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Der frühere SPD-Hoffnungsträger Martin Schulz, heute als Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung ein strategischer Denker im SPD-Hintergrund, hat zur freien Presse alles abschließend gesagt.
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Das Vertrauen in die Medien ist sechs Wochen nach der letzten großen Staats- und Regierungkrise so hoch wie nie, die Reichweiten der Nachrichtenportale landauf, landab steigen, der "Spiegel" veredelt grüne Wahlkampagnen und die Zahl der Mitlesenden bei den Leitmedien erzählt von beständig zunehmender Exklusivität. Nach Jahren des Kampfes gegen die "Lügenpresse" und den US-Präsidenten ist die Glaubwürdigkeit von ARD, ZDF und der privatkapitalistischen Medienheuschrecken so hoch wie zuletzt 1918.
Eine aktuelle Studie des Medienforschers Hans Achtelbuscher belegt, dass das kein Einzelfall ist, sondern die Dunkelziffer vermutlich sogar höher liegt. Achtelbuscher forscht am An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung zu aktuellen Phänomenen wie dem Themensterben in den deutschen Medien, Sprachregelungsmechanismen und dem Einfluss subkutaner Wünsche auf die berichterstattete Realität. PPQ hat mit dem Experten für digitale Demenz über die frappierenden Ergebnisse der Studie "Medien in Deutschland 2025" gesprochen.
PPQ: Herr Achtelbuscher, in ihrer Studie "Medien in Deutschland 2025" kommen Sie schon vorab zum Schluss, dass die Bürgerinnen und Bürger kurz vor der Bundestagswahl neues Vertrauen in die großem Sender und Zeitungshäuser geschöpft haben. Wie erklären Sie sich dieses erstaunliche Phänomen?
Achtelbuscher: Für uns in der Entropieforschung kommt dieses Ergebnis gar nicht so überraschend. Die aktuellen Daten unserer Medienstudie zeigen, dass das Vertrauen in die Medien in Deutschland nie so weit weg war wie es Skeptiker gern gehabt hätten. Schauen Sie, heute schauen insgesamt gesehen nicht einmal mehr halb so viele Menschen lineares Fernsehen wie noch vor 20 Jahren. Und es gelingt zum Beispiel der ARD dennoch, Daten herzustellen, die eindeutig belegen,dass die ,Tagesschau' nach wie vor so viele Zuschauer hat wie 2005. Wenn Menschen so zahlreich dort einschalten, spricht das natürlich für großes Vertrauen.
PPQ: Aber eine Studie des Reuters Institutes belegt, dass nur 43 Prozent der Deutschen der Ansicht sind, dass die Medien
verschiedene Perspektiven gut darstellen, nicht einseitig berichten und nicht bestimmte politische Ansichten bevorzugen. Weißt das nicht auf eine gewisse Skepsis hin?
Achtelbuscher: Zweifelsfrei könnte man das so sehen. Aber tatsächlich deckt sich die Anzahl derer, die prinzipiell medienkritisch eingestellt sind, jeweils nur mit den Gruppen, die ganz außen an den politischen Rändern lungern. Da haben wir unseren Daten zufolge eine ganz kleine Clique von etwa 13 Prozent der Menschen in Deutschland, die der Aussage zustimmen, Medien seinen verantwortlich dafür, dass der Faschismus erstarkt.
Dieser Wert entspricht fast dem Abschneiden der Grünen in aktuellen Umfragen. Zugleich haben wir dann zwischen 15 und 25 Prozent derer, die an die große woke Unterwanderung glauben, betrieben von den großen Medienhäusern im Auftrag ausländischer Mächte. Diese Gruppe ist wiederum zumindest teilidentisch mit den Wählerinnenn und Wählern am anderen Rand.
