Dienstag, 28. Februar 2023

Zitate zur Zeit: Zerbröckelndes Selbstbild

Ein Ende in Ernüchterung.

Wenn mich nicht alles täuscht, steht Europa kurz vor der Phase einer großen Ernüchterung, die das eigene Selbstbild tief erschüttern wird. Für mich aber ist das ein Grund zur Hoffnung. Der so selbstgewisse Westen muss einfach lernen, dass die übrige Welt unser Selbstbild nicht teilt und uns nicht beistehen wird. Die eilig ausgesandten Sendboten einer neuen antichinesischen Allianz im anstehenden Kreuzzug gegen das Reich der Mitte scheinen nicht besonders erfolgreich zu sein. 

Wie konnten wir nur annehmen, dass das große China und die Hochkulturen Asiens die Zeit der willkürlichen Freihandels- und Opiumkriege je vergessen würden? Wie sollte der leidgeprüfte afrikanische Kontinent die zwölf Millionen Sklaven und die Ausbeutung all seiner Bodenschätze je verzeihen? Warum sollten die alten Kulturen Lateinamerikas den spanischen und portugiesische Konquistadoren ihre Willkürherrschaft vergeben? Warum sollten die indigenen Völker weltweit das Unrecht illegaler Siedlungen und Landraubs einfach beiseiteschieben in ihrem historischen Gedächtnis? 

Die frühere Grünen-Politikerin Antje Vollmer lässt klammheimliche Freude über das Scheitern Europas als Vorbild für die Welt erkennen

Desaster-Area: Europa, 30 Jahre danach


Die EU, wie sie ihren Bürgern meist begegnet: Ein Schild im Nirgendwo, das stolz behauptet, EU-Geld mache das Nirgendwo schöner.
 
Es sollte der Vorzeigekontinent werden, ein Reich der bürgerlichen Freiheit, wachstumsstark und wohlhabend, friedlich, multikulturell und hilfsbereit. Mit der "Ode an die Freude" als Hymne startete die Europäische Union am 1. November 1993. Die Maastricher Verträge raten in Kraft. Eine Sternstunde der Menschheit, in der die einstmals verfeindeten Völker des Erdteils alle bisherigen „Formen der Zusammenarbeit“ (Artikel 2 EU-Vertrag) unter ein gemeinsames Dach stellten, gemeinsame Institutionen schufen und Kurs auf die Einführung einer gemeinsamen Währung nahmen.
 

30 Jahre wie ein Traum

 
Nie wieder Hader und Zwist. Sozialstaat statt Manchester-Kapitalismus! Demokratie und gemeinsame Werte statt innerer Konkurrenz, so lauteten die Ziele. Über die zwei Jahrzehnte danach nicht mehr gesprochen werden muss. Denn das Bild, das EU-Europa, das nur die knappe Hälfte des Kontinents umfasst, sich selbst aber am liebsten übergriffig nur "Europa" nennt, ist bedauernswert. Seit 2009 hatte die EU eigentlich kein Jahr mehr, in dem sie nicht Krisen bekämpfen und Klage über ihr schweres Schicksal führen musste. Die Arbeitslosenquote in Spanien  liegt über zwölf, in der Griechenland über elf Prozent. In der gesamten EU gilt ein Drittel aller Arbeitslosen zwischen 15 und 64 Jahren als langzeitarbeitslos. Die Kaufkraft der Gemeinschaftswährung Euro ist zusammengeschmolzen, die Armut gestiegen, die Gemeinschaft mit dem Brexit geschrumpft. Deutschland ist so arm wie nie zuvor.

Und nicht einmal die übriggebliebenen 27 Staaten, darunter einstige Riesen wie Deutschland und Frankreich, aber auch Zwergstaaten wie Luxemburg und von Machhabern beherrschte Gebiete wie Ungarn, können sich auf irgendetwas einigen. Zu lang die Entscheidungsketten, zu verschieden die Vorstellungen, zu divers die Interessen. Das Pandemiebekämfungsprogramm kam, als die Pandemie vorüber war, der Green Deal schmort immer noch irgendwo und nun schon so lange, dass das erstmals im Widerspruch zu den Maastricht-Verträgen gemeinsam geborte Geld nun gleich für den Krieg ausgegeben werden kann.

 

Nord und Süd  wie Hund und Katze

 
Der Süden ist verarmt, der Norden zahlt. Das alles hat, so zumindest glaubte einst der CSU-Politiker Hermann Gröhe, "erst der Euro ermöglicht". Der Erfolg ist vor Ort zu besichtigen: In griechischen Tante-Emma-Läden steht bis heute österreichische Dosenmilch neben Konfitüre aus dem Schwarzwald. Die Autos, die hier fahren, kommen aus deutschen Fabriken, und selbst der Orangensaft trägt einen Herstellervermerk aus Schwaben.

Europa ist zusammengewachsen und sieht nun aus wie der Glöckner von Notre Dame: Kurze Beine da unten im Süden, die den Körper kaum noch tragen können. Und oben im Norden, wo der Kopf sitzt, beult sich ein Wohlstandsbauch nach hinten heraus. Die Bilanz von 30 Jahren Europabemühungen ist ein einziges Desaster. Trotz aller "Pakte" zur Förderung des Wachstum hinkt Europa hinterher. Trotz aller Versuche, die Sozialsysteme zu modernisieren, wachsen Armut und Ungleichheit zwischen Kopenhagen und Nikosia. Die Schulden sind himmelhoch, die Wettbewerbsfähigkeit der meisten Länder dagegen ist niedriger denn je. Gewachsen ist die Uneinigkeit über Ziele und Wege und gesunken die Anzahl derer, die sich noch als Bewohner eines "gemeinsamen Hauses Europa" (Gorbatschow) empfinden.
 

Neid und Missgunst im 30. Jahr

 
Es herrscht Neid, es herrscht Missgunst, es herrscht sogar wieder der hübsche alte Hass zwischen den Völkern, die früher mehr als 40 Jahre friedlich nebeneinander herlebten. Griechen machen die Deutschen für ihre Misere verantwortlich, Deutsche beschuldigen Franzosen, nicht richtig wirtschaften zu können. Die einen machen Atom, die anderen spielen Vorbild. die Niederländer fühlen sich übersehen, die Italiener als Faschisten beleidigt, die Ungarn ausgegrenzt, die Polen warten auf Entschädigung, Slowenien und Kroatien streiten über den Grenzverlauf. Nach allgemeiner Lesart nützt Europa eigentlich nur "den Rechten", die als sogenannte "Rechtspopulisten" Wählerstimmen einfingen, bis der Begriff nicht mehr ausreichte und die Faschismuskeule geschwungen werden musste.

Jeder gegen jeden und alle gegen Europa, so sieht es aus in der Desaster-Area, in der deutsche Politiker ihre Schäfchen mit dem Argument bei der europäischen Stange halten, dass Deutschland zu den Profiteuren der Union gehören. dafür werden Summen gezahlt, die astronomisch erscheinen, selbst wenn die Rückflüsse abgezogen werden. Vom 100 Euro, die Deutschland nach Brüssel überweist, kommen 70 bis 80 Euro von dort als "Fördermittel" zurück. Das ist dann das Geld, auf das verwiesen wird, wenn es darum geht, die Vorteile der Gemeinschaft herauszustreichen.
 

Alle profitieren von allen


Doch wenn Deutschland so profitiert - was erzählt ein spanischer Politiker seinen Wählern? Gehört Spanien zu den Profiteuren? Mit welchen Vorteilen der EU überzeugt ein griechischer Ministerpräsident sein Volk? Oder  ein Italiener? Die Fliehkräfte sind vorstellbar, die von Rettungsstufe zu Rettungsstufe nur immer noch mühsamer im Zaum gehalten werden können. Der Preis dafür ist eine EU, die bei zunehmender Uneinigkeit von unten oben immer undemokratischer wird. Längst regieren Institutionen wie die EZB oder die Kungelrunde der Finanzminister, die dazu nie gedacht waren, während das zumindest halbdemokratisch zusammengestellte EU-Parlament damit beschäftigt ist, ums eigene finanzielle Überleben zu kämpfen.

Die Zeit 30 Jahre nach Gründung der EU ähnelt der Ära nach dem letzten richtig großen Krieg. Grundrechte sind suspendiert, völkerrechtliche Verträge ausgesetzt. Es wird mit Notstandsverordnungen regiert, Tabubrüche werden mit Hinweis auf eine allgemeine und immerwährende Alternativlosigkeit begründet. "Einige Machthaber der Europäischen Union würden zur Aufrechterhaltung des gescheiterten Währungsexperiments vermutlich auch mit leichter Hand die Demokratie vollends opfern", hieß es im April 2012 beim Bankhaus Rott. Und genauso ist es gekommen.
 

Geld regiert die EU-Welt


Die Einführung des Euro, sagt der Ökonom Kenneth Rogoff, gleiche einem Pärchen, "das sich nicht sicher ist, ob es heiraten soll, stattdessen aber probehalber schon mal ein gemeinsames Konto eröffnet". Dann habe man erst den Geschwistern und später auch den Cousins und Cousinen Zugriff auf das Konto gewährt. Die Euphorie war groß, so groß, dass sogar der Cousin dritten Grades mitmachen durfte, den noch nie jemand gesehen hatte, der aber sehr sympathisch sein soll.

