Montag, 10. Februar 2025

Absage Älterer: Jüngere sollen höhere Verteidigungsausgaben zahlen

Wehrkraft WKriegstüchtigkeit Computerspiele
Ältere winken ab: Die mit Ballerspielen ausgebildeten Jüngeren sollen die höheren Wehrausgaben schultern

Die Rüstungsausgaben müssen hoch, die Verteidigungsanstrengungen vervielfacht werden. Geld schießt keine Tore, aber in Ermangelung wehrwilliger Rekruten geht die deutsche Politik seit Jahren davon aus, dass Geld Feinde erschießt. Je mehr Milliarden, desto sicherer, darüber herrscht parteiübergreifend Einigkeit.  

Wer soll das bezahlen?

Aber woher sollen die Milliarden herkommen? Wer soll sie bezahlen müssen? Jetzt, wo nicht mehr nur die lange verweigerten zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Panzer, Flugzeuge, Kampfschiffe und Uniformen ausgegeben werden sollen, sondern perspektivisch mehr als die drei Prozent steigen, die im Kalten Krieg ausgegeben wurden, beginnt der Streit. 

Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) hatte Anfang des Jahres Deutschlands Rentner ins Visier genommen. Diese ältere Generation sei es gewesen, die es versäumt habe, "ausreichend in unsere Sicherheit zu investieren", so der 50-Jährige in seiner ersten Wortmeldung zu Verteidigungsfragen. 

Rente für die Front

Die Zeche für dieses Versäumnis müsse durch eine stärkere Beteiligung der Millionen Ruheständler an höheren Verteidigungsausgaben gezahlt werden, weil Deutschland fehlende Kriegstüchtigkeit auf deren Kappe gehe. "Um nennenswerte Summen zu erreichen, wird man auch an das Rentensystem herangehen müssen", verkündete Schularick eine bittere Wahrheit.

Für jeden einzelnen Rentner wären die in Rede stehenden Summen zumutbar: Etwa 2.000 Euro im Jahr zusätzlich müsste jeder Rentenbezieher aufbringen, um den Verteidigungsetat von zwei auf 3,5 Prozent zu bringen. Das sind 166 Euro im Monat, also 5,50 Euro am Tag. Kein Betrag, der sich nicht durch mehr Disziplin beim Heizen, weniger Urlaub, einen Verzicht auf Nikotin und Alkohol oder Stromsparen abknapsen ließe.

Alarmglocken beim Rentnerrechtler

Und doch: Beim Rentnerrechtler Ansgar Heckmann schrillen da inzwischen die Alarmglocken. Im Herbst erst hatte der ausgebildete Stuckateur und Naturbalancetrainer eine Initiative gestartet, um die Forderung vieler junge Menschen nach einem Ende der Schuldenbremse und deutlich höheren Staatsschulden zu unterstützen. Heckmann begründete seine Solidarität mit denen, die künftigen Generationen noch tiefer in die Tasche greifen wollen, mit seinem fortgeschrittenen Alter. 

Er selbst, so die Logik des in Mecklenburg lebenden engagierten Umwelterziehers, werde bereits verstorben sein, wenn Zins und Tilgung für die Staatsschulden wirklich harte Maßnahmen erforderten. "So ein Schuldenberg, der kalbt ja erst mit dem Zinseszinseffekt so richtig", sagte Heckmann damals. Fällig würden langfristige Verbindlichkeiten aber erst später: "Und später wird sein, wenn ich abgetreten bin von dieser Welt."

Auch ein Krieg, der dann womöglich ausbreche, interessiere ihn nicht, ebenso wenig dessen Ausgang. "Ich bin leider kinderlos geblieben, mein Zweig der Familie Heckmann endet mit mir." Mit Blick auf die prekäre Lage des Weltklimas sei er mit dieser Entscheidung, die das Leben für ihn getroffen habe, immer fein gewesen. "Und auf einmal soll ich meine letzten und vielleicht schönsten Jahre am Hungertuch nagen?"

In Haftung nehmen

Gegen den Versuch, ihn und seine Altersgenossen auf die alten Tage noch für den dreistelligen Milliardenbeitrag pro Jahr in Haftung zu nehmen, auf den der von Grünen-Kandidat Robert Habeck vorgeschlagene Zielwert von 3,5 Prozent des BIP hinausliefe, lehnt Ansgar Heckmann rigoros ab. "Das würde ein großes Loch in meine Rentenplanung reißen", sagt er. 

Statt das Renteneintrittsalter weiter zu erhöhen und "uns bereits krummgebuckelten Alten noch länger zu melken", wie er es nennt, schlägt der Mann aus Carlow vor, junge Menschen schneller zu beschulen, sie früher ins Erwerbsleben einzugliedern und ihren Lebensstandard "auf dem aktuellen Niveau einzufrieren". 

Ansgar Heckmanns Blick auf den Zustand der Gesellschaft ist glasklar. Es sei nicht einzusehen, dass in dermaßen harten und angespannten Zeiten wie heute weiterhin Auszubildende, Studenten und selbst Betätigungslose Geld genug hätten, Coffee to go zu kaufen, bei Uber Eats zu bestellen und sich im Jahresrhythmus mit den neuesten Handymodellen auszustatten. 

Ohne Herrenjahre ins Erwachsenenleben

"Lehrjahre sind keine Herrenjahre", zitiert Heckmann einen längst vergessenen Sinnspruch aus seiner Jugend, als er auf Wunsch seines Vaters in einem Bergwerk der Wismut AG bei Gera den Beruf des Gussformenputzers hatte lernen müssen. "Wir schufteten damals unter unglaublichen Bedingungen dafür, dass das Gleichgewicht des Schreckens zwischen Ost und West erhalten blieb", erinnert er sich. Niemand könne heute von derselben Generation verlangen, noch einmal auf alles zu verzichten, um das Land wieder bis an die Zähne zu bewaffnen.

Dieses süße Leben, das sich viele junge Menschen von der Pike an gönnten, sei in einer seit Jahren bestenfalls stagnierenden Wirtschaft kaum noch zu rechtfertigen, sagt Heckmann. "Die Rechnung für Versäumnisse, die die Politik mit ihrem Gerede von der ,Friedensdividende' zugelassen hat, sollten ausnahmsweise nicht die Alten zahlen., sondern die Jungen", fordert er. Schließlich gehe es ja um deren Zukunft: "Ich habe meine weitgehend hinter mir."

Konsumierte Friedensdividende

Eine Position, die ökonomisch gesehen durchaus nachvollziehbar erscheint. Herbert Haase vom Climate Watch Institut in Grimma (CWI) hat errechnet, dass die ältere Generation in ihrer Zeit als jüngere Generation deutlich mehr Geld für Verteidigungszwecke hat aufbringen müssen als Menschen, die heute zwischen 20 und 50 sind.

"Denen hat man versäumt, in den vergangenen Jahrzehnten klar zu machen, was für ein Glück sie haben, nicht in unsere Sicherheit investieren zu müssen", sagt der Klimaökonom aus Sachsen. Das ist auch Ansgar Heckmanns Position. "Diese Generationen der Schularicks und Co. sind es doch, die die  Friedensdividende konsumiert haben."

Auf Kosten der Älteren studieren,. auf Kosten der Älteren, die die EU aufgebaut haben, reisen, und auf Kosten der Älteren, die noch bei NVA und Bundeswehr haben dienen müssen, vom Ruf der deutschen Streitkräfte leben, "ohne jemals selbst eine Waffe in die Hand zu nehmen". Ansgar Heckmann ist empört darüber, dass diese Generation Gotteingutermann nun auch noch verlange, dass die Älteren noch einmal Verzicht üben, um eine Stärkung der Verteidigung ohne zusätzliche Anstrengungen der Jüngeren zu ermöglichen.

"Die Schuldenbremse aussetzen, das wollen sie für ihre Zwecke, um einzukaufen und es sich schön zu machen", schimpft der Rentnerrechtler, "und wir Alten sollen für die Verteidigungsausgaben geradestehen - dabei würden viele moderne Flugzeuge, Kreuzer und Gewehre erst geliefert, wenn ein Gutteil aus unserer Generation schon unter der Erde liegt."

Kandidatenduell: Der Herre und das Gescherre

Ein Duell ohne anschauen.


Olaf Scholz hat kein Höckerchen bekommen, wie es Gerhard Schröder immer dabei hatte. ARD und ZDF haben sich stattdessen entschieden, den Größenunterschied zwischen dem Kanzler und seinem Herausforderer bei den nebeneinandermontierten Nahaufnahmen durch einen kühnen Schnitt auszugleichen. Meist ist Scholz in diesen Bildern sogar größer als Merz, der den Sozialdemokraten im richtigen Leben um zwei Köpfe überragt.

In gefönter Realität

Gefönte Realität umgibt die beiden Männer, die den Anspruch haben, Deutschland durch den Rest des Jahrzehnts zu führen. Merz trägt dunkelblau, Scholz graphitschwarz. Merzens Bunder ist weiß gemustert, in Scholzens blauem Schlips ist das Weiß wie aus dem Salzstreuer verteilt. 

Die beiden Langzeitfunktionäre beharken sich mit Seitenhieben. Merz verweist auf das Grundgesetz. Scholz zeigt mit dem Finger in die Kamera. Beide werden nie miteinander regieren, weil Olaf Scholz sein politisches Schicksal von einem Wahlsieg abhängig gemacht hat. Merz rechnet auch nicht mit Scholz. Der CDU-Mann rechnet mit der SPD, aber nicht mit deren Spitzenkandidaten.

"Warum soll man so doof sein", sagt Olaf Scholz, der immer wieder auf sein Führung, auf seine Leistungen und auf seine Erfolge verweist. Die Nerven liegen blank beim Sozialdemokraten, dessen letzte Chance dieses "Duell" unter altgedienten Schlachtrössern ist. Merz darf heute nicht verkieren. Scholz muss gewinnen.

Trumpfkarte Migration

Aber womit nur? Bei der Flüchtlingspolitik, dieser Trumpfkarte, die zu ziehen sich Merz im Verlauf eines anämischen Wahlkampfes entschossen hatte, kann er nicht punkten. Schmallippig verweist der 69-Jährige immer wieder darauf, dass er allerlei getan habe, noch mehr tun werde und viel mehr gar nicht möglich sei.

"Herr Scholz, bitte, Sie leben nicht in dieser Welt", knirscht ihn Friedrich Merz an, ehe die Sandra Maischberger den Kanzler erlöst. "Wir wollen heute nicht nur über Migration reden", sagt sie und gibt das Gefecht frei, um die verschiedenen Wahrnehmungen über die Wirtschaft abzufragen.

Scholz wüsste im Grunde gar nicht, warum das sein muss. Natürlich sei die Stimmung schlecht, aber die Lage doch nicht. Deindustrialisierung? Er hat einen Plan für mehr öffentliche Investitionen. Alles andere wird dann schon, mit Deutschland-Plan und "Made in Germany"-Prämie.