PPQ: Das ist auffällig, aber kann das nicht auch Zufall sein? Es sind ja nicht nur grüne Wähler, die an Glyphosatverschwörungen, an Homöopathie und das dritte Geschlecht glauben. Ökolandbau gilt auch in rechten Kreisen als gesünder, auch viele CDU-Mitglieder halten Fruchtzucker für weniger süß als Zucker in amerikanischer Cola.
Achtelbuscher: Wir warnen stets davor, diejenigen, die enttäuscht und desillusioniert sind, gleichzusetzen mit denen, die den Medien nicht vertrauen und aus diesem Grund unser gesamtes demokratisches System vor dem Scheitern sehen, sobald sich eine Diskussion entwickelt, die denen, die sie Woche für Woche führen, aus den Händen zu gleiten scheint. Wenn wir sagen, dass sich nahezu jeder Zweite in Deutschland von den Medien belogen fühlt, dann heißt das ja nicht, dass er sich immer belogen fühlt, sondern manchmal oder häufiger. Im Umkehrschluss ein Belegt dafür, dass eine Mehrzahl zumindest immer wieder alles glaubt.
PPQ: So lange wir aber nicht wissen, was und warum oder weshalb nicht, lässt sich kau eine Medienlandschaft designen, die den radikalen Zweiflern zeigt, dass sie nicht gewünscht sind und letztlich keine Chance haben, oder?
Achtelbuscher: Ich warne vor einer Vermischung. Das gesunde Misstrauen gegenüber Nachrichten schützt die Gesellschaft vor Fake News, ein Anliegen, das in zahlreichen EU-Verordnungen als Resilienzförderung ausdrücklich als Ziel ausgegeben wurde. Der überschießende Drang Einzelner, auch dem nicht zu trauen, was demokratische Institutionen und Parteien sagen, die in Jahrzehnten als Verantwortungsträger gezeigt haben, was sie alles können, schießt über das Ziel hinaus. Aber hier ist es sicherlich besser, demokratiebildend mit den Menschen zu arbeiten als sie dafür zu verdammen, dass sie versuchen, nicht den Falschen ins üble Netz zu gehen.
PPQ: Wenn aber solchen Verdächtigen wie dem Amerikaner Elon Musk oder dem Franzosen Thierry Breton eine Plattform gegeben wird, sich in deutsche Wahlen einzumischen, kapituliert Deutschland dann nicht vor der medialen Macht von Millionären und Milliardären?
Achtelbuscher: Das ist eine falsche Wahrnehmung. Mit ARD und ZDF verfügt Deutschland über den größten Medienkonzern Europas - und dank der Weitsicht der Personen des Grundgesetzes ist dieses gewaltige Unternehmen im Eigentum aller, gesteuert von Menschen, die nur den Ministerpräsidenten und den Parteien verpflichtet sind, die sie in die Aufsichtsgremien entsenden. Es ist naheliegend, dass öffentlich-rechtliche Medien dadurch überdurchschnittlich viel Vertrauen genießen, verglichen mit den Zeitungen und Zeitschriften der privatkapitalistischen Medienheuschrecken, die mit Hitlertagebüchern, Relotiusskandal und der unkritischen Übernahme von Parteiparolen mehr als einmal Zweifel daran geweckt haben, sie seriöse Arbeit leisten.
PPQ: Die Daten aus ihrer Studie deuten eher auf ein komplexeres Bild hin, wo das Vertrauen in die Medien variiert und nicht so eindeutig hoch ist wie behauptet, ohne deshalb niedrig zu sein.
Achtelbuscher: Das ist eine Frage der Interpretation. Wenn wir die Lage mit der in der vormaligen DDR vergleichen, steht die deutsche Medienlandschaft hervorragend da. Zwischen 1908 und 2015 vertraute weniger als ein Drittel der Menschen in die journalistische Arbeit, 2016 und 2017 stieg das Vertrauen explosionsartig auf 42 Prozent, jetzt liegt es schon bei
über 84 Prozent, zumindest bei einigen Betroffenen. Das sind Werte, an die ist das berüchtigte ,Neue Deutschland' in der DDR nicht einmal mit mehr als einer Million Abonnenten herangekommen.