Die gemeinsame Währung sollte alle anderen Gemeinsamkeiten erst herstellen, während sie es den Regierenden leichter machte, auf Kredit eingekaufte Geschenke an ihre Wähler zu verteilen. Rogoff: "Nur Deutschland und Frankreich als Pärchen zusammenzubringen, wäre schon ein äußerst mutiges Unterfangen gewesen, aber man nahm sogar Länder auf, deren Durchschnittseinkommen bei 25 Prozent des deutschen Niveaus lag". Es sei "ein Riesenfehler" gewesen, eine gemeinsame Währung einzuführen, "ohne gleichzeitig eine echte politische Union zu begründen", glaubt der Amerikaner. Allerdings wäre Europa für diese politische Union eben nicht bereit gewesen. Weshalb der Plan ja eben lautete, sie über die Währung herbeizuführen, eine Hintertür, von der niemand wissen sollte.
 

Keine nur griechische Tragödie

 
Nun hat auch das nicht geklappt, wie so vieles anderes. "Was als griechische Tragödie begann, ist zu einem Drama des gesamten Kontinents geworden", schrieb der notorisch europabegeisterte "Stern" schon vor Jahren, als er in einer Aufwallung von Europa-Zorn Politiker als "talentlose Laiendarsteller" bezeichnete, "die den Bürgern das Gefühl vermitteln, nicht zu wissen, was sie tun". Damals schon verspiele die EU damit "ein Kapital, das mehr wert ist als all die Milliarden, die zur Rettung Zyperns, Griechenlands, Spaniens, Portugals und Irlands draufgehen: Glaubwürdigkeit". Heute ist sie weg. Der Blick der Bürger nach Brüssel ist ein zumeist angeekelter, angewiderter, dessen überdrüssiger.

Als sei da noch etwas wie Glaubwürdigkeit! Als sei da noch Inhalt außer dem Gefäß EU selbst, das seinen Lebenszweck darin gefunden hat, einfach nur zu sein. Und das Gegenteil von dem zu bewirken, was es einst bewirken sollte: Selbst der "Stern" konstatierte schon vor langer Zeit, dass die europäische Idee Anhänger verliere, das Vertrauen in die Akteure schwinde, "Politikverdrossenheit, Argwohn und sogar Hass wachsen" und "die Deutschen in den Krisenstaaten als moderne Besatzer wahrgenommen" werden.

Das Reich der bürgerlichen Freiheit, wachstumsstark und wohlhabend, friedlich, multikulturell und hilfsbereit ist in 30 Jahren ein Reich nur noch deklamierter Freiheit geworden. Hier wird sich gezankt, als sei man verfeindet. Hier kommt niemand mehr auf einen grünen Zweig. Ein monströses Gebilde  undurchschaubarer Verwaltungsbehörden verfrühstückt den Wohlstand, den sich Generationen geschaffen hatten und trötet dabei fortlaufend auf einer Propagandatrompete, deren Dauerton allein schon zu Aufständen führen würde, würde sich nicht eine Mehrheit der Insassen der EU-Anstalt schon ewig die Ohren zuhalten.

Versagen auf allen EU-Ebenen

 
Ein Versagen auf allen EU-Ebenen, mühsam kaschiert von immer neuen Rettungspaketen und Wachstumspakts, Green Deals, Klimazielen, neuen Steuern und Bremsen für dies und das. Zugeben, dass das Experiment, einen Staat aus Staaten zu basteln, gescheitert ist, will und wird keiner der Entscheidungsträger, die ihren Platz in der Geschichte als "Europapolitiker" finden wollen. Dass nicht nur keines der postulierten Ziele der Union erreicht wurde, sondern darüber hinaus in vielen Fällen eine gegenläufige Entwicklung in Gang gekommen ist, gilt als eine Kinderkrankheit, die noch überwunden werden wird. Augen zu und durch, heißt es immer wieder, noch eine Rettung, noch einen Tabubruch, noch eine Hinterzimmervereinbarung, die gemachte Verträge aufweicht, aushöhlt und ersetzt.

Montag, 27. Februar 2023

Bundesblogampelamt: Behörde weitet Fake-Kampagne aus

Vor fünf Jahren noch problemlos möglich: Der "Spiegel" verkündet das falsche NPD-Verbot.


Das Bundesblogampelamt (BBAA) im mecklenburgischen Warin zieht Konsequenzen aus der anhaltend angespannten Wahrheitslage im Internet. Nach den jüngsten Beschlüssen der EU zur umfassenden Ausweitung der Kontrolle von sogenannten Verdachtsplattformen und der Anwendung von speziellen Programmen zur Prüfung individueller Kommunikationsmuster im Netz will auch Behördenchef Herrnfried Hegenzecht die Zügel straffer ziehen. "Wir sind entschlossen, Fehlinformationen schneller und tiefgehender zu bekämpfen als wir das bisher getan haben", kündigt der langjährige Chef des BBAA an. Statt wie bisher über die hauseigenen Meinungsfreiheitsschutzabteilungen nachtrabend zu versuchen, von interessierten Kreisen lancierte fake news rückblickend einzufangen und richtigzustellen, plane sein Haus künftig eine vorausschauende Beseitigung, so Hegenzecht. 

Komplett neue Strategie

Die Strategie der BBAA soll dazu komplett neu ausgerichtet werden. "Bisher arbeiten wir zwar mit höherem Personal- und KI-Aufwand, aber im Grunde nach wie vor wie im Jahr 2010. Damals war das Bundesblogampelamt unter der Ägide von Bundeskanzlerin Angela Merkel aus der Taufe gehoben worden, um in die Gesellschaft hineinzuhorchen und hineinzuwirken", wie der damals zugleich auch als Bundesverbotsbeauftragter amtierende Hegenzecht seinerzeit erläutert hatte. Über die Erfolge dieser Strategie bestehe kein Zweifel, so sei es gelungen, sämtliche Wahlen in Deutschland, traditionell ein bevorzugtes Ziel von Manipulateuren beispielsweise aus dem strukturschwachen Mazedonien, weitgehend regelgerecht abzuwickeln. 

Falschmeldungen etwa zu einer angeblich geplanten Impfpflicht, zu großflächigen Ausgangsbeschränkungen oder Parteienverboten hätten zwar nicht immer verhindert werden können, es sei jedoch gelungen, sie einzudämmen und die Verursacher binnen kurzer Zeit zu veranlassen, sie zurückzuziehen. "Es geht uns nun darum, den nächsten Schritt zu gehen", kündigt Herrnfried Hegenzecht an. Dazu werde das BBAA künftig Fehlinformationen im Netz vorbeugend bekämpfen, etwa, indem den bisher bereits erfolgreich tätigen Meinungsfreiheitsschutzabteilungen mit neuzugründenden sogenannten Detektortruppen Verstärkung an die Seite gestellt wird, die über eigens trainierte Algorithmen künstlicher Intelligenz vorab ermitteln kann, wo fragwürdige Falschnachrichten entstehen werden und wie sie sich zu verbreiten drohen.

Gegen bösartige Wahrheiten

Die von Hegenzecht als "neue Treibstufe" bezeichnete Kampagne gegen sogenannte bösartige Wahrheiten wurde seit mehreren Monaten gemeinsam mit Psychologen des Bundesdiskussionszentrale (BDZ) in Suhl und Forscher*innen des Zentrums für Digitale Kommunikation am Institut für Angewandte Wissenschaften vorbereitet. Grundlage ist ein Arbeitskonzept für Fehlinformation-Vorbeugung (zu Deutsch: "Prebunking"), das es Behörden und Institutionen erlaubt, prekäre Wahrheitsbereiche zu identifizieren und Zuschauerinnen und Zuschauer dafür zu sensibilisieren, abweichende Darstellungen neural abzuwehren. 

Hegenzecht beschreibt die Idee als "mentalen Brechreiz": Wer immunisiert sei, dem lasse sich keine  vermeintlich neutrale Informationen mehr als Wahrheit vorzugaukeln. "Wenn etwas nicht der Wahrheit entspricht, auf die sich Ministerien, wir als Aufsichtsbehörde, Agenturen und Redaktionen geeinigt haben, dass löst das beim Empfänger eine konditionierte Abwehr aus." Als Anzeichen für den Versuch, manipulative Inhalte zu vermitteln, gelte dabei die Verwendung einer Sprache, die emotional berühre. Begriffe wie "Messer", "Klimakatastrophe" oder Behauptungen, die Menschheit habe nur noch soundsoviel Jahre Zeit "bis zum Weltuntergang", würden vom Algorithmus als verdächtig eingestuft. "Wir schauen dann, dass wir Internetinhalte, die diese Lesart transportieren, vorab in der Reichweite beschränken."

Kampf in alle Richtungen

Ein Automatismus sei das jedoch nicht. Herrnfried Hegenzecht betont, dass die Bekämpfung von Fake News in alle Richtungen funktioniere, die thematischen Schwerpunkte aber natürlich im Einzelnen mit  mit den Partnern in den Ministerien besprochen würden. Vorerst handele es sich bei der Einführung der neuen Technik um ein Experiment, "wir sprechen ganz klar von einen Beta-Test", räumt Hegenzecht ein. Vorgesehen sei eine Feinjustierung, das Ziel aber, Härte gegen Gegner des Meinungsfreiheitsschutzes zur Abschreckung zu nutzen, stehe. "Wir zielen auf komplexe Interventionen zur Prävention und wir setzen klaren klaren Kurs auf die umfassende Verächtlichtmachung jeden Versuchs, Zweifel zu äußern, um abweichende Sichten hoffähig zu machen."