Scholz hat einen Plan

"Es ist richtig, erstmal festzuhalen, dass was los ist", erwidert der Kanzler. Die Ausgnagsbais sei gut, "wir haben Grundlage, auf Wachstum setzen zu können". Die Weltwirtschaft schwächele eben, er, der Kanzler, habe aber die Ukraine nicht überfallen und das russische Gas nicht abgestellt. 

Wenn sich Scholz nach der Wahl, die er in diesem Duell noh einmal verliert, aufs Altenteil zurückgezogen haben wird, steht Lars Klingbeil bereit, der starke Mann einer dann noch schwächeren Partei, auch Kompromisse einzugehen, die Scholz bereits ausgeschlossen hat. Was der Amtsinhaber noch vorhat, ist ein Abschied in Würde, selbstbestimmt, mit einer Deutung der Ereignisse, die er selbst vornimmt.

Sonne, Mond und Sterne

Die Atomkraftwerke hätten doch keine Rolle gespielt. Sonne, Mond und Sterne liefern dauerhaft billiger. Es ist kein Geld da, man kann keine Steuern senken, die Bundeswehr braucht mehr, das ist kein Strohfeuer, denn der Steuerbonus kommt auch Startups zugute. Die sowieso keine Sterun zahlen. 

Nach dem Qualitätsverfall beim Klassiker "Tatort" ist dieses Aufeinandertreffen zweier älterer Männer ohne Drehbuch noch einmal ein tiefer Fall. Der Täter mag für viele Zuschauer feststehen, der von ebenso vielen für unsympathisch gehaltene Kommissar aber schafft es einfach nicht, ihn zu überführen. 

"Schnelle Runde" ruft Maischberger, neben der Maybrit Illner sitzt, die weiß trägt. Kurz was über Windräder und wie gut sie aussehen. Zwei Geschlechter? Merz kann das nachvollziehen. Scholz findet es unangemessen.

Kettensägen-Kommando

Kettensäge wollen sie beide, mal was ordentlich gegen die Demokratie Bürokratie zu tun. Noch was Mindestlohn. "Ich gin dafür, dass die Leute, die wenig Geld verdienen, mehr Geld verdienen." Scholz macht seinen ersten Treffer. Zu seinem Glück macht keiner Anstalten, nachzufragen. 

Auch der Scholz-Satz, er habe die harte Politik der EZB gegen die Inflation unterstützt, trifft nicht auf Unverständnis, obwohl die EZB so dermaßen unabhägig ist, dass es vollkommen gleichgütig sein müsste, was Olaf Scholz unterstützt oder nicht.

Es wird teurer 

Dass es teurer wird, dafür stehen beide. Merz zahlt künftig 200 Euro Klimageld im Monat. Die höheren CO2-Preise müssen niemandem Sorgen machen. Das wird alles sehr gerecht, sagt der künftige Kanzler. Das Duell geht konsequnet über Bande. Die beiden Kontrahenten streiten nicht miteinander, sie reden aneinander vorbei.

Merz hätte zum Beispiel die Idee, die Pflege künftig durch einer verpflichtende private Vollversicherung zu finanzieren. Man müsse die Arbeitskosten runterkriegen. Und wäre die Pflege privat zu versichern, zählten die Beiträge nicht mehr mit. 

Scholz will de Single mit 5.000 Euro im Monat einfach für die Alleinerziehende mit 2.000 Euro mitzahlen lassen. "Dann wird es für uns alle billiger.

Parallel in Parallelwelten 

Selten ist an einem Abend im Ersten parallel zum Zweiten so viel Halbwahrheit gesagt und so viel Zukunft versprochen worden. Alle haben alles richtig gemacht, alles wird bald noch richtiger. Alle reden aneinander vorbei. "Ich bin der Politiker, der in Deutschland am hästesten für Sanktionen steht." Wer Hat's gesagt?

"Wenn Sie ihre Sprechblase jetzt losgeworden sind", giftet Scholz. Wer drei Millionen verdient, kann ein bisschen mehr Steuern bezahlen! Mit "all den Gesprächen, die ich mit Trump geführt habe", verweist Olaf Scholz auf seine Erfahrung als Weltpolitiker. Friedrich Merz ist "immer sehr klar gewesen, was die Taurus-Lieferung betrifft". 

Unsichtbare Zeitenwende

Blablabla und Blubberblub. Nicht was in diesen anderthalb Stunden geschwatzt wird, ist wichtig. Sondern das, was nicht vorkommt. Die Zeitenwende in der deutschen Politik, sie wetterleuchtet unsichtbar. Das Klima ist beiden Kandidaten inzwischen so "zentral" (Scholz) und wichtig wie den beiden austragenden Sendern. 

Der Begriff fällt über den gesamten Abend nicht.





Sonntag, 9. Februar 2025

Bauschaum-Bande: Russlands polyurethanischer Krieg

Larissa Wagner deutsches Mädel
Larissa Wagner sieht aus wie eine ganz normale Rechtsinfluencerin, sie existiert jedoch nur als Berechnung einer Künstlichen Intelligenz.


Sie hatten es mit Schattenflottenschiffen versucht, die Unterseekabel ausrissen. Sie schickten Larissa Wagner, einen halbnackten Bot, der vor 4.000 Followern mächtig für die Rechtsfaschisten trommelte. Sie taten sonst wenig, offenbar recht zufrieden damit, wie der deutsche Wahlkampf läuft. Russland, dem deutsche Geheimdienste, Medien, wichtige stimmen im Ausland und große teile der Öffentlichkeit zugetraut hatten, dass es die Abstimmung zum neuen Bundestag möglicherweise derart manipulieren würde, dass wieder eine Wahl in einem Februar rückgängig gemacht werden muss, hielt sich auffällig zurück.

Angriffe mit der Bauschaumwaffe

Glaubte man. Bis die Bauschaumbande aufflog, ein Quartett aus Serbien, Rumänien, Bosnien und Deutschland, das einer Polizeistreife im brandenburgischen Schönefeld schon im Dezember 2024 auffiel, weil es in einem Transporter saß, "indem die Beamten mehrere Kartuschen mit Bauschaum" entdeckten. Als wenig später Dutzende Autobesitzern Anzeige erstatteten, weil ihre Auspuffrohre mit Bauschaum verstopft worden waren, griffen die Beamten zu. Volltreffer!

Einer der Beschuldigten habe, berichtet der "Spiegel" bei Vernehmungen zugegeben, dass er ebenso wie andere Schaumschläger von einem Russen zu den Attacken angestiftet worden seien. Ihre Aufgabe sei es gewesen, Auspüffe zu verstopfen und mit Aufklebern und an den Tatorten verstreuten Zetteln eine falsche Spur zur Klimabewegung zu legen. Auf deren friedlichen Terror hatte der Kreml wohl gesetzt, um im Wahlkampf Unmut über progressive Parteien wie die Grünen zu schüren. Unerwartet für die Manipulateure in Russland aber hatte sich die Bewegung vor kurzem entschlossen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen.  

Hundert Euro pro Auspuff

Als Ersatz besorgte die Weltmacht dann wohl die Bauschaumbande, die aus dem hybriden Krieg einen polyurethanischen macht. Über den Messengerdienst "Viber" soll der Auftraggeber Putins Fünfter Kolonne detaillierte Anweisungen für die Sabotageaktionen gegeben haben. Für jedes beschädigte Fahrzeug wurde ein Honorar von 100 Euro versprochen, insgesamt kam es zu 270 Fahrzeugsabotagen, unter anderem in Berlin, Baden-Württemberg, Bayern und Brandenburg. Nach dem deutschen Bevölkerungsschlüssel reicht das rein rechnerisch, um bis zu 350 Wahlberechtigte gegen die Grünen einzunehmen. So knapp, wie es derzeit in den Umfragen steht, könnte das reichen, um Robert Habecks Kanzlerchancen zu torpedieren, wenn wirklich alle Betroffenen sich die - rechnerisch - etwa 50 Grünenwähler unter den Bauschaumopfern wie von den Hintermännern von GUS und KGB geplant aufgrund des Anschlags umentscheiden.

Als Beweis dafür, dass die Volksseele im Wahlkampf wirklich wie gewünscht gegen die Grünen in Wallung gebracht wurde, mussten die Täter Fotos der verstopften Auspuffanlagen an den "russischen Geheimdienst" (SWR) schicken. Ein Teil vereinbarten Honorars wurde daraufhin ausgezahlt - Russland, entschlossen, im Konzert der ganz großen mitzuspielen, spart tatsächlich nicht weder Mühe noch Geld, um seine Interessen durchzusetzen.

Gezielte Kampagne

Das typische Verhaltensmuster der russischen Dienste, wie der "Spiegel" aus Sicherheitskreisen erfuhr. Es handele sich um eine "gezielte Kampagne mit der Absicht, im Bundestagswahlkampf Hass auf die Grünen und ihren Kanzlerkandidaten Habeck zu schüren". Gerade die unauffällige Brutalität der Polyurethanangriffe spricht für Perfidität und genaueste Planung, wie sie typisch sind für russische Geheimaktionen.

Die mögliche Einflussnahme Russlands auf die Wahlen am 23. Februar war lange befürchtet worden, die jetzt festgenommenen vier Männer aus dem Raum Ulm (17, 18, 20 und 29 Jahre alt) sind bisher jedoch der einzige handfeste Hinweis darauf, dass Russland neben dem medialen Einsatz von Schattenflottetankern und KI-Bots wirklich versucht, Stimmung gegen die demokratische Wahl der Deutschen zu machen.

Lehre bei Meister Doppelmoral: Mein Leben im grünen Elfenbeinturm

Carlo Jungmann arbeitet für kelines Geld in der grünen Wahlkampagne mit
Carlo Jungmann arbeitete sich bei den Grünen zum Mädchen für alles hoch. Jetzt ist er tief enttäuscht.

Carlo Jungmann wollte ins Berufsleben durchstarten, seinem Traumberuf nachgehen und der Gemeinschaft etwas zurückgeben. "Nach acht Jahren an der Uni", erzählt er, "betrachtete ich es als meine Aufgabe, das Gelernte endlich gemeinwohlbringend für alle im Alltag einzusetzen." Eine Freund*in aus der WG machte dem 33-Jährigen eines Abends auf eine Stellenanzeige aufmerksam, die wie maßgeschneidert für ihn schien.  

Bündnis 90/Die Grünen, eine Partei, der sich Jungmann seit seiner Jugend im Erzgebirge ohnehin eng und auch emotional verbunden sieht, suchte Mitarbeitende zu "Unterstützung unserer Kreisverbände ohne eigene Kreisgeschäftsführung in Vorbereitung und Durchführung des Bundestagswahlkampfes in 2025". Carlo Jungmann konnte sein Glück kaum fassen. "Ich war je gerade erst aus Asien zurück und hatte nicht gedacht, dass sich schon ein knappen Jahr nach dem Uniabschluss eine so idel passende Stelle bieten würde."

