ein Rätsel, das Fragen aufwirft. Hat Osama Bin Laden der Gewalt abgeschworen? Wartet Mullah Omar auf eine Einladung zu Friedensgesprächen? Kurz gesagt: Wollen die nicht? Oder können sie vielleicht gar nicht?

Schon seit Jahren lebt Al Kaida beinahe ausschließlich von den gelungenen Attentaten der fernen Vergangenheit, misslungenen Anschlagversuchen von oft desaströs amateurhaften Dimensionen und jeder Menge Ankündigungsterrorismus. Statt Terror gibt es Drohungen, statt Blut Tonbänder. Die Formulierung "wenn ihr nicht, dann werden wir" hat Osama Bin Laden inzwischen so oft benutzt, dass sie abgeschliffen aussieht wie der Sitz eines Mietschlittens in Tirol. Jedes Mal blieb es bei Worten.

Da liegt die Vermutung nahe, dass sie einfach nicht können. Wie jede soziale oder revolutionäre Bewegung ist Al Kaida dynamisch gestartet, ein Netzwerk neuer Art, angetreten, die Welt zu verändern. Und wie die Führer der kommunistischen Welt musste auch die Al Kaida-Führung einsehen, dass auf den schnellen und steilen
Sonnenaufgang der eigenen Idee nicht zwingend kurz vorm Mittag die Weltherrschaft folgt. Nein, es kann auch auf einen 500 Jahre langen Vormittagsbrunch hinauslaufen.

Die eigene Schwäche, auch das hat der Kommunismus vorgemacht, wird nun eifrig zur Strategie erklärt. Der "Focus" übernimmt es, den erfolglos gebliebenen Versuch, fehlenden Selbstmordattentäter durch den Postboten zu ersetzen, zu "neuen Terror-Strategie" zu erklären. Mit einem Materialeinsatz von nur 3000 Euro sei es den Terroristen gelungen, dem Westen Milliardenkosten für Sicherheitsmaßnahmen aufzuzwingen. Die Al Kaida auf der Arabischen Halbinsel, die sich nach "Focus"-Angaben das Kürzel AQAP gegeben hat, um nicht ständig mit CDU und DGB verwechselt zu werden, spreche im Zusammenhang von „Hebelwirkung“, die den Westen in die Knie zwingen solle.

Es geht nicht mehr um Morde, sondern um Mückenstiche, nicht mehr um Anschläge, sondern um Ankündigungen. Die Strategie "Blutsturz" (Focus) sei eine der "Nadelstiche", hätten die Terroristen selbst erklärt: Ziel der Aktion sei "maximaler ökonomischer Schaden" gewesen.

Offenbar aber unter der Maßgabe geringsten eigenen Einsatzes, weil mehr nicht mehr geht. Statt von einer umgehenden Vertreibung des Westens aus der arabischen Welt spricht der Discountterror davon, „keinen großen Schlag“ zu brauchen, um "Amerika niederzuringen". Die neue Strategie sei die Strategie der tausend Wunden".

Was aber nach Strategie klingt, so zeigen die weiteren Ausführungen, ist aus der Not der Beschränktheit der eigenen Mittel geboren. Kleinere Attacken seien "mit weniger Beteiligten und kürzerem zeitlichen Vorlauf" leichter zu realisieren, schreiben die jemenitischen Al Kaida-Kämpfer, die vor Jahren noch in der Lage waren, ein US-Kriegsschiff im Hafen von Aden anzugreifen.

Heute reicht es noch für eine Paketbombe und ein paar Anrufe bei Thomas de Maiziere. Al Kaida in der Krise - nichts geht mehr beim Terrornetzwerk, außer Drohungen bringt das Netzwerk nichts zustande. Gut, dass ein deutscher Minister den Bin-Laden-Truppen da hilfreich beispringt und Hysterie und Panik durch die fortdauernd wiederholte Warnung vor beidem verbreitet. Der Effekt allerdings ist größer als der jeder Al-Kaida-Attacke bisher: Jeder zweite Deutsche glaubt mittlerweile an einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag. Die neue Al Kaida-Strategie, statt Bomben eine genaue Darstellung ihrer Philosophie, des Einsatzverlaufs, ihrer Absichten und der nächsten Schritte zu schicken, ist aufgegangen.