Kinder an die Macht: Der Jugend Vertrauen und Verantwortung

Die Alten sind es, die den Klimakindern heute ihre kaputte, kranke Welt übergeben, auf dass es besser werde.

Es begann als Aufstand eines einzelnen Kindes weit oben im Norden, eine junge Schwedin, die sich aus lauter Verzweiflung  nicht mehr anders zu helfen wusste als sich selbst in die Schlacht um das Weltklima zu werfen. Daraus wurde eine Bewegung, die ganz Deutschland ergriff, zumindest in den großen Städten erklärten sich viele tausend Schülerinnen und Schüler solidarisch mit Greta Thunberg. Anfangs noch belächelt, gewann Fridays for Future schnell eine urbane Dynamik. Fernsehsender und Zeitungen berichteten, die Führerinnen der Bewegung bekamen Einladungen in Talkshows und auf Klimagipfel, vor die Uno und in den Bundestag.  

Eine bewährte Methode

Dem Strategiewechsel in der Politik lag eine alte Idee zugrunde: "Der Jugend Vertrauen und Verantwortung", eine Methode, die in den 60er Jahren in der damaligen DDR erfunden worden war. In der alten Bonner Republik als "Marsch durch die Institutionen" bezeichnet, beschreibt sie den Versuch, einer aufkommenden Protestbewegung durch Mitgehen die Wirkung zu nehmen. Eingemeinden statt Bekämpfen, Umarmen statt Ausschließen - galt diese Einladung in der fortschrittsgläubigen Zeit des siegreichen Sozialismus noch jungen Facharbeitern, Ingenieuren und Wissenschaftlern, richtrt dir dich nun vorzugshalber an die Überängstlichen, die Weltuntergangsgläubigen und Anhänger*/&Innen von Verzichtspredigten. 

Die Konsequenzen sind enorm. Sollte sich einst noch der Übergang aus dem Reich der blinden Notwendigkeit in das Reich der Freiheit vollziehen, angekurbelt von den jungen Leuten, die - ausreichend Anstrengung vorausgesetzt - das Glück haben würden, bald im Sozialismus zu leben und zwar jeder nach seinen Bedürfnissen, so wird nun in Aussicht gestellt, dass Entsagung und Bescheidenheit, die Abkehr von spätrömischer Dekadenz und kapitalistischem Konsumismus das Klima und damit auch die Zukunft retten werden.

Goethe weist den Weg

Für keine frühere Generation ist Goethes Wort zutreffender als für diese, die vor der Frage steht, mit weniger zu überleben oder gar nicht. "Du musst steigen oder sinken, Du musst herrschen und gewinnen, oder dienen und verlieren, leiden oder triumphieren, Amboss oder Hammer sein", forderte der Hesse vor 20 Jahren, irrtümlich insistierend, dass Steigen, Herrschen, Gewinnen,  Triumphieren und das Dasein als Hammer  erstrebenswerte Lebensziele seien. Goethe, ein alter, weißer Mann, hat seinen Irrtum nie eingesehen, ja, nicht einmal begriffen.

Der von ihm beschriebene Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit aber ist bis heute objektiver Natur. Kein Leiter, kein Lehrer, kein Funktionär habe das Recht, den unbequemen Fragen der Jugend auszuweichen, hat Egon Krenz, letzter Chef der DDR-Staatspartei SED vor ihrer Umbenennung, geschrieben. Mögen die Leiter und Lehrer des Landes auch heucheln müssen, dass sie eingesehen hätten, wie falsch alles war, das die Wohlstandsgesellschaft begründete, auf deren Rücken die Klimakinder ihre prinzipielle Unzufriedenheit ausdrücken. Die kleinsten Staatsbürgerinnen und Staatsbürger haben das größte Recht, heute schon zu verlangen, dass mit dem Umbau der Gegenwart nach den Vorgaben begonnen wird, nach denen sie später einmal leben wollen.

Jeder nach seiner Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu generieren

Jeder nach seiner Fähigkeit, auf sich aufmerksam zu machen. Jedem nach seiner Leistung beim Generieren öffentlicher Aufmerksamkeit. Gefragt ist Mut zum Aufstehen, auch um den Preis der eigenen Lächerlichkeit. Die Letzte Generation als vorerst letzte Inkarnation des Weltuntergangsglaubens hat den Standpunkt hoffähig gemacht, dass sich die eigene Meinung dem demokratischen Konsens, wie er sich an der Wahlurne abbildet, übergeordnet ist, wenn es ums Ganze geht. Den Notstand lieber heute als morgen, das Klimaregiment als Grundlage des Ausschlusses aller, die anderer Ansicht sind. Der Mensch als Wesen, das nur noch auf Anweisungen von oben wartetet und das selbständige Denken freiwillig der "Wissenschaft" überlässt, die ihn nicht nur mit Fakten, sondern auch mit Angaben dazu versorgt, was nun zu tun sei.

Widerspruch, Debatte und Diskussion, sie stehen dem Fortschritt im richtigen Wege, den die gefunden haben, die von einer apokalyptischen Angst vor Wohlstandsverlusten motiviert werden, alle anderen zum Wohlstandsverzicht aufzurufen. So wie wir heute verzichten, werden wir morgen leben, "meine Moral und meine Menschlichkeit verlangen es von mir, nicht tatenlos zuzusehen", argumentieren sie gegen ein "todbringendes Weiter-So", das zu "Hungersnöten, Hochwasser und Sturm" führen wird. Als das SED-Zentralorgan Neues Deutschland am 21. September 1963 Walter Ulbrichts flammenden Appell an die Jugend veröffentlichte, nicht auf die sozialistischen Welt der Zukunft zu warten, sondern sie selbst aufzubauen, hieß es "Setzt euch ein! Setzt euch durch! Eure Stunde ist angebrochen! Nutzt sie, und füllt sie aus". Und niemand nahm das ernst.

60 Jahre später aber wird der Aufruf von einer neuen Generation verwirklicht. Auf dass es besser werde, wenn es schon nie mehr gut werden kann.

Sonntag, 26. Februar 2023

Solidarität: Doppelt oder nichts

Zweistellig ist das Minimum, das muss auch die Bundesregierung einsehen.

Genug ist nicht genug! Die aktuelle Krisenpolitik begünstigt weiter das reichste eine Prozent der Armen, die sich verschärfenden sozialen Ungleichheiten gehen einfach weiter, die Schere zwischen Arm und Reich klafft schlimmer denn je und während der Staat Milliarden für Rüstungsprojekte, den Ausbau der Verwaltung und klimaschädliche neue Betonburgen für Regierung und Parlament steckt, darben die, die etwa als Angestellt*innen bei der Deutschen Post klimaschädliche Retouren von den Bürgerinnen und Bürgern zurück zu den amerikanischen Gierkonzernen schleppen müssen, die selbst noch raffinierteste EU-Expropriationsmethoden kalt lächelnd unterlaufen und gewlatige Profite nach Übersee schaufeln.

Stopp der Politik der Zerstörung

Auch wir hier bei PPQ sagen: Stopp zur Politik der Zerstörung und Ungerechtigkeit. Wir stellen uns hinter die Belegschaft der Post in ihrem Streik und damit auch gegen einen Anteileigner, der sich stur weigert, seiner Verantwortung gerecht zu werden und in Zeiten knapper Kassen zuerst an die zu denken, die das Geld wirklich brauchen. Ein Fünftel des Unternehmens, das immer noch Marktführer bei der Post- und Paketzustellung im Inland ist, gehört dem Staat, der sich dennoch stur weigert, die bei der Traditionsfirma auflaufenden Gewinne zuallererst denen zu geben, die erwirtschaftet habe.

Vier Milliarden waren das zuletzt, Tendenz steigend. Umgerechnet rund 6.500 Euro fielen pro Mitarbeitendem an, weil mehr als die 3.000 Inflationsstillhalteprämie, die die Bundesregierung steuerfrei gestellt hat, um Unternehmen zu motivieren, ihren Angestellten in harten Zeiten  mit einer Zusatzzahlung zu helfen, wenn sie es denn irgend könne. Die Deutsche Post könnte, doch sie kann nicht, denn der Finanzminister ist auf die üppige Dividende angewiesen, das frühere Staatsunternehmen im Mai auszahlen wird. 254 Millionen Post-Aktien hält der Bund noch, die 110 Millionen Dividende aus Bonn reichen auch kaum, die explodierenden Kosten für den Erweiterungsbau des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses und die Ausstattung der neuen Abgeordnetenbüros mit kargen Schemeln, Solaranlagen und klimadichtem Fensterglas zu finanzieren.

Wenigstens zweistellig

Wenigstens 15 Prozent mehr Geld für die Angestellt*innen, die seit der Umstellung von GEZ-Gebühr aus Rundfunkabgabe alle Landzustellungen in Fahrzeugen ohne Radios absolvieren müssen, wäre angemessen. Das Geld ist da, der Staat hat gut gewirtschaftet, was fehlt, könnte eine nach dem Vorbild des künftigen Ausbaus der klimaschädlichen Infrastruktur verlangsamte Zustellung von Sendungen aufgebracht werden, die wiederum durch den raschen Umstieg des gesamten Post-Konzern auf moderne Lastenräder problemlos gelingen könnte. 

