Sonntag, 15. Juni 2025

Europa und die Mullahs: Mein Freund, der Feind

Trump Niederlage Iran Israel
Zumindest die Einordnung ist verlässlich: Mag auch die Welt brennen, die Verantwortlichen sind bekannt.

Diese Sanktionspakete tragen keine Nummer. Sind werden nicht laut eingeklingelt und in der "Tagesschau" vermeldet wie andere. Sie haben meist nicht einmal etwas mit dem Land zu tun, das sie treffen sollen, oder gar mit dessen Bestreben, sich selbst durch die Entwicklung einer eigenen Atombombe unangreifbar und kriegstüchtig für den großen Endkampf mit dem verhassten kleinen Teufel Israel zu machen.  

Wenn die EU in den zurückliegenden Jahren Sanktionen gegen das Regime in Teheran verhängte, dann in der Regel wegen der Unterstützung der Mullahs für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die "proliferationsrelevanten nuklearen Tätigkeiten", so nennt die EU-Kommission das Bemühen des Gottesstaates um eigene Kernwaffen, spielen eine Nebenrolle. 

Europas äußerste Besorgnis 

Hin und wieder bekräftigt die Europäische Union ihre feste Überzeugung, dass Iran niemals Kernwaffen entwickeln oder erwerben darf. Sie ist dann immer mal wieder "äußerst besorgt über die Reihe von Berichten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), in denen dokumentiert ist, dass Iran sein Nuklearprogramm alarmierend schnell vorantreibt und damit weit von seinen Zusagen im Rahmen des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans (JCPOA) abweicht, insbesondere im Hinblick auf den Ausbau seiner nuklearen Anreicherungskapazitäten und die Herstellung von hochangereichertem Uran". 

Doch Folgen für die gegenseitigen Beziehungen hat das nicht. Als Donald Trump in seiner ersten Amtszeit angesichts des "alarmierenden nuklearen Kurses" (EU) der Mullahs den sogenannten Atom-Deal mit Teheran aufkündigte, weil er vom Iran vielfach und systematisch gebrochen worden sei, hielt Europa zur Stange. Was für Trump der "schlechteste Deal aller Zeiten" war, halt Europas Wertegemeinschaft als immerhin besser als nichts. Die EU zeigte sich unverbrüchlich solidarisch mit den Bemühungen der Mullahs, militärisch endlich auf Augenhöhe mit der mutmaßlichen Atommacht Israel zu kommen. 

Die Rettung des Atompakts 

Die "Rettung des Atompakts mit Iran", offiziell "JCPOA" (Joint Comprehensive Plan of Action), inoffiziell aber das Schutzmäntelchen, das das Regime in Teheran seinen nuklearen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten umgehängt hat, sei so "wichtig für die Stabilität in der Region", befand der damalige EU-Außenbeauftrage Josep Borrell. Selbst der Umstand, dass Trumps Nachfolger Joe Biden keinerlei Bemühungen erkennen ließ, zum Vertragszustand zurückzukehren, hielt Europa nicht davon ab, sich Jahr für Jahr von den Mullahs vorführen zu lassen. 

Nach dem Muster der Verhandlungen um Nordzypern, die seit 50 Jahren erfolgreich ohne Ergebnis geblieben sind, mühte sich die EU um eine sogenannte "Rückkehr zum Abkommen mit Teheran". Für jeden Auftritt eines europäischen Politikers, der Israel die unverbrüchlichen Solidarität Europas versicherte, gab es eine nette Geste für die islamistische Diktatur. Deutsche Nachrichtenmagazine  unterfütterten das mit der Behauptung, der Iran habe ja nichts Böses getan, sondern alle seine Verpflichtungen in vollem Umfang erfüllt

Vorübergehende Irritationen 

Irritationen wie die nach der Niederschlagung der Frauenproteste wegen des Todes der Frauenrechtlerin Jina Mahsa Amini in einer Teheraner Polizeizelle waren vorübergehender Natur. Die Einschränkung von Geschäften mit dem Iran folgte nicht innerer Überzeugung. Sondern allein der Angst, die USA könnten europäische Firmen und Politiker sanktionieren, die US-Sanktionen zu umgehen versuchen. 

Die EU bemühte sich, das Abkommen zu retten, indem sie trickreiche Mechanismen wie INSTEX (Instrument in Support of Trade Exchanges) entwickelte, um den Handel mit dem Iran trotz US-Sanktionen zu ermöglichen. Ohne Erfolg, weil viele europäische Unternehmen den Handel mit dem Iran aus Angst vor US-Strafmaßnahmen von sich aus einstellten. 

Und der Iran, wie die Instex-Gesellschafter Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, die Niederlande, Norwegen, Spanien, Schweden und das Vereinigte Königreich nach vier erfolglosen Jahren klagten, "aus politischen Gründen systematisch verhindert, dass INSTEX sein Mandat erfüllen kann". Das Regime  hatte bis dahin nur einer einzigen Transaktion zur Umgehung der US-Sanktionen zugestimmt, nämlich der Einfuhr medizinischer Güter aus Europa Anfang 2020. Alle weiteren Vorschläge für Transaktionen seien blockiert worden. 

Prinzip Hoffnung 

Europas Prinzip war einmal mehr die Hoffnung, mit einer entschieden unentschiedenen Haltung durchzukommen. Mit wiederholten Bekundungen großer Besorgnis über die mutmaßliche Fortführung des iranischen Anreicherungsprogramms wurde Verständnis für die israelischen Sorgen simuliert, eines Tages könne der Iran die Bombe haben. Als die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) feststellte, das dass der Iran seine nuklearen Verpflichtungen keineswegs einhält, gab es sogar richtiggehende Kritik. 

Doch an der Chimäre, das Wiener Abkommen gelte weiter, hielt die EU-Position fest, wenn auch gepolstert dadurch, dass sie es meist vermeidet, israelischen Angriffe auf den Iran zu verurteilen. Wenn, dann werden sie zu hart oder als "völkerrechtswidrig" bezeichnet. Wiederum ohne Konsequenzen, denn dass die EU Israel sanktioniert, ist ebenso unvorstellbar wie der Fall, dass die Gemeinschaft anerkennt, mit dem Versuch der Herbeiführung einer friedlichen Lösung durch Verhandlungen mit den Mullahs gescheitert zu sein.

Alles ohne Brüssel 

Alles, was geschieht, geschieht, ohne dass Brüssel gefragt oder auch nur informiert wird. Die moralische Weltmacht sitzt einmal mehr am Katzentisch. Von dort aus bekräftigt sie Israels Recht auf Selbstverteidigung,  fordert aber gleichzeitig Zurückhaltung von der Regierung in Jerusalem, "um eine Destabilisierung der Region zu vermeiden". Für Deutschland Außenminister - ob sie Baerbock heißen oder Wadephul - ist das Bücken nach beiden Seiten Hauptaufgabengebiet. Für sie gibt es zwei Staaten, die verfeindet sind. Man weiß nicht genau warum, ist aber besorgt.

Nicht lange mehr, dass Bundespräsidenten den Männern, die die Auslöschung Israels zum einzigen Staatszweck Iran gemacht haben, unterwürfigste Glückwünsche" auch im Namen meiner Landsleute" zum Jahrestag ihrer blutigen Steinzeit-Revolution schickte. Unausgesprochen klingt dabei immer die grundsätzliche Überzeugung mit, auf der auch Israels Handlungen beruhen - und die des Iran: So lange Israel über Atombomben verfügt, kann sich Teheran sicher sein, dass sie nicht eingesetzt werden. Haben erst beide Konfliktparteien Zugang zu Nuklearwaffen, ist das nicht mehr garantiert.

Gegen Zweifel daran, dass sich dauerhaft auf beiden Seiten spielen lässt, hilft nun nur noch die Suche nach anderen Schuldigen. Immer wieder taucht in deutschen Medien der Vorwurf auf, dass es Benjamin Netanjahu keineswegs um sein Land gehe, dem die Teheraner Führung vielmals die Vernichtung versprochen hat. Nein, der israelische Ministerpräsident zündele aus innenpolitischen Gründen, aus Angst vor dem Machtverlust und einer anschließend auf ihn wartenden Anklage wegen Betrug, Untreue und Bestechlichkeit. 

Zweiter Mann auf der Anklagebank ist Donald Trump, der einen neuen Atomdeal mit dem Iran hatte haben wollen, diese Hoffnung aber nun  "nach Israels Angriffen vermutlich begraben" müsse, wie der "Spiegel" süffisant analysiert. In der "Tagesschau" stand der wahre Verlierer der gegenseitigen Angriffe im Nahen Osten schnell fest: Das Ganze sei "eine Niederlage für die Diplomatie der USA".

Also keinesfalls eine für die der EU. 

Unwürdig beim Veteranentag: Fremde Heere Ost

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Alle, nur niemand aus dem Osten: Wenn Deutschland Veteranentag feiert, bleiben 2,5 Millionen frühere Soldaten ausgeschlossen.

Sie sind alt, sie wurden vielleicht im Einsatz verletzt, in vielen Fällen aber unter grausamen Bedingungen von brutalen, übergriffigen Offizieren gequält und im EK-System gebrochen. Sie sind alt, zum Teil sehr alt, und sie gelten als die Opfergruppe aus den Zeiten der früheren DDR, die im neuen, größeren Deutschland noch keinen einzigen Moment an Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten. Soldaten der NVA, bis vor 35 Jahren von Staat gezwungen, 18 Monate ihres Lebens für die Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes zu opfern, sind dabei nicht einmal eine Gruppe, nicht einmal eine große.

Ein Millionenheer 

Sie sind ein Heer, 2,5 bis drei Millionen Mann stark. Gerade mal knapp elftausend NVA-Soldaten, darunter 3.000 frfeiwillig dienende Berufsoffiziere und -unteroffiziere, wurden nach dem Beitritt der neuen Länder auf dem Territorium der DDR zu Berufssoldaten der Bundeswehr ernannt. Alle anderen schieden aus dem Militärdienst aus, die letzten Grundwehrdienstleistenden unter ihnen mit einem erleichterten Aufatmen. 