Dazu müssen wir ja auch sehen, dass mit TikTok, Instagram, X und Facebook heute weitere Informationskanäle zur Verfügung stehen, über die sich Menschen auf der Suche nach verlässlichen Informationen aus erster Hand von Wahlkämpfern, Parteizentralen und den entsprechenden Bot-Armeen der Wahlkampfführer über deren aktuelle Weltsicht ins Bild setzen lassen können. Da ist die Breite schon immens.
PPQ: Sehen Sie darin auch einen Grund, warum die Medienlandschaft in Deutschland eine komplexe Dynamik mit abnehmender linearer Nutzung zeigt? Könnte es sein, dass viel sich sagen, ehe ich im ,Spiegel' nachlese, was Politiker X, Y oder Z gestern bei TikTok getanzt hat, schaue ich lieber gleich dort nach?
Achtelbuscher: Wir als Forschende vermuten eher, dass die Menschen nach Orientierung suchen. Kaum jemand will unnütz Zeit opfern, um ungefilterte Meldungen zu prüfen, einzuordnen und schließlich in ihrer Tragweite zu verstehen. Denken Sie nur zurück an Frau Merkel und deren klassischen Satz ,Wir schaffen das'. Der war nichts anderes als eine Beschwichtigung, auf die die Bürgerinnen und Bürger gewartet hatten. Eltern kennen das von Einschlafübungen mit aufgeregten Kindern.
Da sagt man schnell, ,morgen ist alles wieder gut' und die Kleinen glauben das, weil sie es glauben wollen. TikTok zu lesen oder X, erfordert im Grunde eine Mühe, die doch viele nicht aufzuwenden bereit sind. Sie wollen dasselbe lieber von den Leitmedien erzählt bekommen, die es dort abgeschrieben haben, oft verkürzt oder interpretiert. Das hat aus meiner Sicht eine neue Ära des Journalismus eingeläutet, die wir ,gedrucktes Facebook' nennen, weil das Phänomen dort zuerst beobachtet wurde.
PPQ: Endet damit jetzt eine quälend lange Phase der Verunsicherung und Selbstzerfleischung, als selbst große Häuser wie die ARD teilweise alles infrage stellten, was sie zum Erhalt der fragilen deutschen Demokratie beigetragen hatten?
Achtelbuscher: Grundsätzlich war die Sichtweise, dass sich die Welt nach dem Bild verändert, dass wir uns von ihr machen, nicht falsch. Aber vielleicht war die Zeit noch nicht bereit für die Forderung, dass Skeptiker ihre Meinung ändern sollen, wenn sie nicht mit der übereinstimmt, die in den Elfenbeintürmen der Bundesberichterstattung als unumgänglich herausgestellt hatte. Dass Journalisten heute wieder Verständnis für Probleme sogenannte einfacher Leute aus der hart arbeitenden Mitte haben sollen, ist für viele eine mächtige Umstellung.
PPQ: Das klingt erschreckend. Wie begründet sich das?
Achtelbuscher: Eine
ganze Generation hatte sich gerade deshalb für diesen Beruf
entscheiden, weil sich hier etwa verglichen mit einem anderen Lehrerjob
ein viel größeres Publikum erreichen und belehren lässt. Das wird durch
unsere Studien bestätigt, ebenso das allgemeine Bild, dass es vollkommen
normal ist, dass die Protagonisten in den Medien nicht repräsentativ
die gesamte Bevölkerung abbilden.