Ein traumhafte Offerte

Die Offerte hatte alles, was ein Berufsstarter sich heute wünscht. Die ehemalige Ökopartei bot "faire Bezahlung" mit einer "leistungsgerechten Vergütung von mehr als 15 € Stundenlohn", dazu 30 Tage Urlaub und als Bonbon eine "flexible, mitunter kurzfristige, Urlaubsplanung". Dazu auch noch  betriebliche Altersvorsorge und ein Jobticket, sie war befristet bis zum 31.10.2026 und begrenzt auf 20 Arbeitsstunden pro Woche. 

 "Die Arbeitsorte würden in Abstimmung mit den jeweiligen Kreisverbänden festgelegt werden", erzählt Jungmann. Für die erforderlichen Reisen und regelmäßige Aufenthalte in den Kreisverbänden würde es eine Reisekostenerstattung geben. Eine teilweise Aufgabenerfüllung im Homeoffice werde zudem ermöglicht. "Und weil sie Wert auf Diversität unter den Mitarbeitenden legen, seien meine Chancen als Ostdeutscher, Sachse und Arbeiterkind besonders gut", erinnert sich Carlo Jungmann an ein vielversprechendes Telefonat, das ganz am Beginn seiner Parteikarriere stand. 

Viel Verantwortung für wenig Geld

Wie kräftig habe er sich gefreut auf die kommenden Aufgaben, beschreibt er. Seine Tätigkeit umfasste die  Betreuung von mehreren bis zu drei Kreisverbänden im überwiegend ländlich geprägten Raum, überall war er zuständig  für die Vernetzung, den Austausch und das Halten des Kontakts mit den Wahlkampfverantwortlichen, der Grünen Kommunalpolitischen Vereinigung, der Heinrich-Böll- Stiftung und Wahlkampfverantwortlichen der Bundesgeschäftsstelle. Er hatte die Chance, das #Team Habeck bei der Organisation der Wahlkämpfe zu unterstützen, zu seinen Aufgaben gehörte die Erstellung, Beauftragung und  Weiterleitung von Basis-Wahlplakaten, von Großplakaten, Flyern und Materialien. 

"Aber auch strategisch war ich gut und fest eingeplant", sagt er, "denn in meiner Verantwortung lag es, die Kreisvorstände bei der Gewinnung von Kandidat*innen zu beraten, die Durchführung von Wahlversammlungen zu organisieren, die ehrenamtlichen Kreisvorstände bei der politischen Arbeit  wie der Vor- und Nachbereitung von Gremiensitzungen und Veranstaltungen zu unterstützen, die  Protokollführung zu überwachen und organisatorische und inhaltliche Hilfestellung bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu geben. Carlo Jungmann führte dazu auftragsgemäß einen regionalen Pressespiegels, er war zuständig für die Pflege der Internetauftritte, betreutet als Sockenpuppe die Social Media-Profile der Partei und Erstellen mit der Parteileitung abgestimmte Pressemitteilungen.

Kaum zu schaffen

Manchmal habe er schon gedacht, dass das alles in 20 Stunden pro Woche kaum zu schaffen sei, erklärt er heute. "Aber ich wusste ja auch, dass die Partei einiges erwartet, so dass die Auswahl an Bewerbern sich in Grenzen hielt." Neben einem sicheren Schreibstil sowie guter schriftlicher und mündlicher Ausdrucksfähigkeit, Teamfähigkeit und hoher kommunikative Kompetenz, einem offenen und freundlichen Umgangston und die Fähigkeit zur Kooperation mit Ehrenamtlichen setzen die Grünen die Fähigkeit zu selbstständigem Arbeiten, gute organisatorische Fähigkeiten mit einem strukturierten Arbeitsstil inklusive der Fähigkeit voraus, auch unter Zeitdruck präzise zu arbeiten. 

Stolz auf die vielen Kenntnisse

Selbstverständlich sei zudem für jeden, der neu zum Team Habeck stößt, die Bereitschaft zur regelmäßigen Wahrnehmung von Dienstreisen sowie von Abend- und Wochenendterminen, die Kenntnisse zum sicheren Umgang mit dem PC und Office-Standardsoftware etwa zur Serienbriefversendung, Kenntnisse im Bereich Alltagsfotografie, Layout, Bildbearbeitung oder Videoschnitt, Grundkenntnisse in Veranstaltungsorganisation, Öffentlichkeitsarbeit und Kenntnisse zur Social-Media-Nutzung sowie ein großes Interesse für Politik, die Offenheit für bündnisgrüne Programmatik und Ziele, Kenntnisse über die besonderen Strukturen ländlicher Räume und die Bereitschaft zur Einarbeitung in Parteistrukturen und parteispezifische Anwendungen wie die Mitgliederdatenbank voraus."

Der große Reiz


Das alles reizte Carlo Jungmann sehr. Der gebürtige Dunkeltaler studierte bei Hans Achtelbuscher und Herbert Haase demokratisches Wirtschaftsdesign und machte seinen Master im Fach Shrinking Wealth Economy in Utah. "Ich war ehrlich überrascht und wollte meinen Augen zuerst nicht trauen, dass mir mein Traumjob für den Berufsstart so auf den Leib geschneidert entgegenspringt." Jungmann hat seine Bachelorarbeit über die Rolle der Bundeswehr beim ökologischen Aufbau der Sahel-Zone in den 50er Jahren geschrieben, "ein eher trockenes Thema", wie er selbst findet.

Jetzt in lebendige,  praktische Parteiarbeit einzusteigen und gleich bei einem Schicksalswahlkampf helfen zu können, das erscheint ihm als Lebenschance. "Die 20 Stunden-Woche kam mir auch zupass, weil mir die Work-Life-Balance natürlich auch irgendwie weiter wichtig ist."

Euphorischer Einstieg

Carlo Jungmann stieg euphorisch ein in seinen ersten Job. Er hat die richtige Überzeugung, ihm fehlt es auch nicht an Opferbereitschaft. "Und der Geist Robert Habecks hat mich auf manch langer Busfahrt in eine Kreiszentrale mental getragen", sagt er im Rückblick. Immer sei da natürlich auch die Hoffnung gewesen, dass eine Parteifreundin wie Annalena Baerbock im Wahlkampf vorbeischaut. "Mit ihr hätte ich gerne mal einen Kaffee getrunken und über alles gequatscht", räumt er ein. Er wisse ja aus den Medien, dass Baerbock sich wie er selbst von ihrem Partner*in getrennt habe. "Vielleicht wäre man sich näher gekommen."

Denn Jungmann wird schnell aufgenommen in die grüne Glaubensgemeinschaft. Die ersten Schritte ein der Wahlkampfzentrale fallen ihm leicht, er spürt, dass er all die nötigen 22 Fähigkeiten, Fertigkeiten und Tugenden mitbringt, den grünen Wahlkampf zu einem Erfolg zu machen. "Mich trug eine Euphorie durch die ersten Wochen, die auch befeuert wurde durch die Erfolge, die wir in den sozialen Netzwerken gesehen haben." Dort regiert das Team Habeck fast unumschränkt. "Wir hatten Tausende Impressionen und haben klare Kante gegen den Rechtsrutsch gezeigt. Auf die Uhr schaut Jungmann nie. "Statt 20 Stunden habe ich auch mal 30, 40 oder 50 gearbeitet, wenn es nötig war."  Das würde nach der Wahl alles anders werden, ruhiger. "Dann könnte ich die Zeit abbummeln", hier es."

Der erste Schock

Der erste Schock für den Berufseinsteiger kam mit dem ersten Gehaltszettel. "Ich bin fast vom Sitzball gefallen, als ich das gesehen habe", sagt er. Von den knapp 1.300 Euro Brutto, die ihm die Grünen zahlen, bleiben ihm ganze 1.010,15 Euro. Abzüglich seiner WG-Miete in Höhe von 450 Euro, der GEZ-Gebühr, den Ausgaben für 49-Euro-Ticket, Essen und Strom, Gas und Bafög-Rückzahlung, klagt er, "blieben mir ganze 90 Euro für die gesamte Lebensführung." Ein Leben unterhalb der amtlichen Armutsgrenze. "Und das bei meinen Qualifikationen."

Jungmann beklagte sich. Und traf auf Verständnis. Genau deshalb träte die Partei für 100 Prozent Lohngerechtigkeit und eine Reichensteuer ein, hieß es. Als der Vielfunktionär im Mini-Job vorrechnete, dass er mit seiner Anstellung bei den Grünen finanziell schlechter dastehe als ein Bürgergeld-Empfänger, bestreitet das niemand. 

Kein Profitcenter für Einzelne

Richtig sei zwar, dass jeder, der arbeite, immer mehr Geld habe als jemand, der nur Bürgergeld beziehe. Dazu müsse derjenige aber eben auch Bürgergeld beantragen. "Man habe anfangs wohl vergessen, mich darauf hinzuweisen, dass mir das zusteht", erinnert sich Jungmann, der sich auf seinen nachhaltigen und bescheidenen Lebensstil einiges einbildet, aber angesichts seiner neuen Lebenssituation verunsichert war. "Wenn man sich nicht einmal mehr einen Kaffee to go leisten kann und keine E-Rollerfahrt, dann läuft etwas richtig falsch."

Die Einsicht, sie ist durchaus da bei Carlo Jungmann. "Meine innere Überzeugung war ja durch meine private Situation nicht ins Wanken geraten", erzählt er. Das Konto ist leer, doch das Herz ist voll. "Ich habe dann mitbekommen, dass es die regel ist, Bürgergeld zusätzlich zu dem Trinkgeldgehalt zu nehmen, das einem die Partei zahlt." Unetr der Hand bekommt er mit, dass das von höheren Ortes so gewollt sei. "Erstens sei die Partei kein Profitcenter für Eizelne, die sich auf Kosten der Partei gesundstoßen wollen", habe es geheißen. Zudem sei es gut, wenn der Steuerzahler einen Teil der Wahlkampfkosten trage, denn schließlich sei die Partei nur für ihn unterwegs und im Begriff, sein Leben viel besser zu machen.

Schicksalskampf im Mittelpunkt

Zweitens aber stehe erst einmal der politische Schicksalskampf im Mittelpunkt, es gehe um ein möglichst sehr sehr gutes Ergebnis bei der Bundestagswahl. "Wer dazu sein Scherflein beitrage, dürfe sicher sein, dass die Partei später weiter Verwendung für ihn haben werde." Dann stünden auch Stellen bereit, die denen, die es wünschten, den Einstieg in ein bürgerliches Leben ermöglichten, auf Wunsch mit Familie, eigenem Elektroauto und Eigenheim. "Sie sagten uns, schon ein Einstiegsgehalt in einem Ministerium mache das alles finanziell möglich."