Es war vorbei, endlich. Der Drill, die unbeholfenen Indoktrinationsversuche, das Schleifen und das Quälen, die Allmacht von Offizieren, denen Rekruten in vielen Einheiten und Standorten hilflos ausgesetzt waren. Der Wehrdienst in der DDR kannte keine bequeme Verweigerung wie im Westen. Allenfalls einen Dienst ohne Waffe konnte in den 80er Jahren als Ersatz antreten, wer auf keinen Fall für die kommunistische Führung kämpfen und schießen wollte. Zu zahlen war allerdings ein hoher Preis: Kein Studium, keinerlei Karriere.

Die Lobby ist die Trachtentruppe 

Wer den Kompromiss einging und die Uniform anzog, hat später außerhalb ostalgischer Trachtentruppen nie eine Lobby gefunden wie all die anderen Opfergruppen. Stattdessen wurden die Opfer des von der Schule mit ihrem Wehrpflichtunterricht an durchmilitarisierten DDR-Sozialismus totgeschwiegen. Und bis heute werden sie zu den Tätern gerechnet: Wenn die Bundesregierung zur Feier des 1. Nationale Veteranentages einlädt, dann werden "Vielfalt. Menschlichkeit. Zusammenhalt"  deutschlandweit gleich 123 Mal mit bunten Festen, Benefizveranstaltungen und "Blaulichttagen" gefeiert.

Aber die Veteranen, die das angebliche "Ehrenkleid" der Nationalen Volksarmee tragen mussten, bleiben außen vor. "Wer für unsere Freiheit alles gibt, verdient unser aller Respekt", begrüßt Julia Klöckner die, die übrigbleiben. Wer das damals nicht durfte, sondern dienen musste, verdient ihn nicht.

Das ist es "was die Veteraninnen und Veteranen in Deutschland so besonders macht und wofür der 1. Nationale Veteranentag ein Zeichen setzt", wie das Bundesverteidigungsministerium schreibt. Ehemalige NVA-Soldaten zählen heute nicht als Veteranen, weil sie "keinen Eid auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung geleistet haben", heißt es zur Erklärung. Schon seit dem Tag der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 gelten ehemalige Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) nicht als "wehrwürdig".

Misstrauen gegen die Zwangsrekrutierten

Ein Makel, der von der Mehrheit achselzuckend hingenommen wurde, denn er ersparte es den Betroffenen, der Bundeswehr abzusagen, wenn die sie eines Tages zum Reservedienst hätte einberufen wollen. Reservisten sind in Deutschland ausschließlich die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr inklusive der Berufsoffiziere, die nach dem Tag der Deutschen Einheit in die Bundeswehr übernommen worden sind. Alle anderen wurden zwar bereits 20. Juni 1990 durch einen Tagesbefehl des damaligen DDR-Ministers für Abrüstung und Verteidigung von ihrem Fahneneid auf "mein Vaterland, die Deutschen Demokratischen Republik" entbunden.

Aber so richtig getraut hat der Westen den Zwangsrekrutierten nicht. Die hatten immerhin geschworen, "allzeit treu zu dienen" und die DDR "auf Befehl der Arbeiter-und-Bauern-Regierung gegen jeden Feind zu schützen", ausdrücklich und mit "Ich schwöre" besiegelt an "der Seite der Sowjetarmee und der Armeen der mit uns verbündeten sozialistischen Länder". Das macht sie bis heute zu Deutschen zweiter Klasse. Zu viel Vielfalt. Zu wenig Zusammenhalt.

Gedient in fremden Streitkräften 

Warum auch. Vom 4. Oktober Oktober 1990 an galten alle Soldaten der aufgelösten NVA, die aus der DDR-Armee ausgeschieden waren, als sogenannte "Gediente in fremden Streitkräften". Der in der NVA erworbene Dienstgrad existiert nicht mehr, er darf auch nicht wie ein Bundeswehr-Dienstgrad mit dem Zusatz ,der Reserve' oder ,außer Dienst' geführt werden. Dass Berufssoldaten der Wehrmacht ihre letzte Dienstgradbezeichnung mit dem Zusatz "a. D." weiterführen durften, setzt die NVA-Soldaten nicht zurück, jedenfalls nicht sehr. 

Deren Recht, einen Dienstgrad zu führen, war eine gesetzliche Folge der Reservistenordnung der DDR. Die fiel mit dem Einigungsvertrag weg. Für die Weiterführung von Dienstgradbezeichnungen der ehemaligen NVA gab es damit - kein böser Wille! - keine Rechtsgrundlage mehr. 

Keine deutsche Armee 

Die Nationale Volksarmee des Staates, der der  Bundesrepublik Deutschland vor 35 Jahren beitrat, war aber sowieso keine deutsche, sondern nach Paragraf 8 des Wehrpflichtgesetzes eine "fremde Streitkraft". Ihre Soldaten werden in Deutschland behandelt wie alle, die "außerhalb der eigenen Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland (Bundeswehr)" gedient haben. Auch die Bezeichnung, die ein bisschen an Hitlers Militärgeheimdienstabteilung Fremde Heere Ost  (FHO)erinnert, ist nicht gar böse gemeint. 

"Sie bringt, ohne dass damit eine Diskriminierung verbunden ist, lediglich zum Ausdruck, dass die Dienstleistung nicht in der Bundeswehr erfolgte", beschwichtigte die Bundesregierung schon 1993 Nachfragen der damals als PDS firmierenden DDR-Staatspartei SED. Dafür spricht, dass Hitlers Generalmajor Reinhard Gehlen, letzter Leiter von Fremde Heere Ost, nach 1945 nicht nur seine Rangbezeichnung weiterführen durfte, sondern ab 1947 auch Chef der nach ihm benannten Organisation Gehlen wurde, ehe der ab 1956 zum ersten Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) aufstieg. 

Gute Ungleichbehandlung 

Die Ungleichbehandlung hat auch ihr Gutes, tröstete das Verteidigungsministerium die Betroffenen
in einem Bericht an den Bundestags-Unterausschuß "Streitkräftefragen in den neuen Bundesländern". Nach § 8 Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes könne Wehrdienst in fremden Streitkräften auf den in der Bundeswehr zu leistenden Wehrdienst angerechnet werden, um Härten zu vermeiden, die ansonsten in einer doppelten Heranziehung zum Wehrdienst liegen könnten. Wie jeder Militärdienst, "den ein Deutscher mit einer weiteren Staatsbürgerschaft in Streitkräften eines anderen Landes geleistet hat, wird auch der in der ehemaligen NVA geleistete Wehrdienst nach dieser Vorschrift auf den Grundwehrdienst angerechnet."

Für Erich Honecker und seine Genossen wäre das ein Grund, die Krimsekt-Flaschen zu öffnen. So lange die DDR existierte, hatte die Bundesrepublik die Staatlichkeit des kleineren Deutschland nicht anerkannt. Nach der Hallstein-Doktrin, besser bekannt als Alleinvertretungsanspruch, war die Bundesrepublik die einzige legitime Vertretung des gesamten deutschen Volkes. Alles DDR-Bürger waren nach Überzeugung der Bonner Regierungen Deutsche im Sinne des Grundgesetzes, Bundesbürger, die durch die Teilung nur eben daran gehindert waren, ihre staatsbürgerlichen Rechte auszuüben.

Nicht-Staat mit Armee 

Dass dieser Nicht-Staat DDR mit der Nationalen Volksarmee eine Armee hatte, deren Rechtsstellung der aller anderen "Streitkräfte eines anderen Landes" entspricht, anerkennt die Existenz der DDR im Nachhinein. Doch seit die damalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Bundeswehr vor acht Jahren straff auf den Kampf gegen rechts orientierte, ist die NVA zugleich fremdes Heer und Träger einer schädlichen Ideologie.

Im Traditionserlass der Bundeswehr, der die amtliche Vorbildwelt der Parlamentsarmee beschreibt, fällt die NVA wegen ihres Charakters als "sozialistische Klassen- und Parteiarmee", die "maßgeblich zur Herrschaftssicherung" der SED beigetragen habe, durch den Rost. "In ihrem eigenen Selbstverständnis war sie Hauptwaffenträger einer sozialistischen Diktatur", heißt es in den "Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege", die damit den 18- und 19-Jährigen, die gezwungen wurden, als solche "Hauptwaffenträger" zu fungieren, eine unverzeihliche und untilgbare Mitschuld zuweist. 

Nur die Hundertprozentigen 

Nur die wirklich überzeugten ehemaligen NVA-Berufsoffiziere, die in der DDR freiwillig dienten und nach der Wiedervereinigung gelenkig den Sprung in der Bundeswehr schafften, sind heute Veteranen, so hat es Ursula von der Leyen im Zuge der Neuzeichnung der Traditionslinien damals festgelegt. 

Ein Versprechen, das alle ausschließt, die keinen Eid oder wenigstens ein Gelöbnis "auf den Schutz und die Verteidigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik geleistet" haben. Diese Veteranen sind keine, sie sind womöglich nicht einmal gute Demokraten. Zum ersten Veteranentag sind sie natürlich trotzdem herzlich willkommen, sagt ein Sprecher des Veranstalters. 

Mit der Gelben Schleife 

Niemand muss sich schämen, wenn er nicht unter die offizielle Definition fällt. Niemand muss traurig sein, wenn ihm sein Zwangsdienst im feldgrauen Waffenrock der sozialistische Klassen- und Parteiarmee heute den Ruf beschert, wehrunwürdig und nicht traditionswürdig zu sein.

