Dienstag, 31. Mai 2022

Mietergehalt: Jedem nach seinen Bedürfnissen

Demnächst auf der Baustelle. Weil nichts klappt, will Franziska Giffey künftig selbst bauen.

Das könnte er endlich sein, der erste wirklich wirksame Vorschlag zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger vor dem Inflationswahnsinn! Keine lasche Mietbremse mehr, wie sie in der DDR über Jahrzehnte mit bescheidenem Erfolg ausprobiert wurde, kein laues "Klimageld" für die Armen und keine Enteignung großer Immobilienbesitzer für Berliner. Franziska Giffey, die nach ihrer wundersamen Auferstehung aus dem Betrugschaos, das ihre politischen Gegner*innen angerichtet hatte, seit einiger Monaten über die Berliner Wohnungskrise herrscht, ist jetzt mit einem neuen Vorschlag vorgeprescht: Nicht mehr Lage, Lage, Lage, Ausstattung und Modernisierungszustand sollen über die Höhe der Wohnungsmiete bestimmen. Sondern die Höhe der Wohnungsmiete über Gehalt und Lohn!

Gegen die fehlenden Lieferketten 

Ein kühner Schwertstreich, der den Gordischen Knoten zerschlägt, an dem die gesamte deutsche Spitzenpolitik seit Jahren vergeblich knubbelt. "Niemand soll mehr als 30 Prozent seines Einkommens für die Miete zahlen", will Berlins Regierende Bürgermeisterin als neue, faire Regel zum Grundsatz einer neuen Gerechtigkeitsmiete für alle Berliner machen. Der Clou dabei: Weil fehlende Lieferketten, Materialmangel und die zerrütteten Verhältnisse in den Bauämtern der Hauptstadt keinen Bauturbo zulassen, koppelt der Senat die Lohnentwicklung künftig direkt an die steigenden Mieten.

Ursprünglich hatten die Berlinerinnen und Berliner verlangt, Großinvestoren zu enteignen, um Wohnungsgesellschaften so mehr Neubau zu motivieren. Gentrifizierung sollte verboten, der zuletzt verzeichnete Rückgang der Baugenehmigungen durch neue Versprechen auf noch in diesem Jahr zu bauende 20.000 Wohnungen ersetzt werden. Doch auch in Berlin hat der russische Angriffskrieg dazu geführt, dass "eine Dachlatte heute das Vierfache kostet", wie Giffey im "Tagesspiegel" vorrechnete. 

Das Tiny-Haus wird unbezahlbar

Selbst ein Tiny-Haus aus dünnen Brettern, wie es viele Hauptstädter sich in der urbanen Verdichtung erträumen, wird so unbezahlbar -  obwohl die Europäische Zentralbank seit vielen Jahren mit  Nullzinsen versucht, Geld für jeden Bauwilligen kostenlos zu machen. Nun aber ist dank der umfangreichen Rettungspakete Geld da, so viel sogar, dass sich damit kaum noch Baumaterial bezahlen lässt. "Das hat Auswirkungen auf unsere Ziele beim Neubau", hat Franziska Giffey ganz offen zugegeben. 

Umso wichtiger sei es aber, dranzubleiben und "sich diesem Ziel politisch zu verschreiben". Mit der nun geplanten sogenannten positiven Rückkopplung von Miethöhe und Einkommen geschieht genau das. Statt die soziale Sortierung der Gesellschaft nach Einkommensgruppen weiter voranzutreiben, indem Mieten prozentual so festgeschrieben werden, dass höherwertige Wohnungen nur noch für die bezahlbar sind, die zu den Besser- und Bestverdienenden zählen, kehrt das Mietgehalt die Problematik um. Eine "öffentliche Mietpreisprüfstelle" soll den sozialen Ausgleich organisieren, Steuerbescheide und Lohnzettel prüfen, Mietverträge einsehen und amtliche Zahlungsauflagen an Vermieter*innen ausstellen.

Zweites Gehalt vom Vermieter

Eine Zeitenwende. Wer zu wenig verdient, um sich in bester Lage eine moderne Altbauwohnung mit Parkett, Fußbodenheizung, superber Wärmedämmung, Fahrstuhl und Blick aufs Kanzleramt, dem steht nach dem Vorbild der Mieterentlastung bei den Heizkosten ein zweites Gehalt zu, dass sein Vermieter zu zahlen hat. Der Entwurf für das "Mietergehaltsgesetz" regelt, wie die Mehrbelastungen, die für das Wohnen in besonders teuren Lagen anfallen, zwischen Mietern und Vermietern aufgeteilt werden, wenn es zu Mieterhöhungen durch Modernisierungen, durch die allgemeine Preisentwicklung oder durch andere Umstände kommt. 

Der neue Berliner Weg aus der Wohnungsnot orientiert sich am alten Prinzip des "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung", konkretisiert es aber nach Berliner Art auf "Jedem nach seinen Bedürfnissen".  Derzeit können Vermieter Modernisierungskosten oder fristgemäß mögliche Mieterhöhungen für Bestandsmieten noch vollständig an ihre Mieter weitergeben. Mit dem Mietergehalt wären sie dann verpflichtet, Mehraufwendungen ihrer Schützlingen auf eigene Kosten auszugleichen.

Sonderwirklichkeit Bundeswehr: Schrödingers Schatz

Bundeswehr Werbung werde offizier
Ein Guthaben aus geborgtem Geld rüstet die Bundeswehr auf, ohne dass die neuen Kredite die Schuldenbremse verletzen.

Wer nach links geht, kann nicht gleichzeitig nach rechts unterwegs sein. Wer nach oben springt, ist nicht mehr unten. Wer in die Breite geht, wird nach einiger Zeit häufiger nicht mehr als schlank bezeichnet. Und seltener für so attraktiv gehalten, dass ihm die potenziellen Sexualpartner wie läufige Hund*Innen hinterhertraben. 

Entscheidungen haben immer etwas ausschließendes. Der Glatzkopf muss sich nicht kämmen, doch sein Haar fällt auch nicht in langen, blonden Wellen. Marilyn Monreo hingegen war es ein Leben lang unmöglich, sich den Kahlkopf mit Fett zu polieren. So ist der arme Mann nicht reich, der kleine Mann eher kurz, die Bundesverteidigungsministerin hat eine Frisur, der Bundeskanzler hat keine. Das eine sorgt beim Friseurhandwerk für Empörung, das andere wird hingenommen, weil allgemein als Fakt gilt: Was ist, das ist, der Papst beispielsweise katholisch, der Osten verloren, die Linke kommunistisch und die "Tagesschau" der Platz im Land, an dem entschieden wird, was wichtig und was nur von regionaler Bedeutung sein soll.

Zwei Aggregatzustände zugleich

Seit Erwin Schrödingers Gedankenexperiment mit der Katze, die zugleich tot war und doch lebendig, ist allerdings klar, dass der Mensch mehr kann als oben oder unten, voll oder leer, gefroren und flüssig, frisiert oder unfrisiert, dick oder schlank sein. In der Politik ist es nicht nur möglich, zwei Aggregatzustände gleichzeitig einzunehmen, zwei Ziele in zwei unterschiedlichen Richtungen zugleich anzumarschieren und alle Kraft erfolgreich in gänzlich gegensätzliche Anstrengungen zu stecken. Es ist unumgänglich.

Zum Beispiel, um Geld, das nicht da ist, für eine Armee auszugeben, die nicht weiß, wofür sie es braucht. Da ist die Schuldenbremse, die es strikt verbietet, zu einem Zweck, der Jahr für Jahr rund 45 Milliarden Euro aus Haushaltsmitteln verschlingt, extra Kredite aufzunehmen. Da ist aber auch die Angst, dass eines Tages herauskommt, wie Recht der damalige amerikanische Präsident Donald Trump mit seiner Forderung nach mehr Geld für Waffen, Soldaten und Kriegsanstrengungen hatte, als er immer wieder darauf herum hackte, dass Deutschland versprochen habe, zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Schwerewaffen, amerikanische Flugzeuge und gepanzerte Divisionen auszugeben.

Fliegen, ohne abzuheben

Wie aber Duschen, ohne nass zu werden? Wie fliegen, ohne abzuheben? Wie Singen ohne Ton, wie Tanzen ohne aufzustehen, wie Siegen ohne Kampf? Es ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt deutscher Geschichte, wie es der Ampel-Koalition gemeinsam mit der Union gelungen ist, den "Weg für enorme Rüstungsausgaben" (Die Zeit) freizumachen, ohne zu diesem Zweck die vor elf Jahren für jetzt und alle Ewigkeit eingeführte Schuldenbremse mehr zu verletzen als all die Jahre seit ihrer Verkündigung schon.  