Dass Carlo Jungmann dennoch die Nerven verlor, lag an ihm selbst. "Natürlich habe ich versucht, mich einzuordnen und getan, was mir gesagt wurde", erklärt er. Zudem habe er viele eigentständig beigesteuert, private Zeit, das eigene Laptop. Aber der Job sei äußerst zeitraubend gewesen, manchmal habe er acht, manchmal auch zehn Stunden am Telefon gesessen, um interessierte Wähler zu betreuen, Mitgliedern Mut zuzusprechen und oder auf der Straße abgerissene Plakate neu aufzuhängen.

Existenzangst verlacht

"Ich bin dann mal zu meinem Chef, un habe ihm gesagt, dass ich trotz Bürgergeld finde, dass ich zu wenig verdiene für zu viel Arbeit." Ein Tabubruch, denn Jungmann kann nicht mehr vorrechnen, dass nicht über die Runden kommt. "Ich habe zwar darauf hingewiesen, dass ich die Endabrechnung der Nebenkosten vom vergangenen Jahr bekommen habe und dadurch tief in den Dispo gerutscht bin", sagt er, "aber das wurde nicht anerkannt, weil mein Chef meinte, das sei kein Beinbruch, da habe jeder schon mal erlebt."

Carlo Jungmann verlässt das Gespräch, von dem er sich Hilfe erwartet hat, konsterniert und gebrochen. "Ich stand auf einmal blank da, mit einem dicken Minus auf dem Konto, aber meine akuten Existenzängste wurden verlacht." Am Tag danach sei er nicht mehr aus dem Bett gekommen. Das Telefon lässt er klingeln. "Ich rutschte in eine tiefe Depression." Seither ist Carlo Jungmann krankgeschrieben. Er glaube nicht, sagt er, dass er noch einmal an seine alte Stelle zurückkehren werde.

*Name geändert

Samstag, 8. Februar 2025

Zitate zur Zeit: Zwerg im Zaubertrank

Wir sind nicht schwächer als die Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn jemand einen Handelskrieg will, dann kriegt er ihn. 

Luc Frieden, Bürgermeister von Luxemburg

Bezahlbar: Die Parole der neuen Bescheidenheit

Alle Parteien bieten im Wahlkampf "Bezahlbarkeit" an
Das Versprechen, auf das sich diesmal alle Parteien einigen können: Kein "Wohlstand" wird mehr zugesagt, sondern nur noch "Bezahlbarkeit".

Die Zeiten der großen Versprechungen sind vorüber. Deutschland ist bescheiden geworden, selbst seine großen Parteien wirken geradezu kleinlaut schon bei Auswahl der Probleme, die sie demnächst lösen zu wollen vorgeben. Gerade noch hielt Deutschland Kurs, das Weltklima im Alleingang zu retten, mit seinem Energieausstieg ein globales Vorbild für energetische Bescheidenheit zu werden und als echtes EU-Musterland keiner Zahlung aus dem Weg zu gehen.

Wieder alle arm machen

"Faire Mieten" gab's obendrauf, "sichere Renten", ein "Land, das einfach funktioniert", durch "Klimaschutz mit Wirkung" und "ein gutes Leben im Alter". Selbst die machtlosen Oppositionskräfte stellten Glück und Glanz in Aussicht: "Reichtum für alle", plakatierte die Partei, die früher in der DDR schon einmal alle arm gemacht hatte. "Unsere Regeln, unser Land" hieß es besitzergreifend bei der AfD, "aber normal". Denn "nie gab es mehr zu tun" (FDP), "damit Deutschland stabil bleibt" (CSU).

Bundestagswahlen waren bis eben noch die Zeit, in denen Heilsversprechen und Wohlstandszusagen inflationierten. Von Ludwig Erhards "Wohlstand für alle" bis zu Helmut Kohls "Freiheit und Wohlstand" von 1990 hatten Parteien immer eine Mohrrübe dabei, wenn sie das Volk an die Urne locken wollten.

Brandt mit Frieden im Gepäck

Die einen setzten auf monetäre Reize, die anderen auf ideelle. Willy Brand hatte den Frieden im Gepäck, Annalena Baerbock die selbstgemachte Zukunft. "Wachstum" war auch in der schrumpfenden Gesellschaft immer eine Parole, die verfing. Neben ihr paradierte immer der "Wohlstand": Bei Brandt war er "für alle da". Der Enkel Lars Klingbeil sicherte zumindest zu: "Wir kämpfen für Deinen Wohlstand".

Ausgang ungewiss. Der Trend geht zur Bescheidenheit, weg von den klassischen Worthülsen, die seit Anbeginn der demokratischen Zeiten von allen Seiten, in jeder nur denkbaren Kombination und überwiegend ohne jeden sachlichen Grund verwendet werden. "Freiheit", "Deutschland", "Wohlstand", "Sicherheit", "Zukunft", "Einheit", "Gerechtigkeit", "Demokratie" und "Frieden", allesamt vom später als Bundesworthülsenfabrik (BWHF) demokratisierten Reichsamt für Sprachpflege (RfS) bereits für den Bundestagswahlkampf 1949 freigegeben, haben ihre besten Zeiten hinter sich. Selbst Begleitbegriffen wie "sozial", "fair" und "stabil" wird von der modernen Generation der Wahlkampfplaner nicht mehr zugetraut, Menschen in nennenswerter Anzahl hinter dem klimafeindlichen Kaminofen hervorzulocken.

Genügsame Wahlkämpfer

Die Wahlkämpfer sind genügsam geworden. Die hochfliegenden Vorhaben der Vergangenheit, das Weltklima von Berlin aus zu regeln oder ganz Europa auf eine gemeinsame Zustrombegrenzungslösung der zu verpflichten, wurden über Bord geworfen.  - Niemand will niemanden enttäuschen, deshalb haben die Werbedichter für die Plakatfront noch ein wenig mehr Milchglasfilter über die Versprechen gelegt und die vor Jahren eingeführte Sinnbremse für Wahlplakate bis zum Bodenblech durchgetreten.

Aus anstehendem "Wachstum" mit Wumms und Doppelwumms ist die Aufforderung zur "Zuversicht" geworden, eine Spielart des blinden Glaubens, der inmitten einer unschönen Wirklichkeit leugnet, was ihm nicht gefällt. Zwischen "unterhaken" und "zusammen" alles "verändern" regnen die Plattitüden wie ein Wolkenbruch herab. Statt höhere und hohe Renten zu versprechen, werden Schuldzuweisungen plakatiert "ist Deine Rente zu niedrig, hat Scholz nicht geliefert". Eine Partei kündigt an, sich "die Zukunft zurückholen" zu wollen. Eine Umkehrung von "Zurück in die Zukunft", deren paradoxe Tiefe achtlos vorüberhastende Passanten meist überhaupt nicht zu würdigen wissen.

Die Zukunft zur Kasse bitten

Die Partei "Volt", eigenem Markenzuschnitt nach irgendwie jung, grün, sozialistisch und total liberal, plant eine Beeinflussung der Zukunft durch eine "temporäre Aufhebung der Schuldenbremse"  nach dem Motto "so wie wir heute Schulden machen, werden die Menschen morgen leben müssen". Zumindest eine Zeit lang soll die Illusion aufrechterhalten bleiben, dass alles gut werden kann, wenn die Guten regieren und das Geld weiter zum Fenster hinauswerfen.

Dass die "Zuversicht", diese Methode möge funktionieren, selbst im politischen Berlin nicht eben groß ist, verrät ein zentraler Wahlkampfbegriff, den sämtliche Parteien neu ins Angebot genommen haben. "Bezahlbar" ist von Haus aus ein Wunderwort wie "fair", "gerecht" und "sozial", jeder kann und darf sich alles darunter vorstellen. Die Parteien jedenfalls sind bereit: Die Grünen versprechen, das "Leben bezahlbar" zu machen. Die CDU träumt von einem Land, in dem "alles wieder für jeden bezahlbar" ist, die FDP würde zumindest den "Klimaschutz bezahlbar" machen, die SPD hat wie die AfD "bezahlbare Wohnungen" im Blick. Die Linke dagegen ein ganzes "bezahlbares Leben". Koalitionsverhandlungen mit Volt würden an diesem Punkt nicht scheitern.

Kein "Reichtum für alle"

Warum aber nun nicht mehr "Reichtum für alle" oder zumindest wie üblich "Wohlstand für alle"? Warum die kleine Münze der Bezahlbarkeit alles große Zukunftszusage? "Bezahlbar" ist der kleine Bruder von sauteuer, "bezahlbar" ist alles immer nur einigermaßen, halbwegs oder kaum noch. Menschen, die seit vier Wochen 22 Prozent mehr für CO₂ bezahlen, zwölf Prozent mehr für ihre Autoversicherung, 25 Prozent mehr für das Netzentgelt Gas, zwölf Prozent für ihre Krankenversicherung und fast vier Prozent für allerlei Netzentgelte Strom, erscheinen den Wahlplanern gut abgeholt, wenn man ihnen nicht Schmerzfreiheit, aber ein Leben zwischen "fast nicht bemerkt" und "einigermaßen erträglich" verspricht.

"Ein Bündnis, ein Wort", wie es bei den Grünen heißt, dem nahezu alle Parteien beigetreten sind. "Bezahlbar" ist die Bockwurst, die angesichts der großen Mangellage Kaviar und Rotkraut mit Klößen ersetzen muss. Die versteckte Botschaft ist schnell entschlüsselt: Nein, es wird nie wieder gut werden, sondern allenfalls ein wenig weniger schlecht. Nein, Vater Staat kassiert zwar mehr denn je von, aber übrig hat er weniger, weil ihr nicht genug gebt. Und nein, selbst die dreistesten Schwindler auf Kundgebungsbühnen wagen es nicht mehr, den Bürgerinnen und Bürgern ins Gesicht zu lügen, dass sie mit irgendeiner Art von Politik gegen die offenen Geldschleusen der EZB anrudern könnten.

Besser wird's nicht, besser wird's nie mehr. Aber das Leben wird, wenn alles klappt, für alle gerade so "bezahlbar" bleiben.

Freitag, 7. Februar 2025

Frontex-Hauptquartier: Dickes Ding

das neue Frontex-Hauptquartier: Dickes Ding

Als "überteuert und überdimensioniert" hatten die Feinde geschützter EU-Außengrenzen das neue Frontex-Hauptquartier in Warschau kritisiert, zudem sei die Finanzierung durch die Europäische Investitionsbank ein Fall der Ausnutzung der Grauzone der EU-Haushaltsordnung.