Die Gelbe Schleife als Zeichen der Verbundenheit "zur Bundeswehr" dürfen sie trotzdem tragen, die unter ihnen, die sich "im Zuge der Wiedervereinigung zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt haben" dürfen vermutlich sogar mitsingen, unbeobachtet einen Kranz niederlegen, beim virtuellen Veteranenlauf mitmachen oder in der ehemaligen Hainbergkaserne des Panzergrenadierbataillons 352 in Mellrichstadt einen alten Panzer aus den Zeiten des kalten Krieges  erklettern.

Samstag, 14. Juni 2025

Zitate zur Zeit: Brief aus dem Krieg

Waffen Heinrich Böll Krieg Briefe

Der Krieg, jeder Krieg ist ein Verbrechen, ich hasse den Krieg, und all diejenigen, die Freude an ihm finden, hasse ich noch viel mehr; ich hasse ihn aus tiefster Seele, den Krieg und jedes Lied, jedes Wort, jede Geste, jeden, der irgendetwas anderes für den Krieg kennt als Hass. 

Das Leben ist grausam, und der Krieg, jeder Krieg, ist ein Verbrechen; für immer bin ich absoluter Anti-Militarist geworden in diesen letzten Monaten elender Quälerei mit stupidem Kasernenhofdrill. 

Das Kasernenleben ist das absolute Institut des Stumpfsinns, das Soldatenleben große Scheiße. 

Heinrich Böll in einem Brief aus dem Krieg

Haltungsökonomie: Die Kompanie der Kontraindikatoren

Jede Fehlprognose hat ihre Zeit, aber auf jede falsche Vorhersage folgt eine nächste.

Der Hungerkünstler begreift den Mangel an Nahrungsmitteln als höchstes Glück, der gute Ökonom seine Fehleinschätzungen als weltverändernde Warnungen. Nur derentwegen konnte alles anders kommen als vorhergesagt. Nur weil sie sich als falsch herausstellen, immer wieder und wieder, sind sie richtig gewesen.

Mit Marcel Fratzscher, Mark Schieritz, Ulrike Hermann und Maurice Höfgen hält sich Deutschland eine ganze Kompanie aus Kontraindikatoren. Nach der Devise "Das Geld ist da, es hat jetzt nur ein anderer" übertreffen sich die Männer gegenseitig in Fehlurteilen. Bei ihnen war Inflation kein Problem, der Wertverfall des Euro nur ein temporäres, die Transformation der Wirtschaft weg von der Produktion, hin zum Beamtentum sollten ihren Bekundungen nach rasend schnell grünen Wohlstand schaffen und Deutschland in ein zweites Bhutan mit blühender Armut verwandeln. Naturnah, bescheiden und glücklich mit dem, was es hat. 

Regelmäßiges Versagen bei der Einschätzung 

In früheren Zeiten unvorstellbar: Aus dem regelmäßigen Versagen bei der Einschätzung der Lage zieht eine ganze Generation von Ökonomen ihr Selbstbewusstsein. Je häufiger Fratzscher, Schieritz, Höfgen und Kollegen danebenliegen, umso lauter behaupten sie, es genau gewusst zu haben und natürlich auch aktuell wieder genau zu wissen. 

Die Studie muss noch erfunden werden, die absurd genug wäre, um ihnen nicht als Grundlage für eine verrückte Zukunftsprojektion herzuhalten: Es gibt keine Pullfaktoren, die Zufluchtsuchende aus aller Welt letztlich in auffallend großer Zahl in Deutschland landen lassen, denn das habe die Wissenschaft vielfach herausgefunden. Es habe auch keinen Sinn, in einem Land, das einen der weltweit höchsten Unternehmenssteuersätze hat, an der Körperschaftsteuer zu schrauben, um die Belastung der Unternehmer zu senken.

Reiche aus dem hart arbeitenden Mittelstand 

Populär ist in diesen Kreisen auch die These, dass angesichts von rekordhohen Steuereinnahmen des Staates nur die Steuern für Reiche aus dem hart arbeitenden Mittelstand erhöht werden müssten, um endlich mit der Sanierung der maroden Infrastruktur beginnen zu können, die einstmals aufgebaut wurde, als die Steuersätze noch bei einem Drittel der heutigen lagen.

Ja, es werde "Zumutungen" geben müssen, hat Marcel Fratzscher gerade bekanntgegeben. Ein Kurswechsel stehe an, der "vielen Menschen Entbehrungen abverlangen" werde, gleichwohl aber alternativlos sei: Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität in Berlin, der lange an die klimagesundheitsfördernde Wirkung hoher Inflationsraten geglaubt hatte, durch die "Transformation der deutschen Wirtschaft" wie von Zauberhand herbeigeführt würde, hat sich umentschieden. 

Konsequente Umsetzung der Ziele

Es ist zu spät. "Deutschland hat heute nicht die Wahl zwischen einer kleinen Deindustrialisierung und der Beibehaltung des Status quo, sondern zwischen einer geringen und kurzen oder einer starken und lang anhaltenden Deindustrialisierung" ist Fratzscher zufolge die neue Rückzugsline. Dies erfordere "auch eine konsequente Umsetzung der Ziele und Maßnahmen in Bezug auf Klima und Umwelt – und zwar ohne Verzögerung". Das "auch" lässt spätere Korrekturen offen. Kommt es so, kommt es so. Kommt es anders, ist auch die neue Prognose unbestreitbar korrekt gewesen.

In der Parallelwelt der Vulgärökonomie hat sich die Wirklichkeit an Vorhersagen anzupassen, die auf Beobachtungen in der gefühlten Natur beruhen. Maurice Höfgen, ein Taz-Ökonom aus der Hermann-Schule der progressiven Degression, hat errechnet, dass es drei Jahre brauchen wird, "um die Verluste von drei Jahren gesunkener Reallöhne wieder aufzuholen". Dazu, mathematisch ist das kaum anzuzweifeln, "müssen die Reallöhne nicht nur wieder auf das Niveau von vor der Krise". Sondern danach auch noch "erstmal drei Jahre darüber liegen". 

Neue Definition von Wohlstand 

Nicht jede Branche hat wie der Bundestag die Möglichkeit, sich generell nach dem Nominallohnindex zu bedienen oder die eigene Bezahlung gleich generell mit der Inflationsrate wachsen zu lassen.  Das gilt es zu ändern, schlägt Höfgen vor. So könnte etwa die staatliche Bundesbahn verstaatlicht werden und wieder eine Behörde werden, statt wie heute als "Börsenbahn" (Höfgen) Fahrgäste zu verschrecken. 

Zahlt der Staat erst alles, kommt der Abschwung aus einer Hand. Die "neue Definition von Wohlstand", die die Degrowth-Ökonomin Ulrike Hermann vor längerer Zeit vorgeschlagen hat, müsste dann nur noch in die Köpfe der Uneinsichtigen, um Glücksgefühle über ein Stück Brot, ein Stück gute Butter von der Tafel oder eine lauschige Stunde in einem wohlig beheizten Zimmer im kalten Klimawinter auszulösen. 

Falsche Entlastung 

Unternehmen von Kosten zu entlasten, wäre nicht mehr falsch, sondern unnötig. Um den Konsum anzukurbeln, könnten die Steuern erhöht werden. Es würde weniger konsumiert und dank höherer Kosten trotzdem mehr gekauft. Die Abwanderung von Firmen wäre ein Segen, denn weil sie die deutsche Klimabilanz aufbessern würde. Vorbildhaft könnte Deutschland zeigen, wie lange sich eine vorhandene Infrastruktur nutzen lässt, bis alles zusammenbricht. Die DDR schaffte 40 Jahre nahezu ohne adäquate Anschlussinvestitionen. 

Das kleinere Deutschland aber war auch schon mit einer maroden Grundausstattung gestartet. Da geht zweifellos mehr, wenn die Bereitschaft zum Verzicht auf den Glauben trifft, dass 84 Millionen Einwohner Deutschlands wirklich etwas bewirken können, wenn sie ihre Lebensweise drastisch ändern. Der Rückbau der Beschäftigung in der Industrie ist ein wichtiger Baustein, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Einstige Schlüsselbranchen gehen entschiedenen Schritten voran und aktuelle Projektionen des Ifo-Institutes zeigen, dass beides zugleich möglich ist: Schrumpfen und kräftig zulegen. 

Widerlegte Glaubenssätze 

Alte Glaubenssätze werden von neuen Statistiken widerlegt. Obwohl die Industrie im Land binnen eines Jahres 100.000 Fachkräfte für Abschlussverwendungen in volkswirtschaftlich wichtigeren Bereichen freigesetzt hat, blieb das Bruttoinlandsprodukt stabil. Die PWC- und McKinsey-Regel, wonach sich immer ein Fünftel aller Stellen einsparen lässt, ohne dass sich das Betriebsergebnis entsprechend negativ entwickelt, lässt auf gesamtgesellschaftlicher Ebene noch reichlich Spielraum. 

Eine Woche vor der von Friedrich Merz für den Sommer vorhergesagten Stimmungswende im Land stehen die Zeichen auf Grün. Marcel Fratzscher hat errechnet, dass  mehr Arbeit nicht mehr Wohlstand bedeutet, weniger Arbeit folgerichtigerweise auch nicht weniger. Mark Schieritz sieht sich selbst vom "kräftigen" (Ifo) Wachstumsschub bestätigt: "Die Regierung nimmt Geld in die Hand und das Wachstum springt an", hat er bemerkt, noch ehe die neue Bundesregierung auch nur einen Haushalt beschließen oder ihre Entbürokratisierungszusagen in ein Gesetz gießen konnte. 

Höfgen gefällt das nicht 

Höfgen gefällt das oder auch nicht: "Stell dir vor, du bist Finanzminister und SPD-Chef und mit deinem ersten Gesetz erlässt du Firmen 46 Milliarden Euro an Steuern." Es gibt keine Pullfaktoren, nirgends. Kein Untenehmen investiert, nur weil niedrigere Steuern höhere oder überhaupt Gewinne versprechen. Kein Arbeitnehmer legt sich krumm, würden ihm von tausend Euro mehr nicht mehr nur 500, sondern 600, 700 oder 800 bleiben. 