Zwar war es den Bundestatistikern zuletzt gelungen, die tatsächliche Inflationsrate in Deutschland durch eine smarte Umstelung des sogenannten Warenkorbes nachträglich deutlich unter die magische Marke von zehn Prozent zu drücken. Doch ungeachtet dieser tröstlichen Mitteilung orientieren sich zahlreiche Verbrauchende weiterhin häufig an einer ihrer Ansicht nach "gefühlten" Geldentwertung. Die muss deshalb auch Maßstab aller Gehalts- und Lohnerhöhungen in der aktuellen Lebensphase des Euro als der stabilen Gemeinschaftswährung der Wertegemeinschaft der EU-Kernstaaten sein. Parallel bleiben EU und Bundesregierung natürlich aufgefordert, den Wucher zu bekämpfen, Über- und Zufallsgewinne abzuschöpfen, Manager und Spekulanten an die Kandare zu nehmen und die von Bundeskanzler Olaf Scholz weltweit im Sommer 2021 eingeführte globale Mindeststeuer  wie geplant zum 1. Januar 2023 als deutschen Alleingang umzustezen.

Tempolimit neu gedacht: Mindestgeschwindigkeit für die Autobahn

Leerer, sicherer und klimaschonend, so wären die deutschen Autobahnen, wenn das Gesetzgeber die  Mindestgeschwindigkeit zum Befahren auf 160 km/h festlegen würde.

Immer wieder ploppt sie auf, die Forderung nach einem Tempolimit auf den deutschen Autobahnen. Nicht nur für dass Gewissen sei das gut, sondern auch für das Klima, heißt es dann schon seit Mitte der 70er Jahre. Zuletzt hatte eine präsentative Umfrage im Auftrag des Bundesumweltministeriums den Beweis erbracht: Knapp "zwei Drittel der Deutschen" (BMVU), gemeint sind wohl der in Deutschland lebenden Menschen, sprechen sich mittlerweile für ein Tempolimit aus. Läge das bei 100 Kilometern pro Stunde, würden, so Umweltministerin Steffi Lemke, Jahr für Jahr 5,4 Millionen der in Deutschland alljährlich ausgestoßenen 678 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart.  

Tempolimit bringt zu wenig

Viel zu wenig, klagt der Klimaforscher und Umweltästhet Herbert Haase, der am Climate Watch Institut (CLW) im sächsischen Grimma Möglichkeiten erforscht, Deutschlands Klimaeintrag dauerhaft und deutlich zu vermindern und bis spätestens 2035 zu verhindern.  "Wir sprechen hier von 0,79 Prozent der Gesamtemission an CO2", schimpft der Professor, "das ist nicht einmal ein Sechstel der 35 Millionen Tonnen, die die Deutschen nach dem Ende der Corona-Einschränkungen wieder zusätzlich auf unser Klimasündenkonto gebucht haben." Nach Berechnungen, die Wissenschaftler am CLW angestellt haben, entspricht das in etwa der zusätzlichen CO2-Last, die in den zurückliegenden Jahrzehnten jeweils durch und bei Debatten über ein Tempolimit erzeugt worden sei. "All die Artikel, die Talkshows, die Online-Diskussionen, die Parteitagsbeschlüsse, das war ja nie klimaneutral."

Das aber soll eine neue Lösung sein, die in den zurückliegenden Monaten am Climate Watch Institut ausgetüftelt wurde, "um den müßigen Streit um beinahe Nichts endlich beizulegen", wie Haase formuliert. Auch das sogenannte "sächsische Limit" zielt auf die Mobilität auf den Autobahnen, schafft es aber mit einem klugen Trick, das CO2-Einsparpotential zu vervielfachen. "Wir peilen einen Minderausstoß von etwa 20 bis 30 Millionen Tonnen an", sagt Haase. Möglich machen soll das ein geschickter Schachzug im Design des neuen Tempolimits, das nicht mehr eine Höchst- sondern eine Mindestgeschindigkeit auf der Autobahn vorschreiben würde.

Verschlankter Schnellverkehr

Unseren Berechnungen zufolge wären 160 Kilometer in der Stunde ideal, um den Schnellverkehr weiterhin zu gewährleisten, zugleich aber deutlich zu verschlanken." Der Hintergedanke der Verkehrs- und Klimaplaner aus Sachsen ist einleuchtend: Bei mehr als 18 Prozent der in Deutschland zugelassenen Pkw handelt es sich um Kleinwagen, weitere zwölf Prozent seien schwach und schwächer motorisierte Mittelklasseautos. "Deren Nutzer und Besitzer fahren nicht gern schnell", erklärt Haase. Jeder kenne das von eigenen Autobahnfahrten: Die früher "Fahrer mit Hut" genannten Besitzer von Corsa, Polo, Swift, Trabant und Twingo, aber auch die vielen neuen Elektromobile, bewegten sich mit knapp über 100 km/h am liebsten auf der Mittelspur, "wie Schwimmschüler, die immer die Pooltreppe im Blick behalten wollen". 

Diese Millionen von Langsamfahrern hemmten nicht nur den Verkehrsfluss, sie sorgten auch dafür, dass Normalfahrer häufig abbremsen und anschließend wieder beschleunigten müssen. "Das kostet immer zusätzlich Sprit und feuert die Erderhitzung an." Das sächsische Limit setzt genau hier an: Das CLW schlägt eine Mindestgeschwindigkeit für Autobahnen vor, "ein umgekehrtes Tempolimit", sagt Haase. Ähnliches gebe es ja bereits, um extreme Langsamfahrer wie Traktoren, Panzer und motorisierte Gehilfen von den Schnellstraßen wegzuhalten. Der Gesetzgeber habe sich hier für ein Limit von 60 km/h entschieden, deutlich zu wenig, wie die Forscher des CLW errechnet haben. 

Autobahnverbot für Kleinwagen

Ab 160 km/h erst falle eine "spürbare Anzahl" von Kleinwagenmodellen aus der theoretisch um die 55 Millionen großen Gruppe der derzeit autobahntauglichen Pkw heraus. Einerseits, weil die Höchstgeschwindigkeit dieser Fahrzeuge unter der Mindestgeschwindigkeit auf der Autobahn liege, andererseits aber auch, "weil Besitzer und Nutzer  schnell einsehen werden, dass sie in ihren Autos so nicht unterwegs sein wollen, auch wenn es technisch denkbar ist". Ein "Klärungsprozess" (Haase) werde einsetzen, der schnell klimarelevant zu werden verspricht: "Wir reden davon, dass etwa ein Drittel der Autos in Deutschland dann nicht mehr durch Autobahnfahrten klimabelastend wirkt."

Diskriminierend findet Herbert Haase das Tempolimit nach  sächsischem Zuschnitt nicht. Es gehe ja nicht nur darum, das Klima, sondern auch darum, die vielgescholtenen Schleicher vor sich selbst und damit alle anderen Verkehrsteilnehmern von Unfällen, Zeitverlust und ärgerlichen Gefahrensituationen zu schützen. "Ohne diese Klientel liefe der Verkehr flüssiger, jeder wäre schnell dort, wo er hin will, es gäbe weniger Unfälle und bis zu fünf Prozent weniger CO2-Ausstoß durch Autobahnfahrten. Das mehr als das Fünffache dessen, was die Verfechter des traditionellen Tempolimits mit Höchstgeschwindigkeit versprächen. "Ich denke, mit Blick auf die deutschen Klimaziele, den Klimavertrag von Paris und künftige Generationen muss eine verantwortlich handelnde Regierung keinen Moment überlegen, ehe sie unseren Vorschlag konsequent umsetzt."

Samstag, 25. Februar 2023

Der Fall Guérot: Sturz aus Gottes Gnade

Ulrike Guérot war eine "revolutionäre Vordenkerin einer Europäischen Republik". Abb: Kümram, Rügener Kreide auf Whiteboard

Ihre Idee war die eines radikalen Aufbruchs in den Absolutismus. Eine "Republik" sollte Europa werden, in der Volk nicht bestimmt, sondern nur noch mitreden darf. Die führende Rolle der Elite bei der Verschweißung Europas zu einem gesamtdemokratischen Gebilde ohne Nationalstaaten,  sie war für Ulrike Guérot das konstituierende Moment eines Ausbruchs aus der lähmenden Langeweile einer EU, die sich nie einigen kann, ehe nicht Äonen vorübergezogen sind. 

Guérot, damals, vor sieben Jahren noch als eine "revolutionäre Vordenkerin einer Europäischen Republik" (SZ) gerühmt, war bereit, das Schwert zu erheben, um die gordischen Koten zu zerschlage, die die Wertegemeinschaft daran hinderten, endlich eine "nachnationale Demokratie" zu werden, wie sie es nannte. "Bürger, die sich entschließen, in ein gemeinsames politisches Abenteuer zu gehen, gründen eine Republik", verkündete Ulrike Guérot.

Hinweg mit der Ewigkeitsgarantie

Hinweg mit dem Grundgesetz, hinweg mit der Ewigkeitsgarantie, die die deutsche Verfassung dem föderalen Bundesstaat Bundesrepublik gibt. Die Grevenbroicher Philosophin und ihre Verbündeten traten nicht nur gegen die Verfassungsordnung und die Mehrheit der Bürger an, sondern auch gegen die "rückwärtsgewandte Sehnsucht, die im Nationalstaat das einzige Gefäß einer Demokratie" (Guérot) sieht. Ein Angriff auf die Verfassungsordnung und damit auch auf das bisschen europäischer Demokratie, das der Europäische Rat der Regierungschefs als Ausgleichsmasse für ein nur halbdemokratisch gewähltes Parlament und eine in Hinterzimmern zusammengekaufte EU-Kommission derzeit noch garantiert. 