Ein Wunder ähnlich dem, das Jesus wirkte, als er tot war, gestorben am Kreuz, aber wie Schrödingers Katze doch lebendig zu seinen Jüngern ging. Schulden machen ohne Schulden zu machen, so viele Schulden sogar, dass aus der Schuldenbremse ein Schuldengaspedal wird, dabei aber im Rahmen aller Vorgaben zu bleiben, das wirkt geradezu fantastisch.

Das Märchen vom kleinen Riesen, der ein großer Zwerg war und es vermochte, ein leeres Blatt vollgeschrieben mit seinen Erlebnissen mit Hilfe eines Spatens ohne Blatt, dem der Stil fehlt, unter ein Baum zu vergraben, der keine Wurzeln, keinen Stamm, kleine Zweige uns auch keine Blätter hat, es mutet daneben an wie eine ausgebliebene Alltagsbegebenheit aus einer seit Jahren geschlossenen Tankstelle im Brandenburgischen, weitab der letzten Siedlungsgebiete des Menschen. So unwahrscheinlich. So schön. 

Kraftakt auf den Weg gebracht

Einen "einmaligen finanziellen Kraftakt", nennt der liberale Justizminister Marco Buschmann die wundersame Einigung, die die "die Truppe wirksam ertüchtigen und zugleich die Schuldenbremse bewahren" werde. Das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die wird danach einfach "eingerichtet" und "auf den Weg gebracht" (DPA), indem das Grundgesetz geändert und ein spezielles "Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr" erschaffen wird, das die Errichtung eines Schattenhaushalts neben dem gewöhnlichen Bundeshaushalt ausdrücklich erlaubt. Die neuen Schulden sind keine. Sie sind ein Guthaben, das aus Geborgtem besteht.

Der neue Schuldenberg, gemessen am Gesamtvolumen der staatlichen Verbindlichkeiten sowieso nicht mehr als als ein Klacks aus Krümeln, gewinnt damit eine verfassungsrechtliche Legitimität, die Bundesfinanzminister Christian Lindner richtig zufrieden macht. Gleich "zwei Ziele" seien erreicht worden, sagte der FDP-Chef der Danachrichtenagentur DPA: "Erstens stärken wir die Bundeswehr in einem einmaligen finanziellen Kraftakt." Zweitens bleibe die Schuldenbremse im Grundgesetz erhalten. 

Vorbild für die EU

Ein Vorbild auch für die EU, die derzeit noch um die Durchsetzung des gemeinsamen Ölausstieges ringt, dem sich die bockbeinigen Ungarn nach wie vor widersetzen. Der EU-Gipfel aber muss den "Importstopp für russisches Öl" (SZ) auf "den Weg bringen", weil alles andere einen Sieg für Wladimir Putin bedeuten würde. Wie aber Ölen ohne Öl? Wie Ungarn ohne Einstimmigkeit? Wie Zeichen nach Moskau, wenn weiter Import von dort? Die EU-Kommission hat die Lösung gefunden: Der wirkmächtige gemeinsame Importstopp der Gemeinschaft für russisches Öl wird die nächsten paar Jahre lang nur für Lieferungen per Tankschiff gelten, Pipelines bleiben ausgenommen.

Montag, 30. Mai 2022

Desinformationszentrum: Lehren aus Amerika

Kampf gegen Desinformation
Der Kampf gegen die Feinde der Wahrheit wird jeden Tag neu geführt - aber in den USA pausiert er vorläufig.

Amerika wollte es besser machen. Beim Aufspüren, Aufdecken und Nachverfolgen von fake news, Verschwörungstheorien und falschen Zweifeln nicht mehr auf freiwillige Helfer*innen der Internet-Polizei vertrauen, statt hilfloser Faktenchecks klare Wahrheitsaufsicht und das alles angebunden nicht mehr an nachgeordnete Behörden wie das deutsche Blogampelamt (BBAA) im mecklenburgischen Warin, in dem Meinungsfreiheitsschützer und Fake-Fahnder seit Jahren eine titanische Arbeit gegen Hetze, Hass und Zweifel leisten. Ohne dass der Schoß, aus dem das kriecht, jemals unfruchtbar wird.

Offensive gegen die Lüge

Mit dem  Disinformation Governance Board des Department of Homeland Security wollte Joe Biden in die Offensive gegen die Lüge, die massive Beeinflussung der amerikanischen Zivilgesellschaft aus Russland und die Rückkehr des früheren Präsidenten Donald Trump gehen, der sich im Schatten des neuen Ost-West-Konfliktes bereits für eine zweite Amtszeit warmläuft. Das DHS, angebunden beim Heimatschutz, verfügte vom Start weg Ende April über klare Leitlinien zur Bekämpfung ausländischer Fehlinformationen, inländischer Informationsinterpretation und scharfen Waffen gegen Desinformationen aller Art.  

Nun hätte der Kampf falsche Informationen, gegen die die Einmischung in Wahlen und die geplante Offensive gegen Hass, hetze und Zweifel beginnen können - viele Augen auch aus Deutschland und nicht nur aus Warin schauten gespannt auf die Nebraska Avenue in Washington DC, wo das DHS sein vorläufiges Hauptquartier bezogen hatte. Herrnfried Hegenzecht, als  Chef des Bundesblogampelamtes (BBAA) und der dort angeschlossenen Hassmeldestellen äußerte in Interviews bereits große Hoffnungen darauf, dass das rigorose amerikanische Vorgehen als Vorbild für Deutschland und die gesamte EU dienen könne. 

Zu wenige Waffen gegen den Hass

Trotz mehreren Nachschärfungen des Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, trotz Datenschutzgrundverordnung,  Netzwerkdurchsetzungsgesetz und die Privatheitsverordnung habe sich zuletzt zu wenig getan, um digitalen Hassern in den Arm zu fallen und sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen, kritisierte der Doyen der deutschen Internetaufsicht. Auch dei neue Verdachtsmeldepflicht genüge nicht, jeden rechtswidrigen Inhalt den Strafverfolgern zu überstellen, um sichergehen zu können, dass Nachahmer nicht meinen, mit provokanten Äußerungen durchzukommen.

Doch statt eines neuen Aufbruchs kommt nun eine dicke Enttäuschung aus den USA. Nach nur drei Wochen im Amt trat Nina Jankowicz, die Chefin der DHS, überraschend zurück. Danach beugte sich der gesamte Vorstand der neuen Aufsichtsbehörde dem Druck hasserfüllter Kritiker und erklärte, vorläufig pausieren zu wollen. Öffentlich wurden keine inhaltlichen Gründe für das abrupte Ende der neuartigen Kampfgruppe zur Bekämpfung von Desinformation genannt. 

Vielmehr erklärte Exekutivdirektorin Jankowicz, sie erwarte ein Baby und „Zeit mit meiner Familie zu verbringen" habe während der Schwangerschaft "oberste Priorität“. Im Herbst plane sie, das Bewusstsein für Desinformation in der Öffentlichkeit erneut zu schärfen und ihre Arbeit im Zusammenhang mit der Meinungsäußerung von Frauen im Internet fortzusetzen.

Enttäuschung in Mecklenburg

Für die deutschen Kolleginnen und Kollegen der 33-Jährigen aber bietet diese Zusicherung wenig Trost. Hatten die Mitarbeitenden des BBAA eben noch gehofft, künftig gemeinsam mit dem "natürlichen Partner DHS" (Hegenzecht) in die Schlacht gegen die Feinde der fürsorglichen Gesellschaft ziehen zu können, sieht es nun eher danach aus, als müsse der Schutz der Meinungsfreiheit vor ihren Missbrauchern weiterhin allein mit Bordmitteln des BBAA und der Sonderstaatsanwaltschaften für Hass gewährleistet werden. 

Herrnfried Hegenzecht ist zwar optimistisch, dass die "mittlerweile weitgehend professionalisierte Freiwilligkeit vieler unserer Helfenden" (Hegenzecht) ausreicht, die Lage im Griff zu behalten. Sehnsüchtig aber schaut der 61-Jährige doch in diesen Tagen jeden Morgen auf sein Smartphone, um zu sehen, ob US-Präsident Joe Biden nicht auf den fatalen Fehlstart seines Desinformationszentrums reagiert.


Nachruf auf das Klimageld: Absage an alle

Klimaprämie Energiegeld Grafik
Den vom Gemeinsinnfunk im Wahlkampf verbreiteten Wahlversprechen aller Parteien zufolge hätte eine "Klimaprämie" schematisch nach dem Prinzip Linke-Tasche-rechte-Tasche funktionieren sollen.