So wie früher das Schrille zählte,
das Fremde, das Schmutzige, Sex und Crime und Verschwörungstheoretiker
mit möglichst abstrusen Weltbildern das höchste Ansehen genossen, weil
sie die höchste Aufmerksamkeit einspielten, galten alle diese Fundamente
der freiheitlichen Presse lange als gefährliches Gebiet. Medien selbst
glaubten ja so fest an ihre Macht, dass sie davon überzeugt waren,
Menschen wie der rattenfänger von Hameln seine Kinder allein durch
simple, traditionelle Berichterstattung zum Bösen verführen zu können.
PPQ:
Resultiert daraus der Vorwurf, dass es große und herausragende
Ereignisse leichter in die Nachrichten schaffen, wenn sie für den Alltag
einer alleinerziehenden Mutter aus Frankfurt-Rödelheim belanglos sind?
Achtelbuscher:
Das hat zweifellos damit zu tun. Wir sprechen ja gern von der Berliner
Puppenbühne, diesem Figurentheater mit seinen zwei, drei Dutzend
Charaktergestalten, die zu allem und jedem eine entscheidende Meinung zu
äußern haben, weil keine Debatte ergebnislos beendet werden kann, so
lange das nicht egschehen ist. Diese auch vom körperlichen her streng
auf Unterscheidbarkeit geschnitzten Darsteller kennt dann nach Jahren
des fortgesetzten Auftauchens jeder, vor allem aber kennt die Handvoll
der Beteiligten sich gegenseitig.
Diese Leute könnten blind miteinander
Tennis spielen! Da bleibt dann nicht aus, dass bestimmte
Alltagsprobleme medial nicht aufgearbeitet
werden können, weil jeder der Mitfahrer auf dem Talkshow-Karussell
natürlich erstmal sehen muss, dass er mit seinen eigenen Dingen
klarkommt: Regieren und intrigieren, am Ball bleiben und im Gespräch,
das ist so belastend, dass nur wenige es auf Dauer wirklich genießen,
diese Macht zu haben.
PPQ: Und sie zu verwenden, um die
staatlichen Gängelbänder behutsam in immer weitere Lebensbereiche
auszulegen, damit die Menschen in unbeobachteten Moment nicht auf
falsche Ideen kommen. Warum sind denn Zeitungen und Fernsehen als
eigentlich ur-demokratische Werkzeuge, von diesen Entwicklungen so
begeistert?
Achtelbuscher: Ich würde denken, das hat damit zu tun, dass
man sich in einer Front fühlt, als Soldat einer Armee, die gemeinsam
kämpft - der Politiker, indem er Gesetze erlässt, um den Menschen
vorzuschreiben, wie und wann sie ihre Grundechte noch nutzen dürfen,.
Und der Fighter mit der Feder als Verteidiger solcher
Entscheidungen, der dann gegen das Internet als rechtfreien raum, gegen
die gefährlichen Ballerspiele und die Anmaßung von Wutbürgern
argumentiert, die meinen, sie dürften schreien, was sie wollen.
PPQ: Ist das aber nicht prinzipiell richtig?
Achtelbuscher: Gegenfrage:
Wäre das nicht überaus schädlich? Wenn Medien Menschen mit der Nase
darauf stoßen, dass alles ,veränderbar' ist - ein Floskel, die
fahrlässigerweise auch im Bundestagswahlkampf verscheidentlich auftaucht
- dann geht das natürlich in eine Richtung, wo sich Mauler und Nörgler
und Staatsfeinde verstanden fühlen. Da rücken Teile der Medien vom
Konsens ab, dass die, die
meckern, nicht verstanden werden dürfen, um nicht den Eindruck zu
erwecken, es gäbe etwas zu mecken. Geschrei ist keine Lösung, die
Berichterstattung über Schreiende keine Pflicht. Um dieses Klientel
können sich Sozialarbeiter kümmern, wenn das nicht reicht, gern auch die
Polizei. Aber die Methode, die Probleme dieser letztliche
selbstsüchtigen und unsolidarischen Menschen öffentlich zu machen,
funktioniert nicht, sie ermutig die Aktivistenden nur, immer lauter zu
brüllen.