Ein Angriff, für den die selbsternannte Vordenkerin allerdings nicht etwa abgestraft und ausgegrenzt wurde. Sondern für den sie Lob erntete: Ihr Plädoyer für die Abschaffung der subsidiären Demokratie, zugleich ein Plädoyer für den Absolutismus einer EU, die alle Entscheidungen zentral und zentralistisch treffen sollte, kam an in den Elfenbeintürmen einer Elite, die im neuen Reich für sich die Rolle vorgesehen sah, allein noch beeinflussen zu können, was in Brüsseler Hinterzimmern ausbaldowert wird. 

Das strahlende Gesicht des Durchregierens

Ulrike Guérot war das strahlende Gesicht einer Sehnsucht nach Durchregieren und rabiater Machtpolitik. Ihre Vision einer EU, die nach dem Vorbild der Sowjetunion verfasst ist, galt nicht als bedrohlich, sondern als äußerst wünschenswert. Wie eine Prophetin wurde die Politikwissenschafterin durch die Gazetten gereicht und für ihre originellen Ideen gefeiert, sie saß in Talkshows und durfte ihre bedrohlichen Fantasien in langen Traktaten in den angesehensten Leitmedien verbreiten. Die Abschaffung der Nationalstaaten, sie schien den eingeschworenen Feinden von Individualismus, von checks und balances, von Rechtsstaatlichkeit und Subsidiarität als Ausweg aus der verfahrenen Gemeinschaft einer EU, in der jeder nur auf seinen Vorteil schielt, wie das Menschen seit Hundertausenden von Jahren stets getan haben.

Dass Ulrike Guérot eines Tages aus der Gnade dieser großen Meinungsbildner fallen würde, war nicht abzusehen. Dazu brauchte es eine Pandemie und einen Krieg, zwei Ereignisse, in denen die "Bestseller-Autorin" (NZZ) sich plötzlich als Querdenkerin und Russland-Apologetin erwies. Die Freundin der von Zwangsvereinigung, Kollektivismus und kontrollierter Demokratur vertrat nun Positionen, die ihr erstmals Kritik einbrachten. Guérotselbst bezeichnete sich nun als "radikalisiert", sie machte bei der regierungsfeindlichen Aktion #allesdichtmachen mit und driftete ab in Meinungsbereiche, die die staatliche Corona-Politik als "semi-autoritär" und die Kritik an den Kritikern als Stigmatisierung kritisierten.

Falsche Sichten, verkehrte Positionen

Ulrike Guérot war sich zweifellos durchaus treu geblieben, als sie forderte, Verfassungsrichter abzusetzen, die aus ihrer Sicht falsche oder oder gar keine Urteile fällen, und die "dunklen Gestalten von Pfizer und Co. nicht entkommen" zu lassen. Es brauchte aber auch noch ihr Abweichlertum beim russischen Angriff auf die Ukraine, um die "revolutionäre Vordenkerin einer Europäischen Republik" (SZ) endgültig aus dem Stand der Gnade stürzen zu lasse: Erst danach wurden nun öffentlich Vorwürfe erhoben, Guérot habe "sich während ihrer Dienstzeit an der Universität Bonn fremdes geistiges Eigentum angeeignet, ohne dies als solches kenntlich zu machen", wie es in der offiziellen Pressemitteilung der Universität zur Kündigung der Professorin heißt. 

Kein Beinbruch eigentlich in einem Land, in dem die Regierende Bürgermeisterin der größten Stadt als Betrügerin überführt wurde, und in dem eine Außenministerin amtiert, deren Buch wegen umfangreicher Abschreibübungen zurückgezogen werden musste. Wo EU-Kommissionschefinnen plagiieren, Minister sich Doktortitel hintenrum beschaffen und ehrbare Nachrichtenmagazine Enthüllungsstorys je nach Emotionsbedarf aus dem Ärmelschoner schütteln, wären ein paar ausgedachte oder unausgewiesene Zitate in populären Meinungsmeldungen wie Guérots Demokratiedemontage "Warum Europa eine Republik werden soll" normalerweise kein großes Problem.

Man dreht sich einfach um 360 Grad, lässt den Ombudsman für Verdachtsfälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens der Universität wissen, dass populärpopulistisches Trommeln in Romanen und Zeitungsartikeln gar kein  Verdachtsfall wissenschaftlichen Fehlverhaltens begründen kann. Eine breite Medienöffentlichkeit könnte dann über die Mäkler, Kritikaster und Anschwärzer herfallen. Und gut. 

Glühende Liebe, eiskalt

Das wäre der normale Gang der Dinge gewesen, an dessen Ende die Tür zum Weitermachen weit offengestanden hätte. Irgendwas aber ist schiefgegangen, die einst so brennend heiß glühende Liebe zwischen den großen Blättern, den Talkshowmastern, den Kommentatoren und Europapolitikern und der "bekannten Politologin und Publizistin" (NZZ) ist nicht nur abgekühlt, sie hat sich in leidenschaftlichen Hass verwandelt. Als würde allein der Name Guérot die Verächter von Verfassungsstaat und Gewaltenteilung an die eigenen atavistischen Träume von "Mehropa" und neuem Sowjetreich erinnern, wird das bundesübliche "Plagiat in einem nicht-wissenschaftlichen Buch" (Guérot) zum Kündigungsgrund für die Wissenschafterin und Autorin, die seit 2021 die Professur für Europapolitik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität innehatte.

Hinweg mit ihr, der "grossflächigen" Abschreiberin", die An- und Abführungszeichen reihenweise vergessen hatte, ihre Verstöße gegen das Urheberrecht dann aber lax als Flüchtigkeitsfehler wegerklären wollte. Das konsequente Vorgehen ihrer Universität, aber auch des ihr einst so gewogenen Medienbetriebes gegen sie jetzt als "Rufmordkampagne" zu bezichtigen und damit um Solidarität bei Friedensschwurblern, Querkriegern und "Verbreitern von Falschinformationen" (Spiegel) zu buhlen, zeigt später, aber besser als nie, wie richtig die zuletzt beständig zunehmenden Warnungen waren, dass "einige ihrer Aussagen irreführend, manchmal auch unseriös oder falsch" (Spiegel) seien.

Jubiläum: Ein Jahr nach Essenretten

 

Das Timing hätte kaum besser sein können. Als vor einem Jahr die ersten russischen Invasionstruppen völkerrechtswidrig die Grenze zur Ukraine überschritten, packten mutige Mitglieder der radikalen Umweltgruppe "Die letzte Generation" ihre Säckchen mit Gemüse und Farbbeuteln, um Feinde im Inland anzugreifen. Die Menschheit müsse errettet werden, indem die Bundesregierung schleunigst ein Gesetz erlasse, das zur Beendigung aller Lebensmittelverschwendung führe. Altes Brot, Gammelfleisch, abgelaufener Joghurt - überall solle gelten, dass Wegwerfen verboten ist.Das erlaube es der Landwirtschaft, weniger herzustellen. Dadurch werde der Hunger in der Welt bekämpft, es gehe dem Klima besser und die mehr als acht Milliarden Menschen, die nach Überzeugung von Wissenschaftlern in den kommenden Jahren werden sterben müssen, könnten auf ein Überleben hoffen.

Ermutigt vom Bundeskanzler

Die vielbeachtete Aktion aus jenem ersten Kriegstag im Februar vor einem Jahr markierte eine Deeskalierung. Die "Letzte Generation", eine Art extremistischer Absplitterung der radikalen Fridays for Future-Absplitterung "Extinction Rebellion", war wenige Monate zuvor erfolgreich in die Öffentlichkeitsarbeit gestartet, als es einigen Mitgliedern mit einem angedrohten Hungerstreik bis zum Tode gelungen war, den Bundeskanzler zu nötigen, ihnen einen Termin für eine Audienz anzubieten. Ein kleiner Finger, der den Aktivisten Mut machte, nun das ganze Land zu nehmen. In Hannover befindet sich die Bewegung heute schon in Friedensverhandlungen mit der Macht. Räumt diese der Erpressung Vorrang ein, soll künftig von sogenannten "Aktionen" und Anschlägen auf die kritische Infrastruktur abgesehen werden.

Wer nur laut genug quengelt, nervt und seinem Umfeld auf die Ketten geht, der bekommt, was er will, anders kennen es die Wohlstandskinder nicht, die zumeist aus dem gutbürgerlich.grünen Milieu des westdeutschen Bionadeadels stammen. Selbst ein Krieg vor der Haustür vermochte sie keinen Augenblick zu irritieren: Wie es sich für echte Glaubenskrieger gehört, hielten die Ökokinder fest am Plan, das Weltklima durch eine Hintertür in Deutschland zu retten: Sobald die Bundesregierung die  Specki-Tonne aus DDR-Zeiten wiedereingeführt und die örtliche Nahversorgung aus Supermarkt-Mülltonnen genehmigt habe, müsse nur noch ein Neun-Euro-Ticket eingeführt werden, um das Schicksal der Menschheit zum Guten zu wenden.