Al Kaida bekennt sich zum Loch von Schmalkalden
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Sonntag, 21. November 2010

Wir gegen uns: Fußball-Einheit nur im Osten

Typische Einheitsfeier, 20 Jahre danach: Leipzig, einst Gründungsort des später nur noch westdeutschen Deutschen Fußball Bundes, erlebt das große Spiel "DDR-Legenden" gegen "Fußballweltmeister", das so heißt, weil man es natürlich nicht DDR gegen BRD nennen kann. Die "Superillu", Zentralorgan der Ost-Enttäuschung, ist seit Tagen aus dem Häuschen, die einheimischen Regionalblätter beschwören die Zeiten, als Ostdeutsche noch in der Bundesliga und in der Nationalmannschaften mitspielten. Matze Knop macht wie immer seine "Beckenbauer"-Nummer und Olaf Marschall hat immer noch eine Frisur, die, wäre sie eine Jeans, Stonewash-Karotte hieße.

"Ein gelungener Tag, ein gelungener Abend", wird der Kommentator des MDR am Ende der Begegnung "Wir gegen uns" resümieren, gänzlich unbeobachtet allerdings vom Westteil der vereinten Fußballrepublik. Dort interessiert "das große Fest" (Waldemar Hartmann) niemanden. Während im Sendebereich der ehemaligen DDR sowohl MDR als auch RBB das Treffen der früheren Oberligakicker mit den einstigen Bundesliga-Idolen übertragen, sparen sich das die West-Anstalten von Bayerischen Rundfunk bis WDR, von SWF bis NDR. Auch die Fußball-Giganten aus der Ex-BRD bekommen mit Mühe eine Mannschaft zusammen: 14 Spieler nur, darunter der aus Kalifornien eingeflogene Jürgen Klinsmann, fanden Zeit, das 1990 wegen Sicherheitsbedenken ausgefallene Vereinigungsspiel nachzuholen.


"Heute ist alles sicher", sagt der MDR-Schlachtberichterstatter. Der internationale Terror bedroht Berlin, nicht Leipzig, und die Republik schaut ohnehin nicht "auf diese Stadt" (Willy Brandt). Die Einheit, das ist die Botschaft, ist eine reine Ostangelegenheit, kein Grund zum feiern in Bochum, Köln oder Stuttgart, wiewohl es natürlich der konsumfreudige Osten war, der vor zwei Jahrzehnten dank westdeutscher Kreditschöpfung einsprang, die Dauerkrise von rheinischem Kapitalismus und Kohlscher Marktwirtschaft aufzubrechen. Immerhin haben die PPQ-Leser dem früheren halleschen Spieler Dariusz Wosz einen Kranz gewunden: Sie votierten mit Zwei-Drittel-Mehrheit dafür, den kürzlich irrtümlich an den gebürtigen Schalker Mesut Özil verliegenen Integrations-Bambi besser an den gebürtigen Polen Wosz zu vergeben, der sich vorbildlich erst in der sozialistischen DDR und später auch noch in der kapitalistischen BRD integrierte.

Ein Plädoyer, das verhallen wird, wie die Verdienste der Ostdeutschen heute vergessen sind. Dafür heftet sich etwa der DFB Heldentaten an, die er nie zu vollbringen vermochte. Hans-Georg Moldenhauer, vom Fußballchef der DDR umgeschult zum Vizepräsidenten des gesamtdeutschen Verbandes, nennt die deutsch-deutsche Fußballeinheit eine "Erfolgsgeschichte".