Es konnte nicht viel genug sein, nicht schnell genug gehen, nicht alle und jeden mitnehmen in eine lichte Klimazukunft ohne Co2 und Erderwärmung made in Germany. Vor der Bundestagswahl im Herbst jedenfalls überschlugen sich die politischen Gegner mit Vorschlägen und Plänen, wie Klimafeindlichkeit künftig streng besteuert, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler aber gleichzeitig so umfassend entlastet werden würden, dass es smarten Jungunternehmenden bald womöglich möglich sein würde, allein vom Klimasparen und einem staatlichen Gründerzuschuss im Rahmen der großen Vielfalt der EU-Programme zum Green Deal zu leben.  

Das Ende des Energiegeldes

Als "Energiegeld" hatte die Bundesworthülsenfabrik (BWHF) das Spiel mit linker und rechter Tasche verbal verpackt, ein Zauberwort, mit dem Zuversicht  verbreitet werden sollte, dass alle gar nicht so schlimm werden würde. Alles würde teuer werden. Aber doch nur für die, die den Planeten unmäßig belasten. SUV-Fahrer, Mehrfacheltern, Eigenheimbewohner mit vielen Außenwänden, Pendler und Vielflieger würden mehr zahlen müssen. Alle anderen hingegen könnten von der Klimadividende leben, die alle Parteien umgehend umsetzen würden: Die Grünen als "Energiegeld", die FDP als "Klimadividende", die SPD als "Klimaprämie", die Union auch.

Irrtümlich nur hatten die beiden bis 2021 regierenden Parteien die neuen CO2-Steuern eingeführt, die eigentlich parallel geplante Entlastung durch eine Rückerstattung des CO2-Preis an alle, die sich klimakonform verhalten, aber vergessen. Wie vor der Einführung der neuen staatlichen Einnahmequelle blieb es beim Versprechen: "Durch eine Pro-Kopf-Klimaprämie für alle werde jeder Bürger und jede Bürgerin seinen Teil des CO2-Preises zurückbekommen", versprach die alte Bundesregierung und die neue versprach es auch. Das sei "ein sehr guter Weg, alle zu entlasten": Das Klima, aber auch die  Menschen, die auf diese Weise merkten, "dass sich CO2 sparen auch finanziell lohnt". Der Staat selbst werde aus der neuen Abgabe "keine zusätzlichen Einnahmen" haben, versicherte das SPD-Parteiorgan "Vorwärts".

Funktioniert so gut, dass es nie eingeführt wird

Alle bekommen aus dem Klimatopf die gleiche Prämie, wer aber viel CO2 ausstößt, zahlt mehr in diesen ein. Wer CO2 einspart, zahlt wenig und erhält so am Ende über die Pro-Kopf-Prämie ein Plus – quasi eine ökologische Umverteilungsmaßnahme, die sie so gut funktioniert, dass sie nun acht Monate nach der Bundestagswahl für immer in die Tonne geworfen wird. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat den "sozialen Kompensationsmechanismus", auf den sich SPD, Grünen und FDP im Koalitionsvertrag eigentlich verbindlich geeinigt hatten, weil die "Bundesregierung ein Klimageld zur Abfederung des CO2-Preises" für eine hervorragende Idee hielt, nun abgesagt. Stattdessen sollen ausschließlich Mitbürgerinnen und Mitbürger das Klimageld erhalten, die unter 4.000 Euro monatlich verdienen. 
 
Das Ende des Traums von der Klimarettung als Nullsummenspiel, verpackt in ein neues Versprechen, das die Gesellschaft weiter zu spalten verspricht. Wie schon beim Zweiten Großen Energieentlastungspaket (ZGEEP), das die Rentnerinnen und Rentner im Land für ein arbeitsreiches Leben abstrafte, indem sie ihnen selbst eine symbolische Entlastung verweigerte, werden auch im dritten Große Energieentlastungspaket nur ausgewählte Teile der Bevölkerung bedacht: Wer netto mehr als 2.500 Euro verdient, braucht den von der Ampel im Koalitionsvertrag versprochenen "Ausgleich für höhere Energiepreise in Form eines Klimagelds" nicht mehr.

Eine neue "feste Überzeugung"

Er bekommt dafür die Gewissheit, dass Hubertus Heil neuerdings "der festen Überzeugung" ist, "dass wir dauerhafte und gezielte Entlastungen für alle mit geringen und mittleren Einkommen brauchen: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Rentnerinnen und Rentner, Studierende und Auszubildende". Alle anderen, die vielleicht noch der Meinung waren, bei der anvisierten "Rückerstattung des CO2-Preis durch Klimaprämie oder Energiegeld" (Deutschlandfunk) gebe es wohl noch ein paar Verzögerungen, aber eines schönen Tages werde alles werden wie versprochen, haben nun Gewissheit. Die Einführung der neuen Belastung hat sehr gut geklappt. Die zugleich versprochene Entlastung aber zieht sich nicht nur hin. Sie fällt aus.
 
Sozialdemokratische Klientelpolitik, die den VW-Arbeiter, die alleinstehende Aldi-Verkäuferin in Baden-Württemberg und den Verwaltungsfachangestellten im Bundesarbeitsministerium konsequent ausblendet. Die Mitte der Gesellschaft übt Verzicht, der "Ausgleich" für alle wird zur Auszeichnung für einige, die aus der Bundestrickkiste der Propaganda springt einmal mehr ein Kunststück, das die angeschlossenen Sendeanstalten mit glänzenden Augen als ganz große Gnade verkaufen. 
 
Die zusätzlichen Einnahmen des Staates aus der CO2-Abgabe, die es niemals hatte geben sollen, lagen zuletzt bei sieben Milliarden Euro.


Sonntag, 29. Mai 2022

Himmelfahrt: Stilles Gedenken an das Ende des deutschen Solarwunders

Zehntes Jahrgedächtnis an das Ende der solaren Zukunft in Deutschland: Q-Cells existiert auch heute noch, als Schatten seiner selbst.

Der Schock saß tief, als es geschah. Politiker schickten Rettungsmillionen aus, die Öffentlichkeit war konsterniert. Eine Zukunft, von der sehr viel die Rede gewesen war, endete mit einem Knall. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, dass die Sonne nie eine Rechnung geschickt hatte?  Unangekündigt, aber mit einem Vorlauf, der Böses ahnen ließ, hatte QCells Insolvenz angemeldet. 1.200 Beschäftigte im mitteldeutschen "Solar Valley" standen vor dem Nichts. Deutschland, bis zu jenem Tag vor zehn Jahren weltweit führend in der finanziellen Förderung der neuen Technologie zur Erzeuigung von Strom aus Sonnenlicht, sah sich zurückgeworfen auf den Stand der Braunkohlen-Ära.

Zurück zur Braunkohleära

Doch es lag natürlich eine riesige Chance auch in diesem Scheitern. Das Insolvenzverfahren biete, so hieß es zuversichtlich, die Gelegenheit, Q-Cells ganz neu aufzustellen. An dieser Restrukturierung werde die öffentliche Hand, die von Anfang an als Finanzier der Erfolgsfirma aufgetreten war und rein rechnerisch auch schon fette Profite eingefahren hatte. 

Nun nicht aufgeben! Auch die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) sagte ihre Hilfe zu, um möglichst viele Arbeitsplätze zu retten. Die Politik sei nun aber wirklich gefordert, vernünftige Rahmenbedingungen für die Branche zu setzen. Auch müsse geklärt werden, wie es gelingen könne, mehr Geld für den Aufbau von Solaranlagen zu mobilisieren. Eine Verstaatlichung war nicht im Gespräch, eine volle staatliche Finanzierung des Neustarts aber schien unumgänglich.

Der Chinese war an allem schuld

Denn so verfuhr ja der Chinese, der den Markt mit Solaranlagen überschwemmte, die oft mit Hilfe deutscher Technologie entwickelt worden waren. Durch günstigere Produktionsbedingungen und Subventionen konnte China seine Panele um bis zu 30 Prozent billiger anbieten: In Deutschland, das damals noch unter einem niedrigen Strompreis von nicht einmal 12 Cent litt, ermöglichte das einer Solaranlage, sich binnen von nur wenigen Jahren zu amortisieren.