Mit einem Budget von fast einer Milliarde Euro schützt die Europäische Grenzschutzagentur Frontex die EU-Grenzen im Mittelmeer und vor den Kanaren, ihr Hauptsitz befindet sich deshalb in Warschau und dort soll es auch bleiben. Allerdings reicht der futuristische "Warsaw Spire", das im Mai 2016 fertiggestellte zweithöchste Gebäude der polnischen Hauptstadt für künftige Aufgaben nicht mehr aus. Das höchste Bürogebäude Polens kann all die Beamten, die die illegale Migration in Operationen mit Namen wie "Hermes", "Poseidon" und Triton" bekämpft haben, nicht mehr fassen. 

Viel Glas und schiefe Wände

220 Meter hoch, aber mit schiefen Wänden und durch die Lage an der Ulica Towarowa im Stadtdistrikt Wola beträgt die Entfernung des Frontex-Hauptsitzes zu den Haupteinsatzgebieten der offiziell Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache genannten Gemeinschaftsorganisation rund 1.700 Kilometer. Schon lange gab es deshalb bei Frontex den Wunsch nach einer neuen Zentrale - größer, prächtiger und moderner.

Zum 21. Geburtstag haben die Mitgliedsländer ihn nun endlich erfüllt. Für 250 Millionen Euro wird die Koordinierungsstelle für die bisher überall als unzureichend kritisierte Sicherung der EU-Außengrenzen ein angemessen großes Gebäude bauen lassen dürfen. Finanziert über ein Darlehen der Europäischen Investitionsbank EIB, das keinem Mitgliedsland auf die eignen Schulden angerechnet wird, sehen die Pläne einen Bau mit mehr als 63.000 Quadratmetern Nutzfläche vor. 

Die EIB ist eigentlich für die Förderung der europäischen Integration und für umwelt- und entwicklungspolitische Projekte zuständig. Frontex kommt in den Genuss eines Darlehens der Bank, weil "die Sicherheit Europas unsere oberste Priorität ist", wie Monika Hohlmeier für die konservative EVP-Fraktion sagte. 

Endlich Schutz für die Außengrenzen

Das neue Hauptquartier werde es Frontex endlich ermöglichen, "unsere Außengrenzen wirksam zu schützen", sagte die frühere Strauß-Tochter. Dass Grüne dagegen gestimmt und Sozialdemokraten sich enthalten hätten, stehe sinnbildlich für die Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung beim Thema Migration. "Und dass Sozialdemokraten sich gemeinsam mit der AfD enthalten haben, zeugt von Doppelmoral und Heuchelei." In der EU verhinderten Grüne und SPD so "an der Seite der AfD die Stärkung des Grenzschutzes".

Dabei wird der mit dem Neubau einen großen Schritt nach vorn machen, denn der Frontex-Palast wird ein richtig dickes Ding, das die ganze Potenz der EU beim gemeinsamen Planen, Bauen und der Küstensicherung zeigen soll. Bauzeichnungen gibt es noch nicht, Architekturentwürfe auch nicht. Doch das neue Wahrzeichen des sicheren Europa wird ganze viereinhalbmal größer als das mystische "Zukunftszentrum Deutsche Einheit", das Angela Merkel der Deutsche zum 30. Jahrestag des Mauerfalls versprochen hatte.

Dessen bescheiende 14.000 Quadratmeter Nutzfläche - für geplante 200 Mitarbeiter - sollten eigentlich bereits 2028 fertig sein. Wegen fehlender Ideen, was nach der Einweihung im neuen Palast der Republik veranstaltet werden könnte, steht aber im Augenblick noch der Planungsstart aus.

Dringend Platz

Bei der neuen Frontex-Zentrale hatte der Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments dahingehend keine Bedenken. Die Parlamentarier, die erst seit wenigen Wochen im Amt sind, stimmten den Plänen mit großer Mehrheit zu, denn die 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen dringend Platz. Und den bekommen sie, denn das Parlament zeigt sich großzügig: Nach europäischem Arbeitsrecht ständen jedem Frontex-Mitarbeitenden acht Quadratmeter Bürofläche zu, der gesamten European Border and Coast Guard Agency (EBCG) also 16.000 Quadratmeter.

Mitgliedsstaaten, EU-Kommission und EU-Parlament haben eine Schippe draufgelegt: Die geplanten 63.000 Quadratmeter erlauben es, jedem Grenzschützer mehr als 30 Quadratmetern Arbeits- und Auslauffläche ist das Vorhaben noch weiträumiger geschnitten als das Finanzamt Karlsruhe, dessen 300 Angestellten das Land Baden-Württemberg für 27 Millionen 5.700 Quadratmeter spendierte - immerhin 19 pro Mitarbeiter. Nicht ganz mithalten kann es allerdings mit dem Finanzamtsneubau im ostdeutschen Halle, der jedem Finanzbeamten sogar sagenhafte 43 Quadratmeter Aufenthaltsqualität zur Verfügung stellt.

Comeback für Zonen-Gaby: Verstärkung an der Ostflanke

Als Zonen-Gaby wurde sie berühmt, dann tauchte sie ab. Jetzt ist die Bananefrau aus dem Osten wieder da - als engagierte Wahlkämpferin für die Grünen.

Es läuft insgesamt nicht wie gewünscht und schon gar nicht läuft es so großartig, wie es sich die Werbeprofis von Jung von Matt und der grüne Parteivorstand erhofft hatten. In zwei langen Wahlkampfmonaten wurde alles versucht. Aus Team Robert wurde Team Habeck, wegen der größeren Seriosität. Habeck trägt nicht mehr nur offenen Kragen und Hemdsärmel, sondern wie Helmut Schmidt und Joschka Fischer gern Anzugweste. Er hat inzwischen beinahe alle Grundpositionen der ehemaligen Umwelt.- und Bürgerrechtspartei geräumt, plädiert für ein hartes Vorgehen gegen Geflüchtete und will sogar illegale Straftäter verhaften lassen.

Gegen die Beharrungskräfte

Doch es hilft nichts. Die Umfragewerte sind wie festgenagelt, Habeck dringt mit seinen frohen Botschaften von Zuversicht und dem nahendem Öko-Paradies für alle einfach nicht durch. Noch schlimmer sieht es in Ostdeutschland, wo die Bionadeadel, Lastenradfans und Bevormundsliebhaber noch immer auf eine Mauer aus Unverständnis und hinhaltenden Widerstand stoßen.

Jahrzehnte an Diktaturerfahrungen haben viele immun gemacht gegen Verheißungen und Versprechen. Oft spielt auch Herkunft eine Rolle: Habeck gilt in den weitestgehend entvölkerten Landschaften von Sachsen, Thüringen und Mecklenburg als Auswärtiger, dem nicht mehr zu trauen ist als dem Verfasser einer Spam-Mail, der den Gewinn von 78 Millionen in einer Lotterie mitteilt, an der der Empfänger nie teilgenommen hat.

Geschmeichelt vom Anruf

Dass es bei Gaby Wüstemach klingeln musste, war also eigentlich klar. Als es dann klingelte, war die heute 52-Jährige trotzdem verblüfft. Aber geschmeichelt: Ein leitender Mitarbeiter von Team Robert (inzwischen "Team Habeck") bestellte ihr "die liebsten Grüße von unserem Kanzlerkandidaten", wie sie sich Wort für Wort genau erinnert. Wie so viele Frauen in Deutschland schätzt auch Gaby Wüstenach den grünen Kanzlerkandidaten "einfach, weil er sich gut anschaut und man gut träumen kann, wenn er spricht". Ein Türöffner für die Partei des derzeit fast beliebtesten Anwärters auf die künftige Kanzlerschaft, denn so war Gaby Wüstenach bereit, sich eine persönliche Bitte der grünen Kampagnenleitung anzuhören.

"Es ging um die Ostflanke", sagt sie, "und darum, dass die Vorbehalte gegen Wessis bei uns immer noch groß sind, dass die schönsten Versprechen nicht verfangen". Gaby solle, so die Bitte, mit ihrer Prominenz helfen, Team Habeck die Tür zu den Herzen der Sachsen, der Thüringen und der Menschen in Sachsen-Anhalt zu öffnen. Denn so bescheiden sich die Frau aus Sachsen gibt - sie ist in Ostdeutschland eine Person der Zeitgeschichte, die jeder kennt. Vor 35 Jahren war sie es, die mit einer frischgeschälten Gurke auf dem Titelbild des Magazins "Titanic" posierte und stolz behauptete, dies sei  ihre erste Banane. 

Erste Schritt auf große Bühne

Für Gaby Wüstenach war es der große Schritt auf die öffentliche Bühne. Ihr Porträtbild mit Banane wurde zum Symbol für den Wandel in Deutschland, ein Angebot an alle Ostdeutschen, sich einzulassen auf eine Gesellschaft, die ihren sprichwörtlichen Bananenhunger stillen würde. Gaby, damals erst 17 Jahre alt, fand sich im Mittelpunkt eines gewaltigen Trubels wieder, sie war das Gesicht des dummen Ossis und erlangte über Nacht Berühmtheit. 

Doch der Ruhm brachte ihr nicht nur viel Freude. Typisch ostdeutsch und mental verkrüppelt vom Topfen in der Diktatur fühlte sie sich überfordert und unwohl mit der plötzlichen Aufmerksamkeit. Um sie und die Integrität der deutschen Einheit zu schützen, wurde die Legende verbreitet, sie stamme in Wirklichkeit aus Worms in Rheinland-Pfalz. Doch verfolgt von Hass und Spott blieb Gaby nichts anderes übrig, als für viele Jahre unterzutauchen und den Schutz der Anonymität der kleinen Dorfgemeinschaft zu suchen, in der sie als Tochter eines Konsumverkaufsstellenleiterehepaares aufgewachsen war.

Das gewagte Comeback

Nun plötzlich das Angebot, ein Comeback zu wagen. Es kam einigermaßen unerwartet für die 52-Jährige, die verheiratet ist, erwachsene Kinder, als Umwelthelferin und Wochenmarktverkäuferin arbeitet und nie daran dachte, noch einmal als öffentliche Person aufzutreten. "Doch ich habe das Angebot dem Familienrat unterbreitet", schildert sie, "und vor allem unsere Kinder und Enkel haben mich inständig gebeten, den Bitten der Grünen nachzugeben, um Robert Habeck in Ostdeutschland zusätzliche Sympathien zu verschaffen". 

Gaby Wüstenach selbst macht sich große Sorgen um das Klima, für sie ist Engagement Ehrensache, etwa bei der Freiwilligen Feuerwehr in ihrem Heimatort. "Und mir liegt auch viel daran, dass es bei den Wahlen nicht zu einem Rechtsruck kommt, der Deutschland durch das Tor zur Hölle zurück ins Jahr 1933 stürzt". Nach 24 Stunden stand ihre Entscheidung, von Ehemann Ralf, den drei Söhnen und ihren Ehefrauen und den sechs Enkeln einhellig unterstützt: Gaby Wüstenach stimmte zu, noch einmal zum Plakatstar zu werden, diesmal für eine gute Sache.