Er meint damit wohl vor allem, dass der Fußballwesten erfolgreich gewesen ist: Zwischen Rostock und Zwickau rollt der Ball heute nur noch in den unterklassigen Ligen. Einstige DDR-Spitzenklubs wie der 1. FC Magdeburg, Dynamo Dresden oder Carl Zeiss Jena stehen im Abstiegskampf in unteren Ligen; Traditionsvereine wie der Hallesche FC, Lok Leipzig oder Chemnitz dümpeln in der vierten oder gar fünften Liga herum. Mit Aue, Cottbus und Union Berlin haben es ganze drei der letzten 14 Oberliga-Klubs geschafft, bis heute weiter Profifußball zu spielen. In der Fußball-Bundesliga standen am letzten Spieltag vor dem Vereinigungsmatch ganze vier Profis aus den neuen Ländern auf dem Platz. Das sind knappe zwei Prozent aller deutschen Erstliga-Spieler - bei einem ostdeutschen Bevölkerungsanteil von zirka 15 Prozent fast achtmal weniger, als rein statistisch zu erwarten wäre.

Dennoch ein gutes Ergebnis, das der Fußball da erzielt, verglichen mit den Medien, die über ihn berichten. Auf der MDR-Couch bei der "großen Fußballeinheitsgala" in Leipzig wird das Problem engagiert diskutiert: Von Oliver Bierhoff, DFB-Manager, geboren in Karlsruhe. Von Guido Buchwald, Ex-DFB-Nationalspieler, geboren in Westberlin. Von Waldemar Hartmann,
Moderator und Komödiant, geboren in Nürnberg. Von Matze Knop aus Lippstadt in Nordrhein-Westfalen. Und von Miriam Pielhau, Moderatorin, geboren in Heidelberg.

Die DDR-Legenden hatten das Spiel zuvor mit 2:1 gewonnen. Ein Sieg war das nicht.

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Samstag, 20. November 2010

Bullen scheitern am Baby-Bollwerk

In der 71. Minute hätte es fast wieder geklappt wie damals im Winter vor acht Jahren gegen Feyernord Rotterdam. Tom Butzmann (oben im Film beobachtet mit der Butzcam) steht für einen Augenblick ganz allein am langen Pfosten, der Ball segelt herein, fällt direkt vor ihm auf den Rasen, jetzt drehen, schießen, das Spiel wäre entschieden und der Mann mit der 26 der Held gewesen. Aber dann verspringt das Leder, Nico Kanitz drängelt dazu, dribbelt nach innen, bleibt hängen und vorüber ist die letzte Großchance des gastgebenden Halleschen FC im Regionalligaspiel gegen Rasenball Leipzig.

Eine Begegnung Not gegen Elend haben die 2100 Zuschauer bis dahin im Halle-Neustädter Ausweichstadion der Hallenser gesehen. Der HFC in Besetzungsnot, der ehemalige Liga-Favorit aus Leipzig nach bisher enttäuschendem Saisonverlauf im spielerischen Elend. All die teuren Erstliga-Kicker bringen nichts zustande, oder doch jedenfalls nicht mehr als der HFC, der nach Jahren, in denen Spieler kamen und gingen, inzwischen mit drei, vier oder sogar fünf Kickern aus der eigenen Nachwuchsabteilung aufläuft.

Auch heute wieder. Nach dem Ausfall der gesamten Innenverteidigung hatte HFC-Trainer Sven Köhler umstellen müssen: Statt Moyaya und Klippel laufen der 19-jährige Tom Butzmann und Edelreservist Christian Kamalla gegen den hochbezahlten Sturm der Brausemannschaft auf. Beide haben erst ein paarmal in der zweiten Mannschaft zusammen gespielt, zuletzt gegen Sandersdorf. Ein Baby-Bollwerk, das von der Papierform her auf verlorenem Posten steht gegen die Profis aus der Messestadt. Es wird auch gleich eng, als Nico Frommer plötzlich im Rücken von Butzmann auftaucht und frei aufs Tor zuläuft. Dort aber steht ja immer noch Darko Horvat, der große alte Mann des mitteldeutschen Torwartgewerbes, der die Chance entschärft.