Ultimatum an alle

Ein großzügiges Angebot an die uneinsichtige Mehrheitsgesellschaft. Man werde Flughafenblockaden, Anschläge auf die kritische Infrastruktur und gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr unterlassen, sobald sich der Kanzler und seine Koalitionsparteien dem eigenen Wunsch nach straffen Klimagesetzen, der Einführung eines Gegenparlaments nach dem Vorbild der russischen Sowjets und einem Ende der Abbaggerung von Lützerath gebeugt hatten. Ein unwiderstehliches Angebot, kommt es doch direkt von jungen Leuten, die nach einer Kindheit im größten Wohlstand aller Zeiten und ausgebildet an den besten Schulen des "reichsten Landes der Welt" (ZDF) vor ihrem Wechsel in die warmen, weichen Staatsamtssessel einer Klimademokratur noch recht viel Gutes für die künftigen Untertanen auf den billigen Plätzen tun wollen.

Über das gesamte erste Kriegsjahr blieben die engagierten jungen Leute ungebeugt und nicht einen Millimeter irritiert darüber, dass der Rest der europäischen Menschheit angesichts des im Osten tobenden Krieges eine mentale Pause im Kampf gegen den klimatischen Untergang der Welt einzuschieben beschlossen hatte. Über all die Diskussionen zum Wiederanfahren der Braunkohlekraftwerke, die Panzerdebatten, die Angst vor Atombombenabwürfen und - in Deutschland - einem Weiterbetrieb der Kernkraftwerke schien vielen die Rettung ranziger Butter, schimmliger Wurst und knochenhart getrockneten Brotes nicht mehr gar so dringlich. 

Vergessener Aufstand

Dass "wir auf eine Welt zurasen, in der Hungerkatastrophen immer häufiger werden", wie die verzweifelten jungen Leute vor einem Jahr vor der Berliner FDP-Zentrale mitgeteilt hatten, ehe sie frisches Obst und frisches Gemüse gegen die Fassade schmetterten, ist heute schon weitgehend vergessen. Das Jubiläum des Aufstandes in der Mitte Berlins, es wird kaum irgendwo gefeiert, es gibt keine Gedenkstunde in der Garnisonskirche, nicht einmal eine Erinnerungstafel  ist bisher am Hauptquartier der Liberalen angebracht worden. 

Erst spätere Generationen von Historikern, die auf die Suche gehen werden nach dem Kipppunkt, hinter dem die Menschheit besonders in Deutschland nicht mehr hinnehmen wollte, dass eine laute Minderheit mit kriminellen Methoden über ihr Leben bestimmt, wird den Augenblick wiederentdecken. Und das Ultimatum der "Letzten Generation" an die Zeitgenossen lesen: "Wir können es nicht akzeptieren, dass Stürme und Fluten normal werden, wir wollen nicht immer wieder in den Trümmer aufwachen und sagen, oh, jetzt müssen wir hier was aufbauen".

Freitag, 24. Februar 2023

Der Omatrick: Pittiplatsch als Beute

Materialpreis 1,50, für alte Fans aber mit zehn Euro plus Versand besonders günstig: Pittiplatsch muss derzeit als Beutelschneider herhalten.

In der DDR, einem Land, das noch ein wenig mehr als die Jugend der Moderne auf Normung, Gleichschritt, Verzicht, Entsagung und Kollektivismus setzte, galt er als einer der wenigen Rebellen,die es bis ins Staatsfernsehen geschafft hatte. Pittiplatsch Derliebe tauchte bereits in den 60er Jahren erstmals öffentlich auf, erhielt aber schon nach seinen ersten Auftritten republikweites Bildschirmverbot. Doch wie zuletzt bei den Arbeiteraufständen im Sommer 1953 ließen sich die Bürgerinnen und Bürger die Bevormundung nicht gefallen. Ein Proteststurm blies den Mächtigen ins Gesicht. Um noch größeren Schaden zu verhindern, wurde die Verbannung des angeblich aus dem Koboldland eingereisten ersten Schwarzen Deutschen beim Deutschen Fernsehfunk wieder genehmigt.

Pitti wird zur Legende

Pitti, so nannten ihn seine zumeist jugendlichen Fans, wurde zur Legende. Er löckte wider den Stachel,, rebellierte stellvertretend für eine ganze Generation, die bis 1989 nie etwas anderes erlebt hatte als das Leben in der DDR, eingemauert, anspruchsarm und trotz weitgehenden Konsumverzichts in höchstem Maße klimaschädlich. Gar kein so großes Wunder: Als die noch gar nicht gegründeten neuen Länder  am 3. Oktober 1990 dem föderalen Verbund der Bundesrepublik beitraten, überlebten nur sehr, sehr wenige Prominente, urige Bräuche und obskure Ostredensarten den Anschluss. Neben dem Ampelmann, Silly und Erwin Geschonneck war auch Pittiplatsch dabei.

Ein Stück Volkseigentum, auf das bald auch Geschäftemacher ein Auge warfen. Und deren Erfolg ermunterte Nachahmer, die unverwechselbare Marke Pittiplatsch für ihre Zwecke auszubeuten. Runderneuert und rundgelutscht, muss der einstige Rebell nun seine alten Paradeauftritte wieder und wieder absolvieren. Zwischendurch wird er als sein eigener Enkel vorgeführt, aller eigentlichen Charakterzüge beraubt, ein im Windkanal geschliffener Zwangsspaßvogel, der seine renitenten Wurzeln komplett vergessen zu haben scheint.

So einer passt natürlich, wenn es darum geht, seine inzwischen aufs Greisenalter zusteuernden Fans um noch mehr als die monatliche Demokratieabgabe zu erleichtern. Unterstützt von MDR und RBB, den beiden Gemeinsinnsendern, die sich als Erbwalter des DDR-Fernsehens begreifen, lassen gewiefte Geldschneider eines professionell agierenden Wuchererrings jetzt eine Pittiplatschmünze herstellen, die den marktwirtschaftlichen Preisbildungsprozessen oft noch immer ratlos gegenüberstehenden ostdeutschen Armutsrentnern in Treppenlift-Magazinen und Werbebeilegern zu Möbel- und Busreiseprospekten als "offiziell lizensierte Kultprägung zum 60. Geburtstag von Pittiplatsch" in "echtem Silber" angepriesen wird. 

RBB und MDR als Mittäter

Was wie eine Kapitalanlage klingt, ist allerdings ein Betrug, der sogar noch das von Karl Marx gerühmte Vermögen des Kapitalisten übertrifft, für 300 Prozent Gewinn jedes Verbrechen zu riskieren, selbst auf Gefahr des Galgens hin. Federleichte 6,8 Gramm wiegt die "Münze", die eigentlich eine Medaille ist, genau 2,04 Gramm davon sind "echtes Silber". Dessen Börsenpreis liegt im Moment bei etwa 1,46 Euro, verkauft wird das Blechteil für zehn Euro, plus 2,95 Euro Versandkosten. Der Omatrick, diese "Silber-Gedenkprägung "60 Jahre Pittiplatsch" mit Farbveredelung" zu diesem Preis an vertrauensselige Armutsrentner loszuschlagen, bringt abzüglich Produktionskosten beinahe 500 Prozent - höher als im innereuropäischen Drogenhandel.

Der Münzschwindel aber ist gesellschaftlich akzeptiert, der Verkauf von münzähnlichen "Gedenkprägungen", zum anvisierten naiven Publikum passend bunt bemalt, ernährt nicht nur die Pittiplatsch-Missbraucher, sondern auch Sender, Werbeagenturen und Verlage. Dass alte, hilflose und immer noch von einem grundlosen Urvertrauen in seriöse Medien geprägte Menschen mit falschen Versprechen wie dem "einmalig günstigen Jubiläumspreis" verleitet werden, Geld für "ein Muss für alle Kinder, Junggebliebenen und Nostalgiker" auszugeben, das nicht einmal ein Viertel des Verkaufspreises wert ist, bewegt weder Enthüllungsreporter noch Verbraucherschützer oder Politik. So lange alle vom Beutelschneiden profitieren, darf Pittiplatsch nicht auf Hilfe hoffen.

Wärmehalle statt Wirtschaft: Deutschland muss sterben

An zu rettenden Wirtschaftsbranchen gibt es in Deutschland keinen Mangel.

Es war zweifellos viel falscher Stolz dabei. Jahr für Jahr feierten sich deutsche Regierungen und deutsche Medien für Fantasietitel wie den des "Exportweltmeisters", eine Medaille, die überhaupt nur in Deutschland vergeben wurde. Zwar endete das an dem Tag, an dem die Leistungen der Industrie nicht mehr ausreichten, um erneut aufs oberste Treppchen zu klettern. Doch der Nimbus, dass es sich beim Europas Kernland nicht nur um eine moralische Führungsmacht, sondern auch um ein wirtschaftliche potentes, von pfiffigen Ingenieuren, smarten Erfindern, fleißigen Arbeitern und cleveren Managern bevölkertes Land handelt, der hielt sich hartnäckig und stur sogar gegen die alle Anzeichen einer grundlegend veränderten Situation. 

Alles voller Ausstiegshilfen

Von Berlin bis Brüssel, von München bis Athen war nie die Frage, ob die deutsche Industrie nach Finanzkrise, EU-Staatsschuldendesaster, Scheitern der Lissabon-Strategie, Pandemie und den endlosen Verzögerungen rund um den EU-Wiederaufbauplan und den Green Deal auch noch den russischen Krieg gegen die Ukraine überleben werde. Sondern nur die, wie hervorragend die Bestform sein würde, die sich mit all den Transformationsbegleitprogrammen, Fördermitteltöpfen, Umstiegs- und Ausstiegshilfen, Behördenansiedlungsprogrammen, Entbürokratisierungsgesetze und Gründungszuschüssen herbeitrainieren lässt. 