Werbung für eine Herzenssache

Auf dem Plakat, mit dem sie nun  überall in Ostdeutschland für die Grünen wirbt, heißt sie in Erinnerung an früher wieder "Zonen-Gaby" und sie wirbt mit einer traditionellen Ost-Banane als "Eine von mir". Gaby Wüstenach  wandelt das Habeck-Motto vom "Ein Mensch. Ein Wort" sprachgewandt in "Ein Mensch. Eine Banane" um. "Ich wollte, dass es ein bisschen persönlich ist, direkt von mir",s agt sie.

Die Ereignisse vor 35 Jahren, kurz nach dem Fall der Berliner Mauer, habe Gaby Wüstenach inzwischen gut verarbeitet. Schaut sie heute auf das Titelbild des deutschen Satiremagazins "Titanic", muss sie über junge Gaby aus Sachsen schmunzeln, die mit einer geschälten Gurke in der Hand posiert und weder bemerkt, dass es sich nicht um eine Banane handelt noch darüber informiert wurde, dass die Frucht vielerorts als frauenfeindliches, sexistisches Phallussymbol missverstanden werden wird. 

Erst in den vielen Jahre ihres "Lebens im Schatten", wie Gaby Wüstenach ihre lange Auszeit von der Öffentlichkeit selbst nennt, seien ihr diese misogynen Dimensionen ihres Auftrittes klargeworden. "Man muss bedenken, ich war damals noch minderjährig und wurde auf offener Bühne missbraucht." Aus den Gefühlen tiefer Verletzung resultiert Wüstenachs tiefer Engagement für die Umwelt und eine nachhaltige Lebensweise. 

Die mutige Klimatrommlerin

Öffentlich für ihre Ziele zu trommeln, das Klima zu erhalten, die Zwei-Grad-Ziele zu erreichen und die Wirtschaft nachhaltig zurückzubauen, all das wäre Gaby Wüstenach nie in den Sinn gekommen. "Ich sehe mich als kleines Licht, das wie viele Ostdeutsche sein Ding macht und seine Ruhe haben will." Doch die Bitte der Grünen, im Wahlkampf zu helfen, brachte eine Saite in Gaby Wüstenach zum schwingen. "Wenn ich auf meine Enkelinnen und Enkel schaue, dann möchte ich, dass es denen mal besser geht." 

Für das Ziel, der im Osten so oft verspotteten, verlachten und angegriffenen grünen Parteineue Sympathien zu verschaffen, schlüpfte Gaby Wüstenach bereitwillig noch einmal in ihr "Bananenkleid", wie sie es selbst ironisch nennt. "Ich habe hier eine einmalige Chance, meine Werte und Sorgen öffentlich zu machen", sagt sie. Nur deshalb sei es ihr gelungen, inneren Gespräch mit sich selbst alle Bedenken zu überstimmen, die sie durchaus bewegt haben. "Ich konnte die Last, die das Bildberühmte von von mir damals mit sich brachte, nie ganz abwerfen", gesteht sie. "Zonen-Gaby" war für sie weit mehr als nur ein gespielter Witz über den Osten, die Figur, die sie so glaubwürdig verkörperte, war Teil ihres Lebens.

Sehnsucht nach einem positiven Erbe

Gaby Wüstenach will sich jetzt endgültig frei machen. "Wenn ich meine Energie und meine Bekanntheit in den Kampf gegen den Klimawandel einbringen kann", glaubt sie, "dann verwandle ich das Horrorbild, das viele immer noch von mir haben, in etwas Positives". Sie möchte die Plattform, die ihr die im ersten Schwung gedruckten 50.000 Zonen-Gaby-Plakat bieten, nutzen, um auf ihr Umweltbewusstsein aufmerksam zu machen, über die Notwendigkeit einer nachhaltigen Lebensweise zu informieren und Wählerinnen und Wählern zu verdeutlichen, dass eine Stimme für Robert Habeck am besten hilft, regionale Kreisläufe zu stärken.

"Ich will den Rechten ihre Themen Heimat, Identität und Herkunft am liebsten wegnehmen", sagt Gaby Wüstenach, die in den vergangenen Jahren viel theoretische Literatur gelesen hat, so etwa von Hobbes, Marx und Michel Foucault. "Dass uns Riesenkonzerne einreden, es müssten Bananen vom anderen Ende der Welt auf den Tisch, Kaffee aus Äthiopien und Palmöl aus Asien, das finde ich falsch", sagt sie. Die Gurke sei die Chance, eine andere Geschichte zu erzählen, das Klischeebild zu brechen und mit "Eine von mir" ein Statement zu setzen, dass nicht die exotische Frucht, sondern das heimische Gemüsefest in der ostdeutschen Gesellschaft verankert ist. "Das hilft dem Klima, das hilft unseren ostdeutschen Gurkenbauern, das hilft den rumänischen Erntehelfer und das hilft letztlich unseren Enkeln."

Ein Mensch, keine Banane

War das im Westen hämisch bejubelte Plakat mit der Aufschrift "Ein Mensch, eine Banane" noch eine symbolische Herabsetzung aller migrantischen Menschen mit Wurzeln im Osten, so ist "Eine Banane. Ein Wort" das ganze Gegenteil. Gaby Wüstenach emanzipiert sich stellvertretend für ihre Landsleut*innen, sie stellt den Mensch mitten in die ihn umgebende natürlich Natur und zugleich in die Verantwortungen, die jeder trägt. Ihre "Banane" mag immer noch eine simple Gurke sein, aber sie jetzt ein Symbol für Ressourcen und wie der Mensch sie nutzen kann, wenn er an der wahlurne die richtige Entscheidung trifft - nachhaltig und gerecht. 

Natürlich wissen kaum jemand besser als Gaby Wüstenach und ihre gute Freundin Regina Zindler um die Ambivalenz des Ruhms. Gaby hat keine Zweifel daran, dass ihre Rückkehr Aufmerksamkeit bringen wird, Medieninteresse, höhnische Verrisse und böse Mails. Aber sie sei fürchtet sich nicht, denn sie weiß sich bei Team Habeck gut aufgehoben. 

"Ich bin entschlossen, meinen Ruhm zu nutzen, um eine Botschaft zu verbreiten, die mir am Herzen liegt", sagt sie. Gaby, nun älter und weiser, aber immer noch die süße Ossi-Frau von damals, handelt nicht mehr fremdbestimmt, sondern aus einer Mischung von Verantwortungsbewusstsein, Wunsch nach Wiedergutmachung für die Umweltsünden der DDR und dem ehrlichen Verlangen, für eine bessere Welt zu kämpfen.

Donnerstag, 6. Februar 2025

Hart aber Habeck: Ein Kanzler im Selbstgespräch

Robert Habeck im Selbstgespräch
Im Internet kursieren erste Bilder aus der Talkshow, in der Robert Habeck sich selbst zum Gespräch empfängt.

Letztlich ist es ein Akt der Gegenwehr, ein Aufstand gegen den Rechtsruck und ein Versuch der Selbstbehauptung gegen eine Medienlandschaft, die offenbar im Begriff ist, alle gemeinsamen Werte, alle gemeinsamen Ziele und alle gemeinsamen Verabredungen zu verraten. Deutschlands Medien rücken schon seit Wochen spürbar ab von den führendsten Politikern. Selbst für Robert Habeck, den beliebteste Kanzlerkandidaten seit Jahren, sind Gastauftritte bei Freunden, die aus ihrer Liebe und unumschränkten Zuneigung kein Geheimnis machen, seltener geworden.

Angst in den Redaktionen

Die Fankurve wendet sich ab. Seit Donald Trump in den USA durchregiert, wächst die Angst in den Redaktionsstuben, man könne beim Kurswechsel nicht schnell genug sein und am dicken Ende verantwortlich gemacht werden für ein ganzes Jahrzehnt bigotter Anbetung von Staat, Regierung und "unsere Demokratie".  Die Gewalt, mit der die neue Administration auf der anderen Seite des Atlantik  durch die festgefügten Institutionen fegt, befeuert akute Ängste. Was soll werden?

Bis in die Mitte des Elfenbeinturms waren die Absetzbewegungen unverkennbar. Und als Dunja Hayali die neue grüne Parteivorsitzenden Franziska Brandtner in ein Fernsehverhör nahm, das an Waterboarding-Methoden erinnerte, war es klar: Nicht nur die SPD, die CDU, die CSU, BSW und FDP sind bereit, mit Faschisten zusammenzuarbeiten. Nein, auch die ARD und das ZDF haben den Boden unserer Demokratie verlassen.

So sollen wir zusammenleben

Denn Hayali ist nicht irgendwer. Die Vielgesendete hat sich über viele Jahre hinweg den Ruf erarbeitet, den jeweiligen Zeitgeist  in Echtzeit spüren und verstärkt übertragen zu können. Wie ihre ARD-Kollegin Anja Reschke mit "Haltung - Reschkes Rückenschule" hat Hayali mit "Haymatland: Wie wollen wir zusammenleben?" zur rechten Zeit eine Gesellschaftsschulung in Buchform veröffentlicht, die keine Wünsche übrig ließ. Der Nachfolger des gesellschaftskritischen Debüts "Is’ was, Dog? Mein Leben mit Hund und Haaren" hinterfragte bereits 2018 mutig, ob Deutschland wirklich "so ein tolles"  (Hayali) Land sei, wie die Bundesregierung immer behauptet. 

Merkel ging immer zu Will, das merkte man. Doch Dunja Hayali bewahrte sich ihren kritischen Geist. Klug versteckt hinter einem plakativ sanften Umgang mit amtierenden Regierungsmitgliedern, stellte sie gegenüber sogenannten "ÖRR-Kritikern" klar: "Jeder kann eine eigene Meinung haben, nicht aber eigene Fakten".

Unbestechliches Ethos

Ein Berufsethos, das jetzt auch die zu spüren bekommen, die bisher glaubten, sie könnten Hayali alles erzählen. Grünen-Chefin Franziska Brandtner bekam es bitter zu spüren, als sie sich im "Morgenmagazin" einfand, um ihre üblichen Sprechblasen und Worthülsen zu verklappen. Dunja Hayali nagelte sie fest und drehte die Nägel dann noch um: Hier und dort, ja haben denn da die Grünen nicht auch mit der AfD gestimmt? Brandtner, noch recht neu im Geschäft mit der Verbreitung von eigenen Fakten, war anzusehen, wie ungemütlich es ihr wurde.