Es bleibt Butzmanns einziger Fehler im Spielverlauf. Als hätte ihn die Panne wachgemacht, steht der Nachwuchsmann die nächsten 85 Minuten wie eine Wand. Während Christian Kamalla gelegentlich Wackler bietet, die das bei herrlichem Sonnenschein eher unspiriert dahinlaufende Spiel dann und wann spannend machen, köpft und schlägt Butzmann die Bälle weg, als spiele er nicht sein erstes Regionalligaspiel von Beginn an. Vor allem in der ersten Halbzeit ist hin und wieder etwas zu tun, jedes Mal ist der Mann mit 26 in Rot und weiß schneller als RB-Stürmer Nico Frommer.

Der lässt allerdings auch wie alle seine Mitspieler alles vermissen, was ein selbsternannter Aufstiegskandidat eigentlich zeigen müsste. Bei RB fällt niemand positiv auf, alles ist Krampf, Foulspiel, Zufallsprodukt, die rechte Angriffsseite scheint völlig unbesetzt, das Mittelfeld eher auf Halten als auf Angriff programmiert. Halle dagegen zieht wenigstens gelegentlich an, Teixeira hat sogar die große Chance zur Führung, er trifft aber wie zuletzt Kollege Lekavski gegen Wilhelnshaven nur die Latte.

In der zweiten hälfte zieht sich RB dann noch ein wenig mehr zurück. Jetzt spielt eigentlich nur noch der HFC, die Führung liegt nach einer Großchance von Kanitz, der freistehend verzieht, in der Luft. Doch auch Lekavski schießt unbedrängt vorbei - es deutet sich ein Ausgang an, wie ihn die Statistik schon vermuten ließ: Zwei Mannschaften, die kaum Tore schießen, aber auch kaum welche zulassen, marschieren gemeinschaftlich auf ein torloses Unentschieden zu.

Zu verdanken hat der HFC das am Ende seinen Stürmern, die auch nach der Einwechslung von Angelo Hauk ihrem Ruf gerecht werden, einfach nicht treffen zu können. Und natürlich dem Baby-Bollwerk hinten, das auch dicht hält, nachdem RB-Trainer Oral den entnervten frommer vom Platz genommen hat, um mit dem letztjährigen Torschützenkönig Danien Frahn mehr Druck zu machen. Wie Frommer aber sieht auch Frahn keinen Stich gegen Tom Butzmann, der das Fußballspielen einst zwei Kilometer entfernt vom Neustädter Stadion beim FVS 67 erlernt hat. Der frühere Stürmer, vor ein paar Jahren erst zum Abwehrspieler umgeschult, steht immer richtig, er stopft die Löcher, er geht bei Ecken und Freistößen sogar mit nach vorn und hätte in jener 71. Minute sogar alles klar machen können. Immerhin - im Spiel gegen Feyernord Rotterdam, damals in der D-Jugend, reichte sein Treffer nicht zum Sieg, der FSV verlor mit 1:5. Heute reicht kein Treffer wenigstens zum Remis. Vater Butzmann, erster Trainer seines Sohnes, geht zufrieden nach Hause. Zufriedener jedenfalls als die restlichen Zuschauer, denen nun endgültig klar ist, dass ihre Mannschaften in dieser Saison nur gut genug fürs Mittelfeld der Tabelle sind.

Der HFC im PPQ-Archiv:
Geiselhaft bei der Fußball-RAF
Regierung mit neuem Rettungspaket
Westernhagen im HFC-Trikot
Schlachtfest im Bauernhaus
Abschied der Spartakiade-Kicker
Acht Minuten bis zur Ewigkeit
König, wer die Bauern schlägt
Klassenziel im Vorstadtexil
Siegen hinter der Sülze