Der starke alte weiße Mann der EU-Wirtschaft, das Land, das am meisten vom EU-Binnenmarkt profitiert und deshalb stets gern mehr dafür zahlte als es bekam, es hatte womöglich bei der Internet-Wirtschaft vollkommen den Anschluss verloren, es war nicht mehr Nummer 1 im Autobau, es hinkte bei der Herstellung von Zügen hinterher, brachte Flugzeuge nicht mehr allein in die Luft, hatte große Teile seiner Panzerfabriken und Solarbackstuben stillgelegt, seine ehemals berühmte Textilindustrie ebenso, und plante nun, auch aus Kohle, Öl und Landwirtschaft auszusteigen. 

Wissensgestützter Wirtschaftsraum

Doch wer auch immer in der Bundesregierung saß, schwor Stein und Bein, dass die von Deutschland geführte EU binnen von nur zehn Jahren nun aber absolut bald wieder zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt werden würde: Wirtschaftlich, sozial und ökologisch runderneuert, vielfältig und divers, ein nachhaltiger Leuchtturm für den Globus, gebaut aus co2-freiem Beton und beleuchtet von innovativsten LED-Lampen, erfunden einst in Europa, importiert nun aus China, wie es sich für einen richtigen Motor für Wirtschaftswachstum schickt, der sich selbst zugleich als Wissensgesellschaft sieht, die als nächstes eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich anstrebt..

Deutschland war auf einem guten Weg und mit ihm EU-Europa, das neben Deutschland immerhin noch neun weitere Spenderstaaten zählt, die zusammen genau soviel einzahlen wie die der EU-Hauptprofiteur. An der landeseigenen Kombination von wachsender Vollbeschäftigung kombiniert mit Kurzarbeit und Fachkräftemangel biss sich der Zweifel an der Überlebensfähigkeit des traditionellen deutschen Wirtschaftsmodells die Zähne aus: Der Bau der Tesla-Fabrik in Brandenburg, Kosename "kleine DDR", bewies die Zukunftstauglichkeit des Prinzips Bürokratie ja, aber wir machen manchmal auch Ausnahmen. Dann kam der Halbleiterriese Intel und selbst dessen deutscher Konkurrent Infineon erhielt nun die seit langem erwartete Zusage auf eine Milliarde aus dem Fördertöpfchen. Sobald Brüssel sich eines Tages auf den legendären "Chips act" geeinigt hat, ein neues Förderprogramm, das nun auch schon wieder ersten Geburtstag feiert, ohne bisher mehr zu sein als ein Entwurf.

Erste Wirkungstreffer

Gut gemeint wie so vieles. Und mit Wirkungen, die überall zu sehen sind: Intel steht Tesla hat eben Pläne, sein Werk in Grünheide um die größte Batterieproduktion zu erweitern, auf Eis gelegt. Der Chiphersteller Globalfoundries verlegt Teile der Produktion aus Deutschland nach Portugal. Auch bei BASF wächst der Druck, die Kosten zu senken; Der größte deutsche Chemiekonzern legt nun auch Anlagen still, um Energiekosten zu senken - ursprünglich eine Idee von Bundesklimaminister Robert Habeck, der Bäckern und Backenden diese Art Bundesbetriebsferien im vergangenen Jahr für den Zeitraum vorgeschlagen hatte, in dem die hohen Preise das Backen verunmöglichen.

Schwarzmaler nennen es eine Existenzkrise, für die Umwelt aber ist es eine Chance. Die unvermeidliche Rezession wird die Lage für viele Firmen und Bürger weiter verbessern: Niemand, der eine Wärmehalle besucht, bei der Tafel einkauft oder auf Kleiderspenden angewiesen ist, muss sich fragen, was all das kostet und wer es bezahlt. Vom beneideten Kriegsverlierer zum Wirtschaftswunder zum ersten Industrieaussteiger, der degrowth lebt und zeigt, dass nicht nur ein kleines Blatt wie die Taz mit Hungerlöhnen und Selbstausbeutung noch Jahre nach ihrem wirtschaftlichen Tod quicklebendig umgehen kann, sondern eine ganze Nation, auch wenn sie keine sein will.

Geschichte wird gemacht

Keine Atempause, Geschichte wird gemacht. Der Absturz Deutschlands aus den ikarus'schen Höhen des bewunderten Vorbilds für Ordnung, Fleiß und Sauberkeit in die Abgründe einer eher berlinerischen Beiläufigkeit jedes Erwerbsbemühens wird genauso in die Geschichtsbücher wie seine vorübergehende Wiedergeburt nach Kriegsende.

Weit und breit ist niemand mehr da, der das Gelingen des großen Ausstiegsplanes verhindern könnte: Die Regierung ist dafür, auch wenn es einem Teil von noch nicht schnell genug geht. Ein Teil der Opposition möchte es noch schneller, der andere nur ein wenig langsamer. Die EU aber drückt und drängelt, wann jemals wird sich wieder eine Situation ergeben, in der rekordhohe Energiepreise eine rekordhohe Inflation begründen, mit der sich eine sinkende Nachfrage erklären lässt, die auf den Krieg zurückzuführen ist, so dass das Tun und Treiben der Kommissare, der Abgeordneten und der 27 Regierungen mit nichts zu tun hat.

Keine Rückkehr nirgendwohin

Eine "neue Normalität", die der damalige Finanzminister Olaf Scholz versprach und die der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz einlöst wie ein Impfziel. Niemals wieder kehren sie zurück, die günstige Preisen und bezahlbaren Mieten, die Träume vom Häuslebau und von der Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Firma, die Pläne, große europäische Zukunftsfirmen zu errichten und das ganz natürlich absehbare Ende der fossilen Zeiten für einen tiefgreifenden Strukturwandel zu nutzen. Stattdessen wird schneller ausgestiegen als der Bus überhaupt angehalten hat.

Die dicken Kinder von Landau, in einer längst vergessenen Zeit belächelte Sonderlinge, haben die Macht an sich gerissen, eine dunkle Masse Mensch, die kaum in der Lage ist, sich die Schnürsenkel zu binden, die aber einen Kontinent lenkt als wäre es ein Lastenrad im Videospiel. Dass die dicken Fische aus dem Netz schwimmen, weil anderswo mehr Futter geboten wird, während die alten Lastesel der fetten Jahre und der kleinen Sorgen schneller schrumpfen als sich die Chefetage der Bundesbehördenansiedlungsinitiative neue, schräge Aufsichtsämter, Prüfstellen und Bürokratieabbauzentralen ausdenken kann, wird als Beleidigung aufgefasst. 

Man werde keinen Subventionswettbewerb mit Amerika beginnen, hat Robert Habeck den Amerikanern angedroht, als ihre steuerlichen Regelungen so änderten, dass kein Firmenlenker guten Gewissens mehr in Europa investieren kann. Das muss Washington einsehen. Und wenn nicht, dann werden wir schon sehen.

Donnerstag, 23. Februar 2023

Dickes Plus dankt Energiekrise: Wie EU-Bürgern Milliarden sparen

Aus der Erde gefördertes Gas ist teuer, Wind und Sonne aber stellen keine Rechnung.

Noch eine positive Überraschung nach dem Ausbleiben der Energieniederlage im Kampf gegen Putins Russland. Im Gegensatz zu den Befürchtungen von Scharfmachern aus dem vergangenen Jahr, die  Energieknappheit, einen "heißen Herbst" wegen der zunehmenden Kälte und "Aufstände" an die wand gemalt hatten, ist der Russenplan zur Spaltung Europas nicht nur nicht auf-, sondern komplett schiefgegangen. Deutschland  und die gesamte EU haben die aufgrund der Sanktionen und anderer Maßnahmen ausbleibenden Öl- und Gaslieferungen nicht nur nicht teuer bezahlt, sondern die unverhoffte Gelegenheit sogar noch genutzt, um Milliarden Euro einzusparen.

Es geht nicht um Kleingeld

Wie eine Analyse der Denkfabrik Ember Climate zeigt, geht es nicht um Kleingeld, sondern schon um Beträge, die Verbraucherinnen und Verbraucher spürbar entlastet haben. Durch die Erzeugung von mehr Strom aus Wind- und Solarkraft hat die EU den unabhängigen Angaben zufolge seit Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zwölf Milliarden Euro für Gasimporte einsparen können. Das sind etwa 25 Euro pro Kopf jedes EU-Europäers, für eine vierköpfige Familie immerhin ein Betrag von 100 Euro, für die Wind und Sonne keine Rechnung gestellt haben.

Dank wachsender Kapazitäten und günstiger Wetterbedingungen haben Wind- und Solarenergie seit Beginn des Krieges eine Rekordmenge an EU-Strom produziert", fasst die um eine schnelle und umfassende Energiewende bemühte Denkfabrik mit Sitz in London die Daten zusammen. Da die gesamte EU allein von März 2022 bis Ende Januar 2023 zehn Prozent mehr Wind- und Solarstrom als im gleichen Zeitraum von 2021 bis 2022 produzierte, konnte erstmals mehr als ein Fünftel (23 Prozent) des Stroms in der EU aus Solar- und Windkraft gewonnen werden. 