Das muss eine Partei sich nicht bieten lassen, die drauf und dran ist, den nächsten Kanzler zu stellen. Nach dem Vorbild des großen Martin Schulz, der im Wahlkampf 2016 die Interviews, die niemand mit ihm führen wollte, einfach mit sich selbst führte,  hat sich Robert Habeck entschlossen, im Zwiegespräch mit sich selbst vor seine Gemeinde zu treten. In Zeiten der Selfishness kein Tabubruch wie so mancher andere, eigentlich eher nur ein Selfie mit passgenau geschnittenem Inhalt: Habeck fragt und Habeck antwortet. Hier aber eben konfrontativ angeordnet. 

Mit sich selbst im Gespräch bleiben

Was im Alltag oft irritierte Blicke von Mitmenschen provoziert, weil große Teile der Gesellschaft es nicht akzeptieren wollen, dass Menschen mit sich selbst sprechen, weil sie sich am besten verstehen, schafft hier wie selbstverständlich Akzeptanz. Nein, dieser Robert Habeck, er ist nicht allein, auch wenn das Team Habeck nicht anwesend ist. Der Kanzlerkandidat zeigt damit, dass keineswegs Anzeichen einer psychischen Störung, wie die Verhaltenspsychologin und Propagandadolmetscherin Frauke Hahnwech betont. Richtig sei das Gegenteil: "Wer mit sich selbst im Gespräch bleibt, kann seine Gedanken sortieren und seine Gefühle regulieren".

Gerade in kniffligen Situationen wie einem Wahlkampf, der engagiert, aber bisher ohne spürbaren Erfolg geführt werde, könne das helfen, den Überblick zu behalten. Dass einige Menschen das Selbstgespräch "irgendwie komisch finden", sei kein Beinbruch für die Glaubwürdigkeit.

"Wenn so ein Zwiegespräch in einem entsprechend düster ausgeleuchteten Raum mit violett changierendem Teppichboden stattfindet, der Ernsthaftigkeit und das Bemühen um Tiefe signalisiert, wird sich anfänglich durchaus denkbare Verwunderung schnell in Hochachtung verwandeln", glaubt Hahnwech, die vom neuen Konzept der Wissensvermittlung überzeugt ist. "Wir kennen das doch jeder von uns selbst, niemand ist manchmal selbst so kritisch wie wir selbst zu uns selbst sind."

Kreml konsterniert: Deutscher Wahlkrampf macht Russland ratlos

Botarmee Russland Kreml Bundestagswahl
Monatelang suchten die Kommentatorenkompanien und Botarmeen in Russland Fachkräfte. Jetzt kommen sie wohl vor der Bundestagswahl gar nicht mehr zum Einsatz

Die Ampel zerbrach, die verblieben Fußgängerampel stritt, die Liberalen sprinteten aus der linken Gefangenschaft nach rechts, Unionskandidat Friedrich Merz aber überholte sie unterwegs dennoch. Die demokratische Mitte schrumpfte zu einem schmalen Sims zwischen den Extremen, ihre Reste zeigten sich zunehmend unversöhnlicher.  

Zur Freude der Extremisten, denn schon viele Monate vor dem Beginn der vorgezogenen Bundestagswahl hatte Russland wie immer begonnen, sich auf den Wahlkampf vorzubereiten. Dabei hat der Kreml das übliche Ziel vor Augen: Der Wahlausgang sollte so beeinflusst werden, dass Deutschland wirtschaftlich weiter geschwächt wird, die Bevölkerung noch tiefer gespalten und die Bundeswehr als Faktor auf einem künftigen Schlachtfeld keine Rolle spielen kann.

Operation Wahlen

Die Operation Переломный момент на выборах в Германии ("Wahlen in Deutschland drehen") war eine der umfassendsten und komplexesten hybriden Kriegskampagnen, die das Land jemals gegen einen westlichen Demokratieprozess geplant hatte. Von den Tiefen des russischen Internets bis hin zu den höchsten Etagen des Kremls wurde eine Strategie ausgearbeitet, die sowohl auf Technologie als auch auf menschlicher Manipulationskraft basierte. 

Moskau renovierte alte Trollfarmen und stellte neue Botarmeen in Dienst. Neben der bekannte altbekannten geheimen Internet Research Agency (IRA), die speziell für solche Operationen eingerichtet wurde, startete der Hochlauf der ersten Wahlkampf-KI, versteckt im ewigen Eis Sibiriens. 

Während die alten Trollfarmen noch mit Hunderten von Angestellten besetzt waren, die rund um die Uhr arbeiteten, um gefälschte Profile, Nachrichten und Diskussionen zu erstellen, mit denen demokratische Parteien diskreditiert werden sollten, schafft es die KI, eine Mischung aus fein gesponnenen Lügen und halbwahren Informationen automatisiert herzustellen. 

Beabsichtigt war, mit einem Strom von Fake News die sozialen Medien zu überfluten. Parallel dazu wurden die üblichen Botarmeen eingesetzt – automatisierte Programme, die in Sekundenschnelle Tausende von Kommentaren, Tweets oder Posts verbreiten, um bestimmte Narrative zu pushen oder zu verstärken. 

Programmierte Bots

Diese Bots sind üblicherweise darauf programmiert, bestimmte Hashtags zu pushen, bestimmte politische Meinungen zu unterstützen und Gegenmeinungen als Nazi, Marxist oder neoliberal zu verunglimpfen. Ab Sommer 2024 trainierten in Kasan ganze Kommentatorenkompanien, denn neben der technischen Manipulation wollte Russland weiterhin auch auf menschliche Kommentatoren setzen. 

Die werden als "Человеческие ресурсы" (Human resources) aufgeboten, um Debatten in eine bestimmte Richtung zu lenken, Zweifel zu säen und den Fokus auf polarisierende Themen wie Migration, Wirtschaft, Energieversorgung oder Klimavorschriften zu richten, die die Gesellschaft spalten könnten. Die Waffen sollten Fake News sein, Desinformation und Kachelbilder.

Abtrünnige aus einer solchen KK berichteten von Milliardeninvestitionen, die Russlands hybride Angriffe vom Ostseeboden in die deutsche Öffentlichkeit tragen sollten. Bei den Betreffenden handelt es sich nicht um Hilfskräfte, wie sie in deutschen Telefonfarmen beschäftigt werden.

Alle Einsatzkräfte der KK sind gut informiert und eloquent, ihr Auftrag ist die Schwächung pro-westlicher Parteien und die Unterstützung von russlandfreundlichen Kräften etwa in SPD und BSW. Zudem sollen sie extremistische Gruppen unterstützen, die für eine spaltende politische Agenda stehen, die Nato leugnen und dafür plädieren, Europa von den USA abzukoppeln.

Unterminierte Demokratie

Das Ganze glückte, ohne dass der Plan zur Unterminierung der Wahlen vorab bekannt wurde. Russland hat aus dem US-Desaster gelernt, so gut, dass selbst das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" seit Ausrufung der Neuwahlen keinen einzigen warnenden Beitrag über die russischen Ziele veröffentlichte. Die Aufklärungsbeiträge des Fachministeriums sind alt, dem Versuch der "Tagesschau", die alte  russische Doppelgängerkampagne aufzuwärmen, mangelte es an Ernsthaftigkeit.

Den Russenseiten, denen vorgeworfen wurde, "Stimmung gegen die Parteien" zu machen, wurde eine "Desinformationskampagne" mit insgesamt 630 Post auf X in einem Monat vorgeworfen - beteiligt unter anderem der KI-Bot Laura Wagt, mit knapp mehr als 4.000 Followern ein Gigant unter den Russenagenten.

So wenig, aber kaum verwunderlich, denn der Kreml hatte seinen Großangriff zu diesem Zeitpunkt bereits abgeblasen. Einziger und einleuchtender Grund: Längst war auch in Moskau bekannt geworden, dass eine Beeinflussung der Bundestagswahl unnötig ist. "Sie zerlegen sich schneller als wir das gekonnt hätten", hatte ein Geschäftsträger der russischen Regierung Anfang Januar aus Berlin gekabelt. 

Die Chaos-Strategie

Eine Strategie, die durch Chaos und Desinformation die politische Landschaft destabilisiere und die Wahl zu einer Art Schlammschlacht mache, in der die Wähler verwirrt und verunsichert reagieren, sei nicht mehr nötig. "Наши цели полностью достигнуты, товарищ Владимир Владимирович", heißt es in einem Telegram. Zu Deutsch: Unsere Ziele sind vollumfänglich erreicht, Genosse Wladimir Wladimirowitsch.

Alles weitere Einreifen könne sie nur gefährden, denn die deutschen Parteien hätten sich ganz von allein aus der Diskussion um Waffenhilfe für die Ukraine, Geldzahlungen an Kiew und die vor Monaten noch so umstrittene Friedensdiplomatie verabschiedet. Hatte der Kreml erwartet, dass das nur durch dreiste Manipulation der öffentlichen Meinung erreicht werden könne, zeigten sämtliche Parteien mit Beginn des Wahlkampfes eine auffällige Rücksichtnahme auf die Interessen Russlands. 

Unvorhersehbare Reaktionen

Versuche, bestimmte Parteien zu diskreditieren, führten zu unvorhersehbaren Reaktionen in der deutschen Politiklandschaft. Parteien, die ursprünglich als Ziele russischer Desinformation galten, gewannen an Popularität, während vermeintlich "kremlfreundliche" Kräfte an Boden verloren - und alles, wie sich jetzt herausstellt, ohne dass es sie überhaupt gab.

Drumherum brodelte das Chaos, ganz ohne Hilfe von außen. Der Kreml schaffte es zwar, eine serbische Bauschaumbande in Marsch zu setzen. Doch ob die es war, die die Mitte nach rechts rückte, ist noch nicht erwiesen. Dennoch sieht sich die Linke plötzlich allein in der Mitte, während die radikalen Ränder die CDU, einst die mächtige Staatspartei, mit den extremen rechten Kräften gleichsetzten. Die politische Landschaft wurde zu einem seltsamen Spiegelbild der russischen Erwartungen: Anstatt eine klare Richtung zu geben, wurde jede Partei zur Zielscheibe von Kritik, Misstrauen und Angriffen von allen anderen.

Eine paradoxe Gegenwehr

In einem paradoxen Akt der Gegenwehr kam es hier und da sogar zu Gewalt, um Gewalt zu verhindern. Farbbeutel flogen durch die Luft, und der Ruf "Ganz Deutschland hasst die CDU" hallte durch die Straßen, was die politische Debatte noch weiter in genau dem Sinne polarisierte, den Putin in Auftrag gegeben hatte.

Die Zufriedenheit im Kreml ist groß, doch die Enttäuschung ebenso. Die Erwartung, die deutsche Wahl beeinflussen zu müssen, hat sich als Fehlkalkulation erwiesen. Damit aber steht die gesamte Deutschland-Strategie Russlands infrage - ein Zustand, den Wladimir Putin nicht hinnehmen kann. Die derzeitige Ratlosigkeit des Präsidenten und seiner Berater ist mit Händen zu greifen: Auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes hält sich der Diktator vollkommen zurück, unsicher darüber, ob ein Eingreifen für diese oder jene Partei oder Koalition den Interessen Russlands am Ende nicht vielleicht sogar schaden würde.