Deutsche Hersteller, die sich auf die reine Fertigung konzentriert hatten und damit direkt mit China konkurrierten, konnten da nicht mithalten. Das deutsche Solarwunder, der erste Aufbau einer neuen Industrie im Land der Ingenieure, seit Gottlieb Daimler die Büchse der Pandora zur individuellen Mobilität geöffnet hatte, es musste scheitern. Zu hohe Löhne, zu hohe Grundstückspreise, zu wenig Sonne, zu wenig Nachfrage, zu teure Anlagen, zu geringe Produktivität. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sagte in seiner Grabrede für die Zukunftsindustrie, dass die Insolvenz ein Beleg dafür sei, dass Bund, Länder und Unternehmen eine Strategie entwickeln müssten, damit die Solarindustrie in Deutschland und Sachsen-Anhalt Bestand haben könne.

Arm zahlt für Reich

Daraus ist dann aber doch nichts geworden. Zu viel anderes kam dazwischen, zu viele Krisenherde, zu viele Insolvenzen, zu viel Globalisierung, zu viel zusätzliche Konkurrenz, zu viele Weichenstellungen bei der Förderung, die das Einspeisegesetz entwerteten, das die rot-grüne Bundesregierung einst eigens zum Schutz der heimischen Sonnenindustrie beschlossen hatte, ehe Nachfolgerin Angela Merkel bemerkte, dass das deutsche Erfolgsmodell dazu führte, dass immer mehr Reiche sich Solaranlagen zulegten, um die von den Armen zu zahlende Sonderabgabe zu nutzen, immer mehr Reichtum anzuhäufen.

Im letzten Jahr vor dem großen Zusammenbruch waren rund acht Milliarden Euro von Stromverbrauchern an Solaranlagenbereiber geflossen - heute keine große Summe mehr, damals aber noch atemberaubend viel Geld. Es musste etwas geschehen, und es geschah. Mit Q-Cells fiel der erste Stein. Heute ist von der ganzen Mauer nichts mehr übrig.

Sicheres Überwachungserlebnis: Neues Verfahren für Löschanträge

Gut zwei Wochen nach dem wegweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs für mehr Vergessen auch im Offline-Alltag hat die Bundesregierung ein Verfahren für Löschanträge vorgestellt. Das Bundesblogampelamt (BBAA) schaltete jetzt ein Formular frei, mit dem man die Entfernung von unliebsamen Erinnerungen aus den Köpfen von Familienmitgliedern, Freunden, Bekannten und Fremden verlangen kann.


Die Antragsteller müssen die Forderung zu jedem zu beseitigenden Hirninhalt begründen und die Kopie eines Ausweises zum Bundesblogampelamt hochladen, um einen Missbrauch der Funktion durch Dritte, die eventuelle noch benötigte gute Erinnerungsinhalte löschen lassen wollen, um Menschen zu schaden, zu vermeiden. Das BBAA werde jede Anfrage individuell prüfen und zwischen den Datenschutzrechten des Einzelnen, dem Recht der Erinnerungsinhaber auf individuelle Hirninhalte und dem Recht der Öffentlichkeit auf Auskunft und Informationsweitergabe abwägen, hieß es.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte entschieden, dass Europas Bürger es nicht dulden müssen, dass sich Dritte an unangenehme Dingen aus ihrer Vergangenheit erinnern, mit Hilfe dieser Erinnerungen als Zeitzeugen auftreten oder nachkommenden Generationen immer wieder wie Opa vom Krieg erzählen. Wer solche Informationen, die von anderen als unangenehm empfunden werden, besitzt, müsse die Verweise aus seiner Erinnerung entfernen, wenn dort enthaltene Informationen das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz einer Person verletzen.

Das BBAA macht keine Angaben dazu, wie lange die Bearbeitung der Anträge auf Löschung von Erinnerungsinhalten dauern könnte. Die Behörde im mecklenburgischen Warin habe bereits einige tausend Anfragen erhalten, sagte ein Sprecher. Sie müssten nun aber erneut über das neue Formular gestellt werden. Gelöscht werden können durch Mitarbeiter der Behörde nur Erinnerungsinhalte von EU-Bürgern sowie von Isländern, Norwegern, Lichtensteinern und Schweizern - nicht aber die etwa von EU-Ausländern aus Drittländern.


Anleitung für den Antragsteller
1. Geben Sie Ihren Namen oder den Namen der Person an, die Sie vertreten.

2. Fügen den zu löschenden Erinnerungsinhalt in das Formular ein, hier empfiehlt es sich, möglichst konkrete Erinnerungsinhalte anzugeben: Der bekannt gewordene Seitensprung, der im Rausch verursachte Verkehrsunfall, bei dem ein Kind zu Schaden kam, oder die gescheiterte Statdratskandidatur für die NPD sollten möglichst detailreich geschildert werden. Es können auch mehrere Zeugen angegeben werden, die über die Erinnerungen an den Vorfall verfügen.

3. Begründen Sie, inwieweit die Erinnerungsinhalte mit Ihnen in Verbindung steht und warum sie gelöscht werden soll. Hierbei reicht es, wenn Sie schreiben: Ist mir heute peinlich, ich liebe diese Frau nicht mehr, weil sie fett geworden ist, oder die NPD ist nicht mehr meine politische Heimat, ich bin jetzt bei der Linken.

4. Bestätigen Sie nun Ihre Identität mit dem Hochladen einer Kopie Ihres Ausweises.

5. Bestätigen Sie die Korrektheit Ihrer Angaben.

6. Senden Sie das Formular ab.


Nachdem Sie dieses Formular eingereicht haben, wird Ihr Antrag mit allen zugehörigen Informationen an den zuständigen Datenschützer beim BBAA und an das Bundesinnenministerium weitergeleitet. Zudem werden in einem zweiten Schritt die Erinnerungsbesitzer, die über die von Ihnen zur Löschung beantragten Inhalte verfügen, aufgrund Ihrer Beschwerde benachrichtigt.

BBAA-Chef Herrfried Hegenzecht warnte indes vor negativen Folgen des EuGH-Urteils. Unter anderem könne es der nächsten Generation von Geschichtsdokus schaden, sagte er der „Financial Times“. „Ohne Zeitzeugen muss vielleicht die gesamte Vergangenheit jeweils neu erfunden werden", warnte er, "aber das ist natürlich kein Problem für das ZDF.“ Er befürchte auch, dass die verordnete Demenz ein ermutigendes Signal für Regierungen sein könnte, die Zensur weiter auszubauen.

Das BBAA richtet derzeit einen Beirat ein, der die Behörde beim Umgang mit dem Problem beraten soll. Dem Beirat gehört unter anderen der Begründer der Hitler-Dokus, Guido Knopp, an, der die EuGH-Entscheidung scharf als Schritt in Richtung Zensur kritisiert hatte. Vieles anderes sei für die Umsetzung des Urteils noch unklar - zum Beispiel, nach welcher Frist die Erinnerungen auf welchem Weg aus den Köpfen von Familie, Freunden, Bekannten und unter Umständen auch völlig Fremden gelöscht werden sollten, sagte ein Sprecher. Das BBAA rechnet damit, dass strittige Fälle vor Gericht kommen werden.


Mehr zum Thema in der FAZ: Im Reich des geordneten Vergessens

Samstag, 28. Mai 2022

Zitate zur Zeit: Keine Ahnung von der Befürchtung

Ich wünsche mit mein Leben zurück


Die deutschen Männerchöre haben ihre Lieder. Adolf Hitler besaß einen deutschen Schäferhund. Auch in Friedenszeiten reden wir gern von unseren Soldaten im Einsatz.

Wie in Bonn mitgeteilt wurde, liegt Berlin am Rhein.

Wir glauben fest daran, dass alles so kommen musste, wie es kommen musste. Und darauf sind wir stolz, denn wir haben noch immer keine Ahnung von unseren Befürchtungen.

Die deutschen Gastwirte freuen sich, wenn sich die Gäste über den Zweiten Weltkrieg unterhalten. Das fördert den Umsatz. Nach dem dritten Bier haben die Ausländer Heimweh.
 
Möglicherweise liegt es daran, das wir nie gelernt haben, richtig zu frühstücken.
 
Wolf Wondratschek, 1969

 

Deutschland, Setzen, Fünf: Blamage in Brüssel

GAP Deutschland durchgefallen Mähdrescher kleinvieh
Organisierter Kleintiermord auf dem Acker: Auch die deutsche Mähdreschernutzung muss perspektivisch auslaufen.

Das Bemühen war da, Deutschlands beste Fachleutinnen mühten sich über Monate mit aller Krfat und der Fachminister, selbst ausgewiesener Experte, seit er sein Amt im Spätherbst vergangenen Jahres übernahm, stand stets aufmerksam anleitend hinter den Spezialisten. Doch nun die erschütternde Ansage der EU-Kommission: Setzen, Fünf! Deutschland muss seinen deutschen Strategieplan für künftige EU-Agrar-Subventionen deutlich nachbessern, weil das, was bisher in Brüssel zur Kontrolle vorgelegt wurde, nach dem Dafürhalten der dortigen Experten "eindeutige Mängel" beinhaltet.