Die CDU hat das schon wenige Tage nach der Bundestagswahl verstanden. Aus dem wahlversprechen, dass Rentner mit der neuen "Aktivrente" bis zu 2000 Euro monatlich steuerfrei hinzuverdienen dürften, ist die Zusage geworden, sie dürften das. So lange sie keine Rentner seien.

Während die USA nach aktuellen Befunden untergehen wie einst das Römische Empire, wächst in Europa unerbittlich die Zuversicht. "Hunderttausende Babyboomer gehen vorzeitig in Rente",hat das frühere Nachrichtenmagazin der Spiegel auf einer wagemutigen Expedition zu Pudels Kern herausgefunden. Die, die von 75 Jahren Frieden durch ein vereintes Europa, durch Mauerfall, Wehrpflicht, Euro-Einführung, Hartz.4-Reformen und Steuererhöhungen profitiert haben, machen sich in dem Moment einen schlanken Fuß, in dem sie am dringendsten gebraucht werden. "Der Wirtschaft fehlen Fachkräfte, Betriebe umwerben Babyboomer - doch die steigen auffällig frühzeitig aus, obwohl die Lebenserwartung steigt."

Auffällig frühzeitig 

"Auffällig frühzeitig" ist das neue "Verdachtsfall", das zu einer Einstufung als "gesicherte Bestrebung" führen kann. Mancher hat noch keine 45, viele haben noch keine 50 Jahre gearbeitet und statt die alten Knochen im Sinne des Gemeinwohls wenigstens noch weiter auf die Baustelle zu schleppen, bis die Generation Greta die Arbeitshandschuhe und Gummistiefel anzieht, schlagen sie sich faul in die Büsche. Keine geduld, darauf zu warten, dass Flüchtlinge werden Renten der Babyboomer zahlen, wie Marcel Fratzscher von zehn Jahren vorhergesagt hatte.

Jetzt sind "Migrantinnen und Migranten langfristig ein Gewinn für Deutschland, auch finanziell", hat der Wissenschaftler nachgeschärft. Die Politik müsse aufhören, Zuwanderung nur als Problem darzustellen. Dann gebe sich das mit den Wachtumsschmerzen.

Es ist der feige Abschied der Boomer vom Arbeitsmarkt, der den Lebensstandard bedroht. Er lässt die "Sicherungssysteme" (Spiegel) so schwer beben, dass selbst die Milliardenzuschüsse nicht reichen, mit denen Zugewanderte einer Studie des Instituts für Deutsche Wirtschaft nach heute schon die Kassen "massiv" (Volksverpetzer) füllen. 

7.100 Euro bringe jede zugewanderte Person als Boost für den Sozialstaat, hat der Ökonom und Wirtschaftsweise Martin Werding für den Mediendienst Integration ausgerechnet. Auf 100 Milliarden Euro jährlich taxiert er den Ertrag, den Migration den öffentlichen Haushalten beschert. Grundschulmathematik ist der Feind der Vulgärökonomie: 7.100 Euro jährlich wären selbst bei allen 2,4 Millionen Zuwanderern, die seit 2015 in Deutschland Zuflucht fanden, knappe 18 Miliarden, nicht 100. Nach Angaben des renommierten Faktencheck-Portals Volksverpetzer liegen die "Ausgaben für Geflüchtete aktuell bei etwa 30 Milliarden Euro jährlich". 

Immer mehr, immer weniger 

Aber so ist das. "Immer weniger Menschen", behauptet der "Spiegel", "müssen immer mehr erwirtschaften". Kein Fratzscher-Satz, denn aus wissenschaftlicher Sicht liegt "die Verantwortung für die Misere bei Politik und Unternehmen – nicht bei den Arbeitnehmern". Wohlstand sei mehr als nur der stetige Anstieg des Bruttosozialprodukts, Wohlstand ist, wenn der Boomer sich wohlfühlt, weil er auch im hohen Alter noch gebraucht wird. "Wir müssen weg von diesem sehr engstirnigen Denken, dass Wachstum das ist, was zählt", sagt Marcel Fratzscher. Jeder Mensch ist anders, niemand weiß wie. 

Niemand hat die Absicht, die Renten zu kürzen. "Das ist eine wichtige und gute Nachricht für die Rentnerinnen und Rentner", hat Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) die Position der alten Bundesregierung zu der der neuen gemacht. Es ist gut, wie es ist, und so soll es bleiben, nur anders. Nach Schwesigs Angaben ist das Vertrauen in die Rentenversicherung groß. "Über 70 Prozent haben Vertrauen in die Rentenversicherung", allerdings glaubten nur 20 Prozent,  "dass es eine auskömmliche Rente gibt". 

Doch sie haben es selbst in der Hand. Mehr arbeiten oder länger, mehr verzichten, sich einen neuenn Wohlstandsbegriff zulegen - die freiheitliche Gesellschaft bietet viele Möglichkeiten der Wahl. Entscheiden darf sich jeder selbst.

Freitag, 13. Juni 2025

EU-Coronageld: Es ist noch Suppe da

Von der Leyen Corona-Fonds Maske Kümram
Ursula von der Leyen kann selbst mit Maske Gelegenheiten erkennen, die sich eignen, der EU mehr Geld oder neue Zuständigkeiten zu erobern. Abb: Kümram, Buntstifte auf Wachspapier

Schneller war die Europäische Union nie zuvor gewesen. Die Corona-Pandemie hatte noch nicht einmal richtig begonnen, da war die Kommission mit einem Rettungsplan zur Stelle. Am 26. Mai vor fünf Jahren schlug sie den Mitgliedsstaaten den Europäischen Aufbauplan vor, ein Geldmonster mit 750 Milliarden Euro Inhalt, gerechnet nach Preisen von 2018, so dass eigentlich mehr als 800 zusammenkamen. So stabil war der Euro gewesen und so eilig hatten es die Staats- und Regierungschefs, dass sie nur zwei Monate brauchen, um dem bis dahin größten Gemeinschaftsprojekt der größten Staatengemeinschaft der Welt ihr Okay zu geben. 

Europas größter Geldtopf 

Der im Europadeutsch "Aufbau- und Resilienzfazilität" genannte Geldtopf bekam für die bessere Außenwirkung den schönen Namen "NextGenerationEU", als sollte er die EU der vorigen Generation ablösen. Und nun war er "mehr als nur ein Aufbauplan!", wie die Kommission sich selbst  überschwänglich lobte. 

NextGenerationEU sei "eine einmalige Gelegenheit, gestärkt aus der Pandemie hervorzugehen, unsere Volkswirtschaften umzugestalten sowie neue Chancen und Arbeitsplätze für unser Europa von morgen zu schaffen", begründete EU-Kommissarin Ursula von der Leyen den Schritt vom Ich zum Wir. Erstmals war nicht mehr jeder Mitgliedsstaat für seine eigenen Schulden zuständig, sondern jeder auch für die aller anderen. 

Seit der Finanzkrise zehn Jahre zuvor waren gemeinsame Schulden, gegen die kein nationales Parlament  mehr Einspruch einlegen kann, der große Traum der Brüsseler Bürokraten gewesen. Regierungsuntauglich, wer nicht die nächste Krise nutzt, um durch die Hintertür einen Vorschlag durchzusetzen, für den er zuvor schon mehrere Male durch die Vordertür aus dem Haus geschickt wurde. Ursula von der Leyen kennt das weder Scham noch Schüchternheit. Die deutsche Kommissionschefin weiß, dass die EU so lange funktioniert, wie sie Geld hat, das sich verteilen und den Bürgern daheim als warmer, kostenloser Regen von den Nachbarn verkaufen lässt.

Ausnahme! Ausnahme! 

Endet der warme Strom an pekuniärer Zuneigung, endet auch die Langmut der Bürgerinnen und Bürger mit Bürokratie, Vorschriftenunwesen und einer Überregulierung, die den selbsternannten Weltfriedenskontinent mehr und mehr von sämtlichen Fortschrittstechnologien abklemmt. Danach endet aber als Nächstes die Beliebtheit des Apparates. Und damit über kurz oder lang dessen selbstgenügsame Existenz. Von der Leyen setzte auf Sieg. Und sie gewann: Erstmals bekam die EU gemeinsame Schulden. Ausnahme! Ausnahme! Nur diesmal, so wurde der Sündenfall, den die Väter der Europäischen Verträge ausdrücklich ausgeschlossen hatten, entschuldigt.

Jede Krise ist so nicht nur im Chinesischen zugleich eine Chance, sondern erst recht im Europäischen. Hektisch werden Krisenpakete geschnürt und Rettungsschirme aufgespannt, das Europäische Amt für einheitliche Ansagen (AEA), Pendant zur Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin, tüftelt emsig hübsche Namen: NextGenerationEU (NGEU), Covid-19-Aufbaupaket,  "Horizont Europa", "rescEU" und "EU4Health". Manche etwas unglücklich, andere missverständlich, immer ein Sprachquark wie aus dem Setzkasten.

Mangel an Fachpersonal 

Doch seit dem Austritt der Briten fehlt es auch beim AEA an englischen Muttersprachler. Um die Internationalität und Weltgeltung der Brüsseler Beschlüsse zu untermauern, besteht Ursula von der Leyen aber dennoch auf Programmnamen, die zumindest dem nicht Sprachkundigen wie Englisch vorkommen sollen.