Denn die Kampagne, die darauf abzielte, Deutschland zu destabilisieren, hatte nicht einkalkuliert, dass Deutschland sich ganz von selbst in eine so fragmentierte und unvorhersehbare politische Landschaft verwandeln wird, dass selbst Meister der Manipulation keine großen Summen mehr wetten würden. Russland, das sich selbst in einem "Informationskrieg" sieht, hat ohne einen Schuss gewonnen. 


Mühsame Fälschung

Die mühsam gefälschten Websites angesehener deutscher Publikationen wurden nicht gebraucht, Desinformationen verbreiten sich organisch, die Parteien selbst setzen auf Social Media Manipulation und die automatisierte Ausnutzung von Algorithmen durch Online-Abteilungen, die polarisierende innenpolitische Themen brüskierend und provozierend verbreiten. Parteien setzten per Facebook-Anzeige "teils absurde Mutmaßungen und Falschbehauptungen" in die Welt, hat das renommierte Medienhaus "Correctiv" ("Geheimplan für Deutschland") gerade in einer umfangreichen Recherche ermitteln können.

Deutschlands unerwartete Resilienz gegen ausländische Einflussversuche wirft ein neues Licht auf die  Verschiebungen des politischen Koordinatensystems. Parteiinterne Konflikte ersetzten die Angriffe von außen wirksamer als es die russischen Trollarmeen gekonnt hätten. Die Ablenkungsmanöver die sie traditionellen Volksparteien CDU, Grüne und SPD selbst unternahmen, um nicht über die desaströse Wirtschaftsentwicklung, die prekäre Energieversorgung und die steigenden Arbeitslosenzahlen sprechen zu müssen, erwiesen sich als deutlich durchschlagender als es das Befeuern der demokratiefeindlichen Russlandfreunde hätte sein können.

Kreml in der Zwickmühle

 Die Enttäuschung im Kreml sitzt naturgemäß tief, weiß doch in Russland derzeit niemand, mit welcher Partei die Kriegsmacht im Osten noch besser fahren würde als mit der derzeitigen Koalition. Darin gleicht die Situation der Kremlherren der deutschen Wähler, die genauso wenig ahnen können, was nach der Wahl im Bereichen wie Wirtschaft, Steuern, Energieversorgung oder Verteidigung auf sie zukommen wird.

Aus genau diesem Grund hatte der Kreml stets versucht, Parteien zu stärken, die seinen Interessen verpflichtet sind - in Deutschland betraf das die SPD, aber auch Linke, BSW und AfD sowie Teile der Union.  Das Risiko,  dabei aufzufliegen, ist immens, wie das jüngste Beispiel aus Rumänien zeigt. Dort musste die Präsidentschaftswahl rückgängig gemacht werden, nachdem der rumänische Geheimdienst auf Veranlassung Russlands behauptet hatte, die Wahl sei von Russland gekauft worden.

 

Angriffe aus dem Gebüsch

Belege fehlen bis heute, dadurch gelang es dem Kreml, die Rumänen insgesamt schwer zu verunsichern. Bestimmte ausländische Kräfte betreiben dieselbe Strategie mit Blick auf die Bundestagswahlen - massiv Zweifel wecken, Spaltung in der Gesellschaft, eine geschwächte deutsche Demokratie, das ist das Ziel. Ausgerechnet die zunehmende Fragmentierung der politischen Landschaft und die Konzentration alle Parteien auf Maximalforderungen, die aus der jeweiligen Sicht des Anhangs alternativlos sind, macht es für Russland schwierig, klare Verbündete oder Gegner zu identifizieren. 

Hieß es früher, eine hohe Wahlbeteiligung sei wichtig, um  gefährliche Rechte abzustrafen, zeigten Wahlen zuletzt ausgerechnet eine starke Rechte, wenn es zu hohen Wahlbeteiligungen kam. Frustration könnte nun zu einer niedrigeren Wahlbeteiligung führen, die aber wäre keine Gewähr mehr für zuverlässige, demokratische Ergebnisse. 

Russlands Versuche, die Wahl zu beeinflussen, haben zwar nicht stattgefunden, aber dennoch zu Turbulenzen geführt, ohne dass klar ist, welches Ergebnis Wladimir Putin sich wünschen würde. Während der Kreml ratlos zusieht, wie seine sorgfältig geplanten Strategien ins Leere laufen, zeigt sich so eine neue Stärke der deutschen Parteiendemokratie: Sie funktioniert wie eine kaputte Kaffeetasse. Kann ruhig runterfallen, geht nicht mehr in Scherben.

Mittwoch, 5. Februar 2025

Spitze auf Knopf: Wer sind mehr

Rosige Aussichten: Kommt es so, könnte erstmals eine Koalition eine Mehrheit im Bundestag haben, die keine Mehrheit im Bundestag hat.

Es wird nicht einfach werden, aber dadurch besonders leicht. Vorerst deutet nur eine Umfrage des Democracy Institute aus Washington D.C. auf ein Ergebnis der Bundestagswahl hin, das Blütenträume reifen lassen würde, die schon verdorrt zu sein schienen. Die Union nur noch bei 27 Prozent, SPD 15, Grüne 13. Doch mit BSW und Linkspartei schaffen es demnach zwei weitere linke Kräfte ins Parlament. Summiert ergibt das eine kaum mehr für möglich gehaltene Mehrheit der Demokraten der Mitte: 39 Prozent der Stimmen könnten Rot, Grün, Brombeer und Blutrot auf sich vereinen.

Mehrheit ohne Mehrheit

Keine Mehrheit, aber doch eine. Durch die Brandmauer fehlt der Union ein kräftiger Koalitionspartner. Allein mit der FDP, die die Amerikaner auch gerade so wieder in den Bundestag rutschen sehen, reicht es nicht. Eine Koalition mit der AfD aber, mit der CDU und CSU zusammen auf eine absolute Mehrheit kämen, kann und will Friedrich Merz nicht eingehen. Stellte sich nun Olaf Scholz beherzt an die Spitze einer Farb-Formation, für die noch eine Nationalfahne als Namensgeber gefunden werden muss, wäre ihm der Durchmarsch auch ohne parlamentarische Mehrheit sicher. 

Nie war es so einfach, einen Regierungschef zu stellen. Selbst wenn die Kanzlerwahl in den ersten beiden Runden noch scheitert, reicht in der dritten Runde sogar eine einfache Mehrheit. Grüne und SPD bräuchten dann nicht einmal mehr Hilfe von der Linken und der Bewegung Wagenknecht. Schaffen sie es, für Scholz oder Habeck die Mehrheit der Stimmen zu sammeln, ist wäre einer der beiden Regierungschef.

Die AfD würde nicht zustimmen. Die CDU müsste sich deshalb ebenso wie die CSU enthalten. 39 Prozent der Stimmen reichten damit, um den neuen Kanzler zu küren. Der könnte zudem vier Jahre sicher durchregieren: Immer, wenn die Union ein Gesetz durchfallen lassen wollte, müsste sie schauen, dass die AfD nicht das Gleiche vorhat. Vergessen wären die wackligen Ampel-Jahre, als manches Gesetz es nicht einmal in den Bundestag geschafft hatte, weil Robert Habeck zwar die richtige Idee hatte. Die FDP sich aber immer wieder weigerte, sie umzusetzen.

Alles für die Mitte

Das wäre in der neuen Konstellation vorbei. SPD, Grüne, BSW und Linkspartei haben jede Menge Ideen im Wahlkampfgepäck, wie sich über höhere staatliche Ausgaben binnen kürzester Zeit alles grundlegend zum Besseren wenden ließe. Die Sozialdemokratie will nicht nur die "hart arbeitende Mitte" (Hubertus Heil), sondern auch die hochverschuldeten Kommunen, die Pflege, die Stromkunden und die Rentner entlasten. Sondern die dazu notwendigen 30 bis 130 Milliarden auch auftreiben, ohne die aktuellen Wähler jetzt gleich zu belasten. 

Ähnlich großzügig wollen die Grünen vorgehen, die 48 Milliarden für alle ausgelobt haben. Die Linke und das BSW haben noch nicht ausgerechnet, wie viel Gutes auf ihre Wähler wartet. Aber addiert geht das über die 89 Milliarden der Union und die 139 Milliarden der FDP hinaus in die Richtung der knapp 150 Milliarden der AfD.

Die letzten Jahre noch genießen

Warum also nicht, werden sich viele Wählerinnen und Wähler sagen. Wenn der ganze Laden sowieso den Bach hochgeht, warum dann nicht noch die letzten Jahre genießen? Vor allem für die Älteren, die schon den Kalten Krieg, die Schmerzen der ersten Einheitsjahre, den Zusammenbruch des Neuen Marktes, die Finanzkrise und die Pandemie durchstehen mussten, ist eine als "Reform" bezeichnete Aufhebung der Schuldenbremse eine verlockende Alternative zur Armut im Alter, Leiden im unbezahlbaren Pflegeheim und Bibbern in jedem Winter, weil der Habecksche Heizungsentlüfter wieder nicht erschienen ist.

Die Vielfaltskoalition wäre der Regierung gewordene Ausdruck einer Mehrheit, die keine ist, durch ihre kluge strategische Platzierung aber doch. An der Schnittstelle zwischen Insolvenzverschleppung und Konkurs in Eigenverwaltung entstünde ein Gegenentwurf zur amerikanischen und argentinischen Effizienzdiktatur, bei dem es auf den Euro nicht mehr ankommt. 

Hoffnung für Merz

Über Wirtschaft wird ohnehin wenig gesprochen in dieser Wahlschlacht, kaum mehr als über Klima und Krieg, die beiden Themen, die vor einem Jahr noch im Mittelpunkt jeder politischen Debatte standen. Der Wettbewerb um die steilste These tobt heute anderswo, seit einigen Stunden aber ausschließlich an den Außengrenzen. Die will Friedrich Merz zumachen, über die will Olaf Scholz konsequent abschieben, die will Ronbert Habeck verteidigen, indem er "nichtdeutsche Gefährder" und Schwerkriminelle, die mit Haftbefehl gesucht werden, in Haft nehmen lässt.

Vielleicht der Knackpunkt für eine künftige Koalition mit den Silberlocken von der Linkspartei: Der rechte Flügel der Linkspartei wäre gern dabei. Aber wie die grüne Jugend, die Habeck sofort des Wortbruchs zieh, obwohl der Nachwuchsverband erst vor vier Monaten vorsorglich scharf nach rechts gerückt worden war, steht auch die Rest-PDS für Asylrechtsverschärfungen nicht zur Verfügung

Eine letzte Hoffnung für Friedrich Merz.