Oberste Leitungsbehörde winkt ab

Im Unterschied zu den deutschen Fachexperten gelten deren von der EU-Kommission bezahlte Kolleginnen und Kollegen als echte Kenner der Materien, über die sich letztgültig zu befinden haben.  Bundeslandwirtschaftminister Cem Özdemir hatte so wohl kaltblütig darauf gesetzt, dass er mit einigen billigen, umweltschädlichen und perspektivisch die Gesundheit der Menschen im Lande gefährdenden Vorschlägen durchkommen würde. Doch mit sicherem Blick entdeckte die vorgesetzte Behörde in Belgien Mängel "in Sachen Stimmigkeit sowie Vollständigkeit" und dringende Verbesserungsbedarf in dem Papier aus Berlin, das Özdemirs Ministerium zuvor zwar mit Verspätung, aber doch stolz auf der Ministeriumsseite veröffentlicht hatte.

Bei den sogenannten "Strategieplänen" handelt es sich um ein neues Lenkungs- und Leitungsinstrument, das die EU-Kommission nutzt, um die Vereinheitlichung der Agrarpolitik in der Gemeinschaft voranzutreiben. Ziel ist es offiziell,  die Produktion von Lebensmitteln umweltfreundlicher zu gestalten und ein "nachhaltiges Lebensmittelsystem" (EU) aufzubauen. Die EU will damit erklärtermaßen einen "globalen Wandel" anführen, der Verbauchergewohnheiten ändert, aber eben auch "die Art und Weise, wie wir Lebensmittel erzeugen, kaufen und konsumieren, ändert, um den ökologischen Fußabdruck der Lebensmittelsysteme zu verkleinern und zur Eindämmung des Klimawandels beizutragen", wie die Kommission ihre Ziele transparent darstellt.

Die echten Experten sind entsetzt

Der deutsche Agrarplan (DAP) sollte ein zentraler Baustein der neuen Landwirtschaft werden, ein Zeichen an andere Staaten, aus Schädlingsbekämpfung, Düngung und Fleischwirtschaft auszusteigen, dabei aber "die Lebensgrundlagen aller Wirtschaftsakteure in der Lebensmittelversorgungskette zu schützen" (EU) und allen Beteiligten "gerechtere wirtschaftliche Erträge" zu garantieren. Deutschland hatte der Absicht, allmählich auf einen Ausstieg aus der herkömmlichen landwirtschaftlichen Großproduktion hinzuarbeiten, noch unter der vorigen Bundesregierung zugestimmt, versucht nun aber offensichtlich hinhaltend, die Umsetzung der ehrgeizigen Umbaupläne der EU-Kommission auszubremsen.

Erst im Februar wurde mit zwei Monaten Verspätung überhaupt ein nationaler Strategieplan in Brüssel zur Kontrolle vorgelegt, obwohl sich zumindest 18 der anderen 27 Mitgliedsstaaten bemüht hatten, der gesetzten Termin zum Jahresende einzuhalten. Die EU aber fiel auf den Trick nicht herein. Bei der inhaltlichen Prüfung der deutschen Vorschläge, wie Lebensmittelproduktion umweltfreundlicher, krisenfester und nachhaltiger werden soll, zeigt die  Einschätzung der Kommission, dass die nach Brüssel gemeldeten Zielwerte des Plans keineswegs ausreichen, sondern überarbeitet und präzisiert werden müssen. Hier hatte Frankreich in den Augen der Leitungsbehörde viel besser abgeschnitten. Nach Vorlage der französischen Umbaupläne war Paris nur gemahnt worden, jegliche Änderungsversuche zu unterlassen.

Zumutung für Özdemir

Deutschland muss nun ebenso wie Österreich nachsitzen. Eine ausgemachte Zumutung für Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, der sich bei Vorlage seines Strategieplanes noch demonstrativ zuversichtlich gezeigt hatte, dass die EU-Kommission seinen Vorschlägen zustimmen werde. Spezifische Förderschwerpunkte der nationalen Ausgestaltung der sogenannten "1. Säule der Geimeinsamen Agrarpolitik (GAP) sollten dazu die "Einkommensgrundstützung" (Özedemir) für aussteigewillige Fleischpflanzer, sieben goldene Öko-Regelungen mit fünf noch zugelassenen Hauptfruchtarten und eine Umverteilungsprämie genannte Förderung von kleinen und mittleren Betrieben sein.

Das aber reicht Brüssel nun nicht. Zu klimaschädlich, zu wenig nachhaltig, zu fett, zu viel Zucker, zu viele Pestizide, zu wenig Blühstreifen und die Biodiversität bleibt ein fünftes Rad am Heuwagen. Konkret heißt es im Antwortschreiben der Kommission zum deutschen Plan auch, dass Deutschland angesichts der russischen Invasion der Ukraine genauer benennen müsse, wie etwa die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und mineralischen Düngemitteln verringert werden solle, um die dauerhafte Erwärmung der Atmosphäre auf deutlich unter zwei und möglichst unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. 

Ein neuer großer Masterplan

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) muss nun noch einmal ran über den Sommer und sich diesmal ernsthafte Gedanken machen, wie all die vielen Ziele beim Klimaschutz, bei der Wiederherstellung der Biodiversität, beim Ausbau des Ökolandbaus, beim Umbau der Nutztierhaltung, bei der Einhegung der aktuellen Explosion der Erzeugerpreise und der Versorgung mit Dünger, Sprit und Fachkräftenachwuchs in einen großen Masterplan geschrieben werden können, der die Gnade der EU-Kommission findet. 

Ziel des BMEL ist es nun, nach der Blamage in Brüssel, einen auftragsgemäß geänderten Plan bis zum Herbst in Brüssel genehmigt zu bekommen, so das Ministerium. Kritik und Selbstkritik: Man stimme mit der Kommission überein, "dass es gerade bei den umwelt- und klimabezogenen Zielen weiteres Entwicklungspotenzial im GAP-Strategieplan gibt", hieß es weiter.Deutschland könne mehr, Deutschland könne schneller aussteigen, nachhaltiger essen und gesünder schrumpfen.

Freitag, 27. Mai 2022

Köterrasse kontra Weltklima: Hundeboom in der Hauptstadt

Köterrasse liebt den Hund Bulldogge
Der Hund ist des Deutschen bester Freund und liebster Begleiter. Sein Klimabeitrag bleibt solidarisch unberücksichtigt.

Fass, Sitz, Platz, so klingt es überall in der deutschen Hauptstadt, heute mehr noch als vor der Pandemie, die für viele Menschen nicht nur einen Abschied vom normalen Leben, sondern auch eines vom geliebten Haustier bedeutete. Tierheime mussten Aufnahmestopps verhängen, um Hunde- und Katzenhalter, die sich von ihren Lieblingen trennen wollten, davon abzuhalten - inzwischen ein Vorbild, das die G7-Staaten aufgreifen wollen, um gegenüber der Opec+ eine Ölpreisbremse durchzusetzen.  

Im Lockdown nicht allein

Auf dem Heimtiermarkt aber hat sich der Wind mittlerweile bereits wieder gedreht. In der Corona-Pandemie legten sich viele einsame und von den außergewöhnlichen Umständen verunsicherte Menschen Haustiere zu, um im Lockdown nicht allein sein zu müssen. Vor allem aus Berlin kommen Zahlen, die hoffnungsfroh stimmen: Aktuell sind in Berlin rund 126.300 Hündinnen und Hunde registriert, das sind 15.000 mehr als im letzten Jahr vor Corona. Jeder 28. Berliner hat heute vier Beine und einen Schwanz, wie die für die Erhebung der Hundesteuer von 120 Euro im Jahr zuständige Berliner Finanzverwaltung meldet.

Ein deutliches Zeichen, das die Berliner setzen, wohl auch, weil ihnen das Vorbild der beiden Hunde des US-Präsidenten Joe Biden Mut gemacht hat, sich nicht von Vorwürfen von Klimaschützern einschüchtern zu lassen, die die Haltung von Hunden, aber auch von Katzen mitverantwortlich für den galoppierenden Klimawandel gemacht hatten. Nur weil Deutschland seine Klimaziele seit Jahren um genau die 30 Millionen Tonnen CO2 verfehlt, die privat gehaltene Unterhaltungstiere hierzulande Jahr für Jahr verursachen, hat das eine doch noch lange nichts mit dem anderen zu tun.