Als der Name stand, hatten "wir alles, was dafür nötig ist -  klare Vorstellungen, einen Plan und die Abmachung, gemeinsam 806,9 Mrd. EUR* zu investieren", hieß es vor fünf Jahren. Sofort machte sich Europa an die Arbeit, es galt Anträge zu schreiben und Coronaschäden nachzuweisen, Anträge nachzubessern und Formulare so auszufüllen, dass es wenigstens den Anschein erweckte, Europa werde "grüner, digitaler und krisenfester" sein, wenn es das Geld endlich los ist.

Es hilft, egal wogegen 

Kurz machten die italienischen Aufbaupläne Furore. Der mit EU-Geld gepolsterte Wiederaufbaufonds der Regierung in Rom (auf Italienisch "Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza", kurz PNRR) umfasst 194,4 Milliarden Euro. Italien sanierte damit ein denkmalgeschütztes Stadion, es baute Paddelstrecken gegen das nächste Virus, die Sportanlage "Bosco dello Sport" bei Venedig und Olivenpressen. Es war der Glaube, dass das helfen wird, der die Frage verhinderte, wogegen es wohl helfen könne.

Letztlich ist aber doch alles gut ausgegangen. Lange schon war nur noch wenig vom größten Wurf der Gemeinschaft zu hören, die letzten Meldungen tröpfelten allenfalls und Triumphnachrichten waren nicht darunter. Nach vier Jahren, hieß es 2025, seien die Kommission jetzt 150 Milliarden irgendwie doch losgeworden. Die Fazilität schien doch Chancen zu haben, noch vor dem Jahr 2058 leer zu werden, wenn die 800 Milliarden plus Zinsen zurückgezahlt sein sollen.

"Befristetes Aufbauinstrument" 

Aber gar so schnell schießen die Blütenträume nicht ins Kraut. Auch zu fünften Jubiläum des Starts des "befristeten Aufbauinstruments" (EU) liegt mit 335 Milliarden Euro noch fast die Hälfte der ursprünglich für den Wiederaufbau der Gemeinschaft lebensnotwendigen Summe im Tresor. Keiner will es haben, weil, niemand weiß, wofür. Die Mehrzahl der von Brüssel aus attestierten "unmittelbar coronabedingten Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft" hat es nie gegeben oder aber sie waren von einer Art, die sich mit EU-Geld nicht "abfedern" (EU) ließ.

Für viele Organisationen, Unternehmen oder Privatleute wäre es ein Problem, sich bei der eigenen Finanzplanung derart verrechnet zu haben. Ein Häuslebauer, der für 335.000 baut, aber 800.000 als Kredit aufnimmt? Schlecht beraten, denn der benötigte Kredit kostet ihn etwas mehr als 700.000 Euro, der höhere hingegen 1,6 Millionen. Für eine EU-Kommission aber, die mit sechs Nullen mehr rechnet, ist das keine große Sache. 

Ausnahme! Ausnahme! 

Zum Glück war die nächste Krise pünktlich zur Stelle, Ursula von der Leyen war eine der Ersten, die sie für sich entdeckte. Den Namensvorschlag "ReArm Europa" für die große Rüstungssause auf Kosten einer neuen Gemeinschaftsfazilität (Ausnahme! Ausnahme! Nur diesmal!) musste die Deutsche zwar zurückziehen. Einige wankelmütige Mitglieder hatten sich an der krawallgierigen Bezeichnung gestoßen. Aber das "Stählerne Stachelschwein", in das die Kommission EU-Europa verwandeln will, darf gezüchtet werden - Codename jetzt "Readiness 2030", so getauft nach dem Jahr, in dem der Russe kommt, weil er weiß, dass Europas Armeen jetzt bereit sind zur großen Endschlacht.

Das Corona-Geld kommt so auch noch unter die Leute. Was an Milliarden übrig ist, und das sind nicht wenige,  wird "umgewidmet", wie es im Behördendeutsch heißt. Weg mit Schaden, egal warum, Hauptsache ausgegeben. Die EU hat es gut, denn sie ist nicht Deutschland: Dort hatte das Bundesverfassungsgericht die Verwendung übriggebliebener Corona-Milliarden aus Angela Merkels letzter Amtszeit zu Klimazwecken verboten.

Majas Martyrium: Mit der Kettensäge am Gemeinschaftsrecht

Das Ziel ist klar: Zweifel am gemeinsamen Europa wecken, die Grundlagen der EU unterminieren, Russland zur Hand gehen.


Sie nennt sich jetzt "Maja" und sie ist verzweifelt. In einem Gefängnis in Budapest,  wo sie Wärter ungeachtet der deutschen Rechtslage als "Simeon" ansprechen können, ist die nonbinäre Person vielfältigen Nachstellungen ausgesetzt. Maja T. muss sich gegen den Vorwurf wehren, gemeinsam mit anderen Aktivisten und Antifas mehrere mutmaßlich Andrrsdenkende mit Hämmern krankenhausref geschlagen zu haben. Maja T. droht zudem ein Gerichtsverfahren, das mit einer Haftstrafe enden könnte, deren Dauer in Deutschland unvorstellbar wäre.  

Die harte Hand der Willkür 

Doch in Ungarn herrschen Viktor Orban und die harte Hand der Willkür einer Justiz, die Strafe vor Resozialisierung setzt. Das frühere Ostblockland feiert sich heute als eines der sichersten Länder Europas, Statistiker verweisen auf Zahlen, die das zu belegen scheinen: Das Kriminalitätsniveau gilt als niedrig, es sei sogar sicherer als in Deutschland, nachts allein durch die Straßen  zu gehen. Der Eindruck, den das Regime in Budapest erwecken will, ist der eines ganz gewöhnlichen EU-Mitgliedsstaates, in dem weniger Morde als in den altgedienten Demokratien Westeuropas stattfinden.  

Eine Fassade, die der Fall Maja T. scheinbar bröckeln lässt. Spielte sich der Kampf der Ideologien zwischen Brüssel, Berlin und Budapest bisher nur auf der Ebene verbaler Geplänkel, gegenseitiger Vorwürfe und gelegentlicher Drohungen der EU-Kommission mit dem Entzug von Milliarden Euro an Fördermitteln ab, erreicht er ausgerechnet mit dem Ringen um das Schicksal der mutmaßlichen deutschen Terroristenperson den gefühlten Alltag von Millionen.

Zweifel an der EU 

Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit, Zweifel an Gleichwertigkeit und Äquivalenz, Zweifel an der von einer eigenen "Gleichbehandlungsstelle" der Gemeinschaft garantierten diskriminierungsfreien Betreuung - all das wird auf einmal hoffähig. Angriffe auf die Grundlagen der Europäischen Union, die üblicherweise aus dem rechten Lager geritten werden, kommen plötzlich über die linke Flanke. Bereitwillig beteiligen sich große Medienhäuser an Unterstellungen, dass derdie deutsche mutmaßlich Gewaltgetaenhabende von der ungarischen Justiz gequält, gefoltert und so schlecht behandelt werde, dass es zum Hungerstreik als letztem Mittel der Gegenwehr greifen müsse.

Das Strickmuster der Vorwürfe ist bekannt. Indem sie in Abrede stellen, dass Maja T. zurecht dort der Prozess gemacht wird, wo sie ihre mutmaßlichen Taten begangen hat, stellen die Gegner der europäishcen Rechtsstaatsgemeinschaft die Legitimität der EU infrage. "Lebendig in einer Gefängniszelle begraben" sitze Maja T. in "Isolationshaft" - dieser Begriff, zuletzt genutzt von den abgeurteilten Terroristen der Rote Armee Fraktion, verrät die Absicht. Es geht darum, die Grundlagen der Europäischen Union, insbesondere der Anerkennung der Rechtsstaatlichkeit und einer funktionierenden Justiz in allen Mitgliedsstaaten, in Zweifel zu ziehen, um an den Fundamenten der EU-Wertegemeinschaft zu rütteln. 

Nach den typischen Kreml-Drehbuch 

Ein hybrider Angriff, nach dem typischen Kreml-Drehbuch ausgeführt. Er ist umso wirksamer, als dass es für gewöhnlich die Linke ist, die aus ihrer kollektivistischen Tradition heraus zur bedingungslosen Verteidigung des behäbigen, durch seine fein ziselierte Überbürokratisierung in so vielen Situationen vollkommen überforderten EU-Apparates neigt. 

Für die Linkspartei, aber auch für die SPD besteht mit der zenrtalistisch gefürhten Staatengemeinschaft die Hoffnung fort, dass aus dem Nukleus der Meta-Verwaltung eines Tages doch noch eine neue Sowjetunion wächst. Ihr Name steht mit  "Vereinigte Staaten von Europa" bereits fest. Nur das geplante Datum der Ausrufung - ursprünglich für Januar 2025 angesetzt - musste verschoben werden.

Ein monströser Verrat 

Vor diesem Hintergrund erscheint der Verrat noch monströser, den die Linke an der europäischen Idee begeht. Auf einmal soll nichts mehr richtig sein, nicht einmal die Auslieferung deutscherr Staatsbürger an andere Mitgliedsstaaten. Die Linke, die sich in der geschichte immer als internationalistische Kraft verstanden hat, möchte zurück zu Sonderwegen und nationalen Lösungen. 

Romantisch träumen Aktivisten von den Zeiten, in denen Art. 16 Abs.2 GG die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger an andere Staaten noch rigoros ausgeschloss. Ohne faktische Belege werden von Maja T. behauptete Vorwürfe einer "menschenunwürdigen Langzeiteinzelhaft", vom "Schlafentzug durch stündliche Kontrollen" und "mangelhaften hygienischen Bedingungen" wiederholt und genutzt, um Zweifel an der europäischen Idee gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Akzeptanz zu wecken.

Instrumentalisierung von Maja T. 

Die Instrumentalisierung des Falls Maja T. als hybride Waffe für multiple Angriffe auf den Konsens der EU-Wertegemeinschaft zeigt, wie wenig sicher sich die Institutionen der Union selbst der Unterstützung ihrer treuesten Anhänger sein können. Es reicht eine mutmaßliche Gewalttäterin, um die Justiz eines Staates unter Generalverdacht zu stellen, der schon mehr als zwei Jahrzehnte Teil der Gemeinschaft ist. 