Ein riesengroßes Sparprogramm

Um dieses zusätzlich erzeugten 50 Terawattstunden Strom erzeugen zu können, hätten die EU-Staaten den Berechnungen der Wissenschaftler zufolge 90 Terawattstunden Gas importieren müssen - zum Preis von eben jenen zwölf Milliarden Euro, eine Summe, die auf den Durchschnittspreisen für Erdgas im Untersuchungszeitraum beruht.

Das war zum Glück nicht notwendig. Durch den Umstieg auf Sonne und Wind gingen die Gasimporte in die EU der Analyse zufolge um fünf Prozent zurück, russisches Gas machte nur noch 16 Prozent der Importe aus, ein drastischer Rückgang von zuvor 40 Prozent. Das schont die Kassen der Europäer nicht nur in diesem Jahr, sondern auch langfristig. So werden Verbraucherinnen und Verbraucher durch den Ersatz fossiler Brennstoffe in den kommenden zehn Jahren etwa 120 Milliarden Euro sparen, bis zum Ende des Jahrzehnts kommt durch den Einsatz von Wind- und Solarenergie sogar beinahe eine Billion Euro zusammen, die Familien für andere Zwecke ausgeben können.


Blockbuster Armageddon II: Berliner Luft

In "Armageddon II - Berliner Luft" kämpft ein neues Starensemble gegen den Untergang der Welt.

Nummer eins war ein Kracher, der die Kinosäle sprengte und ohne Anlauf in die Filmgeschichte sprang. Unter der Regie von Michael Bay, einem Spezialisten für komplizierte Rettungsaktionen, gelang es Bruce Willis seinerzeit ganz knapp, den Untergang der Welt zu verhindern. In der Rolle eines toxisch-männlichen Ölbohrers versammelte Harry Stamper, wie der Hollywood-Star genannt wurde, eine Gruppe von Außenseitern um sich, die gegen jede Wahrscheinlichkeit ins All flogen, um einen Atomsprengkopf im Zentrum eines heranrasenden Asteroiden zu platzieren, der drohte, die Menschheit auszulöschen.

Neuauflage eines Katastrophenklassikers

Ein mitreißender Katastrophenfilm, handfest, aber ehrlich, mit eine,m Großaufgebot an Charakterdarstellern wie Ben Affleck, Steve Buscemi, Billy Bob Thornton und Liv Tyler. Beruhend auf  Analysen, die ganz genau dem damaligen Erkenntnisstand der Wissdenschaft entsprachen, zeigte das 151 Minuten lange Epos detailreich und doch ohne Schnörkel, was passieren würde, wenn sich ein Asteroid von der Größe des US-Bundesstaates Texas wirklich unaufhaltsam der Erde nähern würde und die führenden Mächte der Welt die Gelegenheit nicht nutzen, einander im Schutz der drohenden Vernichtung allen Lebens vorsorglich vorher von der Erdoberfläche zu bomben. 

Armageddon" war vom professionellen Publikum beim Filmfestival in Cannes selbstverständlich ausgelacht worden, ein sicheres Zeichen dafür, dass die Kinokassen weltweit klingeln würde. 550 Millionen US-Dollar spielte der Streifen dann ein, das "Machwerk" (Rüdiger Suchsland) war damit der kommerziell erfolgreichste Film des Jahrgangs 1998, vor Meisterwerken wie "Der Soldat James Ryan" und der frühen und aus heutiger Sicht unbeholfen wirkenden Comic-Verfilmung "Godzilla" hinter sich lassen würde. 

Länger als bei "Avatar"

Dennoch dauerte es ein Vierteljahrhundert bis zu "Armageddon II". Das ist doppelt so lange wie Fans auf die Fortsetzung des Blockbusters "Avatar" warten mussten. Dafür aber bietet der zweite Teil des Dramas nun aber allerfeinste Action und rasante Heldentaten mit Stars wie Franziska Giffey, Bettina Jarasch und Klaus Lederer (als "Ordinary Joe"). Große Ansprüche an Komplexität stellt die Handlung dabei in bewährter Weise nicht: Wieder geht es darum, das ein Team von ausgewiesenen Außenseitern von den abgelegenen Rändern der Gesellschaft auszieht, um den Planeten zu retten. 

Dass die Mehrheit der Bevölkerung das Bemühen der in einige bemerkenswerte Grenzüberschreitungen verstrickten Helden skeptisch sieht, tut der guten Unterhaltung keinen Abbruch: "Armageddon II" ist ein Drama, ein Stück weit auch eine Tragödie und in Teilen ein Lustspiel. Wenn etwa Jarasch, die in der Fortsetzung des Erfolgsfilms die Rolle der Tochter Grace von Liv Tyler übernommen hat, von einer "gute 2. Sondierungsrunde mit der CDU" spricht, bei der für die "dicken Brettern Mieter*innenschutz und  moderne Mobilitätspolitik Brücken gefunden" worden seien, dann erinnert  das deutlich an die berühmte Verfolgungsjagd auf der Ölbohrplattform, bei der Stamper Ben Afflek alias "A.J. Frost" wegen dessen Liebesbeziehung zu Grace jagt.

Wir fahren nach Berlin

Während damals etliche Häuser­blocks in New York zu Bruch gingen, haben die Produzenten den Schauplatz des zweiten Teils nach Berlin verlegt - und das nicht nur wegen der üppigen deutschen Filmförderung. Die deutsche Hauptstadt stellte sicher, dass "Armageddon II" nicht wie der erste Teil ein "dummes und rassis­ti­sches Kino der Attrak­tionen" (Thomas Willmann) geworden ist, ein Film also, der  so voller "klebrigem Natio­na­lismus" ist, dass sich Erstzuschauer seinerzeit wie "in einem Remake von Triumph des Willens" wähnten. "AII", wie Fans das Spektakel nennen, kommt ohne Explo­sionen, eins­tür­zende Häuser und umher­flie­gende Autos - ohne Autos überhaupt - aus­. Auch der im ersten Teil auftretende Russe Lev Andropov, damals schon vorsorglich vom Schweden Peter Stormare gespielt, wurde zugunsten einer größeren Überschaubarkeit des Plots gestrichen.

Den Harry Stamper, eigentlich ein typischer AfD-Wählender, spielt Lederer jetzt nicht mehr als reak­ti­onären Macho, sondern als Mann, der korrekt gendern kann und keine Angst hat, gemischtgesellige Toiletten aufzusuchen. Franziska Giffey schließlich, der Star, um den sich alles in der Neuauflage dreht, muss sich keine Sorgen um einen anstehenden Gene­ra­ti­ons­wechsel machen, sie ist beileibe kein Auslau­f­ex­em­plar, sondern die personifizierte Erneuerung: "Berliner Luft", so diesmal der Untertitel des Films, der im ersten Anlauf "Das jüngste Gerücht " hieß, verweist auf ein raffiniertes Spiel mit Klischees, gelegentlichen Kanonenschlägen und der allgegenwärtigen Kennedy-Assoziation.

Tränen für die sozialen Kanäle

Ich bin ein Berliner", hatte der damalige US-Präsident bekannt - und Berliner sind sie hier alle, die Franzosen und die inzwischen als "Muslime" bezeichneten Moslems, die von Enteignung träumenden Kommunisten und die Leute, die die Lage analysieren, aber in der Mittagspause noch einen Tippfinger frei haben, um ein paar Tränen in die soziale Kanalisation abzudrücken.  Solche hektischen Schnitte und die strenge Buntheit der Inszenierung gehören dazu, wenn es gilt, die geistige und emotio­nale Leere überzudecken.

Die Hoffnung der Filme­ma­cher leuchtet aus jeder schrägen Einstellung: Das Publikum möge sich durch das hohle Dauer­bom­bar­de­ment mit "besser werden, den Volksentscheid umsetzen und sozialen Wohnungsbau hinkriegen" (Katina Schubert, Die Linke) vorgau­keln lassen, dass der Blockbuster - benannt nach einem Bombentyp aus dem Zweiten Weltkrieg, der in Berlin der ganze Häuser­blocks ausra­dierte -  die offenbar tief­ver­wur­zelte Lust der moderner Gesell­schaft an allen nur denkbaren Szenarien der Selbst­ver­nich­tung befriedigt. 

Zu wenig Atomsprengstoff

Perfekt ist das nicht gelungen, aber nahe dran. Für den Schauplatz Berlin fehlt es der Besetzung an  multi­kul­tu­rellem Pep, so deutlich sogar, dass selbst solidarische Kritiker sich ein wenig Hetze nicht verkneifen können. Dass die Bedrohung, die über "Armageddon II" schwebt, keine aus dem All ist und nichts, das sich mit einem großen Bohrhammer und ein wenig Atomsprengstoff "ausmerzen" (Franz Müntefering) lässt, zeigt, worauf es wirklich ankommt. Eine Hymne auf das Hete­ro­gene, auf mittelalte Zugezogene, denen es vielleicht an Glaub­wür­dig­keit fehlt. Nicht aber an Chuzpe, weiter vor der Kamera zu stehen, selbst wenn nicht klar ist, ob ein Thriller, eine Fantasyschmonzette für Teenager, eine ulkige Komödie oder eine rabenschwarze Persiflage auf ideo­lo­gische Schlachtengemälde wie "Borgen", "Wie der Stahl gehörtet wurde" oder "Die grünen Teufel" gedreht werden.