Eine angeborene Nähe zum Hund

Gerade die "Köterrasse" (Malik Karabulut) fühlt eine quasi angeborene Nähe zur/m Hü/und*in und sieht bei der Erfüllung der tief sitzenden Sehnsucht nach einem vierbeinigen Begleiter auch über so manche Schattenseite hinweg. Weil die überbordende Nachfrage nach süßen Welpen zuletzt aus seriösen Zuchtfabriken nicht mehr zu bedienen war, sprangen illegale Welpenhändler in die Bresche. 

Deren unter "schlechten Bedingungen" (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) hergestellte, aber im Internet "möglichst ansprechend und niedlich präsentierte" Zucht fand und findet bei deutschen Tierfreunden ein neues, oft liebevolles Zuhause. Gäbe es diese hilfreichen Halterinnen und Halter nicht, müssten viele Hunde auf der Straße schlafen und ihr Beitrag zur Klimaerwärmung würde spätestens dann schmerzhaft fehlen, wenn Deutschland sich erstmals aufmacht, ohne Russengas zu überwintern.

Bilderberg-Verschwörung: Große Pause bei der Planungsgruppe

2019 trafen sich die Bilderberger zuletzt, hier in Montreux. Seitdem fehlt der Welt Lenkung und Leitung.

Hier schlug über Jahrzehnte das Herz des Weltumbaus, hier war der Maschinenraum der Manipulation der Völker, hier gaben sich die wahrhaft Mächtigen die Klinken in die Hand, hier hörten und schauten sie einander zu, wenn die großen Linien in die lichte Zukunft der Menschheit gezogen wurden. 

Egal, ob Kriege, Krisen, Pandemien oder Klima, auf der legendären Bilderberg-Konferenz wurde alles vorhergedacht und abgemacht, besprochen und beschlossen. Über Jahrzehnte agierte die private Veranstaltung der Reichen, Schönen  und Bedeutsamen unter dem strengen Siegel der Verschwiegenheit. Die Medien hätten berichten können, taten es aber konsequent nicht. Obwohl auf dem Höhepunkt der deutschen Occupy-Begeisterung bei Facebook ganz öffentlich zum Protest gerufen wurde, blieb Deutschland ein weißer Fleck auf der Weltkarte der Bilderberg-Berichte. 

Stabiles Schweigen im Walde

Keine Zeile darüber, wer sich trifft. Dass überhaupt. Keine Bilder in der Tagesschau, keine Erwähnung in den Newsportalen. Nicht einmal, dass Führungsfiguren wie Jürgen Trittin, Norbert Röttgen, Peer Steinbrück, Christian Lindner, Schäuble, Scholz und Schröder zu Gast beim 1954 von Prinz Bernhard der Niederlande ins Leben gerufene informelle Treffen waren, wurde irgendwo erwähnt, obwohl die Leitmedien in die edlen Versammlungsorte geladen waren. Augen und Ohren der Welt, die offengehalten wurden, aber versprochen hatten, kein Wort nach außen dringen zu lassen. Der lange als "Nachrichtenmagazin" verkaufte "Spiegel erwähnte die Möglichkeit der Existenz einer solchen Zusammenkunft in den ersten 56 Jahren ihrer Existenz genau ein einziges Mal. Danach stieg die Frequnenz. Der Tenor war nun, dass es sich bei der Behauptung, dort würde irgendetwas Geheimes besprochen und beschlossen, um eine der "schrägsten Verschwörungstheorien" handele.

So ohne jede Information verschwört es sich am besten. Je weniger Fakten aus dem Kreis der Eingeweiht*innen nach außen drang, umso höher schlugen die Wellen der Fantasie. Bald waren die Bilderberger in den wenigen Medienberichten zur geheimen Weltregierung geworden, nach deren Pfeife jedermann tanzen musste. Regierungen parierten, Armeen marschierten, die Massen blieben im Unklaren, wer da überhaupt, warum und weswegen. Die Strategie der Berichterstattung hatte sich gewandelt. Aus sturem Schweigen war ein spöttischer Tenor geworden. Jeder, der noch glaube, das "sagenhafte Bilderberger-Treffen" sei etwas anderes als eine vollkommen belanglose Teerunde, war ein bedauernswerter Tor.

Belanglose Teerunde

Nichts wurde dort jemals beschlossen. Nicht einmal wirklich besprochen wurde etwas. Die Bilderberger seien nicht etwa absichtsvoll totgeschwiegen, sondern von Verschwörungstheoretiker immer nur "mächtig überschätzt" worden,stellte der "Zeit"-Redakteur Nicolai Kwasniewski fest. Normal sei es doch in einer freien Gesellschaft, über eine Zusammenkunft von "120 bis 150 aktuellen und früheren Staatschefs, Diplomaten, Wirtschaftsbossen, Militärs, Adligen, Intellektuellen und Journalisten" nicht zu berichten, hieß es in einem Text des Journalistenpreisträgers , den Kwasniewski mit keinem geringeren als mit seinem Kollegen Matthias Naß verfasst hatte, der im sogenannten Lenkungsausschuss der Bilderberger saß und in eigener Sache vorzüglich Bescheid gewusst haben muss.

Wie richtig die lagen, die die ganze Weltherrschaftsgeschichte, das ganze Machtgeraune und die angebliche Beeinflussung von gewählten Politikerinnen und Politikern durch geheime Eliten als "ausgemachten Blödsinn" bezeichnet hatten, zeigt die jüngste Geschichte auf dramatische Weise: 2019, Acht Monate vor der Ankunft der Corona-Pandemie, hatten die Strippenzieher und  Strategieplaner noch in aller Ruhe im Schweizerischen Montreux zusammengesessen, um sich zu einigen, was als nächstes in Europa passieren sollte und wie mit dem Klima, mit China, Russland und der Zukunft des Kapitalismus umzugehen sei.

Ausfall des Klassentreffens

Über Beschlüsse wurde wie immer nichts bekannt, nur, dass das Nachfolgetreffen im Jahr 2020 wegen der pandemischen Lage globaler Natur nicht stattfinden konnte. Dasselbe Schicksal ereilte auch die 2021er   Zusammenkunft, wegen der "Reisebeschränkungen" wie es offiziell hieß. Die sind vorüber, aufgehoben. Und doch hat es nun auch die Bilderberg-Konferenz 2022 getroffen: Zum dritten Mal hintereinander fällt das eigentlich stets Ende Mai, Anfang Juni angesetzte Klassentreffen der globalen Führungsfamilie aus. 

Die Folgen sind offensichtlich längst zu besichtigen. Seit sich die Bilderberger nicht mehr treffen, um die Dinge in aller Ruhe abzusprechen und damit unter Kontrolle zu halten, gab es nicht nur eine weltweite Pandemie, sondern auch einen Kriegsausbruch mitten in Europa, zerreißende globale Lieferketten, viel zu warme Winter und viel zu heiße Sommer, es begann ein weltweites Wettbieten um freiheitskonforme Energieträger und China gelang es, mit seinen Menschenrechtsverletzungen unter den Schutzschirm akuterer Aufregungen zu schlüpfen.

Die harte Hand, sie fehlt

Die harte, strenge, aber klug geführte Hand der Bilderberger, sie fehlt ganz offensichtlich jetzt schon. Seit der kleine Kreis der Weltregierer nicht mehr lenkend und leitend über "Geo-politics of energy and commodity prices" (2017)," The “post-truth” world" (2018) und die "Weaponisation of Social Media" (2019) berät und beschließt, tut es niemand mehr. Anarchie hat die internationalen Angelegenheiten ergriffen. Ehemalige Spitzenschurken wie der Brasilianer Jair Bolsonaro, der Venezuelaner Nicolás Maduro oder der polnische Europa-, Friedens- und Freiheitsfeind Jarosław Kaczyński verwandelten sich unversehens in veritable Berichterstattungslöcher oder gar in enge und hochgeschätzte Verbündete. 

Parallel dazu schießen die Energie- und Warenpreise durch die Decke, alle Absprachen scheinen hinfällig, ein rücksichtsloses Rangeln um Ressourcen hat begonnen. Die Reichen nehmen es den Armen, die Armen barmen, dass ihnen etwas vom Tisch zugesteckt werden möge. Die Planungsgruppe aber, die darüber zu befinden hätte, sie hat immer große Pause. Obwohl die Reisebeschränkungen aufgehoben sind und viele edle Hotels auch pandemiebedingt erfreut wären, die creme de la creme der Menschen zu empfangen, die nicht auf den Dollar, den Euro und den Yen schauen müssen, selbst wenn die Tagungshotels für die Zeit der Bilderberg-Konferenzen üblicherweise für andere Gäste gesperrt werden, ist kein Termin und kein Ort für eine Bilderberg-Konferenz 2022 anberaumt.