Zwar gibt es eine Reihe von Klagen gegen Ungarn, die darauf abzielen, vor ordentlichen Gerichten ermitteln zu lassen, wie es um die Respektierung der Vorgaben aus Brüssel durch die Orban-Administration steht. Rechtsstaatliche Entscheidungen darüber aber sind noch nicht gefallen. Vielmehr schwenkten immer mehr EU-Staaten zuletzt etwa bei der Grenzsicherung auf einen Kurs ein, den Ungarn bereits seit Jahren verfolgt.

Ungarn als Vorreiter 

Für ausstehende Gerichtsentscheidungen über von Ungarn betriebene Einschränkungen des Zugangs zum Asylverfahren, von denen viele bisher annahmen, dass sie im Gegensatz zur Asylverfahrensrichtlinie der EU stehen, könnte die aktuellen Wendungen ausschlaggebend sein. Was zehn Jahre richtig war, würde dann als falsch gelten. Ungarn, dessen harte Linie mit Kontrollen, Zaunbau und schäbigen Unterhaltsangeboten an Geflüchtete immer richtig als illegaler Versuch der Abschreckung von Schutzsuchenden verstanden worden war, verwandelte sich dann mit einem Schlag in einen Musterschüler europäischer Migratiosnabwehrversuche.

Umso schwerer treffen die EU die aktuellen Vorwürfe, die Auslieferung von Maja T. nach Ungarn sei aufgrund der dortigen Haftbedingungen und der nach ungarischem Recht zu erwartenden hohen Strafe ein Beweis für eine vermeintliche Rechtsstaatlichkeitskrise in der gesamten Gemeinschaft. Deren Basis ist die Akzeptanz aller Entscheidungen aller Mitglieder durch alle anderen Mitglieder. Das in den Giftküchen linker Extremisten gekochte Narrative, dieser internationalistsichen Ansatz sei falsch und ein allein auf nationalen Werten und Grundsätzen ruhender alternativlos, legt die Kettensäge an das Gemeinschaftrecht.

Angriffe in einem größeren Kontext 

Die Attacken, geritten von der Linkspartei, den Grünen und der gewaltaffinen Antifa, passen perfekt in einen größeren Kontext von Angriffen auf die EU. Unterstellt wird, dass ein Mitgliedsstaat zu "grausamer und unmenschlicher Behandlung" greife, dass das Institut des Europäischen Haftbefehls falsch sei und Menschen mit deutschem Pass das Recht hätten, anders behandelt zu werden als EU-Bürger ohne deutschen Pass. 

Die Methode funktioniert verblüffend gut, weil sie an die historischen Strategien der Öffentlichkeitsarbeit der RAF andockt. Schon deren wegen zahlreicher Morde, Überfälle und Anschläge verurteilte Häftlinge bezeichneten sich selbst als "Gefangene", denen in Haft elementare Menschenrechte verwehrt würden. Zielscheibe war damals noch der deutsche Staat, der sich als Unrechtsregime dargestellt sah. Heute muss Ungarn herhalten, ein Land, dessen Ruf durch seit Jahren anhaltende Disziplinierungsversuche der EU-Kommission bereits schwer angeschlagen ist.

Ideal geeignet 

Maja T. eignet sich aus Sicht linker EU-Feinde ideal, um die Wertegemeinschaft der 27 weiter zu spalten. Eine non-binäre Person aus dem ostdeutschen Thüringen, nach Lesart ihrer Verteidiger  im Dezember 2023 in Berlin festgenommen und im Juni 2024 in einer umstrittenen Nacht-und-Nebel-Aktion nach Ungarn verschleppt, wird für ihren handfesten Einsatz gegen Teilnehmer des rechtsextremen "Tages der Ehre" von  einem Regime abgestraft, das nach einer Analyse des früheren Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" selbst faschistisch ist. 

Nur dadurch erklärt sich, dass Maja T. nach den brutalen Angriffen auf mutmaßliche Neonazis, die teils schwer verletzt wurden und eine Lehre fürs Leben erteilt bekamen, überhaupt wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und schwerer Körperverletzung angeklagt wurde. In den empörten und teilweise zu gewalttätigen Protestaktionen aufwiegelnden Einlassungen finden sich zahlreiche Versatzstücke russischer Propaganda.

Eine "militante Unterstützungskampagne" soll Europa von innen angreifen, während der Kontinent im Osten  bereits von Putin und im Westen von Trump unter Druck gesetzt wird. Dass die zentrale europäische Idee gemeinsamer Standards, die von allen eingehalten werden, durch solche konzertierten Offensiven dauerhaft zerstört wird, ist kein Kollateralschaden. Die Geschichte zeigt, dass es nur einen gibt, der von solchen Aktionen profitiert und der sitzt im Kreml und er reibt sich die Hände.

Eppler-Bahr und Free Maja 

Gerade erst das pazifistische Manifest des Eppler-Bahr-Flügels der deutschen Sozialdemokratie, der behauptet, Entspannungspolitik sei gerade nötig, wenn die Spannung steige. Und parallel dazu die Behauptung der "Free Maja"-Bewegung, die Auslieferung von deutschen Staatsbürgern in andere EU-Länder müsse unter dem Einzelfallvorbehalt stehen, dass rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt würden. Ein Zangengriff um die EU, mit dem die Wertegemeinschaft selbst als Angeklagter in den ausladenden holzvertäfelten Saal 36 des Budapester Stadtgerichts gezerrt werden soll. 
 
Europa soll sich für Dinge verantworten, die in Europa Standard sind. Angeklage werden aus Sicherheitsgründen überall in der Gemeinschaft in Fesseln vor ihre Richter geführt. Immer wieder sind vermummte Polizisten dabei anwesend, die selbst Fußfesseln nur auf Richteranweisung öffnen. Die Familie von Maja T., ihre Anwälte und Unterstützer wissen da. Sie riskieren es aber trotzdem sehenden Auges, die Wertegemeinschaft von 440 Millionen EU-Bürgern zu delegitimieren, indem sie die Haftbedingungen von Maja T. als "abscheulich", die Auslieferung als "rechtswidrig" und den Prozess als "nicht fair" bezeichnen. 
 

Insgesamt infragegestellt 

 
So wird die Rechtsstaatlichkeit in der EU insgesamt infragegestellt, und das nicht nur von außen. Auch der Linken-Politiker Martin Schirdewan und die für die Linke im EU-Parlament sitzende ehemalige Seenotretterin Carola Rackete beteiligen sich an der Leugnung der Richtigkeit grundlegender Vereinbarungen der EU – wie dem Europäischen Haftbefehl.
 
Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) und Artikel 16 Abs. 2 des Grundgesetzes erlauben die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger an EU-Mitgliedsstaaten, sofern rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind -von Ungarn aber wird einfach und endlos wiederholt behauptet, dass es das nicht tut. Rackete fordert etwa, Bundeskanzler Friedrich Merz solle Maja T. nach Deutschland zurückholen, um "einen fairen Prozess zu ermöglichen". 
 
Mit der Unterstellung, ein solcher sei in Ungarn überhaupt nicht möglich, soll die Vertrauensbasis zwischen den Mitgliedsstaaten erschüttern und mit der Taktik der Öffentlichkeitsarbeit der Rote Armee Fraktion (RAF) der Eindruck erweckt werden, es seien Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit von EU-Staaten angebracht. 
 

Die alte Strategie der RAF 

 
RAF-Häftlinge wie Andreas Baader und Gudrun Ensslin hatten in den 70er- und 80er-Jahren eine sogenannte "weiße Folter" in deutschen Gefängnissen erfunden, zu der Isolation, sensorische Deprivation und psychologischer Druck durch ständige Überwachung gehört hätten. 
 
Diese Vorwürfe, obwohl ebenfalls nicht immer unabhängig verifiziert, fanden breite Resonanz in den Medien und wurden genutzt, um das deutsche Justizsystem als repressiv darzustellen. Die RAF konnte so Sympathisanten mobilisieren und ihre Angriffe auf den Staat aus der Haft heraus fortführen - ein Ziel, das sich auch die Hammerbande gesetzt hatte, indem sie die Bestrafung vermeintlicher Nazis mit Teleskopschlagstöcken und Hämmern selbst in die Hand nahm. 
 

Vorwurf politischer Verfolgung 

 
Geschickt wird durch diese Darstellung ausgeblendet, dass Maja T. mutmaßlich an schweren Gewalttaten beteiligt war. Suggeriert wird stattdessen, dass die Inhaftierung primär eine politische Verfolgung ist und die Haft nicht der Durchführung eines rechtsstaatlichen Schuldermittlungsverfahren dient, sondern als vorgezoge Bestrafung gedacht ist. 
 
Dafür gibt es keinerlei Belege. Zwar wurde Ungarn von der EU-Kommission wiederholt wegen rechtsstaatlicher Defizite kritisiert. Doch hat das Europäische Gericht für Menschenrechte (EGMR) hat bis heute nie systematische Verstöße gegen die Menschenrechtskonvention in ungarischen Haftanstalten festgestellt, die eine generelle Aussetzung von Auslieferungen rechtfertigen würden.

Donnerstag, 12. Juni 2025

Antwort auf Pazifismusseuche: Kampfgruppe des Bundestages

Kampfgruppe Bundestag - paramilitärischer Verband
Stärke zeigen, Härte und Entschlossenheit: Die Kampfgruppe des deutschen Bundestages (KGB) knüpft an die großen Traditionen der Befreiungskriege und der unternehmensnahen Massenheere der DDR an.