Ein schwerer Rückschlag für die neue, regelbasierte Weltordnung, die im Aufbau begriffen war. Die Krisen folgen nicht mehr wie gewohnt aufeinander, sie sind nicht einmal mehr durch die Produktion endlos großer Geldmengen auszuräumen und auszutrocknen. Das zeigt deutlich, wie wichtig und erfolgreich das stille Bemühungen der Bilderberger um eine konsistente Lenkung der Menschheitsgeschichte aus dem Hinterzimmer über die letzten Jahrzehnte gewesen ist: Ohne die Weltregierung fehlt es an Führungsstärke, an Ent- und Geschlossenheit und damit  an einem gemeinsamen, globalen Weg für alle. Zum Wohl der gesamten Menschheit muss das Gremium sich seiner Aufgabe schnellstmöglich wieder stellen, denn es wird gebraucht, um unbeeindruckt vom kleinlichen Streit um unterschiedliche Ansichten zu bestimmen, wo es langgehen muss.


Donnerstag, 26. Mai 2022

Männertag: Einer für alle

Männertagsrunde Breshnew Honecker Ulbricht
Typische Männertagsrunde in Deutschland seit 1934: Frauen müssen draußen bleiben.

Er war stets ein Ausdruck struktureller Geschlechterungerechtigkeit, ein Tag gewordenes Dokument männlicher Vorherrschaft und ein Ausweis der ungebrochenen Macht des Patriarchats. Der Männertag, ein kalendarischer Ausfluss von Entscheidungen, die eine Runde alter Herren in Rom weit vor dem Mittelalter auf der Basis unklarer Bibel-Schilderungen getroffen hatten. Später war der Beschluss der katholischen Runde von den Nazis missbraucht worden, um sich das Männervolk gewogen zu machen: Ab 1934 erklärte das Hitler-Regime den Tag, an dem Christus gen Himmel schritt, wo er von der Hand Gottes in Empfang genommen wurde, zum gesetzlichen Feiertag in Deutschland.

Trunkene Herrenrunden statt Gerechtigkeit

Eine Regelung, die sich über alle Regierungswechsel und Demokratisierungsversuche gehalten hat, auch wenn die kommunistische Regierung der DDR versuchte, Geschlechtergerechtigkeit wiederherzustellen, indem sie den von trunkenen Herrenrunden zu bierseligen Ausflügen genutzten 40. Tag nach Ostern wieder zum so normalen Arbeitstag machte wie der als Ausgleich zu den Männlichkeitsritualen seit 1911 als "Frauentag" begangene 8. März stets einer gewesen war.

Mit der Rückkehr der Fabrikbesitzer, Fabrikanten, Supermilliardäre, Spekulanten und Kuponschneider endete dieser hilfslose Versuch, den Männer aller Altersgruppen über 40 Jahre hinhaltend unterlaufen hatten, kleine Bollerwagen mit Bier hinter sich herziehend. Die Welt war wieder männlich im Sinn der alten Bonner Republik mit ihren Entscheidern in Anzügen, ihren Zigarren, Herrenrunden und Kognakschwenkern. Die Frau durfte ihren 8. März feiern, nach getaner Arbeit. Der Mann aber bekam zum Ehrentag nun auch im Osten arbeitsfrei.

Feiertags-Gap in den Kalender genagelt

Jeder Versuch einer Änderung der festgebackenen und gerechtigkeitsfeindlichen Rituale scheiterte, Frauen blieben benachteiligt, der sogenannte Feiertag-Gap schien unverrückbar für alle Zeiten in die Kalender genagelt. Selbst schüchterne Versuche von engagierten Frauen, den anderen Geschlechterfeiertag arbeitsfrei zu stellen, prallten an einer gesellschaftlichen Wirklichkeit ab. Nur in Berlin gelang es einer breiten Front aus Frauen, eine Bresche in die betonierte Brüskierung der grundgesetzliche garantierten gleichen Rechte zu schlagen und den 8. März auf eine Freiheitsebene mit dem Männertag zu heben. Überall sonst wurde das so gerechtfertigte Ansinnen abgelehnt: Zu teuer, zu ineffizient, zu belastend für die Wirtschaft, in deren Ausbeutungslogik Frauen längst eine unverzichtbare Rolle spielen.

Doch die Propagandisten einer zwischen Frau und Mann geteilten Wirklichkeit haben sich verrechnet. Die gelebte Realität einer Gesellschaft, in der jedes Mitglied bestimmen kann, als was er sich sehen will, hat die seit der Erstveröffentlichung der Apostelgeschichten geführte kleinteilige Diskussion um Feiertage für sie und ihn überholt und mittlerweile sogar überrundet. 

Die Freiheit der Wahl

Acht Jahre nach dem ESC-Triumph von Thomas Neuwirth als "Conchita Wurst" sind die Türen zum traditionellen Männertagsbesäufnis für alle Menschen offen, Frau und Mann, sie definieren selbst, als wer sie kommen wollen. Der einstige "Männertag", er heißt noch so, aber er ist einer für alle, am flackernden Lagerfeuer wird heute ein Bund für Vielfalt geschmiedet, wo früher paternalistische Ausschließeritis regierte.

Wann ist ein Mann ein Mann? Welche Frau steht den ihren? Das zu den Urmärchen des Christentums gerechnete Wunder der Verwandlung, es findet an diesem Tag des Herren überall statt, auf Dörfern, in beinahe schon verlassenen Siedlungen früherer Industriearbeitender, in den urbanen Viertel der Städte, die der Bionadeadel gentrifiziert hat, und an den Rädern der Metropolen, die heute noch aussehen wie damals, sich aber von innen einer Zukunft geöffnet haben, die alle mitnimmt, die müde sind und schwere Lasten tragen.

9-Euro-Pflicht: Kontrollen gegen Ticketleugner

Ein Neuneuroleugner weigert sich ohne jeden Grund, bei einer Kontrolle sein Ticket vorzuweisen. Ohne Beharrlichkeit und Überzeugungskraft geht es dann nicht.

Juhu, wir haben den Spar-Schein!", jubelten sie in München, anderswo bildeten sich lange Schlangen, im Internet brachen unter der Nachfrage Tausender nach dem 9-Euro-Ticket sogar kurzzeitig die digitalen Infrastrukturen zusammen. Die Idee der Bundesregierung, die durch Krieg, Pandemie, Inflation und Klimakrise gedrückte Stimmung im Lande über die Ferienmonate mit Hilfe eines beinahe kostenlosen Nahverkehrs aufzuheitern, geht offenbar auf. Medial ist das Neun-Euro-Ticket jetzt schon ein Erfolg. Tage vor dem Beginn der großen Bundesreisewelle hat berichterstattungsmäßig jeder mindestens eins.

Spar-Schein für alle

Überall im Land freuen sich Menschen wie Charlotte Friedrich (21) und Lucas Rothenbusch (20) überschwänglich über den neuen "Spar-Schein für alle" (TZ), der verspricht, Millionen und Abermillionen Menschen in den kommenden Monaten Reisen zu ermöglichen, die sie sonst niemals angetreten hätten. Jubelnd stehen die Glücklichen vor den Verkaufsstellen, man herzt sich und umarmt sich und wünscht sich gute Reise. Die Bahn plant schon mit tausenden zusätzlichen Hängern und Zügen, um die Nachfrage decken zu können. Der Klimabeitrag des ÖPNV in Deutschland könnte sich dadurch um bis zu ein Drittel erhöhen, so dass Experten damit rechnen, dass nach dem Auslaufen der großzügigen Regelung im September ein spürbarer CO2-Spareffekt eintritt.

Dazu aber müssen jetzt möglichst viele Bürgerinnen und Bürger mitmachen und zwischen 1. Juni bis zum 31. August mit S- und U-Bahnen, Sraßenbahnen und Bussen fahren, nicht nur in der eigenen Stadt, sondern an den Wochenenden auch deutschlandweit zu angesagten Ausflugszielen oder Exkursionen in Städte, die normalerweise niemand besucht. Doch was die einen loben - "endlich mal was für den kleinen Mann", ist etwa der Münchner Max Brenner (81) begeistert - lehnen andere nach wie vor störrisch ab. 

Im Tesla-Tempo nach Sylt

Zu voll die Züge, zu wenig reizvoll Ausflüge in Regionen, die zur selben Zeit von allen besucht würde. Der Ausreden gibt es viele, nicht alle überzeugen angesichts der Bedeutung, die die Entlastung aller vor allem in Zeiten von Finanzstabilität und Inflation hat. Obwohl die Bundesregierung in einer nationalen Anstrengung dafür gesorgt hat, im Tesla-Tempo Fahrkartenverkäufe an Automaten, Kiosken, im Internet und über spezielle Apps möglich zu machen, sind längst noch nicht alle Bürger*innen bereit, freiwillig beim "Ansturm auf das 9-Euro-Ticket" (n-tv) mitzumachen.

Ohne bundesweite Kontrollen, wie sie zuletzt während der Corona-Jahre von Ordnungsämtern, den Betreibern der Luca-App und stichprobenartig auch von der Polizei zu Themen wie Impf-, Masken- und Abstandspflicht durchgeführt wurden, wird es also womöglich nicht gehen. Um sogenannte Ticket-Verweigerer und Neuneuroleugner ausfindig zu machen, setzen die Behörden auf eine straffe, aber anlasslose Kontrolle der ab 1. Juni geltenden großzügigen Entlastungsregelungen. 

Mobilitätsstreifen fassen scharf nach

Auf Verlangen der als nunmehr als Mobilitätsstreifen eingesetzten Mitarbeiter von Ordnungsämtern und Polizei müssen Bürgerinnen und Bürger dann ihr 9-Euro-Ticket vorweisen - oder ein Attest, das ihnen eine Mitfahrfreiheit aus gesundheitlichen Gründen bescheinigt. Aufgabe der Kontrolleure werde es sein, Reisedruck auf Säumige aufzubauen, heißt es im politischen Berlin. Mit Blick auf die Ostflanke, das anstehende Ölembargo und den kommenden Winter seien die Entlastungsziele des Zweiten Entlastungspaketes nur durch breite Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs zu erreichen.

Im Fall von Verstößen gegen die - vorerst noch freiwillige - Mobilitätspflicht soll in den ersten Wochen "maßvoll" mit Säumigen umgegangen werden, die noch kein 9-Euro-Ticket vorweisen können. Statt Bußgelder zu verhängen, weil die erforderlichen Tickets nicht am Mann geführt oder gar noch nicht einmal erworben worden seien, solle "mahnend und überzeugend" (BWHF) auf mutmaßliche Ticket-Kritiker zugegangen werden. Erfasst werden allerdings die Kontaktdaten, um bei später durchgeführten Nachkontrollen abprüfen zu können, ob Betroffene die zuvor beanstandeten Mängel behoben hätten.

Mittwoch, 25. Mai 2022

Scholz in N*ger: Namensnot in Afrika

Olaf Scholz im Niger Parade Empfang
Prächtiger Empfang in einem Land, dem Deutschland nur einen guten Rat geben kann: Benennt Euch um!

Mit einem umfassenden Vorschlag zur Umbennung ihres Landes hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Gastgeber seines Staatsbesuches im N*ger überrascht. Scholz sagte, es gehe darum, einen neuen, gerechten und nachhaltigen Namen zu finden, der frei von Rasssimen sei. Deutschland habe hier schon große Vorleistungen erbracht und müsse sich damit weltweit nicht verstecken, hieß es bei einer Zusammenkunft mit Staatspräsident Mohamed Bazoum, der den deutschen Regierungschef mit höchsten militärischen Ehren und einer einheimischen Coverversion der Reste der deutschen Nationalhymne im Jimi-Hendrix-Stil empfangen hatte. 

 Soldat*innen in karger Savanne

Beide Staatenlenker waren sich darüber einig, dass der Krieg in der Ukraine nicht neue Brandherde entfachen darf. In der kargen Savanne des N*ger sorgen dafür knapp 200 deutsche Soldat*innen, die das bitterarme Land im Rahmen der "Mission Gazelle" seit 2018 mit militärischen Abwehrkräften gegen den Terror der IS stärken. Eine sogenannte Ausbildungsmission, die ohne Schwerewaffen auskommt und Deutschland militärische Kräfte damit nicht überdehnt. 

Die Geduld der einstigen Kolonialmacht aber schon, wie sich bei Gesprächen in der Hauptstadt Niamey zeigte. Deutsche Regierungsvertreter*Innen zeigten sich entsetzt und enttäuscht von der Untätigkeit der örtlichen Behörden in der Auseinandersetzung mit dem Landesnamen, den frühere Administrationen einfach dem Namen eines vorüberfließenden Flusses entlehnt hatten. Dieser "N*ger" wiederum verdankt seine Bezeichnung vermutlich dem lateinischen Wort für "schw*rz", das sich seinerzeit schon in einer Karte des Claudius Ptolemäus fand. 

Aufgewärmtes Klischee

Eine Fehlbezeichnung mit hohem diskriminierenden Gehalt: In der Tuareg-Sprache heißt ghir n-igheren eigentlich nur ganz korrekt und unverbindlich "Fluss der Flüsse". Der im Auftrag europäischer Kolonisatoren nach ausbeutbaren Schätzen suchende britische Afrikaforscher Mungo Park übernahm den Namen während einer Expedition im Jahre 1796 einfach, weil er ihm angesichts weitverbreiteter Klischess vom "schwarzen Herzen" der Finsternis Afrikas passen erschien.

Seit der Entlassung des Landes in die Unabhängigkeit gilt N*ger ebenso wie Mali als französisches Lehen. Doch in Paris fehlt es am deutschen Fingerspitzengefühl  im Umgang mit diskriminierenden Begriffen. Daran haben auch Diskussionen um black lives matter, Pink Floyd und critical whiteness nichts geändert: Bis heute duldet die französische Regierung in ihrer unmittelbaren nachbarschaft eine sogenannte "Rue du N*ger" und bis heute nimmt der Elysee-Palast hinter den Kulissen Einfluss darauf, dass die EU-Kommission keinerlei Schritte unternimmt, um die westafrikanischen Partnerstaaten N*ger und N*geria zu einer Umbenennung zu bewegen.

Anregung zur Umbenennung

Dabei ist die Sache aus deutscher Sicht schon lange klar. "Das N-Wort ist extrem herabwürdigend, es ist eines der als am schlimmsten diskriminierend empfundenen Worte überhaupt“, sagt der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch. Niemand werfe den Ortsansässigen vor, dass "sie in dem Ort leben, der so heißt". Aber die Aufgabe Deutschland sei es, zu sensibilisieren, den Betroffenen einen Perspektivwechsel abzuverlangen und letztlich auf eine Umbenennung zu dringen.

In M*hrkirch und N*gernbötel in Schleswig-Holstein oder auch Groß M*hrdorf in Mecklenburg-Vorpommern, vor allem aber in N*ger im Sauerland ist die Diskussion um N- und M-Wort weit fortgeschritten, in Afrika dagegen steht sie noch ganz am Anfang. Hilfe aus Deutschland tut dringend Not, wie Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) findet, die Menschen kennt, die sich durch den Namen des N-Ortes diskriminiert fühlen könnten.  Della betont: "Es geht nicht darum, die Bewohner in eine Verteidigungsposition zu bringen. Aber sie sollten sich zum N-Wort verhalten." 

Millionen Diskriminierungsopfer

Rund eine 22 Millionen schwarzer Menschen leben derzeit in N*ger, mehr als 200 Millionen sogar in N*geria. Sie alle sind betroffenen nicht nur von den rassistisch aufgeladenen Namen, sondern auch von deren wenig geschlechtergerecht gestalteten Gesamtbedeutung. Olaf Scholz, dem es als intersektionalem Feministen besonders wichtig ist, Frauen und andere Geschlechter immer mitzusprechen, dürfte hinter den Kulissen der Zusammenkunft mit den Regierungsvertreter*innen aus N*ger darauf hingewiesen haben, dass die Verwendung allein der männlichen Form "N*ger" mehr als die Hälfte der aktuellen "N*ger*Innen" ausschließt.

Ob die Mahnungen auf fruchtbaren Boden gefallen sind und das oft als "der N*ger" bezeichnete Land sich wenigstens in "die N*ger*in" umbenennt, wird sich aber erst noch zeigen müssen.  In Berlin allerdings besteht weitgehend Einigkeit: Die neue Gaspartnerschaft mit der aufstrebenden Demokratie von Präsident Mohamed Bazoum, seinem Premier Ouhoumoudou Mahamadou und ihrer Partei für Demokratie und Sozialismus könne es nur geben, wenn Niamey seinen Willen zeige, sich von den alten Zöpfen des Rassismus zu trennen und neu anzufangen.