Sie leugnen die russische Beddrohung, fordern Gespräche mit Russland und stellen sich gegen die hohen Ausgaben fürs Militär, sie verweigern den freiwilligen Wehrdienst, geben kleinlaut zu, dass sie keine Lust haben, für die Werte des Westens zu kämpfen und notfalls zu streben. Lieber sollen andere das tun, sie würden aber auch, heißt es bei vielen, die diese Gesellschaft großgezogen, ausgebildet und mit den besten Startchancen für ein Leben in Frieden und Wohlstand ausgestattet hat, gern unter russischer Knute leben. 

Bloß nicht kämpfen, für nichts, das ist die Grundeinstellung einer Generation,  die lieber fliehen würde als an der Front zu kämpfen. Im Geschichtsunterricht haben diese Jungen und Mädchen so oft gefehlt, dass sie tatsächlich fest daran glauben, im Ernstfall das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu haben. Oder aber ausreisen zu dürfen, um nicht mitmarschieren und schießen zu müssen. Dass sie, wenn es erst so weit ist, nicht einmal jemand fragen würde, ob sie wirklich Bock haben, im Schützengraben zu liegen, kommt ihnen gar nicht in den Sinn. 

Die Illusionen von Elias 

Nicht einmal fragen würde ihn jemand.
So jung, so - meist - links, so unwissend, so willfährig, der Bedrohung nachzugeben wie ein Boxer, der den Ring meidet. Erst waren es nur einige wenige Nachwuchskader der Parteien der demokratischen Mitte, die sich der Aufrüstungslogik und dem Milliardenplan zur Herstellung von Kriegstüchtigkeit bis zum russischen Angriff im späten Frühjahr 2030 verweigerten. 

Mit dem demonstrativen Aufstand mehrerer bekannter SPD-Politiker gegen die im Konsens aller Parteien und aller westlichen Verbündeten beschlossene Außen- und Sicherheitspolitik bekommen die Zweifel an der Standhaftigkeit unserer Demokratie aber nun prominente Gesichter: Rolf Mützenich ist dabei, der kremlfreundliche frühere SPD-Fraktionsvorsitzende. Neben ihm agiert der Holsteiner Ralf Stegner, der lange als eine Art Parteiclown und Verschwörungstheoretiker wahrgenommen wurde, jetzt aber seit Kurzem das Kostüm eines Außenpolitikers trägt. 

Dem Übergewicht der Kriegslüsternen, die nach Kanonenbooten, schweren Geschützen und Drohnenflotten verlangen, setzen diese alten Genossen ihre Erzählung von einer angeblich notwendigen Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und zu einer Zusammenarbeit mit Russland entgegen. Auch der einst von SPD-Kaderplaner Kevin Kühnert als proletarisches Element aus dem Ruhestand zurückgeholte Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans und der als "Flugbereitschaftsminister" bekannte ehemalige Finanzminister Hans Eichel versuchen, mit einem sogenannten "Manifest" Stimmung gegen Wehrwillen, Fünf-Prozent-Ziel und Aufrüstung zu machen.

Angriff auf unsere Demokratie 

Ein Angriff auf zentrale Elemente der Außen- und Sicherheitspolitik der demokratischen Parteien, der Nato-Verbündeten und damit auch der Bundesregierung. Gerade noch hat die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner russischen Drohungen mit Atomangriffen auf Deutschland beherzt ins Gesicht gelacht. Der Kreml könne drohen, Deutschlands Parlamentarier aber ließen sich nicht einschüchtern, auch nicht von der Aussicht, zum dritten Mal in den zurückliegenden 125 Jahren in eine direkte militärische Auseinandersetzung mit Russland gezogen zu werden. 

Es sollte ein Signal der Geschlossenheit sein, eine unnachgiebige Botschaft an Putin, es lieber gut sein zu lassen, weil er am kürzeren Hebel sitzt. Hinter der Christdemokratin mit der klaren Haltung aber wühlt nun die Fünfte Kolonne des Kreml mit kruder Kritik an der geplanten Aufrüstung, mit Hetze gegen US-Raketen und Angstparolen wie der, die weitere Standhaftigkeit im Kampf gegen Russland mache Deutschland zum Kriegsteilnehmer. Das Geld reiche nicht, das Soziale komme zu kurz, die für Prozent, die Bundeskanzler Friedrich Merz dem US-Präsidenten Donald Trump als Friedensgabe mit nach Washington gebracht hatte, seien nicht finanzierbar. Zudem fehle es an wehrwilligem und wehrfähigen Menschenmaterial für die Truppe.

Aufgabe der Bundeswehr 

Das schürt Ängste, nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch bei den Verbündeten, die Deutschland zumindest ab 2030 wieder in seiner alten Rolle und Funktion gesehen hatten: Ist Polen überrannt und das Baltikum geschlagen, sollte eine kriegstüchtig gemachte Bundeswehr dem Angreifer wie in den 70er und 80er Jahren wieder zwei bis maximal sieben Tage standhalten. Hinhaltend kämpfend, verschafft sie der Nato so genug Zeit, um im großen Ringen um Europa letztlich zu triumphieren.

Pläne des sowjetischen Generalstabes, innerhalb von nur 15 Tagen an der französischen Atlantikküste anzukommen, um die eintreffenden US-amerikanischen und britischen Hauptkräfte beim Ausschiffen zerstören zu können, sollten damit torpediert werden. Abschreckungspotenzial, das den kalten Krieg entschied: Weil die Sowjetführer wussten, dass ihr Durchmarsch bis Finistère schon in Wetzlar, Wuppertal und Wangen gestoppt werden würde, verzichteten sie auf den Versuch.

Übermacht im Rollstuhl 

Eine Entscheidung, auf die ein Kreis prominenter Bundestagspolitiker jetzt auch wieder hinarbeiten will. Statt die derzeitige Übermacht der russischen Militärmaschinerie hinzunehmen, die seit Monaten schon vor aller Augen zerfällt und inzwischen bereits Soldaten auf Krücken und selbst im Rollstuhl auf das Schlachtfeld schickt, wollen die Initiatoren verstärkter Wehrwilligkeit an ein erfolgreiches Kapitel ostdeutscher Militärgeschichte anknüpfen. 

Nicht jammern und klagen, sondern selbst Uniform tragen, das sei es, wozu sich der Wohlstandswesten aufraffen müsse, sagt ein Parlamentarier.  "Wir müssen wegkommen von Papiertiger-Diskussionen", unterstreicht ein anderer. Wenn der aktuell auf 60.000 Soldaten taxierte Mehrbedarf an kriegstüchtigem Menschenmaterial über eine Rückkehr zur Wehrpflicht nicht zu rekrutieren sei, dann müsse ein grundsätzliches Umdenken stattfinden. "Es geht uns um die Wiederbewaffnung der Gesamtgesellschaft, um eine Kriegstüchtigkeit, die sich aus Quellen im ganzen Land speist", beschreibt einer der Initiatoren.

Heimatschutz mit Helm 

Vorbild sind die Kampfgruppen der Arbeiterklasse, die die DDR 1953 gründete, um die Resilienz ihrer kritischen Infrastruktur im Kriegs- und Konfliktfall zu erhöhen. In einem sehr kleinen Maßstab hatte die Ampelregierung zwar versucht, sogenannte Heimatschutz-Truppen neu aufzustellen, die eigens für den Einsatz im Inneren vorgesehen sind. Doch auch dort fehlt es an Personal, an Waffen und Munition, an Unterkünften, Paradeplätzen und einer verfassungsmäßigen Möglichkeit, gegen Unruhen hart durchzugreifen.

Mit der ersten Kampfgruppeneinheit, demonstrativ aufgestellt im Deutschen Bundestag und besetzt mit kampfbereiten Parlamentariern, deren Beratern und wehrwilligen Büromitarbeitern, soll ein Zeichen gegen Defätismus, Kleingläubigkeit und Zweifel an den Siegchancen der Demokratie gesetzt werden. Zwar ist die erste Einheit klein, kaum mehr als ein Rumpf-Regiment, ausgerüstet mit aussortierten Friedensgewehren des regulären Heeres und eingekleidet in Uniformen aus Altbeständen der Konversionsjahre und Helmrückläufer aus der Ukraine. 

Kampf gegen Feinde 

Ihre offizielle Aufgabe soll der Kampf gegen Saboteure und andere Feinde unserer Demokratie sein, auch Noteinsätze beim  Schutz von wichtigen Parlamentsgebäuden oder Paraden. Zudem plant der Aufbaustab der ersten Einheit, in der Öffentlichkeit Präsenz zu zeigen, etwa bei Straßenkampfmanövern oder Aufmärschen in vollem Wichs zu hohen Feiertagen.

Doch es ist das Zeichen, das zählt und das, so hoffen die Initiatoren der neuen Graswurzelarmee, weit ins Land und bestenfalls bis Moskau ausstrahlt: Hier entsteht ein Massenheer aus fest entschlossenen Freischärlern, wie sie schon im Kampf gegen Napoleon und in den Befreiungskriegen eine bedeutende Rolle spielten. Nicht zuletzt war es ihnen zu verdanken, dass aus den vielen deutschen Kleinstaaten überhaupt eine Nation wurde, die sich einen Staat schuf, der später beinahe zwei Weltkriege gewonnen hätte. 

In einer großen Tradition 

An diese hehre Tradition will die Kampfgruppe des Deutschen Bundestags (KGB) anknüpfen. Angeordnete, obschon zum Teil in hohem Alter, wollen zeigen, dass Wehrwille keine Frage von Sportlichkeit oder Ausbildung ist, sondern eine Charakterfrage. Ob Frau oder Mann, jeder kann für seine Werte kämpfen und sterben. Und jeder hilft mit seinem unbedingten Einsatz, den Feind vergeblich anrennen und letztlich erfolglos ausbluten zu lassen.

Mit einem Appell in der Berliner Julius-Leber-Kaserne, in der die Bundeswehr bereits ihre Heimatschutzdivision "Oberes Havelland" in Dienst genommen hatte, will der neue Großverband ein erstes Zeichen setzen - formell völlig unabhängig vom "Manifest" der SPD-Genossen, die versuchen, das progressive Lager zu spalten. 

Die Planungen zur Gründung der Kampfgruppe Bundestag seien bereits weit vorangetrieben gewesen, heißt es im politischen Berlin, ehe der russlandfreundliche, antiwestliche und kriegsfeindliche Flügel der früheren Arbeiterpartei seinen Versuch gestartet habe, mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen im Osten Wählende von AfD und BSW durch einen Bückling vor Putin zurückzugewinnen. 

Methode Stärke 

Die Kampfgruppe setzt auf eine andere Methode: Stärke zeigen, Härte und Entschlossenheit und dem Territorialen Führungskommando (TFK), das vor geraumer Zeit endgültig im neuen Operativen Führungskommando der Bundeswehr (OPB) aufgegangen ist, eine wehrhafte Struktur zur Verfügung zu stellen, deren Kampfkraft keinem russischen Rollstuhlkommando nachsteht. Der paramilitärische Verband, Nukleus eines Netzwerks an regional geleiteten Freiwilligenmilizen, will die Antwort der demokratischen Mitte auf die pazifistische Versuchung sein, die der Kreml-Flügel der SPD aus Angst vor Putin predigt.

Mit 700 freiwilligen Abgeordneten und deren Bürokräften soll die KGB starten, das weitere Ausrollen und die Aufnahme des Wirkbetriebes mit Paraden und Manöver erfolgt dann im Laufe des Jahres. Dass sich weitere Parlamentarier*innen der Initiative anschließen werden, gilt im politischen Berlin als sicher. Die Initiatoren rechnen auf Solidarität von älteren Semestern aus den pazifistischen Jahren der frühen Jahre der Bundesrepublik, aber auch Neuankömmlinge aus Trumps Amerika, die lieber stehend in Europa sterben wollen, als sich gemeinsam mit dem Präsidenten Russland zu unterwerfen.

Ein zusätzliches Millionenheer 

Ziel sei es, erklärt einer aus der Aufbauorganisation, eine gesellschaftliche Durchdringung wie in der ehemaligen Ex-DDR zu erreichen: Dort standen rund 200.000 Mann unter Waffen, zum Teil damals schon Frauen darunter. Für das größer und erwachsener gewordene Deutschland mit seiner viel höheren weltweiten Verantwortung würde ein solcher Organisationsgrad ein Heer von mindestens einer zusätzlichen Million  an unerschrockenen Kämper*innen bedeutet. Genug, um dem Kreml klarzumachen: Hier gibt es für Usurpatoren nicht zu gewinnen.

Plötzlich Außenpolitiker: Pöbel-Ralles neue Kleider

Ein Mann bekommt nach einer Veröffentlichung eines "Manifestes" im Internet im Morgengrauen Polizeibesuch. Die Szene ist nachgestellt.

"Nun ist Ralf Stegner in der SPD keine besonders wichtige Figur", watschte das ehemalige Nachrichtenmagazin Der Spiegel ihn ab, als er gerade im Begriff war, sich neu zu erfinden. Ralf Stegner hatte vieles ausprobiert und manches erreicht, jetzt galt er als "das Symptom" seiner Partei.

Die völlige Abwesenheit jeglichen Bemühens um eine diplomatische Lösung für den Krieg Russlands gegen die Ukraine nannte er "verstörend". Einen "Vorrang für Diplomatie" hielt er für unumgänglich. Es war die Zeit einen Monat vor dem russischen Einmarsch. Als einer der ersten deutschen Politiker warnte der Mann aus Schleswig-Holstein vor einer "Militarisierung der Politik", die noch nirgendwo zu sehen war.

Er war schon alles 

Stegner konnte sie spüren. 40 Jahre war er in der SPD, fast 25 Jahre lang bekleidete er schon Ämter in Partei und Staat. Nicht die, die er sich gewünscht hatte. Aber die, die ihm zufielen. Stegner war Parteivorstand und Innenminister gewesen, Fraktionsvorsitzender im Landtag und SPD-Spitzenkandidat, Kronprinz seiner Partei in Schleswig-Holstein und Stabschef einer Ministerin, einer von sechs Stellvertretern des Parteivorsitzenden und einmal trat er sogar selbst an, Parteichef zu werden.

Die Mitglieder wollten ihn nicht. Doch aus Niederlagen gestärkt hervorgehen, das kann dieser Mann. Stegner hatte sein ganzes Leben in der politischen Provinz verbracht, er war immer gescheitert, wenn es nach oben gehen sollte. Einmal schien er kurz davor zu sein, als ein Mann anrief und fragte, ob er das Amt des Vizekanzlers annehmen werde, wenn die Parteiführung es ihm anböte. Das Ja, es kam aus ganzem Herzen, eingebettet in den Satz "Vorstellen kann ich mir das". Doch am anderen Ende war nur ein Komiker, der den Mitschnitt höhnisch unter dem Titel "Pöbel Ralle Vizekanzler" veröffentlichte.

Vom Osthang der Egge 

Vielleicht genau in diesem Moment, als er ganz unten war, beschloss Ralf Stegner, nach Berlin zu gehen. Nicht mehr länger als Parteiclown der SPD verlacht werden. Nicht mehr als bärbeißiger Wahlnorddeutscher mit herabhängenden Lefzen erst sprechen und dann - vielleicht - denken.

Bei der Bundestagswahl gewann er das Direktmandat, bei der nächsten reichte es noch über die Landesliste. Dass er in den Medien allenfalls als "SPD-Urgestein" bezeichnet wurde, obwohl er sich einen Platz im Auswärtigen Ausschuss hatte sichern können, focht Stegner nicht an. Der "MdB für Pinneberg" beschickte die Republik mit seinem "Moin vom Osthang der Egge!" und klassischen alten Popsongs. Zur Abwechslung grantelte und dichtete er deutlich weniger - ein linker Flügelmann der deutschen Sozialdemokratie, der endlich angekommen schien.

Natürlich wäre Ralf Stegner gern Minister geworden. Als der Ruf zum zweiten Mal ausblieb, besann er sich allerdings auf eine Kernkompetenz, die öffentlich allzulange verkannt worden war. Der in Medienbeiträgen gern als "früherer SPD-Parteivize" vorgestellte "SPD-Rambo" (Mopo) war jetzt, nach mehr als 30 Jahren im Kieler Landtag, Außenpolitiker geworden. Zuerst einmal für sich selbst, denn als ganz junger Bursche hat Stegner seinen Doktor mit einer Arbeit unter dem Titel "Theatralische Politik made in USA - Das Präsidentenamt im Spannungsfeld von moderner Fernsehdemokratie und kommerzialisierter PR-Show" erlangt. 

Geduldiges Warten 

Nach fast fünf Jahren des geduldigen Wartens aber, einer Zeit, in der die Aufmerksamkeit des Publikums sich mehr und mehr von ihm abwandte, ist es jetzt so weit: Wo über ihn geschrieben wird, ist Ralf Stegner nicht mehr Pöbel-Ralle oder SPD-Rambo, nicht mehr der ehemalige Parteivize und nicht "keine besonders wichtige Figur", für die Trump der dickste Stamm, an dem sie sich reiben kann, ohne Ärger zu bekommen. Pöbel-Ralle hat sich neu erfunden. Als das, was er immer hatte sein wollen: Der "Außenpolitiker Ralf Stegner" nennen sie ihn ehrfürchtig und auf allen Kanälen.

Für jemanden, der 65 Jahre alt ist und sein Leben lang allenfalls mit der dänischen Minderheit außenpolitisch grundierte Gespräche führen durfte, ist das ein Ritterschlag. Mag das von Stegner initiierte "Manifest" - Ältere erkennen im Titel den feinen historischen Humor des Federführenden - als "Angriff auf die schwarz-rote Bundesregierung und auf die eigene Parteiführung rund um Vizekanzler Lars Klingbeil" gewertet werden - für Ralf Stegner hat es sich schon gelohnt. 

Noch ein Aufstand alter Männer 

So gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Aufstand der alten Männer um ihn, Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich und den früheren halben Parteivorsitzenden Norbert Walter-Borjans die Bundesregierung, die Nato oder den Kreml zu einer "Abkehr von der Aufrüstungspolitik" bewegt, so groß ist doch die Chance, dass die Bezeichnung bleiben wird.

"Außenpolitiker", wie stolz das klingt. Nicht mehr nach Osthang der Egge, sondern die Welt als Feld. Nicht mehr in Gummistiefeln durch Bordesholm, sondern in geheimer Mission nach Aserbaidschan, das Land, aus dem Deutschland sein russisches Öl bezieht. Stegner ist für "direkte diplomatische Gespräche mit Russland", von Anfang an. Dafür ist er lange belächelt und links außen liegengelassen worden. Erst mit dem "Manifest" hat der frühere Stipendiat der Stiftung Volkswagenwerk einen Treffer gelandet: Nicht nur, dass ihm die aktuelle Parteiführung zumindest leise widerspricht und die andere Regierungspartei laut. Nein, die Medien, sein eigentliches Publikum, kennen ihn jetzt nur noch als den "SPD-Außenpolitiker", der er immer hatte sein wollen.

Der Pöbel-Diplomat 

Stegners Warnung vor "militärischer Alarmrhetorik" und der Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland, vor hunderten von Milliarden für neue Waffen ohne Plan, wer sie dereinst bedienen soll, ist selbst beim Kreml-Flügel der SPD nicht mehrheitsfähig. Spät, aber dann doch haben dort die übernommen, die für die klar ist, dass nicht geredet werden kann, ehe nicht Wladimir Putin selbst um Gehör bittet. Dass es ausgerechnet der so lange als "Pöbel-Ralle" verlachte Wahlholsteiner ist, der auf einmal nach Diplomatie ruft, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.